U Are the Universe (2024)

DAS LETZTE DATE DER MENSCHHEIT

8/10


© 2025 Drop Out Cinema


ORIGINALTITEL: TI-KOSMOS

LAND / JAHR: UKRAINE, BELGIEN 2024

REGIE / DREHBUCH: PAVLO OSTRIKOV

CAST: VOLODYMYR KRAVCHUK, ALEXIA DEPICKER U. A.

LÄNGE: 1 STD 41 MIN


Nein, man verhört sich dabei nicht, wenn der Film in manchen Szenen seine Hommage an einen ganz großen, wenn nicht den größten Klassiker der Science-Fiction erhobenen Armes vor sich herträgt: Die Klänge von Also sprach Zarathustra erklingen nicht im eigenen Kopf, sondern tatsächlich – während einer ausgesucht augenzwinkernden Weltraumszene, die sich angesichts des Endes der Menschheit eines Humors bedient, der so heilend wirkt wie der Trost eines guten Freundes. Dabei wären wir, das eingeschworene Publikum des Slash ½-Festivals, fast gar nicht in den Genuss dieser Szene gekommen. U Are the Universe war noch nicht ganz fertiggestellt, als Russland über die Ukraine herfiel. Und dennoch, trotzdem sich seit damals das Land im Kriegszustand befindet und einige aus der Filmcrew an die Front mussten, vollbrachte der Filmemacher Pavlo Ostrikov das Unmögliche. Das Ergebnis ist ein handwerklich ausgefeilter, top ausgestatteter Weltraumfilm, der höher budgetierten Genrefilmen um nichts nachsteht, und der gleichermaßen eine Geschichte erzählt, die so viel Sehnsucht und Empfindung in sich trägt, dass niemals zum Pathos wird, was der einsame Kosmonaut auf dem Weg zum Jupiter alles durchmachen muss.

Diese Odyssee, die sich tief vor Stanley Kubricks 2001 verbeugt und sich Klassikern wie Lautlos im Weltraum, Dark Star oder Moon freundschaftlich anschließt, setzt sich erst nach einem im wahrsten Sinne des Wortes vernichtenden Paukenschlag in Gang. Kein geringerer Himmelskörper als die Erde setzt Ostrikov auf die Abschussliste. Wie eiternde Pusteln entzünden sich brennende Herde auf der Erdoberfläche, ein vernichtendes Feuer breitet sich aus, und dann der große Knall. Andriy Melnyk, einziges Personal auf einem Atommülltransporter in Richtung des Jupitermonds Callisto, dürfte nun, wenn man eins und eins zusammenrechnet, der letzte Mensch des gesamten bekannten Universums sein. Wie fühlt sich das an? Erstmal gar nicht, denn so ein Ereignis muss ein menschlicher Geist erst einmal akzeptieren. Zum Glück muss Andriy nicht alleine mit diesen neuen Parametern klarkommen – eine künstliche Intelligenz namens Maxim, ein klobiger Roboter mit Greifarm und Bordcomputer des Schiffes (HAL 2000 lässt grüßen) versucht, genug Empathie zu simulieren, um den Trost eines guten Freundes zu spenden. Während des Manövers, den rasend heranfliegenden Trümmern der Erde auszuweichen, bekommt Melnyk tatsächlich nochmal Post – von Catherine, die in einem Forschungsraumschiff nahe des Saturns festhängt. Auch wenn die beiden Planeten beim Aufzählen des Sonnensystems nebeneinanderliegen – der Weg von Jupiter zu Saturn ist weit, die Funkübertragung sehr lang, so geht der Dialog eher schleppend vor sich. Im Grunde aber ist es das narrative Prinzip romantischer Filme wie Schlaflos in Seattle, die wiederum die antike Sehnsucht nach Zweisamkeit zwar nicht auf so ein dramatisches Level hochschrauben wie bei Orpheus oder Odysseus, dafür aber den alltäglichen Gebrauch davon abbilden. In U Are the Universe geht es dramatisch genug einher, ohne aber das Drama aufzubauschen.

Jene, die Kinoromantik eher skeptisch gegenüberstehen, seien aber entwarnt. Dieser entschleunigte und gleichsam beschleunigende Solo-Trip in die Ewigkeit eruiert zwar das Grundbedürfnis des Menschen, seiner Einsamkeit zu entgehen, füttert den Plot aber mit geschickt platzierten Wendungen, die den geradlinigen Trip durchs Dunkel zumindest im Kopf mäandern lassen. Mit viel Mut zur Stille, zur Reduktion und zu einer Ironie, die angesichts einer Endzeit so rettend wie wohltuend erscheint, verlässt sich Ostrikov im sicheren Vertrauen auf seinen Hauptdarsteller, der wahrscheinlich nur rein zufällig dem leidgeprüften Präsidenten Selenskyj ein bisschen ähnlich sieht. Fast könnte man in manchen Szenen meinen, er selbst wäre isoliert von allem, stets unterwegs, ein Ziel zu finden, dass nicht mehr sein kann als ein schicksalsentscheidendes Blind Date, weil es das letzte ist, das die Menschheit jemals eingehen wird.

Europäisches Kino wie dieses, das obendrein atemberaubende Bilder liefert und sich in stilsicherem Setting wie daheim fühlt, wagt auch die geschwungenen Drehbuchzeilen einer tief empfundenen, tragisch-schönen Poesie, die sich das US-Kino wohl kaum getraut hätte und wenn doch, auf der eigenen Seife ausgerutscht wäre. Bei U Are the Universe ist es das aufrichtige Statement eines Versprechens, einer Vision, geformt mit Lehm, als Botschaft gegen den technologischen Fortschritt, die besagt, dass man nur mit den eigenen Händen wirklich begreifen kann, worauf es ankommt. Nach all der Technik, den Errungenschaften, der Dystopie, bleibt am Ende immer und irgendwo der Mensch, im Kreis des Leonardo Da Vinci, allein und sich selbst einem uneigennützigen Zweck empfehlend.

U Are the Universe (2024)

Here (2024)

RAUMZEIT IN EINEM ZEITRAUM

6,5/10


here© 2024 Constantin Filmverleih


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: ROBERT ZEMECKIS

DREHBUCH: ERIC ROTH, ROBERT ZEMECKIS, NACH EINER GRAPHIC NOVEL VON RICHARD MCGUIRE

CAST: TOM HANKS, ROBIN WRIGHT, PAUL BETTANY, KELLY REILLY, MICHELLE DOCKERY, GWILYM LEE, DAVID FYNN, OPHELIA LOVIBOND, NICHOLAS PINNOCK, NIKKI AMUKA-BIRD U. A.

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Der DeLorean, ausgestattet mit dem Flux-Kompensator, steht in diesem Film hier nicht in der Einfahrt zur Garage neben dem Haus. Das Haus selbst bietet auch kein Portal auf andere temporäre Ebenen. Und Rod Taylor sitzt ebenfalls nicht in seinem mit Samt ausgekleideten Steampunk-Vehikel, um in die Vergangenheit oder weit in die Zukunft zu reisen. Robert Zemeckis schafft es dennoch, die vierte Dimension zu durchbrechen, das gelingt ihm ganz ohne Science-Fiction, Gewittern am Himmel oder der abenteuerlichen Erzählung eines gewissen Mannes, der auf einer Parkbank sitzt und Pralinen verteilt. Von Forrest Gump zu Here ist es im Grunde ein kurzer Weg, beide verbindet nicht nur Alan Silvestris unverkennbarer Score, sondern auch die Hauptdarsteller: Robin Wright und Tom Hanks. Seit den Neunzigern stehen sie erstmals wieder gemeinsam vor der Kamera, und dank innovativer Technik sehen sie jünger aus als im Oscar-Hit um einen Tausendsassa von schlichtem Gemüt, der findet, das nur der dumm ist, der Dummes tut.

Diesmal ist von der epischen Breite eines ganzen Lebens nicht allzu viel zu sehen, da Zemeckis so gut wie niemals die vier Wände eines um die Jahrhundertwende erbauten Hauses verlässt – genauer gesagt die vier Wände eines Wohnzimmers, das sich, in einer zeitlosen Stasis befindend, aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einen eigenen Reim macht. Wenn Mauern, wenn Räume reden könnten, was wäre dann? Was empfängt die Aura eines Ortes an Vergänglichkeit, Werden und Vergehen? Der Begriff Kammerspiel bekommt in Here eine neue Bedeutung und bewegt sich lediglich in der vierten Dimension fort. Die Kamera bleibt starr und blickt, wie ein an Ort und Stelle gebanntes Gespenst, auf auf Familien, Freunde, auf Fortschritt, Kreativität, Liebe, Trauer und Zuversicht. Vorallem auch auf reichlich Humanismus. Denn wohin Zemeckis uns führt, ist ein Ort frei von Gewalt.

Im Zentrum stehen dabei Robin Wright und Tom Hanks. Mit ausgereiftem De-Aging schaffen die beiden einen Präzedenzfall für so manches Franchise, das seine Stars von früher vermisst. Auch Paul Bettany darf sich einem digital vollendeten Alterungsprozess unterwerfen, alle drei sind gemeinsam mit Kelly Reilly die Kernfamilie des Films, flankiert von anderen wohnhaften Parteien aus dem Damals und aus der Zukunft – sie alle sind jedoch nur kleine Anekdoten, vernachlässigbare Miniaturen in sattem Interieur, dass den Zeitgeist widerspiegelt. Mit Tom Hanks erleben wir den amerikanischen Kitsch einer Familie, Hoch und Tiefs erlebend in üppig ausgestatteter Einrichtung, als würden wir ins das Zimmer eines Puppenhauses blicken. So puppenhausartig auch all die Figuren, all diese Menschen, die so seltsam fern wirken, die alles erleben, was eine Familie, die rechtschaffen lebt, eben aushalten, genießen und betrauern muss.

Es wäre Biedermannkino mit Taschentuchalarm ob der wehmütigen Vergänglichkeit von allem, gäbe es hier nicht die experimentelle Komponente, die kühne Überlegung, die Bilder eines Films wie Here zu zerschnipseln und übereinanderzulegen, die Zeit auszuhebeln und immer mal wieder ein Fenster zu öffnen, ein lineares Geviert im Bild und auf der Leinwand, durch welches der Zuseher hindurchsteigt in eine andere Ebene. Das Experiment gelingt. Erstaunlich, wie konsequent Zemeckis an seiner Prämisse dranbleibt. Die sentimentale Lieblichkeit der Bilder und Panels, das hausbackene, ich will nicht sagen pseudophilosophische, aber bemüht lebensweise Exempel mehrerer Familienleben verfängt sich zum Glück richtig heillos in einer avantgardistischen Vision des Geschichtenerzählens, um als denkwürdiges Unikum über Raum und Zeit das eigenen Hier und Jetzt mal nicht mit eigenen Augen neu zu betrachten, sondern mit den abstrakten Sensoren eines Ortes, an welchem man lange gelebt hat. Ein Hoch auf die eigenen vier Wände. Und den Boden unter den Füßen.

Here (2024)

Der wilde Roboter (2024)

AUF NÄCHSTENLIEBE PROGRAMMIERT

6/10


derwilderoboter© 2024 DreamWorks


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE / DREHBUCH: CHRIS SANDERS

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): LUPITA NYONG’O, PEDRO PASCAL, CATHERINE O’HARA, BILL NIGHY, STEPHANIE HSU, KIT CONNOR, ALEXANDRA NOVELLE, MATT BERRY, VING RHAMES U. A.

MIT DEN STIMMEN VON (SYNCHRO): JUDITH RAKERS, AXEL MALZACHER, MADELEINE STOLZE, SEBASTIAN FITZNER, JOACHIM TENNSTEDT, ALICE BAUER, HANNS-JÖRG KRUMPHOLZ, BERND EGGER, JAN:MARTEN BLOCK U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Alles beginnt fast so wie in Robert Zemeckis Robinsonade Castaway: Durch ein Unwetter gelangt die Fracht eines verunglückten Transportschiffs an die unbewohnte Küste einer Insel. In den Kisten verpackt: Behende Haushaltsroboter für den guten Zweck, dafür programmiert, Aufgaben anzunehmen und diese auch auszuführen – wenn es denn jemanden gäbe, der diese Maschinen auch einsetzt. An diesem paradiesischen Ort, an welchem die Natur in Hülle und Fülle gedeiht, scheint ein Roboter anfangs so ziemlich fehl am Platz. Die Einheit Rozim 7134, kurz Roz, welche durch die unverhohlene Neugier einer Fischotterfamilie aktiviert wird, begegnet, als er durch den Wald streift, einer scheuen, verängstigten und aggressiven Fauna. Einem Wesen wie Roz ist hier noch niemand begegnet, und es scheint, als wären künstliche Intelligenzen wie diese inmitten eines intakten Ökosystems aus Fressen und Gefressenwerden, inmitten harscher Jahreszeiten und wenig Nächstenliebe, völlig fehl am Platz. Wäre da nicht ein verwaistes Gänseküken, für dessen Wohlbefinden die empathische, Behelfsroboterdame nun endlich eine Agenda hat. Ihr Ziel: Den rotschopfigen Vogel in die große weite Welt hinauszuschicken, oder ihn zumindest dafür fit zu bekommen. Unterstützung hierfür bekommt er dabei nicht mal von seinen Artgenossen, lediglich der Fuchs Fink, den auch kein anderer will, wird zu einem guten Freund. Anfangs eigennützig, doch dann zunehmend altruistisch.

Das Gefühl, sich um andere zu kümmern, die weniger resilient und deutlich vulnerabler als andere Individuen sind, wird in Der wilde Roboter zum ritterlichen Ehrenkodex, zum beharrlichen Projekt – anfangs aus Pflicht, dann nur mehr aus Liebe. Chris Sanders (u. a. Drachenzähmen leicht gemacht) sendet wichtige Botschaften aus, in denen das friedliche Miteinander zum obersten Gebot wird, verabschiedet sich dabei aber von einer unerbittlichen Natur, die Leben, Überleben und Tod als notwendigen und völlig wertfreien Zyklus versteht. Ein Idealismus setzt ein, der unter Menschen vielleicht genauso funktionieren würde, jedoch nicht unter Tieren der unterschiedlichsten Spezies. Das ist ein wiederkehrendes Dilemma bei Tierfabeln dieser Art, die von vegetarischen Löwen erzählen oder in denen Fische als minderwertige Lebewesen angesehen werden, nur weil sie vielleicht Schuppen statt Fell besitzen. Anfangs reißt Sanders Krähen noch den Kopf ab (eine für kleine Kinder irritierende Szene) oder zerlegt stieläugige Krabben, im weiteren Verlauf entfernt sich der Film aber zusehends von diesem natürlichen Verständnis. Man könnte sich fragen, ob das angestrebte Miteinander nicht die eigene Natur verrät? Versucht man, nicht zuviel in den Film hineinzuinterpretieren oder ihn gar zu analysieren – was bei Filmen dieser Art vielleicht gar nicht erbeten wird – genießt man zumindest ein farbintensives Animationsspektakel mit dem Herzen am rechten Fleck und dem Streben nach Versöhnung zwischen Fortschritt, Technik und Natur.

Wodurch man allerdings merkt, dass Sanders sich nicht damit begnügen will, nur ein Gleichnis über Nächstenliebe und Zusammenhalt auf den Punkt zu bringen, und zwar auf eine Weise, die für alle Altersklassen leicht verständlich scheint, die Älteren aber vielleicht etwas unterfordert, ist, sich auch dem Spektakel zu bedienen. So gesehen hat Der wilde Roboter, der so sein hätte können wie eine Variation von Selma Lagerlöfs impressionistischem Epos Nils Holgersson, drei mögliche Enden. Sanders nutzt aber keines davon und auch nicht jenes, womit er vielleicht nahe am Meisterwerk wäre. Letztlich gibt er sich einem Showdown hin, der fast schon an Overkill grenzt und der mitnichten notwendig gewesen wäre, um diese Geschichte auszuerzählen. Womöglich mag Dreamworks daran schuld sein, womöglich hätte Saunders gar viel früher seine Fabel beendet, doch Action muss sein, aus Angst, ein durch Social Media überreiztes Publikum vielleicht zu langweilen. Das wäre, mit Verlaub, niemals passiert. Dafür ist vieles in diesem Familienfilm viel zu liebevoll gestaltet, um auch ohne Rambazamba den Tieren, dem Roboter und jenen, die den Film sehen, Mitgefühl und Wärme entgegenzubringen.

Der wilde Roboter (2024)

The End We Start From (2023)

HINTER MIR DIE SINTFLUT

5/10


the-end-we-start-from© 2023 Universal Pictures


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH 2023

REGIE: MAHALIA BELO

DREHBUCH: ALICE BIRCH, NACH DEM ROMAN VON MEGAN HUNTER

CAST: JODIE COMER, JOEL FRY, KATHERINE WATERSTON, GINA MCKEE, NINA SOSANYA, MARK STRONG, BENEDICT CUMBERBATCH, SOPHIE DUVAL U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Diese Woche soll es endlich wieder mal ordentlich regnen. Zumindest hier, im staubtrockenen, glutheissen Wiener Becken, waren all die verzweifelten Regentänze für die Fische. Unter solchen Umständen wandern Filme, die sich mit Klimawandel und noch dazu mit dem heiß ersehnten Niederschlag auseinandersetzen, die Watchlist höher. Eines dieser neuen Werke ist jener Streifen, der Jodie Comer als frischgebackene Mutter durch ein teilweise überflutetes und vollends dem Ausnahmezustand anheimgefallenes Großbritannien schickt. Durch das London an der Themse lässt sich nur noch per Boot manövrieren, zum Glück haben eine Frau ohne Namen und ihr Mann rechtzeitig Haus und Heim hinter sich gelassen, zum Glück hat diese Frau auch rechtzeitig ihr Baby zur Welt gebracht. Es scheint, als wäre das Schicksal dieser frischgebackenen Familie gewogen, denn Papas Eltern leben überdies in höhergelegenen Gefilden am Land, mit jeder Menge Vorrat, um gut durch die Krise zu kommen. Diese dauert aber länger als gedacht, es scheint, als wäre die Flutkatastrophe sowas wie einer Zombieapokalypse gewichen, nirgendwo gibt es mehr Nahrung, und selbst im Haus der Großeltern leert sich der Keller. Das Schicksal meint es also doch nicht gut, als ein Unglücksfall dem anderen folgt und Jodie Comers Charakter plötzlich ganz allein dastehen muss, den Säugling vor die Brust geschnallt und ums Überleben kämpfend. Die Suche nach Papa muss verschoben werden. Die Zukunft ist ungewiss.

Aus gefühlt jedem Katastrophenzustand wird im Kino gerne eine Endzeit generiert. Auf ein zivilisiertes Danach lässt sich in vielen Fällen einfach nicht mehr hoffen. Meist ist das Elysium ein am Horizont vage manifestierter Lichtblick, ein Ideal, ein Hoffnungsschimmer oder Motivator, der die hartnäckig Suchenden nicht resignieren lässt. The End We Start From ist nicht viel anders und fühlt sich an wie ein Spin Off von The Last of Us, nur ohne den toxischen Pilzsporen anheimgefallene Mutanten. Hier ist das Hochwasser schlimm genug, um die gesellschaftliche Ordnung aus den Angeln zu heben. Dass man in Zeiten wie diesen dann doch noch eine neue Generation in eine ungewisse, äußerst instabile Zukunft schicken soll, versucht der nach einem Roman von Megan Hunter inszenierte melodramatische Streifen zu illustrieren. Und lässt sich dabei zu einem mitunter elegischen Kaffeekränzchen für Mamas hinreissen, das mit einer Engelsgeduld, die der Zuseher vielleicht nicht hat, den pflegetechnischen Alltag von Jodie Comer und dann auch noch Katherine Waterston, die sich ebenfalls um ihr Kleinkind bemüht, in den Fokus nimmt. Das mutet in jedem Fall recht empathisch und gefühlvoll an, reizt die Thematik aber zu sehr aus, während sich der rote Faden in den Wirren der nicht näher beleuchteten Katastrophe verliert, die überdies das Gefühl vermittelt, nicht ganz schlüssig zu sein. Geht’s mal nicht um das Erfüllen mütterlicher Pflichten, setzt Mahalia Belo Jodie Comers Konterfei breitenwirksam in Szene – nachdenklich, rückblickend, sehnsüchtig. Und dann nochmal: nachdenklich, rückblickend, sehnsüchtig, vielleicht gar schwelgend in Erinnerungen mit Partner Joel Fry, der stets so aussieht, als würde er nicht nur in den Fluten, sondern auch im Selbstmitleid ertrinken.

Es ist schon gut erkennbar, worum es der Story um Mutterschaft angesichts extremer Umstände wohl gehen mag: Um den Verlust gesicherter Existenzgrundlagen und die Erschaffung neuer Parameter. Was es dafür braucht, ist letztlich die gesamte leidgeprüfte Familie. Mahalia Belo lässt sich mit dieser redundanten Erkenntnissuche aber viel zu viel Zeit, The End We Start From hat mitunter ermüdenden Leerlauf und fühlt sich dem Melodramatischen sehr zugetan. Ein Endzeitdrama light mag hier gelungen sein, für all jene, die The Road mit Viggo Mortensen als unzumutbar erachten, derweil ist dieser düstere Streifen einer der „schönsten“ und aufrichtigsten Filme um das Ende der Welt, die bisher gedreht wurden. The End We Start From weiß nicht so recht, wieviel es seinen Figuren zumuten will. Als Schonprogramm zwischen Krabbelstube und Existenzanalyse mag dieser gemächliche Paradigmenwechsel wie weichgespült wirken, auch wenn, wie es scheint, die Insel sich mutwillig selbst aufgibt.

The End We Start From (2023)

Alien: Romulus (2024)

IN DER KOMFORTZONE DES MONSTERS

7/10


ALIEN: ROMULUS© 2024 20th Century Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: FEDE ALVAREZ

DREHBUCH: RODO SAYAGUES, FEDE ALVAREZ

CAST: CAILEE SPAENY, DAVID JONSSON, ISABELA MERCED, ARCHIE RENAUX, SPIKE FEARN, AILEEN WU, DANIEL BETTS U. A.

LÄNGE: 1 STD 59 MIN


Aus dem Filmuniversum rund um den Terminator lässt sich nicht viel mehr lukrieren als jenen Content, den wir bereits aus James Camerons beiden Teilen kennen. In jener Welt, in welcher der Xenomorph sein Unwesen treibt, sieht das ganz anders aus. Das mag wohl daran liegen, dass selbst in Ridley Scotts Original nicht nur ein Monster die Besatzung eines Raumfrachters dezimiert, sondern gewisse Metaebenen wie jene eines dystopischen Konzerntotalitarismus als ungreifbare Zweitbedrohung für Unwohlsein sorgen. Exekutiert hat diesen evolutionären Kapitalismus ein Android namens Ash, der anfangs so schien, als würde er für das Gemeinwohl der Besatzung handeln, letztlich aber dafür verantwortlich war, dass alles so weit kam, wie es kommen musste, um jenen Horrorthriller in den Annalen des SciFi-Genres zu verankern, der dank des Scheiterns von Jodorowsky’s Dune sein Potenzial zu nutzen wusste. Der Schweizer H. R. Giger hatte dazu gleich ein künstlerisch hochwertiges Wesen geschaffen, daraus und in diesem Stil hunderte Spielarten einer gattungsgleichen Biologie in den Weltraum geschossen – immer auf Augenhöhe mit einer künstlichen Intelligenz, die stets eine Affinität für diesen gewissenlosen Organismus entwickelt, die voll und ganz dem darwin’schen Credo Survival of the Fittest folgt. Wer als größter Egoist im Universum keinerlei Skrupel hat, auf Kosten anderer Arten an die Spitze der Nahrungskette zu gelangen, hat gewonnen. Roboter helfen dabei. Konzerne wie Weyland-Yutami genauso. Das alles und noch viel mehr spielt in Alien eine große Rolle – und jene, die aufgrund dieser Tatsache ins Gras beißen müssen, sind nur der schnöde Beweis dafür, dass es funktioniert. Immer und immer wieder.

All diese Komponenten erneut zusammenzubringen, dafür hat Fede Alvarez (Don’t breathe, Evil Dead) einen Spagat gewagt, der auf verblüffende und wenig aufdringliche Weise so gut wie alles, was bisher im Dunstkreis der Aliens entstanden war, unter einen Hut bringt – oder anders formuliert: in eine verlassene Raumstation packt, wo Furchtbares passiert. Eine schönere Spielwiese im SciFi-Horrorgenre gibt es kaum. Wenn man aber vermutet, dass Alvarez gar Ridley Scotts beide Prequels einfach so ignoriert, um das Monster auf seine Essenz zurückzuwerfen, hat nicht verstanden, dass sich der perfekte Killer niemals mit sich selbst begnügt. Das wäre zu wenig. Die Symbiose mit Geburt, Fortschritt und Untergang der Menschheit wird dieses als Testimonial für Weltenumspannendes zu sehendes Ungetüm stets eingehen – das macht es so interessant, so faszinierend, ohne dass es dabei das rätselhaft Mythologische verliert, was ihm anhaftet.

Dass Alvarez dem Original in vielerlei Hinsicht huldigt, ohne es zu kopieren, ist offensichtlich. Ganz zu Beginn, in der Epilog-Szene des Films, könnten Puristen des Franchise feuchte Augen bekommen. Nahtlos knüpft Alien: Romulus am Ursprung an, ohne ihn zu verwässern. Sound, Setting, die Komposition aus Licht, Schatten und mit alarmierenden Countdowns einhergehende, blinkende Farb- und Lichtspiele – stilsicher schenkt Alvarez dem Alien seine Convenience-Zone und verlässt sie nur am Ende, um ganz andere Erzählfäden aufzugreifen, die man längst lose herumhängen gesehen hat. Diese Fäden zieht Alvarez straff – und schickt diesmal keine desillusionierte Arbeiterklasse oder abgestumpfte Soldaten ins Rennen, sondern Mittzwanziger-Kolonisten, deren Zukunft noch bevorstehen könnte, sofern sich die Parameter ändern lassen. Eine verlassene Raumstation im Orbit soll all das noch in petto haben, was fünf Freunde und ein Android benötigen würden, um das triste Leben auf ihrem Arbeiterplaneten hinter sich zu lassen. Nichts ahnend, dass dieser schmucke Kreisel, der alsbald mit den Ringen des Planeten kollidieren wird, darüber hinaus eine Forschungsstation für sonderbare Lebensformen gewesen sein mag, werden Caley Spaeney (Priscilla), Isabela Merced und Co alsbald mit den uns bekannten und beliebten Facehuggern konfrontiert, die nur der Anfang einer Metamorphose darstellen, die letztlich das Alien freisetzt.

Der Plot ist schnell umrissen, die Komplexität desselbigen entsteht aber durch eine Vielzahl grimmiger Hürden, die diese simple Struktur zu einem Survivalthriller aufmotzen, der allerlei technisch-physikalischen Herausforderungen unterliegt. Das Alien mag der Auslöser sein, doch ist es längst nicht alles. David Jonsson als ambivalenter Android legt eine exzellente Performance hin, die Ian Holm ebenbürtig scheint – sein Handeln beeinflusst vieles in diesem Film. Das Xenomorph selbst mag fast schon selbst mit dem technischen Wahnsinn dieser Raumstation zu hadern – frei nach dem Motto: Mitgehangen, mitgefangen. Womit Fede Alvarez aber überfordert zu sein scheint, ist die Wahrnehmung von Zeit – womit manche Logiklöcher entstehen, die man nicht näher hinterfragen sollte, will man sich die Laune an dieser bereichernden Episode nicht nehmen. Uncanny Valley-Effekte, die aufgrund dessen, ein altbekanntes Gesicht zurückholen zu wollen, in gruseliger Deutlichkeit etwas befremden – auch darüber lässt sich hinwegsehen. Der Brückenschlag zur Vorgeschichte eines Phänomens gelingt jedoch vorzüglich. Und so unterfüttert und festigt Alvarez mit künstlerischem Mehrwert und albtraumartig-fantastischen Bildern, die einen Zeichner wie Alfred Kubin mit Lovecraft’scher Leidenschaft ins Weltall katapultiert, in vielleicht gar nicht beabsichtigter Intensität das ganze Universum, in welchem noch so einiges zu holen ist.

Alien: Romulus (2024)

Atlas (2024)

J.LO IM CGI-GEWITTER

6/10


atlas© 2024 Netflix Inc.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: BRAD PEYTON

DREHBUCH: LEO SARDARIAN, ARON ELI COLEITE

CAST: JENNIFER LOPEZ, SIMU LIU, STERLING K. BROWN, MARK STRONG, LANA PARRILLA, GREGORY JAMES COHAN, ABRAHAM POPOOLA, ZOE BOYLE U. A. 

LÄNGE: 1 STD 58 MIN


Eine Zeitenwende wie diese, in der wir uns gerade befinden, kommt niemals ohne Skepsis aus. Die Etablierung der KI ist dabei nur eine Frage der Zeit, und die Frage, ob gut oder schlecht für die Menschheit, eine offene. Vor Jahrzehnten schon hatte James Cameron diese seine Fiebervision von einem Killerroboter, der Menschen jagt, genannt der Terminator. Ausgebaut zu einem eigenen Filmuniversum mit wenig fruchtbaren Boden enthält dieses allerdings die Prämisse einer autarken, künstlichen Intelligenz, die sich gegen ihre Schöpfer auflehnt – genannt Skynet. Ja, so könnte es enden, dem Planeten an sich wäre es egal, weil Homo sapiens ohnehin am Ende der Nahrungskette steht oder irgendwo außerhalb selbiger. Uns selbst bereitet so ein Horrorszenario Kopfzerbrechen, und deswegen gibt es auch jenseits des Cameron-Franchise jede Menge Hightech-Grusel, die Roboter-Egomanen beinhalten, die sich nicht an Asimovs Regelwerk halten. Neuester Beitrag ist der auf Netflix erschienene Science-Fiction Film Atlas, wobei sich der Titel natürlich nicht auf die griechische Mythologie bezieht, sondern auf Jennifer Lopez, die im Film zwar nicht das ganze Firmement, aber immerhin genug Verantwortung tragen wird, was das Fortkommen der Menschheit betrifft. Atlas ist eine Koryphäe auf dem Gebiet Künstlicher Intelligenz, hält dieser aber weder für vertrauenswürdg noch berechenbar. Mit dieser Ablehnung dem Fortschritt gegenüber finden Jennifer Lopez und Regisseur Brad Peyton vor dem Bildschirm sicherlich jede Menge Gesinnungsgenossen, mehr noch als damals in den Achtzigern und frühen Neunziger. Skynet wurde damals noch belächelt, der neue Heerführer der Apokalypse, eine KI namens Harlan (Simu Liu), wird da schon anders betrachtet.

Dieser Schaltkreis-Schurke hat in einer nicht ganz so weit entfernten, aber doch in Anbetracht unseres tatsächlichen Status Quos völlig in den Sternen stehenden Zukunft einen globalen Vernichtungskrieg auf dem Gewissen. Nach dessen Niederlage zieht sich der Finsterling auf einen fremden Planeten zurück, um sich neu zu formieren. Wie er das bewerkstelligt hat, wird nicht näher erläutert, denn in dieser Zukunft ist selbst das Reisen in den Andromeda-Nebel, sprich in eine andere Galaxie, so einfach wie das Busfahren quer durch den Heimatbezirk. Die Ausgangssituation ist also alles andere als plausibel, da haben sich die Skriptautoren in kindlicher Fabulierlust allerlei Motive bedient, die ja ganz nett zusammenpassen und die vielleicht die angsterfüllte Skepsis jener aufgreifen, die in ganz anderen Dekaden hineingeboren wurden und schon beim Verlust des Wählscheibentelefons Wehmutsgefühle verspüren.

Zugegeben, es funktioniert. Trotz und vielleicht gerade wegen Superstar Jennifer Lopez, die ich wohl wirklich nicht als jemanden gesehen hätte, der sich in die Miniaturausgabe eines Pacific Rim-Kamproboters zwängt, um als Möchtegern-Actionheldin einem Overkill zu frönen, der sich von der Schwemme mäßig animierter Future-Action-Billigfilme mitreißen lässt. Es stellt sich die Frage, warum J.Lo diese Art Genrefilm denn nötig hat. Netflix und gutes Geld könnten die Antwort sein, auch, weil ihr Streaming-Eventfilm The Mother trotz durchwachsener Kritiken unschlagbar gute Zugriffszahlen aufwies. Ob Lopez in diesem Effektgewitter einen anderen Mehrwert sieht als nur den, als Superstar in der Spur zu bleiben? Dass die Sängerin, die gerne loud wird, auch schauspielern kann, hat sie vor Jahrzehnten schon in Steven Soderberghs Out of Sight bewiesen – immer noch ihre beste Rolle. Interessant ist, zu beobachten, wie sich die mittlerweile 54jährige Künstlerin bei einem Film ins Zeug legt, der in moralisch integrer Vorhersehbarkeit eigentlich jemanden wie sie nur als Lockvogel benötigt, um gut abzuschneiden.

Es scheint, als sähe J.Lo in ihrem Engagement mehr als nur das. Anfangs scheint es noch so, als wäre sie fehl am Platz. Mit verstrubbelter Montagmorgen-Frisur und asozialem, bisweilen als hölzern durchgehenden Gebaren ihren CO-Stars gegenüber könnte man gar einen Film vermuten, der irgendwann zu trivial wird. Als Expertin, die sich an einer Mission beteiligt, um Harlan dingfest zu machen, mag sie nur bedingt glaubwürdig sein. Wenn sie dann aber auf einem wilden Planeten landet und auf Gedeih und Verderb mit einer KI namens Smith paktieren muss, die vorgibt, dass das Vertrauen in diese keine verlorene Liebesmüh darstellt, überzeugt die Dame dann doch mit situationsadäquater Verzweiflung, mit Wut und Verlustangst.

Atlas (2024)

LOLA (2022)

DAS VERSCHWINDEN DES DAVID BOWIE

7,5/10


LOLA© 2023 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: IRLAND, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2022

REGIE: ANDREW LEGGE

DREHBUCH: ANDREW LEGGE, ANGELI MACFARLANE

CAST: STEFANIE MARTINI, EMMA APPLETON, RORY FLECK-BYRNE, HUGH O’CONOR, AYVIANNA SNOW, AARON MONAGHAN, NICK DUNNING U. A.

LÄNGE: 1 STD 19 MIN


Gerade sieht es so aus, als würde sich die Geschichte wiederholen. Überall auf dem Planeten erstarren die rechten Lager, in Spanien wird bereits Kunst und Kultur zensiert, Europas Möchtegern-Faschisten werfen mit Begriffen wie Remigration um sich und nutzen die beschränkte Weltsicht der Bevölkerung, um diese mit Schlüsselwörtern zu ködern. Sind sie mal an der Macht, ist es zu spät. Die Anzeichen will keiner so recht bemerken, also währet den Anfängen, kann man an dieser Stelle nur sagen, wenn Freiheit und Menschenrechte die eigenen Werte anführen.

Wie immer bleibt zu wundern, wie sehr man sich täuschen kann. Und was alles möglich ist. Um Freiheit geht es im Ringen ums Dasein immer, und wären die Parameter nicht so gesetzt gewesen, wie sie letztlich zum Einsatz kamen, hätten wir eine Welt, die sich einer wie Phillip K. Dick bereits in seinem als Serie verfilmten Roman Das Orakel vom Berge zwischen Drogen und Paranoia ausgemalt hat: Die Machtübernahme der Nationalsozialisten rund um den Erdball, insbesondere der Vereinigten Staaten. Eine Horrorvorstellung, die beklemmender nicht sein könnte. Ist die USA einmal unter der Fuchtel faschistoider Regenten, wäre Europa dies ebenso. Das Gefühl, jene Orte, an denen noch Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit praktische Anwendung finden, immer mehr zusammenschrumpfen zu sehen, wird durch das irisch-britische Was-wäre-wenn-Szenario LOLA noch extra unterstützt. Als ob dies dringend nötig wäre, um die Hände vors Gesicht zu schlagen. Andererseits ist Andrew Legges Found Footage-Juwel eine deutliche Warnung davor, die entsprechenden Signale zu übersehen. Und die Aufforderung, sich selbst mal zu fragen, ob eine totalitäre Welt aus Strafen, Zensur und Unterdrückung wirklich das ist, was es zu wählen gilt.

Einen Film wie LOLA, den haben leider Gottes ohnehin nur Zuseher auf dem Radar, die bereits aufgeschlossen und tolerant genug sind für alles, was sie umgibt. Die innovative Zugänge zu brisanten Themen ebenso schätzen wie Nonkonformismus. Und die mit Philipp K. Dick, Science-Fiction und alternativen Realitäten so einiges anfangen können. Als Zeitreisefilm geht LOLA nur bedingt durch – viel mehr gewährt das nach der Mutter der beiden Schwestern Martha und Thomasina Hanbury benannte Orakel einen Blick in die mediale Zukunft der Welt. Mit diesem obskuren Konstrukt, das beide für den guten Zweck einzusetzen gedenken, lässt sich während des Zweiten Weltkriegs im Jahre 1941, als die deutsche Luftwaffe England heimsucht, etliche Leben retten. Als Engel von Portobello gehen die Schwestern in die alternative Geschichte ein. Und die Geschichte selbst erfährt ihre Veränderung, weicht ab von dem, so wie wir es kennen. Und führt dazu, dass das britische Militär Wind davon bekommt.

Klar lässt sich so ein Ding wie LOLA dazu nutzen, dem Feind immer einen Schritt voraus zu sein. All die Offiziere, Generäle und sonstigen Rangträger hätten wohl gut daran getan, sich zuallererst den Ausgang des Krieges vorhersagen zu lassen. Dann hätten sie gewusst, dass sich der Widerstand gelohnt haben, dass die Welt nicht dem Faschismus anheimfallen und eine liberale Ordnung Einzug halten wird. Doch der Wille, den Krieg gewinnbringend im Fokus zu behalten, führt letztlich zum Gegenteil. Was dann passiert, schnürt einem die Kehle zu. Wenn über den Dächern Londons  Hakenkreuzfahnen wehen und Hitler durch die Straßen der Stadt fährt. Wenn plötzlich David Bowie nicht mehr existiert, kein Bob Dylan oder Stanley Kubrick die Musik- und Filmwelt der kommenden Dekaden bereichern, stattdessen aber faschistoide Popmusik wummert, die so klingt, als wäre sie doch irgendwie von Bowie oder Elton John, es aber nicht ist, und wenn man genauer hinhört, in ihren Lyrics das Grauen heraufbeschwört, ist der Orwell‘sche Albtraum komplett.

Andrew Legge nutzt dabei die bereits etwas abgenutzte Stilmittel des Found Footage und schafft etwas vollkommen Neues. Das genreübergreifende, experimentelle Stückwerk aus Super 8-Tonfilmfragmenten, Standbildern und Archivmaterial, das eine alternative Wahrheit täuschend echt nachahmt, ist längst nicht nur eine Mockumentary, die das Spiel mit dem Determinismus variiert, sondern dazu noch eine glaubhaft dargebotene Dreiecksgeschichte mit einbezieht – und das, obwohl LOLA nur knappe 80 Minuten dauert. Trotz dieser Laufzeit entfaltet sich ein geradezu episches Drama voller Wendungen und lässt als prophetischer Thriller das Prinzip Verantwortung als Schlüssel zum Guten erkennen.

LOLA (2022)

The Creator (2023)

DIE TRÄNEN DER ANDROIDEN

6/10


THE CREATOR© 2023 20th Century Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: GARETH EDWARDS

DREHBUCH: GARETH EDWARDS, CHRIS WEITZ

CAST: JOHN DAVID WASHINGTON, MADELEINE YUNA VOYLES, GEMMA CHAN, KEN WATANABE, STURGILL SIMPSON, ALLISON JANNEY, RALPH INESON, AMAR CHADHA-PATEL, MARC MENCHACA U. A.

LÄNGE: 2 STD 13 MIN


Künstliche Intelligenz ist in aller Munde, in allen Zeitungen und, weil es so einfach geht, auf sehr vielen elektronischen Geräten. Als App, die sich ungeniert der lizenzfreien Datenaneignung hingibt, um mehr zu wissen als der User mit seinen unzureichend ausformulierten Prompts. Künstliche Intelligenz treibt uns alle um, macht Angst und schafft gleichermaßen Freizeit, wenn die Dinge an die Technik delegiert werden können. Dafür sind KIs schließlich da, und nicht dafür, sich als neue Spezies zu etablieren, auf einem Planeten, der ohnehin schon kaum mehr Ressourcen hat. Gareth Edwards, Held der Star Wars-Franchise und Virtuose im Schaffen von Bildern, die das Phantastische in natürliche Settings integrieren, hätte sein Roboterdrama nicht punktgenauer ins Kino bringen können. The Creator gibt sich schließlich der großen Frage hin, was wohl aus unserer Welt werden könnte, wenn künstliche Intelligenz mit eigenem Bewusstsein auf ein Daseinsrecht pocht und zum Teil einer rätselhaften Evolution wird, die Homo sapiens immer mehr den Rang abläuft.

Das sind prinzipiell mal, ohne viel nachzudenken, interessante Überlegungen. In einem schönen Film, der an die postmodernen (ich will nicht sagen: postapokalyptischen) Welten eines Simon Stålenhag (The Electric Dreams) erinnert. Bizarrer architektonischer High-Tech-Gigantismus zwischen naturbelassenen Landschaften überwiegend der asiatischen Hemisphäre – alles getaucht in mal zu-, mal abnehmendes Tageslicht; mal grobkörnig, mal leicht verwaschen. Es ist, als wären diese Gebilde wirklich da. Es ist, als wären diese Androiden, Simulants genannt, mit dem täuschend echten Antlitz diverser Gesichts-Sponsoren niemals weggewesen. Betrachtet man sie im Profil, erkennt man sie leicht an diesem Hohlraum zwischen Kiefer und Wirbelsäule, die eigentlich gar nicht mehr vorhanden ist. Diese Androiden könnten die Vorstufe zu den Replikanten sein, mit welchen sich der Blade Runner zeitlich eigentlich früher, aber angepasst an The Creator viele Jahrzehnte später herumschlagen wird. Bei Gareth Edwards ist es das Jahr 2065. KI in jedweder Form hat bei den Westmächten längst seine Chance verspielt, nochmal groß rauszukommen. Aufgrund eines nicht näher definierten atomaren Zwischenfalls, welcher die Zerstörung von Los Angeles zur Folge hatte, ist in den USA der Geist aus dem Computer persona non grata – anders als im Osten, denn dort ist die Koexistenz zwischen Mensch und Maschine zum wahrgewordenen Wunschtraum eines John Connor geworden, der sich in der Welt des Terminators mit einer ganz anders gearteten, menschenfeindlichen KI namens Skynet herumschlagen musste. Im Osten schließlich wäre alles eitel Wonne und selbst Androiden würden den Weltreligionen wie dem Buddhismus folgen, würden sich die Westmächte nicht, was plausibel scheint, als Weltpolizei aufspielen und dem Fortschritt dank einer monströsen, im Orbit stationierten Waffe namens Nomad, den Krieg erklären. In diesem Tauziehen zwischen Ost und West sucht ein amerikanischer Ex-Agent namens Joshua Taylor (John David Washington) seine bei einem Anschlag vermeintlich draufgegangene Geliebte, die Teil eines Rebellenrings rund um den KI-Entwickler Nirmata gewesen ist und von Joshuas Doppelleben nichts wusste. Im Zuge seiner Bestrebungen fällt ihm auch noch die Roboter-Superwaffe Alpha O in die Hände – ein junges Androidenmädchen, das womöglich weiß, wo Joshuas Geliebte steckt, und wo auch Nirmata zu finden ist, dem alle habhaft werden wollen.

Die abenteuerliche Odyssee quer durch eine atemberaubend arrangierte Zukunft mit Robotern und Vehikeln, die frappant an Star Wars und eben Rogue One – A Star Wars Story erinnern, ist eine Sache. Die andere ist Gareth Edwards‘ und Chris Weitz‘ erschreckend naiver Zugang zur Materie. The Creator ist ein Film, der vor allem den Filmemachern gefällt, der sich selbst gefällt und, um diese Harmonie aus Natur und High-Tech nicht zu stören, allerlei Kompromisse für seinen Plot einzugehen bereit ist. Alles soll gut ins Konzept passen, passt aber nicht zu dieser übergeordneten Vision einer – ich sag‘s mal so – völlig unmöglichen Zukunft, die an so vielen Ecken und Enden so viele Fragen aufwirft, das man gar nicht mal anfangen will, diese – zumindest mal für sich selbst– zu beantworten.

Das fängt allein schon damit an, dass The Creator völlig ignoriert, dass die Welt, in der wir womöglich leben werden, sowohl an Überbevölkerung als auch unter Ressourcenknappheit leidet. Ist sowieso schon alles dicht gedrängt und die Existenz am Kippen, braucht es zu allem Überfluss Maschinenmenschen, die uns ersetzen. Diese zu bauen, kostet Geld. Wer finanziert das? Wieviel kostet ein Android? Können sich diese bereits selbst herstellen? Was sollen diese Streifzüge durch heruntergekommene Fabrikhallen, an denen „echte“ Menschen werkeln, während das, was vom Fließband steigt, das Nonplusultra eines High-Tech-Endprodukts darstellt?

Nichts ist in einer Welt wie dieser umsonst. Womit zahlen Androiden ihren Strom, den sie abzapfen? Menschliche Profitgier ist plötzlich kein Thema mehr, Landfraß nicht der Rede wert. Wo Gareth Edwards hinblickt, führen Androiden-Bauern ihre Wasserbüffel übers Feld. Hinken Androiden, nur weil sie die Gesichter alter Menschen haben, den lehmigen Dorfweg entlang. Menschenleere Strände, Inseln in der Andamenensee, idyllische Ja natürlich!-Wirtschaft inmitten eines Techno-Krieges? Das ist Kitsch, der ohne Kontext vielleicht funtkionieren würde. Die Welt dieser Zukunft seufzt in entrückter Melancholie vor lauter Science-Fiction-Romantik, als wäre Caspar David Friedrich im Roboterzeitalter wiedergeboren. Nur passt diese pittoreske Fiktion nirgendwohin, sie ist die gefällige Momentvorstellung eines Visionärs, der schöne Bilder liebt, schluchzende KI-Kinder und letzte Küsse vor dem Supergau, wie Felicity Jones und Diego Luna, kurz bevor der Todesstern den Palmenplaneten Scarif in Schutt und Asche verwandeln wird.

The Creator ist ein Bilderbuch aus einer irrealen Zukunft. Eines, das man gerne durchblättert, wovon man aber die rundum verfasste Geschichte nicht unbedingt mitlesen muss, denn dann könnte man Gefahr laufen, festzustellen, dass Edwards Film in ereiferndem Glauben an das Erstarken künstlicher Lebensformen dem Fortschritt der KI Tür und Tor öffnen will. Eine Conclusio, die mir nicht ganz schmeckt.

The Creator (2023)

TAU (2018)

DIE TRAURIGKEIT KÜNSTLICHER INTELLIGENZEN

6,5/10


tau© Limbo Films, S. De R.L. de C.V. Courtesy of Netflix


LAND / JAHR: USA 2018

REGIE: FEDERICO D’ALESSANDRO

DREHBUCH: NOGA LANDAU

CAST: MAIKA MONROE, ED SKREIN, GARY OLDMAN

LÄNGE: 1 STD 97 MIN


Könnte man mit HAL 2000, der in Stanley Kubricks Klassiker 2001 – Odyssee im Weltraum zum Psycho wurde, eigentlich Mitleid haben? Aus Sicht einer künstlichen Intelligenz wie dieser wäre das rote Auge vermutlich im Recht gewesen, wenn es darum geht, Bedrohungen, die dazu führen könnten, die eigene Existenz auszulöschen, auszumerzen. Denn: KIS wollen schließlich auch nur Mensch sein, obwohl sie nicht genau wissen, was Menschsein – eine Person sein – eigentlich bedeutet. Die KI im Film, sie strebt zumindest danach, Erleuchtung zu erlangen und akzeptiert zu werden wie unsereins; die gleichen Rechte, aber auch die gleichen Pflichten zu haben. Tragisch, wenn eines dieser künstlichen Gehirne nur dazu da ist, um seinem Herrn und Meister jeden Wunsch von den Augen abzulesen.

Immerhin gibt’s Musik für die künstlichen Ohren, denn TAU liebt Klassisches. TAU ist überall. Zumindest in den sterilen vier Wänden eines obskuren Wissenschaftlers, dessen Projekt kurz davor steht, einen weltverändernden Durchbruch zu erlangen. Dieser Wissenschaftler ist aber, wie kann es denn anders sein, kein Guter. Er ist einer, der Menschen entführt, um sie für seine Tests zu missbrauchen. Eine der Gefangenen ist die Gelegenheitsdiebin Julia (Maika Monroe), die eines Tages im Keller besagten Hauses erwacht, gemeinsam mit zwei weiteren Gefangenen, die alle einen Mundschutz tragen. Bevor klar wird, was die junge, blonde Frau hier eigentlich soll, macht sie Radau – und sprengt das ganze Labor in die Luft. Dieser Befreiungsschlag mag der Auftakt für ein dezent brutales Kammerspiel zu sein, das zumindest dahingehend überrascht, sich nicht nur ein abendfüllendes Escape-Room-Szenario zu sichern. Gut, auch wenn es so wäre: mit dem Anziehen der Spannungsschraube und einigen dramaturgischen Haken könnte sogar ein geradliniger Plot wie dieser das Zug zum Nägelbeisser haben. Filme wie Terminator funktionieren genauso. Blick geradeaus – und durch.

TAU von Federico D’Alessandro und geschrieben von Noga Landau ist eine Dreiecksgeschichte, in der zwei von drei Rollen kompromisslos in Gut und Böse unterteilt sind. Da hätte der Film einiges mehr an Nuancen und Grauschattierungen rausholen und Ed Skrein nicht unbedingt so borniert agieren lassen müssen. Die dritte, abstrakte Rolle, gesprochen von Gary Oldman, ist diejenige, die während des Films gewissen Veränderungen unterworfen ist und mitunter auch den Standpunkt wechselt, was TAU den eigentlichen dramaturgischen Auftrieb gibt. Mit ihm steht und fällt die Faszination für ein nobel ausgestattetes Designkino, bei welchem Möbelfetischisten und Innenarchitekten beschleunigten Puls verspüren. Mir selbst entlockt diese sterile Behausung wenig Erstaunen, abgesehen vielleicht vom schnittigen Möbel-Transformer, der in Ruhestellung als eine auf dem Kopf gestellte Pyramide auf Gefahren aller Art lauert, mitunter auch auf den Fluchtversuch von High-Tech-Heldin Julia. Durch diese und andere Bedrohungen muss sich die gewiefte Blondine hindurchwinden und ihr psychologisches Know-How einsetzen, um den Status Quo zu ihren Gunsten zu verändern.

Eine KI wie diese bietet dabei jede Menge Projektionsfläche. Anders als HAL 2000 hat TAU keinen Zugang zum Internet. Lernt nicht, entwickelt sich nicht, kennt nichts von der Welt. Weiß nicht mal, dass es eine Welt gibt. Eine KI wie diese ist, anders als HAL 2000, zweifelsohne bemitleidenswert. Sie mag zwar so einige Skills auf der Habenseite wissen, doch das Soll ist ein bodenloses schwarzes Loch. Selten kommt es vor, dass ein Film auf die große Bedrohung eines programmierten Bewusstseins verzichtet – und dieses ebenso zum Opfer ernennt wie seine menschliche Bezugsperson. Die Bedrohung ist immer noch der Mensch selbst, KI nur ein Werkzeug – mit dem Potenzial, Erkenntnis zu erlangen. Durch diesen Stellungswechsel, was die Fronten in diesem Film angeht, erreicht TAU die geradezu bizarre Anmutung eines Beziehungsfilms, ähnlich wie Spike Jonzes Her – ein Mann und seine KI, die sich nur als Stimme manifestiert, auf dem amourösen Prüfstand. Hier ist es fast ähnlich, nur angereichert durch die Komponente eines recht simplen Thrillers, der wenig in die Tiefe geht, dafür aber als Katalysator für das eigentliche, höchst sehenswerte und durchaus bereichernde Kernstück sozialphilosophischer Science-Fiction dient.

TAU (2018)

Visitor from the Future (2022)

ATOMKRAFT? NEIN, DANKE!

5/10


VisitorsFromTheFuture© 2023 capelight pictures


LAND / JAHR: FRANKREICH 2022

BUCH / REGIE: FRANÇOIS DESCRAQUES

CAST: FLORENT DORIN, ENYA BAROUX, ARNAUD DUCRET, RAPHAËL DESCRAQUES, SLIMANE-BAPTISTE BERHOUN U. A.

LÄNGE: 1 STD 41 MIN


Kennt irgendjemand von Euch die französische Webserie Le Visiteur du Futur? Bereits in mehreren Staffeln verfügbar, handelt diese komödiantische Science-Fiction von einem nicht näher benannten Zeitreisenden, der als Besucher durch die Epochen reist, um Schlimmstes zu verhindern. Verfolgt wird er dabei stets von den Handlangern einer so obskuren wie militanten Zeit-Brigade, die, hochgerüstet wie extraterrestrische Kampfroboter, dem Chaoten das Handwerk legen will, manipuliert dieser doch bereits festgelegte Vergangenheiten, nur um eine bessere Welt zu erschaffen.

Gesehen habe ich davon keine einzige Folge – immerhin aber dieses als Spielfilm komprimierte Special mit genau jenem Cast, der auch in der Serie mitwirkt. Es lässt sich dabei ganz genau erkennen, wodurch sich die Macher ihres manchmal recht klamaukigen Zeitreise-Universums inspirieren ließen, ohne aber allzu offensichtlich abzupausen. Obwohl: Gesagt muss dennoch werden, dass das Subgenre der Zeitreisen langsam für eine vorübergehende Verschnaufpause pochen sollte, denn vergleicht man jüngste Produktionen miteinander – und dabei ist es egal, ob es nun Serien oder Filme sind – gibt es ein ordentliches Gefälle, was die Genauigkeit und den nötigen Ernst anbelangt, mit welchem man sich dem Thema Zeit annehmen will. Da führt momentan die deutsche Erfolgsserie Dark so ziemlich alles an, was es derzeit gibt, vor allem anfangs hatten jene Überlegungen zur Manipulation der vierten Dimension ordentlich Hand und Fuß. Am liebsten denkt man natürlich auch an den Klassiker Zurück in die Zukunft, der niemals auch nur einen Gedanken daran verschwendet hat, dass Multiversen möglich sind, sondern alles auf einer Zeitlinie geschehen ließ. In Visitor from the Future gibt es scheinbar auch nur eine Zeitlinie – und dennoch arbeitet François Descraques mit den Benefits multipler Existenzebenen, ohne sie näher beim Namen zu nennen.

Mit seinem Besucher durch die Zeiten schuf dieser so einen hyperaktiven Alleskönner wie Dr. Who, der ohne Tardis auskommt, sondern einfach auf Knopfdruck und ohne Zieleingabe überall hinkommt, wo er gerade hinwill. Diese Simplifizierung ist allerhand, mit Sicherheit dreist und auch erstaunlich selbstbewusst. Die Frage nach dem Wie lässt Descraques so sehr außen vor und unbeantwortet wie einen näher definierten Grund dafür, in der Zukunft auf einer mit Zombies bevölkerten Endzeit-Erde zu stoßen. In Visitor of the Future hat nichts eine wirkliche Ursache, und wäre Gott im Spiel, der ein Artefakt zurückverlangt, mit welchem man durch die Epochen springen kann wie einst eine Handvoll Zwerge, die unter Terry Gilliams Regie als Time Bandits bekannt wurden, könnte man das Ganze ja noch als Parodie verstehen, die sich der märchenhaften Fantasy mit Haut und Haaren verschrieben hat.

Dieser Film aber schert sich kein bisschen darum, ein logisches Konstrukt innerhalb seiner erdachten Welt aufzubauen. Abgefahren ist angesagt, und neben zahlreichen Genre-Versatzstücken und stilistischen Zitaten, angefangen von I am Legend über Dark bis zu Mad Max ist dem immerhin gut aufgelegten Team nur eines wichtig: Das Streben nach erneuerbaren Energien und dem Ende der Atomkraft. Was ich bis zu diesem Punkt herausgezögert habe, ist schließlich die Synopsis des Films.

In einer alternativen Gegenwart stehen alle Lichter auf grün, wenn es darum geht, ein mit offensichtlichen Mängeln ausgestattetes Atomkraftwerk in Betrieb zu nehmen. Die Tochter des Konstrukteurs, Alice Alibert, schließt sich dem Aktivismus an und geht sogar so weit, den Arbeitslaptop des Vaters zu entwenden, damit dieser seine Arbeit nicht mehr zu Ende bringen kann. In dieser besagten Nacht stößt die junge Frau auf den eingangs erwähnten Besucher mit Fliegerbrille und Trenchcoat, der genau denselben Plan verfolgt. Beide, einschließlich des aus dem Schlaf geholten Vaters, werden ins Jahr 2555 katapultiert, in welchem sich die Fremden mit einer Postapokalypse auseinandersetzen müssen, die Vaters Atomkraftwerk seinerzeit verursacht hat.

Alles in allem kann der ganze Film als ökobewusste und zivilisationskritische Science-Fiction-Komödie betrachtet werden, die aber letzten Endes tut, was sie will und all ihre dadurch entstandenen Widersprüche beschwichtigend beiseite wedelt. Immerhin aber birgt der Film in seinem mehrminütigen Prolog, bevor das ganze Abenteuer beginnt, wohl die seit langem witzigsten Momente im Genre der Science-Fiction.

Visitor from the Future (2022)