Halloween – Die Nacht des Grauens (1978)

DA STEHT EINER UND SCHAUT

8/10


halloween© 1978 Columbia Pictures


LAND / JAHR: USA 1978

REGIE: JOHN CARPENTER

DREHBUCH: JOHN CARPENTER, DEBRA HILL

CAST: JAMIE LEE CURTIS, NICK CASTLE, DONALD PLEASENCE, NANCY LOOMIS, SANDY JOHNSON, P. J. SOLES, KYLE RICHARDS, BRIAN ANDREWS, CHARLES CYPHERS U. A.

LÄNGE: 1 STD 31 MIN


Alleine schon die Art und Weise, wie John Carpenter Tür und Tor zu finsteren, psychopathischen Abgründen aufstößt, in die man zuvor vielleicht nur in Alfred Hitchcocks wohl perfidesten Film Psycho geschielt hat, ist das Beispiel innovativer filmischer Gestaltungskunst. Denn am Anfang, da sehen wir die Welt noch mit den Augen Michael Myers, eines womöglich schwer gestörten, von Grund auf bösen Jungen. In der First Person-Perspektive nähert sich der Dreikäsehoch dem familiären Heim, um heimlich und mit einem Küchenmesser bewaffnet in die oberen Stockwerke vorzudringen, um Schwesterherz beim Liebesgeplänkel mit einem Lover zu erwischen. Was dann folgt, ist der blutige Einstand eines ewigen Killers, dessen Gesicht keiner kennt, der niemals ein Wort sprechen wird und als Inkarnation des unberechenbar Monströsen allein durch das Abhandenkommen jedweder sozialer Kommunikationsmethoden das Schreckgespenst des Stalkers lustvoll überzeichnet. Diese subjektive, direkte Sicht des Killers auf seine Opfer erzeugt eine Atmosphäre, die für kurze Zeit die Distanz zwischen dem Zuseher und dem Bedrohlichen nimmt. Mit den Augen des Bösen zu sehen ist wahrlich unbequem, das Mysteriöse und Unerklärliche, ganz ohne paranormalen Firlefanz, verortet sich im alltäglichen urbanen Miteinander einer Gesellschaft, in der die Wenigen, die nicht so ticken wie die Norm es verlangt, furchteinflößender erscheinen als alles Metaphysische zusammengenommen, das obendrein nur in der Fiktion existiert.

Michael Myers aber, der mit der kreidebleichen Maske von William Shatner, ist Teil einer möglichen Realität und all die Worst Case Szenarien vereinend, die sich aus Home Invasion, Stalking, Terror und kausalitätslosem Gewaltrausch zusammensetzen. Was Carpenter dabei aber tunlichst unterlässt, ist, den Finsterling im wahrsten Sinne des Wortes mit der Tür ins Haus fallen zu lassen. Mit Halloween – Die Nacht des Grauens gelingt dem Altmeister das Paradebeispiel eines Suspense-Horrors, der genau in jenen Momenten, in denen nichts oder noch nichts geschieht, eine enorme Eigendynamik erzeugt. Eine unheilvolle Spannung, die den Umstand einer undefinierbaren Bedrohung zur Zerreißprobe werden lässt, nicht nur für Jamie Lee Curtis, die in diesem Film den Grundstein ihrer Karriere legt und als toughe junge Dame zumindest neugierig genug ist, um die lauernde Gestalt, die scheinbar zufällig herumsteht und schaut, zur Rede stellen zu wollen.

Was Laurie Strode, so Lee Curtis Charakter, eben nicht weiß ist, dass dieser unheilbare Killer, jahrelang in einer Heilanstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher verbringend, ganz plötzlich die Gelegenheit am Schopf packt, um auszubrechen, gerade zur rechten Zeit am Vortag zu Halloween. Am Tag des Spuks und des Schabernacks dann fällt einer wie er im Blaumann und weißer Maske, wohl kaum wirklich auf. Der jungen Strode allerdings schon. Und es wird immer unangenehmer, unheilvoller. Immer steht sie da, diese Gestalt, wortlos und starrend. In dieser Nacht vor Allerheiligen, in der Strode als Babysitterin aushilft, wird das Bedrohliche in einen ungesunden Horror übergehen, der den Blutdurst Michael Myers wohl stillen wird. Strode wird sich zur Wehr setzen, das ist auch kein Geheimnis, denn Fortsetzungen später und ein Reboot der ganzen Horror-Reihe, das am Original anknüpft und dabei alle anderen Sequels außen vorlässt, wird Jamie Lee Curtis immer noch dem wortlosen Wahnsinnigen, dessen größter verbreiteter Schrecken es ist, alles ohne ersichtlichen Grund zu tun, Paroli bieten.

Der ganze Modus vivendi mag sich in all den Folgefilmen nur noch variantenreich wiederholen. Wie in welcher Art und Weise Myers Unschuldige über den Jordan schickt, mag sich totlaufen – das Original hingegen ist Killerkino vom Allerfeinsten.

Halloween – Die Nacht des Grauens (1978)

Speak No Evil (2024)

SPIESSER AM HAKEN

7/10


speaknoevil© 2024 Universal Pictures


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: JAMES WATKINS

DREHBUCH: JAMES WATKINS, NACH DEM FILM VON CHRISTIAN TAFDRUP

CAST: JAMES MCAVOY, MACKENZIE DAVIS, SCOOT MCNAIRY, AISLING FRANCIOSI, ALIX WEST LEFLER, DAN HOUGH U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Das dänische Original, so habe ich vielerorts nachgelesen, wäre mir womöglich im Magen gelegen. Den Erwartungshaltungen des europäischen Publikums (nicht des amerikanischen, denn dieses mag weder Untertitel noch Synchro) zuwiderlaufend, gab es unter der Regie von Christian Tafdrup erstens keine halben Sachen und zweitens stand dem dänischen Horrorthriller aus dem Jahr 2022 wirklich nicht im Sinn, seine verklemmte Spießbürgerfamilie, von vorne bis hinten geplagt von der eigenen Unzufriedenheit, einer sonst wie gearteten Gunst zuzuführen. Das bittere Ende mag heftig gewesen sein – im US-amerikanischen Remake besteht allerdings noch die Hoffnung auf die moralische Lösung eines Dilemmas zwischen familienraubenden Psychopathen und denen, die einfach nur alles richtig machen wollen. Diese Hoffnung macht den neuen Speak No Evil erträglicher. Und man verspürt auch viel mehr Lust dabei, sich bereits zu Beginn in diesen bedrohlich aufgeheizten und durch irritierende Vibes aufgeladenen Mikrokosmos einer miteinander abhängenden Bekanntschaft hineinfallen zu lassen, als wäre man selbst ein geladener Gast. Und schließlich fragt man sich selbst bei jedem noch so gearteten pikanten Moment der unterwanderten Erwartungen, welche Ideen man wohl selber gehabt hätte, heranbahnende Konflikte wie diese zu lösen und vor allem – welchen Mut, um die Scheuklappen der kulturell angelernten Diplomatie abzulegen und aus dem Korsett der anerzogenen Höflichkeiten auszubrechen. Ein klares Nein hätte mancherorts wohl genügt – jedoch nicht bei Leuten, deren Reaktion darauf niemand einschätzen kann. Diese Unberechenbarkeit der anderen ist dann auch die lange, glühende Zündschnur einer Art Spannungskino, das nicht irgendwo in alltagsfernen Gefilden herumstochert, sondern genau dort, wo wir uns alle wiederfinden und womit wir uns, wenn wir gesellschaftlich interagieren, um sozial kompetent zu bleiben, manchmal viel zu sehr anstrengen müssen. Da sehnt man sich meist auch nach jenem Moment, an welchem endlich wieder die hauseigene Couch innerhalb der eigenen vier Wände dazu einlädt, zur unbekümmerten Ehrlichkeit zurückzukehren.

Doch diesen Moment des Durchatmens erreicht die Familie Dalton leider nicht. Oder nicht ganz so schnell. Denn während eines Urlaubs in der Toskana machen die drei – Vater, Mutter, Tochter – die Bekanntschaft mit dem deutlich freigeistigeren Paddy, dessen Frau Ciara (Aisling Franciosi) und dem kleinen Ant, der aufgrund einer Zungenfehlstellung nicht sprechen kann. Deren unorthodoxes Verhalten scheint anfangs ganz erfrischend zu sein. Nach der sonnigen Auszeit nehmen die Daltons das Angebot an, auf dem englischen Hof der drei Sonderlinge ein Wochenende zu verbringen. Dort, in der Isolation und klar nicht im Heimvorteil, müssen Louise (Mackenzie Davis) und Ben (Scott McNeary) tief in der Trickkiste der höfliche Diplomatie wühlen, um vor allem den sensorisch eher plumpen, extrovertierten Paddy nicht zu verärgern. Die Feigheit vor der Konfrontation erschwert dann auch die Bedingungen, und so gelingt die Nacht- und Nebelaktion eines frühzeitigen Aufbruchs auch nicht so recht, wenn das geliebte Stofftier der Tochter fehlt.

Die Situation spitzt sich zu, Speak No Evil eskaliert. James Watkins, der mit Eden Lake, einem grimmigen Survival-Schocker, die Thematik von John Boormans Rednex-Horror Beim Sterben ist jeder der Erste nochmal potenziert hat, ordnet, anders als die Dänen, die Chancen und Kompetenzen etwas anders an. Für ein US-Amerika, in welchem das Gute schwerlich nicht gewinnen kann, mausert sich ein garstiger und auf Zug inszenierter Thriller zum expliziten Spiel der Kräfte. Das Dämonische bricht aus James McAvoy heraus, manchmal wirkt er so, als sei er Jack Nicholson in Shining. Sein Spiel ist brillant, seine mimischen Nuancen, die er bereits im Vorfeld setzt, lassen Ungutes erahnen. Was Watkins dabei sehr gut gelingt: Er zögert den Moment, an welchem sich alles entlädt, behutsam hinaus und dreht die Spannungsschraube so unmerklich an, als wäre man ein Frosch im heißen Wasser, das langsam zum Köcheln gebracht wird. Gerne lässt man sich an diesen Tisch mitten im Garten bitten, um zu beobachten, wie sehr die Dinge aus dem Ruder laufen können. Die Psychologie spielt dabei eine große Rolle, das Verhalten der Daltons ist keines, über das man sich wundert. Anders als bei vielen anderen Genrefilmen ist das menschliche Verhalten durch die Bank ein nachvollziehbares, die brenzligen Situationen greifbar umschifft, bis gar nichts mehr geht. Dank dieses wachen Bewusstseins, was Aktion und Reaktion betrifft, entwickelt sich Speak No Evil zu einer überzeugenden Antithese zu Bekanntenkreis und sozialer Verpflichtung. Lieber Kernfamilie als mit Leuten abhängen, denen man nicht die Meinung sagen will. Aus welchem Gründen auch immer.

Speak No Evil (2024)

Strange Darling (2023)

DER FEIND IM FREMDEN BETT

7,5/10


Strange Darling© 2024 Miramax


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE / DREHBUCH: JT MOLLNER

CAST: WILLA FITZGERALD, KYLE GALLNER, BARBARA HERSHEY, ED BEGLEY JR., ANDREW SEGAL, MADISEN BEATY, BIANCA SANTOS, EUGENIA KUZMINA, STEVEN MICHAEL QUEZADA, SHERI FOSTER, GIOVANNI RIBISI U. A.

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


Nie, wirklich niemals, ist das Objekt genau dort, wo man es vermutet. Weder unter dem einen noch unter dem anderen Hütchen. Das liegt wohl daran, dass einige von denen, die mit namentlichem Spiel draufgängerische Passanten um ihr Kleingeld erleichtern, Trickbetrüger sind. Da lassen sich die Rochaden noch so genau beobachten – letztlich blickt man ins Leere.

Es gibt Filme, die ähnlich konstruiert sind. Die nicht wollen, dass ihr Publikum viel zu früh ahnt, welche Taktik hier ihre Anwendung findet. Die es darauf ankommen lassen, dass unkonventionelle Erzählweisen nicht immer willkommen sind. Doch diejenigen, die gerne erfrischend Neues erleben und sich mit einem Lächeln an der Nase herumführen lassen wollen, haben mit Strange Darling eine gute Partie – vorausgesetzt, der Versuch, aus der Gewohnheit auszuscheren, wirkt letztlich nicht allzu gewollt. So ein Zerstückeln des Erzählflusses braucht schließlich Geschmeidigkeit, muss sich anbieten und nicht so wirken, als hätte man erst viel zu spät entschieden, ein konventionelles B-Movie mit besonderem Twist zwangszubeglücken. Das merkt auch das Publikum. Bei Strange Darling merkt es das nicht. Denn der Thriller fuhrwerkt mit seinen sechs Kapiteln ebenso herum wie eingangs erwähnter Hütchenspieler. Dabei starten wir gleich mal mit Kapitel Nummer Drei. Und nein, vorne fehlt nichts, hinten fehlt nichts – dieses Puzzleteil wirft uns sogleich mit Anlauf hinein ins Geschehen. Wir sehen eine Blondine, die, blutverschmiert und gehetzt, mit einem roten Sportwagen über die Landstraße brettert. Hintendrein das Böse: ein grimmiger, toxisch-männlicher Killer, Sexualstraftäter, Psychopath – keiner weiß, was dieser Mann sonst noch alles in sich vereint. Er wirkt wie ein Rednex, wie ein diabolischer Hinterwäldler aus Beim Sterben ist jeder der Erste. Er hat es beinhart auf die junge Frau abgesehen, er will sie nicht entkommen lassen, sie ist schließlich seine Beute.

So viel kann sich das Publikum schon denken: Wenn Kapitel Drei den Thriller startet, ist nicht alles so, wie es scheint. Regisseur JT Mollner gibt nur so viel preis, damit es reicht, um bewährte Rollenbilder zu etablieren. Der stereotype böse Mann, die hilflose Blondine, es könnte ein gediegener, generischer Reißer sein, hätte Mollner nicht noch anderes im Sinn. Und da stecke ich aber als Filmblogger und Reviewer in einem Dilemma, denn Strange Darling ist ein Machwerk jener Sorte, über das man so wenig wie möglich schreiben und erzählen sollte. Don’t worry, ich werde das auch nicht tun, denn so lässt sich dieser Beitrag hier sowohl vor als auch nach dem Film bedenkenlos lesen. Was ich erwähnen kann: Der Kick an der Sache liegt im ausgeklügelten Hinauszögern an Informationen, im Zurückhalten wichtiger Wendungen und auch der Geduld, dieses Zögern durchzuhalten. Vielleicht lässt sich Strange Darling ein bisschen mit dem Roadmovie-Albtraum Hitcher – Der Highwaykiller vergleichen. Vielleicht auch nicht. Zumindest aber kam er mir in den Sinn. Und natürlich kommt einem auch Tarantino in den Sinn, denn dieser Mann zählt zu den großen Avantgardisten – was dieser an Stilideen nicht schon alles auf den Weg gebracht hat, damit andere diese variieren können, nimmt zumindest die Hälfte neuzeitlicher Filmchroniken ein. Bei Pulp Fiction pfiff dieser auf chronologische Akuratesse und etablierte das nonlineare Erzählen bei einer weitgehend durchgehenden Handlung, wenngleich das Episodenhafte noch viel stärker in den Vordergrund tritt als bei Strange Darling, bei welchem die Kontinuität einen Filmdreh wie aus einem Guss voraussetzt. Mollner setzt dabei fünf scharfe Schnitte, wirbelt diese aber nicht willkürlich durcheinander, sondern wohlüberlegt. Im Kopf ordnen sich die Fragmente sowieso in die richtige Reihenfolge, das macht das Hirn ganz von allein. Diese Fähigkeit nutzt Mollner auf irrwitzige Weise. Durch diese Methode konterkariert er die Wahrnehmung von Opfer sowie Täter, von Macht und Ohnmacht, Schwäche und Stärke. Angereichert mit perfiden, aber passgenauen Gewaltspitzen und einer Hauptdarstellerin in Höchstform, entwickelt sich Strange Darling zu einem pfiffigen Meta-Thriller, der sich Zeit lässt und dem die Laune am Spiel mit den Konventionen in jeder Szene anzumerken ist.

Man könnte das nonlineare Experiment sogar noch weiterführen. Nach Harald Zettler vom Online-Filmmagazin uncut.at könnten sich die Kapitel eines Films, wenn man es denn hinbekommt, jedes Mal neu ordnen. Was da herauskäme, wäre erfahrenswert. Jedenfalls ein sich ständig veränderndes Erzählen. Strange Darling macht schon mal den Anfang.

Strange Darling (2023)

MaXXXine (2024)

VOM STAR, DER ÜBER LEICHEN GEHT

6,5/10


maxxxine© 2024 Universal Pictures


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE / DREHBUCH: TI WEST

CAST: MIA GOTH, ELIZABETH DEBICKI, KEVIN BACON, MOSES SUMNEY, MICHELLE MONAGHAN, BOBBY CANNAVALE, GIANCARLO ESPOSITO, HALSEY, LILY COLLINS, SOPHIE THATCHER, CHLOE FARNWORTH, SIMON PRAST U. A.

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Jetzt, nachdem die letzten Takte von Kim Carnes Klassiker Bette Davis Eyes verklungen sind und die Kameradrohne die an den Hills angebrachten hollywoodgleichen Lettern, welche den Namen Maxxxine bilden, umrundet hat, lässt sich rückblickend feststellen, dass Ti Wests ironisch-blutige Starruhm-Trilogie sehr wohl eine Klasse für sich darstellt. Das Gesamtkonzept rund um die nach Starruhm gierende Maxine Minx, vormals Miller, hätte jedoch raffinierter ausfallen können. Es hat den Anschein, als hätte West den Bogen, den er spannt, nicht auf einmal erdacht. Als wäre er erst nach dem Erfolg von X dazu bewogen worden, das Schicksal seiner Muse namens Mia Goth weiterzuspinnen. Dazu zählt auch der Blick zurück in die frühen Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, um die Biografie der mordenden Alten aus X überhaupt erst zu erzählen. Der Mittelteil dieses Gesamtkunstwerks ist dann auch narrativer wie filmischer Höhepunkt. Zwischen Judy Garland-Technicolor-Satire und psychopathisch-sympathischem Killerinnenportrait gelingt West ein liebevoll ausgestattetes, wildes Gemetzel mit einer manisch grinsenden Hauptdarstellerin, deren Lieblingswerkzeug, die Mistgabel, gerne zweckentfremdet wird, um Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Oder einfach nur, um zu töten, weil es Spaß macht. Diese kranke Figur der Pearl ist erfrischend anders, was nicht heißen soll, dass Maxine, die sowohl in X als auch eben im Finale Grande ihrer Frau steht, nicht auch genug wehrhaftes Verhalten besitzt, um lästige Sexualstraftäter oder verquere Familienmitglieder zur Rechenschaft zu ziehen. Das tut sie auf höchst schmerzhafte Weise. Und es wäre nicht Ti West, wenn das Ex-Porno-Starlet, welches sich zu Höherem, Größerem und Glamouröserem berufen sieht, den toxischen Mann im wahrsten Sinne des Wortes an den Eiern hat.

Mit diesem patriarchalen, gewalttätigen Wahnsinn und dem Wahnsinn an sich, der ja nicht erst seit David Lynchs Mulholland Drive und Quentin Tarantinos Once Upon a Time … in Hollywood längst zu den Charakteristika dieser realen Traumwelt gehört, setzt sich MaXXXine mit schillerndem Detailreichtum auseinander und gönnt sich im Vergleich zu den anderen beiden Teilen die größte Leichtigkeit. Das funktioniert auch formschön durch das Einbeziehen sämtlicher Filmzitate wie Hitchcocks Psycho oder Polanskis Chinatown, womit wir – Apropos Polanski – wieder auf Tarantinos Aufarbeitung der Manson-Morde zuzrückkommen. Nicht nur von ungefähr gibt es zwischen Wests MaXXXine und Tarantinos Zeitportrait etliche Gemeinsamkeiten. Wests Versuch, das Once Upon a Time … der Achtziger aus dem Ärmel zu schütteln, gelingt phasenweise ganz gut, hinkt aber letztlich aufgrund der Tatsache hinterher, mit dem „Night Stalker“ und einer Prise Satanismus keinen ernstzunehmenden und auch nicht relevanten Unterbau einer latenten Bedrohung zu schaffen. West kann die Killer-Komponente nur schwer greifen, am besten gelingt sein Film dann, wenn Maxine trotz ihres Traumas aus Teil eins beharrlich versucht, die Gunst von Regie-Göttin Elizabeth Debicki zu gewinnen. Da braucht es gar nicht mal einen Killer von außen, denn der scheint das Szenario tatsächlich zu verwässern.

Richtig gut wird MaXXXine auch dann, wenn der kongeniale Kevin Bacon als alptraumhafte Mixtur aus Jack Nicholsons Privatdetektiv Jake Gittes und Helge Schneider die Szene betritt. Wenn Goth und Bacon aufeinandertreffen, schenken sie sich nichts, dann wird das Ganze geradezu von sarkastisch-komödiantischen Momenten durchzogen. Was aber ungenutzt auf dem heißen Asphalt des Mulholland Drive verdünstet, sind die Möglichkeiten, gewisser Horror-Banalitäten zu entgehen, indem West wohl lieber den Fokus auf Mia Goth behalten hätte, statt stilistische Versatzstücke aufzuwärmen. So prickelt der Film dann weniger nach als erhofft, doch was bleibt, ist Goths Paraderolle, die sowieso und in allen drei Episoden mit Inbrunst die Ellbogen-Leidenschaft eines ehrgeizigen Ruhmesmonsters lebt. Bette Davis hatte recht mit ihrem im Film eingangs erwähnten Zitat: In this business, until you’re known as a monster you’re not a star. Keine Trilogie bringt es letztlich geschmackvoller (und blutiger) auf den Punkt. Killer und Satanisten sind dabei nur reine Dekoration.

MaXXXine (2024)

Mothers‘ Instinct (2024)

DAS KIND DER ANDEREN

6/10


mothers-instinct© 2024 Ascot Elite


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: BENOÎT DELHOMME

DREHBUCH: SARAH CONRADT, NACH DEM ROMAN VON BARBARA ABEL

CAST: JESSICA CHASTAIN, ANNE HATHAWAY, ANDERS DANIELSEN LIE, JOSH CHARLES, EAMON O’CONNELL, CAROLINE LAGERFELT, BAYLEN D. BIELITZ U. A.

LÄNGE: 1 STD 34 MIN


Werden wir kurz mal biblisch. Denn gäbe es nach den zehn Geboten, die Moses von Gott höchstselbst ausgehändigt bekommen hat, noch ein elftes Gebot, würde dies vermutlich lauten: Du sollst nicht begehren der anderen Kind. Manche würden meinen: Mit diesem Gesetzt würde man offene Türen einrennen, denn als Mutter oder Vater ist man mit dem eigenen Nachwuchs wohl schon genug gesegnet, und gäbe es mal keinen, so ist das der Wille der Erwachsenen oder aber, sofern der Nachwuchs nicht auf natürlichem Wege auf die Welt kommen kann, kann Adoption immer noch ein Ausweg sein. Gott würde wohl mit seinem elften Gebot jene traurigen Gestalten ansprechen, die, längst glücklich mit Tochter oder Sohn, plötzlich kinderlos dastehen. Wenn das Schicksal erbarmungslos zuschlägt, dann ist das das Schlimmste, was einem widerfahren kann: Der Tod des eigenen Kindes. Kultstar Romy Schneider hat das erleben müssen. Sie wird sich davon niemals mehr erholt haben.

Im hochdramatischen Psychothriller Mothers‘ Instinct schickt Kameramann Benoît Delhomme in seinem Regiedebüt zwei schillernde Stars in den Nachbarschaftskrieg und lässt sie zu desperaten Hausfrauen mutieren, die sich beide nichts schenken – schon gar nicht das eigene Kind. Bereits die längste Zeit sind Jessica Chastain als Alice und Anne Hathaway als Celine dicke Freundinnen, die, jeweils gesegnet mit einem Sohn, bereits sowas wie Familie sind. Auf allen möglichen Festivitäten kann die eine nicht ohne die andere. Was wie ein idyllisches, harmonisches Miteinander aus der Epoche der biederen 60er Jahre aussieht, wird wohl bald einer Naturkatstrophe ausgesetzt sein, die das Fundament nicht nur einer Existenz, sondern auch einer innigen Freundschaft zerbrechen lässt. Celines Sohn schließlich, draufgängerisch und unachtsam, fällt von der Balustrade der hauseigenen Loggia mehrere Meter tief. Ein Unglück, das der Kleine nicht überleben und eine ganze Familie in den Abgrund reissen wird. Auf der anderen Seite bleibt Alice – schockiert, tröstender Worte nur schwer mächtig, aber immer noch einen lebendigen Spross an ihrer Seite. Eine Konstellation, die ungute, intuitive Gefühle hochkommen lässt – vorallem jene von Celine, die mitten in ihrer zermürbenden Trauer neidvoll zusehen muss, wie andernorts das Leben weitergeht. Was aus diesem Neid erwächst, der sich kontinuierlich in eigennützigen Aktivitäten Bahn bricht, die den Sohn der anderen stärker an die Trauernde binden soll, nimmt hochdramatische Züge an.

Rein theoretisch hätte man es in Mothers‘ Instinct beim Drama belassen können. Andererseits ist Belhommes verhaltenspsychologischer Thriller das Remake eines bereits 2018 erschienenen belgischen Films selben Titels. Die Thriller-Komponente war wohl auch im Original vorhanden, und vielleicht hat sich diese unter Olivier Masset-Depasses Regie besser integriert. Beurteilen kann ich das nicht, das Remake habe ich dem Original dann doch vorgezogen. Und ja – eine Zeit lang entwickelt Delhommes Interpretation einen ungeheuerlichen, geradezu reißerischen Sog, wenn es darum geht, das tragische Schicksal einer Mutter darzustellen. Anne Hathaway mag in ihrem Schauspiel zwar immer wieder dick auftragen – solange sie die Qual einer Trauer hinter gesellschaftsfähiger Fassade verbirgt, kann sie überzeugen. Chastain steht Hathaway um nichts nach, ihre Paranoia wirkt greifbar – beide liefern sich ein Kopf an Kopf-Rennen, es ist wie das Ringen zweier Profis, zuletzt ähnlich gesehen in May December – zwischen Julianne Moore und Natalie Portman.

Und dann das Abrutschen ins generische, weil routinierte Thrillerkino: Wie so oft in diesem Genre sind psychologische Aspekte sowie die Entwicklung eines pathologischen Verhaltens nichts, womit sich Drehbuchautoren auch wirklich ausführlich beschäftigen wollen. Meist verändern im Laufe der Handlung tragende Charaktere ihre Persönlichkeit um hundertachtzig Grad, was wenig plausibel erscheint. Mothers‘ Instinct spitzt sich zu und ist effektiv, mag aber zu sehr auf Worst Case Szenario gebürstet sein, um die feinen Nuancen der ersten Filmhälfte beizubehalten. Was als Familien- und Freundschaftsdrama beginnt, endet als zynische Schicksalsgroteske. Wer beide Ansätze gut miteinander vereinbaren kann, mag an Mother‘ Instinct Gefallen finden. Ich für meinen Teil finde das Abgleiten ins Triviale nicht nur vorhersehbar. Als sich die Befürchtung, es könnte vielleicht so kommen, bewahrheitet, verliert der Streifen doch etwas an Niveau.

Mothers‘ Instinct (2024)

Blink Twice (2024)

MÜSSIGGANG AUF ZIRZES INSEL

6/10


blinktwice© 2024 Amazon Content Services LLC. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: ZOË KRAVITZ

DREHBUCH: ZOË KRAVITZ, E. T. FEIGENBAUM

CAST: NAOMI ACKIE, CHANNING TATUM, CHRISTIAN SLATER, SIMON REX, ADRIA ARJONA, KYLE MCLACHLAN, HALEY JOEL OSMENT, ALIA SHAWKAT, GEENA DAVIS, LEVON HAWKE U. A.

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Bist du in Gefahr – zweimal blinzeln! Wenn Kyle MacLachlan als windiger Psychotherapeut seinem Gegenüber Naomi Ackie diesen ironisch konnotierten Tipp sponsert, weiß er vermutlich schon, wovon er spricht – oder doch nicht? So sehr sich auch alles nach einem real gewordenen Märchen für Erwachsene und solche, die sich erst selbst finden müssen, anfühlt, so sehr kann man damit auch rechnen, das auf makellos gute Zeiten womöglich das große Unglück folgt. Ein ungeschriebenes Gesetz des Schicksals? Oder nur ein Glaubenssatz ohne Hand und Fuß? Zu schön um wahr zu sein scheint es anfangs, als die etwas aus dem Rhythmus des Lebens gefallene Kellnerin Frida auf der Party des Milliardärs und Lebemanns Slater King (ein diabolischer Channing Tatum) dessen Aufmerksamkeit erlangt. Sofort angetan von Fridas Reizen, widmet er den gesamten Abend allein ihr, um sie dann spontan zu sich auf seine paradiesische Privatinsel einzuladen, samt Mitbewohnerin Jess, und ehe sich beide versehen, sitzen sie im luxuriösen Privatflieger Richtung Tropen, um das Leben von ihrer leichten, traumhaften, hedonistischen Seite zu betrachten, wo Müßiggang niemals aller Laster Anfang sein kann und sich Drogen, Alkohol und feine Küche das Zepter der Dekadenz reichen, nur unterbrochen durch Planschen im Pool, Flanieren und einfach Spaß haben. Nun, so ein Leben wird auf die Dauer dann doch langweilig, nicht aber für Frida und all die anderen jungen Frauen, die, gemeinsam mit einer Handvoll ebenfalls dauerurlaubender Männer, die als Kings Entourage fungieren, jeden Tag von neuem genießen, als gäb‘s kein Morgen. Oder einfach keine Zeit mehr. Als hätte man vergessen, dass da draußen, jenseits des Meeres, noch eine Welt existiert, die man Alltag nennt.

Das alles klingt nach einer Insel der Seligen, nach dem Elysium eines irdischen Paradieses. Odysseus kann davon ein Liedchen singen, oder zumindest hat Homer seinen Aufenthalt bei Nymphe Zirze ausführlich beschrieben. Auch er verfiel dem Reiz des Elysiums und vorallem der schönen mythischen Gestalt, die den Helden von Troja alles vergessen ließ, was sonst noch so auf seiner Agenda gestanden hätte. Regiedebütantin Zoë Kravitz, die wir bislang nur als Schauspielerin kennen, stellt die Sage auf den Kopf und entwirft ein Szenario, in welchem nichts so ist, wie es zu sein scheint. Und das düstere Grauen, das kauert still und leise hinter makellosen Südsee-Fassaden und weißen Laken, die alles zudecken und nur minimale Spuren hinterlassen, die Naomi Ackie langsam, aber doch, irritieren.

Blink Twice will ein sarkastischer Psychothriller sein, der die Macht und Ohnmacht beider Geschlechter hart konturiert. Die Verteilung ist klar, und widmet sich dem stereotypen Rollenbild, bevor Kravitz gerne die Richtungen und auch die Fronten wechselt. Und auch wenn sie im Eifer ihrer Ambitionen einen schauspielerisch ziemlich ausgeschlafenen Cast auf erfrischende Weise die Orientierung verlieren lässt, kommt einem das Konzept des Films seltsam vertraut vor. Nicht dass Blink Twice lediglich den etwas ähnlich gelagerten, aber dystopischeren Suspense-Thriller Don’t Worry Darling variiert. Und nicht, dass Blink Twice vielleicht auch aus gesellschaftskritischer Sicht einiges mit Jordan Peeles Get Out oder mit dem schillernd besetzten Mädels-Drill Paradise Hills gemeinsam hat. Letztlich haben alle einen Nenner, der davon handelt, dunkle Machenschaften aufzudecken und einer Illusion zu entkommen. Von daher überrascht Blink Twice mitnichten, unterhält aber dennoch, weil klar ist, worauf die Sache hinauslaufen wird.

Kravitz widmet sich dabei nicht nur auf hemdsärmelige Weise der potenziellen Wehrhaftigkeit von Frauen, sondern macht auch chauvinistisch-männlichen Schreckensgestalten den Garaus. Der Geschlechterkrieg ist entbrannt, Vergebung gibt es keine. Entsprechend derb und mit unverhohlener Lust an aggressiv aufgeladener, gewalttätiger Genugtuung, wirft Kravitz die feine Klinge eines anfänglichen Krimirätsels ins tropische Buschwerk, um zu den schartigen Waffen zu greifen. Sie outet sich dabei auch unverblümt, worauf es ihr im Eigentlichen ankommt: Rache, die ausgelebt werden darf, stellvertretend für alle, die diese niemals ausüben können. Dabei ist dieser gallige Rundumschlag zwar befreiend, aber simpel. Zu simpel für all die Arbeit, die sich Kravitz zuvor gemacht hat.

Blink Twice (2024)

Longlegs (2024)

DEN TEUFEL AUF DISTANZ HALTEN

7,5/10


longlegs© 2024 DCM


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE / DREHBUCH: OZ PERKINS

CAST: MAIKA MONROE, NICOLAS CAGE, BLAIR UNDERWOOD, ALICIA WITT, KIERNAN SHIPKA, ERIN BOYES, LISA CHANDLER, SCOTT NICHOLSON, DAKOTA DAULBY U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Wo ist Nicholas Cage? Man erkennt ihn gar nicht hinter dieser seltsamen Maske, die so aussieht, als hätte Mrs. Doubtfire den Nachtdienst in der nächstgelegenen Geisterbahn begonnen. Als hätte Mickey Rourke sein Geschlecht gewechselt. Seltsam feminin, tänzelnd wie der Joker und vom Teufel besessen geistert die Gestalt des Longlegs durch ein düsteres, von allen guten Geistern verlassenes Amerika, wie ein Harlekin des Grauens. Nicht von dieser Welt und dennoch nur ein Mensch. Oder doch nicht?

Wer sich einen Psychothriller biblischen Ausmaßes erwartet, wie ihn David Fincher zu meinem bekennenden Schrecken in den Neunzigern losgelassen hat, darf nur zum Teil darauf hoffen, von einer packenden Tragödie sturzflutartig mitgerissen zu werden. Longlegs geht die Sache nämlich ganz anders an. Ruhiger, stiller, bis zum Äußersten entschleunigt. Und dennoch entwickelt die finstere, metaphysische Mär um das paranormale Treiben eines hässlichen Sonderlings eine intensive Dynamik – viel untergründiger als bei Sieben, viel mehr introvertierter und überhaupt nicht energisch, sondern in den Momenten potenziellen Spuks, der da aufkommen könnte, innehaltend, um dann wieder die Erwartungen des Zusehers zu konterkarieren. Mit dem mysteriösen Song Jewel der Band T. Rex und einem daraus entnommenen Zitat, schwarze Lettern auf Rot, beginnt eine Sinn- und Tätersuche, die sich tief ins Unterbewusstsein von Protagonistin Maika Monroe gräbt, die als FBI-Ermittlerin Lee Harker durch den fundamentalen Wahnsinn eines Satanisten auf ihre eigene verzerrte Biografie zurückgeworfen wird. Diese Reise in die Dunkelheit führt durch ein fahl beleuchtetes Labyrinth aus Fluren, Kellern und weiten Räumen, deren hintergründige Unschärfe dem Auge Streiche spielen, während die Kamera stets Distanz hält zu seinen Figuren, lediglich Monroe rückt näher ins Bild, stets ernst, argwöhnisch und sonderbaren Klängen lauschend, die Psychopathisches auf den Plan rufen könnten.

Akribisch lernt Agentin Harker das krude Alphabet des Spinners, immer rätselhafter wird dieser Fall, der sich nicht auf die zehn Todsünden herunterbrechen lässt, sondern viel komplexer scheint. Schließlich ist es so, als würde Longlegs niemals selbst töten, als wären es die Opfer selbst, die sich und ihre Liebsten richten, angetrieben durch irgendeine obskure Macht, die der Killer entfesseln kann. Ist es Hypnose? Sind es Drogen?

Der Eindruck, dass die Wahrnehmung etwas verzerrt wirkt, liegt auch an den subtilen, ausgefeilten technischen Spielereien, die sich Regisseur Oz Perkins, der älteste Sohn von Schauspiellegende Anthony Perkins (Psycho), da einfallen hat lassen. Auch wenn das ferne Gewitter am dämmrigen Abendhimmel Wetterleuchten verursacht – stets bleibt das Gefühl einer Ruhe vor dem Sturm konsistent. Perkins Welt gerät unter einen Glassturz, in eine windstille Szenerie aus abgestandener Luft und Unbehagen. Die ungesund gelben Lichtkegel billiger Taschenlampen durchdringen die Finsternis, der magere Schein alter Glühbirnen und halogenem, septischem Schwachlicht erhellen das Halbdunkel nur kaum, das besser als alles andere die Metaphysik dieses okkulten Dramas versinnbildlicht. Longlegs Bildsprache folgt einer aufgeräumten Ordnung, einer Hintergrund-Symmetrie, ein erlesenes Setting, die Figuren befinden sich zentral. Vieles lässt sich in diesem Kunstwerk analysieren – am schwierigsten zu handhaben ist da wohl das Herunterschrauben einer Erwartungshaltung, die sich aus den Erfahrungen im Genre speist. Longlegs entwickelt dabei einen eigenwilligen Takt, die Ruhe vor dem Sturm zeigt sich als der Sturm selbst.

Der mit bedächtig gesetzten Gewaltspitzen ausgestattete Horror findet einen neuen Zugang ins Okkulte und vermengte das Reale mit einer fantastischen Komponente, die sich nur so nebenbei ins Geschehen schleicht. Budenzauber und hohlen Schrecken sucht man in Longlegs vergebens. Diese Ermittlungsarbeit ist ein mephistophelisches, künstlerisch versonnenes wie versponnenes Erlebnis, die den Faust’schen „Pudels Kern“ neu interpretiert. Dass Oz Perkins dabei, wieder auf einer eigenen Ebene, garstige Kritik am Katholizismus und der blinden, bigotten Bibel-Frömmelei äußert, wird in dieser Review nur rein zufällig zuletzt erwähnt. Als Wurzel allen Übels liefert dieser schadhafte Eifer überhaupt erst das Fundament für ein verhängnisvolles Spiel.

Longlegs (2024)

Good Boy (2022)

MEIN HERRCHEN FÜR MICH ALLEIN

5/10


goodboy© 2024 24 Bilder Film GmbH


LAND / JAHR: NORWEGEN 2022

REGIE / DREHBUCH: VILJAR BØE

CAST: GARD LØKKE, KATRINE LOVISE ØPSTAD FREDRIKSEN, NICOLAI NARVESEN LIED, AMALIE WILLOCH NJAASTAD, VILJAR BØE, MARIA WAADE GRØNNING U. A.

LÄNGE: 1 STD 16 MIN


It’s a Match! Wenn Hetero-Frau beim Tindern (sagt man das so?) auf das adrette Konterfei eines schmucken Kerls stößt und dieser sich aufgeräumt gibt wie der beste Bachelor-Kandidat in der ganzen ATV+-Fernsehgeschichte, dann kann doch irgendwas nicht stimmen? Oder eben es stimmt alles. Das denkt sich schließlich Psychologiestudentin Sigrid, als sie erstmals in einem Café auf Christian trifft, der sich von seiner charmanten Seite zeigt, äußerst bescheiden gibt und sein Gegenüber keinesfalls zu irgendetwas drängt. Dass es heutzutage noch solche Männer gibt, die frei vom psychologischen Ego-Knacks alles auf die Reihe bekommen haben, ist ja fast schon ein kleiner Jackpot. Bis Sigrid zu Christian ins schmucke Anwesen eingeladen wird. Da staunt sie schon mal nicht schlecht ob des Reichtums, den der junge Herr wohl von seinen berühmten, doch leider verstorbenen Eltern geerbt hat.

Und dann staunt sie nicht schlecht, als sich der hauseigene Vierbeiner zu den frischen Verliebten ins Bett legt. Denn der ist kein Tier, sondern ein Mensch – in einem Hundekostüm. So weit, so seltsam. Andererseits: In Zeiten wie diesen und einer Gesellschaft, die open-minded miteinander umgeht, sind sexuelle Vorlieben im Dunstkreis der Sado-Maso-Szene durchaus zu tolerieren. Die Lust an der Erniedrigung durch andere mag man zwar nicht nachvollziehen können, aber Sachen gibt’s, das glaubt man gar nicht. Alles mag erlaubt sein, doch nur so weit, bis die Freiheit des einen die andere nicht einschränkt. Sigrid muss sich dennoch erst daran gewöhnen, ihren neuen Freund mit einem anspruchsvollen, zweibeinigen Fake-Köter zu teilen. Und was danach aussieht, als könnte die Zukunft eine dreisam glückliche sein, bekommt die schräge Idylle Risse. Denn der Hund ist nicht das, was er vorgibt, zu sein. Man fragt sich: Nur der Hund?

Letztjährig lief Viljar Bøes schräger Psychothriller auf dem Slash Filmfestival – und passt genau dorthin. Die unkonventionelle Grundidee lässt Bøe zumindest anfangs ganz genau wissen, wie sich eine Dreiecksbeziehung im Dunstkreis von BDSM-Vorlieben anfühlt. Das muss noch lange nicht zu einem Thriller ausarten, doch befremdend und vielleicht auch verstörend ist so ein Umstand für Außenstehende, die mit Devotismus und Dominanz wenig am Hut haben. Hätte man es nicht bei einer Romanze belassen können? Bøe will offensichtlich etwas anderes, er will die seltsame Geschichte aufblähen zu einem handfesten Thriller um Ausgeliefertsein und Fluchtpanik. Doch je mehr sich die Sache zuspitzt, umso konventioneller, umso banaler, umso weniger plausibel wird die ganze merkwürdige Situation. Bis Good Boy letztlich an seinem Showdown scheitert. Ein dramaturgischer Fehler wie dieser, der, einzig von dem Willen angetrieben, die Conclusio bis an die Spitze zu treiben, lässt sich mit der übrigen Handlungsabfolge so gut wie gar nicht vereinbaren. Was folgt, sind geradezu unverzeihliche Drehbuchschwächen, die letztlich verärgern und ein Beispiel dafür sind, wie man guten Ideen in einen Zwinger sperrt, nur um ohne einen driftigen Grund Gefangene zu machen. Während ich diese Zeilen schreibe, fallen mir für Good Boy alternative Enden ein, die mit allen plausiblen Konsequenzen der bisherigen Handlung wohl weitaus besser zu vereinbaren gewesen wären.

Good Boy (2022)

Trap: No Way Out (2024)

EIN ESCAPE ROOM FÜR DEN KILLER

6,5/10


TRAP© 2024 Warner Bros. Entertainment


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE / DREHBUCH / PRODUKTION: M. NIGHT SHYAMALAN

CAST: JOSH HARTNETT, ARIEL DONOGHUE, SALEKA SHYAMALAN, ALISON PILL, HAYLEY MILLS, JONATHAN LANGDON, MARNIE MCPHAIL, KID CUDI, M. NIGHT SHYAMALAN U. A.

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Eine unerwartete Aktualität hat sich M. Night Shyamalans neuester Streich da eingetreten: Aufgrund geheimdienstlicher Warnungen konnte ein verheerender Terroranschlag im Rahmen bevorstehender Taylor Swift-Konzerte in Wien vereitelt werden. Dass dabei das Management der allseits beliebten Dame überhaupt gleich alle Events hat absagen müssen, bleibt als bitterer Nachgeschmack des Sommers hierzulande zurück. In Trap: No Way Out ist es zwar nicht Taylor Swift, sondern der fiktive weibliche Popstar Lady Raven, eine Mischung aus Lady Gaga und Gothic für Teenies, die ein Konzert zum Besten gibt, welchem die zwölfjährige Riley, Hardcore-Fan, unbedingt beiwohnen muss. Allerdings geht sowas nur im Beisein eines Erziehungsberechtigten, also ist Papa Cooper (Josh Hartnett) mit von der Partie. Was er nicht weiß: Das Konzert ist nichts anderes als eine Falle für den Serienkiller The Butcher, der sich zu dieser Zeit an diesem Ort aufhalten soll. Das Polizeiaufgebot ist enorm – nicht nur die urbane Exekutive, auch schwerbewaffnete Eliteeinheiten schützen und blockieren jeden Ein- und Ausgang. Was er weiß – und wir auch bald wissen: Der böse Bube ist Papa Cooper himself – eine Tatsache, die M. Night Shyamalan diesmal nicht als unerwarteten Twist verbrät, sondern als gegebene Prämisse. Statt das Konzert also abzusagen, wird es dafür genutzt, um jenen Psychopathen, der bereits zwölf Menschen auf dem Gewissen hat, endlich dingfest zu machen. Cooper muss nun überlegen, wie es gelingen könnte, diesen unerwarteten Escape Room zu knacken.

Die Grundidee für Trap ist originell genug, um mal etwas anderes erwarten zu können als nur eine Killerhatz mit desillusionierten und verhaltensgestörten Ermittlern, die mit dem Bösen so manche Gemeinsamkeit entdecken – siehe z.B. Catch the Killer. Diesmal sehen wir alles aus dem Blickwinkel eines Antagonisten, dem Josh Hartnett eine väterlich-freundliche Aura verleiht, hinter dieser aber ein sardonisches Grinsen verbirgt, das an die freundliche Mimik aus dem Horrorschocker Smile erinnert. Das Grinsen ist somit psychopathischer Natur, denn die Figur des Cooper schleppt, was sich in Andeutungen spiegelt, einige Traumata mit sich herum. Sympathie weckt das aber nur bedingt – was aber der Faszination für Hartnett keinen Abbruch tut. Ihn gegen sein Image zu besetzen mag wohl der klügste Schachzug des Mystery-Spezialisten sein. Und dann ist da noch dieser Eventcharakter eines ausführlich und zugegeben in langen Einstellungen gefilmten Konzerts von Shyamalans Tochter Saleka, die darin auch selbst singt und welches viele Minuten des Films okkupiert – einfach, um die Stimmung eines glückseligen Ausnahmezustandes zu lukrieren, welches Konzerte dieser Art nunmal entfachen. Auch das gelingt Trap vorzüglich. Des Weiteren stellt sich aber die Frage: Als wie gut kann ein Film letztlich eingestuft werden, wenn er sich doch zu gnadenlos tiefen Plot Holes hinreissen lässt, die so überdeutlich und realistisch betrachtet niemals so passieren könnten – die aber als Failure-Momente dennoch eine fesselnde Dynamik garantieren, mit der man letztlich mitziehen muss und dessen Rhythmus man sich unterwirft, obwohl sonnenklar ist, dass Shyamalan hier so einiges an Plausibilität verspielt.

Kann – oder darf man gar ungeniert solche Mängel übergehen, zugunsten einer Sogwirkung, der man sich genauso gerne hingibt wie dem Strömungsbecken in einer Thermenlandschaft? Darf man. Man muss es nicht kritisieren. Übersehen kann man diese Dinge aber trotzdem nicht, dafür aber – wie so vieles im Leben – kinderleicht verdrängen. Mit dieser Ambivalenz des Plots schafft Shyamalan das größte Mysterium in einem Film, der diesmal fast ganz ohne Mystery auskommt. Filme müssen also – in ihrer Schlüssigkeit – längst nicht perfekt sein. Da gibt es andere Werte, die trotz allem volle Unterhaltung garantieren. Den Spaß will man sich schließlich nicht verderben lassen, sofern man einen hat.

Trap: No Way Out (2024)

10 Cloverfield Lane (2016)

MIT QUERDENKERN IM BUNKER

8/10


10-cloverfield-lane© 2016 Paramount Pictures


LAND / JAHR: USA 2016

REGIE: DAN TRACHTENBERG

DREHBUCH: JOSH CAMPBELL, MATTHEW STUECKEN & DAMIEN CHAZELLE

CAST: MARY ELIZABETH WINSTEAD, JOHN GOODMAN, JOHN GALLAGHER JR., SUZANNE CRYER, DOUGLAS M. GRIFFIN, BRADLEY COOPER U. A.

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Dass New York von einem Monster heimgesucht wurde, versetzte damals so einige, denen virale Kampagnen für Filmproduktionen nicht so bekannt waren, in Angst und Schrecken. So, wie Matt Reeves seinen Found Footage-Schocker Cloverfield promotet hat, wurde damals nur die vermeintlich reale Hexe aus Blair Witch. Fake also, noch weit vor KI – und umso effektiver. Dabei war nicht nur die PR bahnbrechend, sondern auch der Film selbst. Knackig, panisch, beklemmend und dicht. Die stete Abwesenheit des Aggressors schürte noch dazu die eigene Fantasie, wie damals, in Ridley Scotts Alien. Interessantes Detail am Rande: Der Film hört genau zur selben Uhrzeit auf, wie er begonnen hat.

Cloverfield wird als Code-Begriff des Militärs für paranormale Begebenheiten angewandt, zumindest in dieser von J. J. Abrams produzierten Trilogie, die eigentlich nur lose miteinander zusammenhängen, scheinbar wenig gemeinsam haben, und doch allesamt einer Ausnahmesituation gegenüberstehen, deren Umfang sich eigentlich nie begreifen lässt und deren Ursache und Wirkung niemand kennt. In der Verzweiflung des Menschen, keine Erklärung für das zu finden, was er sieht, und das, was er sieht, nicht willentlich ist, zu glauben – darin liegt die Intensität vor allem, von Cloverfield – und auch von 10 Cloverfield Lane.

Auch A Quiet Place lässt die wehrlose Menschheit dumm sterben, wenn sie denn zu viel Lärm macht. In Bird Box erfährt man noch weniger von den Dingen, die sich abspielen – völlig im Dunklen tappt hier die Welt. In 10 Cloverfield Lane von Dan Trachtenberg (Prey), das wie gesagt als Sequel zu Matt Reeves Katastrophenfilm funktionieren kann, aber nicht muss, haben weder das Publikum noch die drei Protagonisten im Film keinerlei Ahnung – und vor allem: keinerlei Gewissheit darüber, was da oben abgeht – sitzen doch alle drei in einem penibel eingerichteten Bunker, der alle Stückchen spielt und so eingerichtet ist wie ein Wochenendbungalow, mit jeder Menge an Vorräten, fließend Wasser und elektrischem Strom vom Generator.

Die Grundsituation des Films ist schnell erklärt: Mary Elizabeth Winstead gibt hier Michelle, die nach einem Autounfall in den heiligen Hallen von Querdenker Howard erwacht. Der verbietet ihr zu gehen, schwört er ihr doch hoch und heilig, sie vor dem Untergang gerettet zu haben; vor der Apokalypse aus Radioaktivität oder Giftgas oder was auch immer. Entweder waren es die Russen oder die Nordkoreaner oder etwas ganz anderes will sich den Planeten unter den Nagel reißen – würde man selbst dieser übereifrigen Autorität, die John Goodman fernab seines komödiantischen Potenzials mit einer gefährlichen Jovialität verkörpert, Glauben schenken. Wie quälend ist der Gedanke, nicht genau zu wissen, ob Goodman wohl recht hat oder nicht? Michelle ist hin und hergerissen, aber tendiert eher zur Flucht, die sich nicht so leicht umsetzen lässt. Darüber hinaus ist da noch Emmett, einer, der sich freiwillig in den Schutz von Howard begeben hat, denn er hat das rote Licht gesehen, das da plötzlich aufgegangen war.

Wie 10 Cloverfield Lane mit den Vermutungen spielt, ist Suspense-Kino, wie man es selten sieht. Einerseits könnte Howard ein aufrichtiger Gutmensch sein, der weiß, wovon er spricht. Allerdings könnte er auch ein Psychopath sein, der weiß, wovon er spricht. Oder doch ein heillos überforderter Querdenker, der es ehrlich meint, aber in Wahrheit keine Ahnung hat. Trachtenbergs Film, an welchem auch Damien Chazelle mitgeschrieben hat, füttert sein Bedrohungsszenario mit den Werten von Vertrauen und Verlässlichkeit, bis nichts mehr übrig scheint. Es nährt sich von der Kehle zuschnürenden Angst, im Informationszeitalter ohne Informationen auszukommen und sich nur auf Vermutungen verlassen zu müssen, die man um alles in der Welt selbst einer Überprüfung unterziehen will. Die Wahrheit wird zum höchsten Gut und ist mehr wert als die eigene Gesundheit. Diese Metaebene gibt 10 Cloverfield Lane eine ungeahnte Tiefe, streut noch dazu Story-Twists ein und setzt die Benchmark für ein straffes Kammerspiel ohne leere Worthülsen neu.

Zuviel auf den Film darf ich hier aber auch nicht eingehen. Der größte Spaß ist dabei, so ahnungslos wie möglich in den bunker zu wandern. Da ich aber ungefähr wusste, wie die ganze Sache ausgeht, haben mich all die Wendungen zumindest nicht eiskalt erwischt. Und dennoch: Auch wenn man schon so eine Ahnung hat, ist es immer noch ein großer Unterschied, den Film selbst zu sehen als gespoilert zu bekommen, mit all seinen auf Konfrontation angelegten Figuren, aus denen sich so viel mehr entwickelt, als man hätte ahnen können. Und ja: Ahnen heißt nichts wissen. Doch Wissen ist Macht.

10 Cloverfield Lane (2016)