Freakier Friday (2025)

SICH SELBST MIT ANDEREN AUGEN SEHEN

6/10


© 2025 Disney Enterprises, Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: NISHA GANATRA

DREHBUCH: JORDAN WEISS

KAMERA: AMIE DOHERTY

CAST: JAMIE LEE CURTIS, LINDSAY LOHAN, JULIA BUTTERS, SOPHIE HAMMONS, MANNY JACINTO, MAITREYI RAMAKRISHNAN, ROSALIND CHAO, CHAD MICHAEL MURRAY, MARK HARMON, VANESSA BAYER, CHRISTINA VIDAL MITCHELL, HALEY HUDSON U. A.

LÄNGE: 1 STD 51 MIN


„Ich bin alt!“ Eine kleine Sternstunde der Situationskomik war das damals, als Jamie Lee Curtis vor dem Spiegel es nicht fassen konnte, wie sie aussah. Dazu muss man wissen, dass in ihrem Körper die siebzehnjährige Lindsay Lohan steckte, zumindest im Drehbuch war das so vorgemerkt, dass beide – Mama und Tochter – über Nacht ihrer eigenen physischen Hülle verlustig wurden und stattdessen die der jeweils anderen bekamen. Jetzt, mehr als zwei Dekaden später, ist Mark Waters launiger Erfolg von 2003 eine Prachtkuh, die man, wenn es nach dem Disney-Konzern geht, der stellvertretend für Hollywood steht, immer noch melken kann. Der Trend der Aufgüsse, Remakes und Sequels reißt nicht ab. Viele Projekte tauchen an den 2000ern vorbei bis tief in die Achtziger – zuletzt fand man dort Die nackte Kanone, demnächst Running Man oder gar Spaceballs. Rick Moranis soll wieder vor die Kamera. Das glaube ich erst, wenn ich es sehe. Hier allerdings, in Freakier Friday, genießt die wunderbare Jamie Lee Curtis nach ihrem Oscar für Everything Everywhere All at Once ihren zweiten Karrierefrühling und macht das Beste daraus.

Meiner Meinung nach verhält es sich dabei so: Wenn Curtis draufsteht, ist Curtis drin, und wir wissen, sie ist eine Vollblutkomödiantin, da gibt es aus meiner Sicht kein Wenn und Aber. In ihr steckt diesmal nicht die Tochter, sondern die zwangsbeglückende Patchwork-Schwester von Lohans leiblicher Tochter. 22 Jahre kann viel Veränderung bringen – und ja, die gute Lindsay ist nun kein kindlicher Teenie mehr, sondern eine erwachsene Karrierefrau, die die Dosierung ihres Lip-Fillers besser einschätzen kann als Nicole Kidman. Sie verliebt sich in Manny Jacinto (u. a. in The Acolyte als Antagonist zu sehen), der ebenfalls eine Tochter hat. Beide gehen an die selbe Schule, und beide können sich nicht ausstehen. Wenn dieser Patchwork dann auch noch mit einem Bodyswitch doppelt vernäht wird, ist das Chaos perfekt. Schließlich steckt die Tochter wieder in der Mutter und umgekehrt. Turbulenzen, Missverständnisse und jede Menge cringe Situationskomik, die entsteht, wenn das Mindset der Älteren mit der agilen Physis der Jüngeren gesegnet wird, lassen sich in einem maßgeschneiderten Drehbuch finden, das nichts dem Zufall überlässt. Im Film ist das eine sichere Bank für ein Publikum, das bekommen will, was es sich erwartet und keinerlei Überraschungen duldet. Freakier Friday ist Familiencomedy, Teenie-Turbulenz und Generationen-Clinch, dazu ein Hauch Mystery und die übliche Mechanik, die leise Sitcom-Melancholie mit gehetztem Wohlstands-Klamauk verbindet. Angenehm vertraut kommt einem das Ganze vor, tatsächlich so wie damals, als Curtis und Lohan die einzigen waren, die ihre Diskrepanzen miteinander hatten.

Da Nisha Ganatra (Late Night mit Emma Thompson und Mindy Kaling) den Plot von damals mehr oder weniger dupliziert, muss vieles in dieser Komödie auch parallel laufen. Ab und an verliert man dabei den Überblick und hetzt von der einen Notlage zur anderen. Irgendwie schafft es Ganatra aber doch, die Verwirrung im Zaum zu halten. Wenn man sich darauf konzentriert, wer nun wer ist, macht das Guilty Pleasure doppelt Spaß, und es lässt sich dabei auch gut erkennen, wie gut oder weniger gut manche Besetzung ihren Bodyswitch auch umsetzen kann.

Frei nach dem Motto „Versetz dich mal in meine Lage“ setzt Freakier Friday den Blickwechsel zum besseren Miteinander als emotionale Ebene ein, auf welcher der durchaus herzliche Spaß seine Ausdauer probt. Unterm Strich weiß man mit einer erfrischend engagierten Lohan und natürlich der prächtigen Curtis so einiges auf der Habenseite. Ob da noch ein Teil in Aussicht steht, liegt wiedermal am Einspiel. Kino ist schließlich ein Geschäft ohne Risiko. Vielleicht aber sollten sich die Studios mal in die Rolle des Publikums versetzen, denn das Klingeln der Münzen ist nicht alles. Neuer Input wäre umso mehr.

Freakier Friday (2025)

Altweibersommer (2025)

GEMEINSAM UND EINSAM

6,5/10


© 2025 Film AG


LAND / JAHR: ÖSTERREICH 2025

REGIE / DREHBUCH: PIA HIERZEGGER

CAST: PIA HIERZEGGER, URSULA STRAUSS, DIANA AMFT, THOMAS LOIBL, CLEMENS BERNDORFF, EMMANUEL AJAYI, JOSEF HADER, ZAID ALSALAME, OLIVER ROSSKOPF U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Wenn Ursula „Uschi“ Strauss mal nicht schnell ermittelt, ist sie die herzensgute, urösterreichische Mittvierzigerin, die zwischen kulturgeschichtlich anerzogenem Gewissen und der Bereitschaft, sich progressiv zu verändern, so tut, als stünde sie gar nicht vor einer Kamera, sondern wäre inkognito in den Süden unterwegs, mit zwei Freundinnen, die dringend mal einen Tapetenwechsel brauchen. Strauss gibt sich unprätentiös authentisch, was sie sagt, glaubt man sofort. Wäre sie anders, würde man ihr privat begegnen? Diese Fähigkeit teilt sie sich mit Josef Hader, der in Altweibersommer einen kleinen, feinen Cameo-Auftritt hat. Wo das Kabarett-Urgestein auftaucht, ist des öfteren Pia Hierzegger nicht weit. Die ungefällige Arthouse-Steirerin ist nicht nur vor der Kamera aktiv, sondern diesmal auch dahinter. Und nicht nur das: Um den Autorenfilm komplett zu machen, kommt auch das Skript aus eigener Feder. Entstanden ist dabei die psychosoziale Miniatur einer Spätsommer-Geschichte, die als Altweibersommer keinen treffenderen Titel hätte finden können. Es ist die Mittelstands-Odyssee eines tief verbundenen freundschaftlichen Trios, es sind dies Astrid, Elli und Isabella, und was diese drei so zusammenschweißt, ist die Tatsache, dass sie unterschiedlicher nicht sein können. Der gemeinsame alljährliche Nenner ist der einwöchige Aufenthalt irgendwo in den Wäldern der Steiermark, erwähnt wird die Ortschaft Mitterbach, also lässt sich ungefähr anpeilen, wo wir uns befinden. Der idyllische Campingplatz ist diesmal kein Ort des Grauens wie in dem einen oder anderen Slasher, sondern eine Oase der Rehabilitation und Selbstreflexion, des Fallenlassens und Seelebaumelns. Und ja: des Wanderns. Das Wetter ist eher mies, die Laune im Keller, noch dazu muss sich Elli von einer Chemotherapie erholen. Das Schicksal führt sie zu einem Typen namens Chris (Thomas Loibl), dem dieses übel mitspielt, jedoch nicht, ohne vorher die Gelegenheit dazu anzuspornen, Diebe zu machen. Wer hätte gedacht, dass Uschi Strauss alias Astrid als erste die eigenen Dogmen sprengt, um das Unerwartete in die Wege zu leiten, nämlich einen Trip an den Lido. Tod in Venedig könnte man jetzt denken, angesichts des Zustandes von Hierzeggers Figur. Doch da fängt Altweibersommer an, Vorhersehbares an der österreichischen Grenze zu lassen. Zaghaft, aber doch, unterwandert Hierzegger genretypische Erwartungen und lässt nicht passieren, was passieren hätte sollen. Zumindest nicht ganz.

Hierzegger selbst hat, und das wissen wir aus ihrem schauspielerischem Œuvre, die Rolle der lakonischen Zurückhaltung inne, sie lässt, und das nicht nur, weil sie Regie führt, Strauss und Diana Amft ihre fiktiven Charaktere auskosten und lieben lernen. Alle drei entwickeln wohltuende Synergien – das alles, ohne zu übertreiben. Man merkt, wie behutsam Hierzegger vorgeht. Auch wagt sie nicht, die Tragikomödie neu zu erfinden. Was Wolfgang Murnberger mit seiner mittlerweile zum Fernsehklassiker avancierten Brüder-Trilogie um Wolfgang Böck, Erwin Steinhauer und Andreas Vitasek so erstaunlich gut vollbracht hat, will nun mit Altweibersommer ähnliche, durchaus auch existenzielle Antworten finden, natürlich unter gänzlich anderer Prämisse. Allerdings: An neutral-fremdem Ort die eigenen Glaubenssätze, Dogmen und Ich-Zustände zu überdenken, haben diese Filme alle gemein. Es ist ein Auseinander-und Zueinanderfinden, ein Kehren vor den eigenen Türen und die von Joe Cocker besungene „Kleine Hilfe von Freunden“, ohne proaktiv die Agenden der anderen zu übernehmen. Der österreichische Charme kommt dank Strauss dabei nicht zu kurz, die deutsche Situationskomik dank der umwerfend aufspielenden Amft auch nicht. Hierzegger bleibt dabei – und das ist gut so – die nachdenkliche, introvertierte Realistin.

Man möchte meinen, so ein Film wie Altweibersommer hätte das Kino nicht gebraucht. Als Fernsehfilm im Hauptabendprogramm wäre das Medienformat vielleicht besser aufgehoben – eine Überlegung, die man sich bei österreichischen Filmen immer wieder fragt. Klar, so richtige Schauwerte hat der Selbstfindungstrip keine, abgesehen von der Kulisse Venedigs. Und dennoch holt man mit einem Autorenfilm wie diesen ein Publikum ins Kino, dass daheim gerne die Füße hochlegt statt sich mit anderen in einen Saal zu setzen, um auf großer Leinwand das zu sehen, was man im Kleinformat daheim ohnehin andauernd zu sehen bekommt. Filme wie diese attraktivieren die heimische Filmlandschaft und halten sie lebendig. Mit Publikumslieblingen wie Strauss, Amft und Co alles kein Problem. Wer sie sehen will, hebt dafür gerne seinen Hintern von der Couch. Im Übrigen zahlt es sich in diesem Fall auch aus.

Altweibersommer (2025)

Bridget Jones – Verrückt nach ihm (2025)

DIE WOHLTAT DER VORHERHSEHBARKEIT

5,5/10


© 2025 Universal Pictures


ORIGINALTITEL: BRIDGET JONES: MAD ABOUT THE BOY

LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH, USA, FRANKREICH 2025

REGIE: MICHAEL MORRIS

DREHBUCH: HELEN FIELDING, DAN MAZER, ABI MORGAN, NACH DEM ROMAN VON HELEN FIELDING

CAST: RENÉE ZELLWEGER, LEO WOODALL, CHIWETEL EJIOFOR, HUGH GRANT, EMMA THOMPSON, COLIN FIRTH, ISLA FISHER, NICO PARKER, SALLY PHILLIPS, SHIRLEY HENDERSON, JIM BROADBENT U. A.

LÄNGE: 2 STD 5 MIN


Weg vom Problemkino, raus aus dem Arthouse. Gewalt, Mord und Totschlag haben Pause. Das Phantastische findet sich maximal in Happy End-Beziehungen wieder, die im exakt bemessenen Timeslot eines abendfüllenden Spielfilms nach vorprogrammiertem Auf und Ab letztlich alles richtig machen. Schön, diese heile Welt mit den Wohlstandsproblemchen, die niemals an der nackten Existenz seiner Leidtragenden rütteln. Willkommen also in der Welt der RomComs, der Romantischen Komödien, vorzugsweise nach Schema F, doch dieses Schema funktioniert, weil es sein Publikum womöglich von viel ernsteren Problemen, die das echte Leben betreffen, wegholt. Kino wird dabei zur reinen Unterhaltung, zur Entspannung, als würde man in einem Stressless-Sessel sitzen, der rund zwei Stunden einem selbst gehört. Da das Medium Film dabei aber nicht viel Neues erzählt, weil es die Karte des Vertrauten ausspielt, habe ich das Genre eher großräumig umfahren. Zumindest auf der großen Leinwand. Daheim auf der Couch darf gerne zum wiederholten Male die Lieblings-Sitcom ihre bereits auswendig erlernten Folgen abspulen, weil diese das Gefühl der Geborgenheit vermitteln und so angenehm vorhersehbar sind wie ein Mittagsschläfchen. Entspannung pur in einer Welt des Umbruchs. Selten war die Zerstreuung wichtiger denn je. Und findet im vierten Alltagsabenteuer aus dem Bridget-Jones-Universum die richtige Bildschirmshow.

24 Jahre, nachdem Helen Fieldings Figur des jungen, weiblichen Tollpatsches im Pyjama die Stereotypen der weiblichen Selbstdarstellung aufdröselte, ist der im Charlie Chaplin-Schritt watschelnde, liebevolle Charakter mit dem verkniffenen Clint Eastwood-Blick längst Mutter zweier Kinder und gleichzeitig Witwe. Wie es dazu kam? Dafür braucht man bei Gott nicht alle drei Vorgängerfilme anzusehen. Dank der recht simplen Storyline erschließt sich auch für Nichtkenner des Franchise die gesamte Welt von Bridget Jones innerhalb von Sekunden. Colin Firth also dürfte Jones Ehemann Mark Darcy gewesen sein – er buhlte schließlich mit Hugh Grant um die reizende Dame, als letzterer noch den Hechtler in den Swimmingpool gewagt hat. Darcy aber ist verstorben, Bridget muss alles allein regeln und sich einem Gewitter sämtlicher Ratschläge aus dem Freundeskreis aussetzen. Statt Hugh Grant köpfelt diesmal der deutlich jüngere Spätstudent Roxster in den Pool und verdreht der schwer in den Alltag findenden Renée Zellweger so richtig den Kopf. Damit aber nicht genug: Auch wenn es nicht so aussieht, als ob da jemals die Funken sprühen können, bläst auch noch Lehrer Chiwetel Ejiofor (von Twelve Years a Slave bis hierher ist es ein weiter Weg) als Mr. Wallaker tagtäglich in die Trillerpfeife, um Bridgets Kinder Gehorsam zu lehren.

Ja, im Grunde ist sie das, die Geschichte. Ein bisschen geht’s auch um Verlust, um das Alter, um die eigene Erlaubnis, die man sich gibt, um einen Neuanfang zu wagen. Geht alles nicht so einfach, aber einfach genug, um Brigdet Jones – Verrückt nach ihm in einlullender Geschmeidigkeit dahinzuerzählen, während der Stressless-Sessel arbeitet und man selbst immer weicher und elastischer wird. Dazwischen darf man schmunzeln, wie in den vertrauten Sitcoms auch. Und manchmal, da wundert man sich, mit welchen banalen Versatzstücken man ein längst schon vieles gesehene Publikum abholen kann. Langeweile wird dabei zur Tugend, das gute Gefühl, Erwartbares erwarten zu können, zum Sonntagsausklang für die Gebeutelten, die Ja zur idealen, manchmal aber auch leicht reparierbaren Welt sagen.

Bridget Jones – Verrückt nach ihm (2025)

Pfau – Bin ich echt? (2024)

WIE DIE ANDEREN WOLLEN

5/10


© 2024 Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion GmbH


LAND / JAHR: ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND 2024

REGIE / DREHBUCH: BERNHARD WENGER

CAST: ALBRECHT SCHUCH, JULIA FRANZ RICHTER, ANTON NOORI, THERESA FROSTAD EGGESBØ, BRANKO SAMAROVSKI, MARIA HOFSTÄTTER, SALKA WEBER, TILO NEST, CHRISTOPHER SCHÄRF, MARLENE HAUSER U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Wir alle, denn so ist es in der Psychologie längst bekannt, spielen tagtäglich die unterschiedlichsten Rollen. Daheim probt man die Mutter- oder Vaterfigur, in der Arbeit den Chef, den Manager oder Verkäufer. Vor den eigenen Eltern ist man das Kind, in der Straßenbahn der sozial Achtsame, der bedürftigen Fahrgästen den Sitzplatz überlässt. Diese Liste könnte ich lange so weiterführen, auf die Gefahr hin, das eigene Basis-Ich komplett aus den Augen zu verlieren. Tatsächlich aber besteht die eigene Persönlichkeit aus diesem ganzen bunten prächtigen Ensemble, der Mensch ist schließlich anpassungsfähig und situationselastisch.

Und dennoch: Anders betrachtet agieren wir oft so, wie die anderen wollen. Der von Albrecht Schuch verkörperte Unternehmer Matthias hat sich diese Entkopplung von seiner Person zum Beruf gemacht – er leitet mit einem guten Freund das Leihpersonenbüro My Companion. Das klingt jetzt natürlich nach Escortservice, und ist es auch auf einer ganz gewissen Ebene, nur nicht auf der amourösen. Bei My Companion wird Matthias zum geliehenen Menschen nach des Kunden Wahl. Zum musikbeflissenen Konzertbegleiter, zum Coach in Sachen Konfliktfähigkeit. Zum Golfpartner, Piloten, Familienvater und sogar zum Sohnemann ganz fremder Leute, die ihr Image aufpolieren wollen. Was Matthias aber zwischen seinen Einsätzen als Variable in einer vereinsamenden Gesellschaft jedoch nur noch schwer wiederfindet ist die eigene Identität. Wer bin ich, und bin ich überhaupt echt? Diese Fragestellung läutet sogar schon der Titel ein. Denn je mehr sich einer wie Matthias, der fast zur Gänze seinen eigenen Willen und seine Meinung verliert, da er nur jene kundtut, die jener der andern entspricht, umso blasser, transparenter und flacher wird er. Woody Allen hätte diese Geschichte wohl damit gelöst, sein Alter Ego entweder tatsächlich durchscheinend darzustellen – oder eben unscharf. Letzteres hat er in seinem Film Harry außer sich tatsächlich so umgesetzt. Albrecht Schuch hingegen verliert hier vorallem seine Mimik, sein Empfinden, sein Ich. Sehr zum Missfallen seiner Partnerin Sophia (Julia Franz Richter, Rubikon), die Matthias alsbald provoziert und letztlich stehen lässt.

Egal wie Schuchs Figur es dreht und wendet, er findet nicht zu sich selbst. Zumindest eine ganze Zeit lang, nämlich fast den ganzen Film hindurch nicht. Immer wieder kreist Spielfilmdebütant Bernhard Wenger, der diese wienerische Psychokomödie auch selbst verfasst hat, um seinen Mann ohne Eigenschaften herum und schickt ihn immer wieder aufs Neue in seine berufliche Pflichterfüllung. Es bleibt kaum Zeit, sich selbst einen Plan zum Ausbruch zu überlegen, stattdessen stolpert Matthias von einem Symptom des Selbstverlustes in den nächsten. Das mag tragikomisch bis humorvoll rüberkommen, Pfau – Bin ich echt? lukriert dabei einige Lacher dank einiger situationskomischer Einfälle, die wirklich treffsicher platziert sind. Im Ganzen aber bleibt Albrecht Schuch zu selbstverliebt in seiner Charakterlosigkeit, er will sich kaum von ihr trennen, nicht mal am Ende, wo man einen Paradigmenwechsel erwartet, der aber wieder nur ein Symptom für einen unveränderten Gesamtzustand ist, der im Argen liegt.

Diese Gleichförmigkeit im Erzählen hinterlässt einen schalen Beigeschmack, als hätte man ausgerauchtes Bier getrunken oder kalten Kaffee. Von Elan und Ausbruch ist keine Rede, das Vergnügen liegt darin, den von sich selbst entfremdeten Biedermann in seiner schrägen, wenn nicht gar skurrilen Notlage zurückzulassen. Und das ist recht wenig für eine prinzipiell klug erdachte Ausgangsposition.

Pfau – Bin ich echt? (2024)

Memoir of a Snail (2024)

EINE ABRISSBIRNE FÜRS SCHNECKENHAUS

8/10


© 2024 Polyfilm


LAND / JAHR: AUSTRALIEN 2024

REGIE / DREHBUCH: ADAM ELLIOT

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): SARAH SNOOK, KODI SMIT-MCPHEE, JACKI WEAVER, ERIC BANA, DOMINIQUE PINON, MAGDA SZUBANSKI, NICK CAVE, ADAM ELLIOT, BERNIE CLIFFORD U. A.

LÄNGE: 1 STD 34 MIN


Das „potscherte“ Leben gibt’s nicht nur hier im morbiden, leicht psychotischen Wien. Das gibt es auch auf der anderen Seite des Erdballs, genauer gesagt auf dem Kontinent namens Australien. Fern jeglicher Down-Under-Exotik aus Kängurus, Uluru und Great Barrier Reef hadern die Ausgestoßenen in existenzieller Düsternis um ihr Schicksal, und damit sind gar nicht mal die um ihr Recht auf Glückseligkeit gekommenen Ureinwohner gemeint – sondern allenthalben die Nachkommen weißer Siedler, die auf einem Kontinent der Superlativen ihr Leben soweit dahinleben wie die anderen, wie die Norm, wie das Schicksal es verlangt. Adam Elliot hat sich nach Mary & Max – Schrumpfen Schafe, wenn es regnet abermals den Nonkonformisten, den Außenseitern, Sonderlingen und Verlieren hingegeben, er weiß schließlich, dass genau sie es sind, die der Menschheit die Menschlichkeit erhält. Er weiß, das genau sie es sind, die wie der gute alte Hiob aus der Bibel soweit vom Leben genötigt und getriezt werden, nur um es letztlich besser zu verstehen als alle anderen. Durch Verzicht, Verlust und Enttäuschung hindurch sieht man das, was man hat, deutlich klarer. Doch ist das nicht ohnehin der gepredigte Weg des Schmerzes? Ist der Content hier vielleicht allzu religiös angehaucht? Überhaupt nicht.

So, wie Elliot die Lebenssituationen der Zwillinge Grace und Gilbert beschreibt, lässt sich spüren, wie behutsam er seine zerbrechlichen, sensiblen und sehnsüchtigen Figuren auf die Probe stellt, ohne sie mit ihren Tragödien und schmerzlichen Umwegen zu überfordern. Die beiden fahlgesichtigen kleinen Puppen, an denen Tim Burton sicher seine helle Freude hat, stemmen, indem sie sich ihrem Charakter selbst treu beiben, das Unwegsame. Sie assimilieren sich nicht, besitzen aber gleichzeitig durch ihre Andersartigkeit die Fähigkeit, sich allem, was passiert, in melancholischer und gleichsam resignativer Hoffnung zu fügen. Das mag ein Widerspruch in sich sein, weckt aber den Lebenskünstler. Das ist Pragmatismus zur rechten Zeit – und Grace, die scheinbar alles im Laufe ihres Lebens verliert und sich ihren psychischen Problemen hingibt, wird zur Anti-Heldin eines schnöden Lebens.

Wie schon in seinem Vorgängerfilm erliegt Elliot nicht der Versuchung, die optische Raffinesse seiner Arbeit, vor der man ohnehin auf die Knie fällt, über die Geschichte zu stellen. Fast ist genau das Gegenteil der Fall. Memoir of a Snail – und damit ist die über Vergangenes sinnierende Grace in ihrem Schneckenhaus gemeint – ist die untergründige Antithese zu Wallace & Gromit und dem Sandmännchen, sie ist die dunkle Gasse, das Elend hinter heilem Entertainment. Als Trickfilm für Erwachsene, der die Kleinen wohl eher verstören würde, thematisiert das bizarre Wunderwerk sozialen Abstieg, Krankheit, Verlust und Fetischismus. Religiösen Fanatismus genauso wie die Symptome psychischen Ungleichgewichts und Trauer, unter welcher Gracie im wahrsten Sinne des Wortes fast erstickt.

Doch es ist nicht nur das zentrale Geschwisterpaar, das mit seinen stets tränennassen großen Augen das Herz des Publikums erobert. Es ist vor allem die sagenhaft illustre Riege an Nebenfiguren, allesamt Außenseiter und einsame Seelen, deren Resignation und Verlorenheit sich in ihren Gesichtern spiegelt, die aber dennoch das Leben hinnehmen, wie es kommen muss. Gracies Freundin Pinky, gesprochen von Jacki Weaver, ist dabei ein absoluter Knaller – eine schräge Gestalt, liebevoll konturiert und beschrieben, herzlich und kurios, bis zum Ende.

Memoir of a Snail ist ein sonderbares Kleinod mit Alleinstellungsmerkmal, die dunkelgraue Seite des Animationsfilms, reich an Lebensphilosophie, Zärtlichkeit und im richtigen Moment herzlich sarkastisch. Inhaltlich vergleichbar wäre Elliots Werk mit Jean-Pierre Jeunets Die fabelhafte Welt der Amélie, denn hier wie dort ist der Alltag der Einsamen eine Märchensammlung poetisch-bizarrer Anekdoten. Neben diesen bezaubernd bebilderten, aufwändig visualisierten Ideen ist es doch die gehaltvolle Story im Kern, die so richtig bewegt und gemeinsam mit dem Reiz des Stop-Motion-Films die Liebe zu einem Leben feiert, das sich selten als kooperativ erweist.

Memoir of a Snail (2024)

Universal Language (2024)

BABEL LIEGT IN KANADA

8,5/10


universallanguage© 2024 Viennale


LAND / JAHR: KANADA 2024

REGIE: MATTHEW RANKIN

DREHBUCH: ILA FIROUZABADI, PIROUZ NEMATI, MATTHEW RANKIN

CAST: MATTHEW RANKIN, PIROUZ NEMATI, ROJINA ESMAEILI, SABA VAHEDYOUSEFI, SOBHAN JAVADI, MANI SOLEYMANLOU, DANIELLE FICHAUD U. A.

LÄNGE: 1 STD 29 MIN


Eines hatten mehrere Filme in der Auswahl der Viennale gemeinsam: In ihnen war es saukalt. In Anora herrschten Minusgrade, in The Damned froren sich sämtliche Soldaten der Nordstaaten während des Bürgerkrieges den Allerwertesten ab, und in Universal Language wird Winnipeg, die Hauptstadt Manitobas in Kanada, zur urbanen Frostbeule, in der es so kalt ist, dass die Wäsche am Balkon, die andere zum Trocknen aufhängen, bretthart gefriert. Allerdings, so ließ sich Darsteller Pirouz Nemati während eines Q&A nach dem Film entlocken, ist die Darstellung der Kälte in diesem Film keinesfalls übertrieben. Den Klimawandel würde man dort wohl kaum vermuten, wohl schon eher den Wandel der Sprachen. Denn so seltsam es auch klingen mag und, sofern man sich nicht selbst davon überzeugen könnte, es niemals glauben möchte: In Winnipeg spricht man Farsi.

Man nehme die Welt mit all ihren Bewohnern und schüttelt sie wie in einer Schneekugel (das passt sogar) einmal gründlich durch. Sprachen und Orte verschieben sich. Ein neues Babel entsteht, mit dem Mikroskop hält Matthew Rankin aber weiterhin gezielt auf die merkwürdigen, gesellschaftlichen Strukturen der Bewohner einer Stadt, die Insider wohl szenenweise wiedererkennen würden, andere jedoch keinesfalls. In dieser Stadt, in diesem Stadtkreis, ist das einzige große Rätsel nur der gemeinsame Nenner vieler kleiner Obskuritäten. Ein Panoptikum surrealer Miniaturen wird hinter einer sinnbildlich bröckelnden Fassade schmuck- und fensterloser Häuserfronten sichtbar, auch im Eis stecken so manche Schätze, die geborgen werden wollen. Doch gerade ein Wunsch wie dieser tritt eine Kette an kausalzusammenhängenden Ereignissen los, die immer tiefer und immer lustvoller durch einen Kosmos mäandern, der nur in Träumen existieren kann. Es ist dies wohl der ungewöhnlichste und verblüffendste Film der diesjährigen Filmfestspiele in Wien. Eine Schmuckschatulle, prall gefüllt mit Ideen, die eine karussellartige Geschichte erzählen. Von Truthähnen, Kleenex-Tüchern und einer Neudefinition für den Tourismus attraktiver Sehenswürdigkeiten, für die man mal gut und gerne nicht nur eine Schweigeminute einlegt.

Der kanadische Filmemacher und Visionär Matthew Rankin, bislang stets mit Kurzfilmen vertreten und 2019 mit der bizarren Fake-Biografie The Twentieth Century im Langfilm debütiert, könnte mit Universal Language den Grundstein dafür legen, auch zukünftig ein ausgesuchtes Publikum mit Hang zum Absurden begeistern zu können. Die Herren Wes Anderson – jeder kennt ihn mittlerweile als Ensemblefilmer, dem die Stars die Türen einrennen – und der Schwede Roy Andersson (Über die Unendlichkeit) haben es bereits vorgemacht. Ihre Filme wären in einem Pulk von tausenden anderen so leicht zu erkennen, da ihren Stil und ihre Handschrift niemand sonst imitieren kann. Das Setzkastenkino von Wes Anderson mag wahrlich kurios sein – der Wille zur Dekoration seiner Sets mag aber manchesmal den Tiefgang außen vorlassen. Bei Roy Andersson ist das anders. Seine Momentaufnahmen grimmig-existenzialistischer Alptraumszenen rütteln am Gemüt und vermitteln gespenstisches Bilderbuchkino. Matthew Rankin braucht keine Stars. Seine Kunst erinnert unweigerlich an beide, findet dabei jedoch eine andere Mitte, einen anderen Schwerpunkt. Universal Language hinterfragt gesellschaftliche Strukturen, Wertigkeiten und Identitäten. Er verzerrt auf burleske Weise die Marktwirtschaft, den Familiensinn und menschliche Fehler in der Kommunikation. So skurril-witzig seine Anekdoten auch sind, so lakonisch-melancholisch balancieren sie am Rande einer tieftraurigen, tränenreichen Schwermut. Rankins Tableaus sind nicht von dieser Welt, sie erzählen von einem alternativen Universum voller liebenswerter, aber gewöhnungsbedürftiger Figuren. Dieser frische Wind im Kino des Surrealen ist schneidend kalt. Die Beziehungen unter den Menschen der einzige Weg, sich zu wärmen.

Universal Language (2024)

A Real Pain (2024)

REISEN IST DIE BESTE MEDIZIN

6,5/10


arealpain© 2024 Searchlight Pictures. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA, POLEN 2024

REGIE / DREHBUCH: JESSE EISENBERG

CAST: JESSE EISENBERG, KIERAN CULKIN, WILL SHARPE, JENNIFER GREY, KURT EGYIAWAN, DANIEL ORESKES, LIZA SADOVY U. A.

LÄNGE: 1 STD 30 MIN


Oma ist gestorben. Das ist stets ein trauriger Anlass, denn nicht nur geht da jede Menge Zeit- und Familiengeschichte verloren, sondern auch eine vielleicht intensivere Bindung als zu den eigenen Eltern. Unter diesem Schicksalsschlag leidet nicht nur Jesse Eisenbergs Figur des Juden David Kaplan, sondern vor allem jene des Cousins Benji, der sowieso schon so seine psychischen Probleme hat. In Jugendjahren waren beide ein Herz und eine Seele, und das trotz unterschiedlicher Charakterbilder. Gegensätze zogen sich da womöglich an, und spätestens, wenn das Erwachsenenleben die eigene Familie beschert und das eigene Arbeitsleben, bleibt die Freundschaft nur mehr ein peripheres Restleuchten im Hintergrund. Ein Umstand, der nicht sein muss. Omas Ableben kommt da, so bitter es klingt, wie gerufen. David und Benji treffen sich wieder, für einen Trip nach Polen, um Großmutters Haus zu finden. Dabei schließen sie sich einer Reisegruppe an, die in die jüdische Geschichte des Landes führt. Die beiden jungen Männer finden nicht nur heraus, wie sehr ihr Ego ihnen im Wege steht, sie finden auch heraus, wie sehr Weltgeschichte die eigene Biografie steuern kann. Denn wäre der Krieg nicht ausgebrochen, wären beide entweder nicht auf der Welt oder eben Europäer.

Mit solchen Überlegungen wagt Jesse Eisenberg (The Social Network, Resistance) den Sprung ins kalte Wasser des Autorenfilms. A Real Pain ist sowohl von ihm verfasst als auch inszeniert. Und siehe da – der Mann hat Qualitäten. Und er tut gut daran, sich nicht selbst zu überschätzen, indem er ein ausstattungsintensives und sündteures Melodrama, angelegt auf mehrere Dekaden, gegen die Wand fährt. Sein Film ist klein und fein, unkitschig und bescheiden. A Real Pain ist, was er ist: Der Bericht einer Reise, die man nicht allein unternimmt, wo immer zwei dazugehören, um das Gesehene und Erfahrene im Gegenüber reflektiert zu sehen. Ohne weiteres hätte Eisenberg sich selbst da übernehmen können. Das passiert Künstlern, die nicht wissen, was dramaturgisch gesehen bleiben und was man weglassen kann. Darin liegt die Besonderheit in A Real Pain. Weder schwelgt Eisenberg im psychologischen Dilemma seiner fiktiven Filmbiographien, noch maßt er sich an, die Betroffenheit angesichts der Mahn- und Denkmäler auf prätentiöse Weise auszuschlachten. Man könnte meinen, die filmische Reise hat von allem ein bisschen. Und nichts so richtig.

Im Vergleich zu A Real Pain dringt Treasure – Familie ist ein fremdes Land von Julia von Heinz deutlich tiefer in die traumatische Vergangenheit einer Familie vor. Hier reist eine Tochter mit ihrem Vater, der selbst das KZ überlebt hat, an den Ort ihrer Ahnen. Klarerweise gibt es unter diesen Gesichtspunkten wesentlich mehr Konnex, als ihn Eisenbergs Cousins jemals bereitstellen können. Will man wirklich sehen, wie sehr vergangenes Leid bis in spätere Generationen hineinwirkt, dann ist Treasure ein Juwel von einem Film. A Real Pain erhebt dafür nicht den Anspruch, sich mit Politik auseinanderzusetzen. Hier sind es einzelne Befindlichkeiten, und eine Reise, die, so wie jede Reise, immer ein bisschen mehr zu einem selbst führt. Dabei passiert es fast, dass „Kevin“-Bruder Kieran Culkin mit der etwas dick aufgetragenen, aber souverän verkörperten Figur des Benji so manche Feinheiten übertüncht. Immer wieder zieht dieser alle Aufmerksamkeit auf sich, zieht diese von den anderen Co-Schauspielern ab. Eisenberg hält sich dabei im Hintergrund, gibt den weinerlichen, introvertierten Sonderling, diesmal aber sympathisch und offen für Erkenntnisse.

A Real Pain (2024)

Amsel im Brombeerstrauch (2023)

DIE PRACHT DES SPÄTEN FRÜHLINGS

7,5/10


amsel_brombeer© 2023 Stadtkino Filmverleih


ORIGINALTITEL: BLACKBIRD BLACKBIRD BLACKBERRY

LAND / JAHR: GEORGIEN, SCHWEIZ 2023

REGIE: ELENE NAVERIANI

DREHBUCH: ELENE NAVERIANI, NIKOLOZ MDIVANI

CAST: EKA CHAVLEISHVILI, TEMIKO CHINCHINADZE, PIKRIA NIKABADZE, ANKA KHURTSIDZE, TAMAT MDINARADZE U. A.

LÄNGE: 1 STD 55 MIN


In diesen titelgebenden Brombeerstrauch hat sich die 48jährige Ethero längst heillos verheddert – und gleichzeitig damit abgefunden. Dieses patriarchale Georgien mit seinen tief verwurzelten Glaubenssätzen, was Frauen- und Männerrollen betrifft, wäre schon genug an Erschwernis für eine umgangssprachlich als „Alte Jungfer“ zu bezeichnende Person, die, so meinen die anderen, sowieso nie mehr einen Mann abbekommen wird. Nein, bei Ethero hat das Schicksal noch einen draufgesetzt und ihr die Mutter genommen. Was blieb, waren Vater und Bruder, beide keine Feministen, beide herrisch und unterdrückend, beide das Patriarchat auf respektlose Weise ausübend – bis auch der Rest der Familie unter der Erde liegt und Ethero allein dasteht. Doch sie weiß sich zu behaupten, stemmt sich grimmig gegen entbehrliche Umstände. Zumindest hat sie es vollbracht, ihren eigenen Drogeriemarkt aus dem Boden zu stampfen. Wenn es die Zeit erübrigt, geht sie an den Fluss, um Brombeeren zu pflücken. Die Amsel inmitten des Geästs, die es schafft, dem dornigen Gestrüpp zu entfliehen, wird zur waghalsigen Idee einer längst in der Mitte des Lebens Angekommenen, wird zur gefährlichen Metapher, die ihr gleich zu Beginn fast das Leben kosten soll. Und dennoch ist dieser Moment der Imperativ zu einer Wende. Den sie nutzt, indem sie sich an ihren Lieferanten ranmacht, den verheirateten Murman, der ihr auch, versteckt im Lager des Ladens, die Jungfräulichkeit nimmt. Wie es aussieht, könnte dies der Beginn einer späten ersten Liebe sein, die Ethero tunlichst geheim halten will. Denn das Dorf ist klein, ein jeder kennt hier jeden und ein jeder und eine jede zerreißt sich das Maul über andere, die sowieso schon einer gewissen Nonkonformität entsprechen. Ethero ist dabei der Freak, der Sonderling, die Einzelgängerin. Was all die anderen nicht wissen: Ethero ist zwar stark und zäh und wirkt nach außen hin vielleicht sperrig – doch wie jeder Mensch, der Zeit seines Lebens vom Glück außen vorgelassen wurde, trägt auch sie eine Sehnsucht mit sich herum, die, käme der rechte Augenblick, dieser ohne zu zögern gestillt werden würde.

In einem Land, in welchem Gesetze gegen Andersdenkende und Andersfühlende erst kürzlich erlassen wurden, wundern Filme wie diese gleich doppelt. Dabei fällt mir das erst kürzlich in den Kinos gezeigte queere Drama Crossing ein, in welchem Transsexualität auf völlige Akzeptanz stößt. Amsel im Brombeerstrauch hat keine queeren Themen in petto, dafür aber einen stolzen, bekennenden und authentisch zelebrierten Feminismus, der auf zutiefst lakonische wie warmherzige Weise über eine wundersame Chance berichtet, die, egal wann sie im Leben auch gewittert wird, ergriffen werden kann. Dieser späte Frühling, den Ethero hier erlebt, hat etwas zauberhaft Verschrobenes, erdiges und Authentisches – was nicht nur an Elene Naverianis offenherzige und von allen Stereotypen befreiten Herangehensweise an ihre zentrale Figur liegt, sondern eben auch an die unverwechselbare Eka Chavleishvili, die eine nuancierte Charakterstudie zulässt und dabei auch keinerlei falsche Scham an den Tag legt. Naveriani setzt ihren Körper, der auf erfrischende Weise eben erst recht nicht einem in den Medien kommunizierten Schönheitsideal entspricht, respektvoll in Szene. Chavleishvili ist stolz auf ihren Körper und auf sich selbst. Der Unzufriedenheit im Leben, wenn Frau das Gefühl hat, dass alle Züge bereits abgefahren sind, lässt sich so vehement und träumerisch entgegentreten, dass Amsel im Brombeerstrauch als kleine, unangepasste, märchenhafte Ode an die Weiblichkeit bestens funktioniert, ohne diese Ideale nur zu kolportieren. Das gelingt aufgrund einer leicht unbeholfenen Zärtlichkeit, die diesem Film innewohnt. Als wäre Aki Kaurismäki wieder mal einer seiner kauzigen Gesellschaftsportraits gelungen, hat auch Naveriani einen eigenen Minimalismus in ihren Bildern, eine eigene Farbgebung und eine pointierte Dramaturgie. Ein prachtvoller, zutiefst romantischer Film, der von einer Selbstfindung berichtet, die auf eigenen, unangepassten Wegen völlig richtig liegt. Und Ethero, die hat dabei das Zeug zur Ikone des eigenen emanzipierten Willens.

Amsel im Brombeerstrauch (2023)

Feinfühlige Vampirin sucht lebensmüdes Opfer (2023)

BLUTJUNG DURCH DIE NACHT

8/10


Humanist Vampire Seeking© 2023 H264

ORIGINALTITEL: HUMANIST VAMPIRE SEEKING CONSENTING SUICIDAL PERSON

LAND / JAHR: KANADA 2023

REGIE: ARIANE LOUIS-SEIZE

DREHBUCH: ARIANE LOUIS-SEIZE, CHRISTINE DOYON

CAST: SARA MONTPETIT, FÉLIX-ANTOINE BÉNARD, STEVE LAPLANTE, SOPHIE CADIEUX, NOÉMIE O’FARRELL, MARIE BRASSARD, ARNAUD VACHON, PATRICK HIVON U. A.

LÄNGE: 1 STD 31 MIN


Von wegen seelenlose Böslinge: Vampire sind von dämonischen Mächten verfluchte Gestalten, die sehr wohl zu allerlei Empfindungen fähig sind. Das einzige Problem: Sie können eben nicht anders, und müssen, um selbst zu überleben, anderen wehtun. Wie Raubtiere, nur menschlich. Doch wie menschlich können Bram Stokers Blutsauger denn überhaupt noch sein? Wie sehr erinnern sie sich noch an ihren Urzustand als sterbliches Individuum, sofern sie nicht ohnehin schon als Vampir auf die Welt gekommen sind? Lässt sich ein Gewissen ausprägen wie jenes, welches die kleine Sasha verspürt? Gerade mal zu ihrem 68. Geburtstag gibt’s ein ganz besonderes Geschenk: einen menschlichen Partyclown, den die ganze Sippschaft als Highlight des Tages gemeinsam ausschlürfen darf. Auch Sasha soll langsam von Blutkonserven auf Selbstfang umerzogen und vorbereitet werden – doch das untote Mädchen weigert sich. Die feinfühlige Vampirin, von welcher schon im Titel die Rede ist, bringt es nicht übers Herz, unschuldige Sterbliche zu ermorden, auch wenn es dabei ums eigene Überleben geht. Mit dem Latein am Ende, wird Sasha an ihre ältere Cousine übergeben, die ihr zeigen soll, wo und wie geerntet wird. Als alles danach aussieht, als würde das Mädchen sich lieber selbst als andere tilgen, macht sie die Bekanntschaft mit dem depressiven Paul, der nichts lieber tun würde als seinem eigenen Leben ein Ende zu bereiten. Noch dazu, wenn es anderen zum Vorteil gereicht.

Man kann sich vorstellen, welchen Pakt die beiden jungen Gestalten eingehen werden. Wenn einer gibt, kann der andere nehmen. Doch so einfach scheint nicht mal das zu sein. Denn zwischen Sasha und Paul entwickelt sich sowas wie Zuneigung und Respekt vor den Prinzipien des jeweils anderen. Und nicht nur das: Es könnte sogar sein, als entspänne sich obendrein eine kleine Romanze, wenn die Vampirin ihr Opfer zu sich nachhause einlädt, um der Lieblingsschallplatte zu lauschen. Eine Szene, die zu den unvergesslichsten des Films zählt – lakonisch und liebevoll.

Wer sich noch an Jim Jarmuschs Only Lovers Left Alive mit Tilda Swinton und Tom Hiddleston erinnern kann, sieht in Feinfühlige Vampirin sucht lebensmüdes Opfer eine gewisse Verwandtschaft. Das liegt vorallem an Sara Montpetit, die als so blasses wie zartes Geschöpf der Nacht, die den Look von Wednesday Addams und Sheila Vand als Vampirin aus A Girl Walks Home Alone at Night trägt und mit minimaler Mimik eine ganze Bandbreite an Emotionen präsentiert. Mit ihr hat Ariane Louis-Seize in ihrem Langfilmdebüt dem Genre des Vampirfilms erfrischend unkitschige Vibes hinzugefügt. La Boum für Nachtgestalten, mit Anlehnung an den Kosmos von Anne Rice, die mit der Thematik humanistischer Zähnefletscher Louis-Seize vielleicht sogar inspiriert hat. Und auch wenn die Idee nicht unbedingt neu ist – die Balance zwischen Komödie und atmosphärischem Vampirfilm zu finden, ohne seine Figuren jemals auch nur ansatzweise der Lächerlichkeit preiszugeben, zeugt von einem empathischen Inszenierungsstil und viel Liebe für all die schrägen und todessehnsüchtigen Charaktere. Félix-Antoine Bénad als Möchtegern-Selbstmörder Paul ist ebenfalls eine Entdeckung, er wäre in Harold and Maude wohl eine treffsichere Wahl für ersteren gewesen. Doch statt der alten Dame ist es diesmal ein mysteriöses Mädchen – beide zusammen sind wohl eines der erquicklichsten Paare des Filmjahres. Und wenn beide dann versuchen, das Beste aus ihrer misslichen Lage zu machen, ohne ihre Ideale zu verraten, strotzt der Film nur so vor Cleverness.

Das ganze Twilight-Franchise ist im Gegensatz zu dieser samtschwarzen, urbanen Mär einer Zuneigung lediglich die Behauptung einer empfundenen Romanze. Diese zarten Bande, die hier geschlossen werden, sind dem feingeistigen Understatement eines Vampir-Daseins würdig. Inklusive nadelspitzer Eckzähne. Denn ohne die geht es nicht. Oder doch?

Feinfühlige Vampirin sucht lebensmüdes Opfer (2023)

The Instigators (2024)

GEMEINSAM WACHSEN DURCH DIE KRISE

5/10


theinstigators© 2024 Apple TV+


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: DOUG LIMAN

DREHBUCH: CASEY AFFLECK, CHUCK MCLEAN

CAST: MATT DAMON, CASEY AFFLECK, HONG CHAU, MICHAEL STUHLBARG, VING RHAMES, PAUL WALTER HAUSER, RON PERLMAN, ALFRED MOLINA, TOBY JONES, RICHIE MORIARTY U. A.

LÄNGE: 1 STD 41 MIN


Nimmt man Matt Damon seine psychischen Probleme ab? Ganz zu Beginn des Films quält sich der souveräne Akteur durch eine Therapiesitzung mit Hong Chau, die eine Engelsgeduld aufbringen muss, weil sie ihrem Patienten alles aus der Nase zieht. Vieles ist im Argen bei Damons Figur, von welcher man nicht viel mehr erfährt außer dass Alimente gezahlt werden müssen, sonst rückt das Besuchsrecht für den Filius in weite Ferne. Die Bereitschaft, sich mit Suizid aus der Affäre zu ziehen, macht klar, dass wir es mit einer Person zu tun haben, die bereit ist, alles aufs Spiel zu setzen, um an das nötige Geld zu kommen. Auf der anderen Seite rückt Casey Affleck ins Bild – beide standen bereits für Gus van Sants surreal-experimentellem Survivaldrama Gerry vor der Kamera. Der stets auf eine coole Art lethargische Schauspieler mit der Scheiß-drauf-Attitüde und der raunenden Stimme wird genauso wie sein Buddy Damon für einen Heist-Coup engagiert: Es geht um die Millionen des korrupten Bürgermeisters Miccelli (unerwartet blass: Ron Perlman), die während einer Wahlfeier – denn alle Welt geht davon aus, dass es sich der windschiefe Politiker wieder mal gerichtet haben wird – den Besitzer wechseln sollen. Natürlich geht das Vorhaben schief und alle Welt hängt an den Fersen der beiden ungleichen Leidensgenossen, die notgedrungen ins Teamwork übergehen müssen, um heil aus der Sache herauszukommen – und um vielleicht doch ganz nebenbei ein bisschen was abzustauben. Zu viel Konkurrenz verdirbt dann doch recht schnell den Brei, und am liebsten wäre man wieder auf der Couch von Hong Chau, was die beiden dann auf eine Idee bringt.

Wenn ein Coup auf groteske Weise schiefgeht, vermutet man dahinter gerne Joel und Ethan Coen, die eine diebische Freude daran haben, ihre ambivalenten Protagonisten dem selbst verschuldeten Untergang zu weihen. Pechvögel lukrieren schließlich die meisten schadenfrohen Lacher, zumindest ein Wertebewusstsein, das nicht dem Mammon frönt, wünscht man ihnen an den Hals. Bei Damon und Affleck ist das genauso. Beide haben Besseres verdient, die Butterseite eines soliden Lebens zumindest. Ihre Sympathiewerte und nachvollziehbaren schlechten Entscheidungen, die man wohl auch selbst so getroffen hätte, erschweren es dem Zuschauer nicht gerade, mit The Instigators (auf deutsch: Die Anstifter) warm zu werden. Was sie also anstiften, ist eine ganze Kettenreaktion an Schwierigkeiten, Actionszenen und situationskomischen Einfällen, die alles in allem aber angesichts der Tatsache, hier einen Actionprofi am Schaltpult zu wissen, viel zu hastig durchgekaut werden, um nachhaltig in Erinnerung zu bleiben.

Selbst ein paar Tage nach Sichtung dieses auf Apple TV+ veröffentlichten, bis in die Nebenrollen erstaunlich namhaft besetzten Star-Vehikels tue ich mir schon etwas schwer, mich an all das zu erinnern, was in The Instigators so passiert ist – und das liegt nicht an meiner altersbedingten zunehmenden Vergesslichkeit (hoffe ich). Das liegt wohl eher an einem relativ generischen Drehbuch, dass den Spaßfaktor gescheiterter krimineller Handlungen strapaziert, ohne dabei mit frischen Ideen frischen Wind durchs Genre zu jagen. Als etwas abgestanden mag der Film bezeichnet werden: abgestanden und – was Auftragsarbeiten, denen wenig Herzblut anhaftet, so eigen ist – auf lieblose Weise inszeniert, dabei aber so hyperaktiv erzählt, nur um die Austauschbarkeit des Projekts mit übertriebenem Elan zu übertünchen.

In Erinnerung bleibt nicht mal Matt Damon, dafür aber Casey Affleck, der als dauerlamentierender Ex-Knacki auf staubtrockene Weise den Dialog sucht. Sein Sarkasmus mag man auf der Habenseite verbuchen. Sonst aber überzeugt diese filmische Routine nur bedingt.

The Instigators (2024)