Amrum (2025)

FÜR EINE HANDVOLL HONIG

8/10


© 2025 Warner Bros. / mathiasbothor.com


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2025

REGIE: FATIH AKIN

DREHBUCH: FATIH AKIN, HARK BOHM, NACH DESSEN ERINNERUNGEN

KAMERA: KARL WALTER LINDENLAUB

CAST: JASPER BILLERBECK, KIAN KÖPPKE, LAURA TONKE, DIANE KRUGER, DETLEV BUCK, LISA SAGMEISTER, STEFFEN WINK, LARS JESSEN, TONY CAN, MAREK HARLOFF, DIRK BÖHLING, JAN GEORG SCHÜTTE, MATTHIAS SCHWEIGHÖFER U. A.

LÄNGE: 1 STD 33 MIN


Erst vor wenigen Tagen verstarb Hark Hermann Bohm im Alter von 86 Jahren. Ich muss gestehen: bevor Fatih Akin mit seinem neuen Film über die Kindheit desselbigen in den Kinos startete, konnte ich diesen Namen nur relativ ungenau zuordnen. Mittlerweile habe ich auch diese Wissenslücke in Sachen deutscher Filmgeschichte geschlossen: Das Allroundgenie war nicht nur Filmemacher mit der dichtesten Schaffensperiode in den Siebzigern, sondern auch Schauspieler seit den Sechzigern (unter anderem bei Rainer Werner Fassbinder) und später Drehbuchautor für Fatih Akins Werke Tschick oder Aus dem Nichts. Sein wohl bekanntester Film: Nordsee ist Mordsee. Gut, wieder was dazugelernt. Und was wir bei Amrum noch dazulernen, ist, wie es sich als Kind angefühlt hat, das Ende des Zweiten Weltkriegs mitsamt seiner Nazi-Despotie nur peripher, aber vor allem im Spiegel der Eltern, mitzuerleben.

Krieg und Frieden durch Kinderaugen

Dieser Dreikäsehoch war Hark Bohm, da haben wir ihn wieder, und er hätte wohl selbst diesen Film über sich selbst inszeniert, hätte er nicht angesichts seines fortgeschrittenen Alters klein beigeben müssen. Fatih Akin, Bohms guter Freund, hat sich dieser Sache angenommen und selbst Regie geführt, im Beisein Bohms und nach dessen Drehbuch. denn niemand sonst hätte all diese Details im Kopf gehabt, um einen Umbruch zu beschreiben, der mit Magie, Neugier, Tradition und kindlichem Pragmatismus so sehr einhergeht, dass man glauben könnte, die gute Christine Nöstlinger, die mit Maikäfer flieg! ähnliche Erinnerungen zu Papier gebracht hat, ließe sich von einem wie Taika Waititi inszenieren, auf dessen Kappe das wiederum ganz andere, aber von der Tonalität her durchaus verwandte Meisterwerk Jojo Rabbit geht.

Die Erwachsenen verstehen lernen

Amrum reiht sich in diese verspielten, allerdings ernsthaften, aber niemals im Kummer endenden Betrachtungen auf Augenhöhe junger Heranwachsender so nahtlos ein, dass man diesen hier als inoffizielle Themenfortsetzung von Waikiki und Nöstlinger betrachten könnte, nur eben mit dem inseldeutschen Kolorit jener Menschen, die tagein tagaus mit dem Salz, den Wellen, dem Sand und den Gezeiten leben, die sich mitunter im friesischen Dialekt namens Öömrang unterhalten und eine lakonische Zähigkeit und Resilienz an den Tag legen, dass es zum gestandenen menschelnden Erlebnis wird. Allerdings haben nicht alle ihren stolzen Überlebenswillen hier draußen auf der friesischen Insel – Nannings Mutter hat ihn nicht. Die war Zeit ihres Lebens davon überzeugt, dass Adolf Hitler stets das richtige getan hat. Und als dann das Ende des Krieges und das Ende des Diktators kam, brach für die gute Frau (gespielt von Laura Tonke) eine Welt zusammen. Wie denn den Kummer der Erwachsenen tilgen, fragt sich der kleine Nanning (so Bohms Alter Ego), und findet letztlich die Konklusio, dass nur ein Weißbrot mit Butter und Honig wieder ein Lächeln auf die Lippen von Mama zaubern könnte. So stürzt er sich ins Abenteuer, um das zu beschaffen, was in Zeiten wie diesen rarer nicht sein kann. Vom Bäcker geht’s zum reichen Onkel, von dem zur Imkerin, querfeldein, über Wege, über Äcker und durchs Inseldorf mit dem prägnanten Kirchturm. Der Vater als Obersturmbannführer weit weg im Krieg, der Onkel (Matthias Schweighöfer) in Amerika die Illusion einer besseren Welt. Das Glück der Mutter das Ziel aller Bestrebungen.

Planet Amrum

Fatih Akin ist auch nicht unbedingt einer, der nur ein Thema kann. Vom leichten Sommerroadmovie Im Juli geht’s bis zum verstörenden Serienkillerhorror Der goldene Handschuh, dazwischen fährt Sebil Kekili Gegen die Wand und wird Diane Kruger zum Racheengel. Akin verliert sich dabei aber nie in klebriger Schwermut, sondern hält seine Arbeiten stets in Bewegung, damit sie Raum zum Atmen haben. Frische Luft tanken alle seine Filme, und ganz besonders Amrum. Für diese tiefe Verbeugung vor seinem Mentor, Lehrer und Freund schuf der Filmemacher ein faszinierend unbekümmertes und zugleich berührendes und die Geschichte niemals ignorierendes Abenteuer eines kindlichen Reifungsprozesses von verträumter Weltanschauung bis zur ergriffenen Initiative, bis zum Projekt des Überlebens und der Nächstenliebe. Amrums Charaktere sind jeder für sich unverkennbare Figuren, wettergegerbte Fischer; aufmüpfige, aber herzensgute Bauern, nach vorne blickende Überlebenskünstlerinnen und künstler, die den Krieg als eine Erscheinung erkennen, die ein Weitermachen niemals in Frage stellen würde – auch wenn es bedeutet, alles hinter sich zu lassen. In diesem Spannungsfeld läuft der ungestüme Jasper Billerbeck durch eine denkwürdige Zeitenwende, um für eine Handvoll Honig sein eigenes, liebevoll ausgestaltetes und weniger dämonisches Pans Labyrinth zu schaffen, voller Proben aufs Exempel, Erfahrungen und Weisheiten fürs Leben, die sich erstmal nicht als solche offenbaren.

Erinnerungen als Grundstein des Ichs

Amrum ist ein Werk voll Leichtigkeit und Schwere zugleich, verpackt in rustikalen, wunderschönen Bildern eines rauen, aber ehrlichen Fleckens Sand, Schlamm und Erde. Tragikomisch wäre aber fast zu einfach, viel mehr ist die Improvisationsgabe eine aufgeweckten jungen Geistes, der so gut wie alles mit anderen Augen sieht, so erfrischend, als wäre Nostalgie und Erinnerung essentiell dafür, nach vorne zu blicken, zuversichtlich, egal was kommt. In diesem Fall auf ein schillerndes (erfülltes) Leben wie das des Hark Bohm.

Amrum (2025)

Weapons – Die Stunde des Verschwindens (2025)

HAMELN LIEGT IN PENNSYLVANIA

8/10


© 2025 Warner Bros. Entertainment


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE / DREHBUCH: ZACH CREGGER

KAMERA: LARKIN SEIPLE

CAST: JULIA GARNER, JOSH BROLIN, ALDEN EHRENREICH, AUSTIN ABRAMS, BENEDICT WONG, CARY CHRISTOPHER, AMY MADIGAN, TOBY HUSS, JUNE DIANE RAPHAEL, SARA PAXTON, JUSTIN LONG U. A.

LÄNGE: 2 STD 19 MIN


Wie kleine Flugzeuge düsen die Schattenrisse sämtlicher Kinder aus der Nachbarschaft über die von nächtlichen Laternen beleuchteten, regennassen Asphaltwege und getrimmter Rasenflächen einem unbekannten Ziel entgegen. Diese Szene, die man bereits im Trailer zum Film Weapons – Die Stunde der Verschwindens verstört betrachten kann, lässt erschaudern. Was hat Zach Cregger jetzt wieder angestellt? Ist er der neue. Meister des Horrors, des subversiven, nachhaltigen Grusels? Leute, die Barbarian gesehen haben, können ungefähr erahnen, mit welchen Methoden der Autorenfilmer aus Virginia hier abermals das Genre neu definieren will.

Der Stilbruch als Methode

Mit Barbarian hat sich Cregger seinen Platz als innovativer Horrorfilmer bereits gesichert – erst kürzlich konnte ich den subversiven Querschläger von meiner Watchlist streichen, nicht ohne mir klar geworden zu sein, dass es noch unzählige Wege geben kann, wie man filmische Glaubenssätze und alteingesessene Do’s und Dont’s genüsslich über den Haufen wirft, weil man als Künstler niemandem folgen muss. Als Neuer Wilder, zu denen auch Ari Aster gehört oder die Gebrüder Philippou (Talk to Me), muss sich Cregger um nichts scheren. Er wirft das geradlinige Storytelling völlig über Bord und ordnet seine zutiefst mysteriösen Entwürfe zu einem Origami, dessen Form und Bedeutung man lange nicht versteht. Typisch für Cregger ist der kompromisslose Bruch mit der Tonalität, mitunter auch dem visuellen Stil. War Barbarian schon ein bisschen wie filmische Zwölftonmusik, spielt Weapons – Die Stunde des Vrschwindens auf der Klaviatur beklemmender Recaps, die immer wieder die selbe Geschichte erzählen – nur aus immer wieder anderen Blickwinkeln. Dieses Rückspulen, das Neusetzen der Perspektive und das mosaikartige Ergänzen eines erschreckend rätselhaften Falls, der nicht unwesentlich an die Sage des Rattenfängers von Hameln erinnert, mag eine ganze Menge Zuseherinnen und Zuseher irritieren. Was Cregger nämlich liefert, ist kein atmosphärische Near-History-Grusel wie das Conjuring-Universum rund um das Ehepaar Warren und die Puppe Annabelle. Es ist auch kein Geisterbahn-Horror wie bei Stephen King, der die Kleinstadt Derry als Spielplatz des Bösen entdeckt hat. Wobei: Zwischen Derry und David Lynchs nicht unwesentlich weniger schauderhaftem Folk-Horror-Hotspot Twin Peaks liegt irgendwo neben der Spur Maybrook, im Nordosten der USA, genauer gesagt in Pennsylvania, wo herbstfrische Mieselsucht die depressive Stimmung nach dem unerklärlichen Verschwinden von 17 Kindern nur noch unterstützt.

Das Unheil im Banalen

Tief betroffen davon ist Lehrerin Justine (Julia Garner), da die verschwundenen Kinder allesamt aus ihrer Klasse stammen – bis auf einen, den jungen Alex. Hier legt Cregger schon die erste Spur, doch viel anfangen kann man damit noch nicht. Im weiteren Verlauf rückt Josh Brolin ins Bild, er selbst verzweifelter Vater, der versucht, ein System hinter all den Vorkommnissen zu finden. Cregger splittet seinen Horror aber noch mehr auf – durch die Gegend geistert neben dem Schuldirektor Benedict Wong ein Polizist und ein Junkie, spätestens da variiert die knallharte Mystery seinen Rhythmus, erzählt scheinbar völlig andere Geschichten, wagt den Schritt ins Komödiantische, was irritierender nicht sein könnte. So bewegt und variiert Weapons – Die Stunde des Verschwindens ist, so kurios ist seine Eskalation, mutiert zum brachialen Horror, zur Kasperliade, zum investigativen Kriminalfall. Die Metaebene, die sich zivilisationskritischen Betrachtungen über Macht, Instrumentalisierung und Missbrauch hingibt könnte einem dabei glatt entgehen.

Cregger, der sein Können nach Barbarian nochmal perfektioniert, weiß, dass er auf diese Weise Genre-Vorbilder auch mal zitieren darf, dass er Formeln verwenden und nur anders aneinanderknüpfen braucht, um sein eigenes Ding zu gestalten. Zwischen Folk-Budenzauber, der Inkarnation des Bösen und zynischen Schicksalsschlägen wirkt die knackige, brillant geschnittene Collage wie aus einem Guss. Ob man lachen oder sich fürchten soll – manchmal ist dabei die Entscheidung die falsche, und genau das macht Weapons so besonders. Denn gerade im Harmlosen liegt das Unheil auf fruchtbaren Boden.

Weapons – Die Stunde des Verschwindens (2025)

Superman (2025)

DAS METAWESEN AUS DER NACHBARSCHAFT

7,5/10


© 2025 Warner Bros. Entertainment Inc.


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE / DREHBUCH: JAMES GUNN

KAMERA: HENRY BRAHAM

CAST: DAVID CORENSWET, RACHEL BROSNAHAN, NICHOLAS HOULT, EDI GATHEGI, NATHAN FILLION, ISABELA MERCED, ANTHONY CARRIGAN, MARIA GABRIELA DE FARÍA, SKYLER GISONDO, SARA SAMPAIO, ZLATKO BURIČ, SEAN GUNN, BRADLEY COOPER, WENDELL PERCE U. A.

LÄNGE: 2 STD 10 MIN


Vorbei ist die opernhafte Schwermut von Kal-El, der in der Gestalt von Henry Cavill und unter der Regie von Zac Snyder durch ein verregnetes, dunkles Metropolis wandelte und es gar mit Batman in stählerner Rüstung aufnahm. Diese Art und Weise, das DC-Universum zu beleben, in allen Ehren. Ich gebe zu, wenn es nach mir gegangen wäre, hätte Snyder gerne dranbleiben können. Die Besetzung der ganzen Justice League ließ keine meiner Wünsche offen. Cavills Superman war zwar etwas eitel und gerne auch arrogant, aber glaubhaft, physisch sehr präsent und mitreißend. Wir brauchen über Wonder Woman gar nicht reden (Gal Gadot wird wohl nie besser werden), über Ben Affleck als Batman vielleicht schon, obwohl auch er einer war, der den Comicvorlagen, die vor Pathos generell nicht zurückschrecken, gerecht wurde. Doch bei DC hat sich die dystopische Interpretationsweise des Superman-Universums ausgelebt – schade drum.

Vom Pessimismus zum Optimismus

James Gunn sollte das Ruder übernehmen und die Capes aus dem Dreck ziehen. Alle wussten, wenn Gunn hier ansetzt, regnet es bunte Shows, die rotzfrech, locker und subversiv sein können. Nach seinem Super – Shut up, Crime!, einer herzallerliebsten, blutigen Grunge-Sause über Superhelden und solche, die es gerne wären, aber nicht sind, blieb der Visionär (ja, es ist einer) seinem Stil und seiner Tonalität immer treu. Auch seine Best Friends wie Michael Rooker, Nathan Fillion oder Brüderchen Sean Gunn sind auf irgendeine Art und Weise immer mit dabei, sie wissen schließlich, wie der Hase läuft. Mit den Guardians of the Galaxy erhielt das MCU einen Spin in Richtung Parodie, alles unterlegt mit launigen Songs aus der Evergreen-Schublade. Vielleicht manchmal zu gewollt, vielleicht ein bisschen zu konstruiert – doch das neidvolle DC dürfte da keine strengeren Vorgaben gemacht haben, ganz im Gegenteil, wenn man sich ansieht, was Gunn mit Superman gemacht hat. Der Waise vom Planeten Krypton ist hier nicht mehr und nicht weniger der nette Junge aus der Nachbarschaft, ein „Spidey“ mit Kräften, die man sich kaum vorstellen kann. Und der das Zeug dazu hätte, im Handumdrehen den ganzen Planeten Erde zu unterjochen. Wenn er denn gewollt hätte.

Doch Superman will nicht, er ist durch und durch Humanist, Menschenfreund und Helferlein. Sieht sich als Mensch unter Menschen und nutzt dabei seine außerordentlichen Skills, um weder die Dinge zu lenken oder es besser zu wissen, sondern um anderen, die Not leiden, unter die Arme zu greifen. Großgezogen in einfachen Verhältnissen an Land und mit Werten, die ein Zusammenleben garantieren, ist Kal-El längst zur Tagesordnung übergegangen. Niemand braucht schließlich nochmal eine Origin-Story, nochmal den ganzen Steckbrief von Smallville bis zum Daily Planet. Die Parameter sind gesetzt, Gunn geht davon aus, das wir das alles längst wissen – auch über Erzfeind Lex Luthor, den hier diesmal nach Jesse Eisenberg Nicholas Hoult gibt, als wandelndes Elon Musk-Mahnmal gegen Egomanie und Größenwahn. Dieser Luthor lässt sein Süppchen in Gunns Superman schon lange köcheln und spielt bereits mit den Dimensionen, was ein bisschen an Marvels Multiversum erinnert. Das Raum-Zeit-Gefummel bringt einige Kollateralschäden mit sich, darüber hinaus haben wir es hier mit einer geopolitischen Situation zu tun, die an den Ukrainekrieg erinnert, und einem an Putins Reich angelehnten Aggressor, der die Machtinteressen anderer hofiert. Trotz allem bleibt Gunn so sehr gelassen, dass diese Assoziation mit der Realität wohl kaum die Freude daran trübt, neben einem manchmal etwas zerstreut wirkenden Superman auch anderen kauzigen Metawesen (Mister Terrific, Green Lantern, Metamorpho: alle liebenswert) dabei zuzusehen, wie sie uns Normalsterblichen den Arsch retten. Das tun sie mit einer lausbübischen Leidenschaft für das Richtige, nehmen alles mit Ironie, aber nicht auf die leichte Schulter. Alles wird gut, lautet ihr militant optimistisches Credo.

Wie sympathisch ist der Kerl?

Diese neue Tonalität bringt Farbe und frischen Wind in das fast hundert Jahre alte Comicleben, dabei fehlt es weder an ordentlichen Desaster-Schauwerten noch an phantastischen Details. Superman will launige Science-Fiction-Komödie bleiben und Gunns bereits auf den Weg gebrachte Guilty Pleasures wie The Suicide Squad und Peacemaker mit in die neue Ära nehmen. Beide Formate gelten als Vorbilder für diesen nächsten Schritt, Superman die Gutmenschen-Fadesse vom Leib zu reißen und einen durchaus gemütlichen Idealisten zum Vorschein zu bringen, der oft nicht weiß, wie ihm geschieht und durch David Corenswets erfrischend unprätentiöse Natürlichkeit eine Sympathie ausstrahlt, dass man ihn und die Figur, die er spielt, nur ungern wieder ziehen lassen will. Schließlich ist das Gunns Spezialität: Charaktere zu entwerfen, die nicht perfekt sind, die sich selbst im Weg stehen, die sich zusammenraufen müssen und nicht immer willens sind, für andere in die Presche zu springen. Das macht sie aber greifbar, und dadurch nimmt Superman so gut wie jede Hürde, die bei einem Reboot wie diesen notgedrungen aufpoppen.

Mag sein, dass der Plot selbst, in den man hineingeworfen wird wie in kaltes Wasser (kein Fehler!) erst erwachsen werden muss, die Skills und Features liegen aber griffbereit und weisen den Weg in ein hoffentlich lang anhaltendes, konstantes DC-Universum, in dem man sich irgendwann wohl die größte Frage stellen muss: Wie passt der düstere Batman in das alles hinein? Pattinson kann es kaum sein, denn stilistisch sind das von Matt Reeves geschaffene Universum und das von Gunn viel zu konträr, um eine Synergie zu bilden. Das aber ist eine andere Geschichte, und wir kehren nochmal zurück in Kal-Els antarktisches Domozil, um mit ihm alle Viere gerade sein zu lassen, während Iggy Popp aus dem Äther tönt. Die Vibes holen mich ab. Noch passt alles zusammen.

Superman (2025)

Final Destination 6: Bloodlines (2025)

DETERMINISMUS MIT SIPPENHAFTUNG

6/10


© 2024 Warner Bros. Pictures, Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: ZACH LIPOVSKY, ADAM B. STEIN

DREHBUCH: GUY BUSICK, LORI EVANS TAYLOR, JON WATTS

KAMERA: CHRISTIAN SEBALDT

CAST: KAITLYN SANTA JUANA, TEO BRIONES, RICHARD HARMON, OWEN JOYNER, RYA KIHLSTEDT, ANNA LORE, BREC BASSINGER, TONY TODD, GABRIELLE ROSE, APRIL TELEK, ALEX ZAHARA U. A. 

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Grüß Gott, ich bin der Tod: Wenn Gevatter dich auf dem Kieker hat, reicht es womöglich nicht, wenn man ihm, ganz so wie die legendäre EAV es besingt, einen Jagatee kredenzt. Doch der Sensenmann macht sich in Wahrheit gar nichts aus Hochprozentigem, dafür aber will er, dass die ganzen hundert Prozent derer, die auf seiner Liste stehen, auch über die Klinge springen. In der Horrorfilm-Reihe Final Destination hat der Tod auch nie ein Gesicht. Das, was die ganze Zeit so aussieht, als wären es unglückliche Zufälle, scheint eine höhere Macht, die das Leben und Ableben steuert. Der freie Wille ist nur Illusion. Diesem Determinismus zu entgehen, der uns alle gefangen hält, mag ein Ding der Unmöglichkeit sein. Das geht nur dann, wenn man Gevatter austrickst. Wie die alte Frau in ihrem Häuschen – wir alle kennen den Witz – die, auf die Tränendrüse drückend, einen Deal mit ihrem Schicksal eingeht und den Tod auch schwören lässt, er soll sie doch erst am nächsten Tag nochmal holen. Zur Erinnerung heftet sie den Vertrag an die Tür – und lebt womöglich heute noch.

Damals, 25 Jahre ist es her, sorgte der Horrorthriller Final Destination für schweißnasse Hände – der vorausgeahnte Flugzeugcrash ist mir in Erinnerung geblieben. Diese Katastrophe, vom Schicksal so vorausgeplant, bildete im Jahr 2000 den Auftakt für allerlei bizarre Ideen, wie ein Mensch auf die noch so absurdeste Art und Weise das Zeitliche segnen kann. Dabei zeichnete sich bereits ab: Hat man wohl einen Teil dieser Filmreihe gesehen, kennt man alle. Somit haben wir es hier mit reinstem Effektkino zu tun, das aber auch dazu steht, nichts anderes zu wollen außer den Effekt, den Kick, die blutige Schadenfreude, die Sensation, wenn junge Menschen abnippeln und dabei nicht selten den Kopf, das Rückgrat oder alle Extremitäten verlieren. Zumindest beim Original war die Idee eines vorbestimmten Plans einer alles steuernden Entität ein prickelndes, auch unbequemes Gedankenspiel. Doch was anfangs schon durch war, dient wohl des Weiteren kaum als inhaltliches Füllmaterial. Macht aber nichts. Filme, in denen der Zweck des garstigen Entertainments die Mittel heiligt, und wenn sie auch immer ähnlich sind, taugen zumindest so viel wie eine Achterbahnfahrt am Rummel. Auch die will man immer und immer wieder genießen, sofern schwindelfrei.

Nicht ganz so schwindelfrei mag wohl der eine oder andere Besucher eines dem Donauturm ähnlichen, schicken Luxus-Restaurants sein, genannt Skyview Tower. In den Sechzigern lässt sich Iris von ihrem Freund Paul zur Eröffnung dieser sensationellen Lokalität liebend gerne einladen, mulmiges Gefühl beim Einsteigen in den Fahrstuhl hin oder her. Und natürlich hat die junge Dame sogleich die Vision einer verheerenden Katastrophe, ausgelöst durch eine Münze, die in den Lüftungsschacht gerät. Wie Zach Lipovsky und Adam B. Stein die Materialschlacht mit zahlreichen Todesopfern inszenieren, kann sich sehen lassen. Das beste dabei: Wenn man glaubt, spektakulärer wird es wohl nicht, braucht man sich nur vorstellen, was passiert, wenn ein MRT-Gerät im nächstgelegenen Krankenhaus verrückt spielt. Das tut weh, höllisch weh. Abermals durften sämtliche kreative Köpfe im Ideenpool plantschen, damit es auch diesmal wieder Unfälle gibt, die man so noch nicht gesehen hat. Es verhält sich wie mit den Filmen der Saw-Reihe: Selbes Prinzip, selbes Muster, auch hier sollte sich bestenfalls keine der Foltermethoden wiederholen.

Final Destination 6: Bloodlines meldet sich also nach Jahren wieder zurück aus dem Scheintod und will diesmal auch mehr Story liefern. Mit Bloodlines ist sowieso schon alles gesagt: Folglich trifft es diesmal die Erben der dem Tode Entwischten. Auf kuriose Weise ist das nur logisch und auch durchdacht, wenngleich die Stringenz dabei im Laufe der Handlung verlorengeht und der Tod bald selbst seine eigenen Regeln nicht mehr befolgt. Anyway, bei Filmen wie diesen ist das egal. Blut muss fließen, Schädel müssen brechen, und Baumstämme sind schwer. Dass das ganze mehr zum körpersaftigen Hoppala-Overkill mutiert als zum unheilvollen Horror ausartet, ist auch kein Geheimnis. Wer’s mag, ist hier nicht fehl am Platz. Gesehen, schadenfroh grinsend geekelt und vielleicht vergessen. Es sei denn, man muss bald zum MRT.

Final Destination 6: Bloodlines (2025)

Wunderschöner (2025)

DIE TRUGBILDER WEIBLICHER FREIHEIT

7,5/10


© 2025 Warner Bros. Entertainment


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2025

REGIE: KAROLINE HERFURTH

DREHBUCH: KAROLINE HERFURTH, MONIKA FÄSSLER

CAST: KAROLINE HERFURTH, NORA TSCHIRNER, ANNEKE KIM SARNAU, EMILIA SCHÜLE, EMILIA PACKARD, DILARA AYLIN ZIEM, ANJA KLING, GODEHARD GIESE, FRIEDRICH MÜCKE, MALICK BAUER, MAXIMILIAN BRÜCKNER, LEVY RICO ARCOS, SAMUEL SCHNEIDER U. A.

LÄNGE: 2 STD 18 MIN


Wenn sich ein Mann als Frauenversteher deklariert, ist ja das alleine schon ein überheblicher und gleichsam herablassender Begriff – als wären Frauen ein Rätsel, das Mann knacken muss, um von einer Frau das zu bekommen, was diesem vorschwebt ergattern zu müssen. Wenn schon Frauenversteher, dann wären es Frauen selbst, die sich dieses „Prädikat“ aneignen könnten. Und im ganz besonderen Karoline Herfurth. Dabei interessiert sie gleichermaßen, wenn nicht brennender, wie ein Mann vielleicht tickt. Was ihn bewegt, was ihn erregt, was ihn scheitern lässt. Wunderschöner, die Fortsetzung von Wunderschön, lässt sich auch ganz ohne Vorkenntnis des ersten Teils betrachten, schließlich sind es ganz andere Fallbeispiele, die hier erörtert werden. Wunderschöner ist bei Weitem nicht nur ein Frauenfilm, was das Werk in eine Nische drängen würde, wo es gar nicht und vor allem nicht ausschließlich hingehört. Genauso gut will Herfurth alles von Männern wissen und vor allem von dieser Diskrepanz zwischen beiden Geschlechtern, die zu überbrücken proaktive Anstrengungen erfordert – von beiden Seiten, dabei deutlich mehr von Seiten der Frau, denn die ist immer noch die Unterdrückte, Missbrauchte, Diskriminierte, während sich der Mann in seiner Machtposition gefällt.

Während Frauen sich längst schon repositionieren und dabei versuchen, aus ihrem Rollenklischee herauszukommen, haben Männer gehörig viel Aufholbedarf. Das Bequemliche an diesem Patriarchat, dieses Ruhekissen, zieht Herfurth den Männern unter dem Hintern weg. Und veranschaulicht auf schmerzliche, liebenswürdige und tragikomische Weise, und ohne jemals mit dem Finger zu zeigen, dass es in auf- und umbruchsbereiten Zeiten wie diesen keine Selbstverständlichkeiten mehr gibt, dass im Grunde alles, was die geschlechterbezogene Gesellschaft betrifft, obsolet erscheint. Dieses Miteinander wird in Wunderschöner zu einer komplexen Baustelle im Zeitstrahl der sozialen Entwicklung – eine Baustelle, die nicht mal noch als Fundament wahrgenommen werden kann. Was existiert, mag vielleicht ein Team sein. Ein Ensemble aus Schauspielerinnen und Schauspielern, so wie in diesem Fall, um einen Film zu verwirklichen, der die Grenzen dieser Baustelle absteckt. Der zumindest ersichtlich macht, woran gearbeitet werden muss. Um queere Verhältnisse geht es dabei diesmal nicht.

Wunderschöner erzählt in episodenhaften Sequenzen, deren Erzählfäden aber miteinander verflochten sind, von fünf Frauen unterschiedlichen Alters, die selbst erst erkennen müssen, welche Rollen genau sie in diesem System erstens gerade einnehmen und zweitens einnehmen sollten. Sie positionieren sich, erklären sich, behaupten sich – und begreifen erst so richtig, woran es krankt. Fremddefiniert durch den Mann ist der einzige Weg der der Emanzipation, jedoch nicht auf eine kämpferische Art und Weise, die gerne belächelt wird, sondern auf eine ganz natürliche, fast schon geschlechtsunabhängige. Karoline Herfurth als Familienmutter Sonja, die von ihrem Mann getrennt lebt, von welchem sich aber, aus beiderseitigem Interesse, kein Abstand gewinnen lässt, stellt das Zentrum der mannigfaltigen Erzählung. Nora Tschirner als Lehrerin Vicky wartet, bis ihr Partner von einem Selbstfindungstrip endlich heimkehrt. Anneke Kim Sarnau als die wohlsituierte Politikergattin Nadine muss das Fremdgehen ihres Mannes verkraften und setzt sich mit dem Thema Prostitution auseinander. Emilia Schüle als Julie, die gerne beim Fernsehen arbeitet, muss sich einer toxischen Männlichkeit im Betrieb erwehren, die frappant an Weinstein erinnert. Und schließlich Schülerin Lilly, die sich als junge Frau zwar frei fühlt, den Begriff weiblicher Selbstbestimmung aber erst noch überdenken muss. Alle zusammen, und dazu noch einige tragende und wichtige Randfiguren, erschaffen das komplexe und vielschichtige Bild eines Ist-Zustandes, der nicht darauf aus ist, sein Publikum mit neuen Erkenntnissen zu erhellen. Wunderschöner hat keinen Aha-Effekt, allerdings aber, und das ist viel wichtiger, ruft er geduldete Verhältnisse in Erinnerung, die im Argen liegen. Herfurth führt ihr Ensemble mit Sorgfalt, sie weiß im Vorhinein, was und wie sie es sagen will, ohne plattes Betroffenheitskino zu veräußern.

Wunderschöner distanziert sich auch von den aalglatten Tragikomödien eines Schweighöfers oder Schweigers, sogar von den Ensemblestücken eines Simon Verhoeven oder Wortmann. Am ehesten noch erinnert ihre Arbeit an Doris Dörrie zu ihren besten Zeiten, und dennoch ist Herfurths Film noch immersiver, weil sie Emotionen abbildet, die sonst nur innerhalb der vier Wände bleibt. Das ist charmant und aufrichtig, und auch wenn manchmal der Imperativ zur Veränderung fast schon so präsentiert wird wie ein Werbespot für Frauenrechte, so kann es, genauer betrachtet, selbst davon nicht genug geben. Letztlich will auch Herfurth, das alles gut wird, und man fragt sich, ob angesichts dieser offenen Wunden und Problemzonen im Rahmen eines abendfüllenden Spielfilms jemals irgendetwas davon auf heilsame Bahnen gerät. Herfurth gelingt das Kunststück, ihre Ambitionen nicht überzustrapazieren und auch nichts unter Zeitdruck zu überladen. Letztlich staunt man, wie es ihr gelingt, zumindest Hoffnung und Zuversicht zu schöpfen. Und nein, es ist gar nichts gut, das Happy End ist nur ein neuer Status Quo, die Romantik die Vergessenheit eines Moments. Die Probleme bleiben, denn alles andere wäre ein Affront zur Realität.

Wunderschöner (2025)

Mickey 17 (2025)

DER RECYCELTE MENSCH

7/10


© 2025 Warner Bros. Entertainment


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: BONG JOON-HO

DREHBUCH: BONG JOON-HO, NACH DEM ROMAN VON EDWARD ASHTON

CAST: ROBERT PATTINSON, NAOMI ACKIE, MARK RUFFALO, TONI COLLETTE, STEVEN YEUN, ANAMARIA VARTOLOMEI, HOLLIDAY GRAINGER, CAMERON BRITTON, STEVE PARK, IAN HANMORE U. A. 

LÄNGE: 2 STD 17 MIN


Bong Joon-Ho muss Vegetarier sein. Etwas anderes hätte man nach seinem Schweinehund-Märchen Okja schließlich ohnehin nicht annehmen können. Jetzt, mit Mickey 17, zementiert er ein weiteres Mal die Conclusio in sein Meinungsportfolio, dass niemand verwurstet gehört – weder Mensch noch Tier. Die Würde bleibt auch bei Tieren unangetastet, ob sie nun genau solche kognitiven Fähigkeiten besitzen wie unsereins oder nicht. Um ehrlich zu sein, ist der Mensch im Entschlüsseln tierischer Sprache keinen Schritt weitergekommen, lediglich Mutmaßungen führen dazu, dass das Vokabular von Hund, Wal oder Affe deutlich differenzierter sein könnte als angenommen. Ein ähnlicher Verdacht könnte auch angesichts der autochthonen Lebewesen auf fernen Planeten aufkommen – so gesehen zum Beispiel auf dem treffend benannten Himmelskörper namens Niflheim, angelehnt an die in den nordischen Mythen existierende Welt des Nebels, des Eises und der Finsternis. Um abzuklären, ob dieser Ort etwaige Gefahren für den Menschen birgt, wird einer wie Mickey Barnes in die winterliche Frischluft gestoßen. Er ist schließlich entbehrlich, all die anderen nicht. Warum? Der Kerl ist ein Expendable – der einzige Expendable auf einem Kolonialkreuzer, auf dem eine dorfgroße Gemeinde unter der Führung des an Elon Musk (und nicht an Donald Trump) erinnernden Möchtegern-Diktators Kenneth Mitchell und dessen saucen-affiner First Lady ein neues Reich gründen soll, vier Jahre Reisezeit von der längst zerstörten Erde entfernt. Als austauschbarer Billigmensch muss Mickey im plüschigen gemüts-Outfit eines Versuchskaninchens alle möglichen wissenschaftlichen und existenzsichernden Experimente über sich ergehen lassen. Ob tödliches Bakterium, kosmische Strahlung oder ein Sturz in eine Gletscherspalte: Mickey hat zwar Angst vor dem Tod, wird aber immer wieder recycelt, aus allen möglichen organischen Abfallprodukten, um erneut als systemerhaltende Ein-Mann-Exekutive für allerlei Drecksarbeit herhalten zu müssen. Da passiert es, dass der Sturz durchs Eis gar nicht mal so lethal ausgeht. Mickey Nummer 17 – nach 16 Toden – überlebt dank der Hilfe einer außerirdischen Spezies, abfällig bezeichnet als die Creeper, und muss seine Koje bald mit Mickey Nummer 18 teilen. Einziges Problem: Multiple Personen sind unter Mitchells Regime nicht erlaubt.

Edward Ashtons Roman Mickey 7 hat für den Protagonisten dieser schillernden Science-Fiction-Satire nur sechs vorangegangene Tode geplant. Bong Joon-ho treibt die vom System betriebene Entbehrlichkeit genussvoll auf die Spitze und webt in dieses Szenario gleich mehrere gesellschaftskritische Themen ein, die aber allesamt niemals mit dem erhobenen Zeigefinger fuchteln. Er verzichtet auch auf platte Vergleiche mit realen Umständen und verfremdet sie so weit, dass sie dennoch, wie in einem pädagogisch ausgefeilten Kinderbuch für gar nicht weltfremde Heranwachsende, verstanden werden können. Jean Ziegler stellte zum Beispiel in einem Buch die Frage: Wie kommt der Hunger in die Welt? Bong Joon-ho gibt zu bedenken, wer eigentlich in einer Gesellschaft wie dieser und der unseren das Werk am Laufen hält, ohne dafür jene Anerkennung und Wertschätzung zu bekommen, die diesen Menschen zustehen würde. Mickey ist die fleischgewordene Metapher für den systemrelevanten Austauscharbeiter, der sich im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode schuftet, während die oberen Gesellschaftsschichten mit aufsteigender Tendenz immer mehr dem Peter-Prinzip folgen und auf jene unter ihnen treten. Filme wie Der Schacht von Galder Gaztelu-Urrutia oder auch Joon-Hos genialer Revolutions-Actioner Snowpiercer thematisieren Ähnliches. Mickey 17 aber ist von all diesen Filmen der schrulligste, liebevollste und verspielteste. Dafür kann man dem leidenschaftlich agierenden Robert Pattinson in seiner (und das ist nicht nur eine Phrase) bislnag besten Rolle nicht genug danken. Er legt seinen von allen Seiten getretenen Mickey mit einer schlurfigen, verpeilten, naiven Gottergebenheit an, er macht ihn zum Nichtsnutz und zum Improvisateur bar excellence gleichermaßen. Zum sozial-menschlichen Ideal und zum gehorsamen Befehlsempfänger. Er ist der einfachste unter den Einfachen, durch seine Unvoreingenommenheit aber auch jener mit der größten sozialen Kompetenz. Skills, die alle anderen über ihm nicht besitzen. Auch wenn Pattinson dann zweimal zu sehen ist – der Mann weiß, wie er sein Verhalten differenziert, damit man beide spielerisch unterscheiden kann. Der übrige Cast kann sich ebenfalls sehen lassen. Ruffalo wiederum dürfte seine Performance des Chauvinisten aus Lanthimos Poor Things niemals so recht abgelegt haben.

Den größten Clou fährt Bong Joon-ho mit der Liebe zu anderen Arten ein. Nach dem nilpferdigen Okja sind es diesmal knuffige Mischwesen aus Assel, Elefant und Moschusochse mit einem Schuss Lovecraft’schem Cthulhu. Wesen, die genauso wertzuschätzen sind wie jeder einzelne Hominide, der hier als Alien-Rasse auftritt, um die Andersartigen aufgrund machtgieriger Inkompetenz auszulöschen. Diese Kreaturen aber schließt man ins Herz, man bewundert die Raffinesse der Filmemacher, diese zum Leben zu erwecken. Mickey 17 wird zur kauzigen Komödie, niemals zu albern, niemals zu schrill. Bong Joon-Ho beweist ein empathisches Gespür für seine Themen und seine Geschichte, er bleibt respektvoll selbst der respektlosesten Figur gegenüber. Dass man also mit Witz, Ironie und spektakulären Bildern das Genre innovativ erweitern kann, erfrischt das Gemüt nerdiger Phantasten genauso wie nachdenklicher Realisten. Und vielleicht, ja, vielleicht würde sich Bong Joon-ho mit seinem Herz für die Vielfalt des Individuums dazu überreden lassen, irgendwann das Star Wars-Universum zu bereichern. Ein Gedanke, der mit während des Films immer wieder kam.

Mickey 17 (2025)

Companion – Die perfekte Begleitung (2025)

I WAS MADE FOR LOVING YOU BABY

6/10


© 2024 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE / DREHBUCH: DREW HANCOCK

CAST: SOPHIE THATCHER, JACK QUAID, LUKAS CAGE, MEGAN SURI, HARVEY GUILLÉN, RUPERT FRIEND, MARC MENCHACA U. A.

LÄNGE: 1 STD 37 MIN


Wie über einen Film berichten, über den man am besten kein Sterbenswörtchen verlieren sollte, außer vielleicht, dass Sophie Thatcher, zuletzt mit Hugh Grant in Heretic um die Wahrheit ringend, darin die Hauptrolle verkörpert? Man erzählt genau das: Welche kinematographischen Faktoren den Film so besonders machen und welche nicht. Neben Thatcher agiert übrigens Jack Quaid, unverkennbar der Sohn von Hollywoodstar Dennis und Freunden der Comicserie The Boys als einzig moralisch integre Institution und Identifikationsfigur bekannt, die in diesem Anti-Superhelden-Wahnsinn wohl als einziger einen kühlen Kopf behält. Jack Quaid also scheint auch hier, in Companion – Die perfekt Begleitung, als perfekter Partner mit freundlichem Lächeln und charmant-natürlicher Art Freundin Iris so sehr bezirzt zu haben, dass diese sich jeden Wunsch von dessen Augen abzulesen imstande sieht. Iris hat Josh, den Mann ihrer Träume, wohl gefunden – im Supermarkt beim Obstkisten-Fauxpas. Kitschiger kann die Liebe auf dem ersten Blick nicht sein. Dabei stellt sich die Frage: Ist es das, was Männer wünschen? Die bedingungslose Hingabe des oder der anderen? Wer will nicht gern hofiert und angehimmelt werden, oder sind diese Zeiten wirklich vorbei, wo Geschlechterrollen aus dem vorigen Jahrhundert bemüht werden und Gleichberechtigung nur etwas ist, das sich vielleicht bei den nächsten Wahlen niederschlägt.

Doch Iris hat kein Problem damit. Sie weiß nur: Sie ist in Gesellschaft nicht so die Rampensau und hat ihre Bedenken, wenn es darum geht, zur richtigen Zeit das Richtige von sich zu geben, um nicht die Stimmung zu ruinieren. An diesem Wochenende bei Freunden in der Luxuswohnstatt eines neureichen russischen Unternehmers scheint alles auf Grün gepolt. Man unterhält sich, tanzt, trinkt, Josh und Iris haben Sex. Ein erster Verdacht kommt auf, der die Situation so, wie sie scheint, nicht als gegeben hinnehmen kann. Am nächsten Morgen dann das Unglück: Der Russe liegt tot am Strand – und Iris rechtfertigt blutverschmiert ihre lethale Notwehr in Anbetracht sexueller Nötigung.

Fälschlicherweise wird Companion – Die perfekte Begleitung als ein Werk promotet, dass, so scheint es, mit Barbarian-Mastermind Zach Cregger in kreativer Verbindung steht. Letztlich verhält es sich nur so, dass dieser an der Produktion beteiligt war. Eigentlich hat hier Drew Hancock, bislang nur fürs Fernsehen tätig, die ganze Arbeit gemacht. Und ja, für ein Erstlingswerk auf Spielfilmlänge kann sich der wendungseiche Thriller durchaus sehen lassen. Allerdings: So wendungsreich ist er gar nicht, dafür versprach das Marketing deutlich mehr, um die Neugier zu wecken. Letztlich kommt alles so, wie man es ahnt oder erwartet – der prognostizierte Twist, der einen aus den Socken haut; der Zickzack-Kurs im Handlungsverlauf: überschaubar. Natürlich bemüht sich Hancock auf spielerische Weise, sein Publikum an der Nase herumzuführen. Es scheint, als wäre ihm dies sein größtes Anliegen – im Gegensatz dazu lässt er die Katze relativ früh aus dem Sack und wechselt elegant das Genre – nämlich dann, wenn keiner mehr den Saal verlässt. Er kann von Glück reden, hier Sophie Thatcher in die Bresche springen und alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen zu lassen. Ihr Spiel ist prickelnd, kokett und verführerisch, im Ensemble agiert sie prächtig.

Ob der Pfad der scheinbar unerwarteten Ereignisse nicht etwas zu verschlungen angelegt wurde, könnte man bei Companion locker hinterfragen. Vielleicht verheizt Hancock sein Ensemble auch viel zu schnell, um dann den letzten Akt in seiner Ausgestaltung genauso zu rechtfertigen. Wohin die Reise inhaltlich geht – um dies zu erwähnen, sind mir schließlich aus Respekt vor jenen, die den Streifen noch nicht gesehen haben, die Hände gebunden. Nur soviel: Theoretisch könnte Companion – Die perfekte Begleitung als ein weit entferntes Prequel für eine Dystopie herhalten, die sich gegenwärtig auch in der Realität langsam anbahnt. Mit welchen Karten hier geweissagt wird, bleibt offen. Dass der Film angesichts des näher rückenden Valentinstages speziell für Romantik-Zyniker ein idealer abendfüllender Zeitvertreib darstellt, lässt sich auf jeden Fall fix auf der Habenseite verbuchen.

Companion – Die perfekte Begleitung (2025)

Juror #2 (2024)

DIE SKRUPEL DER GESCHWORENEN

5,5/10


© 2024 Warner Bros.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: CLINT EASTWOOD

DREHBUCH: JONATHAN ABRAMS

CAST: NICHOLAS HOULT, TONI COLLETTE, ZOEY DEUTCH, KIEFER SUTHERLAND, CHRIS MESSINA, J. K. SIMMONS, GABRIEL BASSO, LESLIE BIBB, AMY AQUINO, ADRIENNE C. MOORE, FRANCESCA EASTWOOD U. A.

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Mit dem 2021 erschienen Cry Macho wollte Clint Eastwood nochmal beweisen, dass er mit stolzen 91 Jahren nicht nur noch hinter, sondern auch vor der Kamera stehen kann. Das Ergebnis war von schaumgebremster Zähigkeit, irgendwie wollte der Film nicht in die Gänge kommen, vielleicht lag das auch an der deutlichen Sichtbarkeit des hohen Alters und den damit einhergehenden motorischen Defiziten. Für seinen kolportierten letzten Film, bevor er nun endgültig in den wohlverdienten Ruhestand gehen wird, hat es sich Clint Eastwood wohlweislich verkniffen, nochmal selbst als einer von zwölf Geschworenen über Schuld und Unschuld wild gestikulierend zu verhandeln. Eastwoods Arbeit ist in Juror #2 gänzlich hinter der Kamera passiert, stattdessen erfüllt J. K. Simmons den Part des pensionierten Polizisten, der auf eigen Faust versucht, dem Mordfall, um den es hier geht, mehr Transparenz und Plausibilität zu verleihen, um eben nicht aus lauter Bequemlichkeit jemanden schuldig sprechen zu müssen, der im Grunde nichts dafür kann. Schließlich geht die Schuldfrage in Juror#2 mit der Erkenntnis einher, dass es fast unmöglich scheint, aufgrund eines gesunden, redlichen Gewissens eine eigene begangene Straftat zu vertuschen.

Der mittlerweile recht omnipräsente Nicholas Hoult, gerad mit Nosferatu – Der Untote im Kino und heuer als Lex Luthor im neuen Superman durchstartend, hat gegenwärtig einen sagenhaft guten Karrierelauf. Auch Clint Eastwood wollte ihn für die Rolle des von Skrupeln übermannten Geschworenen, der die Nummer Zwei trägt und welchen während der Verhandlungen zu einem Mordfall, der bereits ein Jahr zurückliegt, langsam aber doch und siedend heiß die Ahnung überfällt, er selbst könnte daran beteiligt gewesen sein. Schließlich war Justin genau an jenem verregneten Abend ebenfalls unterwegs, und bislang schien es noch, er hätte ein Rotwild gerammt. Wahrscheinlich aber ist: Auch Justin könnte das ganze Desaster verursacht haben. Was also tun? Das eigene Familienglück opfern und sich stellen? So tun als wäre nichts? Oder zumindest alles daransetzen, den Angeklagten nicht schuldig zu sprechen? Dafür braucht es aber die Überredungskunst für fast den ganzen Rest des Dutzends Geschworener, die überzeugt davon sind, der Rowdy mit den Tattoos hat die Tat vorsätzlich begangen.

Eastwood muss wohl Zeit seines Lebens Fan von Reginald Roses Fernsehspiel Die 12 Geschworenen gewesen sein, der von Sidney Lumet mit Henry Fonda in der Hauptrolle verfilmt wurde. Juror #2 fühlt sich ganz ähnlich an, nur ergänzt der Film das saubere Gerichtsdrama um die sozialphilosophische Ebene des schlechten Gewissens und dem Willen, gerecht zu handeln. Dieser Humanismus beschert dem Drama zwar keine Alleinstellungsmerkmale, macht den Plot aber insofern interessanter, da man neugierig genug bleibt, um dem Lösen des moralischen Knotens unbedingt beizuwohnen. Hoult macht seine Sache gut, man sieht ihm an, wie sehr er damit ringt, das Geheimnis für sich zu behalten oder sich selbst von dieser möglichen Schuld zu befreien. Doch auch er stößt an die Grenzen eines behäbigen Drehbuchs, das keine Eile dabei hat, und auch nicht die Ambition, aus dem Gerichtssaaldrama einen hakenschlagenden Thriller zu kreieren. Juror #2 bleibt ein solide abgefilmtes Drama voller klassischer Figurenstereotype – Toni Colette zum Beispiel oder J. K. Simmons bleiben undankbar schablonenhaft. Auch lässt sich nicht erklären, wie die mangelnde Beweislast den Angeklagten so sehr in die Bredouille bringt, ist doch alles nur ein Indizienprozess. Eastwood und Drehbuchautor Jonathan Abrams kümmern sich kaum um die Details dieses Falls, auch fragt man sich während des Lokalaugenscheins am Tatort, wie sich statt eines vorsätzlichen Mordes ein Autounfall vereinbaren lassen könnte. Man tut sich schwer, den Tathergang vor Augen zu führen. Die wahre Auflösung der Szene lässt man außen vor, viel wichtiger ist die Möglichkeit einer Schuld, der psychologische Aspekt, der dann aber doch in diesem Film zu kurz kommt.

Von atemberaubender Gerichtssaalspannung, wie es das Genre in den 80ern und Neunzigern immer wieder mal zusammenbrachte, kann in Juror#2 kaum die Rede sein, dennoch verliert man nicht das Interesse. Das Warten auf den Twist wird allerdings nicht belohnt – Eastwood lässt sein Dilemma ins Leere laufen.

Juror #2 (2024)

Red One – Alarmstufe Weihnachten (2024)

WORKFLOW AM NORDPOL

5,5/10


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LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: JAKE KASDAN

DREHBUCH: CHRIS MORGAN

CAST: DWAYNE JOHNSON, CHRIS EVANS, LUCY LIU, J. K. SIMMONS, BONNIE HUNT, KIERNAN SHIPKA, KRISTOFER HIVJU, NICK KROLL, MARY ELIZABETH ELLIS U. A.

LÄNGE: 2 STD 4 MIN


So hat man den Weihnachtsmann noch nie gesehen. Weder verbirgt ein Doppelkinn den Hals eines beleibten Fatman namens Tim Allen, der notgedrungen den Job von Santa Clause übernehmen muss, noch ist dieser Geschenkebringer ein keulenschwingender Brutalo wie in Violent Night, noch so zuckersüß wie Richard Attenborough in Das Wunder von Manhattan. Dieser rotgekleidete Geselle hier hat ordentlich Muckis und dementsprechend Kraft in den Ärmeln, und einen Stoffwechsel, der tonnenweise Kekse und literweise Milch auf effizienteste Weise in verbrauchte Energie umwandelt. In Red One – Alarmstufe Weihnachten ist J. K. Simmons (Oscar für Whiplash) ein Santa Claus, wie er nicht im Buche steht: Kernig, lakonisch, vernünftig. Ein friedfertiger kluger Kopf, fast schon weise, nachdenklich, und niemals zu Gewalttaten fähig. In diesem Terrain macht Dwayne Johnson als des Weihnachtsmannes Leibgarde seinen Job. Der sympathische Schrank von einem Mann steht in den Kaufhäusern dieser Welt an der Seite des netten Onkels vom Nordpol, um Störenfriede vor die Tür zu komplimentieren. Es ist viel zu tun in der Vorweihnachtszeit, dank eines ausgeklügelten Portalnetzes und anderen Raffinessen, die überhaupt und erstmalig erklären, wie das mit dem Kamin, den Geschenken und dem burnoutbeschwörenden Überall-Gleichzeitig-Sein funktioniert, lässt sich, wenn alle anpacken, das Weihnachtswunder auf den Punkt genau perfektionieren.

Doch leider gibt es Neider wie die Weihnachtshexe Grýla, gegen die der Grinch wie der Botschafter des Weihnachtsfriedens wirkt. Diese will die schönste Zeit im Jahr gar nicht erst geschehen lassen, also lässt sie Red One kurzerhand verschwinden. Das geschieht dank des Hackers O’Malley, gespielt von „Captain America“ Chris Evans, der gar nicht weiß, wozu er wem verholfen hat. Johnson kommt ihm alsbald auf die Schliche, gemeinsam haben sie nur wenig Zeit, den reibungslosen Ablauf des Festes der Liebe wieder zu gewährleisten.

Quer durch den mythologischen Garten geht die Reise. Dabei begegnen die beiden martialischen Schneemännern und in deutschen Landen dem Krampus höchstpersönlich, der diesmal so aussieht wie aus den alten Büchern. Jake Kasdan, verantwortlich für die geglückte Neuauflage des Jumanji-Franchise 2017 und 2019, lässt Autor Chris Morgan, der wiederum in der Welt von Fast and Furious zuhause ist, ein Agenten- und Geheimdienst-Abenteuer mit dem Faktor des Phantastischen erfinden. Viel CGI und aalglatte Action, die man nicht wirklich spürt, bringen so allerlei Versatzstücke aus Action- und Weihnachtsfilm zusammen, so, als bekäme man tellerweise Weihnachtskekse gereicht, die den Sodbrand fördern. Zuckerwatte gibt’s obendrein, alles ist schön bunt, alles ganz solide. Und nichts bleibt wirklich prägend in Erinnerung. Red One – Alarmstufe Weihnachten ist ein generischer Mix ohne prägnantem Stil. Ganz nett anzusehen, zum Zerstreuen vor und nach den Feiertagen vielleicht ganz gut geeignet, in Stimmung lässt sich damit auch ganz gut kommen, sofern triefender Last Christmas-Kitsch niemanden abholen kann. Überdies, wenn man alle Klassiker des saisonalen Genres schon durch hat, können Vibes wie diese durchaus willkommen sein, auch wenn sie wenig Schwung in die Bude bringen.

Als nobler Neuansatz bleibt letztlich nur J. K Simmons bestehen. Mit ihm wird die Botschaft des ewigen Kindes in uns Erwachsenen zur treibenden Kraft dieses Mysteriums, das wir jährlich so gerne zelebrieren. Der Glauben an das Gute ist dem, der sich als Nikolaus von Smyrna outet, auf glaubwürdige Weise inhärent.

Red One – Alarmstufe Weihnachten (2024)

Der Herr der Ringe: Die Schlacht der Rohirrim (2024)

IM PULSSCHLAG VON TOLKIENS WELT

8/10


schlachtderrohirrim© 2024 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA, JAPAN 2024

REGIE: KENJI KAMIYAMA

DREHBUCH: PHOEBE GITTINS, ARTY PAPAGEORGIOU, JEFFREY ADDISS, WILL MATTHEWS, BASIEREND AUF DEM ROMAN VON J. R. R. TOLKIEN

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): BRIAN COX, GAIA WISE, LUKE PASQUALINO, MIRANDA OTTO, LAURENCE UBONG WILLIAMS, LORRAINE ASHBOURNE, SHAUN DOOLEY, BILLY BOYD, DOMINIC MONAGHAN U. A.

LÄNGE: 2 STD 14 MIN


Ich muss gestehen: Die Kunstform des japanischen Anime-Films und ich haben so unsere Annäherungsprobleme, obzwar ich mit so manchem aus dem Kinderprogramm der Achtziger aufgewachsen bin: Biene Maja, Heidi, Perrine, Niklas – alles Produktionen unter anderem aus den Studios der Nippon Animation, bis auf Heidi, die gehörte Zuiyo Enterprise. Hinterfragt haben wir die Darstellung der Figuren und den Zeichenstil damals natürlich nicht, die großen Münder, die großen Augen, das war alles selbstverständlich, obgleich etwas befremdend im Gegensatz zu anderen Animationsserien, die das nicht ganz so hatten. Den Stil des Anime muss man mögen – oder auch nicht. Franchises wie One Piece oder Dragon Ball können mich nicht abholen, die ganzen Klassiker, von Chihiros Reise ins Zauberland über Mein Nachbar Totoro bis hin zu Akira – sie alle stünden noch auf meiner Watchlist, würde ich es in Betracht ziehen, mich mit diesem Genres trotz meiner Verschnupftheit gegenüber seiner Machart auseinanderzusetzen. Vielleicht muss man andere Franchises bedienen, die Fans ganz anderer Welten längst liebgewonnen haben. Wie wärs mit Star Wars? Da gibt es die Anthologieserie Star Wars Visions auf Disney+. Zahlreiche Künstler des Anime haben dort Versatzstücke der weit entfernten Galaxis neu- und nachinterpretiert. Ein Experiment, das nur bedingt aufgeht. Anders verhält es sich da schon mit Mittelerde und allem, was vor, nach und während der Ringkriege so passiert sein mag.

Den Versuch wagt diesmal Kenji Kamiyama, der bei Star Wars Visions mit seiner Episode The Ninth Jedi bereits vertreten war. Und verarbeitet eine Erwähnung aus den Anhängen der Herr der Ringe-Romane von J. R. R. Tolkien zu einem schicksalhaften Epos rund um die Völker von Rohan, angesiedelt ungefähr zweihundertfünfzig Jahre vor der Sache mit dem einen Ring, und eingebettet in die für Kenner und Fans bereits vertraute, wohlbekannte und griffige alte neue Welt der weiten Täler, Grassteppen und unwirtlichen Gebirgszüge, in deren zerklüfteten Flanken sich so manche aus Menschenhand erbaute Burg aus den Schatten quält. Eine davon ist uns wohlbekannt. Damals nannte man sie Hornburg, nach den heldenhaften Taten eines Königs namens Helm Hammerhand treffend Helms Klamm getauft. Eine Festung sondergleichen, eine unbezwingbare letzte Bastion, aus der es, wird sie mal belagert, kaum ein Entkommen gibt. In Der Herr der Ringe – Die zwei Türme grölte vor den Mauern die unzählbare Meute blutdürstender Orks unter der Führung des sinistren Zauberers Saruman (der auch hier einen kleinen Cameo-Auftritt absolviert – mit der Stimme Christophers Lees). Jahrhunderte früher war es eine Handvoll Dunländer, die sich die Kampfeslust der Bergvölker zu eigen machen, um sich die Herrschaft der Provinz Edoras unter den Nagel zu reissen. Heerführer Wulff, emotional geblendet, rachelüstern und beleidigt wie ein kleines Kind, will Helm Hammerhand, der seinen Vater auf dem Gewissen hat, samt seiner Sippschaft vom Boden Mittelerdes tilgen. Hammerhands Tochter, die rothaarige und pferdeliebhabende Héra, hat Wulff einst den Laufpass gegeben, umso mehr wuchert die Kränkung in des Gegners einfachem Gemüt. Es kommt, wie es kommen muss, die Schlacht der Rohirrim wird in diesem Anime-Abenteuer ausgetragen werden, bildet aber nicht den Höhepunkt des Films, sondern darf vielmehr als Rad des Schicksals die Parameter neu verteilen.

Mit viel Gespür für die Seele von Tolkiens Welt und einer Lust am Erzählen von Märchen und Legenden, als würde man als Hobbit am Lagerfeuer irgendwo in den Wäldern des Auenlandes sitzen und erfahrenen Reisenden bei ihren genüsslichen Vorträgen an den Lippen hängen, so wirkt Der Her der Ringe: Die Schlacht de Rohirrim auch auf mich. Anders als die von den amazon studios ins Leben gerufene Serie beweist der Stoff, aus dem die epische Fantasy erstanden sein mag, das Zeug dazu, auf der großen Leinwand viel besser zu funktionieren als auf dem Abspielgerät des Streamers. Der Herr der Ringe gehört ins Kino, Der Herr der Ringe funktioniert nur dann, wenn die Geschichte den Mut hat, weitestgehend stringent erzählt, anstatt andauernd von Nebengeschichten zerrissen zu werden. Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht leidet darunter, zu viele Schauplätze auf einmal zu bespielen. So funktioniert das Erzählen von Legenden nun mal nicht. Wenn es hochkommt, können zwei Erzählstränge parallel laufen, um einander zu ergänzen. Frodos Odyssee zum Schicksalsberg auf der einen, die Abenteuer der übrigen Gefährten auf der anderen Seite. Die Schlacht der Rohirrim besinnt sich auf den Erzählstil von Mittelerde und macht somit alles richtig. Schafft dadurch auch Atmosphäre und elegantes Pathos, vermengt sein großes Drama mit Howard Shores Gänsehaut-Klängen und nachhaltigen Wendungen, die diesem Teil Mittelerdes eine glamouröse Bedeutung verleihen, die wiederum in den späteren Filmen ihren Widerhall findet.

Meine vom Fotorealismus verwöhnten Augen gewöhnen sich überraschend schnell an den Stil des Anime. Siehe da, die reduzierte Mimik der Gesichter schafft Spielraum für die eigene Imagination der Heldinnen und Helden, die Geschichte ist der Optik untergeordnet und kann sich entfalten. Kamiyamas Film gerät dadurch zum leidenschaftlichen Herrscherinnendrama und legt den Grundstein für so starke Figuren wie Thronerbin Éowyn, die im Grande Finale der Ringe-Trilogie dem Hexenmeister den Feminismus erklärt. In einem Guss erzählt und eingebettet in das große Mysterium der Kerngeschichte des dritten Zeitalters, spürt das Franchise endlich wieder den Pulsschlag von Tolkiens Welt.

Der Herr der Ringe: Die Schlacht der Rohirrim (2024)