Tótem (2023)

DER TROST VON TIEREN

7/10


totem© 2023 Limerencia Films


LAND / JAHR: MEXIKO, DÄNEMARK, FRANKREICH 2023

REGIE / DREHBUCH: LILA AVILÉS

CAST: NAÍMA SENTÍES, MONTSERRAT MARAÑÓN, MARISOL GASÉ, SAORI GURZA, TERESITA SÁNCHEZ, MATEO GARCIA ELIZONDO, JUAN FRANCISCO MALDONADO, IAZUA LARIOS, ALBERTO AMADOR U. A.

LÄNGE: 1 STD 35 MIN


Geburt und Tod – die beiden Eckpfeiler unserer Existenz, die unverrückbar Anfang und Ende unseres Zeitstrahls markieren, dazwischen kann sich jede Menge abspielen, von Glückseligkeit über Erfolg, von der Niederlage bis hin zur Tragödie. Von Gesundheit über Krankheit zur Genesung. Diese beiden Eckpfeiler bringt die mexikanische Autorenfilmerin Lila Avilés zusammen. Es ist, als würde sie den Raum krümmen, um die beiden auseinanderklaffenden Ereignisse näher zusammenzubringen und sie zu verschmelzen zu einer Medaille mit naturgemäß zwei Seiten. Das bekommt man hin, wenn der Geburtstag eines todkranken Menschen ins Haus steht. Von einem, dessen Tod am Horizont bereits zu sehen ist, der aber anhand eines Festes daran erinnert werden soll, als jemand geboren worden zu sein, der niemandem egal war. Es ist Tona (Mateo García Elizondo), Künstler und Vater des siebenjährigen Mädchens Sol (Naíma Senties) – wie die Sonne. An diesem einen Tag, auf den Avilés Film seine Kamera richtet, wird so Einiges passieren, doch nichts davon ist für sich alleine dramatisch genug, um daraus eine eigene Geschichte zu erzählen.

Tótem beginnt, als Sol zu ihren Tanten gebracht wird. Die wohnen mitsamt dem alten Vater und eben dem kranken Tona in einer stattlichen Hazienda mit vielen Räumen, jeder davon birgt eigene Episoden der Vorbereitung auf ein großes Fest, an dem alle zusammenkommen sollen – Familie, Freunde, einfach alle, die den Lebensweg Tonas begleitet haben. Sol ist von Anfang an irgendwie fehl am Platz. Sie ist zwar Teil der Familie, hält aber Distanz zu allen anderen. Der, zudem sie will, nämlich zu ihrem Vater, bleibt unerreichbar. Starke Schmerzen erleidend, muss dieser sich auf seinen letzten Auftritt vorbereiten, mithilfe einer sich aufopfernden Pflegerin namens Cruz, die als einzige eine gewisse Nähe zu Sol aufbauen kann, die wiederum lieber mit den Tieren interagiert, die sich im Garten versteckt halten. Diese anderen Lebewesen, die haben für das Mädchen eine besondere Bedeutung. Vielleicht jene eines Tótems – eines Wesens, das in seiner Art und Weise einzelne Personen oder die ganze Sippe symbolisiert.

Viel mehr Handlung gibt es kaum in diesem innigen Portrait einer aus dem Häuschen befindlichen Familie, einer fast unzählbaren Gruppe an Kindern und Erwachsenen, die jede und jeder für sich sowohl in heller Aufregung vor dem kommenden Fest in ihrer Geschäftigkeit sich selbst überholen oder nicht wissen, wohin. Und dann das unterschwellige Gefühl des Abschieds. Was also soll gefeiert werden? Das Leben oder der Tod? Oder ist nicht beides ein und dasselbe? Freude und Trauer, Lachen und Weinen, Haare färben, Duschen, Kuchen backen. Dazwischen der Auftritt eines Mediums, welches das Haus von bösen Geistern befreien soll. Irgendwo am Rande Sol, die sich ein Fort aus Kissen baut. Die nur auf ihren Vater wartet, einen Goldfisch geschenkt bekommt und letztlich in die Flammen der Kerzen auf der Geburtstagstorte starrt – vielleicht, um die Sphäre des Diesseits mit ihren Blicken zu durchdringen.

Was Avilés in ihrem Ensemblefilm so übermäßig gut gelingt, ist, ein aus vielen kleinen, alltäglichen Miniaturen ein vollständiges Puzzle zu legen. Anfangs fällt es einem selbst schwer, sich in dieses quirlige Chaos an Planen, Vorbereiten und Durchführen irgendwie zurechtzufinden. Man fühlt sich wie Sol, man geistert durch eine hektische Betriebsamkeit, ohne Halt zu finden. Avilés Werk ist somit ein Film, durch den man sich treiben lassen muss – und beobachten. Die Puzzleteile werden mehr, bald lernt man all die Verwandten kennen, und anhand ihrer kleinen Szenen aus Charakterstudie, Verhaltensmuster und sozialer Interaktion entsteht tatsächlich sowas wie Vertrautheit, die sich immer mehr steigert, als wäre man schlussendlich selbst Teil dieser Familie, die einem so seltsam bekannt vorkommt. Es liegt an der Natürlichkeit in diesen Szenen, an diesem fast intuitiven, vielleicht gar improvisierten Spiel, das fast den Charakter eines Stegreifstücks hat, denn nichts davon wirkt einstudiert und scheint nur aus einer spontanen, einmaligen Empfindung heraus entstanden zu sein. Das macht Tótem so lebendig, niemals langweilig, geradezu saukomisch und in seinen stillen Momenten metaphysisch genug, um die Hoffnung auf mehr als nur dieses Leben wie die Kerzen auf der Torte am Brennen zu halten.

Tótem (2023)

BlackBerry (2023)

GAME OF PHONES

7/10


blackberry© 2023 Paramount Pictures Germany


LAND / JAHR: KANADA 2023

REGIE: MATT JOHNSON

DREHBUCH: MATT JOHNSON, MATTHEW MILLER, NACH DEM SACHBUCH VON JACQUIE MCNISH & SEAN SILCOFF

CAST: JAY BARUCHEL, GLENN HOWERTON, MATT JOHNSON, CARY ELWES, SAUL RUBINEK, MICHAEL IRONSIDE, RICH SOMMER, SUNGWON CHO, MICHELLE GIROUX, MARK CRITCH U. A.

LÄNGE: 2 STD 1 MIN


Ein Brombeerfleck in Brusthöhe auf dem weißen Hemd, welches Mike Lazaridis während der Erstpräsentation zu seinem elektronischen Alleskönner getragen haben soll, dürfte der Grund dafür gewesen sein, warum das BlackBerry eben so hieß, wie es hieß. Und ich dekliniere bewusst in der Vergangenheit, denn das Ur-Smartphone aus den Neunzigern gibt es nicht mehr. Apple und Samsung haben es, wie Homo sapiens den Neandertaler, von der Bildfläche verdrängt. Irgendwann und irgendwo hat da wer seine Hausaufgaben nicht gemacht. Oder radikal verabsäumt, entsprechend vorauszublicken. Die Signale wären vermutlich erkennbar gewesen, der technologische Traum vom tastenlosen Wisch-Handy längst bereit, realisiert zu werden. Dabei war der Aufstieg der Firma Research in Motion ein Prozess wie aus dem Lehrbuch. Mit anderen Worten: Wie werde ich, als marginale Note in der Firmenwelt, zum expandierenden Ungeheuer?

Diesem erschreckend früh ergrauten Mike Lazaridis, mittlerweile Kanzler der Universität von Waterloo, USA, blieb damals gar nichts anderes übrig, als einen Pakt mit dem Leibhaftigen einzugehen. Mit jemandem, der schon von Beginn an als hartgesottener Über-Leichen-Geher die Bühne des Business dominiert hat: Jim Balsillie. Als vom letzten Unternehmen geschasster, chauvinistischer Hardliner und Unsympathen kann er allerdings den Willen zum Erfolg in den Augen eines Haufen Nerds ablesen – und nutzt diese Bereitschaft auch, um sich in ein gemachtes Nest zu setzen. Eines, in dem bereits ein dickes, fettes Ei liegt. Aus diesem soll ein kleines, elektronisches Wunderding schlüpfen, besser bekannt als eierlegende Wollmilchsau. Nicht nur ein Pager soll es sein – nein. Ein Telefon, verbunden mit dem Internet, mit E-Mail-Funktion, Browser und was weiß ich noch allem. Im Grunde mit allen Gadgets, die wir gegenwärtig an unserem kleinen süchtig machenden Smartphone so sehr lieben. Nur das mit dem BlackBerry, das war einige Zeit früher. Da waren Tasten noch Tasten, bevor Steve Jobs kam und die Welt veränderte.

Matt Johnsons Film, basierend auf dem journalistischen Sachbuch von Jacquie McNish und Sean Silcoff, hatte seine Premiere bei der diesjährigen Berlinale und fand auch seinen Platz im Programm der Viennale. Er ist eine dieser True Story-Businesskomödien, die hinter trockenen Analysen des Marktwertes und Überstunden-Marketing schier unglaubliche Geschichten hervorholen. Absolutes Highlight dieses Subgenres war bislang Tetris – mehr als nur eine Produkt-Genese, fast schon ein Spionagethriller. Air, die launige Komödie über Nikes Wunderschuh, war mit Ben Affleck und Matt Damon so richtig gut besetzt. Und nun das: BlackBerry mit Jay Baruchel in seiner bislang gewichtigsten Rolle und einem Schauspielpartner an seiner Seite, der das Unikum eines cholerischen Großkotz-CEOs mit Liebe zum Detail verkörpert. Ähnlich wie Christoph Maria Herbst als Stromberg, nur ohne polemischen Humor, dafür herablassend genug, um als Schrecken eines Wirtschaftswunders durchzugehen. Ein Oscar für Glenn Howerton wäre somit überlegenswert. Der harte und der Zarte ackern sich also durch eine Erfolgsstory, die irgendwann ihren Peak erreicht haben wird. Bei so viel Licht fällt bald der erste Schatten.

Es ist faszinierend, wie die Mechanismen eines Unternehmens funktionieren und auch wieder nicht. Was für Opfer gebracht werden müssen, um den Kopf über Wasser halten zu können. Matt Johnson, der den Popkultur-Idealisten Doug, gleichsam den besten Freund von Mike Lazaridis, gibt, liefert das verständlich formulierte Paradebeispiel eines Prozesses ab, ähnlich dem Lebenszyklus eines Schmetterlings (ich will nicht sagen Eintagsfliege). Von der Idee über die Umsetzung bis zum Verrat an den eigenen Idealen: Es ist alles drin. Alle Elemente, die freigesetzt werden, wenn das kleine Universum einer Firma expandiert, die fokussiert auf ein Produkt setzt. Ein Periodensystem, entstanden aus einer Chronik über Aufstieg und Zerfall. Wie diese Substanzen miteinander reagieren, das ist fast so was wie Wirtschafts-Chemie.

BlackBerry (2023)

The Quiet Girl (2022)

DAS WUNDER DER WERTSCHÄTZUNG

7,5/10


thequietgirl© 2023 Neue Visionen


ORIGINAL: AN CAILIN CIÚIN

LAND / JAHR: IRLAND 2022

REGIE / DREHBUCH: COLM BAIRÉAD

CAST: CATHERINE CLINCH, CARRIE CROWLEY, ANDREW BENNETT, MICHAEL PATRIC, KATE NIC CHONAONAIGH U. A.

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


Wie heisst es so schön? Durchs Reden kommen die Leute zusammen. Eigentlich gar nicht wahr. Sie mögen zwar miteinander interagieren, diese Leute, doch Nähe entsteht dadurch keine. Reden kann man viel, wenn der Tag lang ist. Man kann ihn auffüllen mit hohlen Phrasen und jeder Menge Smalltalk, die im Grunde zu nichts führt. Das wirklich Wichtige lässt sich zwischen den Wörtern verorten; es sind Gesten, Blicke und Berührungen. Aufmerksamkeiten und Signale, die das Gegenüber wissen lassen: es wird wertgeschätzt. Im Leben der jungen Cáit ist Wertschätzung etwas, dass sich ihre Familie nicht leisten kann – oder will. Cáits Eltern führen mehr schlecht als Recht einen Hof, hinten und vorne fehlt das Geld und das sechste Kind wird in Kürze das Licht der Welt erblicken. Es herrscht ein gehetzter, entnervter Dauerzustand, vor allem von Seiten der Mutter – und der Vater ertränkt seine Gefühle lieber im Alkohol. Um dem Ganzen ein bisschen den Druck zu nehmen, wird das neunjährige Mädchen zur Cousine an die irische Küste gebracht – diese lebt mit ihrem Mann in scheinbar harmonischer Abgeschiedenheit zwischen Sandstrand, Wald und Feld. Die Kühe geben Milch, die Quelle klares Wasser. Cáit eröffnen sich Welten, die sie zuvor nicht gekannt hat: Zuneigung, Liebenswürdigkeit und Aufmerksamkeit, zumindest von Seiten Eibhlíns, die ihrer entfernten Verwandten mit unbändiger Gastfreundschaft begegnet. Sie merkt, dass mit Cáit etwas nicht stimmt. Sie will ihr Bestes tun, um der Kleinen einen glücklichen Sommer zu bescheren.

So steht die junge Catherine Clinch in ihrer ersten Filmrolle wie Alice im Wunderland vor dem Kaninchenbau, als sie aus dem Auto ihres Vaters steigt. Schmutzig und leicht verwahrlost, wortlos und verschreckt. Doch das, was ihr widerfährt, ist die Möglichkeit, Vertrauen zu entwickeln, Nähe anzunehmen und endlich gesehen zu werden. Als unsichtbares Mädchen, von kaum jemanden beachtet, scheint Cáits Persönlichkeit am Anfang des Films regelrecht zu verblassen. Und dann geschieht das Wunder. Das Wunder der Wertschätzung. Das Wunder, anderen einfach Gutes zu tun. Filmemacher Colm Bairéad, der mit The Quiet Girl nicht nur sein Spielfilmdebüt hingelegt, sondern auch bei den Oscars für Aufsehen gesorgt hat, gelingt es, sich eineinhalb Stunden lang und mit hypnotischer Wirkung auf das Wesentliche zu konzentrieren. Keine Floskeln, keine Phrasen, keine Worthülsen, nirgendwo auch nur der geringste Overflow. Seine Arbeit ist fokussiert, zurückhaltend und entschleunigt. Doch weder elegisch noch auf sinnierende Weise entrückt. The Quiet Girl steht mit beiden Beinen am Boden, doch stampft es nicht auf. Der Film zentriert sich in seiner Gegenwart, fängt die junge Cáit nicht auf beobachtende, geschweige denn voyeuristische Art ein, sondern lässt es zu, dass sich diese dem Auge der Kamera von selbst nähert. Es ist diese erfrischende Bereitschaft, wahrgenommen werden zu wollen. Und da ist sie. In ihrer ganzen Persönlichkeit, in ihrer ganzen Sehnsucht und ihrem Mut, Nähe zuzulassen. Spätestens wenn der von Andrew Bennett dargestellte Seán als Vaterfigur für den Sommer mit Cáit langsam, aber doch, eine für beide Seiten bereichernde Basis der Koexistenz findet, wird deutlich, worauf es im Leben wirklich ankommt.

Und wenn dann doch gesprochen wird, dann erklingt schönstes Gälisch, von dem man kein Wort versteht, die Sprache aber wesentlich dazu beiträgt, den Film auch in seiner Zeit und seinem Ort zu verankern. Sprache ist hier Poesie, die einen ungeschmückten, aber nicht schmucklosen Film auf nuancierte Weise veredelt. Der Klang ist eine Sache, die Details, die Bairéad für wichtig erachtet – Cáits Schuhe, am Tisch ein Keks, die schillernde Oberfläche des Wassers – das visuelle Vokabular eines intimen, schnörkellosen Portraits einer Gemeinschaft auf Zeit, in der Geben und Nehmen im intuitiven Einklang geschieht. Es sind keine tragischen Ereignisse, wilden Begebenheiten und spannenden Wendungen, zu denen sich The Quiet Girl hinreißen lässt. Es ist die zum Durchatmen einladende, angenehm entreizte Tiefe, in die der Film vordringt, als würde man, um sich von Last und Kummer zu befreien, den Kopf mal tief ins kühle, stille Wasser eines kleinen Waldsees tauchen.

The Quiet Girl (2022)

The Holdovers (2023)

EIN WEIHNACHTSFILM FÜRS GANZE JAHR

9/10


holdovers© 2023 Focus Features LLC. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: ALEXANDER PAYNE

DREHBUCH: DAVID HEMINGSON

CAST: PAUL GIAMATTI, DOMINIC SESSA, DA’VINE JOY RANDOLPH, CARRIE PRESTON, BRADY HEPNER, IAN DOLLEY, JIM KAPLAN, ANDREW GARMAN, STEPHEN THORNE U. A.

LÄNGE: 2 STD 13 MIN


Er ist die Antithese zu Robin Williams im uns allen bekannten Club der toten Dichter. Er ist zwar nicht ganz so ein militanter Glamour-Misanthrop wie seinerzeit Jack Nicholson in Besser geht’s nicht, doch mit seinem despektierlichen Zynismus gegenüber seinen Schülern hält er nicht hinterm Pult. Kann sein, dass auch der Direktor der sogenannten Benton-High School aus seiner Sicht nicht gut wegkommt, denn der ist schließlich der größte Arsch. Das wusste er bereits, als dieser noch unter seinen Fittichen weilte. Dieser Jemand ist Paul Hunham, ein Underdog und leidenschaftlicher Geschichte-Nerd unter dem Herrn, mit Traumziel Karthago und schließlich die gesamte antike Welt. Hunham schielt, trägt vorgestrige Kleidung, rezitiert alte Lateiner und motzt herum, wo es nur geht. Verständnis hat er immerhin für Schulköchin Mary, die ihren Sohn in Vietnam verlor. The Holdovers spielt in den Siebzigerjahren, das Weihnachtsfest steht vor der Tür, in Neuengland ist alles tief verschneit, wie es sich eben gehört für einen Weihnachtsfilm, der bei genauerer Betrachtung eigentlich keiner ist. Der zwar die für manche schönste Zeit des Jahres als Katalysator für Emotionen nutzt, der aber weit mehr zu sagen hat als nur, sich unterm Christbaum die Hände zu reichen.

The Holdovers sind jene, die übrigbleiben. Der Rest der ganzen Schule macht Ferien irgendwo bei den Familien und Freunden, nur nicht am Campus. Dort hat Paul nun seine Daseins- und Aufsichtspflicht zu erfüllen, gemeinsam mit Mary, die eigentlich wegkönnte, es aber nicht will, da sie ihren Sohn zum letzten Mal hier gesehen hat. Auch einige Schüler haben den Kürzeren gezogen, darunter der 15jährige Angus, der ebenso wie Paul auf niemanden wirklich gut zu sprechen ist und feststellen muss, dass dessen Mama viel lieber mit der Familie ihres Neuen herumhängen will als mit dem Sohnemann. Letztendlich sitzen die drei am Abstellgleis, so, als würden sie nachsitzen. Ein Breakfast-Club der besonderen Art, zwei Wochen zusammen, zwei Wochen Konflikte und das Aneinanderreiben sturer Persönlichkeiten mit dem Potenzial für große Eskalationen. Alexander Payne, bekannt für sein ausgesprochen fein justiertes Radar, was zwischenmenschliche Bockigkeiten betrifft (u. a. About Schmidt, The Descendants oder Nebraska) bringt ein begnadetes Ensemble zusammen, das mindestens so gut ist wie Nicholson und Helen Hunt, oder eben Judd Nelson, Molly Ringwald und Emilio Estevez. Diese drei, die da notgedrungen auf einer einsamen Insel inmitten unwirtlicher Feiertagslaune gefangen sind, müssen nicht zwingend einen Seelenstriptease hinlegen, das wäre zu offensichtlich und auch zu gewollt. Sie bleiben schließlich, was sie sind, und ändern sich nicht. Entdecken aber Verschüttetes in ihnen selbst, das an die Oberfläche kommen will. Und da gelingt Paul Giamatti wohl die Charakterisierung eines Mannes, den man einerseits so kurios findet wie einen Paradekomiker, der schimpft wie ein Rohrspatz und die Wortpeitsche schwingt, den man aber trotz seinen strengen Fischgeruchs (wie manche sagen) unbedingt in die Arme nehmen will. Giamatti verkörpert die Tragikomik so nuanciert und mit Bravour, dass man diesen Menschen am Ende gar nicht mehr seiner Wege ziehen lassen will. Dieser Paul Hunham, den schließt man ins Herz. Und ebenso Mary. Ihre traurige Lethargie, ihr kaum unterdrückbarer mütterlicher Instinkt und permanentes Understatement bietet unabsichtliche Geborgenheit für Giamattis Ego – und nicht zuletzt der bockige Teenie (der viel älter aussieht, als er sein sollte, aber dass ist egal) wird zum liebgewonnenen Schützling wider Willen.

Hier passiert Menschlichkeit und Wärme wie die chemische Reaktion auf natürliche Umstände. The Holdovers ist ein Herzwärmer für alle Tage, vor allem einer für die kalten. Und die Kälte mag da nicht nur wetterbedingt sein. Soziale Interaktion, Zuhören und gegenseitige Verantwortung können leicht zum pathetischen Lehrstück werden – bei Alexander Payne jedoch ist das niemals der Fall. Wo Scham das Annähern vielleicht ausbremst, sind gerade der Trotz, das Selbstmitleid und die Kampfeslust gegenüber einem ignoranten sozialen Umfeld genau das Richtige, um über den eigenen Schatten zu springen. Das ist menschliche Höchstleistung, in einem Film, der als wohltuendes Meisterwerk zu bezeichnen ist. Seit Green Book gab’s sowas nicht mehr.

The Holdovers (2023)

Club Zero (2023)

NEIN, MEINE SUPPE ESS‘ ICH NICHT!

5/10


clubzero2© 2023 Coop99


LAND / JAHR: ÖSTERREICH, VEREINIGTES KÖNIGREICH, DEUTSCHLAND, FRANKREICH, DÄNEMARK 2023

REGIE: JESSICA HAUSNER

DREHBUCH: GÉRALDINE BAJARD, JESSICA HAUSNER

CAST: MIA WASIKOWSKA, SIDSE BABETT KNUDSEN, ELSA ZYLBERSTEIN, MATHIEU DEMY, FLORENCE BAKER, KSENIA DEVRIENDT, LUKE BARKER, SAMUEL D. ANDERSON, GWEN CURRANT, AMIR EL-MASRY, AMANDA LAWRENCE, LUKAS TURTUR, CAMILLA RUTHERFORD U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Wohl der einzige Filmemacher, der es wirklich schafft, trotz strenger Formalitäten, übertriebener Bühnenhaftigkeit und einer immensen Affinität für streng komponierte Tableaus seine Geschichten auch aus emotionaler Sicht zum Leben zu erwecken, ist Roy Andersson (meisterhaft: Songs from the Second Floor). Niemand ist vergleichbar mit ihm, nicht mal der bis zum Exzess gehypte andere Andersson, nämlich Wes, der seine Popup-Bühnen gerne bekannten Stars überlässt, die ihm die Tür zum Studio einrennen. Vielleicht ist bei Roy Andersson die Wahl des Mediums als Kurzgeschichte die Besonderheit, auf die es ankommt, um das Publikum auch enstprechend abzuholen. Bei Jessica Hausner, die ähnlich fixe Vorstellungen zu ihren Filmen hat und weit im Vorfeld genau weiß, wie wo wer zu stehen hat und wie wo was zu platzieren ist, überstrahlt die Liebe zum Dekor so gut wie alles. Die Themen sind dabei zweitrangig, in diesem Fall wäre es die dunkle Dimension der Essstörung, des Mitläufertums und des Gruppenzwangs. Ja, vielleicht auch des Glaubens und der damit verbundenen Radikalisierung für eine Sache, die nur dann stellvertretend für den Sinn des Lebens herangezogen werden kann, wenn die manipulative Agenda auseichend greift. Wir sind nicht weit entfernt von Sektentum und religiösem Fanatismus – Mechanismen wie diese, um seine Schäfchen zu rekrutieren, müssen natürlich im Rahmen der schulischen Weiterbildung auch an die zu Lernenden weitergegeben werden, mitunter gerne im Religions- oder Ethikunterricht. Ein Film wie Club Zero könnte dabei helfen. Im Grunde nämlich ist Hausners neues, im Wettbewerb um die Goldene Palme mitgeritterter Film, genau das: Schulfernsehen, leicht verständlich in seiner Grundstruktur, doch erschreckend oberflächlich in seiner Darstellung. Fürs Anschauungsbeispiel reicht’s womöglich. Für einen abendfüllenden Spielfilm, der auf gewisse Weise zum Nachdenken anregen hätte sollen, allerdings nicht.

Dabei hat Jessica Hausner, wie schon bei ihrem Vorgänger Little Joe, auf einen internationalen Star zurückgreifen können – auf Mia Wasikowska, die sich seit Tim Burtons Alice Im Wunderland einer gewissen globalen Bekanntheit erfreuen kann. Wasikowska, mit blonder Mireille Mathieu-Frisur, im monochromen Hosenrock und farblich abgestimmter Bluse, was alles zusammen selbst wie eine Uniform wirkt, schreitet sie hoch erhobenen Hauptes durchs Schulgebäude. Sie ist Ernährungsberaterin, vertreten mit einem Kurs für achtsame Ernährung – was ja prinzipiell nichts Schlechtes ist, ganz im Gegenteil. Doch Miss Nowak – wie sie sich nennt – will natürlich etwas ganz anderes. Wenn man so will, ist sie, nicht näher charakterisiert, der Guru einer nicht näher definierten Sekte, die, auch nicht näher definiert, keinen oder mehrere Anhänger hat, so ganz glauben will man ihr letztendlich keine ihrer Aussagen. Die Mädels und Jungs allerdings, die hängen sofort an ihren Lippen, wollen abnehmen oder Punkte sammeln fürs Stipendium; wollen was Gutes für sich oder die Umwelt tun. Alles sehr ambitioniert, doch Miss Novak treibt es bald zu weit. Denn nicht umsonst heisst dieser Film hier Club Zero. Nichts essen will gelernt sein. Das Licht steht dabei nicht auf der Speisekarte.

Und so lässt Hausner ihr Ensemble übers Set spazieren, setzt es an den Tisch oder huldigt einander im Sitzkreis. Lila Hosen, Kniestrümpfe, gelbe Hemden. Alles sehr ausgesucht, alles inmitten einer nüchternen, skandinavischen Architektur, ins Bild rückt nur, was auch vorher abgesprochen war. Dann allerdings heisst es Action und die Lehrkraft drückt auf die Taste ihrer akustischen Beispielsammlung, analog zum Lehrbuch eines Englischkurses. Die Listening Comprehension beginnt, Wasikowska und Co rezitieren in laienhafter Intonation ihre Skript-Zeilen, dazwischen genügend Zeit, um all die Wörter auch sickern zu lassen, damit der Content nicht verloren geht. Warum tut Hausner das? Warum lässt sie ihr Ensemble auftreten, als wären sie rekrutiert für den öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag im Vormittagsprogramm – befangen, gestelzt und gekünstelt? Die daraus entstandenen Erkenntnisse stürzen durch offene Türen, wirklich weiter kommt man mit dieser Conclusio nicht.

Zugegeben, die von wuchtigen Percussion-Klängen untermalten Szenen haben ihre Unverwechselbarkeit gefunden – einmal hinsehen, und man weiß, es ist Hausner. Doch wie bei Anderson trägt eine übertriebene Künstlichkeit kaum dazu bei, den Figuren Tiefe, der Geschichte Strenge oder der zu vermittelnden Message die nötige Dringlichkeit zu verleihen.

Club Zero (2023)

Monster (2023)

NONKONFORME UNGEHEUER

7,5/10


monster© 2023 Monster Film Committee


ORIGINAL: KAIBUTSU

LAND / JAHR: JAPAN 2023

REGIE: HIROKAZU KORE-EDA

DREHBUCH: YŪJI SAKAMOTO

CAST: SAKURA ANDŌ, EITA NAGAYAMA, SOYA KUROKAWA, HINATA HIIRAGI, HARUKO TANAKA, MITSUKI TKAHATA, AKIHIRO TSUNODA, YŪKO TANAKA, SHIDŌ NAKAMURA U. A.

LÄNGE: 2 STD 5 MIN


Der Mensch ist dem Menschen schutzlos ausgeliefert. Zumindest in seinen ersten Lebensjahren, als Baby, als Kleinkind, und natürlich noch als zur Bildung verpflichteter Schüler. Wehren können sich so junge Menschen wohl kaum, und wenn, dann drohen Sanktionen, die das familiäre Miteinander schwerer machen, als es ohnehin schon ist, wenn die in der Pubertät auftretende soziale Reibung mit den Eltern hinzukommt – der erste Schritt zur Abnabelung, das erste Tasten nach einer Welt der Selbstbestimmung. Dieses Ausgeliefertsein und den Wunsch, die Gunst der Erwachsenen zu erlangen; diese selbstlose, idealistische Liebe, womöglich zum gar nicht mal eigenen Nachwuchs, ist etwas, das Hirokazu Kore-Eda zutiefst beschäftigt – und ihn einfach nicht loslässt. Mit Shoplifters aus dem Jahr 2018 hat das Ganze angefangen. In seinem Gewinner der Goldenen Palme wird das fremde Kind zum Teil einer kurios anmutenden, allerdings ums Überleben kämpfenden Patchworkfamilie, da die eigenen Blutsverwandten längst versagt haben. In Broker, seinem übernächsten Film nach La Verité – Leben und lügen lassen mit Catherine Deneuve und Juliette Binoche (indem es zwar auch um das Ausgeliefertsein in der Kindheit geht, jedoch auf dem indirekten Weg der Rückblenden) sieht sich die Mutter nicht imstande, ihr eigenes Neugeborenes großzuziehen – und macht, mithilfe zweier karitativer „Menschenhändler“, auf Selfmade-Akquisition, wenn es um die Adoption ihres eigenen Kindes geht. Wieder stellt die Biografie eines Lebens den Beginn eines solchen als eine dem Wind und Wetter ausgesetzten Opfergabe dar, als ein Zustand, der Gnade erfordert. Und diese meistens auch genießen darf. Denn Kore-Eda ist kein Schwarzseher, seine Filme haben Herz und Hoffnung.

Auch das allerneueste und eben auf der Viennale exklusiv präsentierte, vielschichtige Jugenddrama Monster will nicht einfach so das Handtuch werfen. Die zum Teil recht verloren scheinenden Figuren in dieser stets neugierigen Komposition aus wechselnden Perspektiven und Wahrheiten haben allesamt die Chance, ihren Standpunkt einem Publikum zu erklären, das lange im Dunklen tappt. In ihrer, dem Film inhärenten Welt ist die Chance dafür eher gering und dringt vielleicht auch nur am Rande eines tobenden Taifuns an das Ohr der anderen, die dann hoffentlich verstehen werden, warum der Lehrer, Mr. Hori (Eita Nagayama), sich irgendwann am Dach des Schulgebäudes wiederfindet, um von dort in den Tod zu springen. Oder warum die Direktorin Fushimi (Yūko Tanaka) von Minatos Schule immer wieder dieselben Stehsätze rezitiert, ohne die Emotionen der anderen zu begreifen. Vielleicht, weil sie selbst zu sehr traumatisiert ist, um die Bedürfnisse, die rings um sie herum nach Verständnis lechzen, wahrzunehmen. Monster – auf japanisch: Kaibutsu – verbindet, wie eben auch in Kore-Edas anderen Filmen – das Hilflose einer Kindheit, die in ihrer Entwicklung keinen Stereotypen folgt, mit dem Ende des Lateins der Erwachsenen und stellt beide auf eine Stufe, bringt beide auf Augenhöhe. Und an den Rand der Verzweiflung. Doch wie gesagt; nur an den Rand.

Im Mittelpunkt dieses manchmal vielleicht zu gewollt ausgestalteten Vexierspiels steht der rätselhafte Junge Minato, aus dessen Verhalten wir allesamt nicht schlau werden. Schon gar nicht dessen alleinerziehende Mutter Saori (Sakura Andō). Fast könnte man meinen, der Junge sei besessen von irgendetwas – einer höheren, vielleicht finsteren Macht. Und langsam, aber doch, wird er zum Ungeheuer. Mit dem Gehirn eines Schweins, welches er, wie er behauptet, selbst besitzt. Auf der anderen Seite steht Eri (Hinata Hiiragi), ein kleiner Sonderling, der in seiner eigenen Welt lebt und stets gut aufgelegt scheint, obwohl er tagtäglich in der Schule gemobbt wird. Sein Vater, ein Trunkenbold, redet ihm schließlich ein, an einer Krankheit zu leiden, deren Symptome sich in seinem seltsamen Verhalten manifestieren. Ausgetrieben muss es ihm werden, so, wie das gespenstische Treiben von Minato – oder die Lust zur Gewalt, die Mr. Hori an den Tag legt. Alle drei sind Monster. Das Monströse auf der anderen Seite – die konformistischen Gepflogenheiten Japans, in welchem die Norm das größte Gut ist, bietet zwar soziale Sicherheit, errichtet allerdings auch eine Mauer der Inakzeptanz allem Unberechenbaren gegenüber. Wie sehr so ein Zustand uneinschätzbar bleibt, ist Sache der Wahrnehmung.

Alle fünf zentralen Protagonisten – die beiden Kinder, die Mutter, der Lehrer und die Direktorin – müssen in diesem Sozialthriller ihr bestes geben, um ihre Sichtweisen zu kombinieren. Und so erhalten nicht nur sie, sondern auch wir als Publikum das Gesamtbild eines längst nicht so spektakulären Ist-Zustandes: Es ist die verzweifelt wirkende Geschichte einer vielleicht jungen Liebe, die als freundschaftliche Zuneigung beginnt – und später zumindest Minato Angst macht, bis dieser genug Mut aufbringt, sich diesem Ausgeliefertsein zu widersetzen. Viel schöner und treffender lässt sich der Heldenmut inmitten eines tosenden Sturmregens gar nicht darstellen. Unweigerlich erinnert Monster an Lukas Dhonts letztjähriger Filmtragödie Close. Auch hier: zwei Freunde, die in ihrer bereichernden Zweisamkeit mehr füreinander empfinden – und der Angst vor dem Unbekannten, die diese Liebe mit sich bringt, unterliegen. Kore-Eda spinnt diese Situation einen Schritt weiter, in eine weniger radikale Richtung. Er, der die japanische Etikette hinterfragt, will die Gunst für ein Leben nicht anderen überlassen, will dem Sturm nicht alles, was sich schutzlos draußen befindet, ausliefern. Selbstbestimmung, Individualität und die Identifikation mit den eigenen Wünschen sind wie vermeintlich tief vergrabene Schätze, die vielleicht schon im Innern eines alten Waggons gehoben werden können. Diese rauszubringen ans Licht des Tages ist eine Challenge, die Kore-Edas Film womöglich zu seinem bisher besten macht.

Monster (2023)

Explanation for Everything (2023)

DIE STUNDEN DES PATRIOTEN

7,5/10


explanationforeverything© 2023 Stadtkino Filmverleih


LAND / JAHR: UNGARN, SLOWAKEI 2023

REGIE: GÁBOR REISZ

DREHBUCH: GÁBOR REISZ, ÉVA SCHULZE

CAST: GÁSPÁR ADONYI-WALSH, ISTVÁN ZNAMENÁK, ANDRÁS RUSZNÁK, REBEKA HATHÁZI, ELIZA SODRÓ, LILLA KIZLINGER, KRISZTINA URBANOVITS U. A.

LÄNGE: 2 STD 32 MIN


Auf der Watchlist der Viennale hätte ich Explanation for Everything von Gábor Reisz nicht gehabt, nicht mal auf jener für vielleicht in Frage kommende Werke. Zum Glück aber kommt unverhofft öfter als gedacht und ich musste einem geschenkten Gaul auch nicht ins Maul blicken. Liest man die Synopsis dieses Films, kann es nämlich leicht passieren, dass vor dem geistigen Auge ein knochentrockenes Politdrama als Kopfkino seine zweieinhalb Stunden andauernden Runden dreht. Ungarn und die Politik: Sowas lässt sich im Rahmen der Abendnachrichten besser konsumieren als künstlerisch aufbereitet. Kann das was werden? Es kann. Und es konnte. Es ist fast so wie mit dem Konsumieren kulinarischer Köstlichkeiten aus fernen Ländern. Die Methode, was man nicht kennt, außen vorzulassen, nimmt einem locker das Abenteuer. Vielleicht aber dennoch das Unbekannte auszuprobieren oder gar das, wovon sich eigentlich recht wenig erwarten lässt, könnte eine spannende und bereichernde Erfahrung werden.

Explanation for Everything ist ein Film, der verblüfft. Vor allem einer, der sich an den Rand des politischen Grabenbruchs seines Herkunftslandes stellt, um auf die andere Seite hinüberzurufen. Dort steht auch einer, und auch der bekommt die Chance, sich zu äußern. Redefreiheit nennt man das. Ein Privileg, das in Ungarn nicht mehr existiert, zumindest nicht öffentlich. Den Diskurs sucht Gábor Reisz aber nur in der Hoffnung, Brücken zu bauen über einem reißenden Abwasserstrom aus Polemik, Schwarzseherei und Revolutionsgedanken. Dieses Wasser, das fließt und tropft und sickert auch während des Films als Metapher für ein leckschlagendes Gesellschaftssystem, das immer dysfunktionaler zu werden scheint. Letztendlich triggern profane Symbolismen wie die Nadel vor einem prall gefüllten Luftballon die Lust am Verpetzen des anderen – gerade in Momenten wie jenen, die das Machtgefüge einer gymnasialen Abschlussprüfung illustrieren. In so einem Vakuum aus Prüfungsstress, Ohnmacht und Blackout findet sich der achtzehnjährige Schüler Ábel wieder; stimmlos, motivationslos, ohne Ehrgeiz. Da sitzt er nun, vor dem Gremium, im Fach Geschichte, und sollte über Julius Cäsar referieren. Dabei fällt der Blick des Lehrers Jakab auf die in den ungarischen Landesfarben schillernde, patriotische Anstecknadel am Revers des Sakkos seines Gegenübers. Wieso er diese gerade heute mit sich herumträgt, will der neugierige Lehrer wissen. Er fragt dies vielleicht, um die Stimmung etwas aufzulockern. Doch mehr braucht es nicht. Die Schlacht ist eröffnet, die Messer gewetzt, Ábel nutzt die Chance, um sich aus der Affäre zu ziehen. Die Schuld liegt bei Jakab, der – selbst ein Linker – den aphonen Schüler aufgrund seiner politischen Gesinnung durchrasseln lässt. So ein Skandal zieht Kreise, vom echauffierten Vater (grandios: István Znamenák) über mehrere Ecken bis hin zu einer übereifrigen Journalistin, die in diesem Politikum ihre große Chance sieht, sich zu verwirklichen.

Weder spröde noch trocken noch kopflastig. Weder zu kompliziert gedacht noch langweilig noch viel Lärm um nichts. Um einen Stoff wie diesen, der danach schreit, Nischenkino zu bleiben, bis das Streaming-Krematorium ruft, so gepfeffert auf die Leinwand zu zaubern – dafür gäbe es ja fast Standing Ovations. Denn Explanation for Everything ist so entlarvend wie die Filme von Ruben Östlund oder Lars Kraume, so ungeniert wie Radu Jude und so voller spritziger Dialoge, als hätte Noah Baumbach ein neues Genre gefunden, nämlich das der politischen Rollenklischees und Stereotypen. In satten zweieinhalb Stunden steht den Diskutierenden bald der Schweiß auf der Stirn und Ungarn-müde Mindestverdiener sehnen sich nach Milch und Honig, die in Dänemark fließen könnten.

Die Taktik des jungen Ábel schlägt Wellen, die so manches in Unruhe bringen, jedoch nicht so sehr, um in groteskem Sarkasmus dem Heimatland die Hosen runterzuziehen. Das liegt Gábor Reisz dann doch ferner, als manchmal erwartet. Im Sucher zeigt sich lieber die Generation Z, dessen Heimatverständnis gerade mal für den 15. Mai reicht, dem Beginn der Revolution. In indirekter Verspieltheit flechtet der Filmemacher, gleichsam auch Autor seines Films, die Versatzstücke dieses Aufstands in die Coming of Age-Geschichten seiner Jungdarsteller ein. In ihnen sieht er Hoffnung für Orban-Land, für ein Ende der Zensur und falscher Demokratie.

Explanation for Everything gestaltet sich – geteilt in mehrere Wochentage und diese wiederum aus unterschiedlichen Blickwinkeln erzählt – wie ein Abrisskalender, der zur alltäglichen Orientierung in den eigenen Allzweckräumen hängt. Dieser konzeptionelle Witz gefällt sich im Partnerlook mit einem Understatement, das eine verschreckte Gesellschaft hinter sich weiß, die das Gras wachsen hört.

Explanation for Everything (2023)

Passages (2023)

MANN KANN NICHT ALLES HABEN

7/10


passages© 2023 Stadtkino Filmverleih


LAND / JAHR: FRANKREICH 2023

REGIE: IRA SACHS

DREHBUCH: MAURICIO ZACHARIAS, ARLETTE LANGMANN, IRA SACHS

CAST: FRANZ ROGOWSKI, BEN WISHAW, ADÈLE EXARCHOPOULOS, ERWAN KEPOA FALÉ, CAROLINE CHANIOLLEAU, ARCADI RADEFF, THIBAUT CARTEROT, THÉO CHOLBI, OLIVIER RABOURDIN U. A.

LÄNGE: 1 STD 31 MIN


Da steht man nun an der Weggabelung, links die eine Tür, rechts die andere. Eine von beiden genießt den Vorzug, durch beide gleichzeitig lässt sich nicht treten. So ist das nun mal im Leben. Es nennt sich Entscheidung. Wenig förderlich fürs Allgemeinwohl und vor allem auch für einen selbst ist es, eine solche nicht fällen zu können. Der Verzicht der einen Möglichkeit bringt jedoch den Fokus auf die andere. Es entsteht Klarheit, es setzt Progression ein, im Zuge dessen auch Ruhe, Verantwortung und Verlässlichkeit – gerade dann, wenn es heißt, Beziehungen einzugehen oder nicht. Das Spektrum dabei ist breit gefächert – von der freien bis zur fixen. Von der lockeren Liaison bis zur Familiengründung. Menschen wie Tomas, der in Ira Sachs knackigem Beziehungsdrama in völliger Verwirrung alles will, nur nicht nichts, sind Gift für andere, die auf Vertrauen setzen. Leicht wäre zu vermuten, dass dieser Tomas – selbstironisch und mit viel Verständnis für seine Rolle dargeboten von Franz Rogowski, dem besten nuschelnden Schauspieler des deutschsprachigen Raums – das pathologische Portrait eines Borderliners skizziert, denn manche Verhaltensweisen sprechen dafür. Andere wiederum nicht. Irgendwo dazwischen scheint sich dieser Charakter zu befinden, und ein Teil davon unterliegt auch der Selbstsucht.

Dieser umtriebige Mann also, haltlos dahintreibend im Strom seiner Bedürfnisse, ist homosexuell (bislang wohlgemerkt) und lebt in einer Ehe mit dem Engländer Martin. Beide sind Künstler, der eine Regisseur, der andere Kunstdrucker. Als Tomas neuer Film seine Takes durchhat und die Crew zum Abtanzen in die Disco geht, trifft der energische Regisseur auf die junge Agathe (Adéle Exarchopoulos) – mit ihr macht dieser sein Workout am Tanzparkett und später auch daheim in ihrem Appartement, während Martin, wohl eher ein Langweiler und viel mehr Hausmann, sich zu gegebener Zeit abseilt. Dieses Abenteuer allerdings wird das Leben aller drei Menschen umkrempeln. Tomas entdeckt seine Heterosexualität, Martin einen anderen Mann, Agathe die Möglichkeit, eine Familie zu gründen. Es hätte prinzipiell jede und jeder seinen Weg gefunden, würde Rogowskis Figur nicht alles gleichzeitig wollen – seinen Ehemann, Agathe und vielleicht sogar Nachwuchs. Doch so funktioniert Vertrauen nicht, Beziehungen schon gar nicht. Denn nur auf das eigene Gefühl zu hören zeugt von impulsivem Egoismus.

Gewürzt mit leidenschaftlichen, wenig zimperlichen Sexszenen, in denen Rogowski ordentlich aufdreht, kredenzt uns Autorenfilmer Ira Sachs (u. a. Married Life, Frankie) eine dysfunktionale Dreiecksgeschichte, deren Rechnung nicht aufgehen kann. Das Ideal der Abhängigkeiten schildert immer noch Tom Tykwer in seinem scharfsinnigen Liebesreigen Drei. Auch so kann es gehen, doch das dort ist fast schon ein evolutionärer Zufall. In Passages ist der Idealfall vielleicht nur in den Filmen von Tomas zu finden, im realen Leben führt der Fluch der Unentschlossenheit in die Hölle der Einsamkeit – genau dorthin, wo Rogowskis Getriebener niemals hinwill. Weit weg von sentimentalem Lebensverdruss und poetischem Weltschmerz bleiben Sachs‘ Betrachtungen aber dennoch – und das ist gut so. Als Amerikaner, der französisches Kino probiert, geht dieser deutlich hemdsärmeliger an die Sache ran. Hält seine Sozialminiuatur an straff gespannten Zügeln, hat seine Szenen bestens getimt und akkurat geschnitten. Gerade durch diese entrümpelte Erzählweise bahnt sich die Ironie des Schicksals durch die Dimension der Selbstverwirklichung; niemand leidet mehr, als er müsste, und zieht alsbald in pragmatischer Vernunft die Konsequenzen. Das aber tötet nicht die Leidenschaft in einem unterhaltsamen, offenherzigen Film, der große Gefühle nur effizient nutzt und die Qual des Egomanen fast schon als Worst Case-Lehrstück definiert.

Passages (2023)

Hit the Road (2021)

EIN GRENZFALL FÜR DIE FAMILIE

7/10


hittheroad© 2023 Panda Lichtspiele


ORIGINAL: JADDEH KHAKI

LAND / JAHR: IRAN 2021

REGIE / DREHBUCH: PANAH PANAHI

CAST: HASSAN MADJOONI, PANTEA PANAHIHA, RAYAN SARLAK, AMIN SIMIAR U. A.

LÄNGE: 1 STD 33 MIN


Zwei Jahre hat es gebraucht, um diesen Film in die Kinos zu bringen. Vor rund zwei Jahren lief Hit the Road im Festivalprogramm der Viennale ’21 – was letztlich den Ausschlag gibt für eine derartige Verspätung, darüber kann man spekulieren. Gut ist, dass Panah Panahis Roadmovie es geschafft hat, ans Ziel zu kommen. Nämlich dorthin, wo er hingehört – auf die Leinwand. Für knappe 90 Minuten nimmt uns der Iraner mit auf eine höchstpersönliche Autofahrt quer durchs Land, vorbei an atemberaubenden Felsformationen, durch fruchtbares Land und über grüne Hügel. Es ist ein Weg des Abschieds, doch wer hier wen verlässt oder ob alle gehen, kristallisiert sich erst viel später heraus. Klar ist, dass Mutter, Vater und die beiden Söhne, zwischen denen ein enormer Altersunterschied liegt, nicht per Gaudi einen Ausflug unternehmen, obwohl man beim jüngsten Spross Rahma, der für sich allein die Party seines Lebens schmeißt und vor lauter Liebe zur Welt stets den Boden küsst, auf dem er wandelt, durchaus die Meinung vertreten kann, dass alles nur existiert, um Spaß zu haben und Scherze zu treiben. Rahma (eine Wucht: Rayan Sarlak) ist das quirlige Zentrum dieser kleinen Gemeinschaft, die ewige Sonne, um ihn herum schwerfällige und leichtere Trabanten. Papa trägt einen Gips, die Mutter weiß nie, ob sie lachen oder weinen soll, der ältere Sohn gibt sich wortkarg, denkt nach, ist so angespannt, als würde er in den Krieg ziehen oder verfolgt werden. Und der Hund? Der liegt im Sterben.

Verfolgt zu werden wäre in Anbetracht der Tatsache, dass alle fünf unterwegs sind zur türkischen Grenze, gar nicht mal so abwegig. Im Iran herrschen andere Regeln, was die Ausreise betrifft. Da muss man schon wissen wie, um ein besseres Leben anderswo zu ergattern. Alles scheint organisiert, unter Dach und Fach. Die Fahrt ist lang, zu erzählen gäbe es viel, doch kaum jemand findet den Zugang durch all den Smalltalk hindurch genau dorthin, wo Angst, Kummer und Vertrauen liegen. Immer wieder hält das Auto an, immer wieder finden sich Momente der Klarheit und der Mut, das unmittelbar Bevorstehende anzusprechen.

Für dieses waschechte Roadmovie, das durch den Nordwesten Irans führt, braucht es weder eine twistreiche Story noch einen komplexen Plot, sondern lediglich Raum und Zeit für Konfrontationen. Jafar Panahis (u. a. No Bears) Bruder Panah nutzt diese cineastische Mitfahrgelegenheit, um vor allem auch mit musikalischer Färbung die Emotionen hin und herfluten zu lassen, wie schwappendes Wasser in einer Wanne. Oft blickt der Vater gedankenverloren und verbittert ins Narrenkästchen, nachdem er für Rahma den kauzigen Brummbären gegeben hat. Dann setzt die Klassik ein, Tastenmusik in Moll. Für die Mutter gibt’s persische Schlager mit schmachtend- kitschigen Texten, zu denen sie gar mitsingt. Worte, die etwas bedeuten, sind ein schwer zu ergatterndes Gut – ist der Moment gerade günstig, lässt Parhani das Gespräch laufen, minutenlang, ohne Druck, ganz entspannt, irgendwo am Fluss, während dahinter das Wasser rauscht. Parhani spielt auch mit erzählerischen Ebenen, lässt essenzielles im Hintergrund und anderes, wichtigeres, nach vorne treten, obwohl dieses Wichtige nicht mehr preisgibt als den Blick. Der Moment der Wahrheit bleibt auf Distanz, ganz weit weg stehen wir und beobachten das Drama eines Neuanfangs. Über allem das quirlige Gekreische Rahmas.

Persisches Kino ist seit jeher bereichernd – und auch Hit the Road bringt einiges an neuen Sichtweisen und veränderten Prioritäten mit. Die Art, wie Parhani den Alltag des Reisens einfängt und klarstellt, dass niemand jemals auf einen Abschied wie diesen vorbereitet sein kann, trägt eine gewisse Bescheidenheit in sich und eine Akzeptanz den Dingen gegenüber, die zu tun sind. Der kleine, hyperaktive Rahma aber wird, obwohl er nichts aktiv dazu beiträgt, die Inkarnation einer hoffnungsvollen Zukunft. Er ist die Stütze, die die Familie nicht zerbrechen lässt.

Hit the Road (2021)

Past Lives (2023)

LEBENSMENSCHEN UND IHRE BEDEUTUNG

7/10


pastlives© 2023 Twenty Years Rights LLC


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE / DREHBUCH: CELINE SONG

CAST: GRETA LEE, TEO YOO, JOHN MAGARO, MOON SEUNG-AH, LEEM SEUNG-MIN, ISAAC POWELL, JI HYE YOON U. A.

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Du entschuldige, i kenn di… Das ist der Titel eines Austropop-Klassikers aus den Achtzigern, vorgetragen von Peter Cornelius und bis heute sowohl zeitlos als auch ein Kind seiner Zeit. Darin beschreibt der Singer/Songwriter das zufällige Zusammentreffen seiner selbst mit einer lange Zeit aus den Augen verlorenen Jugendliebe. Jetzt, viele Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte später, springt der Funke nun endlich über und die Chance, ein Paar zu werden, rückt in greifbare Nähe.

Eine ähnliche Geschichte beschreibt Celine Songs Freundschafts- und Beziehungsdrama, nur an ganz anderen Orten, zu einer ganz anderen Zeit und über rund 24 Jahre hinweg. Das wiederum klingt episch – ist es aber nicht. Denn Celine Song pickt sich aus ihrer fast schon eine ganze Generation umspannenden Romanze genau jene Schlüsselszenen heraus, die erforderlich sind dafür, eine kompakte, kleine, komprimierte Geschichte zu erzählen, ohne dabei aber deren Bedeutung dahinter ebenfalls zu stutzen: Das Gefühl, jemanden aus den Augen zu verlieren und wiederzufinden, bestimmt die Wahrnehmung und das Denken von Exil-Koreanerin Nora, vormals als Young Na in Seoul aufgewachsen und dick befreundet gewesen mit dem Jungen Hae Sung. Der hat sich damals, im Alter von zwölf Jahren, überhaupt gar nicht so richtig von seiner Jugendliebe verabschieden können. Plötzlich war sie weg gewesen, zog mit ihren Eltern nach Kanada. Aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn. Wie durch Zufall finden beide zumindest wieder über Skype zueinander. Eine kuriose Situation, man hat sich viel zu erzählen, und da ist plötzlich noch mehr, als Nora lieb ist. Dieses Gefühl des Zueinander-Gehörens beruht letztlich auf Gegenseitigkeit, doch das nun zur jungen Frau herangereifte Mädchen von damals hat nun andere Pläne und Ziele, ist also ein anderer Mensch geworden. Einen Platz in ihrem Herzen für den Jungen aus Korea? Darf es den geben? Oder ist das nur die Sehnsucht nach einer zurückgelassenen Heimat und einer Kindheit, die in einem früheren Leben passiert ist?

Beide scheinen zwar nicht schlaflos in Seattle, aber schlaflos in New York oder Seoul zu sein. Beide ergründen auf ihre Art das Konzept des In-Yun, die koreanische Begrifflichkeit von Schicksal und Bestimmung, die wiederum auf Begegnungen aus früheren Leben fußt. Celine Song ist dabei eine Könnerin, wenn es darum geht, eine entkitschte Romanze zu erzählen, die eigentlich gar keine ist. Die Geschichte einer Freundschaft zu erzählen, die Past Lives genauso wenig sein will. Irgendwo dazwischen, in einer staaten- wie zeitlosen Transitzone, treffen die Gedanken und Gefühle der beiden aufeinander, nur erkennbar durch lange, intensive Blicke, die den jeweils anderen zu ergründen versuchen. Song inszeniert sehr viel zwischen den Zeilen, lässt all den unnötigen Firlefanz, der nun mal in diesem Genre Fuß fassen will, außen vor. Und wenn nicht, definiert sie zum Beispiel die Rolle des amerikanischen Ehemanns insofern um, dass dieser, statt nur einen notwendigen Wendepunkt zu verkörpern, an welchem sich die beiden Hauptcharaktere aufreiben, plötzlich selbst ins Zentrum rückt – als empfindsame, gar nicht stereotype, liebende Figur, durch die ein loses Dreieck entsteht, deren Kanten in Wechselwirkung zueinanderstehen.

Ein mustergültiges Psychogramm ist Past Lives geworden, ohne sich dabei anzumaßen, Lösungen zu finden. All diese Stimmungen füllen eine im Grunde recht überschaubare Geschichte, die anderswo vielleicht zum Epilog gereichen würde. Die anderswo vielleicht nur Teil eines größeren, vielleicht wieder schwülstigen Melodrams geworden wäre. Wer genug Geduld hat, und weiß, wie es sich anfühlt, dem unwiderbringbar Vergangenen nachzuhängen und sich dabei auszumalen, wie es anders hätte laufen können – der bekommt einen leisen, gewissenhaft beobachteten Film geboten, welcher sich die Zeit nimmt, die er braucht, um dann, ganz intuitiv, zum Ende eines emotional verwirrenden Lebensabschnitts zu gelangen.

Past Lives (2023)