No One Will Save You (2023)

IM STRENGEN LICHT DER INVASOREN

5,5/10


NO ONE WILL SAVE YOU© 2023 20th Century Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE / DREHBUCH: BRIAN DUFFIELD

CAST: KAITLYN DEVER, LAUREN MURRAY, GERALDINE SINGER, DANE RHODES, DARI LYNN GRIFFIN, DANIEL RIGAMER, ZACK DUHAME U. A.

LÄNGE: 1 STD 33 MIN


Wäre er nicht exklusiv auf Disney+ erschienen, hätte der experimentierfreudige Science-Fiction-Sonderling No One Will Save You wohl seinen fixen Platz im Programm diverser Fantasy-Filmfestivals. Soweit ich in Erfahrung bringen konnte, kam dem Streifen keine solche Ehre zuteil, maximal eine geringe, für drei Tage exklusive Auswertung in amerikanischen Kinos. Doch Disney will schließlich auch Exklusivität verkaufen – unter der Nebenschiene Star gerne auch Schauriges. Und ja: mitunter schaurig ist diese Home Invasion sehr wohl, und dabei sogar noch weniger in den Momenten, die sich im Haus der jungen Brynn (Kaitlyn Dever, Booksmart) abspielen, sondern da draußen, jenseits der vier Wände, wo vertrautes Umfeld einer gespenstischen Welt weicht, die dem Unerklärlichen ins Auge blicken muss.

Zugegeben, das klingt nun ein bisschen so, als wären wir in M. Night Shyamalans UFO-Grusler Signs gelandet: Kornkreise zeugen von Besuchern aus anderen Welten, die es nicht unbedingt gut mit Homo sapiens meinen – was genau sie wollen, weiß man logischerweise nicht. Zwei Welten – zwei Wahrnehmungen. Unter dieser kommunikativen Diskrepanz muss auch Brynn ihren nächtlichen Besucher zur Vernunft bringen, denn so unangemeldet mitten in der Nacht schneit man nicht, egal woher man kommt, in fremde Häuser. Dieser jemand – oder dieses Etwas – ist ein klassisches Weltraummännchen, entschlüpft aus frei zusammenfabulierten Bild- und Sun-Zeitungsberichten, aus Esoterikbüchern und obskuren UFO-Entführungsberichten: Schlaksiger Körperbau, kein Geschlecht, natürlich nackt und riesige Laktritze-Augen (oder ähnlichem) über einer kümmerlichen Mundpartie. Der Klassiker, wenn man so will. Und dieser Klassiker, der kramt in Brynns Küche herum, als diese aus dem Schlaf hochfährt und sich Minuten später im Katz und Maus-Spiel mit einer gutturale Laute ausstoßenden Kreatur wiederfindet, die irgendetwas will, vermutlich aber die Hausherrin entführen. Dinge, die Aliens eben mit uns tun wollen, dazu gehört auch das Schnallen auf Operationstische und das Einführen obskurer Sonden in den menschlichen Leib. Solchen Worst Case will die völlig isoliert lebende Junge Dame natürlich nicht über sich ergehen lassen, also gibt’s improvisierte Gegenwehr. Ein Szenario zwischen Steven Spielbergs Mystery-Lichterkonzert und eben Shyamalans Aluhut-Horror hebt an. Wo Fenster sind, fällt ungutes, gleißendes Licht in die Dunkelheit der Räume, ob rot, ob blau, ob gelb – egal, es ist kein gutes Leuchten.

Man könnte sich so bequem auf ein klassisches, gerne vorhersehbares UFO-Thriller-Szenario einlassen, ohne Out of the Box denken zu müssen. Wären da nicht einige Aspekte, die Regisseur und Drehbuchautor Brian Duffield (u. a. für Jane got a Gun, Underwater) unbedingt mit in sein exzentrisches Werk einbauen wollte. Es sind nicht nur periphere Versatzstücke, welche die Originalität eines prinzipiell mal wenig originellen Plots ankurbeln hätten sollen. Es sind grundlegende, neu gestreute Parameter. Wie zum Beispiel der Umstand, dass die wehrhafte Hauptdarstellerin Kaitlyn Dever (fast) kein einziges Wort spricht. Und nicht nur sie. Der ganze Cast bringt keinen Satz über die Lippen, somit ist No One Will Save You ein Stummfilm, der ausschließlich mit seinem Score und den exotischen, durchaus eindringlichen Geräuschen arbeitet, welche das invasive Volk und seine Technik so von sich gibt. Eine Zeit lang will man nicht wahrhaben, dass es wirklich so sein könnte, dass alle daran scheitern, sich zu artikulieren. Man wartet auf das erste Wort, doch es kommt nicht. Der Ausfall der verbalen Kommunikation lässt die Welt, in welcher Brynn als einsames Fifties-Girl ihr Dasein fristet, als eine gespenstische, unwirkliche Traumdimension erscheinen, die aber stets vermittelt, real zu sein.

Darüber hinaus gibt es noch eine andere Komponente: die von Brynns Schicksal. Der Tod ihrer besten Freundin, die Schmähung der trauernden Eltern, der Tod der eigenen Mutter, die Einsamkeit, vielleicht gar die nicht eingestandene Schuld? Es ist niemals so richtig klar, was unsere (Anti)heldin in diese Situation gebracht hat – man ist verwirrt, irritiert, überrascht. Duffields Film hat eine seltsame Aura, entwickelt einen einerseits kindlich naiven, dann wieder gespenstischen Sog, der an Nope erinnert. Dieses Experimentieren mit den Erwartungen und die Freude am Erproben genrefremder Versatzstücke wirken manchmal überfordernd, und öfters wie ein von Kindern intuitiv geformter Kuchen aus der Sandkiste. Ob Psychodrama, UFO-Thriller oder Kleinstadtsatire à la Don’t Worry Darling. Ob Selbstfindung, Home Invasion oder Lovecraft‘scher Monsterfilm: No One Will Save You will zu viel und gleichzeitig, drängt seine Ideen anderen, noch gar nicht entfalteten hinterher und kann sich schwer fokussieren. Vieles ist dabei, das sich lohnt, doch letzten Endes bleibt ein skeptischer Seitenblick auf ein sonderbar sperriges Kuriosum, schräg und gleichsam bieder.

No One Will Save You (2023)

The Belgian Wave (2023)

WENN MAN NUR GLAUBEN KÖNNTE, WAS MAN SIEHT

8/10


thebelgianwave© 2023 Adrien Vidal-Berthaud


LAND / JAHR: BELGIEN 2023

REGIE: JÉRÔME VANDEWATTYNE

DREHBUCH: JÉRÔME DI EGIDIO, KAMAL MESSAOUDI & JÉRÔME VANDEWATTYNE

CAST: KARIM BARRAS, KAREN DE PADUWA, DOMINIQUE RONGVAUX, SÉVERINE CAYRON, VINCENT TAVIER U. A.

LÄNGE: 1 STD 30 MIN 


Wisst ihr was, ich denke jetzt auch mal ein bisschen quer und oute mich hier vielleicht als einer, der es durchaus in den Bereich des Möglichen verortet, dass Besucher von außerhalb seit jeher schon unser Radar stören, doch komme ich nicht umhin, folgende Conclusio zu ziehen: Selbst wenn alle Fernsehanstalten live auf Film bannen würden, wie eine fliegende Unterasse zur Landung ansetzt, Aliens da rausmarschieren wie seinerzeit bei Steven Spielberg und völlig von den Socken befindlichen Erdlingen die Hände schütteln – selbst wenn es so wäre, dass es keine Zweifel gäbe angesichts der Beweise, die im Zuge eines solchen offiziellen Besuches angesammelt werden könnten, wird es immer noch eine Fälschung sein. Das sind doch nur Special Effects, sagt selbst der von Karim Barras dargestellte Elzo Durt in vorliegendem Film, weil er einfach nicht glauben kann, was er sieht. Weil es niemand akzeptieren kann. Und niemand jemals akzeptieren will. Weil, frei nach Christian Morgenstern, nicht sein kann, was nicht sein darf. Vielleicht ist dieses Verhalten in der Natur des Menschen verankert, eine natürliche Hemmung oder instinktgetriebene Skepsis.

Die beiden peruanischen Mumien mit einem Alter von schätzungsweise tausend Jahren, die Mitte September dem mexikanischen Parlament präsentiert wurden, sehen als extraterrestrische Humanoide zwar ein bisschen künstlich aus, doch vielleicht täuscht der Eindruck nur und da ist doch mehr dran als uns das ablehnende Feedback des globalen Publikums glauben machen will. Vielleicht ist der Drang zum Fake-Glauben doch nur eine Art Selbsterhaltung zur Unterdrückung einer Panik, die zwangsläufig aufkommt, würde allen klar werden, dass es Lebewesen gibt, die uns hunderte, wenn nicht gar tausende Jahre voraus sind.

Selbst die UFO-Welle rund um die Wende von den Achtzigern in die Neunziger wird von Skeptikern längst als Massenphänomen abgetan, als verstärkter psychologischer Prozess aufgrund der vielen Medienberichte, die von fliegenden Dreiecken berichtet hatten – mit Lichtpunkten an ihren Ecken und in der Mitte ein farblich oszillierender vierter Spot. Unabhängig voneinander gaben tausende Augenzeugen verblüffend Ähnliches wieder. „I want to believe“ heisst es bei Akte X – diesen Leitsatz kann man gut und gerne überall da anwenden, wo man gerne hätte, es wäre eine Art Wahrheit dahinter. Der belgische Filmemacher Jérôme Vandewattyne möchte auch so gerne glauben. Und noch viel mehr. Er möchte glauben, und seine eigene Version des Ganzen dazuerfinden. Er möchte sein ganzes investigatives Abenteuer mit Referenzen und Zitaten, mit Drogen, Schwarzlicht und Found Footage ergänzen. Entstanden ist The Belgian Wave, der vielleicht ungewöhnlichste, vielleicht auch auf unberechenbare Weise verstörendste und absurdeste UFO-Film, den ich bislang gesichtet habe (wenn man die Serie UFO aus den 70ern mal aussen vor lässt). Science-Fiction meets Fear and Loathing in Las Vegas, da man Mysterien vielleicht nur unter dem begleitenden Konsum des richtigen Stoffs auf den Grund gehen kann.

The Belgian Wave beginnt wie eine Doku. Vandeywette pulvert jede Menge Archivmaterial von damals in seinen Film, ergänzt diese auch mit Fake-Berichterstattungen, so genau auseinanderhalten lässt sich das nie. Und dann sind sie unterwegs, dieser Elzo Durt, der den Namen eines belgischen Künstlers trägt, und die Journalistin Karen – ein ungleiches Scully & Mulder-Gespann, jedoch nicht arbeitend fürs FBI, sondern sich selbst verpflichtet. Sie suchen Elzos Patenonkel, Marc Vaerenbergh, der im Zuge seiner UFO-Recherche plötzlich spurlos verschwand. Sie tun das in einem pinkfarbenen Ghostbusters-Vehikel, nur ohne Sirene, mit jeder Menge Mikrodosen Drogen aus der Spritzpistole und einer Liste von potenziellen Zeugen, die vielleicht etwas wissen könnten. Die Sache gerät schnell aus dem Ruder, wie Johnny Depp und Benicio del Toro wissen beide bald nicht mehr, was sie glauben sollen und was nicht, was real ist oder nur Special Effects, die vielleicht im Kopf entstehen, Dank gewisser Substanzen. Dennoch verliert The Belgian Wave bei all des exaltierten Verschwörungswahnsinns niemals die Kontrolle. Das geordnete Chaos beginnt, seinen Zuseher, in diesem Fall mich, mit hineinzuziehen, doch das nur unter dem einzuhaltenden Gebot, nichts und gleichzeitig alles zu erwarten. Es kommt wie es kommen muss und das fantastische Füllhorn an grotesker Überzeichnung und mysteriösem Alien-Thrill ist so, als hätte man M. Night Shyamalan während des Drehs von Signs – Zeichen unentwegt zum Lachen gebracht. Humor trifft auf Schrecken, die Grenzen der Wahrnehmung werden neu arrangiert.

Es ist ein Piratenfilm, das sagt der Regisseur und seine Darstellerin Séverine Cayron, die nach dem Screening noch so einiges Pikantes aus dem Nähkästchen erzählt haben. Ein Film mit kaum Budget, dafür mit jeder Menge Vision. Manches mag dabei vielleicht nicht ganz korrekt abgelaufen sein, doch was tun, wenn die Lust an der Filmkunst alle übermannt. Das Potpourri in The Belgian Wave ist meisterlich getaktet, so unterschiedlich all die Komponenten auch sein mögen. Filme, die überraschen, wie eben dieser, sind selten. Filme, von denen man nicht weiß, was sie sind, das Beste, was einem passieren kann. Wenn man nachher selbst das Gefühl hat, einem Trip ausgesetzt worden zu sein, den andere Mächte steuern, dann ist die Summe seiner bizarren Teile ein überwältigendes Endergebnis. Allerdings muss man es zulassen – und überrascht werden wollen.

The Belgian Wave (2023)

Slither – Voll auf den Schleim gegangen (2006)

DA IST DER WURM DRIN

7/10


slither© 2006 United International Pictures


LAND / JAHR: USA 2006

DREHBUCH / REGIE: JAMES GUNN

CAST: ELIZABETH BANKS, NATHAN FILLION, MICHAEL ROOKER, GREGG HENRY, TANIA SAULNIER, BRENDA JAMES, DON THOMPSON, JENNIFER COPPING, JENNA FISCHER U. A.

LÄNGE: 1 STD 35 MIN


Wie habe ich bedauert, dass Michael Rookers Figur des Ziehvaters Yondu im zweiten Teil der Guardians-Trilogie seinen letzten Auftritt absolviert hat. Ich muss gestehen, der blauhäutige Pirat mit seiner pfiffigen Pfeilwaffe war schon sowas wie mein Lieblingscharakter in diesem Universum. Doch auch wenn Rooker seine Rolle nicht mehr so wirklich ausleben kann – zu Gunns Haus- und Hofensemble zählt er trotzdem. Denn mit Slither – Voll auf den Schleim gegangen war er von Anfang an dabei. Übersehen wird man ihn nicht, denn seine Figur ist diesmal eine, die ihr Äußeres so lange verändert, bis kaum mehr menschliche Züge erkennbar sind. Fast so wie in David Cronenbergs Die Fliege? Wohl eher wie in John Carpenters The Thing. Letztendlich bleibt ein Organismus zurück, der die Weltherrschaft an sich reißen will. Um diesem Bio-Aggressor das Handwerk zu legen, bedarf es eines guten Magens. Und etwas Verständnis für Charles Darwins Leitsatz: Survival of the fittest. Nicht unterschätzen sollte man auch das eigene Verständnis dafür, dass wir alle doch nur aus einem Haufen Zellen bestehen, die so ihre Befehle haben und das tun, was sie tun müssen. Dass sich die biologische Beschaffenheit aufgrund dessen, das extraterrestrische Organismen dazwischenreden, ganz anders ausgestalten kann, sollte einer gewissen objektiven Betrachtung überlassen werden. Und dann – ja, dann hat man seinen Spaß. Mit Eiterbeulen, explodierenden Körpern und grotesken Mutationen, die dem Invasor aus der Hand fressen. Doch was wäre ein Splattervergnügen wie dieses, hätte James Gunn nicht auch gleich mehrere Handvoll Zombies im Repertoire. Die schieben sich ebenfalls durch die Gassen, gesteuert von sagen wir mal den spanischen Wegschnecken nicht ganz unähnlichen Parasiten, die durch die menschliche Futterluke ins Gehirn gelangen.

Die amerikanische Kleinstadt ist dabei immer und überall der ideale Schauplatz Nummer Eins (wenn man mal von arktischen Forschungsstationen absieht), wenn es darum geht, den Worst Case zu entfesseln. Der angrenzende Wald ist dabei die Quelle allen Übels. Und kaum streift Michael Rooker durch den Forst, hat’s ihn auch schon erwischt. Ehefrau Elizabeth Banks weiß noch nichts von ihrem Unglück, und Polizist Nathan Fillion (auch in Guardians of the Galaxy Vol. 3 zu sehen) kann im Rahmen der eskalierenden Ereignisse nur noch staunend kundgeben, wie sehr er nicht glauben kann, was er sieht.

Jene, die Slither auf den Schleim gehen wollen, bekommen ein deftiges Mahl serviert. Gunn erprobt seinen Stil in einem parodistischen Genre-Punsch aus Zombiefilm, Science-Fiction und Body-Horror, alles in der Isolation eines abgelegenen Kaffs irgendwo im Nirgendwo, dessen Abgeschiedenheit erst die Hölle auf Erden möglich macht. Trotz des hohen Ekel- und Blutfaktors, trotz dieser heillos überzeichneten Eskapaden, herumspritzend mit allen möglichen Körpersäften und bizarren koitalen Riten, die, wenn man im Zoologiehandbuch blättert, längst im irdischen Tierreich zum Usus gehören, bleibt Slither so richtig bodenständig. Trockener Humor, vorzugsweise als ironisches Statement, nimmt damals schon die freche Schnauze eines Rocket Raccoon vorweg. Dabei hätte dieser einen Tick sarkastischer sein können, etwas rotzfrecher und doch nicht so um die Kompensierung bizarrer Ereignisse bemüht. Die große Furcht dabei, die Kontrolle über sich selbst zu verlieren, und die Gunn auch in seinem Suicide Squad-Spinoff Peacemaker nochmal durchlebt, hängt hier als erschreckende Eventualität über allem. Ein frecher Spruch relativiert vieles – aber eben nicht alles. Und so bleibt Slither in erster Linie ein zwar launig erzählter und leichtgewichtiger, aber durchaus mysteriöser Creature-Thriller, der sich lieber vor den Meistern des Genres, die ihn wohl inspiriert haben, ehrfürchtig verbeugt, als diese lächerlich zu machen.

Slither – Voll auf den Schleim gegangen (2006)

Asteroid City (2023)

UNHEIMLICHE BEGEGNUNG DER ANDERSON-ART

6,5/10


asteroidcity© 2022 Pop. 87 Productions LLC


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: WES ANDERSON

DREHBUCH: WES ANDERSON, ROMAN COPPOLA

CAST: JASON SCHWARTZMAN, JAKE RYAN, SCARLETT JOHANSSON, TOM HANKS, JEFFREY WRIGHT, TILDA SWINTON, BRYAN CRANSTON, LIEV SCHREIBER, MATT DILLON, EDWARD NORTON, MAYA HAWKE, STEVE CARELL, RUPERT FRIEND, ADRIEN BRODY, WILLEM DAFOE U. A.

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Trost und Hoffnung liegen in den Sternen. Und auch die Erkenntnis, als Mensch nicht der Mittelpunkt des Universums zu sein. Mit diesen sozialphilosophischen Überlegungen im Retro-Hartschalenkoffer hat sich Regie-Exzentriker Wes Anderson, der langsam schon zu seinem eigenen Manieristen wird, in die Wüste aufgemacht, genauer gesagt in den fiktiven Ort namens Asteroid City. Als Städtchen lässt sich diese Ansammlung an wenigen Häuschens kaum bezeichnen, als kleiner Touristenmagnet für Hobby-Astronomen allerdings schon. Zum Glück liegt das Kaff auch an einer Durchzugsstraße, an welcher immer mal wieder vor der Exekutive flüchtende Gauner verfolgt werden, mit lautem Tatü-Tata. Doch sonst hängt eine pastellfarbene Idylle über einem Mikrokosmos, der sich fast schon anfühlt wie Barbie-World, nur mit weniger Pink und einem weiteren Farbspektrum, dieses allerdings stark verdünnt.

Doch immerhin: So waren sie, und so sieht man sie auch, die 50er Jahre. Wer sich noch an die alten Werbetafeln erinnern kann, wird darin Andersons Stil wiedererkennen. Dazu zählen schmucke Automobile, die Diner-Restaurantkultur und kuriose Artefakte aus dem Club der jungen Erfinder und Geistesriesen, die zur alljährlichen Meteoriten-Gedenkfeier ihre bahnbrechenden Erfindungen präsentieren. So gut wie alles trifft sich an diesen Tagen an diesem Ort. Manche tun das freiwillig, manche weniger. Witwer Augie Steenbeck (Jason Schwartzman) und seine Kinder zum Beispiel – die haben eine Autopanne und müssen bleiben, bis Opa (Tom Hanks) sie abholt. Dann ist da die Schauspielerin Midge Campbell (Scarlett Johansson), die Wissenschaftlerin Dr. Hickenlooper (Tilda Swinton) und der Country-Musiker Hank (Rupert Friend) – um nur einige zu nennen. Und dann passiert das: Die unheimliche Begegnung der dritten Art. Oder eben: wie Wes Anderson sie interpretieren würde. Als kurios-liebevolles Puppenspiel kombiniert mit Real-Acting. Mit einem Alien, dass seltsamerweise an Max Schreck erinnert. Und der nostalgischen Rückbesinnung an Zeiten, in denen die USA zufrieden waren mit ihrer Allmacht und noch nicht ganz zufrieden mit dem Wettrüsten zum Mond. In welchen die USA den Zwischenfall von Roswell schon acht Jahre lang erfolgreich unter den Teppich gekehrt haben und der technologische Fortschritt zumindest in Science-Fiction Filmen gerade Fahrt aufnahm. Eine Zeit, gleichzeitig so unschuldig und schuldbeladen. Festgefahren in diesem Hin und Her steckt dann auch die ganze skurrile Gesellschaft, verharrend in einem von der Regierung verordneten Lockdown, um den extraterrestrischen Besuch geheim zu halten. Natürlich funktioniert das nicht, das Alien kam wie gerufen und wird zur Leitfigur gedichteter Kinderlieder und zum Schnappschuss eines Kriegsfotografen.

Das ist wieder ganz schön viel auf einmal, wie bei Anderson üblich. Und dennoch geht ihm ein Stoff wie dieser leichter von der Hand als in seinen letzten Filmen, die aus meiner Sicht viel zu gekünstelt und überfrachtet waren und unter ihren Ambitionen, das Setzkastenprinzip voller Anekdoten einfach vor dem Publikum auszuleeren, fast schon erstickten. Asteroid City atmet die Wüstenluft ohne diesen Druck auf der Brust. Mit Schwartzman und Familie als Dreh- und Angelpunkt des Films bewegt sich Anderson nicht ganz so weit von seiner eigenen Geschichte weg, findet aber andererseits auch nicht wirklich zu einer sich weiterentwickelten Story, die auch eine gewisse Wandlung an ihren Protagonisten vornehmen würde. Beides geschieht nicht, für beides ist auch keine Zeit, denn aus welchen Gründen auch immer muss der geschmeidige Lauf einer Science-Fiction-Dramödie aufgrund einer Metaebene unterbrochen werden, die hinter die Kulissen blickt und all die Stars, die wiederum Schauspielerinnen und Schauspieler darstellen, in 4:3 und Schwarzweiß nochmal vorführen, inklusive des Schreiberlings hinter dem Stoff, welches eigentlich ein Theaterstück sein soll, wir aber als Film sehen.

Und das ist das Problem an Andersons Filmen: Er hält sich nicht nur mit Szenen auf, die für das große Ganze eigentlich keinerlei Nutzen haben und auch nicht interessant genug sind, um für sich selbst zu stehen. Er legt seinem Ensemble auch noch Textkaskaden in den Mund, die als reißender Wortschwall über die Szene hereinbrechen und eine eigene schräge Note lukrieren sollen, die aber lediglich als stilistisches Symptom ganz schön viel kreative Makulatur in alle Himmelsrichtungen schleudert. Das Zuviel und zu Irrelevant macht Andersons Filme manchmal anstrengend. Klammert man diese überhöhte Künstlichkeit aber aus, lässt sich unter all dem Klimpim eine augenzwinkernde, leise und liebevoll parodierende Zeitkolorit-Komödie entdecken, die Leute einander über den Weg laufen lässt, die sonst nichts, aber eines verbindet: die tröstende Erkenntnis, im Universum nicht allein sein zu müssen.

Asteroid City (2023)

Rim of the World

INDEPENDENCE DAY FÜRS SOMMERCAMP

5,5/10


rimoftheworld© 2019 Netflix


LAND / JAHR: USA 2019

REGIE: MCG

CAST: JACK GORE, MIYA CECH, BENJAMIN FLORES JR., ALESSIO SCALZOTTO, ANDREW BACHELOR, ANNABETH GISH U. A.

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Die Achtziger ließen mit den Fünf Freunden, TKKG oder den 3 Fragezeichen eine Welle eingeschworener Cliquen aus Mut, akzeptiertem Anderssein und Zusammenhalt in die lernfreien Nachmittage von Volksschülern und Unterstuflern schwappen. Das Kino ist auf dieser Welle ebenfalls mitgeritten, zu sehen in Die Goonies oder Stand by Me. Das mit Hitchcock als Testimonial veredelte Detektivtrio hatte da am meisten den Drall zum Phantastischen, obwohl nach den immer gleichen, bewährten und zeitlosen Lösungsparadigmen für scheinbar paranormale Phänomene Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews am Ende des Tages stets feststellen mussten, dass alles in diesem Universum logisch erklärbar bleibt. Ein bisschen mehr über den Tellerrand des wissenschaftlich Erfassten zu blicken, hätte der Reihe nicht geschadet. Aber gut, dafür gibt’s eben Stranger Things – oder den auf Netflix erschienenen Independence Day für Halbwüchsige: Rim of the World.

Auch hier sind vorab drei, später dann vier Freunde fest davon überzeugt, die Welt retten zu können. Der Weg dorthin führt aber über eine sozialkompetente Ebene, die sich im Sommercamp des Stanislaus National Forest in Kalifornien nur schwer erarbeiten lässt. Keine bzw. keiner der späteren Junghelden ist schließlich wirklich freiwillig hier. Die einen zur Not, die anderen, weil es ihnen dann vielleicht besser geht, wenn sie unter Leute kommen. Da wähnt man sich als Zuseher noch in einer recht unmotivierten Teenieklamotte mit schräg aufgelegten Gruppenleitern, die sich bis zur Peinlichkeitsgrenze verstockten Präpubertären auf erniedrigende Weise anbiedern. Doch dieser Fremdschämfaktor vergeht recht rasch, denn es passiert, was bereits in Independence Day passiert ist: Die Welt sieht sich einer Alien-Invasion gegenüber, und ja, natürlich bevorzugen diese den nordamerikanischen Kontinent. Sie kommen mit Raumschiffen und ballern unsere Zivilisation in Grund und Boden – zum Glück können die nunmehr vier grundverschiedenen Charaktere, die sich logischerweise zusammenraufen müssen, untertauchen, aber nicht, ohne vorher eine Raumkapsel vor den Latz geknallt zu bekommen, die nicht nur eine Astronautin, sondern auch ein recht lästiges Alien mit sich führt. Erstere wird nicht überleben, übergibt den Kids aber einen Schlüssel, den sie unbedingt von A nach B bringen müssen. Wohl klar, was die Next Generation tun wird, auch wenn es immer wieder danach aussieht, als wäre das eine Mission Impossible.

Mit dieser Franchise hat Regisseur McG allerdings nichts zu tun, wohl eher mit den Charlies Angels, dem Team aus Lucy Liu, Drew Barrymore und Cameron Diaz. Filme, die genauso wenig prägnant in Erinnerung bleiben wie seine spätere Komödie Das gibt Ärger oder 3 Days to Kill. McG inszeniert Filme, die wie Fastfood schmecken – weder Fisch noch Fleisch, aber ganz ok. Nährwert gibt’s darin keinen. Den finden wir bei Rim of the World auch nicht. Wenn man aber will, dann immerhin den Willen zur Reminiszenz eines eingangs erwähnten Hypes, der schon Jahrzehnte zurückliegt und wieder in Mode kommt. Dabei bekommen die vier Kids natürlich ihr Portiönchen an biographischer Wegzehrung mit auf den Weg, aber gerade nur so viel, damit nicht der Eindruck entsteht, sich ernsthaft damit beschäftigen zu wollen. McGs Invasions-Abenteuer braucht zur Gestaltung seiner Filmfassade nur ein bisschen davon – bei der Ausgestaltung des Monsters hätte es jedoch ein bisschen mehr sein können. Darüber mal hinweggesehen: Rim of the World ist solide Teenie-Fantasy mit dem Know-how, den kindlichen Trotz aufmüpfiger Pennäler für sich zu nutzen. Damit, so scheint es, lässt sich jedes Alpha-Alien einschüchtern.

Rim of the World

Venom: Let There Be Carnage

DU HAST DA WAS ZWISCHEN DEN ZÄHNEN

4,5/10


venom2© 2021 Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH; MARVEL and all related character names: © & ™ 2021 MARVEL


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: ANDY SERKIS

CAST: TOM HARDY, WOODY HARRELSON, MICHELLE WILLIAMS, NAOMIE HARRIS, REID SCOTT, STEPHEN GRAHAM, PEGGY LU U. A. 

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Jack Lemmon und Walter Matthau hatten seinerzeit die Junggesellenbude gerockt wie kaum ein anderes Filmpaar. Ähnlich machen es Eddie Brock und sein extraterrestrischer Bruder im Geiste, das amorphe Lakritzemonster mit dem Dauergrinser – Venom. Dabei könnte das Monster überall seine nutznießerischen Fertigkeiten ausleben – beim Journalisten mit dem Hang zum Chaos stimmt jedoch auch die Wellenlänge. Vielleicht, weil sich Gegensätze erst dann anziehen, wenn sie groß genug sind. Als Venom ein paar Jahre zuvor das Licht der Leinwand erblickt hat, waren die besten Szenen jene, die keinesfalls aufs Abenteuer fixiert waren, sondern den Dauerclinch der beiden genussvoll beobachtet hatten. Das macht Andy Serkis im Sequel genauso. Ist also nichts Neues mehr und fühlt sich an wie aufgewärmt, obwohl man auch da hin und wieder schmunzeln muss. In Erwartung, abgesehen von dieser Bestandsaufnahme eines seltsamen Paares ein sattes Extra an innovativ Weitergedachtem serviert zu bekommen, macht sich stattdessen die etwas träge Erkenntnis breit, dass die bewährten Extras leider auch zu fortgeschrittener Laufzeit das gleiche Liedchen spielen wie bei Ruben Fleischers Erstling. Ein psychopathischer Antagonist wie Woody Harrelson, der ein bisschen an seinen Eskapaden aus Natural Born Killers herumprobiert, wird dabei in einer leicht bezwingbaren Stippvisite verschenkt.

In knappen hundert Minuten ist auch nicht sonderlich viel Platz für reichlich Charakterentwicklung, also konstruiert Autorin Kelly Marcel (u. a. Fifty Shades of Grey) eine sehr einfache Geschichte rund um ganz viel CGI, wüstem Kirchenvandalismus und hanebüchenen Gefahrenlagen herum. Wie schon erwähnt, haben Brock und Venom langsam genug voneinander, und nach einem Disput, der eine Wohnungsrenovierung nach sich zieht, gehen beide ihrer Wege. Währenddessen soll Serienkiller Cletus Kasady hingerichtet werden, nachdem Brock all dessen vergrabenen Leichen gefunden hat. Zum Abschied im Kittchen gibt’s einen Biss in die Hand – und schon dürstet ein weiterer Venom im Körper des Bösen nach menschlichen Gehirnen. Der allerdings ist Rot und heißt Carnage. Kasady und Carnage tun sich zusammen, weil beide ähnliche Ziele verfolgen. Klar, dass die Helden des Films erneut einen Schulterschluss bilden müssen.

Venom: Let There Be Carnage fühlt sich wie das ungeliebte Stiefkind des Marvel-Universums an. Was bei Disney nahe an der Perfektion veröffentlicht wird, sumpert bei Sony eher halbgar vor sich hin. Bei den Marvel Studios sind ganz andere Spezialisten am Werk, angeführt von einem wie Kevin Feige, der als wandelndes Comic-Lexikon weiß, wovon er spricht. Sony hat so etwas nicht. Weiß womöglich zwar, dass Venom besser beim Konkurrenten aufgehoben wäre, will die Fratze mit Klasse aber lieber behalten. Leider die falsche Entscheidung. Auch kann Gollum Andy Serkis (bei Marvel als Ulysses Klaue vertreten) zwar Regie führen, als Motion Capture-Spezialist beweist er aber eindeutig mehr Talent. In Venom: Let There Be Carnage fuchtelt Serkis sehr ungestüm herum und hofft dabei, dass die Trickschmieden den Ausgleich bringen. Dabei dehnen sich die Aliens in Rot und Schwarz wie zäher Kaugummi in alle Himmelsrichtungen, brüllen und züngeln und prügeln auf sich ein. Leider ist das kein Fight, für den man Schlange steht. Wenn Michelle Williams dann plötzlich von einem Tentakel aufgewickelt wird, dreht sich scheinbar irgendwo Ed Wood im Grabe um. Knapp am Trash eifern und geifern Venom und seine Nemesis bis zur Selbstparodie – von der Leine lässt man sie nicht. Überdies ist klar erkennbar, wann und wo das X-Rating der Schere zum Opfer fiel, dabei drängt sich Marvels Wechselbalg ja geradezu dafür auf, als blutrünstiger Splatter den Hunger der Hardcorefans nach expliziten Comic-Eskapaden zu stillen. Tut man ja mit Deadpool genauso.

Ein Knüller ist Venom: Let There Be Carnage also keiner. Darf nur von ganz weit weg der kommenden Phase des MCU zuwinken, vielleicht mit Wehmut. Es kann aber durchaus sein, dass das verlorene Schaf gefunden wird – die Post Credit Scene gibt Aufschluss.

Venom: Let There Be Carnage

The Tomorrow War

DIE ZUKUNFT KOMMT VON DEN STERNEN

6/10


the-tomorrow-war© 2021 Amazon Prime Video


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: CHRIS MCKAY

CAST: CHRIS PRATT, YVONNE STRAHOVSKI, BETTY GILPIN, J. K. SIMMONS, SAM RICHARDSON, EDWIN HODGE U. A. 

LÄNGE: 2 STD 20 MIN


In die Zukunft zu schauen ist ein ambivalenter Umstand. Zum einen meist Humbug, ganz viel Astrologie, und jede Menge Häuser in Konjunktur mit diversen Planeten, die das Glück des Tages bestimmen. Zum anderen ist es durchaus legitim, wenn’s um Dinge wie den Klimawandel geht. Dem Planeten ist das egal, uns aber könnte es bald wegschwemmen, austrocknen oder davonblasen. Zum nochmal anderen gibt’s die Zukunft, die sich kein bisschen abzeichnet, über die sich manche aber dennoch den Kopf zerbrechen. Sorge dich nicht, lebe!, sagte einst schon Dale Carnegie in seinem gleichnamigen Bestseller. Was juckt mich, wenn morgen der Komet kommt? Wenn mir morgen der obligate Ziegelstein auf´s Haupt fällt oder wenn sich Aliens in meine Wade verbeißen? Genau an dieser Stelle wird „Star Lord“ Chris Pratt Einspruch erheben.

In seinem neuen Actionkracher, welchen er stolz und mit Clint Eastwoods kennerhaftem Kneifblick anzuführen vermag, ist es möglich, per Zeitreise für rosige Aussichten zu sorgen. Aber nur, wenn alle bereit sind, für ihr Wohl zu kämpfen. So viel Einsatz würde man gern nach Greta Thunbergs Ansprachen sehen. Doch das Klima ist kein greifbares Monster. Die White Spikes hingegen, die in naher Zukunft ganz plötzlich die Erde überrennen, und anders als in A Quiet Place alle Sinne beieinander haben, sind handfeste Bioinvasoren erster Güte und jagen sich an die Spitze der Nahrungskette, während der Mensch zum Zwischenglied verkommt. Deswegen reisen bis an die Zähne bewaffnete Krieger in die Vergangenheit, um alles, was noch gerade laufen kann, für den Endkampf zu rekrutieren. Teil der zusammengewürfelten Miliz ist Dino-Dompteur Chris Pratt, der zumindest als Ex-Soldat sowas wie Kampferfahrung hat. Klarerweise sieht er sich in der Pflicht, busselt seine Familie zum Abschied und fort ist er – für eine Woche. Vorausgesetzt, er landet nicht am extraterrestrischen Buffet.

Ein bisschen konfus ist dieser Alien-Actioner schon und viel weniger präzise ausformuliert als John Krasinskis Gehör-Knaller. Während ich mich bei letzteren noch ordentlich wundern musste, warum der hochtechnologisierte Mensch es nicht auf die Reihe bekommt, instinktgetriebenen Kreaturen, die noch dazu akustisch leicht zu manipulieren sind, Herr zu werden, erscheint in diesem exklusiv auf amazon veröffentlichten Wohnzimmer-Blockbuster allein die Menge der wütenden Viecher jegliche Strategie im Keim ersticken zu können. Diese Plausibilität kann The Tomorrow War im Gegensatz zu A Quiet Place für sich verbuchen. Was der Film nicht kann, ist, das individuelle Schicksal empfindbar darzustellen. Das liegt in erster Linie an Pratt, dem es sichtlich schwerfällt, Gefühle zu zeigen. Das liegt auch an den stereotypen Charakteren, die wohl eher in den Filmen eines Roland Emmerich zu finden sind: Independence Day mit Zeitreise also, was ja mitunter auch seine als treffsichere Boni zu verortenden Vorzüge hat. Doch sieht man von der Grundidee eines Multiversums mal ab, in dem, wie seit Loki bekannt, alles erlaubt und möglich zu sein scheint, hapert es bei unserem gewissenhaften Helden am Grundverständnis, was kausale Zusammenhänge bei Zeitreisen betrifft. Auf Basis dieses kruden Missverständnisses gerät die Vater-Tochter-Geschichte zum Blindgänger. Rundherum aber ergötzt sich der Science-Fiction- und Monsterfan an wiederholten Großaufnahmen aufgesperrter, geifernder Monstermäuler, garstigen Vierbeinern, die wie in Zhang Yimous The Great Wall die Barrikaden stürmen und am Verheizen sowieso totgeweihter Erdenbürger als astreines Kanonenfutter. Etwas zynisch, dieser Krieg. Wobei – das sind sie sowieso alle.

The Tomorrow War

Psycho Goreman

VOM MONSTER, DAS NACH DER PFEIFE TANZT

3,5/10


PsychoGoreman© 2020 Koch Media


LAND / JAHR: KANADA 2020

BUCH & REGIE: STEVEN KOSTANSKI

CAST: MATTHEW NINABER, NITA-JOSEE HANNA, OWEN MYRE, KRISTEN MACCULLOCH, RICK AMSBURY U. A. 

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


„Jetzt ist endlich mal Schluss. Immer diese konformen High-End-Effektfilme. Das kann man ja wirklich nicht mehr mit ansehen.“ – Für all jene, die davon längst die Nase voll haben, gibt’s die Rosskur samt wohliger Entschlackungsphasen. Denn wo ein High-End ist, muss es auch einen Anfang geben. Der ist dort, wo das Gummimonster aus den Tiefen steigt, wo Latex nicht zwingend etwas ist, das sich im Warenkorb von Beate Uhse findet. Wo allerdings Cosplayer und Kostümbildner völlig analog und womöglich nächtelang an den unterschiedlichsten Outfits gesessen sind, um all diese Aliens und Monster und seltsamen bizarren Kreaturen den Schauspielerinnen und Schauspielern passgenau überzustülpen. Dabei ist der Bodysuit des fast schon gottgleichen Übeltäters Psycho Goreman das Meisterstück. Klar doch, muss es ja auch sein – der knorpelige Knilch dominiert die eineinhalb Stunden fast ausschließlich im Alleingang. Allerdings eben nur fast. Denn ihm zur Seite steht ein anderes Monster – ein Menschenkind. Ein Mädchen. Aber was für eins. Jedenfalls nicht Wednesday Addams, denn die hat Stil. Eine garstige Furie, die den ganzen Tag nichts lieber tut, als ihren Bruder zu piesacken. Beim Spiel im Garten legen die beiden ein seltsames Artefakt frei. Und nicht nur das. Ein ganzes Monster kommt da gleich mit. Mit anderen Worten: Die Geißel der Galaxis. Eine Kreatur, bei welcher Jack Arnold wohl feuchte Augen bekäme. Und die auch wunderbar nach Eternia passen würde, um Dolph Lundgren im Armdrücken zu besiegen. Dieser hässliche Geselle hat also nichts anderes im Sinn, als das Universum zu vernichten. Geht’s noch ein bisschen subtiler? Nein. Es kommt noch derber. Das Mädel allerdings, diese wirklich abgrundtief unsympathische Göre, hat mit diesem rosarot leuchtenden Artefakt den schlimmen Finger im Griff. Dieser muss, wild drohend und stets vor sich hin fluchend, nach ihrer Pfeife tanzen. So viel Macht macht das kleine keifende Ding auch nicht gerade zu einem besseren Menschen. Stellt sich die Frage: Wer ist hier das eigentliche Monster?

Und was zur Hölle habe ich eigentlich in so einem Film verloren? Andererseits – auch das ist wieder eine neue Erfahrung. Eine Grenzerfahrung. Psycho Goreman vom Kanadier Steven Kostanski (wer´s kennt: The Void) mag vielleicht eine Perle des schlechten Geschmacks sein – dem eigenen sollte man besser folgen, und die pelzige Bitternis im Rachenraum bleibt, auch wenn dieser Publikumsliebling des Festivalkinos seine fixe Fangemeinde hat. Es sprich natürlich nichts gegen so offensichtlich zusammengeschustertes Equipment wie hier, und besonders begrüßenswert sind die hie und da eingestreuten Stop-Motion-Sequenzen. Im Grunde genommen jedoch bedarf es einer grundehrlichen Liebe zu Filmen dieses Subgenres, einer Affinität für freudvoll ausgelebten Bodyhorror, an welchem wiederum David Cronenberg (ich sage nur: Knochenwaffe) seine Freude gehabt hätte. Dabei wäre seine Version wohl längst nicht so sarkastisch und augenzwinkernd ausgefallen wie hier, denn das muss ich zugeben: Das verdrehte Machtgefüge zwischen zöpfeschwingendem Rumpelstilzchen und bärbeißigem Alien-Killer hat ordentlich Potenzial, da lässt sich bissig parodieren bis zum Weltuntergang. Vielleicht muss man Psycho Goreman auch sickern lassen und den bizarren Karneval aus malträtierten Leibern, aufgefressenen Widersachern und von außen nach innen gestülpten Erdlingen sowieso keine Sekunde lang ernst nehmen.

Wo Knights of Badassdom gerade erst angefangen hat, macht Psycho Goreman weiter. Als abseitiger, stilverwirrter „Familienfilm“ zwischen Exploitationkino und Joss Whedons Buffyverse lässt sich dieser Streifen hier auf die Liste fragwürdiger Sichtungen setzen, die sich ganz bewusst und auch ganz reuelos über ihren eigenen ausgefeilten Dilettantismus amüsieren. Kostanski, B-Movie-Liebling für alles Bizarre, versteht dabei sein Business. Ohne Ironie wäre das Ganze für die Tonne. Doch auch mit Ironie hinterlässt dieses Junkfood aus dem Bahnhofskino ungesunden Mundgeruch. Ganz so, wie Psycho Goreman einen haben muss.

Psycho Goreman

Captive State

TERROR FÜR DEN GUTEN ZWECK

5/10


captivestate© 2019 eOne Germany


LAND: USA 2018

REGIE: RUPERT WYATT

CAST: JOHN GOODMAN, ASTHON SANDERS, JONATHAN MAJORS, VERA FARMIGA, KEVIN DUNN, KIKI LANE U. A. 

LÄNGE: 1 STD 51 MIN


Was wäre gewesen, wenn die fiesen Aliens in Emmerichs Independence Day die Schlacht um den Planeten gewonnen hätten? Genau genommen nichts mehr, denn die Invasoren hätten uns ausradiert. Aber was, wenn diese Aliens letzten Endes doch hätten Milde walten lassen. Was dann? Dann wäre womöglich das passiert, was in Captive State schon seit neun Jahren den Alltag der Menschheit prägt: ein Leben unter der Fuchtel einer fremdartigen Rasse, einer Übermacht, die nur mit dem Finger (sofern sie welche hätte) zu schnippen braucht, schon wären wir ausgelöscht. Ein Leben unter solchen Bedingungen wird irgendwann zur Normalität, wenn doch die im Polit-Sprech verharmlosten Legislatoren auf Harmonie, Wohlstand, Gleichberechtigung und Frieden setzen. Das ist natürlich keine Kunst, diese Werte durchzuboxen, wenn jeder eine Wanze unter seinem Schlüsselbein trägt, die jeden Handgriff registriert. Zum Glück sind noch die Gedanken zollfrei, also wäre es nicht die unterjochte Spezies Mensch, würde sich nicht irgendwo Widerstand regen. Ganz so wie in Star Wars. Dieser Widerstand ist wie ein Funken, der das Streichholz… ja ganz genau, das hat schon Poe Dameron in The Last Jedi gesagt, das sagen nun auch die Rebellen hier, die als Terrorzelle den im Untergrund lebenden gesichtslosen IIgelwesen das Wilde runterräumen wollen.

Terror im Namen der Menschheit. Nichts anderes beschreibt Rupert Wyatts (Planet der Affen: Prevolution) dystopischer Rebellenthriller, der allerdings stark mit Reizen geizt. Seinen Fokus legt Captive State weniger auf die Konfrontation der Aliens, die man nur sehr selten bis gar nicht zu Gesicht bekommt, sondern viel mehr auf die Aufdröselung der Mechanik einer terroristischen Zelle, die sich gegen einen unsichtbaren Unterdrücker formiert, der den Mensch als Exekutive benutzt. Wovon sich der Zuseher ebenfalls kein Bild machen kann, ist die Beschaffenheit der Invasionsmacht. Anscheinend haben die so einiges im Orbit des Planeten in petto. Was genau, weiß keiner. Man erfährt also überhaupt nichts. Da stellt sich die Frage: was wollte Rupert Wyatt mit seinem Film tatsächlich herausarbeiten? Dass Terror, dass Rebellion die einzigen Möglichkeiten sind, Zustände wie diese zu ändern? Captive State legitimiert diese Methode. Ein Glück für den Film, nicht als Verherrlicher zerstörerischer Umtriebe herzuhalten, ist doch das, was bekämpft werden soll, offensichtlich und rein objektiv etwas Falsches. Wie das Imperium eben. Und da muss man gar nicht so weit ausholen, um im Phantastischen zu fischen: da reicht das Herumkramen in der Geschichte des Kolonialismus. Britische, holländische, spanische Invasoren – die waren aus der Sicht der Indigenen auch nichts anderes als Aliens. So gesehen muss Terror ebenfalls zwei Seiten haben, eine legitime und eine verbrecherische.

Neben seinem gesellschaftspolitischen Statement funktioniert Captive State jedoch nur halb so gut. Als Science-Fiction-Film lässt das Drehbuch einfach zu viele Komponenten unerwähnt. Befriedigend ist das nicht. Dazu mengen sich auch gehörige Längen, einzelne Figuren, deren Notwendigkeit sich mir bis zum Ende nicht erschlossen haben und ein nicht ganz schlüssig erklärtes Kräfteverhältnis zwischen Menschen und Unterdrücker. Wäre spannend gewesen, auch die Seite der „anderen“ zu hören. Wäre spannend gewesen, den Film von Neill Blomkamp nochmal überarbeiten zu lassen, der mit District 9 ein etwas ähnliches aber viel realistischeres Szenario entworfen hat. Bei Captive State, so scheint’s, bleibt vieles seltsam ahnungslos.

Captive State

Metaluna IV antwortet nicht

UNENDLICHE WEITEN AUS ALTEN ZEITEN

7,5/10

 

metaluna4antwortetnicht© 1955 Universal Pictures

 

LAND: USA 1955

REGIE: JOSEPH M. NEWMAN, JACK ARNOLD

CAST: JEFF MORROW, REX REASON, FAITH DOMERGUE, LANCE FULLER U. A.

LÄNGE: 1 STD 27 MIN

 

Auf dem Sender Syfy hat man immer wieder mal die Chance, für Stunden in die fernsehnostalgischen Gefilde der alten Enterprise-Crew abzutauchen. Wenn William Shatner und Co zwischen Pappmaschee-Felsen herumstrolchen und Gummimonster aus dem Hinterhalt angreifen, hat das einen Guilty-Pleasure-Wert, der fast schon mit Solid Gold aufzuwiegen ist. Raumschiff Enterprise startete 1966, das ist ewig her. Doch Moment – das ist immerhin schon 11 Jahre nach einem gewissen Science-Fiction-Klassiker, der damals schon, 1955 also, tief in die Trickkiste gegriffen hat, um zu veranschaulichen, wie es denn aussehen könnte, zu fremden Planeten zu reisen. Und wie es, lange vor Men in Black, aussehen könnte, wenn This Island Earth (so der Originaltitel dieses Films) bereits längst von Außerirdischen unterwandert worden wäre.

65 Jahre auf dem Buckel, und das womöglich an unsichtbaren Nylonseilen hängende, recht holprig ins Bild schwebende UFO hat bereits schon einiges an Patina angesetzt. Metaluna IV antwortet nicht nimmt Motive aus Perry Rhodan und Star Trek vorweg: Der Pilot und Wissenschaftler Dr. Meacham bekommt eines Tages eine seltsame Lieferung in sein Labor gesandt: es ist dies ein sogenannter Interozitor (was für ein Ding!), mit dem der toughe Kerl Kontakt mit einem sehr obskuren Zeitgenossen namens Exeter aufnehmen kann. Der wiederum wirbt den Atomphysiker für ein ebenso obskures Projekt an. Und weil Dr. Meacham von Natur aus neugierig ist, wagt er sich ins Ungewisse – um später festzustellen, dass die Erde nicht der einzige Planet im Universum ist, der intelligentes Leben beherbergt. Er selbst und eine Fachkollegin, die genötigt werden, nach Metaluna IV zu reisen, werden Zeugen eines Sternenkrieges zweier Völker.

Klingt umsetzungstechnisch sehr anspruchsvoll? Ist es auch: Joseph Newman, unter der Mithilfe von Monster-Movie-As Jack Arnold, lässt radikalen Retro-Charme spielen, dem sich garantiert kein eingefleischter Science-Fiction-Fan, der bereits von Anfang an mit dabei sein will, entziehen kann. So simpel auch all die Szenen im Weltraum, all die Pyrotechnik und das legendäre Monster auch getrickst sein mögen – gerade diese analoge Einfachheit, dieser offensichtliche Versuch einer Illusion des Phantastischen, erklärt dieses Werk zu einer unfreiwillig komischen, aber schätzenswert komischen Antithese zum Bildperfektionismus der Gegenwart. Was für eine wohlige Entreizung. Dabei hat der Plot dazu immer noch oberste Priorität. Und das Setting? Futurismus pur. Zwischen kruden Atomium-Modellen als Schaltzentrale der Aliens, kuriosen Druckausgleichsapparaturen und wunderbar gemalten Matte Paintings, die all die Perry Rhodan-Coverzeichner nicht besser hinbekommen hätten, tummeln sich weißhaarige Ur-Klingonen mit hoher Stirn. Das Beste aber kommt noch: Mit dem insektoiden Bodysuit-Mutanten samt Hydrozephalus-Hirn haben die Macher eine Kultfigur geschaffen, die Tim Burton sehr viel später für seine Marsmonster aus Mars Attacks inspirieren wird.

Metaluna IV antwortet nicht