Nightmare – Mörderische Träume (1984)

WENN TEENAGER TRÄUMEN

7,5/10


nightmareonelmstreet© 1984 New Line Cinema


ORIGINALTITEL: A NIGHTMARE ON ELM STREET

LAND / JAHR: USA 1984

REGIE / DREHBUCH: WES CRAVEN

CAST: ROBERT ENGLUND, HEATHER LANGENKAMP, JOHN SAXON, RONEE BLAKLEY, AMANDA WYSS, JOHNNY DEPP, NICK CORRI, CHARLES FLEISCHER U. A.

LÄNGE: 1 STD 31 MIN 


Der Traum im Traum im Traum – wie Christopher Nolan sein Publikum mit dem mentalen Ebenen-Thriller Inception durch die Dimensionen gewirbelt hat, brachte weit weniger durchdacht, aber immerhin schon spielerisch und lustvoll genug, Wes Craven anno 1984 aufs Tapet, und zwar mit einem blutjungen Mittlerweile-Klassiker aus dem Slasher-Genre, der sich die abgrundtiefe Bösartigkeit des Antagonisten aus John Carpenters Halloween zu eigen machte und dabei aber noch eine Metaebene weiter ging. Es ist die der unendlichen Weiten der Träume, vorzugsweise des bösen, finsteren, panikmachenden Albtraums, in welchem eine hämisch grinsende Schreckensgestalt Jagd auf jene macht, die ruhig und friedlich in ihren Betten liegen. Den fürs Leben unverzichtbaren Schlaf dafür zu missbrauchen, um ihn mit malträtierenden Vibes zu tränken, ist schon eine fiese Klasse für sich. Denn ohne Schlaf kommt der Mensch nicht aus, Insomnie macht ihn kaputt, genauso wie der Mangel an Nahrung. Schuld an dieser Abnormität ist ein finsterer Geselle ohne Skrupel, ein längst in den ewigen Jagdgründen befindlicher böser Bube an sich – nicht Mike Myers, sondern Fred Krüger, auch gerne Freddy genannt und von ahnungslosen Kindern in einem 1-2-3-Reim besungen.

Dieser ehemalige Kindermörder, von Grund auf und völlig grundlos das Böse personifizierend, ist leicht erkennbar an seinem rotgrün gestreiften Pullover, der verbrannten Haut und seinem zerbeulten Fedora. Markant eben auch die vier Messerklingen, die, an der rechten Hand montiert, den einen oder anderen Teenagerleib aufzuschlitzen gedenken. Wes Craven interessiert kein bisschen, wie es dazu kommen hat können, dass ein Mensch wie Fred Krüger es geschafft hat, sein irdisches Dasein in die Dimension der Träume zu schaffen. Doch genau dieser Umstand ist es, – nämlich Fragen nicht zu beantworten und Ursachen nicht zu ergründen – die einen Horrorfilm wirklich schrecklich machen. Weil niemand weiß, warum, wieso, weshalb. Letztlich bleibt die Hoffnung auf eine dem Unterhaltungskino inhärenten Gerechtigkeit, die letztlich das Gute gewinnen lässt, weil alles danach strebt, Anomalien wie diese auszumerzen.

Wes Craven hat keine Skrupel, der Ordnung nicht zu folgen. Sein Teenie-Slasher ist den moralischen Parametern erhaben, er ist die Antithese zum pädagogisch wertvollen Genrefilm und schickt die Nachsitzer aus dem Breakfast Club in die Vorhölle der Bettruhe. Niemand darf mehr schlafen, und wenn doch, muss eine wie Nancy Thompson gewappnet sein. Träume sind hier nicht nur Schäume, sondern Geisterbahn-Parcours, die, wie bei Träumen so üblich, gesteuert werden könnten, hätte man das Know-How dazu. So wie Jamie Lee Curtis gegen Mike Myers kämpft bald Heather Langenkamp (sowohl auch im Original als auch in diversen Fortsetzungen) gegen ihre Nemesis, gegen den hässlichen Schlitzer, der sich allerlei anmaßt.

Und dann sind da die Dimensionen, die Wach- und Traumzeiten, die Craven durcheinanderbringt, bis man wirklich nicht mehr feststellen kann, was nun wirklich ist. Auf die Spitze getrieben wird dies mit einem vom Meister höchstselbst abgelehnten Ende, welches dank Cravens Produzent aber dennoch in die Endfassung kam. Eine weise Entscheidung? Jedenfalls eine, die noch mehr irritiert. Interpretationen darüber gibt’s viele. Und schließlich ist der Umstand, über einen Film länger nachzudenken als üblich, geradezu eine Auszeichnung.

Mittlerweile vierzig Jahre alt, hat Nightmare – Mörderische Träume immer noch seine perfiden Momente, die sogar spätere Klassiker wie Kevin – Allein zu Haus vorwegnehmen – oder eben Nolans Inception. Verknüpft mit der reuelösen Bösartigkeit des zu bekämpfenden und unverbesserlichen Monsters und einigen ikonischen Szenen wie jene mit Heather Langenkamp in der Badewanne bietet dieser augenzwinkernd-originelle Horror immer noch schreckliche Unterhaltung vom Feinsten. Manches ist charmant angestaubt wie bei Ghostbusters, manches wirklich verblüffend zeitlos. Der Blutzoll ist enorm, die Lust am Einschlafen geringer als sonst.

Nightmare – Mörderische Träume (1984)

Longlegs (2024)

DEN TEUFEL AUF DISTANZ HALTEN

7,5/10


longlegs© 2024 DCM


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE / DREHBUCH: OZ PERKINS

CAST: MAIKA MONROE, NICOLAS CAGE, BLAIR UNDERWOOD, ALICIA WITT, KIERNAN SHIPKA, ERIN BOYES, LISA CHANDLER, SCOTT NICHOLSON, DAKOTA DAULBY U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Wo ist Nicholas Cage? Man erkennt ihn gar nicht hinter dieser seltsamen Maske, die so aussieht, als hätte Mrs. Doubtfire den Nachtdienst in der nächstgelegenen Geisterbahn begonnen. Als hätte Mickey Rourke sein Geschlecht gewechselt. Seltsam feminin, tänzelnd wie der Joker und vom Teufel besessen geistert die Gestalt des Longlegs durch ein düsteres, von allen guten Geistern verlassenes Amerika, wie ein Harlekin des Grauens. Nicht von dieser Welt und dennoch nur ein Mensch. Oder doch nicht?

Wer sich einen Psychothriller biblischen Ausmaßes erwartet, wie ihn David Fincher zu meinem bekennenden Schrecken in den Neunzigern losgelassen hat, darf nur zum Teil darauf hoffen, von einer packenden Tragödie sturzflutartig mitgerissen zu werden. Longlegs geht die Sache nämlich ganz anders an. Ruhiger, stiller, bis zum Äußersten entschleunigt. Und dennoch entwickelt die finstere, metaphysische Mär um das paranormale Treiben eines hässlichen Sonderlings eine intensive Dynamik – viel untergründiger als bei Sieben, viel mehr introvertierter und überhaupt nicht energisch, sondern in den Momenten potenziellen Spuks, der da aufkommen könnte, innehaltend, um dann wieder die Erwartungen des Zusehers zu konterkarieren. Mit dem mysteriösen Song Jewel der Band T. Rex und einem daraus entnommenen Zitat, schwarze Lettern auf Rot, beginnt eine Sinn- und Tätersuche, die sich tief ins Unterbewusstsein von Protagonistin Maika Monroe gräbt, die als FBI-Ermittlerin Lee Harker durch den fundamentalen Wahnsinn eines Satanisten auf ihre eigene verzerrte Biografie zurückgeworfen wird. Diese Reise in die Dunkelheit führt durch ein fahl beleuchtetes Labyrinth aus Fluren, Kellern und weiten Räumen, deren hintergründige Unschärfe dem Auge Streiche spielen, während die Kamera stets Distanz hält zu seinen Figuren, lediglich Monroe rückt näher ins Bild, stets ernst, argwöhnisch und sonderbaren Klängen lauschend, die Psychopathisches auf den Plan rufen könnten.

Akribisch lernt Agentin Harker das krude Alphabet des Spinners, immer rätselhafter wird dieser Fall, der sich nicht auf die zehn Todsünden herunterbrechen lässt, sondern viel komplexer scheint. Schließlich ist es so, als würde Longlegs niemals selbst töten, als wären es die Opfer selbst, die sich und ihre Liebsten richten, angetrieben durch irgendeine obskure Macht, die der Killer entfesseln kann. Ist es Hypnose? Sind es Drogen?

Der Eindruck, dass die Wahrnehmung etwas verzerrt wirkt, liegt auch an den subtilen, ausgefeilten technischen Spielereien, die sich Regisseur Oz Perkins, der älteste Sohn von Schauspiellegende Anthony Perkins (Psycho), da einfallen hat lassen. Auch wenn das ferne Gewitter am dämmrigen Abendhimmel Wetterleuchten verursacht – stets bleibt das Gefühl einer Ruhe vor dem Sturm konsistent. Perkins Welt gerät unter einen Glassturz, in eine windstille Szenerie aus abgestandener Luft und Unbehagen. Die ungesund gelben Lichtkegel billiger Taschenlampen durchdringen die Finsternis, der magere Schein alter Glühbirnen und halogenem, septischem Schwachlicht erhellen das Halbdunkel nur kaum, das besser als alles andere die Metaphysik dieses okkulten Dramas versinnbildlicht. Longlegs Bildsprache folgt einer aufgeräumten Ordnung, einer Hintergrund-Symmetrie, ein erlesenes Setting, die Figuren befinden sich zentral. Vieles lässt sich in diesem Kunstwerk analysieren – am schwierigsten zu handhaben ist da wohl das Herunterschrauben einer Erwartungshaltung, die sich aus den Erfahrungen im Genre speist. Longlegs entwickelt dabei einen eigenwilligen Takt, die Ruhe vor dem Sturm zeigt sich als der Sturm selbst.

Der mit bedächtig gesetzten Gewaltspitzen ausgestattete Horror findet einen neuen Zugang ins Okkulte und vermengte das Reale mit einer fantastischen Komponente, die sich nur so nebenbei ins Geschehen schleicht. Budenzauber und hohlen Schrecken sucht man in Longlegs vergebens. Diese Ermittlungsarbeit ist ein mephistophelisches, künstlerisch versonnenes wie versponnenes Erlebnis, die den Faust’schen „Pudels Kern“ neu interpretiert. Dass Oz Perkins dabei, wieder auf einer eigenen Ebene, garstige Kritik am Katholizismus und der blinden, bigotten Bibel-Frömmelei äußert, wird in dieser Review nur rein zufällig zuletzt erwähnt. Als Wurzel allen Übels liefert dieser schadhafte Eifer überhaupt erst das Fundament für ein verhängnisvolles Spiel.

Longlegs (2024)

Alien: Romulus (2024)

IN DER KOMFORTZONE DES MONSTERS

7/10


ALIEN: ROMULUS© 2024 20th Century Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: FEDE ALVAREZ

DREHBUCH: RODO SAYAGUES, FEDE ALVAREZ

CAST: CAILEE SPAENY, DAVID JONSSON, ISABELA MERCED, ARCHIE RENAUX, SPIKE FEARN, AILEEN WU, DANIEL BETTS U. A.

LÄNGE: 1 STD 59 MIN


Aus dem Filmuniversum rund um den Terminator lässt sich nicht viel mehr lukrieren als jenen Content, den wir bereits aus James Camerons beiden Teilen kennen. In jener Welt, in welcher der Xenomorph sein Unwesen treibt, sieht das ganz anders aus. Das mag wohl daran liegen, dass selbst in Ridley Scotts Original nicht nur ein Monster die Besatzung eines Raumfrachters dezimiert, sondern gewisse Metaebenen wie jene eines dystopischen Konzerntotalitarismus als ungreifbare Zweitbedrohung für Unwohlsein sorgen. Exekutiert hat diesen evolutionären Kapitalismus ein Android namens Ash, der anfangs so schien, als würde er für das Gemeinwohl der Besatzung handeln, letztlich aber dafür verantwortlich war, dass alles so weit kam, wie es kommen musste, um jenen Horrorthriller in den Annalen des SciFi-Genres zu verankern, der dank des Scheiterns von Jodorowsky’s Dune sein Potenzial zu nutzen wusste. Der Schweizer H. R. Giger hatte dazu gleich ein künstlerisch hochwertiges Wesen geschaffen, daraus und in diesem Stil hunderte Spielarten einer gattungsgleichen Biologie in den Weltraum geschossen – immer auf Augenhöhe mit einer künstlichen Intelligenz, die stets eine Affinität für diesen gewissenlosen Organismus entwickelt, die voll und ganz dem darwin’schen Credo Survival of the Fittest folgt. Wer als größter Egoist im Universum keinerlei Skrupel hat, auf Kosten anderer Arten an die Spitze der Nahrungskette zu gelangen, hat gewonnen. Roboter helfen dabei. Konzerne wie Weyland-Yutami genauso. Das alles und noch viel mehr spielt in Alien eine große Rolle – und jene, die aufgrund dieser Tatsache ins Gras beißen müssen, sind nur der schnöde Beweis dafür, dass es funktioniert. Immer und immer wieder.

All diese Komponenten erneut zusammenzubringen, dafür hat Fede Alvarez (Don’t breathe, Evil Dead) einen Spagat gewagt, der auf verblüffende und wenig aufdringliche Weise so gut wie alles, was bisher im Dunstkreis der Aliens entstanden war, unter einen Hut bringt – oder anders formuliert: in eine verlassene Raumstation packt, wo Furchtbares passiert. Eine schönere Spielwiese im SciFi-Horrorgenre gibt es kaum. Wenn man aber vermutet, dass Alvarez gar Ridley Scotts beide Prequels einfach so ignoriert, um das Monster auf seine Essenz zurückzuwerfen, hat nicht verstanden, dass sich der perfekte Killer niemals mit sich selbst begnügt. Das wäre zu wenig. Die Symbiose mit Geburt, Fortschritt und Untergang der Menschheit wird dieses als Testimonial für Weltenumspannendes zu sehendes Ungetüm stets eingehen – das macht es so interessant, so faszinierend, ohne dass es dabei das rätselhaft Mythologische verliert, was ihm anhaftet.

Dass Alvarez dem Original in vielerlei Hinsicht huldigt, ohne es zu kopieren, ist offensichtlich. Ganz zu Beginn, in der Epilog-Szene des Films, könnten Puristen des Franchise feuchte Augen bekommen. Nahtlos knüpft Alien: Romulus am Ursprung an, ohne ihn zu verwässern. Sound, Setting, die Komposition aus Licht, Schatten und mit alarmierenden Countdowns einhergehende, blinkende Farb- und Lichtspiele – stilsicher schenkt Alvarez dem Alien seine Convenience-Zone und verlässt sie nur am Ende, um ganz andere Erzählfäden aufzugreifen, die man längst lose herumhängen gesehen hat. Diese Fäden zieht Alvarez straff – und schickt diesmal keine desillusionierte Arbeiterklasse oder abgestumpfte Soldaten ins Rennen, sondern Mittzwanziger-Kolonisten, deren Zukunft noch bevorstehen könnte, sofern sich die Parameter ändern lassen. Eine verlassene Raumstation im Orbit soll all das noch in petto haben, was fünf Freunde und ein Android benötigen würden, um das triste Leben auf ihrem Arbeiterplaneten hinter sich zu lassen. Nichts ahnend, dass dieser schmucke Kreisel, der alsbald mit den Ringen des Planeten kollidieren wird, darüber hinaus eine Forschungsstation für sonderbare Lebensformen gewesen sein mag, werden Caley Spaeney (Priscilla), Isabela Merced und Co alsbald mit den uns bekannten und beliebten Facehuggern konfrontiert, die nur der Anfang einer Metamorphose darstellen, die letztlich das Alien freisetzt.

Der Plot ist schnell umrissen, die Komplexität desselbigen entsteht aber durch eine Vielzahl grimmiger Hürden, die diese simple Struktur zu einem Survivalthriller aufmotzen, der allerlei technisch-physikalischen Herausforderungen unterliegt. Das Alien mag der Auslöser sein, doch ist es längst nicht alles. David Jonsson als ambivalenter Android legt eine exzellente Performance hin, die Ian Holm ebenbürtig scheint – sein Handeln beeinflusst vieles in diesem Film. Das Xenomorph selbst mag fast schon selbst mit dem technischen Wahnsinn dieser Raumstation zu hadern – frei nach dem Motto: Mitgehangen, mitgefangen. Womit Fede Alvarez aber überfordert zu sein scheint, ist die Wahrnehmung von Zeit – womit manche Logiklöcher entstehen, die man nicht näher hinterfragen sollte, will man sich die Laune an dieser bereichernden Episode nicht nehmen. Uncanny Valley-Effekte, die aufgrund dessen, ein altbekanntes Gesicht zurückholen zu wollen, in gruseliger Deutlichkeit etwas befremden – auch darüber lässt sich hinwegsehen. Der Brückenschlag zur Vorgeschichte eines Phänomens gelingt jedoch vorzüglich. Und so unterfüttert und festigt Alvarez mit künstlerischem Mehrwert und albtraumartig-fantastischen Bildern, die einen Zeichner wie Alfred Kubin mit Lovecraft’scher Leidenschaft ins Weltall katapultiert, in vielleicht gar nicht beabsichtigter Intensität das ganze Universum, in welchem noch so einiges zu holen ist.

Alien: Romulus (2024)

Immaculate (2024)

WIE DIE JUNGFRAU ZUM KIND

6,5/10


immaculate© 2024 Polyfilm


LAND / JAHR: USA, ITALIEN 2024

REGIE: MICHAEL MOHAN

DREHBUCH: ANDREW LOBEL

CAST: SYDNEY SWEENEY, ÁLVARO MORTE, BENEDETTA PORCAROLI, DORA ROMANO, GIORGIO COLANGELI, SIMONA TABASCO, BETTY PEDRAZZI, GIULIA HEATHFIELD U. A.

LÄNGE: 1 STD 29 MIN


Nonnenhorror ist allseits beliebt. Dabei denken die meisten – und auch ich – wohl gleich an Valak, diesen hässlichen Dämon und Jump Scare-Experten aus dem Conjuring-Spin Off The Nun. Viel klassischer ist da noch die Welt des kleinen Damian – und wie alles begann. Um dem Ursprung nachzugehen, startete heuer das Prequel Das erste Omen in den Kinos. Ob in Rumänien oder, wie hier, in Italien: Filmklöster beherbergen, was jeder sowieso längst vermutet: Dunkle Geheimnisse, perverse Machenschaften, niederträchtige Gottlosigkeit. Konvente wie diese sind suspekt, besonders, wenn sie in Mauern stattfinden, die wohl die Medici schon gesehen haben. Schön alt alles, Torbögen in den Kellern, Kerzenschein in den Fluren, hallende Gebete aus der Krypta. Eine Spielwiese für atmosphärischen Grusel und paranormalen Schwachsinn, der aber seine Wirkung oft nicht verspielt. In Immaculate, einer italienisch-amerikanischen Koproduktion, geht Regisseur Michael Mohan hemmungslos ans Eingemachte. Denn dort, in diesen abseits gelegenen Hallen, soll diesmal nicht der Leibhaftige, sondern Jesus Christus selbst das Ende der Welt einläuten – als gebenedeite Wiedergeburt aus dem Schoße der jungen Sydney Sweeney, die bald schon als heilige Cecilia verklärt wird. Wunder gibt es im Katholizismus immer wieder, von den merkwürdigen Stigmata eines Pater Pio bis zur andachtserweckenden Erscheinung der heiligen Jungfrau Maria höchstselbst, mit allerlei Geheimnissen in petto, die nur der Papst wissen darf.

Wie es also sein kann, dass Cecilia, längst das Gelübde zur Nonne abgelegt und stets enthaltsam, ganz plötzlich ein Bäuchlein vor sich herschiebt? Der Klerus ist verstört, verwundert und verzückt gleichermaßen. Doch was so aussieht, als würde Gott endlich wieder mal zu uns sprechen, entpuppt sich naturgemäß als Ergebnis finsteren Treibens. Es bleibt zu hoffen, dass die junge Dame wehrhaft genug bleibt, um sich aus den Fängen der gar nicht so frommen Belegschaft zu befreien. Bis dahin pulvert das Klostergrauen seine okkulten Versatzstücke durchs Gewölbe, von des Nächtens spukhaften Erscheinungen, seltsamen Suiziden (die wir so auch schon aus Das erste Omen kennen) und unheilvollen Reliquien. Wo Rosemarys Baby noch mit den indirekten Ahnungen spielt, lüftet Immaculate auch noch den letzten Vorhang ins Allerheiligste. Lange ist nicht klar, ob man es mit Paranormalem oder lediglich zutiefst menschlichen, niederen Gesinnungen zu tun hat. Den Gruselfaktor alter Leute setzt Mohan ebenso ein wie gesichtslose Masken, die einen geheimen Orden andeuten. Überhaupt müffelt hier alles nach Omen, wenig Eigenständiges bringt Immaculate zustande.

Und dennoch: Dieser Film hat das, was Das erste Omen nicht hatte: Eine Protagonistin, die sich so vehement ins Zeug legt, dass sie sich ins Gedächtnis ihres Publikums brennt. Vor Schmerzen schreiend, vor Wut tobend spielt sich Sydney Sweeney die Seele aus dem Leib, hangelt sich als kurz vor der Niederkunft befindliche Schwangere, deren Fruchtblase geplatzt ist, von einer Gefahr zur nächsten. Und wieder brüllt sie, wehrt sich, meuchelt scheinheilige Nonnen mit einer erschütternd panischen Aggressivität, die irritiert. Sweeney gibt alles, in einem Film, der seinen obskuren Plot nur ertragen kann, wenn er ihn in wüste Unordnung bringt und mal da, mal dort, sein dreifaltiges Blut verspritzt. Würde man Sweeneys Cecilia ins Omen-Universum integrieren – was wäre das für ein Gewinn!

Immaculate (2024)

Im Wasser der Seine (2024)

HAIE DER GROSSSTADT

7/10


ImWasserderSeine© 2024 Netflix


LAND / JAHR: FRANKREICH 2024

REGIE: XAVIER GENS

DREHBUCH: XAVIER GENS, YANNICK DAHAN, MAUD HEYWANG, YAËL LANGMANN

CAST: BÉRÉNICE BEJO, NASSIM LYES, LÉA LÉVIANT, ANNE MARIVIN, AURÉLIA PETIT, NAGISA MORIMOTO, SANDRA PARFAIT, AKSEL USTUN U. A.

LÄNGE: 1 STD 41 MIN


Die Zoologen, Hai-Experten und Wissenschaftler dieser Welt gehen auf die Barrikaden. Im Wasser der Seine von Xavier Gens ist Mist oberster Güte, da sei selbst Meg mit Jason Statham, so das Echo, noch logischer. Ehrlich wahr? Wie logisch kann Meg wohl sein, wenn Superactionhero Statham einem Megalodon ins Maul tritt und im Alleingang einer prähistorischen Naturgewalt die Leviten liest? Das ist genauso Edeltrash wie Im Wasser der Seine. Und am besten sind Hai-Horrorfilme genau dann, wenn sie genau das sind: hanebüchener Tierhorror jenseits der Verhaltensforschung, der seinen Zenit in Filmen wie Sharknado erreicht – denn gegen Sharknado ist Im Wasser der Seine ja fast schon akribisch recherchiertes Wissenschaftskino. Und auch wenn es das nicht ist – und natürlich ist es das nicht – gelingt Xavier Gens etwas Kurioses. In diesem wild fuhrwerkenden Szenario, das dazu steht, nicht der Realität entsprechen zu wollen, sondern eher einem irrealen Albtraum, dem man hat, wenn man rein intuitiv, impulsiv und subjektiv über Hai-Horror nachdenkt, finden Mako-Haie, die ja grundlegend auch dafür bekannt sind, zu den gefährlichsten Knorplern zu gehören, die wir kennen, ihren Weg in die Stadt der Liebe. Warum das so sein kann? Nun, die Evolution schläft nicht, und muss sich in Zeiten des Klimawandels, des Raubbaus der Meere und der sonstigen Unwägbarkeiten, die das Anthropozän so mit sich bringt, neu erfinden. Da kann es sein, dass sie auf Express umschaltet und Begebenheiten möglich macht, die Tierkundler zur Verzweiflung bringen.

Eine davon ist Sophie, gespielt Bérénice Bejo, die seit dem Neo-Stummfilm The Artist von Michel Hazanavicius kein unbeschriebenes Blatt mehr ist. Der Horrorthriller beginnt mit einem desaströsen Ausflug in den Pazifik, genau dorthin, wo der verstörende „Müllkontinent“ vor sich hintreibt. Vor der Kulisse eines Schandflecks, den wir Menschen verursacht haben, ist die Natur klarerweise mehr als gewillt, ein Exempel zu statuieren – und löscht Sophias ganzes Team aus. Besagter Mako-Hai hat zugeschlagen – ein dicker, fetter, großer. Genau dieser flosselt gemächlich und Jahre später in der Seine herum, gerade zu einer Zeit, als die Bürgermeisterin der Stadt einen Triathlon organisiert, der zum Teil auch in fließendem Gewässer stattfinden soll. Sophia und Polizeibeamter Adil (Nassim Lyes, bekannt aus Xavier Gens Actionfilm Farang) gehen haarsträubenden Gerüchten nach, da ja prinzipiell nicht sein kann, dass ein Räuber aus dem Salzwasser hier sein Unwesen treibt. Sie werden bald eines Besseren belehrt, und ein Wettlauf mit der Zeit bricht sich Bahn, während der Knorpler frühstückt, als gäb‘s kein Morgen mehr. Dieses Morgen allerdings, steht wirklich bald auf der Kippe.

Man sollte sich dieses Szenario selbst ansehen. Man darf sich wundern und an den Kopf greifen. Und dennoch macht Im Wasser der Seine insofern Laune, da es keinen Jason Statham gibt, der alles richtet. Doch immerhin: Die ignorante Bürgermeisterin, die Wissenschaftlerin, auf die keiner hört, die Öko-Aktivistin, die ihr eigenes Ding durchzieht – im Film wimmelt es von Stereotypen und Rollenklischees. Was diesen bewährten Mustern aber passiert, ist das Konterkarieren ihrer Selbst. Xavier Gens lässt sie alle bluten, es wirbeln Köpfe und Gliedmaßen, da gerät Deep Blue Sea zum Kindergeburtstag. Und der urbane Mensch, ob auf logischem Wege oder auch nicht, wird endlich mal wieder dorthin verwiesen, wo sein Platz ist. Und der ist nicht zwingend am Ende der Nahrungskette.

Im Wasser der Seine (2024)

Das erste Omen (2024)

AUF TEUFEL KOMM RAUS

6/10


THE FIRST OMEN© 2024 Twentieth Century Fox. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA, ITALIEN 2024

REGIE: ARKASHA STEVENSON

DREHBUCH: TIM SMITH, ARHASHA STEVENSON, KEITH THOMAS

CAST: NELL TIGER FREE, RALPH INESON, NICOLE SORACE, SÔNJA BRAGA, BILL NIGHY, MARIA CABALLERO, ANDREA ARCANGELI, ANTON ALEXANDER, TAWFEEK BARHOM, ISHTAR CURRIE-WILSON, MIA MCGOVERN ZAINI U. A.

LÄNGE: 1 STD 57 MIN


Wie macht man ein Prequel für einen Film, der fast schon fünf Jahrzehnte auf dem Buckel hat? Reicht da nur, diesem die Optik seines Nachfolgers zu verpassen? Mitnichten, denn Erzähltempo, Score und das Lebensgefühl der Siebzigerjahre sind da nur ein paar weitere Faktoren, die müssen schließlich auch berücksichtigt werden. George Lucas zum Beispiel musste in seiner Prequel- Trilogie zu Star Wars: Eine neue Hoffnung damit ringen, die zeitlich davor angesetzte Storyline nicht so aussehen zu lassen, als wäre sie ihrer eigenen Zukunft voraus. Nur teilweise ist ihm das gelungen. Bei Richard Donners Satansbraten-Thriller Das Omen, das sich mit einigen Sequels ebenfalls zu einem Franchise entwickelt hat, mag es einfacher sein, das ganze Ensemble in einen Siebziger-Look zu kleiden und ganz Rom mit Retro-Boliden auszustatten. Eingefangen wird das schmucke Szenario mit einem bereits aus der Mode gekommenen Kamera-Manierismus, der aus schnellen Zooms und etwas unkoordinierten Schwenks besteht. Unterlegt wird das Revival mit nostalgischem Score und über allem dann ein entsprechend ausgewaschenes Retro-Kolorit, welches sich bestens eignet für Nebel und Dunst und düstere Innenräume, die das Waisenhaus, in welchem die Protagonistin des Films, Novizin Margaret, anfangs landet und auch die engen Gassen der ewigen Stadt in eine mystische Atmosphäre taucht, wie sie vielleicht nur noch Nicolas Roeg mit seinem Gruselthriller Wenn die Gondeln Trauer tragen so formvollendet ins rechte schale Licht gerückt hat.

Wenn Margaret also mit mulmigem Bauchgefühl über verlassene Plätze und durch enge Gassen trippelt, wenn sie seltsame Räume aufstößt und sich in der Tür, die in den dunklen Keller führt, stilsicher als dem Unheil sehr nahe gekommener Schattenriss abzeichnet, hat Das erste Omen mit unmissverständlich kalt komponierten, ikonischen Bildern die Aufgabe gemeistert, als Prequel eines Films, dessen Erzählweise längst von schnelllebigen Rhythmen im Horrorgenre abgelöst wurde, bestens zu funktionieren. Das allerdings ist die eine Sache. Die andere ist die, so sehr dem Original nahegekommen zu sein, dass selbst der Horror eine gewisse Vorgestrigkeit aufweist, der man eigentlich nur mit dem Grundton des Films widersprechenden Schreckmomenten beizukommen versucht, die der unheilvollen und mühsam aufgebauten Mystery mehr den Wind aus den Segeln nimmt als ihm dabei zu helfen, sich vollends zu entfalten.

Die Geschichte selbst ist schnell erzählt, und auch hier entspricht sie Donners Klassiker, da sie keinerlei Anstalten macht, ihr Publikum großartig an der Nase herumzuführen. Es lässt sich ahnen, was passieren wird, doch Filme wie diese leben von einem satten Gefühl, gemeinsam dem Unerklärlichen entgegenzutreten. Eingangs erwähnte Margaret, selbst Waise und aufgewachsen in einem Kloster irgendwo in den USA, reist also auf Einladung ihres Ziehvaters und Kardinals Lawrence (Bill Nighy) nach Rom und bereitet sich darauf vor, bald ihr Gelübde abzulegen. Während ihrer Arbeit im Waisenhaus macht Margaret Bekanntschaft mit einem geheimnisvollen Mädchen, das genauso von Visionen geplagt wird wie sie selbst. Hinzu kommt, dass ein gewisser exkommunizierter Geistlicher namens Brennan – Kenner des Originals wissen: Er wird Gregory Peck über die Bedeutung Damiens aufklären – genau dieses Mädchen mit der Ankunft des Antichristen in Verbindung bringt. Und Margaret darauf ansetzt, diese zu vereiteln. Die junge Frau wird somit immer tiefer in geheimnisvolle Verstrickungen und unheilvolle Begebenheiten hineingezogen, alles wird bedrohlicher und gefährlicher und keine Nonne in diesem Waisenhaus ist das, was sie vorgibt zu sein.

Die katholische Schwesternschaft muss abermals stark sein: Schon wieder gibt es einen Horrorfilm, der die schwarzweiß gekleideten Dienerinnen Gottes mit diabolischem Grauen in Verbindung bringt. Da hätte es doch gereicht, dass die grässliche Jumpscare-Nonne Valak aus dem Conjuring-Universum deren Image nicht gerade aufpoliert. Nun aber hängt die ganze katholische Kirche mit drin, es ist wie in der Netflix-Serie Warrior Nun, in der Nonnen zumindest als martialische Kämpferinnen im vom Teufel infiltrierten Vatikan ordentlich aufräumen. Hier, in Das erste Omen, brennen und hängen, tuscheln und kichern die Damen im Habit auf Teufel komm raus, und immer wieder wünscht man sich Whoopi Goldberg als Schwester Mary Clarence her, die den Laden wohl ordentlich aufgemischt hätte und all die irren Ideen dem verkorksten Haufen mit hüftschwingender Musik ausgetrieben hätte. Doch nein, es bleibt düster, und es bleibt gediegen. In wenig erschreckender Langsamkeit, dafür aber mit reichlich Stimmung, investigiert sich die wirklich famos auftrumpfende Nell Tiger Free (Game of Thrones, Servant) in eine selbsterfüllende Prophezeiung hinein, die begleitet wird von stilfremden Grusel-Versatzstücken, die sich so anfühlen, als wären sie im falschen Film. Lässt man die mal außer Acht, und auch eine gewisse Anbiederung an Roman Polanskis weitaus mysteriöseren Horror Rosemary’s Baby, bleibt ein sakraler Thriller, der mit Lust einige Unklarheiten aus dem Original-Omen glattbügelt, dabei aber zu sehr darauf bedacht ist, nahtlos an den folgenden Plot, den der Klassiker mit sich bringt, anzuknüpfen. Das Fan-Service bleibt dabei nicht außen vor, und der Kompromiss aus Zugeständnissen und ungelenken Konstruktionen stimmt immerhin so weit, dass gar eine Fortsetzung möglich wäre – als Spin Off, dessen Handlungsbogen wohl eher als Serie gefällt. Der Stoff, der noch folgen könnte, wäre in der Wahl seiner Mittel dann weitaus freier.

Das erste Omen (2024)

Das Omen (1976)

DER TEUFEL MIT IM SPIEL

6/10


DasOmen© 1976 Twentieth Century Fox


LAND / JAHR: USA, VEREINIGTES KÖNIGREICH 1976

REGIE: RICHARD DONNER

DREHBUCH: DAVID SELTZER

CAST: GREGORY PECK, LEE REMICK, DAVID WARNER, BILLIE WHITELAW, HARVEY STEPHENS, LEO MCKERN, PATRICK TROUGHTON, MARTIN BENSON, ROBERT RIETTI U. A. 

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Der beste Trick des Teufels ist doch bekanntlich der, die Menschheit im Glauben zu lassen, es gäbe ihn gar nicht. In Richard Donners Klassiker aus den 70er Jahren, den ich anlässlich des brandneuen Prequels Das erste Omen einer Erstsichtung unterzog, schenkt der Beelzebub diesem Leitsatz wenig Beachtung. Warum, so würde ich den Teufel fragen, kannst du denn nicht im Körper eines Dreikäsehochs so lange im Verborgenen bleiben, bis der Zeitpunkt gekommen ist, um das Ende der Menschheit einzuläuten? Warum benötigt der Knirps denn nebst eines furchterregenden Höllenhundes, der hechelnd an seiner Seite kauert, eine mehr als dubiose Amme, die gleich an die große Kirchenglocke (Allmächtiger behüte!) hängt, dass mit ihr so einiges nicht stimmt? Gute Miene zum bösen Spiel ist etwas für Feingeister, und wieder hole ich mir als bekennender Star Wars-Fan Referenzen aus der weit entfernten Galaxis, um auf die Diabolik eines Imperators Palpatine hinzuweisen, der jahrzehntelang eine ganze Republik in dem Glauben ließ, die Sith gäbe es gar nicht. Bei Richard Donner ist der Teufel allerdings einer, der dem allzu menschlichen Drang folgt, unbedingt im Mittelpunkt zu stehen.

So gut hätte er es haben können, der Leibhaftige. All die Menschleins mit ihren niederen Bedürfnissen in die Versuchung zu stürzen lief doch bisher so gut – warum dieses Outing? Weil der Horror eines verhaltensauffälligen Nachwuchses fürs Kino gerade richtig schien. Wenn die Kleinen sich winden und jammern, sie sich selbst als den Mittelpunkt des Universums verstehen und sich in gellender Hysterie aufbäumen, wenn sie nicht bekommen, was sie wollen, möchte man als Elternteil in der Hitze des Alltags durchaus eine diabolische Metaebene vermuten. In Das Omen erhärtet sich der Verdacht: Damien, der Satansbraten, ist das Kind des Teufels, wobei das Teuflische eher mehr von seiner Entourage ausgeht als von ihm selbst. Der Kleine tut, was Kinder eben tun, und niemand hätte je vermutet, was der Knabe einmal werden will, wäre Lucifer nicht so ein Stümper. Und wäre er nicht so ein Stümper, gäbe es keinen Film. Doch da sind wir jetzt, im Anwesen des US-Botschafters Robert Thorne, gespielt von Gregory Peck, der als alter Hase des schillernden Hollywood Donners Film ohne Frage veredelt. Doch wie sieht es mit dem Rest aus? Hat der Klassiker des Dämonenkinos all die Jahrzehnte überstanden, ohne Abnutzungserscheinungen davonzutragen?

Seit damals, 1976, hat sich im Subgenre des okkulten Horrors so einiges getan. An Richard Donners Pädagogenhorror hat dabei längst der Zahn der Zeit genagt, dem filmtechnischen und dramaturgischen Geist der Gegenwart entspricht der adrette Thriller leider längst nicht mehr. Vielleicht liegt meine nicht unkritische Wahrnehmung auch daran, dass die Handlungsweisen einzelner Personen, darunter eben auch die des Ehepaars Thorne, nicht ganz nachvollziehbar sind. Da Damien im Fokus der Handlung steht, Geistliche bereits flehentlich darum baten, ihre Prophezeiungen ernst zu nehmen und der Knirps gerne mal seine Mama ins Krankenhaus befördert, verwundert es umso mehr, dass die Obhut des Kleinen gerade dann, wenn alles bereits darauf hindeutet, es mit Absonderlichem zu tun zu haben, weiter einer Amme obliegt, die offensichtlich Böses im Schilde führt. Während Lee Remick alias Katherine Thorne ihre Verletzungen kuriert, forscht Gregory Peck im südlichen Europa nach den Hintergründen von Damiens Existenz. Ums Kind selbst kümmert sich keiner, der noch bei Verstand ist. Und das ist ein offensichtlicher Fehler.

Bizarre Todesfälle befördern jeden, der den teuflischen Plänen gefährlich werden könnte, ins Jenseits. Die Idee mit den auf Fotografien festgehaltenen Manifestationen nahenden Unheils hat zugegeben etwas Gespenstisches und erinnert an Roman Polanskis Herangehensweise in Rosemarys Baby. Vieles andere scheint jedoch zu simpel gestrickt, um auch noch so viele Jahre später subtiles Grauen zu erzeugen. Das Mysterium des Okkulten weicht in Das Omen vor zu viel Unschärfe in den Indizien zurück. Sie geben dem Zuseher Gewissheit für etwas, dass, wäre es nur im Bereich des Möglichen geblieben, viel mehr Wirkung erzielt hätte.

Man könnte Das Omen neben seiner filmgeschichtlichen Bedeutung als phantastischen Gruselthriller auch als die hundsgemeine Nihilisten-Version von Mary Poppins betrachten, die Rabeneltern im wahrsten Sinne des Wortes verteufelt und die potenzielle Gefahr, die vom Einfluss wildfremder Personen ausgeht, in blutigen Lettern auf den Haussegen pinselt. Es ist ein Film über Familie und Verantwortung und die Ohnmacht der Eltern darüber, dass das Kind irgendwann mal den Erwartungen nicht entsprechen könnte. Das mag funktionieren, und zwar besser als in der Funktion, die To-do-Liste des Leibhaftigen abzuarbeiten. Denn dafür wirkt Das Omen mittlerweile so angestaubt wie die jahrzehntelang unberührte Verlassenschaft eines ehrgeizigen Vatikan-Exorzisten.

Das Omen (1976)

Ich seh ich seh (2014)

BRÜDER IM GEISTE

5/10


ichsehichseh© 2014 Ulrich Seidl Filmproduktion


LAND / JAHR: ÖSTERREICH 2014

REGIE / DREHBUCH: VERONIKA FRANZ & SEVERIN FIALA

CAST: SUSANNE WUEST, ELIAS SCHWARZ, LUKAS SCHWARZ U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Juvenile Zwillinge, die nach einer Gesichts-OP ihrer Mutter nicht mehr wissen, ob es sich dabei noch um dieselbe Person handelt – mit dieser Prämisse lassen sich ganz gut Ängste schüren. Die von Veronika Franz und Severin Fiala ersonnene Idee hat Biss und Potenzial, Alfred Hitchcock wäre erfreut darüber gewesen, hätte ihm jemand ein ähnliches Skript wie dieses auf den Tisch gelegt. Dieses Suspense-Kino hier kommt – oder kam, schließlich sind bereits zehn Jahre ins Land gezogen – aus heimischen Landen. Wie so oft in diesem Genre, sofern selbstproduziert, verortet sich der österreichische Horror im geheimnisvollen Waldviertel, da gibt es genug finstere Botanik, Einschicht und Isolation. Nirgendwo sonst kann es so gespenstisch werden, nirgendwo sonst ist selbst der Sommer immer einer, in dem die Wärme der Sonnenstrahlen nicht nur die Gemüter weckt, sondern auch ein bisschen den Wahnsinn. In dieser menschenleeren, doppeldeutigen Abgeschiedenheit müssen die quietschvergnügten Jungs Elias und Lukas ihre Ferien fristen, während sie auf die Rückkehr ihrer Mutter warten, die – keiner weiß, wie lange sie weg war – frisch von der Schönheits-OP daheim wieder aufschlägt. Dabei drängt sich gleich die erste Frage auf, die Ich seh ich seh nicht unbedingt einen Freifahrtschein in Sachen Plausibilität ausstellt: Kann es sein, dass die beiden – noch nicht mal Teenager – im wahrsten Sinne des Wortes mutterseelenallein selbst klarkommen mussten? Vernachlässigung der Aufsichtspflicht– ein Fall für das Jugendamt. Aber gut, ich gebe dem Streifen noch eine Chance, denn alles fühlt sich so an, als wäre es sehr wohl so gedacht gewesen, den Psychothriller in einer nüchternen, geradezu sperrigen Realität zu verankern, die zwar ordentlich mit Reduktion klarkommen muss, das Phantastische aber nur als Ausdruck eines Seelenzustandes streifen möchte.

So ist Susanne Wuest mit ihren Gesichtsbandagen nicht sofort als Mama zu erkennen, und die Zwillinge hegen erste Zweifel, ist doch das Verhalten der scheinbar fremden Frau so anders, als es zuvor war, als Mama noch Mama war, und nicht dieser Eindringling, der vorgibt, vertraut zu sein. Der Verdacht einer Home Invasion steht im Raum, während Lukas bei Elias weiter Ängste schürt und Panik verbreitet. Er scheint auch das weniger geliebte Kind zu sein, womit Mama nicht hinterm Berg hält. Diese ungesunde Konstellation aus Misstrauen, Zweifel und häuslicher Gewalt lässt sehr bald den Haussegen ordentlich schief hängen, was zur Folge hat, dass Elias zu drastischen Mitteln greift, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.

Der Einfluss eines Ulrich Seidl, welcher den Film auch produziert hat, ist unübersehbar. Wenig Score, nüchternes Setting, das Interieur des Hauses ist trotz flauschiger Teppiche kalt und unnahbar, die Bilder der berühmten Mama an der Wand, ist sie doch eine angesehene Fernsehmoderatorin, bewusst unscharf, was als wunderbare Symbolik dafür dient, die Identifikation geliebter Menschen zu verhindern. Sie dienen als Platzhalter für Doppelgänger und Falschspieler, und angesichts dieser erziehungsverpflichteten Übermacht denken die beiden Jungs aber gar nicht daran, sich zu unterwerfen. Und dann passiert das: In einem Thriller, in dem andauernd falsche Fährten gelegt werden und Vermutungen geschürt, bevor sie wieder verpuffen, macht Ich seh ich seh seine Exskalationsspirale von gewissen Umständen abhängig, die so, wie sie dargestellt werden, wohl kaum passieren hätten können. Die Unwahrscheinlichkeiten in der Handlung häufen sich, je näher wir dem wuchtigen Grande Finale kommen.

Ein weiteres Problem sind die kaum stringent gezeichneten Charaktere. Zwischen übergriffig und devot mäandert die Rolle der Mutter durch den Film, ähnlich orientierungslos sind die beiden Jungdarsteller, die sich aufgrund einer dem Storytwist geschuldeten, sperrigen Inszenierung dem filmischen Konzept unterordnen müssen. Als Psychostudie versagt der Film auf ganzer Linie, als Horrorthriller mag er mit allerlei Genrezitaten aus dem Suspense-Sektor wiederum punkten. Doch das Grundproblem, das viele Horrorfilme aufweisen, und womit auch der Anspruch steht und fällt, als solcher ernstgenommen zu werden, ist die mangelnde Glaubwürdigkeit in Bezug dessen, wie sich Menschen normalerweise in Extremsituationen oder generell in Situationen, die den Horror begünstigen, tatsächlich verhalten würden. Die Mängel sind der Tribut, den Filmemacher dafür zollen müssen, um ihre filmische Wirkung zu garantieren. Der eine Anspruch bedingt aber den anderen, daher ist es gar nicht mal so leicht, guten Horror hinzubekommen, ähnlich wie bei einer guten Komödie. Nachvollziehbarkeit und eine gewisse inhärente Logik lassen, wenn man es gut macht, das Blut in den Andern gefrieren.

Bei Ich seh ich seh sind letztlich die Kompromisse zu zahlreich, um zu überzeugen, wenngleich Dramatik und Idee dahinter eine beachtenswerte Leistung darstellen, die Veronika Franz und Severin Fiala als ein vielversprechendes Regieduo auszeichnen, das frischen Wind ins österreichische Genrekino gebracht hat. Man darf gespannt sein auf ihren Neuling Des Teufels Bad, der diesjährig bei der Berlinale 2024 den Silbernen Bären für Kameramann Martin Gschlacht abholen konnte.

Ich seh ich seh (2014)

Das Ding aus einer anderen Welt (1982)

APRÈS-SKI FÜR DEN BODY-HORROR

7/10


dasdingauseineranderenwelt© 1982 Universal Pictures


LAND / JAHR: USA 1982

REGIE: JOHN CARPENTER

DREHBUCH: BILL LANCASTER

CAST: KURT RUSSELL, WILFORD BRIMLEY, T. K. CARTER, DAVID CLENNON, KEITH DAVID, RICHARD DYSART, CHARLES HALLAHAN, PETER MALONEY, RICHARD MASUR, DONALD MOLFAT U. A.

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Was hätte ich nicht alles verpasst, hätte ich mich nicht vor einiger Zeit auch dem Genre des Horrorfilms zugewandt – diesem Füllhorn an Ideen, Metaebenen und neuen Blickwinkeln, die nicht nur auf Zustände unserer Gesellschaft schielen, sondern eben auch auf die Psyche des Menschen und seinen überbordenden Angstfantasien, die diese hervorbringen kann. Womöglich war ich zuvor zu viel Hosenschisser, vielleicht zu sensiblen Gemüts, zu wenig mit mir selbst im Reinen, um über den grauenerregenden, furchteinflößenden und doch wieder enorm reizvollen Dingen zu stehen, die sich in einem der unersättlichsten Nischen der Filmwelt auftun, als fixes und verlässliches Standbein einer unglaublich liebgewonnenen Kunstrichtung.

Auf dieser neuen Bühne finden sich etliche Klassiker, die nachzuholen ich mich bemüßigt fühle – insbesondere Werke, die auf andere Genres wie zum Beispiel der Science-Fiction übergreifen. Neben dem Universum von Alien, das von jeher nicht auf meinem Angsthasen-Index stand, da ich eine Affinität für Kreaturen wie diese wohl in mir habe, seit ich denken kann, ist John Carpenters Antarktis-Schocker natürlich eine Art Mischkulanz, die Abenteuer, Wissenschaft, die Tücke extraterrestrischer Lebensformen und Survival auf winterharte Weise miteinander verbindet. Längst ist Das Ding aus einer anderen Welt (oder im Original kurz und knapp The Thing) zeitloser Kult und angesichts seiner analogen Tricktechnik immer noch verblüffend effektiv, ganz so wie das Rancor in Die Rückkehr der Jedi-Ritter, Phil Tippett sei Dank.

Diese zur damaligen Zeit noch nie dagewesenen Effekte bilden das Kernstück dieses in der langen Polarnacht des Südpols stattfindenden Gemetzels ganz im Stile eines Abzählreims, denn was bleibt der Crew einer solchen Forschungsstation auch anderes übrig, als den schrecklichen Tatsachen ins Auge zu sehen: Dieser Organismus, dessen tatsächliche Form gar nicht mal existiert, sondern nur als perfides mikrobiologisches Irgendwas mit jedem noch so erdenklichen mehrzelligen Lebewesen fuhrwerken kann wie es ihm beliebt, lässt sich nicht so fassen wie der Xenomorph in den Alien-Filmen oder gar medizinisch bekämpfen wie das schnöde Virus in Outbreak. Dieser amorphe Organismus offenbart sich in monströsen Gestaltexplosionen, die aus einem Fiebertraum des Schriftstellers H. P. Lovecraft entnommen sein könnten. Tatsächlich waren für The Thing anfangs recht profane Entwürfe vorgesehen, die in die insektoide Richtung gegangen wären. Diese Ansätze wurden bald über Bord geworfen. Stan Winston wurde beratend ins Boot geholt und nach einer fast einjährigen Schaffensperiode mit nun für alle Kinogeher sichtbarem Endergebnis setzte Carpenters Biomasse-Wahnsinn neue Maßstäbe. Schon klar, dass dieser Film auf der erfolgreichen Alien-Welle geritten war, doch was es zu sehen gab, war etwas völlig anderes. Angesichts dieses mutigen Umdenkens in Sachen Form-Experiment erscheinen David Cronenbergs Mutationen aus Die Fliege fast schon salonfähig. Mit Slither führt DC-Hoffnung James Gunn den Horror der physischen Wucherung als skurrile Hommage auf Carpenter nochmals formschön ins Feld.

Angesichts dieses Creature-Revival bemüht sich einer wie Kurt Russell auf redliche Weise darum, den Arschtreter zu mimen, der in furchtlosem Draufgängertum nicht lange fackelt, um den Parasiten vom Outer Space einzukreisen. Den verzweifelten Heldenmut einer von Sigourney Weaver dargebotenen Ltd. Ripley, die zwischen Angst und Improvisationstalent dem Grauen die Stirn bietet und überdies noch einen Meilenstein in Sachen Frauenpower im Film setzt, besitzt Russell allerdings nicht. Seine und auch alle die anderen Figuren sind untereinander austauschbar und letztlich auch zu viele, um sbiographische Aspekte hervorzuholen, die ihre Schicksale relevanter gemacht hätten.

Interessant ist am Ende auch die Überlegung, wie ein Organismus wie dieser denn seinen evolutionären Erfolg verbucht. Mit Mensch und Tier scheint Das Ding aus einer anderen Welt wohl Pech zu haben, denn keines dieser Ausgeburten scheint auf längere Sicht überlebensfähig.

Das Ding aus einer anderen Welt (1982)

Talk to Me (2022)

SHAKEHANDS MIT DEN TOTEN

7/10


TalkToMe© 2023 capelight pictures


LAND / JAHR: AUSTRALIEN 2022

REGIE: DANNY & MICHAEL PHILIPPOU

DREHBUCH: BILL HINZMAN, DANNY PHILIPPOU

CAST: SOPHIE WILDE, ALEXANDRA JENSEN, JOE BIRD, OTIS DHANJI, MIRANDA OTTO, ZOE TERAKES, CHRIS ALOSIO, MARCUS JOHNSON, ALEXANDRIA STEFFENSEN U. A.

LÄNGE: 1 STD 35 MIN


Einmal nur einen Blick ins Jenseits erhaschen. Wäre das nicht was? In Flatliners reizte diese Vorstellung eine Gruppe junger Medizinstudenten so sehr, dass sie den Wahnsinn beging, sich selbst sterben zu lassen – um dann wieder reanimiert zu werden. Doch das Diesseits hat Regeln und Grenzen. Man sollte schon mit einer gewissen Endgültigkeit das Zeitliche segnen, um in den Genuss der Wahrheit am anderen Ufer des Styx zu kommen. Der Fährmann Charon fordert nicht umsonst einen Tribut, und wenn dann manche wieder umkehren, um daheim zu prahlen, wie cool das nicht war, das Licht am Ende des Tunnels gesehen zu haben, so ist das fast schon als Missbrauch einer „göttlichen Ordnung“ zu verstehen. Überdies bringt so eine Vermengung der Dimensionen einiges in Unordnung. Nebenwirkungen sind die Folge, Geister lassen sich sehen, Albträume plagen die Probanden.

Auf ähnliche Weise treibt es die Partygesellschaft im vorliegenden australischen Horrorfilm ziemlich bunt. Doch diese jungen Leute hier sind weder Studenten noch streben sie eine noch so geartete wissenschaftliche Erkenntnis an. Für diese Jungs und Mädels ist das Spiel mit der Unterwelt sowas wie Activitiy für die Generation Scheißdrauf. Die auf Social-Media-Kanälen jeden Schwachsinn zum Trend macht und dabei ablacht, als gäbe es kein Morgen mehr. Statt Flaschendrehen heißt es diesmal Händeschütteln, was erstmal nicht so spannend klingt, doch in Wahrheit ist diese Hand, die es zu berühren gilt, eine magische. Genauer gesagt die eines verblichenen Nekromanten, dessen Kräfte aber immer noch in seinen Extremitäten stecken, die man ihm abgenommen hat. Dieser mumifizierte Griffel also steht auf dem Couchtisch im Eigenheim von irgendeinem Young Adult, der das Ganze natürlich filmt und online stellt. Die Challenge ist, diese Hand zu ergreifen und die verheißungsvollen Worte Talk to Me zu rezitieren. Sodann erscheint aus dem Nichts ein Geist, der nicht weiß, wie ihm geschieht, der aber die Möglichkeit in Betracht zieht, wieder mit seiner heißgeliebten Welt zu kommunizieren, die er einst verlassen hat müssen.

Es wäre kein Horrorfilm, würden diese Toten nicht in ihrem ramponierten Letztzustand erscheinen, von Krankheit und Fäulnis gezeichnet oder schwer verletzt. Milchige Augen starren auf den mutigen Diesseitler, der seine Grenzerfahrung noch mit den Worten Ich lass dich rein so weit steigern kann, dass der Tote in den Körper des Lebenden dringt. Es ist, als würde man sich einen nassen Socken mit nur einer Hand anziehen – bei manchen gelingt das leichter, bei manchen wird’s zur Tortur. Auch die junge Mia (Sophia Wilde), deren Mutter an einer Überdosis Schlaftabletten verstorben ist, pfeift auf die Ordnung der Dinge und triggert das Chaos. Jedes Mal ist das Triezen der Toten ein Kick für alle. Es wird gestaunt, gealbert und verarscht. Und irgendwann will auch der kleine Bruder von Mias bester Freundin ran. Dass Kinder wohl eher davon lassen sollen, sagt schon die Vernunft, doch davon besitzen all die Anwesenden nicht viel. Der Trip wird zum Desaster, die Toten finden einen Weg zu bleiben. Es muss nur der lebende Körper sterben, um übernommen zu werden.

Von Social Media für (oder gegen) Social Media und darüber hinaus: Die Brüder Danny und Michael Philippou, die mit ihrem zweifelhaften Youtube-Kanal RackaRacka immer wieder für Aufsehen und Kontroversen sorgen, haben ihren ersten Spielfilm gedreht – und lassen mit ihrem Die-Geister-die- ich-rief-Grusel auch wirklich nichts anbrennen. Wo Flatliners noch eher im Spielfeld der Mystery zu verorten war, spielt Talk to Me die Nihilismus-Karte aus. Dabei ist der Thriller bei weitem nicht nur darauf aus, sein Publikum zu erschrecken und mit blutigen Gewaltspitzen zu verstören. Ihren Film treiben so manche seelische Traumata um, die mit Verlustangst, Trauer und Verantwortung zu tun haben. Gerade letzteres, nicht nur gemünzt auf das digitale Sodom und Gomorrha, auf das wohl jeder noch so grüne, unbedarfte Halbwüchsige Zugriff haben kann, wird zur großen Gretchenfrage in einer Dekade, in der alles gefakt, alles erlaubt und Respekt dem Spaß im Wege steht. Den dahinterstehenden Hedonismus verbindet ein Gefühl des Abfeierns bis zum Weltuntergang, denn der, könnte man meinen, steht kurz bevor. In diesem emotionalen Dunst aus Alkohol, frechen Sprüchen und Selbstmitleid haben die Toten leichtes Spiel. Man könnte nun vermuten, dass die im Jenseits böse sind, doch sie werden getrieben von einem radikalen Eigennutz, der beunruhigt. Immer wieder dringt Talk to Me in eine panikmachende Düsternis vor, die vor allem die Furcht vor einer Sache verbreitet: dem Alleinsein.

Einsamkeit ist hier der wahre Horror. Einsamkeit in vielerlei Gestalt. Entweder, nicht verstanden, nicht gehört oder im Stich gelassen zu werden. Jeder stirbt für sich allein – und bleibt es schließlich auch. Die Isolation im Dies- und Jenseits ist das Entsetzen, weniger die Bilder der gruseligen Toten, die in perfektem Make-up die Lebenden heimsuchen. Dazwischen immer wieder Skizzen eines Psychogramms von Protagonistin Mia, die ihren Trip in oder durch die andere Welt zum Kreuzweg werden lässt. Talk to Me ist somit nichts für schwache Nerven, ein Horrordrama mit Gewicht, aber nicht schwermütig. Stattdessen neugierig, in offenen Wunden bohrend und in den Abgrund blickend. Der blickt bereitwillig zurück.

Talk to Me (2022)