Rabbit Trap (2025)

HÖR MAL, WAS DA SPRICHT

6,5/10


© 2025 Bankside Films


LAND / JAHR: USA, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2025

REGIE / DREHBUCH: BRYN CHAINEY

KAMERA: ANDREAS JOHANNESSEN

CAST: DEV PATEL, ROSY MCEWEN, JADE CROOT U. A.

LÄNGE: 1 STD 37 MIN


Wir lieben die Natur, wir schätzen die Natur und wir missachten sie gleichermaßen, weil wir davon ausgehen, dass wir längst verstehen, wie sie tickt. Doch das tun wir nicht. Wir haben keine Ahnung, was Natur eigentlich ist, wie alles zusammenpasst und ineinandergreift, was sie uns sagt und von uns verlangt. Und vor allem: was warum auf welche Weise seinen Nutzen hat. Wir lauschen also da hinein, ins Rauschen der Wälder, ins Zirpen der Vögel und ins Knarren und Knacken der Bäume. Dazwischen gibt es aber auch noch etwas. Eine Melodie, ein Raunen und Singen, eine ganze verborgene, metaphysische Landschaft aus einer Art dunkler Materie, die alles zusammenhält, in der Zwischenwelten und Zwischenwesen existieren. Diese Entität weckt Aberglauben und Ängste und erzählt von Gestalten, die es angeblich gar nicht gibt. In Skandinavien ist der Glaube an verborgene Völker wie Trolle, Feen oder Zwerge fest im kulturellen Erbe verankert, anderswo führen Forststraßen durch erschlossene Nationalparks und aufgekaufte Hektar, der Urwald ist mittlerweile etwas Besonderes, weil so seltenes.

Dem Rauschen lauschen

Am Rande eines solchen jedoch, fernab von jeglichem urbanen Treiben, isoliert im Nirgendwo wie auf einer Insel, dorthin hat sich das durchaus exzentrische Paar der Davenports zurückgezogen – Daphne und Darcy machen Musik, keine klassische, sondern experimentelle wohlgemerkt, die sich aus Klängen, Geräuschen und Wortfetzen zusammensetzt, dazwischen wummernde Synthies, lautstark aus diversen Boxen dröhnend, die an diversen Verstärkern hängen und so das rustikale Cottage und die ganze Umgebung ihren Rhythmen unterwiren. Während Daphne den Sound mixt, macht sich Darcy auf die Suche nach lohnenswerten Vibes und stößt dabei, wie kann es anders sein, auf ein höchst seltsames Geräusch, das so klingt, als wäre es durch Menschen verursacht – ein Flüstern, Kreischen und Wimmern. Die Stimme des Waldes, der Natur? Ganz benommen von dieser Entdeckung, dröhnt der neue Soundmix in satter Tonlage durch die Räume, durch die Wände, in die Welt zurück – um eine Gestalt anzulocken, eine junge Person, eigentlich noch ein Teenager, vielleicht gar minderjährig, niemand weiß das so genau. Sie steht da plötzlich vor dem Haus, wird hereingebeten, man freundet sich an, übernimmt völlig ungeachtet eines Vorsatzes so was wie Verantwortung – bis die Balance ganz deutlich kippt und klar wird, dass dieser fremde Mensch, der nicht mal einen Namen besitzt, etwas ganz anderes sein muss, nur nicht menschlich.

Verständnis für das Unverstandene

Es kann sein, dass Rabbit Trap von Debütant Bryn Chaney mit der Fülle seiner Ideen zu sehr auf die Dynamik dieses höchst mysteriösen und nicht immer ganz verständlichen Mysteriums drückt, obwohl es, wie man bald bemerkt, genau darum geht: um Verständnis für etwas, das der Mensch nicht versteht. Chaneys Film handelt von Gnade, Respekt und Verantwortung, von nicht erfüllbaren Zugeständnissen und dem namenlosen Dazwischen als Essenz für eine Dimension, die der unseren, begreifbaren und analysierten, inhärent zu sein scheint. Schauspielerin Jade Croot gibt dabei der phantastischen Figur des Findelkinds eine bemerkenswert unheilvolle Aura, pendelt zwischen erregtem Mitleid, Freundlichkeit und erschreckend raumfüllender Dominanz hin und her – dabei hält sich „Slumdog Millionaire“ Dev Patel ohnehin nur in einem Zustand der völligen Verwirrung auf, bleibt neben der Spur, verliert die Orientierung genauso wie Co-Star Rosy McEwen (Harvest). Faszinierend, was Chaney aus seiner Grundsatzannahme, die Natur ist mehr als die Summe ihrer Teile, alles hervorwuchern lässt. Als wäre es nur eine durch natürliche Drogen verursachte Wahrnehmung, verfängt sich das Schauspiel-Duo in einem Regelwerk unsichtbarer Mächte. Das darauffolgende dekorative Brimborium, den opulenten Overkill aus Sinnbildern und illustrierter Metaphysik, hätte es vielleicht gar nicht gebraucht. Tatsächlich ist das schon zu viel des Guten, wenngleich das Visuelle von Rabbit Trap durchaus besticht und das Staunen sich in die eigene Mimik schleicht.

Sieht man genauer hin und sucht vielleicht nach Vergleichen in der Filmgeschichte, die die Inkarnation von etwas Abstraktem zum Thema haben, stößt man vielleicht auf Michael Endes Unendlicher Geschichte und seine kindlichen Kaiserin, die flehentlich darum bittet, verstanden und benannt zu werden. Bei Rabbit Trap ist es die Natur, die keiner will, aber dringend braucht, um überhaupt weiterzumachen.

Rabbit Trap (2025)

Orang Ikan (2024)

ÜBERDOSIS OMEGA-3

5,5/10


© 2024 Splendid Film


LAND / JAHR: INDONESIEN, JAPAN, SINGAPUR, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2024

REGIE / DREHBUCH: MIKE WILUAN

KAMERA: ASEP KALILA

CAST: DEAN FUJIOKA, CALLUM WOODHOUSE, ALEXANDRA GOTTARDO, LUCKY MONIAGA, ALAN MAXSON U. A. 

LÄNGE: 1 STD 23 MIN


Orang-Utan ist wohl jedem ein Begriff, den muss ich nicht erklären. Woher der Name stammt, vielleicht schon, denn der wurzelt in der malaiischen Sprache und heisst soviel wie Waldmensch. Orang für Mensch. Utan (oder Hutan) für Wald. Dann gibt es noch den Orang Pendek (oder Pendak), heisst soviel wie kleiner Mensch. Der Knilch ist nach wie vor ein kryptozoologisches Phänomen und soll sich in den Wäldern Sumatras herumtrollen. Und dann gibt es Orang Ikan. Was Orang bedeutet, wissen wir, und Ikan steht für Fisch. Ein Flossenwesen also auf zwei Beinen, sonst wäre er nicht humanoid. Für den gibt es auch keine wissenschaftlichen Belege, und im Gegensatz zur Pendek-Version reden wir nicht mal über Sichtungen. Denn Orang Ikan stammt aus der Feder von Mike Wiluan, einem in Singapur geborenen Filmemacher, der sich wohl eine ausgewiesen Vorliebe für die frühen Monsterfilme der 50erjahre bewahrt hat, insbesondere für jene von Jack Arnold, und da wieder insbesondere für jenen, der sich Der Schrecken vom Amazonas nennt. In diesem effektiv gefilmten, kauzig-monströsen Klassiker tummelt sich eine Jumpsuit-Unterwasserkreatur im tropischen Sumpf und findet Gefallen an einer – wie kann es anders sein – schönen Frau, die zu ihrem Leidwesen als Teil einer Forscher-Crew das eine oder andere mal durchaus ihr stimmliches Organ beanspruchen muss. Denn wenn man da nicht weiß, was da aus der Tiefe steigt, mag der titelgebende Schrecken schon groß sein. So groß wie ein Mann, der sich damals im Gummikostüm halb zu Tode hat schwitzen müssen. Viele Jahrzehnte später schenkt Guillermo del Toro diesem Fischwesen eine phantastisch-romantische Hommage in barocken Bildern: The Shape of Water wurde zum Oscar-Hit.

Des Fisches Blutgesang

Preislich wird Orang Ikan wohl keine Trophäen abräumen – dafür hätte Mike Wiluan den genretypischen Werkzeugkasten wohl ausleeren und neu einsortieren müssen. So aber bleibt er der Art und Weise, wie man Seemansgarn erzählt, zu hundert Prozent treu, wenngleich er in Sachen monströser Grimmigkeit gerne noch ein Schäuflein nachlegt. Denn Orang Ikan, der hat wohl vom Predator viel gelernt. Darunter auch, wie man Köpfe abreißt und menschlichen Schwächlingen eine Frontal-Gastroskopie verpasst. Wiluan will seine Kreatur so furchterregend wie möglich erscheinen lassen – als Mischung aus Tiefseefisch, Jack Arnold-Body und eben einem Jautja (wie die Spezies des Predators eigentlich bezeichnet wird). Vieles in diesem Film erfreut sich filmischer Referenzen, wenig bleibt als eigenständige Idee auf diesem einsamen, sagenumwobenen Eiland zurück, an dessen Gestaden ein Japaner und ein Amerikaner zur Zeit des Pazifikkrieges ihr Bewusstsein wiederfinden, nachdem ihr Kriegsschiff auf Grund lief. Beide sind aneinandergekettet und hätten als Straftäter wohl eher den Gezeiten überantwortet werden sollen – nun hat es sie noch schlimmer getroffen, denn jetzt ist Orang Ikan hinter ihnen her, um was zu tun? Die Insel zu verteidigen? Potenzielle Nahrung zu sammeln?

Was folgt, ist ein gelb- und grünstichig gefilmtes Guilty Pleasure ohne Überraschungen, dafür aber mit einigen Gore-Szenen und ganz viel Dschungel-Feeling. Das Wesen darf sich einem knackigen Äußeren erfreuen, ganz ohne CGI und somit herrlich analog, wie in den guten alten Zeiten. Für Monsterfans ist Orang Ikan ein genüssliches Junk Food, da lässt sich über seifiges Pathos gerne hinwegsehen.

Orang Ikan (2024)

Vivarium – Das Haus ihrer (Alp)Träume (2019)

ELTERNSCHAFT ALS ZWANGSARBEIT

7/10


© 2019 Leonine Pictures

LAND / JAHR: BELGIEN, IRLAND, DÄNEMARK, USA 2019

REGIE: LORCAN FINNEGAN

DREHBUCH: GARRET SHANLEY

CAST: IMOGEN POOTS, JESSE EISENBERG, JONATHAN ARIS, SENAN JENNINGS, EANNA HARDWICKE U. A. 

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Auf IMDB schrammt Lorcan Finnegans kosmischer Horror gerade mal an der 6 Punkte-Hürde vorbei. Ein passabler Schnitt bei 81.565 Bewertungen, allerdings nur eben das: passabel. Da wäre noch Luft nach oben, und diese Luft aber will keiner, der Vivarium gesehen hat, so richtig gerne verknappen, denn Filme, die das Bedürfnis des Publikums nach einer geordneten und rational zu begreifenden Welt nicht erfüllen, stoßen durchaus auf Ablehnung. Vivarium ist daher eines im Vorfeld ganz und gar nicht: Ein Wohlfühlfilm.

Es scheint, als hätten Edgar Allan Poe oder H. P. Lovecraft an dieser akkuraten Hölle ihre Ideen beigesteuert, oder besser gesagt: ihre Ängste, die sich in literarischen Visionen längst manifestiert haben. Vermengt mit den Elementen aus den Büchern und Filmen, die uns extraterrestrische Invasionen mit Schmackes veranschaulicht haben, greift das bizarre Szenario nur so um sich. Diesem ausweglosen Alptraum müssen sich, und so viel haben wir, woran wir uns festhalten können, zwei bekannte Gesichter unterordnen. Es sind dies Imogen Poots und Jesse Eisenberg, der zuletzt mit seiner Regiearbeit A Real Pain, ein tragikomischer Herzwärmer, reüssierte. Eisenberg aber ist hier – fast so wie in A Real Pain und auch in der Martial-Arts-Groteske The Art of Self-Defense oder aber in der Männlichkeits-Metapher Manodrome – ein anfangs stinknormaler und fast farbloser bis unsichtbarer Durchschnittsbürger, der im Grunde nichts anders mit sich anzufangen weiß als den Durchschnitt zu leben, den Normalo bar excellence, in dessen Innerem aber der eitle Wahnsinn brodelt. An seiner Seite Filmfreundin Imogen Poots (u. a. 28 Weeks Later), beide möchten als Gemma und Tom ein trautes Heim bald ihr eigen nennen. Immobilienmakler gibt es viele, doch leider müssen die beiden zu ihrem Unglück in jene Filiale reinschneien, die der seltsame Martin betreut. Ein gespenstischer Typ, der psychopathische Witz eines biederen Ladenhüters mit falschem Grinsen und womöglich feuchtem Händedruck. Ihm folgen sie per Automobil in eine abseits gelegene Reihenhaussiedlung, die den Begriff des Reihenhauses auch auf die Spitze treibt. Soweit das Auge reicht ein und dieselben vier Wände, nur ihre tragen die Nummer 9. Während Gemma und Tom sich umsehen, macht sich Martin aus dem Staub. Und wer nun glaubt, das Liebespaar findet den Weg ganz von allein retour, der irrt gewaltig. Sie müssen bleiben, und zwar eine ganze lange Zeit. Es gibt kein Entkommen, solange das seltsame Baby, das plötzlich in einem Pappkarton am Straßenrand liegt, nicht in deren Obhut aufwachsen kann.

What the Fuck? Sehnsüchtig wartet man auf eine Erklärung. Letztlich bleibt man so rat- und hilflos wie Gemma und Tom, die in absoluter Isolation und unter einem seltsam weltfremden Himmel, der aussieht, als wäre er von schlechter KI generiert, dahinfunktionieren. Finnegans Film hält sein Publikum insofern bei der Stange, da er Hoffnung sät. Jede weitere Szene könnte es soweit sein, und die beiden kommen dem Geheimnis auf die Spur.

Vielleicht gelingt es ihnen, vielleicht auch nicht: Verantwortlich für einen der bizarrsten Independentfilme der ausgehenden letzten Dekade zeichnet Garret Shanley – kennt man bereits sein Skript zum Rache-Horror Nocebo mit Eva Green, lässt sich erahnen, wie weit der Autor auch hier gehen wird können. Vivarium ist beklemmend und grotesk, strotzt vor verstörenden Ideen und genießt die Freiheit des fantastischen Kunstfilms, ohne auf das Einspiel Rücksicht nehmen zu müssen. Unter solchen Voraussetzungen erweitert das Kino seine kreative Palette und lukriert dabei ordentlich Courage, den Erwartungshaltungen des Mainstreams entgegenzutreten. Das gefällt nicht jedem, wenn die erzählerische Finsternis mit der Sehnsucht nach rationaler Ordnung Schlitten fährt.

Vivarium – Das Haus ihrer (Alp)Träume (2019)

She Loved Blossoms More (2024)

DR. WHO IM DROGENRAUSCH

5/10


She Loved Blossoms More© 2024 Yellow Veil Pictures


LAND / JAHR: GRIECHENLAND, FRANKREICH 2024

REGIE: YANNIS VESLEMES

DREHBUCH: YANNIS VESLEMES, DIMITRIS EMMANOUILIDIS

CAST: PANOS PAPADOPOULOS, JULIO GIORGOS KATSIS, ARIS BALIS, SANDRA ABUELGHANAM SARAFANOVA, ALEXIA KALTSIKI, DOMINIQUE PINON U. A.

LÄNGE: 1 STD 26 MIN


Dieser Film ist vieles, aber nichts wirklich konkret. Und ja, es ist keine Übertreibung, zu behaupten, She Loved Blossoms More des Griechen Yannis Veslemes, der sein Werk per Videobotschaft genauso wenig enthusiastisch gehostet hat wie seine Protagonisten letztlich die Sache in dieser Geschichte angehen werden, ist wohl eines der unzugänglichsten, aber auch unzulänglichsten Kuriositäten, die ich, auf Slash-Schiene fahrend, bisher sehen konnte. Da hatte selbst der verrückte The Belgian Wave noch einen roten Faden, während man sich in einem Tagtraumzustand wie diesen, der mit anderen Dimensionen kokettiert, einfach nur verlieren kann. Das ist aber nicht im positiven Sinn gemeint. Verlieren kann man – oder sollte man sich gar in einem Film als inhärenter Teil der Geschichte ohne aktive Funktion. Bei She Loved Blossoms More verliert man sich, als stünde man des Nächtens auf einem unberuhigten Verkehrsknotenpunkt in einem sogar noch alphabetisch fremden Land und müsste seinen Weg nachhause finden. Das Einzige, was als Fixpunkt herhalten kann, ist das weitläufige, düstere, holzwurmstichige Herrenhaus der Familie, bewohnt von drei Brüdern, die ihr Dasein irgendwo in naher, tropisch feuchter Zukunft am Rande von Athen mehr oder weniger bekifft und zugedröhnt bestreiten – verfilzt, antriebslos, gekleidet in verwaschenen Bademänteln und zwischendurch mal die tote Mutter betrauernd, die vor dem Haus begraben liegt. Im Wintergarten steht ein Schrank aus dem Jugendstil, eine Art „Tardis“, innen ausgepolstert und dazu da, Portale in andere Dimensionen zu öffnen. Genaugenommen soll keine Zeitreise, sondern ein Trip ins Jenseits unternommen werden, um das Projekt des abgängigen Vaters (Dominique Pinon, Delicatessen, Alien – Die Wiedergeburt) zu Ende zu führen und die allerliebste Mama zurückzubringen. Dabei testen sie die innovative Gerätschaft zuerst mal mit Schweinen und Hühnern – beides misslingt auf seine Art und hinterlässt einerseits grässliche, andererseits verblüffende Mutationen.

Und so geht es weiter, unter dampfenden Nächten und matthellen Tagen, immer im und ums Haus herum, später gibt’s Damenbesuch – die promiskuitive Griechin wird dann schließlich ebenfalls in den Schrank gesteckt – und ab da an wird es richtig konfus und so, als hätte Yannis Veslemes rein intuitiv und assoziativ inszeniert, denn was seinem Film schließlich fehlt, ist eine Richtung, ein Rhythmus, eine Stringenz in all dem Hokuspokus. Kaum glaubt man, es gehe etwas weiter, kehrt der bizarre Müßiggang wieder zu seinen Anfängen zurück, es ist wie Rutschbahn und Leiter, und andauernd erwischt es die Rutschbahn, die man auf grünem Schleim hinuntergleitet. Dieser Schleim zieht sich dann auch durch den Film, womöglich ist es Dimensionsschleim, keiner weiß es so genau, nicht mal der Regisseur und schon gar nicht seine Darsteller. Als würde Fear and Loathing in Las Vegas eben nicht in Las Vegas spielen und nur auf der Stelle treten, ein halbes Huhn am Schoß und den Kopf der Freundin, pittoresk gespalten, im oberen Schlafgemach. Surreales und Wundersames sind Veslemes Spezialität, sein Rätselspuk wäre ja vielleicht ganz reizvoll, hätte er wohl mehr darauf verzichtet, die Stadien unterschiedlicher Wahrnehmungszustände alle gleich aussehen oder die Brüder nicht andauernd dumm aus der Wäsche gucken zu lassen. Ein bisschen enerviert das Ganze, wenngleich die Bildsprache, die an Jean-Pierre Jeunets Frühwerke erinnert, und so manche verrückte Idee für sich durchaus ihre Berechtigung haben, ja geradezu verblüffen, hätte man sich erzählerisch am Riemen gerissen als nur das in Stichworten niedergeschriebene Protokoll eines Brainstormings als Film umgesetzt. Kann man machen, alles ist möglich, gerade im Phantastischen. Ob es funktioniert, steht auf einem anderen Blatt. Oder findet sich in einer anderen Dimension.

She Loved Blossoms More (2024)

Suitable Flesh (2024)

BODYSWITCH IM CTHULHUVERSE

7/10


SuitableFlesh© 2023 Shudder


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: JOE LYNCH

DREHBUCH: DENNIS PAOLI, NACH DER KURZGESCHICHTE VON H. P. LOVECRAFT

CAST: HEATHER GRAHAM, JUDAH LEWIS, BRUCE DAVISON, JOHNATHON SCHAECH, BARBARA CRAMPTON, CHRIS MCKENNA, J. D. EVERMORE, ANN MAHONEY U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Obwohl der Begriff im Film nicht namentlich erwähnt wird, muss man dennoch die Frage stellen: Wer oder was ist Cthulhu? Kenner des Gesamtwerks von H. P. Lovecraft wissen: dieser Mann hat einen Mythos herbeifantasiert, welcher sich durch viele, um nicht zu sagen fast alle seine Werke zieht. Dieses uralte Geheimnis birgt die Tatsache, dass dieser unserer Planet Äonen noch vor dem Auftauchen des Menschen durch die sogenannten großen Alten besiedelt wurde. Diese haben sich dann mehr oder weniger von der Bildfläche verabschiedet, manche davon haben sich in die Tiefe der Meere zurückgezogen, manche tarnen sich und leben unter uns, was gerne zu paranoiden Visionen führen kann. Seit den Bergen des Wahnsinns hat sich Cthulhu und alles, was dazugehört, zu einem Verschwörungsmythos hochstilisiert, der das Genre des Kosmischen Horrors durchdringt und unter anderem auch in der Kurzgeschichte Das Ding an der Schwelle zu finden ist. Dass sich Lovecraft durchaus verfilmen lässt, hat zuletzt eine der Episoden aus Guillermo del Toros Cabinet of Curiosities bewiesen: Pickman’s Model mit Ben Barnes. Horror wie ein Schlag in die Magengrube. Keine Erlösung, stattdessen nur der Wahnsinn.

Die Farbe aus dem All ist auch so ein Lovecraft-Vehikel. Nicolas Cage verfällt da samt Familie einem violetten Leuchten – Dinge, Körper und ganze Landschaften verändern sich. Kann man ansehen, wenn man auf Body Horror-Rambazamba steht. Das Ding an der Schwelle hat sich Joe Lynch zu Herzen genommen und daraus den mit Heather Graham prominent besetzten Suitable Flesh inszeniert: einem Bodyswitch-Schocker, der es faustdick hinter den Ohren hat. Der sich anfangs jedoch so anfühlt, als hätten wir es hier mit Dutzendware aus der Mindfuck-Billigschiene zu tun, für welchen Heather Graham vielleicht angesichts mangelnder Angebote dann doch eingewilligt hat, nur, um wieder mal vor der Kamera zu stehen. Allerdings ist es nicht so, als ob Graham hier nur ihre Zeit absitzt und brav die Regieanweisungen Lynchs befolgt. Es scheint etwas an dem Film zu sein, wofür die mit Paul Thomas Andersons Boogie Nights bekannt gewordene Schauspielerin so etwas wie Herzblut investiert. Sie gibt die Psychiaterin Elizabeth Derby, Expertin auf dem Gebiet außerkörperlicher Erfahrungen, die eines Tages mit einem Fall konfrontiert wird, der sie an ihre Grenzen bringt. Ein junger Mann taucht auf und behauptet, von einem Bewusstsein temporär gesteuert zu werden. So wie es aussieht, könnte der eigene Vater dahinterstecken. Derby geht der Sache nach, stößt auf das schmucke Anwesen von Vater und Sohn, allerdings auch auf mittelalterliche Schwarten, in denen der Cthulhu-Mythos schlummert. Dumm nur, dass zu ebendieser Stunde ihr Patient gar nicht mehr Herr seiner Sinne ist, als er aufschlägt und seine Psychologin zu einem sexuellen Ex temporae verführt. Mit nachhaltigen Folgen.

Natürlich klingt Suitable Flesh nach ordentlichem B-Movie. Nach Sex und Ekel, Bodyhorror, Körpertausch und nackten Brüsten. Nach Monsterkino und Kellerhorror. In Joe Lynchs aufgekratzter, allerdings auch düsterer Horrorkomödie hält sich permanent eine undurchdringliche, kryptische Metaebene, die ganz dem verqueren Gedankengut von Lovecraft entspricht. Das Wie und Weshalb wird ohnehin niemals erklärt, manche Szenen enthalten Andeutungen für Insider. Details, die seltsam anmuten, die näher erforscht werden wollen, verschwinden auf Nebenspuren der Handlung, bis sie nicht mehr zu erkennen sind. In lustvoller Gier nach Blut und multiplen Identitäten schraubt sich der hyperaktive Streifen in lächerlich absurde Höhen, die so lächerlich nicht sind, weil sie in Lovecraft’scher Konsequenz den maximalen Fall zelebrieren. Immer noch haben wir das billige B-Movie als Fassade, dahinter ein Freaky Friday mit alten Mächten, deren wahre Gestalt ein Geheimnis bleibt. Den rotierenden, sich selbst einholenden Wahnsinn verewigt Lynch formschön mit trudelnder Kamera, die keinen Halt mehr findet.

Suitable Flesh (2024)

Cuckoo (2024)

ALPTRAUM IM ALPENRAUM

4/10


cuckoo© 2024 Neon


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, USA 2024

REGIE / DREHBUCH: TILMAN SINGER

CAST: HUNTER SCHAFER, DAN STEVENS, JESSICA HENWICK, MARTON CSÓKÁS, JAN BLUTHARDT, MILA LIEU, PROSCHAT MADANI, ÀSTRID BERGÈS-FRISBEY, GRETA FERNÁNDEZ, KONRAD SINGER U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Der Tourismusverband des Bundeslandes Bayern hat seinen Beitrag für die Alpen-Mystery Cuckoo lediglich aus seiner Portokassa bestritten, entsprechend nichtssagend und austauschbar rückt hier die süddeutsche Landschaft ins Bild, die genauso gut irgendwo hätte sein können, nur nicht eben hier. Im Nirgendwo steht dort die seit den frühen Achtzigern im Dämmerschlaf befindliche Hotelanlage Alpschatten, dessen Namen das Albtraumhafte nicht abzusprechen ist und eigentlich längst aus Mangel an begeisterten Gästen längst hätte zusperren müssen. Alles sieht so danach aus, als wären wir am Rande der Kleinstadt Twin Peaks gelandet. Hotelmanager König (Dan Stevens, u. a. Ich bin dein Mensch) weiß darüber sicher mehr, doch er behält die meiste Zeit alles für sich. Zumindest kann Teenie Gretchen (Hunter Schafer) im wenig einladenden Sommer als Assistenz an der Rezeption ihre Zeit totschlagen, während die Eltern – Papa und Stiefmutter – für König eine neue Anlage errichten sollen. So weit so seltsam, wenn man bedenkt, welch schaumgebremstes Verhalten mancher Gast hier an den Tag legt. Gekotzt wird nicht später, sondern gleich. Und nach 22 Uhr sollte sowieso niemand mehr draußen unterwegs sein. Verstörende Geräusche dringen aus dem Wald, und als Gretchen, alle Warnungen in den Wind schlagend, des Nächtens den Drahtesel bemüht, heftet sich eine schauerliche Gestalt an ihre Fersen, mit rotglühenden Augen hinter Sonnenbrillen und einem Outfit, als käme sie vom Set der Lindenstraße.

Natürlich war das keine Einbildung, obwohl Gretchen niemand glaubt. Als Halbschwester Alma ganz plötzlich epileptische Anfälle erleidet und ein verdeckter Ermittler namens Henry auftaucht, der dieser bebrillten Horror-Dame auf der Spur scheint, kommt Cuckoo endlich, nach zähem Start, ins Rollen. Nur, um dann festzustellen, dass all die losen Elemente, die augenscheinlich keinerlei Sinn ergeben, nur schwer aufeinander einzuspielen sind. Der deutsche Regisseur Tilman Singer (Luz) bringt sie alle nicht mehr unter einen Hut.

Mystery-Horror mit verschwörungstheoretischem Unterbau, der im Genre der Science-Fiction andockt, hat in jüngster Zeit unter der Aufsicht von zum Beispiel Jordan Peele durchaus einige Sternstunden erlebt. Man muss dabei aber wissen, wie man das zugrundeliegende Konstrukt eines organisierten Schreckens, welches dann natürlich auch und meistens gegen Ende Schrödingers Katze aus dem Sack lassen muss, auf Schiene bringt, ohne das Interesse seines Publikums zu verlieren. Hält man die losen Indizien zu lange voneinander entfernt, ohne sie verknüpfen zu wollen, wird das nichts mehr. So gesehen bei Cuckoo. Irgendwann erschöpfen sich die vagen Vermutungen, die keinen Sinn ergeben. Wenn dann sämtliche Geheimniskrämerei lüftender Erkenntnis weicht, ist die Spannung versiegt, die Neugier gewichen. Der herbeigezimmerte Aha-Moment eine krude Angelegenheit, die immer noch nicht viel erklären will. Die Unordnung erzählerischer Prioritäten erweckt den Eindruck, Singer würde seiner fantastischen Wahrheit relativ ratlos gegenüberstehen. Wohin mit dem gelüfteten Schrecken? Und was ist eigentlich die Ursache, der Ursprung des Ganzen?

So ratlos wie die dünne Story bleibe auch ich zurück. Zumindest Hunter Schafer (Euphoria) als widerborstiges Mädel, das ihrer Familie gerne entkommen möchte und gar nicht hier sein will, manche Szene dreimal erlebt (Warum?) und das gutturale Kreischen grotesker Damen schon nicht mehr hören kann, spielt ordentlich auf, reißt das bisschen Energie im Film an sich, während Dan Stevens nur noch um die Ecke ballern kann. Die vielfach gepriesene Originalität von Cuckoo suche ich vergebens, was bleibt ist die übertriebene Künstlichkeit einer konfusen Mystery, die auf Akkuratesse keinen Wert legt.

Cuckoo (2024)

They See You (2024)

STEGREIFBÜHNE DER VERDAMMTEN

4,5/10


theyseeyou© 2024 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.


ORIGINALTITEL: THE WATCHERS

LAND / JAHR: USA 2024

REGIE / DREHBUCH: ISHANA SHYAMALAN

CAST: DAKOTA FANNING, OLWEN FOUÉRÉ, GEORGINA CAMPBELL, OLIVER FINNEGAN, ALISTAIR BRAMMER, JOHN LYNCH, SIOBHAN HEWLETT U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Ein eifriger Filmemacher ist er, dieser M. Night Shyamalan – alle zwei Jahre gibt’s einen neuen Film, der letzte war sogar erst 2023 zu sehen: Knock at the Cabin, was allein schon vom Titel ein bisschen an The Cabin in the Woods erinnert und mit diesem zumindest auch inhaltlich das Setting einer einsamen Hütte im Wald gemeinsam hat. Ein Jahr später gleich der nächste – und noch im Kino zu sehen: der Serienkiller-Thriller Trap: No Way Out mit Josh Hartnett. Ist einer wie Shyamalan mal so berühmt, verwundert es oft nicht, dass der Nachwuchs gefeierter Künstlerinnen und Künstler, um nicht unter der Dominanz ihrer Eltern zu verschwinden, ebenfalls nach dem Erfolg eifern, was sich schließlich leichter bewerkstelligen lässt als bei Otto Normalverbraucher, der nicht schon aufgrund seiner Verwandtschaft den Fuß in der Tür weiß und mit Vitamin B auf die große Leinwand gelangt. Der Anfang ist gemacht – der Rest wäre dann wohl wirklich eine Frage des Könnens. Ob Shyamalans Töchterchen Ishana ihre eigene künstlerische Identität gefunden hat, mag angesichts ihres Regiedebüts They See You (im Original: The Watchers) dahingestellt sein. Sie tut schließlich genau das, was ihr Vater tut. Gruselige Mystery mit Story-Twist(s) in Szene setzen, das Ganze natürlich auch selbst verfasst, um ihrem Vorbild in nichts nachzustehen.

Zum Schaffen seltsamer Welten gehört allerdings auch die Handhabung einer eigenen Handschrift. Ishana Shyamalan hat sie nicht. Der Einfluss ihres Vaters ist augenscheinlich, das Setting natürlich ein Vertrautes, verirrt sich doch Dakota Fanning im zwielichtigen Dickicht, aus dem es kein Entkommen gibt. Und Wälder, die sind nicht erst seit The Blair Witch Project spooky genug, um gleich für eine ganze Latte an Filmen herhalten zu können. Was dann noch ans Set gehört, ist eine Zuflucht – ein Haus, ein Tunnel, ein Bunker, was auch immer. Da, sobald sich die Nacht senkt, Fannings Figur im düsteren Tann nicht mehr allein zu sein scheint, läuft sie um ihr Leben – und landet per Zufall in den Armen einer höchst seltsamen Community, die schon jahrelang hier festsitzt und allnächtlich showgeilen Monstren das Fernsehprogramm gestaltetn. Eine Seite des bunkerähnlichen Gebäudes, in dem sich alle einfinden, ist schließlich verspiegeltes Glas – und so präsentieren sie sich, aufgereiht wie beim Da Capo-Applaus in einem Theater, einer unbekannten Macht, die tagsüber in Lächern im Waldboden haust.

Ishana Shyamalan quält sich durch einen verworrenen Pulk an unausgegorenen Mystery-Elementen und Motiven aus folkloristischen Legenden. Dabei misslingt es, das mit allerlei Bedrohlichkeiten aufgebauschte Geheimnis hinter diesem Spuk nicht mit der tatsächlichen Wahrheit, die natürlich ans Licht kommen muss (weil Papa das auch immer tut), zu vereinbaren. Eine biedere Harmlosigkeit erobert das Szenario, die Geschicklichkeit mit den Twists, die, sollten sie gelingen, auf unerwartbare Weise hereinbrechen sollten, erlangt man schließlich nicht mit einem Fingerschnippen. Letztlich enttäuscht der zumindest atmosphärische Versuch eines archaischen Schreckens aufgrund einer gewissen Ratlosigkeit, wie ein Plot wie dieser auf geniale Weise zu Ende gebracht werden könnte. Shyamalan Senior, zumindest Produzent, hat da auch keine knackfrischen Ideen in petto, die benötigt er schließlich selbst, denn aus dem Ärmel schütteln lassen sich narrative Pointen schließlich niemals. Da viel Bekanntes in They See You lediglich variiert wird, ist das Ergebnis dieser Kalkulation kein überraschendes.

They See You (2024)

Sting (2024)

WENN DER KAMMERJÄGER ZWEIMAL KLINGELT

6/10


sting© 2024 SP Sting Productions / Emma Bjorndahl


LAND / JAHR: AUSTRALIEN, USA 2024

REGIE / DREHBUCH: KIAH ROACHE-TURNER

CAST: ALYLA BROWNE, RYAN CORR, PENELOPE MITCHELL, ROBYN NEVIN, NONI HAZELHURST, JERMAINE FOWLER, DANNY KIM, SILVIA COLLOCA U. A.

LÄNGE: 1 STD 32 MIN


Nein, hier geht es nicht um Gordon Matthew Davis Sumner, Kultsänger und gelegentlich Schauspieler (siehe David Lynch’s Der Wüstenplanet). Mit Sting ist hier etwas ganz anderes gemeint, nämlich eine Spinne, die ihren Namen der bleu leuchtenden Ork-Klinge aus J. R. R. Tolkiens Der kleine Hobbit verdankt. Diese Arachnide landet auf sternenstaubigen Schleifspuren, verpackt in einem Gesteinskügelchen, direkt im Kinderzimmer der zwölfjährigen Charlotte (Alyla Browne, die junge Furiosa in gleichnamigem Film), die sich des possierlichen Tierchens und gänzlich frei von Spinnenangst liebevoll annimmt. Dass das extraterrestrische Wesen aber gerne den Ausreißer spielt und andere Hausparteien quält, davon ahnt sie nichts. Was Charlotte aber merkt, ist der unersättliche Hunger des Achtbeiners und dessen rasantes Wachstum. Bis die Eltern davon Wind bekommen, dauert es ein Weilchen, währenddessen verschwindet schon mal die eine oder andere Person. Oder wird ganz einfach angenagt, während das Gift die Extremitäten lähmt.

Sting hat im Grunde alles, was ein launiger Tierhorrorfilm vor allem der alten Schule benötigt. Noch dazu das Quäntchen Familiendrama. Einen Genremix wie diesen zauberte schon vor Jahren Bong  Joon-Ho mit The Host auf die Leinwand, einem koreanischen Fantasy-Hit mit Hang zum nach Abwasser müffelnden Monsterhorror. Nun gibt’s statt Only Murders in the Building „Only Spiders in the Building“: Schauplatz ist New York im Tiefwinter – eine wohltuende Abwechslung zu den flirrenden Sommertemparaturen, die draussen gerade herrschen. Das markante Wetter sorgt für die entsprechende Isolation, die ein Film nach diesem Konzept gewährleisten muss. In Alien waren es die unendlichen luftleeren Weiten, hier ist es der Schneesturm. Und ganz so wie Ridley Scotts Klassiker bietet auch Sting dem Untier jede Menge Zwischenräume, Schächte und doppelte Böden, um je nach Belieben herumzumarodieren. Dabei sorgen wie bei Joon-Ho augenzwinkernde, ironische Stilbrüche für das richtige Gemüt, um an Schauergeschichten wie diesen trotz ihrer offensichtlichen Trivialität dranzubleiben. Die verschrobenen Alten könnten fast schon Nachbarn von Jean-Pierre Jeunets Amélie sein, zum Glück aber wird das Groteske nicht allzu sehr überhöht. Es reicht, dass die demente und unverwüstliche Oma zumindest zweimal den Kammerjäger herbeizitiert, während Papa sich bemüht, mit seiner Stieftochter klarzukommen, die mit ihrer altklugen Art ordentlich nervt. Für Sting ist also das familiäre Süppchen, dass da gekocht wird, eine angedeutete Side Story, die durch den unbekannten Aggressor erst die Bereitschaft zur Lösung eines lange schwelenden Konflikts erlangt.

So groß wie im tricktechnisch fast zeitlosen Klassiker Tarantula wird die Spinne hier aber nie. Sie bleibt eben eine Hausspinne und muss sich im wahrsten Sinne des Wortes nach der Decke strecken. Auch der Film selbst muss dies tun, er muss mit all dem arbeiten, was ihm an begrenztem Raum zur Verfügung steht. Das gerät manchmal ins Stocken, trotz oder gerade wegen einer dekorativen humoristischen Tonalität. Im großen Showdown lassen sich zudem so einige auffallende Parallelen zu anderen Filmklassikern ziehen – nicht nur zum bereits erwähnten Alien-Franchise.

Für Arachnophobiker ist Sting aber wirklich nichts. So, wie das zugegeben gekonnt in Szene gesetzte Monster durch den Luftschacht trippelt oder seine Opfer mal vorab in die Speisekammer verfrachtet, könnte sensiblen Gemüter schon mal in die Nähe der Ohnmacht verfrachten.

Sting (2024)

The Cabin in the Woods

RAUS AUS DER SCHUBLADE

7,5/10


cabin-in-the-woods© 2011 Metropolitan Film Export


LAND / JAHR: USA 2011

REGIE: DREW GODDARD

SCRIPT: DREW GODDARD, JOSS WHEDON

CAST: KRISTEN CONNOLLY, CHRIS HEMSWORTH, ANNA HUTCHISON, FRAN KRANZ, JESSE WILLIAMS, RICHARD JENKINS, BRADLEY WHITFORD, AMY ACKER, SIGOURNEY WEAVER U. A.

LÄNGE: 1 STD 35 MIN


Wandert man in Österreich über Almen und durch Wälder der Region, laden so einige schmuck-rustikale Hütten zum Mieten ein, natürlich Selbstversorger und mit Kaltwasser aus dem Brunnen. Wer hier temporär einzieht, will es aber sowieso nicht anders. Umgeben von dunklem Grün und saftigen Wiesen und vielleicht auch einem kleinen Bergsee, lässt es sich hier gut zur Ruhe kommen. Und manchmal auch ein Ende finden. Denn je abgelegener so ein Holzhäuschen auch liegt, umso bessere Stücke spielt die Fantasie vorwiegend in den Nachtstunden. Kann sein, dass etwas Monströses durch den finsteren Tann streift. Oder die Kühe auf der Heide einem die Tür einrennen wollen. Wenn’s keine Kühe sind, dann vielleicht Zombies? Bei Joss Whedon sind diese allerdings nicht mit der krachledernen ausgestattet, sondern mit allem, was sich zum Foltern gut eignet.

Klingt nach sattelfestem Splatterhorror zwischen The Hills Have Eyes und Tanz der Teufel? Horrorfans fühlen sich bei so einem Setting gut aufgehoben, doch schon nach der ersten Szene könnte gerade dieses Wiegen in Sicherheit zu gravierenden Verwirrungen führen. Ist das überhaupt der richtige Film? Was machen zwei adrett gekleidete Beamte in einem Kontrollzentrum irgendwo im Nirgendwo, die über Alltägliches quatschen und mit Kaffee sowie morgendlichem Arbeitseifer an ihre Monitore gehen? Wie jetzt Splatterhorror? Was ist mit den Untoten? Kommt schon noch. Kenner des Films The Cabin in the Woods werden sich diesen bereits mehrmals zu Gemüte geführt haben, denn jenen Ort, an welchen Drew Goddard mit Mastermind Joss Whedon (der sich ja mittlerweile selbst durch seine angeblich tyrannische Set-Präsenz bei Justice League ins Aus manövriert hat) unterwegs ist, erreichte man bis dato eigentlich nur durch verfilztes Dickicht. So, als gäbe es ihn gar nicht. Der Pfad musste also erst geschlagen werden.

Und auch im Schwingen der dramaturgischen Machete waren Goddard und Whedon wenig zimperlich, ja geradezu avantgardistisch. So einen Genremix wie The Cabin in the Woods muss man erst hinzaubern. Whedon war aber wohl schon gut im Training – sein Buffyverse war seinerzeit auch nicht nur in einschlägigen Stilgewässern unterwegs, hier wechselte das Spiel zwischen Teeniekomödie, trashiger Fantasy und Gothic-Horror. Zeitgleich mit seinem Einstand als Thor durfte Chris Hemsworth in diesem absurden Kosmos aus okkultem Slasher und eines Science-Fiction-Szenarios, das irgendwie an die paranoiden Ideen eines H. P. Lovecraft erinnert, mit Freundin und Freunden besagte Waldhütte belegen, die noch dazu einen Keller hat, in welchem sämtliche Artefakte ruhen, deren Verschacherung auf dem Flohmarkt wohl noch anstehen würde, gäbe es nicht so neugierige Nasen wie unser Endzwanziger-Grüppchen, das Paranormales ob der Coolness nur belächelt, sich daraus aber gleichzeitig das wohlige Kribbeln für einen Abend im Düsterwald lukriert. Natürlich ist das der falsche Weg, begonnen mit dem Vorlesen obskurer Sprüche, die eingangs erwähnte Tunichtgute auf den Plan rufen.

Ich wusste schon dank freundschaftlicher Fachsimpelei im Vorfeld – hier wird letzten Endes alles anders sein, als man denkt. Durch diese in kindlicher Spielfreude sichtlich aufgeweckte Machart zwischen Entsetzen und baffem Erstaunen ob der ständig wechselnden Parameter ist das Grauen letzten Endes dazu da, der dunklen Seite des phantastischen Films Tribut zu zollen und Fans des Irrealen an die blutigen Wurzeln vieler Übel zu schicken, die Mythen und Legenden erst zu dem gemacht haben, was sie sind.

The Cabin in the Woods

Viking Vengeance

OH HAUPT VOLL BLUT UND WUNDEN

6,5/10


vikingvengeance© 2018 Indeed Film


LAND / JAHR: USA 2018

BUCH / REGIE: JORDAN DOWNEY

CAST: CHRISTOPHER RYGH, CORA KAUFMAN

LÄNGE: 1 STD 12 MIN


Lass den Kopf nicht hängen! – ein Imperativ, den man gestandenen Monsterjägern mit auf den Weg geben sollte. Doch jeder macht es, wie er möchte. Manche nehmen sich nur den stattliche Eckzahn aus der Kauleiste ihrer erlegten Kreatur, manche legen gleich den ganzen Kadaver vor die Füße ihres gerade regierenden Königs. Dieser Berserker hier hängt sich die Schädel all seiner Auftragsopfer fein säuberlich an die Wand seiner Hütte mitten im Wald, jeweils aufgespießt auf einen Pflock. Dann legt er seine formschöne Rüstung ab und heilt seine Wunden mit einer magischen Mixtur aus Erde, Wurzeln und sonstigem Gemansche. Und wartet. Auf das nächste tönende Halali, wenn es wieder heißt, in den Wald zu gehen und wütenden Besten zu zeigen, wo der Kriegshammer hängt. Nur eine Kreatur ist da nicht darunter: jene, die seine Tochter auf dem Gewissen hat. Also schwört der namenlose Eremit auf ewig Rache. Die er auch bekommt. Dumm nur, dass der Kopf dieses Wesens mit des Wikingers heilender Tinktur in Berührung kommt – und wieder zum Leben erwacht.

Was für eine krude Story. Aber zugegeben: nach dem letzten Met am Ende eines Ritterfests in irgendeiner pittoresken Burg, begleitet von den Klängen der Laute, entstehen angedudelte Ideen, die man nüchtern vielleicht gar nicht in den Kopf bekommt. Aber bitte, ich will hier niemanden der Schnapsidee verdächtigen, wenngleich sich Viking Vengeance so anfühlt. Und das wiederum ist gut so. Es gibt viel zu wenig verrückte Ideen im Kosmos des phantastischen Films, und da freut man sich tatsächlich, einem Kopf-an-Kopf-Rennen wie diesem in einer Mischung aus Neugier und selbst auferlegter Kriegsstimmung, wie sie LARPer allzu gerne aus dem Filzhut zaubern, beizuwohnen. Und wenn sich der namenlose Rächer seinen bis ins kleinste Detail liebevoll in Form gebrachten Lederhelm überstülpt, dann ist ganz offensichtlich, dass die Macher dieses Dark Fantasy-Slashers zumindest beim Kostüm keine Kosten gescheut haben. Was bleibt vom Budget dann noch übrig? Womöglich nicht viel. Den Wald, die Burg aus der Ferne, die gibt’s womöglich kostenlos. Wie aber den übrigen Plot visualisieren, ohne sich selbst in die Trash-Ecke zu drängen? Denn genau das ist Viking Vengeance auf den ersten und auch auf den zweiten Blick nämlich nicht: Trash. Das war auch Robert Rodriguez‘ El Mariachi nicht, der mit wenigen tausend Dollar inszeniert wurde und der den Mexikaner zur Berühmtheit machte. Das war auch Blair Witch Project nicht – ebenfalls wohlfeil umgesetzt, ohne Darlehen abbezahlen zu müssen. Der Künstler muss nur wissen, wie. Und improvisieren. Eine Challenge, die Jordan Downey auf professionelle Weise besteht.

Viking Vengeance (im Original: The Head Hunter) setzt auf Stimmung und Details – und natürlich auf das Outfit des Kopfjägers. Er setzt auf die bizarre Geschichte aus Horror und mittelalterlicher Phantastik. Er lässt sich von Andrzej Sapkowskis The Witcher genauso inspirieren wie von Prinzessin Fanthagiro – einem trickreichen Mehrteiler aus Italien. Nur hier ist Christopher Rygh allein auf weiter Flur unterwegs, ohne sonstigem höfischem Zinnober. Gut, man giert unweigerlich danach, dem Meister bei der Arbeit zuzusehen, doch außer Gebrüll und dem angestrengten Geächze von irgendwo außerhalb des Bildes bleibt die Action verborgen, und das mit Sicherheit aus Gründen mangelnder Ressourcen. Andererseits aber schafft der Film dadurch eine lakonische Mystery, die im Kopf passiert, und buttert seine Ideen geschickt in den großen Showdown, auf welchen das grimmige Solostück hinarbeitet. Downey macht das Beste draus – und befördert die erdige Groteske spätestens beim verblüffenden Schlusstwist weg von den ausgetretenen Pfaden herkömmlicher Heldenquests rein in den finsteren Forst garstiger Ironie.

Viking Vengeance