Night Always Comes (2025)

BARGELDLOS DURCH DIE NACHT

5/10


© 2025 Netflix Inc.


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: BENJAMIN CARON

DREHBUCH: SARAH CONRADT, NACH DEM ROMAN VON WILLY VLAUTIN

KAMERA: DAMIÁN GARCÍA

CAST: VANESSA KIRBY, JENNIFER JASON LEIGH, ZACK GOTTSAGEN, RANDALL PARK, STEPHAN JAMES, JULIA FOX, MICHAEL KELLY, ELI ROTH U. A.

LÄNGE: 1 STD 48 MIN


Neben dem omnipräsenten Pedro Pascal ist wohl Vanessa Kirby spätestens seit ihrer Oscar-Nominierung für Pieces of a Woman in gefühlt jeder zweiten Filmproduktion dabei. Gerade eben durfte sie als Sue Storm den wasweißichwievielten Versuch, die integren Fantastischen Vier endlich mal erfolgreich auf die Leinwand zu bringen, tatkräftig unterstützen. Zwischendurch widmet sich die gebürtige Londonerin aber nach wie vor dem Arthouse-Film und produziert auch gerne selbst das eine oder andere Projekt – ganz besonders schien ihr die Verfilmung des Romans Night Always Comes von Willy Vlautin am Herzen gelegen zu haben, der eine Frauenfigur in den Fokus rückt, die ambivalent genug ist, um sie schauspielerisch ordentlich auszufüllen. Nichts eindimensionales, sondern facettenreich und mit einer ordentlichen Portion Verzweiflung, denn ohne diese würde Night Always Comes gar nicht erst mal in die Gänge kommen. Prämisse ist also eine ausweglose Situation, und wie in den meisten ausweglosen Situationen, wenn es sich dabei nicht um eine Krankheizt oder einen Survival-Unfall handelt, geht es folglich um den Mammon. Dieses ist nicht da, oder besser gesagt: wäre da, wenn Mutter Jennifer Jason Leigh nicht das notwendige Kleingeld für einen Neuwagen verprassen würde, das eigentlich dafür bestimmt war, die familiäre Immobilie zu sichern. Schließlich ist auch noch der nach besonderen Bedürfnissen verlangende Bruder Kenny mit von der Partie, der rund um die Uhr Betreuung braucht.

Dass die ganze Familie auf der Straße steht, ist ein No-Go. Und Lynette, so die Rolle der verzweifelten jungen Frau, die eine zwielichtige Vergangenheit mit sich herumschleppt, muss binnen einer Nacht ein ganz schönes Sümmchen auftreiben, damit das Undenkbare nicht passiert. Wie sie das macht, hätte ich dieser Person gar nicht zugetraut. Und auch während sie versucht, mit dem Mut der Verzweiflung sogar in die kriminelle Düsternis Portlands einzutauchen und so einige Straftaten zu begehen, natürlich alles für den guten Zweck: Kirby ist all das nicht zu glauben. Vielleicht liegt es an dieser Sanftmütigkeit, mit der sie ihre Rolle untermauert. Die dunklen Jahre minderjähriger Prostitution und Abhängigkeit hinterlassen im Charakterbild Kirbys keine Spuren, letztlich fehlt es an der notwendigen Portion Zynismus, um zu glauben, was man sieht. Ähnlich vage bleibt Jennifer Jason Leigh als dem Schicksal die kalte Schulter zeigende Zynikerin, die keine Vorstellung von einer grimmigen Zukunft hat. Einerseits wirkt sie versoffen, dann wieder völlig resignierend wie jemand, der im White Trash-Milieu nichts mehr zu verlieren hat – was aber nicht den Tatsachen entspricht. Wohin Benjamin Caron (u. a. Sharper mit Julianne Moore) seine Familie positioniert, mag diffuses Terrain sein. Einzig Zach Gottsagen, der Schauspieler mit dem Down-Syndrom, der schon an der Seite von Shia LaBeouf in The Peanut Butter Falcon brilliert hat, wirkt wie ein stoischer Fels in der Brandung, der von allen Beteiligten, obwohl orientierungslos, noch die beste Orientierung hat.

Zu sehr gefällt sich Kirby in der Rolle der Verzweifelten, im nachtschwarzen Milieu zwischen Drogen, Geldraub und längst nicht verjährter Traumata. Sie selbst hat sich von Arbeiten wie Good Time der Gebrüder Safdie und dem deutschen One-Shot Victoria inspirieren lassen – beiden Filmen fehlt aber das Gemächliche, die bausteinartige Struktur, die dem Chaos einer Nacht zuwiderläuft. Kirbys Erlebnisse greifen nicht ineinander, sondern folgen nacheinander, Virtuosität weicht gefälligem Existenzialismus, der wohl lieber die Emanzipation aus der Verantwortung probt als sich dem Thrill zu unterwerfen. Der Effekt dabei: Night Always Comes unterhält zwar und hat einige Spitzen auf Lager, die dicht genug sind, um dranzubleiben und nicht wegzudriften. Im Ganzen aber bleibt diese Nacht trotz seiner prekären Abenteuer eine unter vielen.

Night Always Comes (2025)

Beating Hearts (2024)

LA BOUM ALS SOZIALKRIMI

4/10


© 2024 Studiocanal / Cédric Bertrand


ORIGINALTITEL: L’AMOUR OUF

LAND / JAHR: FRANKREICH, BELGIEN 2024

REGIE: GILLES LELLOUCHE

DREHBUCH: AUDREY DIWAN, AHMED HAMIDI, JULIEN LAMBROSCHINI, GILLES LELLOUCHE

CAST: FRANÇOIS CIVIL, ADÈLE EXARCHOPOULOS, MALORY WANECQUE, MALIK FRIKAH, ALAIN CHABAT, BENOÎT POELVOORDE, VINCENT LACOSTE, JEAN-PASCAL ZADI, ÉLODIE BOUCHEZ, KARIM LEKLOU U. A. 

LÄNGE: 2 STD 46 MIN


Sie sind jung, sie sind verliebt. Am Anfang dieser angeblich wilden Love-Story scheint sich tatsächlich etwas Welt- und Herzbewegendes abzuspielen. Die junge Mallory Wanecque, die, um es gleich vorwegzunehmen, Adèle Exarchopoulos in pflichterfüllender Routine zurücklässt, spielt die blutjunge, resolute Jackie – nicht auf den Mund gefallen, schlagfertig und selbstbewusst. Doch wo die Liebe hinfällt, wird auch ein Charakter wie dieser weich. Kein Wunder, wenn man Malik Frikah als Taugenichts Clotaire in die Augen sieht. Dieser verführerische Blick, dieses ebenfalls lose Mundwerk, und diese Frechheit, jemanden wie Jackie herauszufordern. Da tut sich einiges in der Welt der französischen, zuckersüßen, aber nicht ganz abgehobenen Romanze. Hier sind Liebe, Interesse und Zuneigung im Spiel. Was sich aber liebt, neckt sich zuerst. Und würde man dazu noch Richard Sandersons Reality hören, würde man sich in einem späten Aufguss des La Boum-Wahnsinns aus den Achtzigern wähnen. Der jungen Sophie Marceau hätte die Rolle der Jackie übrigens gut gestanden, als Love Interest habe ich Alexander Sterling aus dem Teenie-Schmuse-Original gerade nicht im Kopf. Vielleicht hätte es ein junger Vincent Cassel getan, wer weiß. Doch Frikah gibt den anarchischen Wilden mit dem Herzen am rechten Fleck überaus charismatisch.

Es bahnt sich also einiges an, und statt Reality tönt The Cure in den Kinosaal, während sich die jungen Verliebten in reminiszierender Flashdance-Optik körperbetonten Ausdruckstanz zelebrieren. Es könnte sein, dass Schauspieler und Regisseur Gilles Lellouche (u. a. Ein Becken voller Männer) aus der knospenden Schicksalsabhängigkeit einen wildromantischen Wild at Heart-Reigen hinlegt, nur ohne David Lynch-Vibes, dafür viel mehr in Richtung Oliver Stone. Doch nichts davon passiert. Clotaire, der draufgängerische Junge, unsterblich verknallt, liebt das krumme Business aber noch mehr. Dort trifft er auf Benoît Poelvoorde als plakativem Gangsterboss-Verschnitt, der warum auch immer an dem Hitzkopf einen Narren frisst, und zwar so lange, bis er ihn verrät und ins Gefängnis bringt. Jackie, aus gutem Hause und Halbwaise, die aber stets gelehrt bekam, welche Werte wie und wo ihren Platz haben, scheint rechtzeitig die Reißleine zu ziehen, um aus großer Liebe nichts Dummes zu tun. Das Dumme ist aber genau das, was wir sehen wollen. Das Dumme ist Symptom einer Leidenschaft und Liebe, die, wie bei Shakespeare, alle Grenzen sprengt. Bei Beating Hearts bleiben die Grenzen aber gesteckt. Ungefähr nach dem ersten Drittel des Films geht jeder seiner Wege, die Liebe scheint erloschen oder in einer Stasis konserviert. Lellouche verliert seinen Film, warum auch immer. Wo ist sie hin, diese zärtliche Verschwörung auf Lebenszeit? Nach sämtlichem Romantikkitsch vor unter- oder aufgehender Sonne, nach der ersten Liebe in den Gräsern französischer Küstenlandschaften. Nach pochenden Herzen und melodramatischem Herzgeflüster wird diese Everlasting Love zum krächzenden Stimmchen, zur pragmatischen Wende hin zu Schicksalen, die sich untereinander nichts mehr zu sagen haben.

13 Cesar-Nominierungen hat Beating Hearts erhalten – ein Tophit in Frankreich. Einer dieser Preise wird wohl für die satte Überlänge eingeplant worden sein. Mit 164 Minuten strapaziert der Film nicht nur die nostalgischen Erinnerungen an La Boum und an die eigene Liebe. Der Leerlauf in der zweiten Hälfte ist unüberbrückbar, die Metaebene der Emotionen wird zur Behauptung, die Adèle Exarchopoulos und François Civil zwar aufstellen, aber nicht spüren. War da jemals was? Ist da immer noch was? Beide vermitteln dem Publikum keine Überzeugung. Das umständliche Skript, das den Mythos vom Verlieren und Wiederfinden einfangen will und an welchem wiedermal mehrere Leute herumgewerkelt haben (was, wie schon öfters von mir erwähnt, kein gutes Zeichen sein kann), verliert sich in einer To-do-Liste bewährter Versatzstücke aus dem Romantik- und Thrillergenre. Die Bilder mögen für sich sprechen und manchmal wirklich betören – die Liebe selbst tut das nicht.

Beating Hearts (2024)

Eat the Night (2024)

SARTRE NICHT NUR FÜR GAMER

8/10


eatthenight© 2024 Viennale


LAND / JAHR: FRANKREICH 2024

REGIE: CAROLINE POGGI, JONATHAN VINEL

DREHBUCH: CAROLINE POGGI, JONATHAN VINEL, GUILLAUME BRÉAUD

CAST: THÉO CHOLBI, LILA GUENEAU, ERWAN KEPOA FALÉ, EDDY SUIVENG, KEVIN BAGO, XAVIER MALY U. A.

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Man kann noch so oft und jahrzehntelang im Kino gewesen sein – die breite Palette technischer Gebrechen, die den Filmgenuss hinauszögern, mögen unendlich sein. Beim Screening von Eat the Night versagte die Tonspur der Schauspieler. Die hauseigene Technik war bald mit ihrem Latein am Ende – ein Ersatztermin musste her. Wahrnehmen oder nicht? Ich hatte schon so eine Ahnung, dass der französische Film Noir von Caroline Poggi und Jonathan Vinel etwas Besonderes sein müsste. Also konnte ich mir Anlauf Nummer zwei nicht verkneifen. Eines vorweg: Ich sollte es nicht bereuen.

An alle Nicht-GamerInnen, Analog-BrettspielerInnen und jene, die gerne ihre Existenz ausschließlich in der Realität verankert sehen: Eat the Night ist kein Spielsucht-Problemfilm für Nerds. Er wirft auch nicht mit Fachbegriffen um sich oder setzt Kenntnisse voraus, durch welche vielleicht die Zielgruppe für diesen Film stark gebündelt werden könnte. In Eat the Night ist das Online-Spiel eine existenzialistische Metapher, ein Ausweg, ein Portal und eine alternative Realität, die den Protagonistinnen und Protagonisten in diesem ausgesucht komplexen Film Noir eine Erfüllung ermöglichen, die sie in der eigentlichen harten und entbehrungsreichen Realität erst überleben lässt.

Mit Utopien wie Ready Player One hat Eat the Night nichts zu tun. Denn das ist Science-Fiction, ein Abenteuer, dort wird die virtuelle Welt zum Wettbewerb, zur Challenge, um einen Schatz zu bergen. Caroline Poggi und Jonathan Vinel haben nichts dergleichen im Sinn. Ihre virtuelle fantastische Welt namens Darknoon, bevölkert mit Kreaturen, Tieren und Landschaften aller Art, ist „Open World“ – heisst also, man kann, wie in World of Warcraft, überallhin, muss keine Mission verfolgen, kann seinen Avatar weiterentwickeln, stählen und reifen lassen. Darknoon ist die Welt, in der die Geschwister Apolline und Pablo eine Gemeinschaft bilden. Sie töten Monster, erforschen die Welt, sammeln Brauchbares, tanzen oder sitzen am Lagerfeuer. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist hier. Doch dann dämmert die Apokalypse. In wenigen Monaten, zur Wintersonnenwende, soll das Spiel abgeschaltet werden, die Server verstummen für immer. Apolline, die sich mit ihrer alternativen Existenz viel mehr identifiziert als ihr Bruder, ist am Boden zerstört, während Pablo versucht, dem Ende von Darknoon insofern zuvorzukommen, indem er eine Beziehung mit dem Supermarktangestellten Night eingeht. Beide verticken selbstproduzierte Drogen – ein bisschen Breaking Bad in einer undankbaren Welt. Doch wo Drogen ihre Abnehmer finden, ist die Konkurrenz nicht weit. Und die ortet Wilderei im eigenen Revier. Währenddessen tickt die Uhr, das Ende der Online-Welt rückt näher. Es ist ein Ringen um die Existenz, um Neudefinition und Resilienz. Was bleibt, wenn die ideale Welt verschwindet?

Spielsucht ist nicht das Thema in Eat the Night. Wie schon länger kein Film zuvor bringt dieser hier das existenzialistische Gedankengut eines Jean-Paul Sartre in die cybersphärische Gegenwart. Kennt man die Werke des großen Literaten wie zum Beispiel Das Spiel ist aus (übrigens ein Filmdrehbuch), Die schmutzigen Hände oder Geschlossene Gesellschaft, lässt sich diese Art der Philosophie auch hier finden. Sartre, würde er noch leben, hätte womöglich ähnliches verfasst, hätte er an einem Stoff wie diesen schreiben müssen. Mit symbolischer Bildsprache, einem leidenschaftlichen, doch niemals romantisierenden queeren Nebenplot und der Kunst, die Online-Spielewelt als Sinnbild eines Untergangs des wenigen zu setzen, das noch in Ordnung scheint, lebt Eat the Night das frankophile Desillusionskino früherer Jahrzehnte, ohne dabei reaktionär, antiquiert oder gar lethargisch zu wirken. Immer noch ist dieser Film ein handfester Thriller, eine familiäre Tragödie, eine Liebesgeschichte. Vieles scheinen Poggi und Vinel zu vereinen, zu verschmelzen, alles auf einen gleichen Nenner und auf Augenhöhe zu bringen. Wenn sich Apolline und Pablo am Ende in den letzten Minuten des Spiels verzweifelt suchen, ist das wohl einer der intensivsten und emotionalsten Filmmomente der Viennale. Man spürt, was am Spiel steht. Man spürt, das Spiel ist aus. Das ist schmerzhaft und kraftvoll. Das ist wunderschön hoffnungsloses, individualistisches Endzeitkino.

Eat the Night (2024)

Hades – Eine (fast) wahre Geschichte aus der Unterwelt (2023)

WIENER BLUT IM HERZEN UND AUF DER STRASSE

6/10


hades© 2023 Constantin Film


LAND / JAHR: ÖSTERREICH 2023

REGIE: ANDREAS KOPRIVA

DREHBUCH: HORST-GÜNTHER FIEDLER, ANOUSHIRAVAN MOHSENI

CAST: ANOUSHIRAVAN MOHSENI, ALEKSANDAR PETROVIĆ, IGOR KARBUS, ALMA HASUN, FRITZ KARL, PROSCHAT MADANI, AGLAIA SZYSZKOWITZ, TIM SEYFI, ANICA DOBRA, HARALD SCHROTT, CHRISTIAN STRASSER, FANNY STAVJANIK, ALEXANDER LUTZ U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Mit dieser knapp um die letzte Jahreswende hirzulande in den Kinos gestartete österreichische Unterweltkomödie geht ein kurioses Phänomen einher, welches nicht nur lokalkolorierte Eigenproduktionen betrifft, sondern mitunter auch Internationales. Bei letzterem könnte man noch verstehen, dass zu wenige Säle zu viele Filme stemmen müssen, denn jede im Verleih befindliche Produktion will seinen Weg zum Publikum finden. Verwunderlich dabei ist, dass die einheimische Filmwelt keinerlei Heimvorteil hat. Anhand von Hades – Eine (fast) wahre Geschichte aus der Unterwelt lässt sich gut erkennen, wie stiefmütterlich Genreproduktionwn wie diese behandelt werden. Denn Hades, zu welchem der renommierte österreichische Filmkritiker Horst-Günther Fiedler auch das Drehbuch verfasst hat, lief gefühlt gerade mal eine Woche in den Lichtspielhäusern, bevor er sang- und klanglos aus dem Kinoprogramm verschwand. Auf der filmgenuss-eigenen Watchlist stehen österreichische Filme generell gerne weit oben, auch dieser hier und nicht zuletzt aufgrund wohlwollender Kritiken. Und dann das. So schnell hätte man als Filmnerd gar nicht die besten Plätze reservieren können, war er weg. Die Chance auf illustre Besucherzahlen bestand gleich gar nicht, ich bin sogar versucht zu sagen: Wenn Kinobetreiber heimischen Werken so derart ans Bein pinkeln, grenzt das – natürlich polemisch formuliert – fast schon an Sabotage.

Umso mehr freut es mich, Hades im Sortiment von Netflix entdeckt zu haben. War der Umstand der nicht vorhandenen Kinoauswertung vielleicht Teil eines Streaming-Deals? Bringt dieser Entschluss den größeren Reibach? Vermutlich. Was schade ist. Denn österreichische Filme im Kino beleben die kulturelle Landschaft. Mut dazu, sie länger laufen zu lassen als andere, wäre der Glauben an die eigene Sache. Aber genug des Idealismus. Wie sieht es nun mit dem Film selbst aus, der als fast wahre Geschichte von Aufstieg und Fall eines Mannes fürs Grobe erzählt? Interessant wäre dabei zu erfahren: Was genau hat Anoushiravan Mohseni denn wirklich erlebt? Gab es zum Beispiel diesen Kommissar Czermak, diese Figur irgendwo zwischen Inspektor Columbo, Lolli-Kojak und einer Wiener Melange aus Ernst Hinterbergers Dramatis Personae? Als Hommage an den Wien-Krimi bringt Serien-Regisseur Andres Kopriva Stereotypen wie ihn in einen sozialen Dunstkreis ein, in welchem Hauptdarsteller Mohseni Motive aus seiner eigenen Kindheit und vielleicht auch seinem späteren Lebenswandel einbringt.

In den 90er Jahren nach Wien immigriert, findet der Dreikäsehoch sofort Gefallen daran, Diebesgut zu verhökern. Scheinbar kommt da bereits ein Talent zum Vorschein, welches ihn mit der autochthonen Jugendgang im Gemeindebau auf „ein Packerl hauen“ lässt. Gewalt gehört bald zur Tagesordnung, andere werden verdroschen und bestohlen, ach wie ist das Leben als kleinkrimineller Jugendlicher nicht lukrativ. Jahrzehnte später haben die vier Kids leider nichts dazugelernt, der eine von ihnen hat sich gar zum Nachtclub-Zampano hochgearbeitet, die anderen drei bilden das Trio Infernal der Unterwelt-Exekutive, allen voran eben Reza, der nicht nur auf charmante Wiener Art Furcht und Schrecken verbreitet, sondern dank intensiven Kampfsport-Trainings fast schon in Hill/Spencer-Manier unwilligen Schuldnern die Fresse poliert. Und dann passiert das – was in Unterweltfilmen meistens passiert: Die Liebe, im Idealfall auf den ersten Blick. In Nullkommanix erobert er mit selbstgefälligen Sprüchen, die ihn arroganter erscheinen lassen als er eigentlich ist, das Herz von Beatrice (Alma Hasun), die nichts von seiner Drecksarbeit weiß. Ein Umstand, der Komplikationen birgt. Und Reza langsam, aber doch, zum Umdenken bewegt.

Ein Perser in der Unterwelt – ich bin ja heilfroh, dass dafür nicht Publikumsliebling Michael Niavarani aus dem Simpl abkommandiert wurde, um aus Hades – Eine (fast) wahre Geschichte aus der Unterwelt eine weitere Kabarett-Komödie a la Salami Aleikum zu machen. Koprivas Film ist da weitaus gelassener, weil sein Antiheld, der aus dem Nähkästchen plaudert, lieber keine Rampensau sein will. Und das ist gut so. Kenner des österreichischen Films wissen vielleicht: Im Tatsachendrama Taktik gab Anoushiravan Mohseni einen der drei Geiselnehmer, die in den 90ern in einem Grazer Gefängnis ihre Freifahrt erpressten. Diesmal wird er zum Erzähler seiner eigenen Geschichte, das gelingt ihm mit selbstironischem Humor und dem zugrundeliegenden Gemüt eines Belehrbaren, der es irgendwann besser machen will. Man könnte Hades tatsächlich als augenzwinkernde Gaunerkomödie betrachten, die zwar auf abgetretenen Pfaden unterwegs ist, um altbekannte Versatzstücke auszuprobieren, die aber noch schärfer und sekkanter hätten sein können, um sich – und da kann man ja dreist genug sein – der schwarzhumorigen Süffisanz eines Guy Ritchie anzunähern. Das Herz hat Hades zwar am rechten Fleck, doch das unüberhörbare Problem an der Sache ist Mohsenis sprachliche Intonation. Einer wie Fritz Karl oder eine wie Aglaia Szyszkowitz werden sofort, nur Sekunden, nachdem sie im Fokus der Kamera stehen, zu denen, die sie darstellen. Bei Mohseni klingt alles, was er zum Besten gibt, wie auswendig gelernt. Die Kunst im Schauspiel liegt ja bekanntlich darin, die Rolle so aussehen zu lassen, als wäre das Gesagte nichts, was jemand anderer geschrieben hätte. Hades nimmt sich durch dieses Defizit vieles an seiner Authentizität. Hinzu kommt, dass Andrea Kopriva aus dem Serienfach kommt und selten kinoformatfüllende Größe erreicht. Vieles, womöglich dem Budget geschuldet, bleibt beschaulich und arrangiert, manches Mal scheint der Erzähfluss gestört, vorallem in den Szenen aus Rezas Jugendzeit.

Was bleibt, ist unterm Strich der gewinnende Charakter eines Improvisationstalents mit Migrationshintergrund als einer, der nicht alles weiß, vieles kann, aber manchmal eben nicht das richtige tut. Eine umschmeichelte Noir-Figur mit Potenzial ist dieser Reza: er ist einer, dem man nicht böse sein kann. Obwohl das Schauspiel zu wünschen übrig lässt: Mohseni hätte das Zeug. Das Phlegmatische eines Adam Sandler ist da zu finden, das Energische eines Kumal Nanjiani und das Wienerische eines Robert Palfrader, der das Gefährliche mit dem Lausbübischen genauso gut hätte verbinden können wie Mohseni. Hades – Eine (fast) wahre Geschichte aus der Unterwelt ist kleinformatiges Selbstfindungskino mit Hang zu Grätzel und Schabernack, politisch unkorrekten Fausthieben und der verzeihlichen Selbstüberschätzung seiner Figuren. Die Erdung derselbigen gelingt am besten, alles andere hat man mitunter schon besser gesehen. Oder gehört.

Hades – Eine (fast) wahre Geschichte aus der Unterwelt (2023)

The Art of Self-Defense

ICH KANN KARATE!

7/10


the-art-of-self-defence© 2019 Bleeker Street

LAND / JAHR: USA 2019

BUCH / REGIE: RILEY STEARNS

CAST: JESSE EISENBERG, ALESSANDRO NIVOLA, IMOGEN POOTS, STEVE TERADA, PHILLIP ANDRE BOTELLO U. A. 

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Unter der Rubrik „Filmschaffende, von denen womöglich noch nie jemand etwas gehört hat, deren Werke aber allemal einen Blick wert sind“ fällt auch ein gewisser Riley Stearns, seines Zeichens Drehbuchautor und Regisseur. Zu diesem Schluss komme ich nach Sichtung einer ganz und gar nicht beworbenen und im Sortiment von amazon prime bescheiden vor sich existierenden Thrillerkomödie mit dem Titel The Art of Self-Defense. Der Titel allein birgt womöglich Interessantes. Selbstverteidigung, so so. Vielleicht so etwas wie Karate Kid für Erwachsene? Nur mit anders gesetztem Spin. Stearns Streifen ist längst nicht nur die Genese eines Duckmäusers, der plötzlich mit beiden Beinen fest im Leben steht und sich von anderen nichts mehr sagen lassen will. The Art of Self-Defense kann weitaus mehr. Darunter eben, eine Geschichte zu erzählen, die vom Weg abkommt und in dunkle Gassen biegt. Die jedenfalls nicht will, dass man in Jesse Eisenbergs Rolle jemanden entdeckt, dem man nacheifern will. Denn Eisenberg ist ein Antipathieträger. Eine seltsam vor sich hin tickende Zeitbombe. Ein kleiner, blasser, unscheinbarer Mann, dem keiner zuhört, der keine Freunde hat und der stets, bei Auseinandersetzungen mit anderen, den Kürzeren zieht. Ein Loser, mit einem Wort.

Doch das ändert sich. Eines Nachts wird der gute Mann von einer Motorradgang überfallen und übel zugerichtet. So kann das nicht weitergehen, denkt sich der nach seiner Genesung und läuft rein zufällig an einem Karate-Studio vorbei. Es braucht nicht lang und schon steht er auf der Matte, in weißer Montur und mit weißem Gürtel. Und ist schlichtweg begeistert vom Meister seines Fachs, dem geheimnisvollen Sensei (undurchschaubar: Alessandro Nivola). Irgendwie hat dieser einen Narren an seinem Neuling gefressen, hofiert und bevorzugt ihn und stellt ihn später sogar als Buchhalter an. Es lässt sich vermuten, dass dieser schöne Schein trügt. Denn neben all den regulären Trainingseinheiten gibt es auch welche, die in der Nacht stattfinden.

An alle, die asiatischen Kampfsport faszinierend finden oder selbst einen solchen ausüben – in The Art of Self-Defense könnte das rechtschaffene Image der nur als letzte Instanz für Widerstand angewandten Kunst relativ rasch verärgern. Nicht alle folgen hier dem Credo einer alten, noblen Geisteshaltung, und nicht alle liegen mit der Wahl ihrer Mittel, sich unliebsames Gesocks vom Leib zu halten, auf einer Wellenlänge. Riley Stearns schickt in seiner Groteske über Sozialdynamik und toxischer Männlichkeit einen garstigen Jesse Eisenberg ins Feld, der in seiner unterkühlten Sozialkompetenz und seiner anfänglichen Hörigkeit Könnern gegenüber irgendwann scheitern muss. Es ist, als hätte Ralph Macchio es satt, sich selbst oder irgendwem sonst etwas beweisen zu müssen. Warum auch? Diese Frage sät Zweifel für den Ehrgeiz. Stearns verhöhnt diese Eigenschaft, und macht sich auch nicht die Mühe, Gefälligkeit zu signalisieren. Während des perfiden Auslotens der Nützlichkeit erlernter Skills kippt die schwarze Komödie ins Irreale, erlangt die Gewalt immer größere Akzeptanz, und der Besitz einer Waffe gerät ans Ende einer standfesten Selbstbehauptung. The Art of Self-Defense kommt unerwartet und erzählt Unerwartetes. Ein schöner Film ist das nicht. Aber irgendwie, auf seine zynische und lästernde Art, bemerkenswert.

The Art of Self-Defense

Dreamland

DAS GLÜCK LIEGT IN DER SCHEUNE

5,5/10


dreamland© 2020 Paramount Pictures


LAND / JAHR: USA 2019

REGIE: MILES JORIS-PEYRAFITTE

CAST: MARGOT ROBBIE, FINN COLE, TRAVIS FIMMEL, KERRY CONDON, DARBY CAMP, LOLA KIRKE, GARRETT HEDLUND U. A. 

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Trotzdem sie allesamt Verbrecher sind: Bankräuber haben immer ein bisschen was von Robin Hood. Etwas Charmantes, jovial Gaunerhaftes. Bankräubern kann man nicht wirklich böse sein. Sie tun das ja meist, weil sie entweder nicht anders können oder Vater Staat ihnen das letzte bisschen Geld auch noch genommen hat. Weil sie meistens verzweifelte, arme Würstchen sind. Da lässt sich durchaus über das eine oder andere Posttrauma der am Boden liegenden und um ihr Leben bangenden Opfer hinwegsehen. Zumindest funktioniert dieses Klischee im Kino sehr gut.

Als Bankräuber Allison Wells darf in diesem unter ferner liefen veröffentlichten 30er Jahre-Krimidrama Dreamland niemand geringerer als „Harley Quinn“ Margot Robbie den Revolver ziehen. Dabei gewinnt sie prompt den Faye Dunaway-Lookalike aus Bonnie und Clyde, bevor sie aus Wunden blutend in einer Scheune irgendwo im texanischen Nirgendwo gleich einem verletzten Tier Zuflucht sucht. Wie es der Zufall will entdeckt sie der hauseigene Farmersjunge, noch grün hinter den Ohren, und begegnet ihr mit einer Mischung aus Anhimmelei und Draufgängertum, da der Jungspund sehr gerne schon Mann sein will. Was er weiß oder gar nicht wissen will: die Killer Queen, die angeblich ein Kind auf dem Gewissen haben soll, wird überall gesucht. Und jetzt ist er, Eugene, jemand ganz besonderer, der nun zwischen mehreren Optionen wählen darf. Entweder er liefert Wallis der Polizei aus und kassiert das Kopfgeld. Oder er brennt mit ihr durch und kassiert das von Margot Robbie versprochene Doppelte. Als Mann wie er ist man den Reizen der bildschönen Dame natürlich rein hormonell komplett ausgeliefert.

Es macht Freude, hier mal wieder „Ragnar Lodbrok“ Travis Fimmel zu Gesicht zu bekommen. Der Mann mit dem hypnotischen Blick und seinen ganz speziellen, unverwechselbaren Manierismen hat nun alles Wikingerhafte abgelegt und darf als zugeheirateter Ermittler dem Stiefsohn die sogenannten Ratschläge fürs Leben erteilen. Sympathisch wirkt er nicht. Eher hemdsärmelig, derb. Und das fügt sich wiederum gut in ein auch recht hemdsärmeliges und nicht sehr feingezeichnetes Krimimelodram, das eine offenkundig alternativlose Geschichte erzählt, die vom Grundkonzept her aus Thelma & Louise, eben Bonnie & Clyde oder zum Beispiel aus Wisdom: Kühles Blut und Dynamit bekannt sind. Paare auf der Flucht vor dem Gesetz: kann nie gut gehen. Was also fasziniert an solchen formelhaften Balladen? Die Lust, als Zaungast dem Scheitern von der Idee der anarchischen Freiheit beizuwohnen? Ist es Schadenfreude? Ist es ein „Ich hätte es euch ja gesagt?“. Vielleicht ist es das. Vielleicht aber wundert (und ärgert) man sich gerne über so viel testosterongesteuerte Kurzsichtigkeit, die jemand wie Margot Robbie schamlos ausnutzt. Sie ist wieder mal faszinierend undurchschaubar – im Gegensatz zum Rest des Films.

Dreamland

End of Watch

BLUTSBRÜDER AUF STREIFE

7,5/10


endofwatch© 2012 Tobis Film

LAND: USA 2012

DREHBUCH & REGIE: DAVID AYER

CAST: JAKE GYLLENHAL, MICHAEL PEÑA, ANNA KENDRICK, AMERICA FERRERA, DAVID HARBOUR, FRANK GRILLO, NATALIE MARTINEZ U. A.

LÄNGE: 1 STD 48 MIN


Zugegeben: es gibt Filme, für die braucht es einen zweiten Anlauf. Ein solcher war End of Watch. Den hatte ich mal vor Jahren sichten wollen – die vulgäre Sprache und das Gewackel der Handkamera hatten mir damals die Freude verdorben. Dieses vorschnelle Urteil war jedoch nicht fair. End of Watch verdient eine zweite Chance. Ich ergreife sie – und zieh´s natürlich durch bis zum Ende. Und ja: man soll bei Filmen nie zu früh die Flinte ins Korn werfen, denn: David Ayers Buddy-Movie ist wohl einer der besten seinen Genres. Da haben Klassiker mit ähnlichem Aufbau (ich will jetzt keine Namen nennen) deutlich das Nachsehen. Und das liegt an mehreren Punkten.

Erstens mal an Ayers Originaldrehbuch. Der hat, um diesen Film zu schreiben, nur einige Tage gebraucht. Ein Geschenk des Himmels, wenn einem mal die kreative Arbeit so sehr von der Hand geht, dass sie wie aus einem Guss plötzlich am Papier geschrieben steht. Umso weniger an einem Script herumgezupft wird, umso mehr hat die erste Wahl des dramaturgischen Konzepts das Anrecht, umgesetzt zu werden. End of Watch, das sieht man, kam aus dem Bauch heraus und das in positivem Sinn.

Zweitens das Duo Jake Gyllenhal und Michael Peña. Die müssen sich auch abseits vom Set sagenhaft gut verstanden haben, denn anders lässt sich diese Bruderliebe ja gar nicht darstellen. Beide setzen voll auf Empfindung, wissen wohl selbst, was für ein Gefühl deppensichere Freundschaft auslöst und wie es ist, sich auf jemanden verlassen zu können.

Drittens probiert David Ayer kameratechnisch einiges aus. Er filmt nicht nur mit einer mobilen Kamera, er filmt auch mit dem Handy, mit Überwachungsequipment, Body Cams – im Grunde mit allem, was zur Verfügung steht. Oder mit allem, was gerade in der entsprechenden Situation greifbar scheint. Dabei ist End of Watch kein semidokumentarisches Reality-TV. Ist mal keine, in die Szenerie eingebettetes Medium zur Hand, tut’s dann auch die Profikamera aus dem Off. Was Ayer da aber zusammenmontiert und geschnitten hat, wird zu einem virtuosen Thrillerdrama, das prinzipiell mal nicht viel anderes erzählt als in so manchen Polizistenfilmen bereits erzählt wurde, in denen Buddys auf Verbrecherjagd gehen und für Recht und Ordnung sorgen. Aber wie Ayer das erzählt, und wie lückenlos sein Drehbuch in das ganze Projekt hineinpasst, angefangen vom Abchecken der Lage bis zum tragischen Finale, das hat seine ganz eigene, manchmal auch eben erschreckende, aber vor allem menschliche Faszination. Zwischen all dieser Poilzeiarbeit steckt überdies noch ganz viel ungeschminkter Sozialnotstand, den die beiden Cops Taylor und Zavala tagtäglich verarbeiten müssen. Sie können das nur, weil sie die besten Freunde sind. Das ist so ein gewinnender Zustand, da perlt der Schmutz der Straße ab wie Regen auf einer imprägnierten Oberfläche.

End of Watch

Memories of Murder

JAGD AUF EINEN UNSICHTBAREN

8/10

 

memories-of-a-murder© 2003 WVG Medien GmbH

 

LAND: SÜDKOREA 2003

REGIE: BONG JOON-HO

CAST: SONG KANG-HO, KIM SANG-KYUNG, HIE-BONG BYEON, JAE-HO SONG U. A. 

LÄNGE: 2 STD 10 MIN

 

Was genau haben all die uns bekannten und so verehrten Meister des Filmschaffens eigentlich so berühmt gemacht? Steven Spielberg, Roman Polanski, Jean Pierre Jeunet oder Quentin Tarantino – sie alle konnten mit ihren ersten Arbeiten ihr außerordentliches Talent unter Beweis stellen, ihren Stil aus der Taufe heben oder zeigen, in welchen Kategorien sie bestimmt keinen Meister mehr bräuchten. Eines dieser sogenannten Lehrstücke oder Anfangswerke hat auch Oscarpreisträger Bong Joon-Ho vorzuweisen. Ein Werk, schon 17 Jahre alt, erstaunt mit einer narrativen Selbstsicherheit, hinter der ein wahres Naturtalent stecken muss. Ich bin sogar versucht zu sagen, dass das Kriminaldrama Memories of Murder zu den besten Arbeiten zählt, die der Koreaner jemals aufs Kinopublikum losgelassen hat. Dabei ist mein persönlicher Favorit immer noch die postapokalyptische Parabel Snowpiercer, unmittelbar gefolgt von einem Film, der stark an das Vokabular eines David Fincher erinnert, insbesondere an dessen True Crime Drama Zodiac.

Auch Memories of Murder beruht vage auf wahren Begebenheiten, oder sagen wir: hat sich davon inspirieren lassen. Schauplatz ist natürlich Korea, allerdings das Korea der 80er Jahre, das noch unter der Fuchtel des Militärs stand. Ein Frauenmörder treibt zu dieser Zeit sein Unwesen. Und zwar einer, der nirgendwo Spuren hinterlässt, der aber anscheinend immer zu einer bestimmten Wetterlage seine Verbrechen verübt. Darauf angesetzt werden ein Kommissar und seine Entourage, wobei diese alles andere als geeignet dafür scheint, gewissenhaft und fokussiert der Sache nachzugehen. Prestige unter den Kollegen ist immer noch oberstes Gebot. Der Fall will gelöst werden, unter welchen Voraussetzungen auch immer. Da kann es durchaus sein, dass so manch Unschuldiger, der sich nicht wehren kann, zum Handkuss kommen könnte.

Und genau hier schafft das koreanische Kino wieder mal etwas, was selbiges aus anderen Ländern sonst nicht kann – oder auch nicht will, weil die Gefahr vielleicht zu groß wäre, durch konterkarierende Elemente und Stimmungen den eigenen Film zu verhauen: es ist die Sache mit der selbstironischen Überzeichnung. Memories of Murder nährt mitunter den Eindruck, in einer genrebezogenen Parodie zu stecken, die mit grotesken Charakterstudien nur so um sich wirft. Kenner des österreichischen Kottan-Fernsehkults werden sich vielleicht manchmal daran erinnert fühlen, allerdings: sobald sich auch nur die geringste stilistische Tendenz für diesen Film manifestieren will, ist der Eindruck auch schon wieder weg. Joon-Ho kontert mit melodramatischen, teils epischen Versatzstücken. Lässt die Kriminaltragödie wie Fritz Langs M – Eine Stadt sucht einen Mörder wirken. Lässt seine imperfekten Figuren in ihrer Verantwortung straucheln wie in Dürrenmatts Krimiszenarien. Dazwischen das in fast schon abstrakten Details eingefangene Verbrechen, wie Panels einer Graphic Novel. Dieser Mix ist aber kein Potpourri roter Fäden, sondern ein wohlkomponiertes Stück großes Krimikino, das berührt, irritiert und sich selbst nicht immer ernst nimmt. Sowas kann leicht in die Hose gehen, sowas kann geschmacklos und fahrig sein. Nicht in Memories of Murder: hier ist die Psyche der Ermittelnden genauso relevant wie die Psyche des Mordenden, hier findet die Ohnmacht vor etwas Unberechenbarem seine Bühne für irrationales Verhalten. Dieses Versagen einer Mission – ob resignativ, schadenfroh oder einfach nur melancholisch traurig – so dermaßen facettenreich herauszuarbeiten, ist beeindruckende Filmkunst, auch wenn man fernab jeglicher Genugtuung ratlos zurückbleibt.

Memories of Murder

Der unverhoffte Charme des Geldes

ZUM TEUFEL MIT DEN KOHLEN

6,5/10

 

charmedesgeldes© 2018 Cinémaginaire Inc. – Film TDA Inc.

 

LAND: KANADA 2018

REGIE: DENYS ARCAND

CAST: ALEXANDRE LANDRY, MARIPIER MORIN, RÈMY GIRARD, MAXIM ROY, VINCENT LECLERC U. A.

 

Kanadas wohl bekanntester Filmemacher neben David Cronenberg ist womöglich Denys Arcand. Der Mann ist Oscarpreisträger, und zwar für seine eloquente Satire Die Invasion der Barbaren. Ein spitzzüngiger, sehens- und vor allem ob der Dialoge hörenswerter Film. Allerdings auch schon länger her, genau 16 Jahre. Drei Filme später legt der Autorenfilmer mit Hang zum Understatement eine ganz andere Komödie vor, oder viel mehr eine Thrillerkomödie, die den guten Mammon zum Thema hat. Und er lässt es regnen, das viele Geld, auf einen Unglücksraben, der sich selbst ganz nach Woody Allen-Manier für das Maß aller Dinge hält und mit zynischen Betrachtungsweisen seine Umgebung immer wieder vor den Kopf stößt. Nichts ist gut genug für den Paketzusteller, der es sogar noch schafft, seine Freundin mit Worten davonzuekeln. Alles soll sich ändern, als Fortuna das Füllhorn entgleitet. Und Fortuna schüttet es da aus, wo andere ins Gras beißen. So gesehen bei einem Banküberfall, der aber vereitelt wird, trotzdem es auf beiden Seiten keine Gefangenen gibt. So steht der intellektuelle Jungspund in kurzen Hosen und Lieferwagen alleine da, vor ihm mehrere Taschen voller Kohle. Was tun in so einem (un)glücklichen Moment? Natürlich das Geld schnappen und so tun als wüsste man von nichts. Und das, obwohl man eigentlich gegen den globalen Kapitalismus wettert.

Das Glück ist, wo sie sind – sagen die Casinos Austria. Am Glück klebt aber auch das Pech wie selbiges an der sinistren Schwester der Goldmarie. Gute Taten helfen da nicht weiter. Oder doch? Wäre ja alles kein Problem, gäbe es da nicht die gesamte Unterwelt Montreals, die diese vermaledeiten Sporttaschen sucht. Und zu drastischen Maßnahmen greift, wenn es darum geht, diese aufzuspüren. Die sind manchmal wirklich weit über der Schmerzgrenze. Wer sehen will, wie Foltermethoden aus dem Mittelalter so manch einem halbseidenen Ganoven die Wahrheit entlocken, der kann sich gerne auf dieses Katz- und Mausspiel einlassen. Was aber nicht heißen soll, dass Denys Arcand andauernd die Grenzen zwischen süffisanter Diebesballade und wenig gelenkschonender Gewalt auslotet. Nein, das tut er nicht. In Jesus von Montreal war es auch nur die Kreuzigung Jesu im Selbstversuch, der Rest kluges Gesellschaftsdrama. Der unverhoffte Charme des Geldes setzt seine Gewaltspitzen aber auf überrumpelnde Weise. Dazwischen: durchaus turbulente Bestrebungen rund um hohe Summen, was wiederum an Richard Pryors Eskapaden aus dem 80er-Klamauk Zum Teufel mit den Kohlen erinnert. Damals war’s eine Erbschaft, hier mehr oder weniger Blutgeld.

Die unaufgeregt bebilderte „Oceans“-Satire macht aus kapitalistischer Gier einen sozialen Krankheitsfall, so als würde jemand an Geld leiden, und andere sollen die Symptome gefälligst kurieren. Der junge Held aus Denys Arcands Film wird selbstredend in Versuchung geführt, angelt sich auch eine bildschöne wie sündteure Hostess (wahnsinnig erotisch: Maripier Morin) und tut sich noch dazu mit einer Parodie auf Helmut Elsner (ich sage nur: Bawag) zusammen, um die Knete, anstatt sie zu verbrennen, in alle vier Winde zu verstreuen. Es ist wie die wundersame Brotvermehrung, womit wir wieder bei Jesus von Montreal wären. Und das Geld verliert ein paar von seinen dunklen Seiten, weil es immer darauf ankommt, was man damit macht. Es horten, raffen oder verteilen, als wäre es nichts als ein Mittel zum Zweck. Was es ja auch ist.

Der unverhoffte Charme des Geldes

Ben is Back

MUTTER COURAGE, U.S.

7,5/10

 

_DSC9362.ARW© Tobis Film 2019

 

LAND: USA 2018

REGIE: PETER HEDGES

CAST: JULIA ROBERTS, LUCAS HEDGES, COURTNEY B. VANCE, KATHRYN NEWTON U. A.

 

Er ist das Problemkind Hollywoods. Ob als Rabiatbruder in MID90s, als Vollwaise in Manchester by the Sea oder als gequälter Homosexueller in Der verlorene Sohn – Lucas Hedges hat, was seine Filme angeht, keine entspannten Jugendjahre. Und jetzt, jetzt ist er auch noch Ex-Junkie, schwarzes Schaf der Familie und unerwarteter Rückkehrer zur Weihnachtszeit, womit die holde Restfamilie wirklich nicht gerechnet hat. Nun, Mama Julia Roberts schon. oder sagen wir: sie hat es gehofft. Lucas Helges kann von Glück reden, so eine Filmmutter zu haben. Da gibt es ganz andere, zum Beispiel Carrie hat eine, die würde ich niemanden wünschen. Unsere Ex-Pretty Woman ist eine, die ihr Kind über alles liebt, egal was es anstellt. Solche Rollen kennen wir eigentlich von Meryl Streep, aber Julia Roberts kann das auch, und zwar fabelhaft gut. In Ben is Back ist sie die Fürsorge in Person, sich selbst zurücknehmend, aufopfernd, aber durchaus auch und nötigenfalls streng.

Tatsächlich aber steht das Kind der 90er unter der Regie seines alten Herren, nämlich Peter Hedges, seines Zeichens Autor so kultverdächtiger Stoffe wie Gilbert Grape. Seinen Sohn lässt er auf die schiefe Bahn kommen, sich mit Dealern anlegen und auf Entzug gehen, und dann, als alles danach aussieht, als hätte der Junge die Kurve gekriegt, kommt der Querschläger – und ruft Mama Roberts auf den Plan. Dieses Gespann, das spielt sich die Bälle zu, als hätte es weitaus mehr gemeinsam als den Arbeitsalltag am Set. Julia Roberts kann natürlich aus dem Vollen schöpfen, sie ist selbst Mutter, und wie schon einmal erwähnt werden ihre schauspielerischen Qualitäten im Laufe ihrer schillernden Karriere immer besser. Das Format einer Meryl Streep hat sie längst, sie zeigt sich genauso authentisch und scheint zu spüren, was sie vorgibt zu fühlen. Das macht Filmsohn Lucas Hedges auch, und deswegen ist Ben is Back längst kein Familienmelodram von der tränendrückenden Sorte, wie man sie bislang zur Genüge kennt. Das winterliche Krimidrama ist, relativ unüblich für so eine Art von Film, auf Zug inszeniert, sehr straff und eigentlich knochentrocken und auf klarsichtige Weise unprätentiös. Der Genremix tut dem Film erstaunlich gut, entlockt beiden Genres durchaus nicht oft gesehene Facetten und dröselt den gordischen Knoten eines unentkommbaren Dilemmas auf direkt künstlerische Art am Ende auf. Gewohnt bin ich so etwas eher von Einzelgängern wie Jacques Audiard oder Susanne Bier. Tatsächlich wirkt Ben is Back manchmal so, als wäre er ein Teamwork der beiden, vielleicht um eine Spur weniger erdiger und schmutziger, doch das muss Peter Hedges Film gar nicht sein, denn die soziale, krankhafte Finsternis einer labilen Existenz dringt in den abgesichert scheinenden, familiären Wohlstand und nicht umgekehrt. Das Eintauchen ins hoffnungslose Milieu der Drogen spart Ben is Back weitgehend aus, maximal streift der Film die Grenzen der Gefahr, die Julia Roberts fast schon versucht ist zu überschreiten. Das ist natürlich ein enormes Exempel an Selbstlosigkeit, ein Aufopfern für das eigene Fleisch und Blut. Dafür kann man gut und gerne eine Lanze brechen für so viel Familien-Impakt.

Ben is Back ist ein unerwartet intensiver Film aus blaugrauen, kalten Wintertagen. Und obwohl Weihnachten ist, zeigt sich das Fest der Liebe schaumgebremst wie selten. Stimmung kommt hier keine auf, maximal eine ungute, eine vorsichtige – und für manche auch ablehnende, denn der Stiefvater hält nichts von Bens Erscheinen. Herbergssuche sollte inklusive Lerneffekt mittlerweile ganz anders aussehen, vor allem zur stillen Nacht. Doch allein bleibt das Problemkind nicht, hat es doch Schutzengel Mutter an seiner Seite. Wird die Erzieherin aber zur Heldin? Das würde die Überzeichnung eines Ist-Zustandes implizieren, der das Brimborium eines gefeierten Kraftakts nötig hätte. Eine Mutter hat das nicht nötig, vor allem, weil Helden oft temporär solche sind. Und wir sehen: In Ben is Back geht es weniger um die schiefe Bahn junger Menschen. Dafür gibt es andere Filme. Wären es hier keine Drogen, wäre es etwas anderes. Das ist also austauschbar. Die Liebe zum Kind allerdings, die der packende Streifen thematisiert, die bleibt unverändert. Und lässt sich durchs nichts abhalten.

Ben is Back