Superman (2025)

DAS METAWESEN AUS DER NACHBARSCHAFT

7,5/10


© 2025 Warner Bros. Entertainment Inc.


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE / DREHBUCH: JAMES GUNN

KAMERA: HENRY BRAHAM

CAST: DAVID CORENSWET, RACHEL BROSNAHAN, NICHOLAS HOULT, EDI GATHEGI, NATHAN FILLION, ISABELA MERCED, ANTHONY CARRIGAN, MARIA GABRIELA DE FARÍA, SKYLER GISONDO, SARA SAMPAIO, ZLATKO BURIČ, SEAN GUNN, BRADLEY COOPER, WENDELL PERCE U. A.

LÄNGE: 2 STD 10 MIN


Vorbei ist die opernhafte Schwermut von Kal-El, der in der Gestalt von Henry Cavill und unter der Regie von Zac Snyder durch ein verregnetes, dunkles Metropolis wandelte und es gar mit Batman in stählerner Rüstung aufnahm. Diese Art und Weise, das DC-Universum zu beleben, in allen Ehren. Ich gebe zu, wenn es nach mir gegangen wäre, hätte Snyder gerne dranbleiben können. Die Besetzung der ganzen Justice League ließ keine meiner Wünsche offen. Cavills Superman war zwar etwas eitel und gerne auch arrogant, aber glaubhaft, physisch sehr präsent und mitreißend. Wir brauchen über Wonder Woman gar nicht reden (Gal Gadot wird wohl nie besser werden), über Ben Affleck als Batman vielleicht schon, obwohl auch er einer war, der den Comicvorlagen, die vor Pathos generell nicht zurückschrecken, gerecht wurde. Doch bei DC hat sich die dystopische Interpretationsweise des Superman-Universums ausgelebt – schade drum.

Vom Pessimismus zum Optimismus

James Gunn sollte das Ruder übernehmen und die Capes aus dem Dreck ziehen. Alle wussten, wenn Gunn hier ansetzt, regnet es bunte Shows, die rotzfrech, locker und subversiv sein können. Nach seinem Super – Shut up, Crime!, einer herzallerliebsten, blutigen Grunge-Sause über Superhelden und solche, die es gerne wären, aber nicht sind, blieb der Visionär (ja, es ist einer) seinem Stil und seiner Tonalität immer treu. Auch seine Best Friends wie Michael Rooker, Nathan Fillion oder Brüderchen Sean Gunn sind auf irgendeine Art und Weise immer mit dabei, sie wissen schließlich, wie der Hase läuft. Mit den Guardians of the Galaxy erhielt das MCU einen Spin in Richtung Parodie, alles unterlegt mit launigen Songs aus der Evergreen-Schublade. Vielleicht manchmal zu gewollt, vielleicht ein bisschen zu konstruiert – doch das neidvolle DC dürfte da keine strengeren Vorgaben gemacht haben, ganz im Gegenteil, wenn man sich ansieht, was Gunn mit Superman gemacht hat. Der Waise vom Planeten Krypton ist hier nicht mehr und nicht weniger der nette Junge aus der Nachbarschaft, ein „Spidey“ mit Kräften, die man sich kaum vorstellen kann. Und der das Zeug dazu hätte, im Handumdrehen den ganzen Planeten Erde zu unterjochen. Wenn er denn gewollt hätte.

Doch Superman will nicht, er ist durch und durch Humanist, Menschenfreund und Helferlein. Sieht sich als Mensch unter Menschen und nutzt dabei seine außerordentlichen Skills, um weder die Dinge zu lenken oder es besser zu wissen, sondern um anderen, die Not leiden, unter die Arme zu greifen. Großgezogen in einfachen Verhältnissen an Land und mit Werten, die ein Zusammenleben garantieren, ist Kal-El längst zur Tagesordnung übergegangen. Niemand braucht schließlich nochmal eine Origin-Story, nochmal den ganzen Steckbrief von Smallville bis zum Daily Planet. Die Parameter sind gesetzt, Gunn geht davon aus, das wir das alles längst wissen – auch über Erzfeind Lex Luthor, den hier diesmal nach Jesse Eisenberg Nicholas Hoult gibt, als wandelndes Elon Musk-Mahnmal gegen Egomanie und Größenwahn. Dieser Luthor lässt sein Süppchen in Gunns Superman schon lange köcheln und spielt bereits mit den Dimensionen, was ein bisschen an Marvels Multiversum erinnert. Das Raum-Zeit-Gefummel bringt einige Kollateralschäden mit sich, darüber hinaus haben wir es hier mit einer geopolitischen Situation zu tun, die an den Ukrainekrieg erinnert, und einem an Putins Reich angelehnten Aggressor, der die Machtinteressen anderer hofiert. Trotz allem bleibt Gunn so sehr gelassen, dass diese Assoziation mit der Realität wohl kaum die Freude daran trübt, neben einem manchmal etwas zerstreut wirkenden Superman auch anderen kauzigen Metawesen (Mister Terrific, Green Lantern, Metamorpho: alle liebenswert) dabei zuzusehen, wie sie uns Normalsterblichen den Arsch retten. Das tun sie mit einer lausbübischen Leidenschaft für das Richtige, nehmen alles mit Ironie, aber nicht auf die leichte Schulter. Alles wird gut, lautet ihr militant optimistisches Credo.

Wie sympathisch ist der Kerl?

Diese neue Tonalität bringt Farbe und frischen Wind in das fast hundert Jahre alte Comicleben, dabei fehlt es weder an ordentlichen Desaster-Schauwerten noch an phantastischen Details. Superman will launige Science-Fiction-Komödie bleiben und Gunns bereits auf den Weg gebrachte Guilty Pleasures wie The Suicide Squad und Peacemaker mit in die neue Ära nehmen. Beide Formate gelten als Vorbilder für diesen nächsten Schritt, Superman die Gutmenschen-Fadesse vom Leib zu reißen und einen durchaus gemütlichen Idealisten zum Vorschein zu bringen, der oft nicht weiß, wie ihm geschieht und durch David Corenswets erfrischend unprätentiöse Natürlichkeit eine Sympathie ausstrahlt, dass man ihn und die Figur, die er spielt, nur ungern wieder ziehen lassen will. Schließlich ist das Gunns Spezialität: Charaktere zu entwerfen, die nicht perfekt sind, die sich selbst im Weg stehen, die sich zusammenraufen müssen und nicht immer willens sind, für andere in die Presche zu springen. Das macht sie aber greifbar, und dadurch nimmt Superman so gut wie jede Hürde, die bei einem Reboot wie diesen notgedrungen aufpoppen.

Mag sein, dass der Plot selbst, in den man hineingeworfen wird wie in kaltes Wasser (kein Fehler!) erst erwachsen werden muss, die Skills und Features liegen aber griffbereit und weisen den Weg in ein hoffentlich lang anhaltendes, konstantes DC-Universum, in dem man sich irgendwann wohl die größte Frage stellen muss: Wie passt der düstere Batman in das alles hinein? Pattinson kann es kaum sein, denn stilistisch sind das von Matt Reeves geschaffene Universum und das von Gunn viel zu konträr, um eine Synergie zu bilden. Das aber ist eine andere Geschichte, und wir kehren nochmal zurück in Kal-Els antarktisches Domozil, um mit ihm alle Viere gerade sein zu lassen, während Iggy Popp aus dem Äther tönt. Die Vibes holen mich ab. Noch passt alles zusammen.

Superman (2025)

10 Cloverfield Lane (2016)

MIT QUERDENKERN IM BUNKER

8/10


10-cloverfield-lane© 2016 Paramount Pictures


LAND / JAHR: USA 2016

REGIE: DAN TRACHTENBERG

DREHBUCH: JOSH CAMPBELL, MATTHEW STUECKEN & DAMIEN CHAZELLE

CAST: MARY ELIZABETH WINSTEAD, JOHN GOODMAN, JOHN GALLAGHER JR., SUZANNE CRYER, DOUGLAS M. GRIFFIN, BRADLEY COOPER U. A.

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Dass New York von einem Monster heimgesucht wurde, versetzte damals so einige, denen virale Kampagnen für Filmproduktionen nicht so bekannt waren, in Angst und Schrecken. So, wie Matt Reeves seinen Found Footage-Schocker Cloverfield promotet hat, wurde damals nur die vermeintlich reale Hexe aus Blair Witch. Fake also, noch weit vor KI – und umso effektiver. Dabei war nicht nur die PR bahnbrechend, sondern auch der Film selbst. Knackig, panisch, beklemmend und dicht. Die stete Abwesenheit des Aggressors schürte noch dazu die eigene Fantasie, wie damals, in Ridley Scotts Alien. Interessantes Detail am Rande: Der Film hört genau zur selben Uhrzeit auf, wie er begonnen hat.

Cloverfield wird als Code-Begriff des Militärs für paranormale Begebenheiten angewandt, zumindest in dieser von J. J. Abrams produzierten Trilogie, die eigentlich nur lose miteinander zusammenhängen, scheinbar wenig gemeinsam haben, und doch allesamt einer Ausnahmesituation gegenüberstehen, deren Umfang sich eigentlich nie begreifen lässt und deren Ursache und Wirkung niemand kennt. In der Verzweiflung des Menschen, keine Erklärung für das zu finden, was er sieht, und das, was er sieht, nicht willentlich ist, zu glauben – darin liegt die Intensität vor allem, von Cloverfield – und auch von 10 Cloverfield Lane.

Auch A Quiet Place lässt die wehrlose Menschheit dumm sterben, wenn sie denn zu viel Lärm macht. In Bird Box erfährt man noch weniger von den Dingen, die sich abspielen – völlig im Dunklen tappt hier die Welt. In 10 Cloverfield Lane von Dan Trachtenberg (Prey), das wie gesagt als Sequel zu Matt Reeves Katastrophenfilm funktionieren kann, aber nicht muss, haben weder das Publikum noch die drei Protagonisten im Film keinerlei Ahnung – und vor allem: keinerlei Gewissheit darüber, was da oben abgeht – sitzen doch alle drei in einem penibel eingerichteten Bunker, der alle Stückchen spielt und so eingerichtet ist wie ein Wochenendbungalow, mit jeder Menge an Vorräten, fließend Wasser und elektrischem Strom vom Generator.

Die Grundsituation des Films ist schnell erklärt: Mary Elizabeth Winstead gibt hier Michelle, die nach einem Autounfall in den heiligen Hallen von Querdenker Howard erwacht. Der verbietet ihr zu gehen, schwört er ihr doch hoch und heilig, sie vor dem Untergang gerettet zu haben; vor der Apokalypse aus Radioaktivität oder Giftgas oder was auch immer. Entweder waren es die Russen oder die Nordkoreaner oder etwas ganz anderes will sich den Planeten unter den Nagel reißen – würde man selbst dieser übereifrigen Autorität, die John Goodman fernab seines komödiantischen Potenzials mit einer gefährlichen Jovialität verkörpert, Glauben schenken. Wie quälend ist der Gedanke, nicht genau zu wissen, ob Goodman wohl recht hat oder nicht? Michelle ist hin und hergerissen, aber tendiert eher zur Flucht, die sich nicht so leicht umsetzen lässt. Darüber hinaus ist da noch Emmett, einer, der sich freiwillig in den Schutz von Howard begeben hat, denn er hat das rote Licht gesehen, das da plötzlich aufgegangen war.

Wie 10 Cloverfield Lane mit den Vermutungen spielt, ist Suspense-Kino, wie man es selten sieht. Einerseits könnte Howard ein aufrichtiger Gutmensch sein, der weiß, wovon er spricht. Allerdings könnte er auch ein Psychopath sein, der weiß, wovon er spricht. Oder doch ein heillos überforderter Querdenker, der es ehrlich meint, aber in Wahrheit keine Ahnung hat. Trachtenbergs Film, an welchem auch Damien Chazelle mitgeschrieben hat, füttert sein Bedrohungsszenario mit den Werten von Vertrauen und Verlässlichkeit, bis nichts mehr übrig scheint. Es nährt sich von der Kehle zuschnürenden Angst, im Informationszeitalter ohne Informationen auszukommen und sich nur auf Vermutungen verlassen zu müssen, die man um alles in der Welt selbst einer Überprüfung unterziehen will. Die Wahrheit wird zum höchsten Gut und ist mehr wert als die eigene Gesundheit. Diese Metaebene gibt 10 Cloverfield Lane eine ungeahnte Tiefe, streut noch dazu Story-Twists ein und setzt die Benchmark für ein straffes Kammerspiel ohne leere Worthülsen neu.

Zuviel auf den Film darf ich hier aber auch nicht eingehen. Der größte Spaß ist dabei, so ahnungslos wie möglich in den bunker zu wandern. Da ich aber ungefähr wusste, wie die ganze Sache ausgeht, haben mich all die Wendungen zumindest nicht eiskalt erwischt. Und dennoch: Auch wenn man schon so eine Ahnung hat, ist es immer noch ein großer Unterschied, den Film selbst zu sehen als gespoilert zu bekommen, mit all seinen auf Konfrontation angelegten Figuren, aus denen sich so viel mehr entwickelt, als man hätte ahnen können. Und ja: Ahnen heißt nichts wissen. Doch Wissen ist Macht.

10 Cloverfield Lane (2016)

Maestro (2023)

IM EIFER DER MUSIK

6/10


Maestro© 2023 Netflix Inc.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: BRADLEY COOPER

DREHBUCH: BRADLEY COOPER, JOSH SINGER

CAST: BRADLEY COOPER, CAREY MULLIGAN, MAYA HAWKE, MATT BOMER, VINCENZO AMATO, MIRIAM SHOR, SARAH SILVERMAN, MICHAEL URIE, BRIAN KLUGMAN, NICK BLAEMIRE, GIDEON GLICK U. A.

LÄNGE: 2 STD 9 MIN


„Wie die Nase des Mannes, so ist sein…“ Ein selten dämlicher Spruch, doch den Eklat ums aufgepflanzte Riechorgan, um der Rolle des Leonard Bernstein auch optisch gerecht zu werden, wird der Film nicht mehr los. Wie bei Rami Maleks Freddy Mercury-Vorbiss, auf welchen manche nicht anders konnten, als diesen im Fokus zu haben, durchpflügt Bradley Coopers „Pfrnak“ den Film – mal mehr, mal weniger, je nach Licht und Perspektive der Kamera. Nun, tatsächlich ist diese angeblich diskriminierende Extension nur halb so dominant. Später, wenn Make Up-Artists immer mehr und mehr Maske anlegen müssen, stellt das Teil kein Problem mehr da. Das zunehmend zerfurchte und alternde Gesicht des Vollblutmusikers wird letztlich die Vorreiterrolle übernehmen. Es bleibt einem nur noch, ganz genau hinzusehen, um dahinter Bradley Cooper zu erkennen. Er verschwindet zwar nicht ganz so sehr wie Gary Oldman hinter Winston Churchill, aber dennoch: Gemeinsamkeiten mit seiner Rolle aus Hangover gibt es keine mehr.

Das Leben des New Yorker Dirigenten, Komponisten und Musik-Afficionados wird zu Coopers Herzensprojekt. Wichtigstes Ziel dabei: genauso auszusehen und sich zu geben wie Leonard Bernstein himself, ohne Abstriche, ohne freier Interpretation. Akribisch recherchiert, genauestens beobachtet und letztlich umgesetzt. Maestro nennt sich das auf Netflix erschienene Werk (das darüber hinaus auch in manchen Kinos lief, um dem Preisregen der Academy nicht zu entgehen) und begreift sich vor allem als filmgewordenes, teils jeweils in Schwarzweiß und in Farbe gedrehtes Denkmal, in welchem die Biographie selbst gar nicht mal so eine große Rolle spielt. Denn die ist, mit Ausnahme des tragischen Schicksals seiner Ehefrau Felicia Montealegre, im Grunde eine Aneinanderreihung ungestümer Kraftakte am Dirigentenpult, viele Stangen Zigaretten und ruhelosem Schaffen, dass den Musiker längst schon in ein Burnout hätte treiben können.

Bradley Coopers Bernstein legt eine fahrige Hyperaktivität an den Tag, die aufreibt. Dort eine Komposition, hier ein Auftritt, woanders wieder eine Lehrstunde an der Uni, dann ganz viel Society und wieder eine Komposition. In diesem Zyklus schraubt sich der Film von den Vierzigerjahren bis in die Achtzigerjahre. Lenny, wie er von Frau und Freunden genannt wird, sehen wir beim Älterwerden zu, bei seinem ersten Triumph bei den New Yorker Philharmonikern über seine Beziehung zur Schauspielerin Felicia bis hin zum schweißtreibenden Kraftakt in der britischen Kathedrale von Ely, in der Cooper all sein Können hineinlegt, um seinem Vorbild gerecht zu werden. Er schwingt den Taktstock zu Gustav Mahlers Auferstehungssymphonie, als gäbe es kein Morgen mehr, als würde in Kürze die Welt versinken. Er rudert mit den Armen, mit verzerrtem, schweißnassem Gesicht, längst schon in Ekstase. Der Zenit musikalischer Ausdrucksstärke ist erreicht, erschöpft sinkt unsereins wieder ins Sofa zurück – das war ein Moment, da kann sich Cate Blanchett als Tár noch so einiges abschauen.

Um diesen besonderen Auftritt herum weiß Cooper auch sonst ganz genau, wie er sich in Szene setzt. Niemand sollte ihm hierbei das Wasser reichen, nicht mal Carey Mulligan, die tut, was sie kann, um für das Bernstein-Lookalike stark genug zu sein. Ihre Leistung ist souverän, doch sie bleibt nur die zweite Reihe, auf irgendeinem Platz im Orchester, das Cooper dirigiert und dabei nur sich selbst filmt, unentwegt, in unterschiedlichstem Licht, in allen erdenklichen Posen, akkurat nachgestellt und herrlich selbstverliebt.

Zum Künstler und seinem bisexuellen Lebenswandel; zu seiner Familie und seiner ewigen Rastlosigkeit, fehlt dann doch der Zugang. Ein Mensch wie Bernstein, wie sehr muss er wohl das Dasein als von allen bewunderter Künstler genossen haben. Als einer, dem alles erlaubt schien, der alles durfte und so lebte, wonach ihm war. Als fleischgewordene Bereicherung für die Musikwelt darf einer wie er durchaus Tribute fordern, nur nicht an sich selbst. Das macht ihn nicht gerade sympathisch, doch das Staunen über so viel Obsession, deren Energie dahinter immer nur so viel verbrennt, wie gerade neue entsteht, übertüncht alles. Was bleibt, ist die One-Man-Show Coopers und die One-Man-Show Leonard Bernsteins. Zwischen diesen beiden Sichtweisen wechselt der Film, der außer der Darstellung einer Ikone zwar ein Leben erzählt, aber eines, dem man in seiner Hast und in seinen nur schwach ausgearbeiteten Stationen kaum folgen kann.

Maestro (2023)

Guardians of the Galaxy Vol. 3

DER WASCHBÄR HAT FAMILIE

7/10


GUARDIANS OF THE GALAXY VOL. 3© 2023 Marvel


LAND / JAHR: USA 2023

BUCH / REGIE: JAMES GUNN

CAST: CHRIS PRATT, ZOE SALDANA, DAVE BAUTISTA, BRADLEY COOPER, VIN DIESEL, KAREN GILLAN, POM KLEMENTIEFF, SEAN GUNN, WILL POULTER, CHUKWUDI IWUJI, ELIZABETH DEBICKI, SYLVESTER STALLONE, NATHAN FILLION U. A. 

LÄNGE: 2 STD 30 MIN


Ooga-Chaka Ooga ooga Ooga-Chaka. Mit Blue Swedes unverkennbarem One-Hit-Wonder Hooked on a Feeling wurden wir Marvel-affine Kinogeher erstmals mit den Guardians of the Galaxy bekanntgemacht. Im Teaser-Trailer zum Kick-Off der illustren Bande kombinierte James Gunn zeitlose Musikgeschichte mit dem multikulturellen Charme von Star Wars und allen anderen Trittbrettfahrer-Produktionen der Achtziger: Eine neue Gang war geboren, die Underdogs des Weltenraums, ein bisschen Lone Star mit seinem Waldi, aber nicht so infantil. Dafür mit zeitgemäßem Leck mich-Humor ausgestattet, den eben nur einer wie James Gunn seinen Antihelden genussvoll in den Mund legen konnte.

Der Form- und Farbenreichtum eines Marvel Cinematic Universe weit jenseits der seriösen Agentenfilm-Analogien rund um Captain America geht nun in die dritte und letzte Runde. Schön wars, könnte man sagen – ein Vergnügen oder gar ein Volksfest. Wenn Groot alle lieb hat, Waschbär Rocket (der kein Waschbär sein will) auf dessen Schultern in die Runde ballert oder die schwarzäugige Mantis ihrem Busenfreund Drax wieder mal die Welt erklären muss, da dieser alles wörtlich nimmt – wenn dieser Haufen von Zufallsbekanntschaften, die nicht mehr auseinandergehen, alles retten wollen, was es zu retten gibt, dann fühlt man sich sauwohl. Diese schrägen Vögel, die manches gut können und anderes wiederum nicht – die dazu stehen, wie sie sind: die haben unser Verständnis. Diese Sympathie mit improvisationstüchtigen Außenseitern gestand James Gunn schon bei Super – Shut up Crime! – einer blutig-witzigen Underground-Komödie über Superhelden aus der dritten Reihe. Anders als in seinem Suicide Squad-Hammer rund um Idris Elba als Bloodsport sind die Guardians aber wirklich einander wichtig. Und sie halten zusammen.

So angenehm synergetisch fühlt sich eben auch Guardians of the Galaxy Vol. 3 an. Obwohl wieder mal der ganze Haken an der Sache ein Narrativ darstellt, dass seine erstarkten Antagonisten nur grob skizziert. In diesem Fall ist es ein gewisser High Evolutionary, ein wirklich nervtötender Besserwisser, der die ideale Gesellschaft kreieren will. Dazu gehört, im Rahmen seiner Agenda, die rasche Evolution von Tieren zu humanoiden Individuen. Das war vor einiger Zeit, als ein kleiner Waschbär im Labor des eifrigen Fieslings für allerhand Experimente missbraucht worden war. Was aus diesem kleinen Räuber geworden ist, wissen wir: Rocket. Jetzt aber will dieser High Evolutionary sein „Eigentum“ zurück – keine Ahnung, was ihn da nach so langer Zeit auf die Idee gebracht hat, jetzt plötzlich aktiv zu werden. Aber es ist nun mal so. Und Adam Warlock, ein güldener Sovereign (siehe Guardians of the Galaxy Vol. 2), gelingt es fast, des kleinen Sonderlings habhaft zu werden. Mit bitteren Folgen. Rocket liegt im Sterben, und die Guardians müssen nun tun, was getan werden muss, um den felligen Freund zu retten.

Wie in allen anderen Episoden auch geht’s diesmal ganz viel um Familie, Vergangenheit und dem Aufräumen nachhängender Traumata. Das ist die inhaltliche Stärke dieser Filmreihe – die Zeichnung der Charaktere, ihr Hadern und Reflektieren von dem, was sie tun. Ihr musketierisches Aufopfern für den anderen. Ja, sogar Nebula (herrlich schnoddrig: Karen Gillan) wird plötzlich nächstenliebend. Hinzu kommt ein Set-Design, dass wirklich den Atem raubt. Wenn unsere Helden in pastellbunten Raumanzügen über eine biotechnische Raumstation hopsen, ist das herrliches Retro-Kino im Stile von Mondbasis Alpha Eins. Dann wieder rührt Rockets Schicksal wie eine düstere Erwachsenenepisode aus Winnie Poohs Welt fast schon zu Tränen. Vermischt mit einem Artenreichtum, den nur Star Wars kennt, und ausgefeilter Situationskomik entsteht so ein kaum gehetztes Abenteuer, dass die bisherige Guardians-Storyline stilistisch souverän fortsetzt, mittlerweile aber eine gewisse Routine erkennen lässt. Dazu gehört auch, Peter Quills Awesome Mix nochmal neu aufzulegen. Und ja – es fetzt.

Der große Wurf ist diese finale Episode aber nicht, das große, packende Aha-Erlebnis noch weniger. Es ist, als wäre Gunn mit diesen Helden so ziemlich fertig. Als hätte er noch auserzählt, was er an Notizen dazu noch hatte. Geschmeidig ist das allemal, und ja, diese paar grundverschiedenen Typen sind zumindest mir ein bisschen ans Herz gewachsen. Guardians of the Galaxy Vol. 3 ist also wieder so ein Fall, bei dem man gerne gehabt hätte, dass sich die Dinge nicht ändern. Das alles so bleibt wie es ist. Und Yondu, mein absoluter Favourite, aus irgendeinem Grund doch noch zurückkehrt.

Guardians of the Galaxy Vol. 3

Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben (2023)

WELCHE ROLLE DARF’S DENN SEIN?

6,5/10


dungeonsanddragons© 2023 Constantin Film


LAND / JAHR: USA 2023

BUCH / REGIE: JONATHAN GOLDSTEIN, JOHN FRANCIS DALEY

CAST: CHRIS PINE, MICHELLE RODRIGUEZ, JUSTICE SMITH, SOPHIA LILLIS, REGÉ-JEAN PAGE, HUGH GRANT, DAISY HEAD, CHLOE COLEMAN, BRADLEY COOPER U. A.

LÄNGE: 2 STD 14 MIN


Welche Rolle wäre wohl am besten? Die axtschwingende Barbarin mit dem körperbetonten Outfit und einer Vorliebe für Kartoffeln und kleine Männer? Der chaotische junge Zauberer, der daherkommt wie ein Lehrling und sich selbst nichts zutraut außer den Duft von frisch gemähtem Gras zu verbreiten? Vielleicht aber die Gestaltwandlerin, die, wenn’s hart auf hart kommt, plötzlich zum Eulenbär mutiert, der ordentlich zulangen kann? Bleibt noch das Mastermind der Truppe, der diebische Barde, der eigentlich nichts Spezielles kann, außer eben Pläne schmieden. Und wenn die scheitern: weitere Pläne schmieden. Alle werden sich aber womöglich um den sehr eloquenten Alleskönner reißen, einem Paladin in glänzender Rüstung. Würde man mich fragen: Die besten Skills hätte Doric, die sich in alles verwandeln kann, was so kreucht und fleucht. Obwohl der Magier: ein unfreiwillig komischer, sympathischer Geselle. Dann nehm‘ ich lieber den.

Bei Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben ist es aber nicht so, dass hier Leute aus unserer realen Welt á la Jumanji plötzlich in einer irrationalen Welt landen und mit ihrem Charakter, der ihnen zugewiesen wurde, spielen müssen. Prinzipiell aber sind da wie dort Synergien gefragt – und Teamwork ist alles. Denn der eine kann nicht, was der andere kann, und umgekehrt. Gemeinsam sind sie stark. Gemeinsam arbeiten sich also seit den Siebzigerjahren spielfreudige Phantasten durch eine imaginäre Abenteuerwelt, in der alles passieren kann – vorausgesetzt, es bleibt plausibel und in kausalem Zusammenhang. Dungeons & Dragons – das Kultspiel für Fantasy-Nerds und kreative Köpfe. Die deutsche Antwort darauf: Das schwarze Auge. Die Convenience-Version als Brettspiel: Hero Quest. Natürlich kann so viel Potenzial nicht ungenutzt bleiben. Fans gibt’s schließlich genug. Doch man braucht auch ein bisschen mehr Respekt vor seinen Sehern, sonst passiert ähnliches wie Anfang der Neunziger – eine Verfilmung mit Charaktermime Jeremy Irons (warum nur?) in einem Totalflop und mit miesen Effekten. Die Zeit ist also reif für ein Reboot. Und niemand weiß, wie es funktionieren wird.

Ich selbst habe mich nur in Hero Quest versucht und kenne D&D vom Hörensagen. Die Einsteiger-Box liegt daheim, zum Verinnerlichen der Regeln braucht es aber ungefähr genauso viel Widerstand gegen den inneren Schweinehund wie beim Sporteln. Am liebsten will man sich hinsetzen und loslegen. Geht aber nicht. Im Kino allerdings schon. Da nimmt man Platz und öffnet Aug und Ohr und genießt diesmal eine Welt, in der alles seinen Platz hat, was man sich nur so vorstellt, dass es Platz haben soll: Magier, Drachen, Bestien, Fabeltiere und Untote. Ritter, Elfen und geheimnisvolle Orte. Artefakte, unterirdische Welten und zwielichtige Gesellen, die einen verraten. In so einer Welt geistern also eingangs erwähnte Heldinnen und Helden herum, die sich selbst nicht als solche sehen und deshalb sehr sympathisch sind. Chris Pine gibt Edgin, den diebischen Barden, der von seinem Komplizen Forch seinerzeit übervorteilt wurde und der ihm seine Tochter entwendet hat, die Edgin wieder zurückwill. Im Zuge dessen schadet es auch nicht, dessen Schatzkammer zu plündern und ein bestimmtes Artefakt, nämlich die Tafel der Wiedererweckung, zu finden, um die von bösen Magiern ums Leben gerbachte Ehefrau und Mutter wieder zurückzuholen. Der Weg dorthin ist eine klassische Queste, eine Schnitzeljagd von A nach B nach C, dabei erlebt die Gruppe Gefährliches wie Witziges. Vieles geht schief, doch Niederlagen pflastern nur den Weg zum Erfolg. Anders wär’s ja auch kein Abenteuer.

Warcraft – The Beginning war als Kick-Off für ein Kino-Franchise mehr als gelungen. Wurde aber eingestampft. Willow, die neue Serie und ähnlich gestrickt wie vorliegender Film, hat womöglich auch keine Zukunft. Dungeons & Dragons unter der Regie von Jonathan Goldstein und John Francis Daley, steht zwar nicht ganz so sicher auf eigenen Beinen, hat aber Potenzial für etwas, das noch besser werden kann. Das Ensemble ist – wie kann es anders sein angesichts dieses Kontextes – gut aufgelegt, Mimen wie Hugh Grant haben ihren Spaß, der nie vergeht. Und alles wirkt wie ein Bauchladen an willkommenen, aber austauschbaren Motiven, die in eine High Fantasy-Spielwelt mit entsprechender Lore einfach hingehören. Das ist lustig und bunt, kurzweilig und manchmal auch richtig raffiniert. Es hat Selbstironie, ein bisschen Finsternis und manchmal auch das Zeug zum Schenkelklopfer. Aus einem Guss wirkt der Schauplatzwechsel mit stetig neuem Stuff zwar nicht, aber er macht Gusto darauf, einmal selbst zu Papier und Bleistift zu greifen, um doch mal in einer Welt zu wandeln, deren Look einem nicht so wohlportioniert vorgesetzt wird. Die wahren Abenteuer sind schließlich im Kopf.

Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben (2023)

The Guardians of the Galaxy Holiday Special

SCHENKEN IST WAS SCHÖNES

6,5/10


guardiansholiday© 2022 Marvel Studios / Disney+


LAND / JAHR: USA 2022

BUCH / REGIE: JAMES GUNN

CAST: DAVE BAUTISTA, POM KLEMENTIEFF, CHRIS PRATT, KEVIN BACON, SEAN GUNN, KAREN GILLAN, BRADLEY COOPER, VIN DIESEL, MICHAEL ROOKER U. A.

LÄNGE: 45 MIN


Sie sind zwar kein Must-See, aber das Guilty Pleasure für jedes Franchise: Holiday Specials. Dem Star Wars-Ableger aus den Siebzigern habe ich mir bis heute verkniffen, doch als leidenschaftlicher Fan sollte ich mich vor Fremdscham nicht fürchten. Kevin Feige hat da schon alle Peinlichkeiten umschifft, denn mit James Gunn auf dem Regiestuhl sind Albernheiten so salonfähig wie nie zuvor. Jener Künstler, der das DC-Universum mit The Suicide Squad aus der pathetischen Schwermut eines Zack Snyder erretten konnte und dort nun auch als kreatives Mastermind die neue Richtung vorgibt, will seine Guardians, die er von der ersten Stunde an mit der nötigen Umsichtigkeit durchs Universum gesteuert hat, natürlich nicht aus der Hand geben. Das Ende kommt früh genug, und es soll nächstes Jahr passieren, mit dem Abschluss einer Trilogie, die so formschön, bunt und praktisch daherkommt wie Weltraum-Fantasy eben auszusehen hat. Bevor wir aber alle eine Träne verdrücken ob des Nimmerwiedersehens mit dem schrägen Haufen an Menschen und Aliens, gibt es noch ein kleines Stelldichein exklusiv für Abonnenten der Disney+-Schiene. Wer Marvel-Fan sein will, darf an diesem Streamingdienst nicht vorbeisparen – es geht nicht anders. Viele zu viele Extras warten dort auf den Nerd, und will man Weihnachten mit Marvel verbinden, muss auch das Holiday Special der Guardians her.

Dort, in der Schädel-Zuflucht Nowhere irgendwo in den Weiten des Alls, sinnieren der drollige Drax und die süße Mantis darüber nach, wie sie Star Lord eine Freude bereiten können, trauert der doch seit Endgame seiner Geliebten Gamora nach. Da kommt ihnen das irdische Weihnachten in den Sinn, das anscheinend gerade vor der Tür steht. Dieses Fest dürfte in den Weiten des Alls ein Exklusivrecht haben oder gar schon zu den physikalischen Grundgesetzen zählen. Vielleicht sind es die Werte aus Liebe, Freundschaft und Zusammenhalt, die universell erscheinen. Das erkennt sogar die zynische Nebula, einst Antagonistin unter dem Zepter des finsteren Thanos. Mantis und Drax planen also, dem guten Peter Quill ein Geschenk zu machen. Aber eines, das lange nachhält, das nicht ausgepackt und weggelegt wird. Wie wärs mit einer Ikone aus dessen Jugend? Wie hieß das Musical noch mal, von welchem der kleine Peter so ein Fan war? Footloose. Und sein Star? Kevin Bacon. Also nichts wie rüber nach Terra, den gut gealterten Schauspieler mitnehmen und bestenfalls gleich einpacken lassen. Klar, dass dieser so einiges dagegen hat und den beiden Gutmensch-Aliens sogar die Polizei auf den Hals hetzt.

Die ulkige Naivität des pink tätowierten Hünen, gespielt von Dave Bautista, sorgt immer noch für Schmunzeln – hinzu kommt das nicht weniger einfach gestrickte Gemüt der Halb-Celestial Mantis: Und schon haben wir sowas wie Dick und Doof des MCU, die in ihrem von Nächstenliebe motivierten Eifer für Slapstick, Chaos und skurrile Momente sorgen. James Gunn weiß, wo er ansetzen und wo er aufhören muss, damit das Ganze nicht lächerlich oder bemüht wirkt. Mit dem Faktor Kevin Bacon bewegt er sich dennoch manchmal aufs Glatteis und wirkt in seinen Bemühungen etwas einfältig, doch wir Zuseher sind die Charaktere schließlich alle schon gewohnt, und sowieso war es längst an der Zeit, bei Groot, Rocket und Co nochmal vorbeizuschauen, bevor das Jahr zu Ende geht. Dass Gunns liebevoll errichteter Punsch-Stand an kauzigen Details und musikaffinen Aliens ungefähr so viel Mehrwert hat wie ein Besuch am Adventmarkt, dürfte bei einem Holiday Special klar sein. Der Dreiviertelstünder fühlt sich an wie der kostspielige Pop-Up-Weihnachtsgruß vom Dienstleister, in schmucker CI und mit allerlei Branding. Damit man sich daran erinnert, dass das MCU noch vieles hat, was gerne gut verkauft werden will.

Vergnüglich bleibt das Special aufgrund rockig-smoother Weihnachtssongs, von denen sogar Bacon höchstselbst eines zum Besten gibt. Und aufgrund der kuriosen Details am Rande. Knuffig, wenn sich Drax einen aufblasbaren Elf wünscht. Oder die Guardians ihre Bescherung erleben. Das ist witzig, versöhnlich und irgendwie auch wehmütig, wenn man an den guten alten Yondu denkt.

The Guardians of the Galaxy Holiday Special

Licorice Pizza

START-UPS MIT HERZKLOPFEN

7/10


licoricepizza@ 2021 Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: PAUL THOMAS ANDERSON

CAST: COOPER HOFFMAN, ALANA HAIM, SEAN PENN, TOM WAITS, BRADLEY COOPER, BENNY SAFDIE, SKYLER GISONDO, MARY ELIZABETH ELLIS, EMMA DUMONT, MAYA RUDOLPH U. A. 

LÄNGE: 2 STD 13 MIN


Die drei Filmemacher, die sich Anders(s)on nennen – Wes, Roy und Paul Thomas – haben eines gemeinsam: eine Vorliebe für szenische Miniaturen, für Anekdoten, die durchaus autobiographisch gefärbt sein können. Der neue Film von letzterem, also Paul Thomas, erzählt im Grunde genommen die simple Lovestory zwischen einem Teenager und einer um zehn Jahre älteren Frau, versetzt diese aber so sehr mit charmant-skurrilen Alltags-Bonmots, dass man vermuten könnte, Licorice Pizza bietet mehr als nur das. Nämlich ein ganzes Zeitbild. Dabei bemüht das Kino abermals die Siebziger, von denen es nicht genug bekommen kann. Die Mode, die Musik, der Lebensrhythmus, die Sehnsucht nach einer Zeit ohne Handy und Internet, wo junge Leute tatsächlich noch physisch mit angepackt haben und nicht nur über Tiktok Blödsinn ausprobieren. Die Siebziger, die waren echter, greifbarer, direkter. Paul Thomas Anderson würde überhaupt den Rest seines Lebens dort verbringen, das war doch schon in Inherent Vice oder Boogie Nights so. Womöglich sind da Anderson selbst wirklich einschneidende Erlebnisse widerfahren. Vielleicht gar so eine Schwärmerei wie diese.

Im Zentrum des Geschehens steht der Kinderschauspieler und Jungunternehmer Gary Valentine, der eines Tages an der Schule Alana kennen und lieben lernt. Sie ist diejenige, mit der er den Rest seines Lebens verbringen will. Er lässt nicht locker, um ein Date zu arrangieren. Aus diesem Date entwickelt sich eine Freundschaft mit einseitiger Verliebtheit. Alana fühlt sich natürlich geschmeichelt, möchte die Avancen Garys einerseits nicht missen, andererseits ist sie seine Anstandsdame. Und außerdem Jüdin. Sowas vertragen die gesellschaftlichen Normen der Siebziger nicht. Aufbauend auf diesen Status Quo, stampfen Gary und Alana allerlei gemeinsame Projekte aus dem Boden, dank des Start-Up-Know Hows des jungen, etwas pummeligen Tausendsassas, der einmal mit Wasserbetten, dann wieder mit Flipperautomaten die Wirtschaft ankurbelt. Zwischendurch probiert sich Alana im Schauspiel, und überhaupt ist die Spielwiese der beiden gefühlt ganz Amerika, das sich aus- und umprobieren lässt. Das mal abenteuerlich, mal streitbar, mal gefühlvoll vor sich hin blubbert. Als wäre die ganze Welt ein Wasserbett.

Irgendwann aber meint es Paul Thomas Anderson zu gut mit seinem Zeitbild, mit seinen Anekdoten und Gastauftritten einiger Stars, die in ihren kleinen Rollen so sehr punkten, weil nicht viel davon abhängt und der Druck, einen ganzen Film zu tragen, nicht auf ihren Schultern lastet. Geheimes Highlight des Films: Bradley Coopers Performance in Weiß. Licorice Pizza (der im Film niemals erwähnte Name eines Plattenlabels aus den Siebzigern) lässt im Bild- und Erzählstil von American Graffiti oder Once Upon a Time… in Hollywood zwei komplett unbekannte, erfrischend neue Gesichter die Leinwand füllen: Alana Haim und Cooper Hoffmann, Sohn des viel zu früh verstorbenen Philipp Seymour. Und auch wenn man es nicht weiß – der Junge sieht seinem Papa unglaublich ähnlich. Sein Spiel ist ungekünstelt und fernab jeglichen Manierismus – ein unbeschriebenes, strahlend helles Blatt. Genauso wie Alana Haim, die gleich ihre ganze Familie mit in den Film geholt hat, um ihre Familie zu spielen. Die junge Dame mit der markanten Nase und dem verschmitzten Lächeln ist einfach hinreißend und genauso authentisch wie ihr Partner. Ein einnehmendes Duo, mit viel Sympathie füreinander und ihr Publikum.

Ist Licorice Pizza also der beste Film der letzten Jahre, wie Kritiker meinen? Der große Wurf? Ich würde meinen: Mit Anderson ist diesmal seine Fabulierlust durchgegangen. Zum Glück verliert er sich nicht so sehr in Nebensächlichkeiten wie in dem aus meiner Sicht leider missglückten Inherent Vice, doch dennoch zieht sich das Sammelsurium aus Romanze und den Abenteuern eines Jungunternehmers deutlich in die Länge. Und die Frage, die mich dabei stets beschäftigt: Warum müssen der Teenie und auch all seine Freunde eigentlich nicht zur Schule? Warum darf ein Minderjähriger ein Unternehmen gründen? Woher hat Gary das Know-How? Könnte sein, dass Licorice Pizza ein Film über ein Genie ist, in einer paradiesischen Siebziger-Alternativwelt, in der alles möglich zu sein scheint.

Licorice Pizza

Nightmare Alley

DER MENTALIST UND DAS MONSTER

8/10


nightmarealley© 2022 Twentieth Century Fox / The Walt Disney Company


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: GUILLERMO DEL TORO

CAST: BRADLEY COOPER, CATE BLANCHETT, ROONEY MARA, WILLEM DAFOE, TONI COLLETTE, RICHARD JENKINS, RON PERLMAN, DAVID STRATHAIRN, MARY STEENBURGEN, HOLT MCCALLANY U. A. 

LÄNGE: 2 STD 30 MIN


Das würde ich wirklich gerne mal machen, und zwar einen Rundgang in Guillermo del Toros schauriger Bude, auch genannt Bleak House, frei nach Charles Dickens und angesiedelt in den Vororten von Los Angeles. Dort wohnt er zwar nicht, aber er geht dorthin, um Ideen zu finden oder sich inspirieren zu lassen. Ich möchte fast sagen, es ist ein Heimkommen in ein inneres Zuhause aus Phantastereien und Alpträumen; ein Metaversum, wenn man so will. All die Räume sind bis zur Decke randvoll mit Monstern, Kuriositäten und Absonderlichem. Mit allem, was seine und andere Filme, die den Mexikaner faszinieren, jemals bevölkert haben. Da ist so viel Zeug, das hat sogar gereicht für eine ergiebige Wanderausstellung quer durch die USA bis hinauf nach Kanada. Vielleicht schafft sie es ja mal nach Übersee, wer weiß. Bis dahin sind del Toros Filme das, was immerhin auch ganz gut als Gruselkabinett funktioniert, aus welchem man allerdings nicht das Heil in der Flucht sucht, sondern fasziniert und an allen Nischen und Erkern innehält, um die bizarre Welt, getaucht in Rot- und Grüntönen, die in der Dunkelheit miteinander verschmelzen, in sich aufzusaugen.

Für diese Welt braucht es Zeit, da geht nichts zackzack. Del Toro muss man genießen wollen und sich nicht verstören lassen von in Spiritus eingelegten Missgeburten, die wie Exponate aus dem Narrenturm indirekt beleuchtet werden, um das Widernatürliche des Körperlichen zu exponieren. Es mag zwar in Nightmare Alley kein Fischmonster in die Wanne steigen, kein Vampir die Zähne fletschen oder eine gehörnte Teufelsbrut coole Oneliner schieben. Doch die Bestien aus seinen Träumen sind auch hier, in einem stringenten, opulenten Meisterwerk der Schwarzen Serie, omnipräsent.  

Guillermo del Toro hat sich eines Romans angenommen, der bereits 1947 erstmals verfilmt wurde: Der Scharlatan von William Lindsay Gresham, der den Aufstieg und tiefen Falls eines Hochstaplers beobachtet, der vorgibt, Mentalist zu sein. Und was für einer: nicht nur kann er angeblich Gedanken lesen und in die Zukunft blicken, sondern vor allem auch mit den Toten kommunizieren. Dabei sieht anfangs alles danach aus, als würde Stanton Carlisle sein Leben nicht mehr auf die Reihe bekommen. Das tut er aber doch, und zwar bei Clem und seinem Wanderjahrmarkt aus Schaustellern, Freakshows und Karussellen. Dort macht er sich nützlich, lernt Tricks und das Lesen von Menschen. Sieht, wie Missgestaltete und Saufbolde als Sensationsbestien missbraucht werden, brennt dann bald durch mit seiner Geliebten, dem Jahrmarktmädchen Molly. Stanton will mehr. Mit seiner Gabe und dem perfekten Betrug die Oberschicht für sich gewinnen und reiche Beute machen. Er wird zu weit gehen, das ist klar. Und er wird einbiegen, in die Allee der Alpträume, die kein Ende hat.

Ein klassischer Film Noir, würde man meinen. Und natürlich mit dazugehöriger Femme Fatale, die Cate Blanchett als gnadenlose und maskenhafte Überzeichnung einer Lauren Bacall zum Versatzstück einer Geisterbahn werden lässt, deren Schein trügt. Es wäre aber nicht Guillermo del Toro, wäre der Film nicht genauso ein seltsames Mischwesen wie seine Kreaturen, die ihn umgeben. Das Publikum wird zum Begaffer eines ganz anderen Bestiariums, das sein großes Vorbild, nämlich Tod Brownings Horrorklassiker Freaks, vor allem in seiner parabelhaften Moral präzise zitiert. Es gibt Szenen und Bilder, die erinnern so frappant an das Schreckensdrama von damals, da gibt’s für mich keine Zweifel. Browning hatte damals mit tatsächlich missgestalteten Menschen gearbeitet, die in einer simplen, aber effektiven Rachegeschichte die finsteren Pläne einer bildschönen Trapezkünstlerin sühnen werden. Auch dort ist ein Jahrmarkt Ort des Geschehens, und auch dort sind niedere Triebe wie die Gier nach Mammon und Wohlstand der Grund dafür, die Gutgläubigkeit anderer zu manipulieren und deren Vertrauen zu missbrauchen. Bradley Cooper alias Stanton tut als Blender nichts anderes als das Schändliche und mutiert zur Kreatur der Nacht mit Vaterkomplex und Hang zum Wahnsinn – ein intensives Spiel, so wie das des gesamten Ensembles des Films, die geben, was verlangt wird, und noch ein bisschen mehr an grimmigem Spuk. In malerische Bilder taucht del Toro sein üppiges Opus Magnum, und schließt mit sicherer Hand den Teufelskreis, aus dem es kein Entkommen gibt.

Nightmare Alley

The Mule

NEVER TOO LATE FOR BREAKING BAD

6/10

 

themule© 2018 Warner Bros. Pictures Germany

 

LAND: USA 2018

REGIE: CLINT EASTWOOD

CAST: CLINT EASTWOOD, BRADLEY COOPER, DIANNE WIEST, LAURENCE FISHBURNE, ANDY GARCIA U. A.

 

Taglilien sind das halbe Leben, zumindest für Kriegsveteran Earl Stone. Und das, obwohl sie nur einen Tag lang blühen. Aber schön sind sie, geruchsintensiv und für Gartenfreaks und sonstige ein gefälliger Blickfang. Earl Stone hat sich da ein Unternehmen aufgebaut, trotz seines relativ hohen Alters. Aber wo die Leidenschaft eben hinfällt, da kann einer wie er sich nicht dagegen wehren. Als dann aber das verhasste Internet mit Onlineshops einem analogen Verfechter wie Earl Stone das Geschäft madig macht, würde nichts mehr übrigbleiben, außer sich frühzeitig ins Grab zu legen, denn die Familie, die hat ihm den Rücken gekehrt, mit Ausnahme seiner Enkelin, die Opa immer noch gernhat. Und da die Enkelin für ihr Studium dringend Geld braucht, der Alte noch nicht ins Gras beißen will und es durchaus Wege gibt, sich relativ leicht genügend Mammon zu verdienen, sattelt Earl Stone um – vom Gewächshaus ins Cockpit eines Autos – um Drogen zu transportieren, von A nach B, ganz entspannt. Ein Blick ins Transportgut – wozu denn? Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, so die Devise des knorrigen Reaktionärs, der mit Smartphones genauso wenig umgehen kann wie mit Afroamerikanern oder der eigenen Tochter.

Was unser geschätzter Walter White alias Bryan Cranston bereits in standfestem Mannesalter durchgezogen hat, probiert der unverwüstliche Clint Eastwood erst viel später aus – und zwar mit 90 Lenzen. Denn: It´s never too late for Breaking Bad. Und Clint ist ja auch kein Giftmischer, sondern nur ein Drogenkurier. Gar nicht so schlimm, oder macht das doch keinen Unterschied? Walter White würde sich mit Earl Stone gut verstehen. Die beiden hätten kooperieren können. Eine vertane Chance. Dann zumindest diese hier nutzen. Und Clint Eastwood nutzt sie souverän.

Sein selbstinszeniertes True-Story-Drama nach den Erlebnissen von „El Tata“ Leo Sharp wagt natürlich keine allzu großen Sprünge mehr. So altersbedingt auch der ehemalige Westernheld über den Asphalt schlurft, so vorsichtig und nichts überstürzend bewegt sich auch der Film vorwärts. Eine gute Idee, Clint die meiste Zeit des Filmes hinter dem Steuer zu wissen. Obwohl – ein Bad Guy ist er trotzdem, trotz seiner eigenwilligen Auslegung einer Möglichkeit, Gutes zu tun. Die Mittel zum Zweck? Können unter dieser Zielerfassung so übel gar nicht sein. Oder was bezweckt Earl Stone wirklich? Auf der Schneespur des alten Mannes: Bradley Cooper, ungewöhnlich nichtssagend für sein Format, direkt austauschbar. Genauso Laurence Fishburne. Die beiden Rollenprofile hätten durch wen auch immer besetzt sein können – sie haben weder eine Vergangenheit noch charakterliche Skills. Ein Schwachpunkt im Drehbuch, den Breaking Bad nicht hatte. Gut, das hatte auch mehrstaffeliges Serienformat – The Mule hingegen ist da nur ein knapp zweistündiger Film, der aber den Schlendrian aus manchen Szenen durch mehr Sorgfalt auf der Gegenseite eintauschen hätte können. Clint Eastwood selbst hingegen war seit Gran Torino nicht mehr so gut. Ihm macht sein Film sichtlich Spaß. So zwischen den Grauzonen der Moral herumzueiern bietet die Möglichkeit, nicht nur verkniffen dreinzublicken, so wie er es immer tut, sondern auch eine gewisse Selbstironie mitschwingen zu lassen, eine gewisse aufmüpfige Gelassenheit, die er als Wendehals Stone den Kartell-Handlangern unter der Fuchtel von Andy Garcia entgegenpfeffert. Das ist natürlich ein Spiel mit dem Feuer, und Clint gibt angesichts waffenfuchtelnder Argumente dann auch mal klein bei – um dann letztendlich das Richtige zu tun. Ohne Rücksicht auf Verluste, in diesem Fall sogar ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben.

Wie sagte Murtaugh aus Lethal Weapon immer? „Ich bin zu alt für diesen Scheiß.“ Clint Eastwood sagt das nicht, und wir werden ihn ähnliches auch niemals sagen hören. Mit The Mule hat die Kinolegende eine zwar nicht unglaublich spannende, aber genussvolle Charakterstudie eines alten Draufgängers verfilmt, der mit all seinen vorgestrigen Ansichten und seinem Unwillen dem neumodischen Fortschritt gegenüber unglaublich authentisch wirkt. Um ihn herum verblasst die ganze Entourage an austauschbar schablonierten Randfiguren, die auf ihre Art schon gefühlt tausendmal besser skizziert wurden. Eastwood weiß das womöglich, aber das ist ihm genauso egal wie seiner Filmfigur, die das alles gar nicht mehr so genau wissen will, weil es sich einfach nur gut anfühlt, nochmal einen draufzumachen. So viel zu verlieren hat man mit knapp 90 nämlich nicht mehr.

The Mule

Avengers: Endgame

THOSE WERE THE DAYS MY FRIEND…

6/10

 

avengers_endgame© 2019 Marvel Studios

 

LAND: USA 2019

REGIE: ANTHONY & JOE RUSSO

CAST: ROBERT DOWNEY JR., CHRIS EVANS, SCARLETT JOHANSSON, CHRIS HEMSWORTH, JOSH BROLIN, PAUL RUDD, MARK RUFFALO U. V. A.

 

Unser Universum ist vermutlich unendlich. Ein anderes ist es nicht – und lotet gerade seine Grenzen aus. Wir sind da mit dabei, die Geeks des Comic- und Popkultur-Kosmos, die Serienjunkies und Freunde fiktiver Welten. Die Rede ist vom Marvel Cinematic Universe. Sein Ereignishorizont – zum Greifen nah. Jenseits davon eine nicht sichtbare, da alles Licht verschluckende Singularität, ein Nichtwissen, wie es überhaupt weitergehen soll. Darüber sollten wir uns aber noch nicht den Kopf zerbrechen. Kommt Zeit, kommt Rat. Apropos Zeit – die ist für viele der liebgewonnenen Helden, die sich bis zum zehnten Jahr mit sämtlichem Gesocks der irdischen und interstellaren Welt herumschlagen mussten, abgelaufen gewesen. Im wohl besten Film des ganzen MCU – in Avengers: Infinity War – wurde die Marvel-Gemeinde mit einem völlig unerwarteten und vom Hocker fegenden Ende konfrontiert. Rund ein Jahr blieb also Zeit, diesen vorläufigen Status Quo überhaupt mal zu realisieren. Und um die Gewissheit zu erlangen, dass hier längst noch nicht aller Tage Abend sein kann. Denn – laut Christian Morgenstern – „kann nichts sein was nicht sein darf“. Also grübel und studier: was könnte das Schicksal denn noch nachträglich abwenden? Leerlauf genug, um sich seine eigenen Theorien zu schmieden. Wohl die meisten würden auf den gemeinsamen Nenner kommen, der irgendwie mit Zeit zu tun hat. Und spätestens nach Ant-Man and the Wasp war es beschlossene Sache – Marty McFly wird in irgendeiner Form grüßen lassen. Wenn schon nicht mit einem fliegenden De Lorean, dann zumindest mit dem profunden technischen Wissen eines Tony Stark oder Bruce Banner. Die Papas werden´s schon richten. Mit guter Hoffnung geht also das Finale Grande in die Zielgerade. Und hat den Ziellauf eigentlich schon hinter sich. Was bleibt: schön sachte auslaufen, nicht sofort stehenbleiben, den Jubel genießen. Wie das bei einem Marathon eben so ist, nämlich dass die körperliche Anspannung von rund 42 Kilometern oder 11 Jahren nicht einfach so ausgepustet werden kann.

Was ich damit sagen will – Avengers: Endgame ist wie das, was folgt, wenn das Zielbanner durchlaufen ist. Die letzten Meter Sprint, die hatten wir letztes Jahr. Das war anfeuern, bangen, mitfiebern, da war alles drin. Und das haben Anthony und Joe Russo genauso konzipiert. Mit voller Konzentration, um aufzuholen, niederzuringen, den Trumpf auszuspielen, den man noch in den Muskeln und im Equipment hat. Avengers: Infinity War ist ein Meisterwerk, weit besser als der oscarnominierte Black Panther, und von einer dramaturgischen Fingerfertigkeit, die anbetracht dieser monumentalen Riege an Stars und Sternchen punktgenau akzentuiert und erzählt wird. Das braucht schon Hirn- und Koordinationsschmalz – eine große Leistung. Hätte man Infinity War und Endgame zu einem fünfstündigen Epos zusammengeschmiedet, hätte sich das Regie-Duo sicher irgendwann verheddert. Oder wäre über ihren eigenen Perfektionismus gestolpert. Doch auch wenn – so wie de facto – Avenger: Endgame als eigenständiger Schlussakkord auf die Leinwand gewuchtet wurde, um dem Verheddern zu entgehen: dieser Stolperfalle entkommt er dann doch nicht. Mit dem Timing des Auf- und Abtretens der Charaktere stimmt so einiges nicht. Aus gewohnt geschmeidigem Rhythmus erklingen Misstöne, die gleichmäßig lodernde Fackel des Widerstands vor dem Endgegner flackert, und das durchaus kritisch. Da helfen zeitnah und akribisch eingeführte Asse im Ärmel als Standalone enttäuschend wenig – und machen ihren Platz in der bisherigen Anthologie der Superhelden ernüchternd irrelevant. Und der Antagonist selbst: der darf, damit das Drama funktioniert, frei wählen, wie stark er ist. Zum Leidwesen einer dem ohnehin Phantastischen inhärenten Logik.

Die To-Do-Liste bei den Avengers ist lang. Also Ärmel aufkrempeln, ran an die Arbeit, und am besten gestern. Multitasking, Kleingruppen und erhöhte Belastbarkeit. Das Ganze klingt wie das Bewerbungsprofil eines mittelgroßen Konzerns, der mit der Challenge am Markt mithalten will. Daraus entwickelt Avengers: Endgame den Anspruch, mehr als nur ein Film sein zu wollen. Vielleicht gleich zwei zusammen. Oder besser eine Miniserie, wie derzeit Game of Thrones. Die Westeros-Saga ist ja großes Kino im Fernsehen und funktioniert. Endgame ist aber großes Fernsehen im Kino – und setzt auf die inszenatorischen wie dramaturgischen Mechanismen einer Show, deren letzter, deutlich fahriger Akt in viele kleine zersplittert und auf einen orchestralen Tusch hinsteuert, der dann sein Publikum wohlkalkuliert in die Sitze drücken soll. Doch, mitunter tut er das ja auch. Aber so richtig packend ist etwas anderes. Und dafür gibt es zwei Gründe, nebst den bereits genannten.

Abgesehen davon, dass mir wirklich keiner – und das wage ich zu behaupten – erklären kann, wie das alles technisch funktionieren soll, und noch dazu in so kurzer Zeit, ist erstens die Wahl der Mittel zur Lösung aller Probleme eine, die Tür und Tor öffnet für die willkürliche Abänderbarkeit gegebener Umstände. Wie das Zurückblättern in einem Spielbuch darf zurechtgerückt werden, bis alles passt. Und das nimmt dem Drama etwas die Würze, schwerwiegenden Entscheidungen die zu ertragenden Konsequenzen. Und zweitens? Avengers: Endgame rekapituliert drei Stunden lang zehn Jahre MCU auf eine Weise, die alle Nichtkenner und sei es auch nur von einzelnen Episoden das eine oder andere Mal sicherlich verwirrt zurücklässt. Endgame ist also nichts, was aus dem Infinity-Kontext gerissen werden kann (Wer sich das aber trotzdem antut, dem wird vieles entgehen). Was wir sehen, ist eine Retrospektive von Iron Man bis Captain Marvel, betreten scheinbar interaktiv viele der Filme, die uns zu Recht begeistert haben – und sehen sich eigentlich nicht wirklich Neuem gegenüber. Das Neue ist das überraschend Alte, kleinteilig verwoben in einem einzig nur wählbaren, und daher auch erwartbaren Fortgang einer Geschichte, deren Dynamik seit eh und je in den Details steckt. Was mitunter gut ist, und wo Widersehen auch Freude macht. Doch die Kompromisslosigkeit von Avengers: Infinity War ist fort, die theatralische Dichte einem augenzwinkernden Heist-Movie gewichen, das durchaus großes Vergnügen macht, aber in fast rührender Wehmut vor sich hinplätschert, mit ganz viel Dialog, langen ruhigen Sequenzen und zwischendurch einigen dramatischen Spitzen, die wie schon erwähnt so typisch Serie sind, dass sich im Kino am Stück seltsame Längen einschleichen. Sind die überwunden, kommt das Ende vom Ende, kolossal wie Herr der Ringe und so bunt und angeräumt wie die Vitrine in einem Comicbuchladen. Was zu erwarten war, so wie der unvermeidliche Appendix eines rührseligen Pathos, leider ganz typisch Hollywood. Wenn die großen Gameplayer der Unterhaltung etwas beenden, dann nicht ohne Zapfenstreich. Der ist also jetzt verklungen, und das Ende ist ein neuer Anfang. Ich liebe Marvel, und all die Kritik hier ist aus einer wohlmeinenden Affinität heraus notiert, die eine ganz bestimmte Hoffnung niemals zerstreuen könnte. Nämlich jene, dass das MCU vielleicht doch unendlich ist.

Avengers: Endgame