Orang Ikan (2024)

ÜBERDOSIS OMEGA-3

5,5/10


© 2024 Splendid Film


LAND / JAHR: INDONESIEN, JAPAN, SINGAPUR, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2024

REGIE / DREHBUCH: MIKE WILUAN

KAMERA: ASEP KALILA

CAST: DEAN FUJIOKA, CALLUM WOODHOUSE, ALEXANDRA GOTTARDO, LUCKY MONIAGA, ALAN MAXSON U. A. 

LÄNGE: 1 STD 23 MIN


Orang-Utan ist wohl jedem ein Begriff, den muss ich nicht erklären. Woher der Name stammt, vielleicht schon, denn der wurzelt in der malaiischen Sprache und heisst soviel wie Waldmensch. Orang für Mensch. Utan (oder Hutan) für Wald. Dann gibt es noch den Orang Pendek (oder Pendak), heisst soviel wie kleiner Mensch. Der Knilch ist nach wie vor ein kryptozoologisches Phänomen und soll sich in den Wäldern Sumatras herumtrollen. Und dann gibt es Orang Ikan. Was Orang bedeutet, wissen wir, und Ikan steht für Fisch. Ein Flossenwesen also auf zwei Beinen, sonst wäre er nicht humanoid. Für den gibt es auch keine wissenschaftlichen Belege, und im Gegensatz zur Pendek-Version reden wir nicht mal über Sichtungen. Denn Orang Ikan stammt aus der Feder von Mike Wiluan, einem in Singapur geborenen Filmemacher, der sich wohl eine ausgewiesen Vorliebe für die frühen Monsterfilme der 50erjahre bewahrt hat, insbesondere für jene von Jack Arnold, und da wieder insbesondere für jenen, der sich Der Schrecken vom Amazonas nennt. In diesem effektiv gefilmten, kauzig-monströsen Klassiker tummelt sich eine Jumpsuit-Unterwasserkreatur im tropischen Sumpf und findet Gefallen an einer – wie kann es anders sein – schönen Frau, die zu ihrem Leidwesen als Teil einer Forscher-Crew das eine oder andere mal durchaus ihr stimmliches Organ beanspruchen muss. Denn wenn man da nicht weiß, was da aus der Tiefe steigt, mag der titelgebende Schrecken schon groß sein. So groß wie ein Mann, der sich damals im Gummikostüm halb zu Tode hat schwitzen müssen. Viele Jahrzehnte später schenkt Guillermo del Toro diesem Fischwesen eine phantastisch-romantische Hommage in barocken Bildern: The Shape of Water wurde zum Oscar-Hit.

Des Fisches Blutgesang

Preislich wird Orang Ikan wohl keine Trophäen abräumen – dafür hätte Mike Wiluan den genretypischen Werkzeugkasten wohl ausleeren und neu einsortieren müssen. So aber bleibt er der Art und Weise, wie man Seemansgarn erzählt, zu hundert Prozent treu, wenngleich er in Sachen monströser Grimmigkeit gerne noch ein Schäuflein nachlegt. Denn Orang Ikan, der hat wohl vom Predator viel gelernt. Darunter auch, wie man Köpfe abreißt und menschlichen Schwächlingen eine Frontal-Gastroskopie verpasst. Wiluan will seine Kreatur so furchterregend wie möglich erscheinen lassen – als Mischung aus Tiefseefisch, Jack Arnold-Body und eben einem Jautja (wie die Spezies des Predators eigentlich bezeichnet wird). Vieles in diesem Film erfreut sich filmischer Referenzen, wenig bleibt als eigenständige Idee auf diesem einsamen, sagenumwobenen Eiland zurück, an dessen Gestaden ein Japaner und ein Amerikaner zur Zeit des Pazifikkrieges ihr Bewusstsein wiederfinden, nachdem ihr Kriegsschiff auf Grund lief. Beide sind aneinandergekettet und hätten als Straftäter wohl eher den Gezeiten überantwortet werden sollen – nun hat es sie noch schlimmer getroffen, denn jetzt ist Orang Ikan hinter ihnen her, um was zu tun? Die Insel zu verteidigen? Potenzielle Nahrung zu sammeln?

Was folgt, ist ein gelb- und grünstichig gefilmtes Guilty Pleasure ohne Überraschungen, dafür aber mit einigen Gore-Szenen und ganz viel Dschungel-Feeling. Das Wesen darf sich einem knackigen Äußeren erfreuen, ganz ohne CGI und somit herrlich analog, wie in den guten alten Zeiten. Für Monsterfans ist Orang Ikan ein genüssliches Junk Food, da lässt sich über seifiges Pathos gerne hinwegsehen.

Orang Ikan (2024)

Eden (2024)

INSELKRIEG DER EGOMANEN

6,5/10


© 2025 Leonine Studios


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: RON HOWARD

DREHBUCH: NOAH PINK

CAST: JUDE LAW, VANESSA KIRBY, SYDNEY SWEENEY, DANIEL BRÜHL, ANA DE ARMAS, TOBY WALLACE, FELIX KAMMERER, JONATHAN TITTEL, RICHARD ROXBURGH U. A.

LÄNGE: 2 STD 9 MIN


In den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts war bereits abzusehen, dass die Welt brennen und der Tod ohne Reue wüten wird. Nicht nur jene wollten weg, die als Minderheit Repressalien zu befürchten hatten, sondern auch so manche, die aus dem Wahnsinn aussteigen wollten, ungeachtet dessen, ob sie etwas zu befürchten hätten oder nicht. Heinrich Harrer zum Beispiel, der zu Kriegsbeginn seine als Expedition getarnte Flucht nach Tibet begann, blieb dort sieben Jahre an der Seite des Dalai Lama am Dach der Welt (Sieben Jahre in Tibet, verfilmt mit Brad Pitt). Thor Heyerdahl wiederum rückte Anfang der Dreißiger der Marquesas-Insel Fatu Hiva zu Leibe, dort blieb er fünfzehn Monate, bis der Traum vom Dschungelparadies im Chaos mündete – hervorragend nachzulesen in seinem nach dem Eiland benannten Reisebericht. Und dann gab es noch den Berliner Arzt Dr. Friedrich Ritter, einen nach neuen Lebensentwürfen suchenden Aussteiger, der gemeinsam mit seiner an multipler Sklerose erkrankten Lebensgefährtin Dore Strauch die Galápagos-Inseln ins Visier nahm, im Speziellen die zerklüftete und unwirtliche Insel Floreana, von niemandem sonst bevölkert außer einer atemberaubenden endemischen Tierwelt, für welche die beiden aber keinerlei Neugier hegten.

Viel lieber lag dem exzentrischen Sonderling, dem im Laufe seines vierjährigen Aufenthalts krankheitsbedingt alle Zähne ausfielen, die selbstüberschätzende Aufgabe näher, einen neue gesellschaftliche Ordnung als Manifest zu verfassen, damit dieses später die ganze Welt verändern soll. Womöglich wäre das Vorhaben, den inseleigenen Senf in alle vier Winde zu verbreiten, auch geglückt, hätte Ritter nicht regelmäßig mit Europa korrespondiert, um sich selbst als messianischen Robinson hochzustilisieren. Diese schmackhaft formulierten Reiseberichte hatten zur Folge, dass die Insel bald neue Besucher empfing. Im Film Eden folgt die dreiköpfige Familie Wittmer als erste den paradiesischen Lobgesängen und zeigt sich als erstaunlich versiert, um auf einem Eiland wie diesen tatsächlich Fuß zu fassen – sehr zum Unmut des inkooperativen Insel-Gurus, den Jude Law mit einer derart säuerlichen Miene verkörpert, als wäre der Zivilisationsfrust noch längst nicht von ihm abgefallen. Der Unmut steigert sich, als die eigene Selbstüberschätzung noch überboten wird – durch die Ankunft einer falschen Baronesse (Ana de Armas), im Schlepptau drei junge Männer und mit der verrückten Idee im Kopf, in Meeresnähe ein Luxushotel zu errichten. Fitzcarraldo lässt grüßen, und das nicht nur wegen des mitgebrachten Grammophons, an welchem Burgschauspieler Felix Kammerer (Im Westen nichts Neues) immer wieder kurbeln muss, damit auch an diesem entlegenen Winkel die Kultur nicht zu kurz kommt. Alle drei Parteien werden alsbald feststellen, dass der frömmste nicht in Frieden leben kann, wenn es den egomanischen Nachbarn nicht gefällt. Inmitten einer Wildnis, in welcher Platz genug für alle wäre, schon gar für dieses Häufchen an Menschen, entfesseln Missgunst, Trägheit und Überheblichkeit, vermengt mit grenzenloser Naivität und bitteren Lügen einen Nervenkrieg am Äquator, den Regie-Handwerker Ron Howard mit routinierter Professionalität in grünlich-blasse, dunstige Bilder taucht. Ein ganzes Staraufgebot lässt sich für Eden zwar nicht nach Galápagos, doch in die Wildnis Australiens zitieren – den Unterschied merkt man kaum, die Anzahl der peniblen Inselkenner bleibt verschwindend gering. Deutschlands attraktivster US-Export Daniel Brühl, Sydney Sweeney und Vanessa Kirby schwitzen, darben und bluten, Sweeney selbst darf in der wohl radikalsten Szene des Films ihr eigenes Kind im Alleingang zur Welt bringen, während sie von streunenden Hunden umringt wird. Ihre Filmfigur ist die einzige Konstante inmitten selbst- oder fremdverschuldeter Nachbarschaftsquerelen, die sich naturgemäß zuspitzen, weil der Mensch nun mal so tickt, wie er tickt.

Zwischen Peter Weirs Anti-Abenteuerdrama Mosquito Coast aus den Achtziger Jahren und Werner Herzogs Dschungelerfahrungen ringt  Howard dem Wesen des Abenteuerdramas aber keinerlei inspirierende Neubetrachtungen ab – ganz im Gegenteil. Eden verlässt sich auf das konventionelle Handwerk eines altbackenen Melodramas mit giftigen Spitzen, orientiert am Erzählduktus von Filmemachern wie Huston oder Preminger. Innovativ ist das nicht, dafür aber klassisch und wohgefällig kitschig. Howard bringt dabei zwar eine etwas sperrige, nicht ganz rundlaufende Szenenregie ins Spiel, weil er vielleicht nicht reminiszieren, sondern erneuern will. Sein Ensemble interagiert bisweilen aber so gekonnt miteinander, dass die einen die schauspielerischen Hänger der anderen kompensieren. In Eden spielt niemand nur alleine auf, diese Schräglage weiß Howard zu vermeiden. Er weiß, dass er niemanden in den Vordergrund stellen kann, denn hier regiert die Gruppendynamik. Manchmal passiert es, da reißt Ana de Armas alles an sich, während Kirby nur mit Mühe ihre Rolle verteidigen kann. Hier die Balance zu halten, und das sogar an tropischem Set, mag eine Herausforderung selbst für Howard gewesen sein. Dass der Dreh nicht leicht war, sieht man allen Beteiligten vor und hinter der Kamera an.

Am Fesselndsten bleibt bei solchen Filmen immer noch die wahre Geschichte dahinter. True Stories wie diese, schon gar wenn sie ein exotisches Abenteuer umschreiben, können gar nicht mal so viel falsch machen, um nicht doch die Bereitschaft zu wecken, sich mit menschlichen Verhalten in der Extreme auseinandersetzen zu wollen.

Eden (2024)

Land of Bad (2024)

NICHT OHNE MEINE DROHNE

4/10


land-of-bad© 2024 capelight pictures


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: WILLIAM EUBANK

DREHBUCH: DAVID FRIGERIO, WILLIAM EUBANK

CAST: RUSSELL CROWE, LIAM HEMSWORTH, MILO VENTIMIGLIA, LUKE HEMSWORTH, RICKY WHITTLE, DANIEL MACPHERSON, CHIKA IKOGWE, LINCOLN LEWIS, GUNNER WRIGHT U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Das war noch was, als der unzerstörbare Chuck Norris gemeinsam mit Lee Marvin im pyrotechnisch versierten Achtziger-Jahre Actiontrash Delta Force den Bösen so richtig einheizen konnte. Den Videotheken wurden zu dieser Zeit regelrecht die Türen eingerannt, Action von damals mit den ganzen späteren Expendables-Haudegen auf bis zur Unkenntlichkeit abgespulten Kassetten, deren mangelnde Qualität aber nicht die Freude nahm, exklusives Material, das sonst keiner auf den beiden öffentlich-rechtlichen Fernsehkanälen sah, bei Dosenbier und Chips und ohne viel Hirnaktivität sichten zu können. Solche Action gibt es heutzutage nicht mehr. Und das ist gut, denn die Zeit des naiven Hurra-Patriotismus und moralbefreiter Rundumschläge ist vorbei. Die Delta Force-Spezialeinheit ist es nicht, sie treibt sich immer noch im Dschungel herum, doch diesmal ist es nicht Chuck Norris, der wortkarg das Feuer eröffnet und maximal eine Schramme davonträgt. Diesmal ist es der zukünftige „Witcher“ Liam Hemsworth, Bruder des deutlich heller im Rampenlicht stehenden Chris Hemsworth, der mit Tyler Rake sein eigenes Franchise gefunden hat. Als einer, der je nach Auftrag zu Unrecht kasernierte Leute raushaut, weiß er sich auf Netflix formschön in Szene zu setzen. Diese Filme geben, was die Beanspruchung der Physis betrifft, einiges her, doch wie sieht es mit Land of Bad aus? Kann Liam seinem Bruder das Wasser reichen?

Diese reuelose, unordentlich aufgeräumte Ära des Krawall-Genres könnte mit Land of Bad eine ins neue Jahrtausend katapultierte Entsprechung gefunden haben, denn sieht man mal vom Auftritt Russel Crowes als Drohnen-Pilot im geschmacklos bunten Hawaiihemd ab, wecken der Dschungel und die darin befindlichen Spezialisten, die eben als Delta Force Team genau das machen sollen, was Chris Hemsworth schon gemacht hat: nämlich Leute raushauen, nostalgische Gefühle. In diesem Fall muss die knallharte Charge auf den Philippinen einen CIA-Agenten aus den Fängen der Terrormiliz Abu Sayyaf befreien. Unter diesen bis an die Zähne bewaffneten, kernigen Stereotypen, die mit routinierter Lässigkeit den Elite-Tiger raushängen lassen und jede Sekunde eigentlich damit rechnen müssten, dem Killerinstinkt eines Predator zum Opfer zu fallen, mischt auch noch ein dritter Hemsworth-Sprössling mit: Es ist Luke, seines Zeichens farblos und generisch wie alle anderen, die alsbald schon mit einem Hinterhalt rechnen müssen, der fast die ganze Einheit dezimiert – bis auf Liam nämlich, der sich glücklich schätzen kann, Russel Crowe an der Hand zu wissen, der mit seiner raketenbestückten Drohne weit weg vom Geschehen fürs Reinemachen sorgt und das große Ganze im Überblick behält. Als ungleiches Gespann ackern sich die beiden also durch den Dschungel respektive über den Bildschirm. Die bösen Philippinos beißen ins Gras, vieles explodiert, Liam braucht bald dringend einen Arzt.

Land of Bad ist der weitaus zeitgemäßere Titel statt Delta Force 4 (denn drei Teile gibt es schon), unter Land of Bad könnte man auch einen düsteren Politthriller vermuten, doch so weit würde ich nicht gehen. William Eubank, dessen Geniestreich The Signal schon einige Jährchen zurückliegt, setzt, ohne eine eigene Handschrift auszuarbeiten, nach Kristen Stewarts Tauchgang Underwater auf die sichere Bank eines Actionfilms und meint dann doch, mit Charakterkopf und Oscarpreisträger Russel Crowe seiner Arbeit ein gewisses Alleinstellungsmerkmal angedeihen zu lassen. Da ist natürlich was dran, und das Zusammenspiel von zwei Männern, die zur gleichen Zeit an unterschiedlichen Orten ums Überleben kämpfen, hat Potenzial, auch wenn Eubank genau dieses in seiner Entfaltung immer wieder selbst unterwandert, indem er das Konzept eines konzentrierten Handlungsfadens durch das Mitmischen lästiger Faktoren verwässert und Liam Hemsworth wohl nicht zutraut, mehr zu empfinden als nur Schmerz. Das hat zur Folge, dass die Action zwar sitzt und einige State of the Art-Zuckerl in die tropenfeuchte Botanik geworfen werden – griffige Figuren bleiben aber Mangelware und sind verantwortlich für ein gewisses Déjà-vu-Gefühl.

Alles schon mal so gesehen? Ja natürlich, und noch dazu weitaus einprägsamer. Russel Crowe bleibt als gemütlicher Joystick-Zampano unter dem Radar, und nimmt man sich einen ganz anderen Film mit dieser Thematik zu Brust – in diesem Falle Eye in the Sky – lässt sich erkennen, um wie viel mehr Flächenbrand Gavin Hoods hochspannender Drohnenthriller entfacht als dieser hier. Man muss aber berücksichtigen: Der eine ist ein moderner Kriegsfilm mit Tiefgang, der andere hegt als Dschungel-Action keinerlei Anspruch auf Mehr.

Land of Bad (2024)

Tiger Stripes (2023)

AUS DEM DSCHUNGELBUCH DER ADOLESZENZ

7/10


tigerstripes© 2023 Jour2Fête


LAND / JAHR: MALAYSIA, TAIWAN, SINGAPUR, FRANKREICH, DEUTSCHLAND, NIEDERLANDE, INDONESIEN, QATAR 2023

REGIE / DREHBUCH: AMANDA NELL EU

CAST: ZAFREEN ZAIRIZAL, DEENA EZRAL, PIQA, SAHEIZY SAM, JUNE LOJONG, KHAIRUNAZWAN RODZ, FATIMAH ABU BAKAR U. A.

LÄNGE: 1 STD 35 MIN


Filme aus Malaysia sind selten. Und wenn man sie zu Gesicht bekommt, meist Koproduktionen mit Ländern, die sonst auch so einiges im internationalen Kinogeschehen mitzureden haben. Das ist gut für Amanda Nell Eu, die mit ihrem Langfilmdebüt Tiger Stripes auf den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes den Hauptpreis der Kritikerwoche abräumen konnte. Gratulation, ein gewinnbringender Einstand, der hoffentlich so einige weitere Koproduktionen nach sich ziehen wird. Mit Tiger Stripes begibt sich die junge Filmemacherin in die malaysische Provinz irgendwo am Rande des Dschungels – was überall sein kann in diesem Land, denn es wuchert und gedeiht hier, wohin man auch nur blickt. Leicht kann es passieren, und nicht nur Nutztiere queren die Straßen, sondern auch mal ein Tiger, was wiederum den Verkehr zum Erlahmen bringt und das Volk aus den fahrbaren Untersätzen holt, damit diese ihren Tiktok-Account mit knackigen Reels füllen dürfen, den später junge Mädchen, in den Schulpausen auf den Mädchentoiletten versammelnd, abrufen können. Social Media hat dort längst das Zepter in der Hand, ein Smartphone hat fast eine jede, die Trends sind gefundenes Fressen, die Selbstinszenierung alles, wofür man den Rest des Tages opfern will. Doch wie das bei jungen Frauen eben so ist, sind manche früher dran in ihrer Adoleszenz als all die anderen. Die, die früher dran sind, haben die Arschkarte gezogen – sie müssen allen anderen vorleben, was später passieren wird. Größere Brüste sind nur ein Merkmal, die Monatsblutung das andere.

Dass die Geschichte der Menstruation eine Geschichte voller Missverständnisse gewesen sein soll, erklärte uns bereits schon in den 90ern das instruierte o.b.-Testimonial durch den Bildschirm in unsere Wohnzimmer hinein. Huch, was war das damals für ein Tabuthema. Und ist es immer noch, ganz egal, ob im Westen oder Osten oder sonst wo. „Wir müssen dich saubermachen, du bist schmutzig“, sagt Zaffans Mama, als diese das erste Mal in der Nacht zu bluten beginnt und ihr Laken wechseln muss. Ab diesem Zeitpunkt wird das junge Mädchen, das eben zu jenen gehört, die sowohl körperlich als auch geistig um einiges weiterentwickelt sind als ihre Kolleginnen, dieses gesellschaftliche Stigma nicht mehr los. Monatsblutung ist igitt, das wird so gelehrt, das wird so vermittelt. Wenn Zaffan unter der Dusche steht, ist das Blut nicht rot, sondern schwarz wie Dreck. Das Natürliche wird zum Unnatürlichen. Das „Opfer“, das die biologische Uhr fordert, ist nicht nur die Abstoßung der Gebärmutterschleimhaut, sondern auch die soziale Ausgrenzung. So passiert es, und Zaffan wird nicht nur aufgrund ihres frei ausgelebten Frau-Seins skeptisch beäugt, sondern auch aufgrund ihres periodischen Umstands gehänselt, gemobbt und links liegengelassen. Vieles ändert sich, im und am Körper eines Mädchens. Tiger Stripes macht daraus einen subtilen, fast schon ans Naive grenzenden Body-Horror, der allerdings keinen ekligen, fast schon verstörenden Schrecken verursacht wie zum Beispiel Julia Ducournaus Raw, sondern vielmehr einer metaphorischen Legendenbildung beiwohnt, die eng mit den Mythen Malaysiens verbunden zu sein scheint und einen fauchende, zähnefletschenden Hauptcharakter ins Feld führt, dessen Augen rosafarben glühen und der sich entweder den archaisch anmutenden Parametern einer wilden Natur hingeben muss oder durch die Distanz zu eben selbiger zugrunde geht.

Die junge Zafreen Zairizal liebt es in diesem Film, die junge Wilde zu geben. Ihre Lust am Tierischen ist ansteckend; ihr Drang, die Hijab abzulegen, das schwarze Haar offen zu tragen und ins rohe Fleisch eines Waldtieres zu beißen, scheinbar getrieben von impulsiver Improvisation. Amanda Nell Eu gab ihr hier mit Sicherheit so einige Freiheiten. Tiger Stripes überhöht auf dem narrativen Niveau einer Graphic Novel den biologischen Coming of Age-Aspekt zu einer Chronologie der Mutation vom Menschen zum Tier. Das Zugeständnis zur Natur des Menschseins wird gleichermaßen eine Abkehr davon, es ist eine Zwickmühle, in der die jungen Mädchen stecken, denn es wird sie alle ereilen, diese Verlockung, dieses Bewusstsein, dieser Drang, sich von den lächerlichen Konventionen der Gesellschaft abzukoppeln, bevor sie diese sowieso wieder mittragen müssen. Ja, es ist auch Pubertät, die da mitspielt. Und nein, es ist nicht Stephen Klings Carrie – Zaffan hat keine telekinetischen Fähigkeiten, findet ihr Heil nicht in der Rache, sondern in der eigenen Selbstbestimmung.

Dass der Weg zum Tigermädchen das eine oder andere Mal unfreiwillig komisch wirkt, ist nicht Zufall, sondern Absicht. Die spielerische Leichtigkeit des metaphysischen Gleichnisses, die ironische Darstellung der Erwachsenenklischees (der träge Vater, der besserwisserische Guru) und überhaupt der ganzen Situation entspricht auch den gekritzelten Lettern im Vorspann. Tiger Stripes ist eine energetische Satire auf das altbekannte Dilemma des Erwachsenwerdens – es bringt zwar nichts Neues aufs Tapet, hat aber eine Freude daran, die Gesellschaftsfähigkeit der weiblichen Natur aus südostasiatischer Sicht als genauso obsolet zu deklarieren wie anderswo auf der Welt. Auch im Westen.

Tiger Stripes (2023)

Die Stimme des Regenwaldes (2019)

AKTIVISMUS ZAHLT SICH AUS

7/10


Spielfilm BRUNO MANSER© 2019 Thomas Wüthrich


LAND / JAHR: SCHWEIZ, ÖSTERREICH 2019

REGIE: NIKLAUS HILBER

DREHBUCH: NIKLAUS HILBER, PATRICK TÖNZ, DAVID CLEMENS

CAST: SVEN SCHELKER, ELIZABETH BALLANG, NICK KELESAU, MATTHEW CROWLEY, BENJAMIN MATHIS, DAVID K. S. TSE, RAAD RAWI, CHARLOTTE HEINIMANN, DANIEL LUDWIG U. A.

LÄNGE: 2 STD 22 MIN


Ganz schön mutig, so ganz allein und nur mit einem Rucksack quer durch Sarawak zu wandern. Ohne Guide, ohne irgend jemandem, der die Gegend und seine Tücken kennt. Ohne großer Kenntnis der lokalen Flora und Fauna. Das muss man wirklich wollen – so auszusteigen und sein Schicksal in Gottes Hand oder in die Hand jener Entität zu legen, die im Glauben der Penan die ganze Gegend mit allem, was da kreucht und fleucht, unter seiner Obhut hat. Der Schweizer Bruno Manser hat das getan: Dem stockkonservativen Weltbild seiner Heimat den Rücken gekehrt, um Alternativen zu finden. Neue Lebensentwürfe und die Essenz des Daseins. Oder einfacher gesagt: Worauf es im Leben wirklich ankommt. Dieser Marsch durch den Regenwald führt in schon bald zum Nomadenstamm der Penan – ein scheinbar unbekümmertes Volk aus Jägern und Sammlern, friedliebend, glücklich, voller Humor. Manser wird anfangs skeptisch beäugt, doch nachdem der „Eindringling“ einfach nicht verschwinden will und bald auch für unfreiwillig komische Momente sorgt, ist er bald Teil der Gemeinschaft, einschließlich textillosem Outfit und ausgestattet mit Speer und Machete.

So streifen sie durch den Dschungel, mehrere Jahre lang – bis dieser plötzlich endet. Grund dafür ist der Kahlschlag ganzer Areale, die eigentlich den im Urwald lebenden Stämmen gehören, doch die malaysische Regierung sieht Indigene wie diese eher als Tiere statt als Menschen. Zumindest Wesen, die keinerlei Rechte haben und übervorteilt werden können, wenn es um die globale Wirtschaft geht. Und Tropenholz, das wollen alle. Vor allem der Staat selbst, in welchem abgeholzt wird, weil Lizenzen wie diese irre viel Geld bringen. Die Gier wird uns sehr bald und so richtig das Genick brechen, ich warte nur noch drauf. Einer, der nicht warten konnte, war eben Bruno Manser. Als „Gandhi“ Borneos gelingt es ihm, all die Penan-Stämme zum gewaltfreien Widerstand zu mobilisieren, sehr zum Missfallen der Holzindustrie und ihre Geschäftspartner, die sich nach langem Tauziehen sogar dazu hinreißen lassen, auf den weißen Lendenschurz-Rebellen ein Kopfgeld auszusetzen.

So geht Aktivismus – das muss man schon sagen. Zielgerichtet, am Ort des Geschehens und unbeugsam angesichts halbseidener Kompromisse, die dazu tendieren, Öko-Robin Hoods wie Manser einfach zu kaufen. Geht natürlich gar nicht, Methoden wie diese schüren nur noch mehr den Widerstand, doch davon haben die, die dem Geld verfallen sind, natürlich keine Ahnung. Die Penan-Blockade ist ein Lehrbeispiel der Auflehnung, trotz des Sitzens am kürzeren Ast. In Zeiten wie diesen, in denen die grüne Lunge des Planeten – vorrangig in Amazonien – immer mehr abgewürgt wird, bis uns die Atemnot auf die Füße fallen wird, ist ein Film wie dieser das richtige Stück Bildungskino für Menschen, die fest der Meinung sind, Aktivismus hätte keinen Sinn. Um sie eines Besseren zu belehren. Niklaus Hilber hat hier 2019 ein Denkmal gesetzt für einen Mann, der aus dem Nichts heraus hörbar für die ganze Welt so vehement auf den Tisch gehauen hat, dass EU und UNO einfach nicht mehr wegsehen konnten. Mit Vokuhila und Gelehrtenbrille steht der halbnackte Idealist auf den staubigen Pisten, links und rechts der Wald, hinter ihm sein geliebtes Volk. Der Schweizer Bühnendarsteller Sven Schelker gibt der Ikone des Umweltschutzes ein Gesicht, welches man in anderen Filmen vergeblich sucht. Und das ist gut so. Der reale Charakter wird dadurch nicht von der Prominenz eines Stars übertüncht – Bruno Manser im Film könnte Bruno Manser in echt sein. Erstaunlich auch die Rekonstruktion der Lebensweise der Penan, mit all ihren Darstellern, die in der indigenen Sprache sprechen, was wunderbar klingt und mit den Geräuschen des Regenwaldes harmoniert. Niklaus Hilber mag sich ganz auf die Eigendynamik aus Natur und indigener Kultur verlassen, auf den Einklang der Menschen mit ihrer Umwelt. Es sind die besten Momente des Films – beeindruckend und opulent, wie in John Boormans Ökothriller Der Smaragdwald aus dem südamerikanischen Dschungel. Auch die Chronik der Auflehnung hat Power, doch nach dem Szenenwechsel in die Schweiz offenbart sich eine unbeholfene Dramaturgie, die mehr an Spielszenen fürs Schulfernsehen erinnern als an packendes Politkino. Das mag an den Co-Akteuren liegen, deren Texte wie aufgesagt klingen. Das Skript ist dann nur noch eine To-do-Liste relevanter Szenen, die für die biographische Chronik eines Bruno Manser essenziell sind.

Ungeachtet dieses Defizits ist es allerdings wert gewesen, mit Die Stimme des Regenwaldes die Geschichte eines großen Aktivisten zu erzählen. Da diese keine Naturschutzfloskeln enthält und auch nicht im Pseudoidealismus den Erfolg solcher Missionen anhand glücklicher Zufälle vom Himmel regnen lässt, bleibt das Ende relativ offen und beschert dem Werk einen greifbaren Realismus. Fakt ist jedenfalls: Seit 2005 gilt Manser im Regenwald Borneos als verschollen. Ob es Mord oder Selbstmord war – oder ob Manser nur untergetaucht ist, wird man nie erfahren.

Die Stimme des Regenwaldes (2019)

The Lost City – Das Geheimnis der verlorenen Stadt

EIN ABENTEUER, WIE ES IM BUCHE STEHT

4/10


thelostcity© 2022 Paramount Pictures


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: AARON & ADAM NEE

CAST: SANDRA BULLOCK, CHANNING TATUM, DANIEL RADCLIFFE, DA’VINE JOY RANDOLPH, BRAD PITT, OSCAR NUÑEZ, PATTI HARRISON U. A.

LÄNGE: 1 STD 52 MIN


Was waren das für herzhafte Screwball-Sidekicks in den Achtzigern, als sich Kathleen Turner und Michael Douglas schwitzend durch ein Abenteuer gekämpft hatten, das beide Seiten ihre Sünden abbüßen ließ: Die Jagd nach dem grünen Diamanten. Wenn aus Turners italienischen Stilettos plötzlich Praktische werden, ist das nur eines von vielen süffisanten Bonmots, die nur einer wie Robert Zemeckis inszenieren kann. Doch die Zeiten der geschmackvollen Was-sich-liebt-das neckt-sich-Parcours, die sich eigentlich schon mit African Queen ihren Einstand gaben, scheinen auf seltsame Weise vorbei zu sein. Es stelzt diesmal Sandra Bullock – im pinkfarbenen Glitter-Overall und wildnis-getunten High Heels – mit Magic Mike Channing Tatum durch den brasilianischen Inselregenwald. Beide necken sich dabei wenig, und von Liebe ist überhaupt keine Spur (wenn man von der letzten Minute des Films absieht). Katherine Hepburn oder Kathleen Turner würden mit den Augen rollen: So viele Klassiker, so viele Vorgaben – und dabei ganz vergessen, worauf es ankommt.

Ein guter Cast allein ist nämlich nicht alles. Immerhin – den haben wir hier, mit Bullock, Tatum, Da’Vine Joy Randolph als schrägen Sidekick und Daniel Radcliffe als schmierigen Bösewicht mit gefälligem Grinsen. Bullock selbst gibt eine sich selbst zwangsbeglückende Bestsellerautorin namens Angela, die aber viel lieber irgendwo auf der Welt nach antiken Schätzen graben würde als bei Marketingshows in peinlichem Outfit auf Hochstühlen herumzurutschen. Zum Femdschämen wird’s erst, als Coverboy Dash mit Hansi Hinterseer-Gedächtnisfrisur auf die Bühne schwebt, das Model all ihrer Buchcover. Die beiden verbindet nichts, nur der schnöde Mammon. Doch das ändert sich, als Angela von Radcliffes Männern fürs Grobe entführt wird. Sie soll helfen, die Schriftzeichen einer untergegangenen Kultur zu übersetzen, die damals Bestandteil ihrer Studienzeit gewesen war. Währenddessen will Dash nicht nur Covermodel, sondern auch Lebensretter sein, und engagiert den abgehobenen Mähnenlöwen Brad Pitt (leider nur in einer kleinen Nebenrolle), um die Autorin da rauszuhauen. Klar geht das schief, und alsbald sind beide, Angela und Dash, auf sich allein gestellt. Das romantische Dschungelabenteuer kann beginnen. Nur funkt und zündet hier leider so gut wie kaum etwas, und das liegt nicht an der tropischen Feuchtigkeit. Obwohl das Ensemble einander nicht im Weg steht, und auch das Wohlwollen des Publikums gewinnt, müht sich das Regieduo Adam und Aaron Nee vergeblich, aus dem wiederbelebten Subgenre erfrischend Neues hervorzukitzeln.

The Lost City ist so vorhersehbar wie ein Langstreckenflug bei gutem Wetter und bestens gewarteter Technik. All diese Versatzstücke, die The Lost City ausstatten, reihen sich in einer fast zweistündigen Formel aneinander, um den perfekten Abenteuerfilm zu mixen. Was dabei herauskommt, ist irgendwas. Jedenfalls etwas, das zur Zerstreuung dient und vorzugsweise Langeweile entstehen lässt, die ganz nett anzusehen ist, weil eben der Cast seine Arbeit macht. Der Rest bleibt ein schales Straucheln, Stolpern und Rutschen mit müden Gags, gestelzter Romantik und gar keinem Grip.

The Lost City – Das Geheimnis der verlorenen Stadt

Im Herzen des Dschungels

NUR NICHT DEN KOPF VERLIEREN

5/10


imherzendesdschungels© 2021 Koch Films


LAND / JAHR: USA, GROSSBRITANNIEN, CHINA, MALAYSIA 2021

REGIE: MICHAEL HAUSSMAN

CAST: JONATHAN RHYS-MEYERS, DOMINIC MONAGHAN, RALPH INESON, HANNAH NEW, JOSIE HO U. A.

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


An Borneo kann man sein Herz verlieren. Und das allein schon wegen der dort endemischen Unterart des uns wohl bekannten Orang-Utans. Was sich dort an Biomasse herumtreibt, geht in kein Reisenotizbuch, und von daher ist es kein Wunder, dass im neunzehnten Jahrhundert die drittgrößte Insel der Welt von Naturforschern aller Art und Nation gern betretenes Territorium war. Sowohl in den Gewässern als auch zu Land, unter jeder Bromelie oder unter dem Laub auf dem Lateritboden: Borneo sehen – und vielleicht sterben? Das wiederum lag an den vielen Ethnien, die dort beheimatet waren (und sind), allen voran den Dayaks – Kopfjägern, die statt Nippes gerne den einen oder anderen vor sich hintrocknenden menschlichen Schädel unterm Dachgiebel hängen hatten. Mag für Außenstehende zwar etwas bizarr wirken – für Einheimische aber war das Enthaupten fast schon Tagesordnung. Solch massive Eingriffe in die Vitalität anderer musste man als Forschungsreisender von damals magentechnisch aushalten können. James Brooke war so jemand.

Der ehemalige Kadett der Ostindien-Kompanie erbt um 1839 herum genügend Geld, um mit einem privaten Schoner die Küsten Borneos zu bereisen und vielleicht, unter Erlaubnis des damals regierenden Sultans und Günstlings Bruneis, ins Innere der Insel hochzuschippern. So weit wird es allerdings nie kommen. Der Muslim hat Probleme mit aufständischen Volksgruppen und benötigt daher Brookes Hilfe, hat dieser doch Kanonen auf dem Schiff. Das Schicksal will es, dass sich Brooke langsam aber doch, zum Raja über Sarawak (der nördliche Teil Borneos) aufschwingt. Was den abgesetzten Sultan in seiner Schmach zu einem Deal mit den lokalen Piraten eingehen lässt.

Klingt abenteuerlich. Kein Wunder – die Lebensgeschichte James Brookes hat gar Joseph Conrad für seinen Roman Lord Jim inspiriert. Und auch die eine oder andere Tier- oder Pflanzenart trägt bis heute dessen Namen. Die Verfilmung selbst wird leider wohl niemanden inspirieren. Musikvideofilmer Michael Haussmann (u. a. für Madonna) wählt Jonathan Rhys-Meyers – den irischen „Jürgen Prochnow“ – als sein filmisches Zugpferd. Der wirkt jedoch – als diabolischer Intrigenspinner in Die Tudors das Gesicht zur Serie – stets unberechenbar. Ein Image, das Rhys-Meyers nicht mehr los wird. Dem eigentlich als aufgeschlossen geltenden Brooke schenkt man daher wenig Vertrauen. Doch andererseits: Wären irritierende Restzweifel an der Integrität dieses Mannes nicht gegeben, würde Im Herzen des Dschungels (im Original: Edge of the World) in drückend-tropischer Windstille nur traurig vor sich hindümpeln.

Dabei ist diese Begebenheit aus dem Weltkarten-Abseits ähnlich wie Against the Ice eine durchaus lehrreiche und prinzipiell interessante Geschichtsstunde. Dass Sarawak unter britischer Herrschaft stand – wer hatte das schon auf dem Radar? Aus der Schule kennt man diese Fakten bestimmt nicht. James Cook – ja. Aber Brooke? Insofern ist Haussmanns Film löblich zu betrachten. Die Umsetzung jedoch müht sich mit einem trägen, recht konfusen Skript herum, das wohl wichtige Szenen zum Verständnis der Geschichte lieblos aneinanderreiht. Da wähnt man sich in einem unter strengem Zeitplan entstandenen Fernsehfilm, der nach Ausstrahlung im Nirwana sämtlicher Programmfüller verloren gehen wird. Zu viel Geschwafel, zu wenig Struktur – aber immerhin jede Menge rollende Köpfe, sodass die Prosthetic-Macher alle Hände voll zu tun hatten. Bis auf Rhys-Meyers bleiben die Figuren der Geschichte trotz blutiger Wunden undankbar farblos, sehr westlich und sprechen obendrein fließend englisch. Da hat sich jemand, wie es aussieht, zu sehr an Werke wie Apocalypse Now oder Farewell to the King orientiert und dabei vergessen, vor lauter Bewunderung für all die Vorbilder die dramaturgische Qualität des eigenen Films genauer unter die Lupe zu nehmen.

Im Herzen des Dschungels

Jungle Cruise

ALLES IM FLUSS

6/10


junglecruise© 2021 The Walt Disney Company


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: JAUME COLLET-SERRA

CAST: EMILY BLUNT, DWAYNE JOHNSON, JESSE PLEMONS, JACK WHITEHALL, ÉDGAR RAMIREZ, PAUL GIAMATTI U. A. 

LÄNGE: 2 STD 8 MIN


Damals, am Amazonas – das war was. Ausgehend von Manaus, ging es vor einigen Jahren im Rahmen einer Fototour zu den rosa Flussdelphinen, die auch im Abenteuer Jungle Cruise aus dem Wasser hechten. Ein unvergessliches Erlebnis. Was man auch nicht vergisst, ist die sagenhafte Hitze, kombiniert mit extremer Luftfeuchtigkeit. Der Schweiß tritt aus allen Poren, schon bei der kleinsten Bewegung. Und ja, auch Emily Blunt und Konsorten müssen ab und an darunter leiden. Dwayne Johnson nicht so, der ist das gewöhnt, betreibt er doch schon seit geraumer Zeit Sightseeing mit Touristen. Doch diesmal soll alles ganz anders kommen, denn die Figur von Emily Blunt – ein gewisser weiblicher Indiana Jones in khakifarbenen „Buxen“ – ist auf der Suche nach einer extrem seltenen Blüte, die jede nur erdenkliche Krankheit, so sagt man, heilen kann (womöglich auch Covid-19). Sie ist aber nicht die einzige, der diese Entdeckung gelingen will. Auch ein Deutscher namens Prinz Joachim ist mit seinem U-Boot alsbald in Brasilien eingetroffen, um dem knorrigen Schifflein von Captain Frank hinterherzujagen.

Klingt tatsächlich nach Steven Spielbergs abenteuerliche Eskapaden mit Harrison Ford. War‘s dort die Bundeslade, der heilige Gral oder die Kristallschädel der Aliens, ist es diesmal der Benefit einer bescheidenen Natur, die glatt den Medicine Man auf den Plan gerufen hätte. Jungle Cruise schippert im gleichen Fahrwasser wie Indiana Jones, erreicht aber keineswegs die kultgewordene Klasse des schlapphuttragenden Archäologen. Da braucht es schon ganz andere Autoren, die sich nicht unbedingt auf eine legendäre Attraktion aus Disneyland beziehen müssen. Gut, dieses narrative Schicksal hatte Pirates of the Carribean ebenso zu verarbeiten, doch das Script war da deutlich besser – zumindest, was den ersten Teil anbelangt. Wir wissen, wohin das in den Sequels geführt hat. Jungle Cruise hinkt plotmäßig schon mit seinem Einstand hinterher. Da kann Dwayne Johnson noch so der knuffige Hüne sein und Emily Blunt noch so der Rolle von Catherine Hepburn aus African Queen nacheifern – beiden sieht man an, dass ihnen nicht viel freies Spiel bleibt. Sie sind Teil einer durchgetakteten Großproduktion, die artig ihre marketingrelevanten Hausaufgaben gemacht hat und nichts dem Zufall überlassen will.

Ich höre die Verantwortlichen für dieses Projekt bei Disney förmlich reden. Wie sie Bezug nehmen auf das Fluch der Karibik-Franchise, welches, von vorne bis hinten nachanalysiert, gerne als Schablone dienen darf für einen ganz anderen Publikums- und Besucherliebling – nämlich für die Kreuzfahrt durch den Dschungel. Und dabei passiert, was Filme wie diese so austauschbar macht: sie sind nach gewissen, immer gleichen Erfolgsformeln inszeniert, sind punktgenau auf Statistiken abgeschmeckt und fühlen sich in ihrer Kalkulation enorm sicher. Was dabei rauskommt, ist vorhersehbar. Was dabei entsteht, sind szenische Attraktionen, die eher holprig miteinander verknüpft sind. Es lässt sich sowohl Jack Sparrow als auch Humphrey Bogart in Dwayne Johnsons Figur wiedererkennen, es lassen sich gar einige wiederkehrende Motive aus der Karibik-Reihe entdecken, die etwas deplatziert wirken, aber was sich nicht entdecken lässt, ist ein Gefühl für Spontanität. Der Fluch des Amazonas sieht ja recht pittoresk aus, doch gleichermaßen wenig inspirierend. Manchmal ist es auch zu viel CGI, insbesondere das penetrante Geblühe am Rande des Dschungels. Das mag zwar für verwöhnte Park-Abenteurer eine gefällige Wildnis sein, doch kommt ihr der Ehrgeiz abhanden, rau, gefährlich und unberechenbar zu sein.

Der Durchbruch gelingt Jungle Cruise als atemberaubendes Sommer-Event nicht so wirklich. Für eine Schifferlfahrt durchs Disney-Bilderbuch mit grundlegend sympathischen Schauspielern kann man aber getrost mit an Bord gehen. Allerdings mit dem Gefühl, dass alles nur Programm ist.

Jungle Cruise

Tragic Jungle

DER DSCHUNGEL IST WEIBLICH

7/10


tragicjungle© 2021 Netflix


LAND / JAHR: MEXIKO 2020

REGIE: YULENE OLAIZOLA

CAST: INDIRA ANDREWIN, GILBERTO BARRAZA, ELIGIO MELÉNDEZ, LÁZARO GABINO RODRÍGUEZ, MARIANO TUN XOOL, DALE CARLEY U. A. 

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


Es gibt wohl kaum einen anderen Ort auf der Welt, an dem man so sehr seine menschlichen Parameter über Bord wirft als im Ökosystem Dschungel. Dort gelten Gesetze, die ein zivilisationsverwöhntes Individuum auf dessen Werkseinstellungen zurückwirft. Wenn das nichts hilft, macht der Wahnsinn all den vergeblichen Versuchen, Würde zu bewahren, ein Ende. Freilich gibt es Ausnahmen, vermehrt jedoch – und vor allem in den narrativen Künsten – ist das Verderben die letzte Instanz eines Prozesses, der klar macht, wie sehr wir uns von Mutter Natur entfernt haben. Aguirre, der Zorn Gottes, hatte völlig den Verstand verloren. Selbst das Vorhaben von Harrison Ford in Mosquito Coast war zu viel Ideologie als praktische Vernunft. Ebenso Daniel Radcliffe. Der war am Ende von Jungle auch viel mehr eins mit dem Humusboden, um noch als Mensch zu gelten. Und so könnte man die Liste fortsetzen. Jüngster Beitrag zu dieser veranschaulichten Diskrepanz ist das auf der letztjährigen Viennale ausgezeichnete filmische Lebenszeichen aus Mexiko mit dem so schlichten wie treffenden Titel: Tragic Jungle.

Schauplatz ist das umwucherte Grenzgebiet zwischen Britisch-Honduras (Belize) und Mexiko. Regenwald, soweit das Auge reicht, durchzogen von Flüssen, dominiert vom kehligen Gebrüll der Affen und dem täuschend fröhlichen Gezwitscher diverser Vögel. Das grüne Chaos durchbrechen drei Menschen – zwei Frauen und ein knorriger alter Mann. Die drei sind auf der Flucht, nur der Mann weiß, wo’s lang geht. Alsbald werden sie  eingeholt – von einem adretten Engländer mit kantigem Gesicht und kalten Augen. Anscheinend will sich Agnes, eine der Frauen, um nichts in der Welt mit diesem feudalen Snob vermählen. Ein Affront, der bestraft werden muss – mit dem Tod. Kurze Zeit später werden alle erschossen – bis auf Agnes eben, die mit dem Leben davonkommt. Oder doch nicht? Gefunden wird sie von einer Gruppe Kautschuk-Bauern, die, erstmal ganz betört von ihrer Schönheit, die junge Frau als ihren Besitz betrachten. So wie den Dschungel eben. Nur: wer kann sich dieses Besitzanspruches würdig erweisen? Mit der Gefangennahme von Agnes setzt die grüne Hölle eine Verkettung von unglücklichen Zufällen in Gang, die gar nicht so zufällig sein können.

Herzlichen Dank an dieser Stelle an Netflix dafür, dass der Streamingriese immer mal wieder Festivalperlen wie diese in sein Sortiment aufnimmt. War schon Nobody Knows I’m Here aus Chile eine Entdeckung oder I’m No Longer Here über den mexikanischen Cumbia-Tanz, ist Tragic Jungle ein weiterer, kinematographisch beeindruckender Ausflug nach Lateinamerika. Irgendwie fühlt es sich auch an, als hätte ein zur Höchstform aufgelaufener Werner Herzog seinen neuesten Film gedreht. Natürlich im Dickicht des Waldes, natürlich an der Grenze zum Irrsinn, natürlich spielend mit der Wahrnehmung. Der Dschungel ist hier beseelt von transzendenten Wesen, von unsichtbaren Geistern, die manchmal sichtbar werden, um ein gerechtes Exempel zu statuieren. In Tragic Jungle verarbeitet Regisseurin Yulene Olaizola Gedichte über ein mythisches Wesen, einem weiblichen Dämon namens Xtabay, der aus den Legenden der Maya entspringt. Über das feuchtheiße, sirrende Grün legt sich die Stimme des Erzählers in Ich-Form, der über Xtabay resümiert – gleichzeitig aber sehen wir die völlige Hilflosigkeit gieriger Männer, die der metaphysischen Macht nichts entgegensetzen haben. Der Dschungel ist weiblich, so Olaizola, und gegen diese Weiblichkeit hilft weder sexuelle Nötigung noch der Drang, diese Weiblichkeit besitzen zu wollen. Entsprechend drakonisch ist die Antwort dieser Manifestation, gleichzeitig aber auch magisch, betörend und manipulativ. Tragic Jungle ist ein zugleich feministisches wie ethisch-moralisches Märchen über unrechtmäßige Aneignung und impulsivem Machtgehabe. Hier regiert die Tugend einer niemals einschätzbaren Entität.

Tragic Jungle

Monos

CHILDREN FOR THE REVOLUTION

7,5/10 


monos© 2020 DCM


LAND / JAHR: KOLUMBIEN, ARGENTINIEN, NIEDERLANDE, DEUTSCHLAND, URUGUAY, SCHWEDEN 2019

REGIE: ALEXIS DOS SANTOS & ALEJANDRO LANDES

CAST: JULIANNE NICHOLSON, MOISES ARIAS, SOFIA BUENAVENTURA, JULIÁN GIRALDO, KAREN QUINTERO, DEIBY RUEDA, SNEIDER CASTRO, PAUL CUBIDES U. A. 

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Wohl eines der erschütterndsten und spannendsten Bücher, die ich je gelesen habe, ist die Leidensgeschichte der Politikerin Ingrid Betancourt, die als Geisel der kolumbianischen FARC jahrelang als wertvollster Besitz galt. Mit Geiseln, so die Rebellen, lässt sich politisch am meisten bewegen. Was das für Leute sind, beschreibt Betancourt mit fast schon sachlicher Genauigkeit. Der Film Monos von Alexis Dos Santos und Alejandro Landes nimmt so einen wilden Haufen junger Hunde ebenfalls unter die Lupe. Dafür steigt er hoch auf die unwirtlichen Hochebenen des südamerikanischen Landes, dort, wo man bereits über den Wolken weilt und auf ein Panorama blickt, dass erstens den Atem raubt und zweitens das unbändige Gefühl von Freiheit vermittelt.

Von dieser Freiheit hat die aus den USA stammende Journalistin, die als Geisel genommen wurde, leider überhaupt nichts. Sie dämmert hier oben, zwischen Gebirgssteppe und verfallenem Bunker (eine fast surreale Kulisse) mehr oder weniger vor sich hin, ohne Aussicht darauf, ersonnene Fluchtpläne in die Tat umzusetzen. Doch diese Doctora, wie sie genannt wird, ist an sich nur die Protagonistin im Hintergrund. Ganz vorne mit dabei, kalaschnikowschwingend und ständig am Feiern: eine achtköpfige Gang, die sich Monos nennt und die einer nicht näher benannten Rebellengruppierung angehört. Anführer dieser Soldaten ist ein muskelbepackter Zwerg, der den Greenhorns immer wieder die Leviten liest – und dann wieder verschwindet. Die Burschen und Mädchen müssen sich also allein organisieren und überdies auf eine Milchkuh achten, die ihnen zum Geschenk gemacht wird. Dass das schiefgeht, ist nur eine Frage der Zeit. Und irgendwann muss die Gruppe weiterziehen, runter ins Tal – in den tropischen Dschungel.

Monos war für mich einer der Filme, die letztes Jahr coronabedingt keine Kinoauswertung hatten. Glücklicherweise gab es dafür das Sommerkino, doch selbst diesen einen Termin konnte ich nicht wahrnehmen. Dabei wäre die große Leinwand für ein Werk wie dieses hervorragend geeignet gewesen, vor allem, weil das Rebellendrama so sehr mit der Opulenz und der Üppigkeit seiner Umgebung spielt. Monos ist allerdings kein klassischer Thriller, und folgt auch keiner gewöhnlichen Erzählweise. Lange Zeit bleibt vieles im Dunkeln, die einzelnen, teils clownesk agierenden Gestalten werden nach und nach bekannt, auch ihre Beziehungen zueinander. Ob hoch oben oder tief unten im stickigen Blätterwald – der spannungsgeladene Mikrokosmos zwischen den acht jungen Menschen und ihrer Geisel gebärdet sich als Psychostudie zwischen Herr der Fliegen und Coppolas Apocalypse Now, wenn man vom Aspekt der Geiselnahme absieht. Jeder einzelne, kaum Herr seiner Lage, versucht sich an die Macht zu boxen oder versucht, eine Lücke für seine eigene Macht zu finden. Nur die Zähen überleben hier, in diesem gesetzlosen Vakuum, in dieser schwül-düsteren Anarchie aus Ehrenkodex, Anbiederung und langsam übergreifenden Wahnsinn. Mensch und die Natur verschmelzen. Archaische Tänze ums Feuer, Gesichter hinter Schlamm- und Erdmasken, sei es zur Tarnung, sei es, um den eigenen erdachten Kult von jeder sonstigen bestimmenden Institution loszulösen.

Monos ist ein rauer, wilder Film ohne Sanftmut und Bedächtigkeit. Mag sein, dass diese unorthodoxe kleine Geschichte über das Wesen des Menschseins für manche schwer zugänglich ist. Mir ging’s anfangs ähnlich, doch mit der Zeit, wenn die Rolle der Doctora sich aus dem sozialen Gefüge herauszuschälen versucht, wird aus dem Gruppenportrait ein spannender Survivalthriller, der die Wildheit Kolumbiens in satten, schweren Bildern anhimmelt und das Ganze noch mit einem hypnotischen, kunstvoll verzerrten Folklore-Score ergänzt. Dieser Trip ins Herz der Finsternis und wieder hinaus lohnt sich.

Monos