Priscilla (2023)

SÜSSES NICHTSTUN AUF SCHLOSS GRACELAND

5,5/10


priscilla© 2024 Stadtkino Filmverleih


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: SOFIA COPPOLA

DREHBUCH: SOFIA COPPOLA, NACH DER BIOGRAFIE VON PRISCILLA PRESLEY & SANDRA HARMON

CAST: CAILEE SPAENY, JACOB ELORDI, TIM POST, LYNNE GRIFFIN, DAN BEIRNE, DAGMARA DOMINCZYK, ARI COHEN, RODRIGO FERNANDEZ-STOLL, EMILY MITCHELL U. A.

LÄNGE: 1 STD 53 MIN


Wer ist der bessere Elvis? Austin Butler oder Jacob Elordi? Wirklich schwer zu sagen. Am besten, man mixt beide Interpretationen zusammen – was dabei herauskommt, könnte dem wahren Wesen des King of Rock’n‘Roll schon ziemlich nahekommen. Während Butler sich ausgiebig auf die Bühnenperformance des Stars konzentrieren konnte, gibt ihm Elordi die private Breitseite. Sein nuschelnd dahingeschmissenes und für Nicht-Natives wirklich unverständliches Slang-Englisch klingt wie das Original und macht ihn allein schon dadurch zum souveränen Imitator. Wenn sich dann noch Elordis Profil im Halbschatten zu seiner „Cilla“ hinneigt, meint man in einigen Szenen, vollends verblüfft, dem 1977 verstorbenen Original zu begegnen. Und was ist mit Priscilla? Stimmt, Sofia Coppolas neues Werk will ja schließlich nicht ein weiteres Elvis-Biopic sein, sondern sich diesmal ganz und gar seiner besseren Hälfte widmen – der um viele Jahre jüngeren Lebens- und Leidensgenossin der in den Untergang gerittenen Musik-Ikone, die als lebendig begrabene, eierlegende Wollmilch-Rampensau in Las Vegas ihr Ende fand.

Priscilla hatte da schon einige Jahre früher, 1973 nämlich, die Reißleine gezogen und war ausgestiegen aus diesem schalen Promileben, bestehend aus Tabletten, Drogen und leidenschaftsloser Bühnenpräsenz. Die vom süßen, schüchternen Küken zur selbstbewussten Frau gewandelte Showbiz-Adelige fand ihr Heil in der Selbstfürsorge. Ein glückliches Eheleben war das längt schon keines mehr. Wie es dazu kam, wie Priscilla Presley ihr Leben an der Seite einer weltbewegenden Ikone wohl empfunden und gesehen haben mag – darüber gibt die mittlerweile stark geliftete Dame höchstselbst in ihrem Buch Elvis and Me reichlich Auskunft. Diesen Stoff hat Sofia Coppola nun verfilmt, streng aus der Sicht ebenjenes von heute auf morgen plötzlich privilegierten jungen, zerbrechlich und verletzbar wirkenden Mädchens, das wie Alice in ein Wunderland kam, in welchem man nicht sonderlich viel zu tun hatte ausser sich einlullen zu lassen vom Wohlstand, vom materiellen Glück und der fast schon väterlichen Kümmerung eines von allem Weiblichen vergötterten Idols, dem der Ruhm gar nicht mal so zu behagen schien. Der wie ein Thronfolger, der schließlich die Macht übernehmen muss, weil so vorgesehen, eben dieses Spiel zuspielen hatte  – kaum hinterfragend, warum das alles so weit hat kommen können. In diesem Herrscherhaus namens Graceland muss die aus Deutschland heimgeholte Priscilla nun das Spiel nach allen Regeln mitspielen – das scheint ihr anfangs alles recht, wenn sie doch nur an der Seite ihres Elvis sein kann. Doch früh schon quälen medial ausgeschlachtete Techtelmechtel des Stars und der viele verordnete Müßiggang, bestehend aus Warten und Harren und Shoppen, die junge Seele. Bis Elvis sich abermals bemüßigt fühlt, zu seinem Baby heimzukehren, um dann wieder zu verschwinden, für einen neuen Film. Und so weiter und so fort.

So, wie Priscilla vom Leben an der Seite eines Weltstars eingelullt und ruhiggehalten wird, so eingelullt und ruhiggehalten wird man auch als Zuseher. Während Baz Luhrman in seinem epischen Biopic ordentlich auf Emotionen setzt, mit den authentisch nachchoreographierten Gigs für die nötige Wucht sorgt und das Wort Drama ganz groß schreibt, gibt sich Sofia Coppola einem gemächlichen Makeup- und Styling-Pragmatismus hin. Alles ist akkurat nachempfunden, sogar die Fotos, die Hochzeit, all das, was Elvis-Fans längst von den echten bildlichen Dokumenten her kennen. Schmuck ausgestattet ist ihr Werk allemal, das sind sie immer. Hinter dieser Fassade eine Koexistenz aus Anhimmeln und Hinhalten, aus Wunschlosglücklichmachen und verhängtem Elvis-Dekret. Es plätschert, es knistern die Satinlacken, Cailee Spaeny mausert sich währenddessen vom traumverlorenen Sixties-Püppchen zum duldenden Eigentum mit hochdopierter Frisur. Der Wandel ist gut gespielt, wirklich viel Mut fasst sie in ihrem Spiel allerdings nie. Es bleibt bei wenigen Ausbrüchen, denen die Lust an der Reibung fehlt. Jacob Elordi hingegen ist das eigentlich Verblüffende an der ganzen, eigentlich redundanten Geschichte, die sich kaum weiterbewegt, obwohl sie es doch tut. Und plötzlich ist es da, das schmerzliche Ende der beiden, und ehe man sich versieht, ist es auch schon wieder vorbei. Fast schon als Fußnote oder filmisches Nachwort untergebracht, lässt Sofia Coppola auch hier kein Crescendo zu, zieht ihren ganzen Film im gleichen Rhythmus durch, ohne Höhen, ohne Tiefen, fast schon monoton, aber schön anzusehen.

Priscilla (2023)

Bardo, die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten (2022)

LAND DER BEGRENZTEN MÖGLICHKEITEN

7,5/10


bardo© 2022 Limbo Films, S. De R.L. de C.V. Courtesy of Netflix


LAND / JAHR: MEXIKO 2022

REGIE: ALEJANDRO GONZÁLES IÑÁRRITU

DREHBUCH: NICOLÁS GIACOBONE, ALEJANDRO GONZÁLES IÑÁRRITU

CAST: DANIEL GIMÉNEZ CACHO, GRISELDA SICILIANI, XIMENA LAMADRID, ÍKER SÁNCHEZ SOLANO, LUIS COUTURIER, ANDRÉS ALMEIDA, FRANCISCO RUBIO U. A.

LÄNGE: 2 STD 39 MIN


Die Welt ist am Arsch. Mit diesen Worten will das Baby wieder zurück in den Schoß seiner Mutter. Mateo wird nie seinen ersten Geburtstag erleben – der Tod des Neugeborenen wird als Trauerkloß dem Protagonisten Silverio andauernd vor die Füße rollen. Mit surrealen Szenen wie diese, wenn die meterlange Nabelschnur die Mutter nicht gehen lässt und wenn das Neugeborene zurück in die Vagina dringt, beginnt eine fremdartige, groteske und impressive Reise in eine autobiographisch gefärbte Vergangenheit des mexikanischen Oscar-Preisträgers Alejandro Gonzáles Iñárritu. Spätestens seit seinem Abenteuerdrama The Revenant – Der Rückkehrer und seiner nicht weniger surrealen Ego-Komödie Birdman kennt ihn jeder, der auch nur ein bisschen Ahnung vom Kino hat. Iñárritu ist Autorenfilmer durch und durch. Biutiful ist meines Erachtens sein bestes Werk. Bardo, die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten reicht nahe an ihn heran, bleibt aber viel mehr auf Distanz und genießt es geradezu, seinem Publikum mancherorts fremd zu bleiben. Bardo befragt das Gewissen von Iñárritus Alter Ego, stochert in seinem Unterbewusstsein, lässt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft jenseits allen chronologischen Verständnisses insofern verschmelzen, dass die Figur des Silverio die Gabe besitzt, in die Zukunft zu visionieren und mit den Erinnerungen an seine fiktiven Werke in die Vergangenheit einzutauchen.

Die wirkliche Meisterleistung von Bardo ist die Magie, die entsteht, wenn Realität und Vorstellungskraft einander aufheben. Wenn beide Bewusstseinsformen ihre Plätze tauschen, und erst lange Zeit später allerlei daraus entstehende Rätsel ihre Antwort finden, egal, ob richtig oder falsch. Iñárritu lässt niemanden in seinem Krypto-Kaleidoskop dumm sterben. Wenn, dann immer mit Erleuchtung. Und das ist das Schöne an seinem Film.

Mehr oder weniger steht der Regiemeister selbst im Mittelpunkt. Seine Figur ist, wie bereits erwähnt, ein seit rund 20 Jahren in den Vereinigten Staaten lebender Dokumentarfilmer und Journalist, der allerlei extravagante Werke vollbracht hat, die sich mit der Geschichte seines Heimatlandes Mexiko auseinandergesetzt haben. Sei es die Eroberung Spaniens durch Hernan Cortez oder der Amerikanisch-mexikanische Krieg im 19. Jahrhundert. Silverios Arbeiten sind aufbereitet wie Spielfilme, in denen der Macher selbst als Erzähler und Befrager durch die Epochen dringt, um sich zu vergewissern, ob die Gegenwart aus der Vergangenheit auch wirklich gelernt hat. Vielen stößt das sauer auf, gerade in Mexiko. In Amerika wird er gefeiert und hofiert und sollte demnächst einen bedeutenden Journalistenpreis entgegennehmen. Zuvor allerdings begibt er sich an den Ort seines damaligen Aufbruchs, nach Mexiko City. Wird auch dort gefeiert und zu einer Talkshow geladen, die ihm allerdings Angst macht. Denn was wird das Volk wohl wissen wollen? Würden sie ihm den Verrat seines Landes vorwerfen? Würden sie ihn als Nestbeschmutzer verurteilen? Und wie sieht seine eigene Familie das Euvre seines Schaffens? Sein Lebenswerk? Fragen über Fragen, die sich Silverio selbst stellt. Die sich aus seiner Sicht manifestieren, die ihn quer durch seine Erfolgsstory, aber auch durch seine dunkelsten Stunden geleiten.

Das kann man langweilig finden, und ich würde es verstehen. Oder man lässt sich drauf ein, lässt sich reinfallen in einen von Darius Khondji wild komponierten Bildersturm aus verzerrten Weitwinkeltableaus, die stets das Gefühl vermitteln, in einer Traumwelt zu sein. Die irreale und die reale Welt entsprechend zu markieren, damit es dem Zuseher vielleicht leichter fällt, die Orientierung zu bewahren – darauf gibt Iñárritu gar nichts. Das Gesamtbild setzt sich am Ende ohnedies zusammen. Den Wagemut also, und die Bereitschaft, den Zuseher zu fordern, auch wenn dieser vielleicht genervt das Handtuch wirft – sind künstlerische Verhaltensweisen, die dem Medium Film seinen Puls geben.

Was man von Bardo erwarten, wie man es einschätzen kann? Vergleichbar ist der Film mit Paolo Sorrentinos La Grande Belleza – Die große Schönheit. Und tatsächlich haben beide Filmemacher in den subjektiven Beobachtungen ihrer Heimat ähnliche Methoden erarbeitet, um Respekt, Würde, Sehnsucht und Kritik walten zu lassen. So kraftvoll und durchblutet wie La Brande Belleza ist eben auch dieses, mit 2 Stunden und vierzig Minuten deutlich überlange Werk – und auch von daher kein gefälliges Erlebnis, sondern etwas, das sich lustvoll erarbeiten lässt. Dass neugierig macht auf jede nächste Szene, auf jeden nächsten Einfall. Und wieder ist der Traum, statt wie angenommen, doch noch die Wirklichkeit. Lösen sich kryptische Bilder in Erkenntnis auf. Das ist jedes Mal wie Luftholen, bevor man erneut abtaucht.

Bardo, die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten (2022)

Der Passfälscher (2022)

FELIX KRULL FÜR DIE VERTRIEBENEN

4/10


derpassfaelscher© 2022 Dreifililm


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, LUXEMBURG 2022

DREHBUCH / REGIE: MAGGIE PEREN

CAST: LOUIS HOFMANN, LUNA WEDLER, JONATHAN BERLIN, NINA GUMMICH, ANDRÉ JUNG, MARC LIMPACH, YOTAM ISHAY, ADRIEN PAPRITZ U. A.

LÄNGE: 1 STD 56 MIN


Es ist die Geschichte eines wahren Helden. Und hat sich vermutlich so zugetragen. Die deutsche Filmemacherin Maggie Peren hat sich dem Leben des Verwandlungskünstlers und begabten Grafikers Cioma Schönhaus angenommen und wollte damit ein Tatsachendrama schaffen, das diesen Namen auch all jenen, die bis dato nichts damit anfangen konnten, zu einer ähnlichen Bekanntheit verhelfen sollte wie es seinerzeit Steven Spielberg für Oskar Schindler getan hat.

Die breite Wucht eines Weltkinos bedarf es dafür nicht zwingend. Es würde auch ein kleinerer, weniger epischer Film genügen, der als Biopic in seiner Intensität jener von Sophie Scholl – Die letzten Tage entspräche. Die Chronik einer Selbstaufopferung für eine bessere Welt liegt allerdings schwer im Magen, die Härte dieser True Story liegt in dem für alle Beteiligten letalen Ausgang begründet, der sich einfach nicht schönreden lässt. Cioma Schönhaus hingegen hat es geschafft – das kann man schließlich vorwegnehmen und ist auch kein Geheimnis mehr. Dieser Mann mag betrogen und gelogen haben, und das ist gut so. Er war ein Felix Krull der Vertriebenen, Entrechteten und Enteigneten – und auch ein Retter seiner selbst, hat doch seine Tarnung mit der eines Marineoffiziers bestens funktioniert. Neben dessen Tätigkeit in einer Waffenfabrik, zu welcher er verdonnert wurde, um nicht deportiert zu werden, oblag ihm unter Auftrag des Anwalts Kaufmann die Verantwortung dafür, verfolgten Staatsfeinden und Juden die Flucht aus Deutschland zu garantieren – mit akkurat gefälschten Ausweisen, die mit Tinte, Feder und Pinsel zum Fälschungswunder wurden. Der Passfälscher beschreibt das spätere Leben und Wirken eines Mannes, dem die eloquente Dreistigkeit im Blut lag; der sein Talent zur Täuschung wie kein anderer nutzen konnte – und der das Glück angeblich zu pachten schien. Denn nicht nur einmal wäre es fast passiert, und alles wäre aufgeflogen.

Stoff wie dieser ist prädestiniert dafür, verfilmt zu werden. Stellt sich die Frage, warum das so lange gedauert hat. Doch hier ist er: Louis Hofmann, aller Welt bekannt durch seine Performance als Leitfigur und (Anti)Held in der aus drei Staffeln bestehenden und abgeschlossenen Zeitreise-Dystopie Dark. Als Schönhaus hat er all den Gram, diese Traurigkeit und Verbissenheit mal außen vorgelassen. Hier ist er meist lächelnd, charmant und eloquent. Ein Manipulator mit Einfluss, ein grandioser Künstler. Und doch gelingt Maggie Peren genau das nicht, was dazu beigetragen hätte, an der ganzen Sache auch emotional teilzuhaben. Was wiederum daran liegt, dem Charakter dieses Mannes nie wirklich auf den Grund zu kommen. Ihr Film offenbart sich als eine Aneinanderreihung boulevardesker Schlagzeilen. Weder berührt noch bewegt Hofmanns Darstellung in einem nennenswerten Ausmaß. Vielleicht ist sein Spiel zu verspielt. Seine Last der Verantwortung zu leicht getragen. Auch wenn es solche Leute ja geben soll, dann wäre es zumindest ratsam gewesen, nicht so unstet zwischen den Szenen herumzuspringen. All das erlittene Drama durch das dritte Reich, all die Gefahr, die davon ausging und das Ausmaß dieser Verbrechen haben kaum Relevanz. Ein nachvollziehbares Zeitbild gelingt damit nicht. Und wenn es schon so schwerfällt, die Welt von damals zu erfassen, geschweige denn das Gefühl einer konstanten Bedrohung zu vermitteln, geht das darin verankerte Wirken des Schreibtischhelden an seiner Dringlichkeit vorbei.

Beiläufig und viel zu volatil setzt Peren dem Passfälscher ein Denkmal, das in seiner Umsetzung keinerlei Wagemut eingeht. Was im Widerspruch zu seinem Helden steht.

Der Passfälscher (2022)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war (2023)

DIE NARRENFREIHEIT EINER JUGEND

7,5/10


wannwirdeswiederso© 2023 Frédéric Batier/Komplizenfilm


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, BELGIEN 2023

REGIE: SONJA HEISS

BUCH: SONJA HEISS, LARS HUBRICH, NACH DER AUTOBIOGRAPHIE VON JOACHIM MEYERHOFF

CAST: DEVID STRIESOW, LAURA TONKE, ARSSENI BULTMANN, CAMILLE LOUP MOLTZEN, POLA GEIGER, ANDREAS MERKER, CLAUDE HEINRICH, NIKOLAI WILL, AXEL MILBERG, MERLIN ROSE U. A.

LÄNGE: 1 STD 56 MIN


Devid Striesow war noch nie so gut. So dermaßen gut. Wenn er, als Hermann Meyerhoff, seines Zeichens Anstaltsdirektor und Hochschullehrer und überhaupt intellektuell über den Dingen stehend, ohne arrogant zu wirken, dem norddeutschen Sturm trotzt und es genießt, fast schon zu fliegen – im nächsten Moment aber mit traurigen Augen in eine Zukunft blickt, die nicht mehr die seine ist, dann sind das Momente des deutschen Kinos, die muss man gesehen und auch so empfunden haben. Wie Ende letzten Jahres, in Was man von hier aus sehen kann – ebenfalls die Verfilmung eines Romans, und ebenfalls gesegnet mit Momenten, die für mich persönlich in die Geschichte des deutschen Films eingehen könnten, ganz problemlos.

Das deutsche Kino hat mittlerweile so seine Stärken gefunden. Die liegen nicht im Actionkino, auch nicht unbedingt in der Komödie oder gar im Genre des Phantastischen. Die liegen viel eher in der chronologischen Aufbereitung zusammenhängender Schicksale, so zum Beispiel in Familien mit dem gewissen Etwas, oder in kleinen Dorfgemeinschaften. Was da Zwischenmenschliches passiert, gerät im deutschen Kino aufs Silbertablett, und so wird es auch serviert: Melancholisch, humorvoll und selten aufgesetzt – skurril wie bei Amelie, tagträumerisch und zwischen den Zeilen lesend. Metaphysisch wie bei Kieslowski, und dann wieder mit einem Humor, den man zuletzt in den feinen satirischen Sketchen eines Loriot gesehen hat.

Mit dieser Art des kunstvollen Augenzwinkerns und des lakonischen Wortwitzes punkten die nun sehr behutsam auf die Leinwand gebrachten Erinnerungen des ehemaligen Burgschauspielers Joachim Meyerhoff, dem ich, zugegeben, niemals wirklich und auch nicht in Zeiten meines intensiven Theaterkonsums, gewahr wurde. Dafür aber jetzt, und das mit Wohlwollen, denn was der Mann zu erzählen weiß, mag zwar nicht bedeutender sein als die Familiengeschichte anderer Leute – aber vielleicht um eine Komponente bunter.

Wir wissen: Joachims Vater war Direktor einer Nervenheilanstalt, ähnlich des Wiener Sanatoriums am Steinhof. Das Aufwachsen inmitten all der Patienten mit den unterschiedlichsten Krankheitsbildern war somit zwangsläufig, und hat den kleinen Joachim bereits früh mit dem Verständnis für alles gesegnet, was außerhalb der Norm existiert. Da gibt es den Glöckner, einen Riesen, der schlurfenden Schrittes bimmelnd übers Gelände marschiert. Da gibt es die hochgradig depressive Marlene, Joachims erste Liebe. Das gibt es das Spinnenmädchen oder Patient Jesus. Sie alle gehen bei Meyerhoffs ein und aus, sie sind Teil einer Welt voller Geheimtüren und unentdeckter Blickwinkel. Und Vater Hermann – der führt seine fünfköpfige Familie an mit entspanntem Gemüt, kleinkünstlerischem Wortwitz und brummiger Freundlichkeit. Die Mutter träumt von Italien und hört Al Bano und Romina Power. Die Brüder sind deutlich älter und haben den jungen Joachim ziemlich oft auf der Schaufel, der dann seine Ausraster hat und nur auf der rüttelnden Waschmaschine wieder zur Ruhe kommt.

Alles ausgedacht? Alles so gewesen, wenn man der zugrundeliegenden Autobiographie Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war Glauben schenkt. Natürlich tu ich das. Ein Leben wie dieses, so nah am Nonkonformismus, so nah am Irrsinn und am Selbstmord – das ist Stoff, aus dem großes Kino entstehen kann. Und es passiert. Sonja Heiss (u. a. Hedi Schneider steckt fest) verfolgt keine komplexe Geschichte, schürt keine Spannung, sondern beobachtet nur. Es sind Erinnerungen und Anekdoten, berührende wie saukomische Momente, gleichzeitig märchenhaft und ernüchternd tragisch. Aus diesem cineastischen Fotoalbum einer Familie, die sich in allen Aggregatzuständen präsentiert, lässt sich so einiges mitnehmen fürs eigene Verständnis vom Zustand einer Menschenwelt und von der Möglichkeit, Dinge anders anzugehen als üblich. Durch die Bank grandios besetzt, sind vor allem die Jungdarsteller Camille Loup Moltzen und Arsseni Bultmann richtig bei der Sache, und Laura Tonke ist zwischen Wut, Träumerei und Traurigkeit greifbar und nahbar.

Ein feines Coming of Age-Drama, eine lupenreine Tragikomödie, die ein Farbspektrum nutzt, das selten verwendet wird, weil vielleicht nicht so attraktiv wie knallrot oder zuckerlrosa – und gerade dadurch andere Erinnerungen bei einem selbst weckt als üblich.

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war (2023)

Honey Boy

OH MEIN PAPA…

6,5/10


honeyboy© 2020 Amazon Studios

LAND: USA 2020

REGIE: ALMA HA’REL

DREHBUCH: SHIA LABEOUF

CAST: SHIA LABEOUF, NOAH JUPE, LUCAS HEDGES, CLIFTON COLLINS JR., FKA TWIGS U. A. 

LÄNGE: 1 STD 35 MIN


…war eine wunderbare Clown“. Nicht nur Freddy Quinn, sondern auch Shia LaBeouf können davon ein Liedchen singen. Letzterer beruft sich dabei aber auf seine eigene Art von entbehrungsreicher Kindheit, aus der es sich nicht unbeschadet hervorgehen lässt, sowas bringt je nach Intensität eine posttraumatische Belastungsstörung mit sich. Erstens ist einem Kind mit gerade mal zwölf Jahren der Status eines Kinderstars auch nicht egal, und zweitens übernimmt man als Kind mit gerade mal zwölf Jahren auch nicht gerne die Verantwortung über eine Vaterfigur, die nicht von sich behaupten kann, für den eigenen Nachwuchs ein gutes Vorbild zu sein. Im Film heißt der Junge Otis, und Oh mein Papa deswegen, weil nämlicher tatsächlich mit clownesken Nummern inklusive Theaterhuhn sein Geld verdient hat. Aber wie so oft im Showbiz: die rote Nase kommt dann eher vom Hochprozentigen. Um den Altvorderen wieder auf die Spur zu holen, gibt´s einen neuen Job. Auftraggeber: der eigene Sohn, der aufgrund seines Engagements ein gutes Einkommen hat und der seinen Vater somit aus der Gosse holt. Was nicht heißt, dass Otis nicht auch noch einen väterlichen Support vom Jugendamt beigesteuert bekommt – der aber für den leiblichen Vater ein rotes Tuch zu sein scheint. Bei so einem Durcheinander erzieherischer Parameter sind Konflikte und Abstürze vorprogrammiert.

Und daher verwundert es nicht, dass Honey Boy auf zwei Zeitebenen fährt, um Symptom und Ursache gegenüberzustellen. Als erwachsener Otis (also eigentlich Shia LaBeouf) gibt Lucas Hedges den rastlosen Set-Tiger, der im 24Stunden-Takt und mit allerlei unterstützenden Drogen andauernd auf hundert Sachen fährt und mitunter auch so manchen Schaden verursacht. Was folgt, ist eine Zwangseinweisung in ein Therapiezentrum, um der Psyche Herr zu werden. Im Zuge dessen erzählt Hedges aus seiner Vergangenheit – in der wir Noah Jupe (bekannt aus Wunder oder A Quiet Place) und natürlich einem verfremdeten Shia LaBeouf begegnen, mit Halbglatze und schulterlangem Haar, was irgendwie widerlich aussieht. Ungefähr genauso gibt sich der Filmvater, zeigt sich von einer sagenhaft herablassenden Seite und meint, auf diese Weise die Abhängigkeit von seinem Sohn kompensieren zu können. Honey Boy wird zu einem familiären Krankheitsbild, zu einer kleinen, konzentrierten Studie über Abhängigkeiten und dem Hinterfragen von hierarchischer Ordnung innerhalb eines Familiensystems. Unterm Strich wird klar, dass die Hilflosigkeit der eigenen Eltern zu einer Bürde der Verantwortung für den Nachwuchs wird, der diesen Brocken einfach niemals stemmen kann – und auch niemals sollte.

Shia LaBeouf sieht man vermutlich mit anderen Augen. Und nicht nur ihn, vielleicht auch so manch eine andere exaltierte Rampensau, die womöglich niemals jemanden hatte, der in der Erziehung die so wichtigen Grenzen gezogen hat. Eine intime, persönliche Arbeit ist Honey Boy geworden – nichts fürs große Kino. Aber ganz bestimmt für den Ex-Transformers-Star – als erklärendes Statement für sein eigenes Verhalten.

Honey Boy

David Copperfield – Einmal Reichtum und zurück

WIE DIE ANDEREN WOLLEN

7/10


davidcopperfield© 2020 Constantin Film


LAND: GROSSBRITANNIEN, USA 2019

REGIE: ARMANDO IANNUCCI

CAST: DEV PATEL, TILDA SWINTON, HUGH LAURIE, BEN WISHAW, PETER CAPALDI, ANEURIN BARNARD, BENEDICT WONG, JAIRAJ VARSANI, ROSALIND ELEAZAR U. A.

LÄNGE: 1 STD 59 MIN


Ist es nicht so? Bei Nennung des titelgebenden Namens kommt doch sogleich der amerikanischen Zauberkünstler mit den dunklen Augenbrauen in den Sinn, der durch die Chinesische Mauer ging oder die Freiheitsstatue hat verschwinden lassen. Der wiederum hat sich allein aufgrund des lautmalerischen Wohlklangs so benannt. Und noch etwas recht Interessantes tritt zutage, setzt man sich mit Charles Dickens´semi-fiktionaler Biopic David Copperfield auseinander: Uriah Heep kommt darin vor. Natürlich nicht als Hardrock-Band, sondern als Namensquelle selbiger. Warum aber haben sich die britischen Musiker ausgerechnet nach der niederträchtigsten Figur aus Dickens´ Roman benannt? Der wiederum von Death of Stalin-Regisseur Armando Iannucci auf höchst exzentrische, aber vergnügliche Art interpretiert wurde.

Viel anders als überstilisiert, so denke ich, lässt sich dieser Stoff in dieser Zeit aber wohl kaum publikumswirksam für die Leinwand adaptieren. Entstanden ist ein kostümfundiertes Kommen und Gehen unterschiedlicher skurriler Gestalten, neurotischer Lebenskünstler, von Reichtum und Armut. Vor allem jene letztgenannten Gegensätze, die bei Charles Dickens in vielen seiner Werke Kern der Sache sind, bilden nicht nur das Alpha und Omega der Memoiren von David Copperfield – vor allem die Armut ist zwischendurch immer wieder Antrieb und Quelle der Improvisation all dieser Figuren, die durch ihre Entrücktheit ihren Existenzzustand überhaupt erst erträglich machen. Dazwischen verweilt der Zuseher zwischen den blumigen Worten einer eloquenten Gesellschaftskomödie, eines Begegnungsreigens und einer chaotischen Zettelwirtschaft. Denn Copperfield, der sich eigentlich nur selbst so nennt, weil alle anderen ihn so nennen wie sie wollen, notiert sein Leben stets auf Resten von Papier – der Zettelpoet ist geboren.

Eine solche Verfilmung wäre vielleicht zur langatmigen Angelegenheit eines Lebens geworden, das nicht wirklich tangiert – wäre Iannucci nicht auf die Idee gekommen, nebst eines ausgeschlafenen und bestens aufgelegten Star-Ensembles (Tilda Swinton, Hugh Laurie und auch Ben Wishaw als Uriah Heep agieren großartig) ethnische Merkmale vollständig zu ignorieren. Das ist, soweit ich weiß, ein gänzlich neuer Impuls: Copperfield selbst ist indischer Herkunft, wobei beide Eltern Europäer sind. Der Industrielle Wickfield ist Asiate, seine Tochter eine Schwarze, so wie die Mutter von Copperfields weißem Kommilitonen Steerforth. Wie seltsam das plötzlich klingt: schwarz, weiß, asiatisch, indisch. Iannucci beschämt das schubladisierte Denken seines Pubikums, sprengt die gesellschaftlichen Normen dahinter, schert sich nicht um ethnische Unterschiede. Das ist mutig – zwar anfangs etwas verwirrend, aber letzten Endes durchaus konsequent. Auch altern all die Figuren kein bisschen, sie sind stets das, was sie in Copperfields Erinnerung sind: unabänderbare Erscheinungen aus der ersten Begegnung, wie Fotografien oder gemalte Portraits. Vor diesen farbenfrohen, satten Pop-Up-Bildern aus Requisiten und liebevoll eingerichteten Interieurs klingelt das Charakterkarussell rotierend vor sich hin. Nicht unanstrengend, das Ganze, weil Iannucci seine Inszenierung in einem zweistündigen Stakkato an exaltierter Theatralik loszulassen gedenkt. Auf der Habenseite allerdings steht eine komplexe Kostüm-Adaption – auf den Punkt gebracht, straff und kurzweilig.

David Copperfield – Einmal Reichtum und zurück

Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

WEDER MILCH NOCH HONIG

5,5/10

 

geschichteliebefinsternis© 2016 Koch Media

 

LAND: ISRAEL, USA 2015

DREHBUCH & REGIE: NATALIE PORTMAN

CAST: NATALIE PORTMAN, GILAD KAHANA, AMIR TESSLER, OHAD KNOLLER U. A.

 

Aus dem Steckbrief von Natalie Portman die Frage: Welches ist ihr Lieblingsbuch? Die Antwort könnte klipp und klar lauten: Eine Geschichte von Liebe und Finsternis, nach den Kindheitserinnerungen von Amos Oz, und zum Gedenken an dessen Mutter. Portman, die hat für diese israelische Produktion alles selber gemacht, also zumindest das Wichtigste. Das wären Drehbuch, Regie und Hauptrolle. Beachtlich, das ist ganz schön viel Arbeit. Gut, dass sie Kamera und Schnitt jemand anderem überlassen hat. Wer so viel Herzblut und Arbeitszeit in einen Film investiert, muss vom zu erzählenden Stoff sehr angetan sein. Die gebürtige Israelin, die mit drei Jahren nach Amerika auswanderte, dürfte mit Amos Oz´ früher Geschichte irgendwie verbunden sein. Der mehrfach ausgezeichnete und mit Preisen überhäufte Israeli hätte Portmans Film womöglich noch sehen können – 2018 starb er an einem Krebsleiden.

Keine Ahnung, wie er diesen Film gefunden hätte. Hatte er Mitspracherecht bei dieser Inszenierung? Die Oscar-Preisträgerin passt jedenfalls sicher sehr gut zumindest mal in meine Vorstellung von einer intellektuellen, emotionalen und verträumten Mutterfigur, die sich nach der Flucht aus Polen in Jerusalem von allen ihren Träumen entledigt sieht. Dabei wollte Mutter Oz (eigentlich nur ein Künstlername, ursprünglich hieß die Familie Klausner) so viel aus ihrem Leben machen. So viel erreichen. Stattdessen gelingt das mehr schlecht als recht ihrem Gatten, der sich als Schriftsteller versucht und unwissentlich von Branchenkollegen unterstützt wird, indem sie seine Bücher aufkaufen – auch eine Form von Motivation. Das andere Ende der Fahnenstange ist die Mutter, die zusehends depressiver wird, an chronischen Kopfschmerzen leidet und irgendwann nur noch apathisch in der Gegend herumsitzt, egal ob es regnet, stürmt oder schneit, und irgendwann ganz einfach nicht mehr will. Wie war das bei Hape Kerkeling und seinem Jungen, der an die frische Luft muss? Ziemlich ähnlich. Dessen Mutter litt an einer Krankheit, bei welcher der Geruchs- und Geschmackssinn abhandenkommen. Kerkelings Biographie hat etwas unglaublich Trauriges – auch Amos Oz´ Biographie sollte dies haben, aber im Gegensatz zur Kinderausgabe des Komikers kommt man der Kinderausgabe von Amos Oz nicht wirklich nahe.

Der Mutter aber auch nicht. Manchmal ist es schwer auszuhalten, dieses Theatralisieren des eigenen Schicksals. Portman setzt sich selbst als märtyrerhafte Leidensfigur in Szene, als resignative, vom Soll-Leben enteignete Hoffnungslose. Der Junge tut, was er kann, um den Lebensstandard so, wie er ihn kennt und niemals anders gekannt hat, aufrechtzuerhalten. Was für eine schwierige Kindheit unter diesen Voraussetzungen. Was noch dazukommt, sind die politischen Unruhen, die britische Besatzung. Tage, die Geschichte geschrieben haben, gipfelnd in der Ausrufung des eigenen Staates und gefolgt von einem Krieg, den die Familie des Schriftstellers ungefiltert miterleben muss.

Natalie Portman verknappt diese Autobiographie in verdaulicher Spielfilmlänge und setzt ihren Fokus natürlich auf sich selbst, während Klein-Amos sowie dessen Vater um die häusliche Inkarnation des Leidens herumscharwenzeln und ihr Ding durchziehen. Ein Film über ein nachhallendes familiäres Trauma namens Mama, diese mit versteinertem Gesicht, harten Kontrasten, manchmal ein Lächeln, wie manisch-depressiv. Klar, dass Israel einen Film wie diesen großzügig finanziert, und klar, dass sie wollten, Portman solle in Jerusalem drehen, dafür gab’s dann noch einen Extra-Bonus. Amos Geschichte ist natürlich eine Zeitkapsel über den inneren wie äußeren Zustand eines fühlbar auserwählten, hart geprüften Volkes, dessen alte Generation vernichtet, und dessen neue das Potenzial hat, etwas aufzubauen. Doch Milch und Honig findet sich bis heute nicht.

Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

Leid und Herrlichkeit

EIN MANN SIEHT ROT

8/10

 

LEID UND HERRLICHKEIT© 2019 Constantin Film

 

LAND: SPANIEN 2019

REGIE: PEDRO ALMODOVAR

CAST: ANTONIO BANDERAS, PENELOPE CRUZ, NORA NAVAS, LEONARDO SBARAGLIA, ASIER ETXEANDIA U. A. 

 

Mein letzter Film des Spaniers Pedro Almodovar ist doch schon ein Weilchen her. Das war Hable con ella – Sprich mit ihr. Ein ungewöhnliches, bemerkenswertes, allerdings auch recht bizarres Drama, zweifelsohne aber ein großartiger Film. Später hatte ich den Exzentriker nicht mehr so am Radar, fragt mich nicht wieso. Alles über meine Mutter war ja nicht weniger ein Meisterwerk, und wurde völlig zu Recht oscarprämiert. Almodovar schafft es, als Autorenfilmer sehr dichte, vor allem sehr familiäre Beziehungskisten zu zimmern, die bei anderen, weniger ehrgeizigen Filmemachern wohl an ihrer eigenen Seife ausgerutscht wären. Der Spanier allerdings setzt auf Kontraste, dramaturgische Kontraste. Und er versetzt seine Werke mit kontinuierlichem, autobiographischem Statement. Wie es Woody Allen zum Beispiel auch macht. Nur Almodovar geht es im Gegensatz zu Allen viel mehr um die Ursache seines Egos als um neurotische Symptomatik. Krankheitsbilder haben seine Figuren aber genauso. Wo die Therapie aber nicht weiterhilft, bleibt nur noch die Analyse. Und die weckt Erinnerungen und Assoziationen, die aus Leid und Herrlichkeit in abwechselndem Rhythmus die Leinwand bestimmen.

Zu Beginn ist noch alles im Argen. Antonio Banderas, der, sagen wir´s mal so, zu seinem Meister zurückgefunden hat, durch welchen er eigentlich berühmt wurde, lässt sich in seiner Rolle des durch und durch und vor allem körperlich leidenden Regisseurs Salvador Mallo so richtig fallen. Banderas kann und konnte, rückblickend auf sein filmisches Schaffen, eigentlich alles spielen – vom Assassinen an der Seite Sylvester Stallones bis zum eigenbrötlerischen Schmerzensmann, der höchst depressiv ist und demzufolge in einer Schaffenskrise steckt, der er sich nur entwinden kann, wenn er zurück zu seinen Wurzeln geht. Es ist wie eine Rückführung unter Hypnose, der sich Mallo stellen muss, dieser sensible, leidende Apoll, der die paralysierende Wirkung von Heroin entdeckt und im Zuge dessen die filmpoetische Version einer versonnenen Reise durch die eigene Zeit unternimmt. Leid und Herrlichkeit hat zwar von Anfang an mein Interesse geweckt, die Faszination dafür aber kam etwas versetzt, als hätte der Film eine Inkubationszeit, allerdings im positiven Sinn. So, wie Almodovars Werk wirkt, das lässt sich nicht in vielen Filmen finden. Der von ihm mit vielen Details und emotionaler Distanz geschaffene Zustand mag zwar adhoc seltsam wenig tangieren, doch diese unerwartet entspannte, für einen Almodovar relativ unschrille und entschleunigte Stimmung geht in zarter Indiskretion auf den Zuseher über. Er hat was enorm beruhigendes, dieser Film, und gleichzeitig etwas sehr stark versöhnliches, mit der eigenen Biografie zu spielen, mit den Erinnerungen, die nicht von Wehmut durchdrungen sind, sondern von Inspiration für das, was kommen mag.

Dafür taucht Leid und Herrlichkeit mit dem Tupfer tief in den Farbtopf und entwirft geradezu streng gesetzte Formeln aus Rot und Grün, wobei Rot das expressive Um und Auf des Films ist. Kein Take, keine Sequenz, kein Schauplatz, der nicht irgendwo ein Element in dieser reinen, strahlenden Spektralfarbe birgt, irgendwo im Hintergrund, manchmal aber ist es auch das Gewand einer der Schauspieler. Rot durchdringt auch Alles über meine Mutter. Rot ist die Farbe Almodovars. Und er komponiert und inszeniert sie mit verschwenderischer Freude am Setzen von Akzenten. Die Herrlichkeit, die findet sich in dieser Ästhetik und lässt sich nicht lange bitten, um gefunden zu werden. Sie kommt auf leisen Sohlen, und weckt eine befriedigende, stille Freude, wenn ein kunstbeseelter, vermeintlich gefallener Virtuose eine Muse entdeckt, die in ihm selbst steckt. Denn die eigene Geschichte lässt sich ein ganzes Leben lang erzählen. Das ist egozentrisch zwar, gar ein wenig eitel, aber letzten Endes macht ein Künstler Kunst für sich selbst. Für wen denn auch sonst?

Leid und Herrlichkeit