Die Rosenschlacht (2025)

DIE MISSGUNST DES EITLEN EHEMANNES

4/10


© 2025 Searchlight Pictures All Rights Reserved.


ORIGINALTITEL: THE ROSES

LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH, USA 2025

REGIE: JAY ROACH

DREHBUCH: TONY MCNAMARA

KAMERA: FLORIAN HOFFMEISTER

CAST: OLIVIA COLMAN, BENEDICT CUMBERBATCH, ANDY SAMBERG, KATE MCKINNON, NCUTI GATWA, JAMIE DEMETRIOU, ZOË CHAO, SUNITA MANI, BELINDA BROMILOW, DELANEY QUINN, OLLIE ROBINSON U. A.

LÄNGE: 1 STD 45 MIN


„Wuff!“, keift eine angriffslustige Kathleen Turner ihrem nichtsahnenden Ehemann Michael Douglas entgegen, der ein vortreffliches Essen serviert bekommt und gerne wissen möchte, was das Geheimnis hinter diesem kulinarischen Erlebnis wohl sein mag. Dass dabei der hauseigene Hund hat draufgehen müssen, mag stimmen oder nicht: Diese Perfidität schlägt so gut wie alles, was sich Jay Roach in seiner Wennesdennseinmuss-Neuauflage des Rosenkrieges aus dem Jahre 1989 überlegt hat. Denn die Angst namhafter Studios, einen Verlust einzufahren oder nicht genug von dem zu scheffeln, was in die Kassen flutet, ist so groß, dass nun auch schon moderne Klassiker herhalten müssen, die zeitlos genug erscheinen, um nicht neu verfilmt zu werden. Womöglich dauert es nicht mehr lange, und all die Experten für prognostizierten Profit vergreifen sich an Filmjuwelen, die zuletzt so mancher aus der Generation X Geborener am Samstagnachmittag als begleitende Erziehungsmaßnahme in sich aufgesogen hat. Da wären noch Manche mögen‘s heiß oder vielleicht gar Casablanca? Alles von Billy Wilder und so manches von Blake Edwards – letzteres ist ja bereits passiert.

Einen Peter Sellers konnte Steve Martin auch nicht ersetzen. Über seinen Auftritt redet niemand mehr, über den skurrilen Inspektor aus den Sechzigern allerdings schon, genauso wie über Zurück in die Zukunft oder eben Der Rosenkrieg – ein vernichtend komisches Stück Beziehungsdrama mit einem Filmpaar auf Augenhöhe, leidenschaftlich bis in die Unterkleider – wütend, gemein, verzweifelt. Und saukomisch. Während Marianne Sägebrecht als Haushälterin im bayrischen Akzent beschwichtigen will und nicht fassen kann was passiert, und Danny DeVito als juristischer Sidekick mit unterschwelliger Schadenfreude noch Öl ins Feuer gießt, feiert der boulevardeske Nihilismus einer Zweisamkeit ein wildes Spektakel ohne Atempausen. Was man von Die Rosenschlacht (Danke für diese ausgeklügelte Differenzierung, sonst könnte man ja meinen, man säße im alten Film) nicht sagen kann, denn die atmet streckenweise so tief durch, dass einem die Sternchen vor den Augen tanzen. Und damit meine ich nicht, dass Roachs Komödie so schillernd daherkommt. Wohl eher ist es gepflegte Langeweile, sind es ausufernde Anläufe, bis es endlich mal so weit ist, bis beide getrennt von Tisch und Bett sich gegenseitig die Hölle heiß machen. Um das zu erreichen vergehen gefühlt zwei weitere Filme, selbst Benedict Cumberbatch und Olivia Coleman fadisieren sich zusehends, weil die eskalierende Geschichte so dermaßen straight angelegt ist, als würde man stundenlang den Tamiami-Trail in Florida entlangfahren. Der Sekundenschlaf wäre da fast schon garantiert, würden Coleman und Cumberbatch nicht alle Register ihres komödiantischen Könnens ziehen.

Zugegeben: Ja, die beiden sind klasse. Sie tun, was sie können, in einem Film, der nicht tut, was er kann, sondern fast schon zu beliebig und nicht wirklich sehr von sich selbst überzeugt Danny DeVitos Prachtstück von Groteske nacherzählt, so als hätten andere die Pointe ihres Lieblingswitzes vergessen, aber ungefähr so lief dieser ab und durch die dabei entstehende Situationskomik darf man durchaus schmunzeln, wenn schon nicht lachen. Das Lachen nämlich, das blieb in den Achtzigern noch im Halse Stecken, weil es erschütternd und durchaus auch todtraurig gewesen war, zwei ehemals Verliebten dabei zusehen zu müssen, wie ein Leben in die Brüche geht. In der Neuauflage verschieben sich die Beweggründe für den Zwist, wird der Mann zum entmannten Neider und werden Rollenbilder einem Praxistest unterzogen, den Cumberbatchs Figur natürlich nicht besteht. So trägt Die Rosenschlacht deutlich mehr feministische Züge, was dem Krieg aber zu viele Hausaufgaben aufdrängt, die viel zu brav erledigt werden.

Statt messerscharfem Wortwitz übertüncht Roach so einiges mit derben Zoten und vulgären Ausdrücken, die damals gar nicht notwendig waren – ein Zeichen für eine gewisse Ohnmacht im Texteschreiben. Letztendlich ist man froh, wenn der häusliche Tumult losbricht, Ungesagtes gesagt wird und die bittere Erkenntnis in Cumberbatchs Mindset sickert. Doch da ist vieles schon egal, und die Frage nach der Notwendigkeit dieses recht desperat auf die Leinwand gehievten Remakes recht klar beantwortet.

Die Rosenschlacht (2025)

Eden (2024)

INSELKRIEG DER EGOMANEN

6,5/10


© 2025 Leonine Studios


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: RON HOWARD

DREHBUCH: NOAH PINK

CAST: JUDE LAW, VANESSA KIRBY, SYDNEY SWEENEY, DANIEL BRÜHL, ANA DE ARMAS, TOBY WALLACE, FELIX KAMMERER, JONATHAN TITTEL, RICHARD ROXBURGH U. A.

LÄNGE: 2 STD 9 MIN


In den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts war bereits abzusehen, dass die Welt brennen und der Tod ohne Reue wüten wird. Nicht nur jene wollten weg, die als Minderheit Repressalien zu befürchten hatten, sondern auch so manche, die aus dem Wahnsinn aussteigen wollten, ungeachtet dessen, ob sie etwas zu befürchten hätten oder nicht. Heinrich Harrer zum Beispiel, der zu Kriegsbeginn seine als Expedition getarnte Flucht nach Tibet begann, blieb dort sieben Jahre an der Seite des Dalai Lama am Dach der Welt (Sieben Jahre in Tibet, verfilmt mit Brad Pitt). Thor Heyerdahl wiederum rückte Anfang der Dreißiger der Marquesas-Insel Fatu Hiva zu Leibe, dort blieb er fünfzehn Monate, bis der Traum vom Dschungelparadies im Chaos mündete – hervorragend nachzulesen in seinem nach dem Eiland benannten Reisebericht. Und dann gab es noch den Berliner Arzt Dr. Friedrich Ritter, einen nach neuen Lebensentwürfen suchenden Aussteiger, der gemeinsam mit seiner an multipler Sklerose erkrankten Lebensgefährtin Dore Strauch die Galápagos-Inseln ins Visier nahm, im Speziellen die zerklüftete und unwirtliche Insel Floreana, von niemandem sonst bevölkert außer einer atemberaubenden endemischen Tierwelt, für welche die beiden aber keinerlei Neugier hegten.

Viel lieber lag dem exzentrischen Sonderling, dem im Laufe seines vierjährigen Aufenthalts krankheitsbedingt alle Zähne ausfielen, die selbstüberschätzende Aufgabe näher, einen neue gesellschaftliche Ordnung als Manifest zu verfassen, damit dieses später die ganze Welt verändern soll. Womöglich wäre das Vorhaben, den inseleigenen Senf in alle vier Winde zu verbreiten, auch geglückt, hätte Ritter nicht regelmäßig mit Europa korrespondiert, um sich selbst als messianischen Robinson hochzustilisieren. Diese schmackhaft formulierten Reiseberichte hatten zur Folge, dass die Insel bald neue Besucher empfing. Im Film Eden folgt die dreiköpfige Familie Wittmer als erste den paradiesischen Lobgesängen und zeigt sich als erstaunlich versiert, um auf einem Eiland wie diesen tatsächlich Fuß zu fassen – sehr zum Unmut des inkooperativen Insel-Gurus, den Jude Law mit einer derart säuerlichen Miene verkörpert, als wäre der Zivilisationsfrust noch längst nicht von ihm abgefallen. Der Unmut steigert sich, als die eigene Selbstüberschätzung noch überboten wird – durch die Ankunft einer falschen Baronesse (Ana de Armas), im Schlepptau drei junge Männer und mit der verrückten Idee im Kopf, in Meeresnähe ein Luxushotel zu errichten. Fitzcarraldo lässt grüßen, und das nicht nur wegen des mitgebrachten Grammophons, an welchem Burgschauspieler Felix Kammerer (Im Westen nichts Neues) immer wieder kurbeln muss, damit auch an diesem entlegenen Winkel die Kultur nicht zu kurz kommt. Alle drei Parteien werden alsbald feststellen, dass der frömmste nicht in Frieden leben kann, wenn es den egomanischen Nachbarn nicht gefällt. Inmitten einer Wildnis, in welcher Platz genug für alle wäre, schon gar für dieses Häufchen an Menschen, entfesseln Missgunst, Trägheit und Überheblichkeit, vermengt mit grenzenloser Naivität und bitteren Lügen einen Nervenkrieg am Äquator, den Regie-Handwerker Ron Howard mit routinierter Professionalität in grünlich-blasse, dunstige Bilder taucht. Ein ganzes Staraufgebot lässt sich für Eden zwar nicht nach Galápagos, doch in die Wildnis Australiens zitieren – den Unterschied merkt man kaum, die Anzahl der peniblen Inselkenner bleibt verschwindend gering. Deutschlands attraktivster US-Export Daniel Brühl, Sydney Sweeney und Vanessa Kirby schwitzen, darben und bluten, Sweeney selbst darf in der wohl radikalsten Szene des Films ihr eigenes Kind im Alleingang zur Welt bringen, während sie von streunenden Hunden umringt wird. Ihre Filmfigur ist die einzige Konstante inmitten selbst- oder fremdverschuldeter Nachbarschaftsquerelen, die sich naturgemäß zuspitzen, weil der Mensch nun mal so tickt, wie er tickt.

Zwischen Peter Weirs Anti-Abenteuerdrama Mosquito Coast aus den Achtziger Jahren und Werner Herzogs Dschungelerfahrungen ringt  Howard dem Wesen des Abenteuerdramas aber keinerlei inspirierende Neubetrachtungen ab – ganz im Gegenteil. Eden verlässt sich auf das konventionelle Handwerk eines altbackenen Melodramas mit giftigen Spitzen, orientiert am Erzählduktus von Filmemachern wie Huston oder Preminger. Innovativ ist das nicht, dafür aber klassisch und wohgefällig kitschig. Howard bringt dabei zwar eine etwas sperrige, nicht ganz rundlaufende Szenenregie ins Spiel, weil er vielleicht nicht reminiszieren, sondern erneuern will. Sein Ensemble interagiert bisweilen aber so gekonnt miteinander, dass die einen die schauspielerischen Hänger der anderen kompensieren. In Eden spielt niemand nur alleine auf, diese Schräglage weiß Howard zu vermeiden. Er weiß, dass er niemanden in den Vordergrund stellen kann, denn hier regiert die Gruppendynamik. Manchmal passiert es, da reißt Ana de Armas alles an sich, während Kirby nur mit Mühe ihre Rolle verteidigen kann. Hier die Balance zu halten, und das sogar an tropischem Set, mag eine Herausforderung selbst für Howard gewesen sein. Dass der Dreh nicht leicht war, sieht man allen Beteiligten vor und hinter der Kamera an.

Am Fesselndsten bleibt bei solchen Filmen immer noch die wahre Geschichte dahinter. True Stories wie diese, schon gar wenn sie ein exotisches Abenteuer umschreiben, können gar nicht mal so viel falsch machen, um nicht doch die Bereitschaft zu wecken, sich mit menschlichen Verhalten in der Extreme auseinandersetzen zu wollen.

Eden (2024)

A Different Man (2024)

SCHÖNHEIT MUSS LEIDEN

8/10


a-different-man© 2024 Universal Pictures International


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE / DREHBUCH: AARON SCHIMBERG

CAST: SEBASTIAN STAN, RENATE REINSVE, ADAM PEARSON, C. MASON WELLS, OWEN KLINE, CHARLIE KORSMO, PATRICK WANG, MICHAEL SHANNON U. A.

LÄNGE: 1 STD 52 MIN


Den Kerl kenn ich. Es ist Adam Pearson, so ein Gesicht vergisst man nicht. Denn er war es, den Alien Scarlett Johansson in Under the Skin so bewundernswert anders fand. Pearson kann nun ein weiteres Mal brillieren, und nein, er muss sich nicht hinter einem Laken mit Löchern verstecken wie es seinerzeit William Hurt in David Lynchs Elefantenmensch tun musste. Als John Merrick, der vermutlich an einer ähnlichen deformierenden Krankheit litt wie Adam Pearson, musste dieser im England des späten 19ten Jahrhunderts als Freak in Schaubuden für großen Reibach sorgen. Unwürdige, inhumane Methoden waren das damals – Tod Browning hatte schon seinerzeit in seinem Klassiker Freaks all diesen Menschen ihr Wertebewusstsein zurückgegeben und sie Rache nehmen lassen. Merrick selbst gelingt in diesem düsteren Meisterwerk in Schwarzweiß dieses Kunststück eben nicht. Sein Wunsch, so behandelt zu werden wie ein normaler Mensch, geht erst in Erfüllung, als er stirbt.

So traurig wie Lynchs Film ist A Different Man bei weitem nicht. Das einzige, was man empfinden könnte, wäre Mitleid für Sebastian Stan. Aber nicht, weil er zu Beginn des Films hinter jener Gesichtsdeformation verschwindet, mit welcher Adam Pearson zu leben gelernt hat. Sondern, weil er zum schönen Prinzen mutiert. Das Wort Mutation ist auch hier mehr als nur angebracht. Denn die Frage, die Aaron Schimberg in seinem Film wohl am lautesten stellt, ist: Wer bestimmt denn dieses Ideal von Schönheit? Und leben wir wirklich noch in einem Zeitalter, in welchem Inklusion und Akzeptanz etwas ist, das wir unbedingt in unseren Social Media-Status festmachen müssen, weil es so etwas Besonderes ist?

A Different Man ist dahingehend Social Fiction. Die Darstellung einer progressiven, humanistischen Akzeptanzgesellschaft, in der einzig Sebastian Stan als lebendes, reaktionäres Fossil daherkommt, der, womöglich aufgewachsen mit diversen unzeitgemäßen Märchenstunden, immer noch dem Glauben anhängt, kein Lebensglück zu finden, wenn man äußerlich nicht der Norm entspricht. Und wieder die Frage: Was ist Norm? Was ist normal? Schließt diese Bezeichnung nicht schon von vornherein einen großen Teil der Gesellschaft aus, der anders ist oder anders sein will? Dieser Begriff ist antiquiert, und Schimberg bringt diese unreflektierte Rückschrittlichkeit anhand eines mit leisem Humor hochintelligent konstruierten Gleichnisses auf den Punkt.

Sebastian Stan ist, wie bereits erwähnt, zu Beginn noch der „entstellte“ Schauspieler Edward, unglücklich mit seinem Aussehen, sich selbst und überhaupt allem. In seiner Wohnung tropft es vom Plafond, der Schimmelfleck wird immer größer und spiegelt die Seele des Ausgestoßenen, der eigentlich gar keiner sein muss, denn nebenan wohnt Ingrid (Renate Reinsve, Der schlimmste Mensch der Welt), die sich sehr schnell an Edwards Aussehen gewöhnt und es bald schon so faszinierend findet, um immer wieder bei ihm aufzuschlagen, um mit ihm abzuhängen. Was würde Edward nicht alles geben, um ansehnlich zu sein. Also unterzieht er sich einem wissenschaftlichen Experiment, welches dazu führt, dass er seine Deformation im wahrsten Sinne des Wortes abwirft, um als Sebastian Stan hervorzugehen. Ein neues Leben muss her, sein altes erklärt er für tot. Nun kann er alles haben, wonach ihm jemals gelüstet hat: Frauen, Karriere, eine teure Wohnung mit Aussicht. Was plötzlich aber fehlt, ist menschliche Nähe. Währenddessen hat Ingrid längst ein Theaterstück geschrieben, um das Leben Edwards Revue passieren zu lassen. Dafür castet sie Menschen mit Gesichtsdeformationen. Was nun kommt, ist so kurios wie erhellend: Edward, nunmehr Guy, will sich bewerben – und legt sich dafür eine Maske zu.

Schimbergs Skript ist genial – und niemals auch nur ansatzweise gierend nach Bodyhorror-Erlebnissen, obwohl die Phase der Verschönerung Edwards durchaus auch etwas für David Cronenberg gewesen wäre. Doch anders als in Die Fliege stellt Schimberg das „Beauty and the Beast“-Konzept auf den Kopf. In Ansätzen haben dies bereits die Gebrüder Farrelly probiert: Schwer verliebt mit Gwyneth Paltrow und Jack Black aus dem Jahr 2002 hinterfragt den Begriff der Schönheit ebenfalls – nur mit derbem Witz und einer Lust am Bizarren. A Different Man bleibt elegant und geschmackvoll, behält sich stets einen leisen Sarkasmus und eine Schadenfreude im Hinblick auf Sebastian Stans fortschreitenden inneren Verfall. Adam Pearson als sein Counterpart lebt das Leben wie der glücklichste Mensch auf Erden, sein Äußeres ist nie ein Thema, und wenn doch, dann ist es zumindest kein Tabu. Die Darstellung dieser Akzeptanz zeigt das Ideal einer aufgeschlossenen Gesellschaft, wie sie natürlich zu wünschen wäre, wie es sie allerdings leider noch nicht gibt. Um diesen Konflikt zwischen den Begriffen Norm, Ideal und Individualität darzustellen, braucht es aber diese Plakativität, die dem Film erst die Schärfe einer Satire verleiht, die in ihrer unkonventionellen Exzentrik auf so verblüffende Weise eine neue Sichtweise präsentiert, die wir uns alle schon mal so überlegt, aber noch nie zu Ende gedacht haben. Wenn Kino so anders sein darf wie dieser Film hier, dann wäre das als neue Norm mehr als wünschenswert.

A Different Man (2024)

Killers of the Flower Moon (2023)

DER NEID DES WEISSEN MANNES

8,5/10


killersoftheflowermoon© 2023 Apple Original Films


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: MARTIN SCORSESE

DREHBUCH: ERIC ROTH, MARTIN SCORSESE

CAST: LEONARDO DICAPRIO, ROBERT DE NIRO, LILY GLADSTONE, SCOTT SHEPHERD, JESSE PLEMONS, TANTOO CARDINAL, BRENDAN FRASER, JOHN LITHGOW, BARRY CORBIN, WILLIAM BELLEAU, LOUIS CANCELMI, JASON ISBELL, STURGILL SIMPSON U. A.

LÄNGE: 3 STD 26 MIN


Blättert man das Schwarzbuch der Menschheit durch, könnte man darin auf ein Kapitel stoßen, welches die unsagbare Gier des weißen Mannes im zwanzigsten Jahrhundert wohl nicht besser illustrieren könnte als anhand der Morde am indigenen Volk der Osage, die das Glück hatten, in ihrem zugewiesenen Reservat auf Öl zu stoßen. Die Folge: Reich werden mit Klasse. Wir würden also, wären wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort, keine traditionellen Siedlungen und Dörfer mehr vorfinden, sondern mondäne, dem kolonialen Zeitgeist entsprechend gekleidete und herausgeputzte Familien, die im urbanen, europäisch orientierten Umfeld und dessen Gesellschaft längst das Sagen haben, anschaffen können und sich gar von weißen Leuten bedienen lassen. Die Osage, die hatten den Spieß so richtig umgedreht. Ein Status Quo, der den Weißen sauer aufstieß, denn die verstehen sich seit jeher als die Herren und Damen der Schöpfung. Als das Mustervolk der ganzen Welt, als die eigentlichen Bestimmer, denn überall sonst hat sich diese eine Ordnung längst etabliert – warum dann nicht hier, in Oklahoma, weit weg von Washington, wo einer wie William Hale einen verborgenen Krieg führt gegen die indigene Elite, sich öffentlich aber als Gönner, Wohltäter und bester Freund der durchs schwarze Gold reich gewordenen Nicht-Weißen präsentiert. Dieser Hale, in charismatischer Routine dargeboten von Robert de Niro als eitler Viehbaron, der keinen Widerspruch duldet, wird zur ekelhaften Verkörperung von Gier, Neid und Niedertracht. Seine beiden Neffen dürfen sich die Finger schmutzig machen, um die systematische Aneignung der missgönnten Ressourcen durch den selbsternannten King auch auszuführen. Raub, Mord und Intrige stehen auf der Agenda. Der gerade aus dem Krieg zurückgekehrte Ernest Burkhart, nicht wirklich ein Geistesriese, steht von Anbeginn an unter dem Einfluss des manipulativen Onkels. Entziehen kann er sich ihm nicht, aus Angst, aus Bequemlichkeit, oder einfach aus der Lust am Gewinn. Natürlich kommt der weißen Sippschaft eine Heirat mit der wohlhabenden Osage Molly wie gerufen – durch dieses Bündnis sollen die Anteile an den Bodenschätzen in Hales Hände geraten. Nachhelfen muss schließlich trotzdem werden – und nach und nach stirbt Mollys ganze Familie unter ihren Fingern weg. Sie selbst, an Diabetes erkrankt, sieht alsbald auch ihr eigenes Leben in Gefahr. Doch nichts und niemand scheint gegen diese ethnische Säuberung aufbegehren zu können.

Mit Sicherheit wird Killers of the Flower Moon kein Gigant am Box Office. Kein Film, für den das Publikum die Türen der Kinos einrennt. Das war schon damals, Anfang der Achtziger Jahre mit Michael Ciminos Spätwestern Heaven’s Gate so. Der Film geriet zum Totalflop und hatte den Untergang von United Artists zur Folge. Warum wohl? Zumindest damals waren dunkle Kapitel aus der amerikanischen Geschichte wie zum Beispiel der ebendort thematisierte Johnson County War nicht gerade das, wofür man zur Zerstreuung ins Kino ging. War Ciminos Klassiker seiner Zeit voraus? Könnte sein. Oppenheimer bewies, dass heikle Themen und kritische Betrachtungen auf die eigene Vergangenheit längst auf mehr Interesse stossen. So ein verheerendes Schicksal wie Michael Cimino wird Scorsese aber nicht erleiden – der Mann zählt zur Elite der amerikanischen Filmschaffenden, und das aus gutem Grund, denn Scorsese, der kann so einiges und kann dieses Level auch über Jahrzehnte hinweg halten. Was mit Hexenkessel oder Taxi Driver begann, könnte nun, mit Killers of the Flower Moon, zu einem neuen Meilenstein gelangen. Das epische Thrillerdrama auf Tatsachen ist mindestens so gut wie das Mafiaepos GoodFellas, ist auf den Punkt genau inszeniert und trotz seiner enormen Laufzeit so atemlos erzählt, dass man als Zuseher gut und gerne die Zeit verliert.

Dabei ist gar nicht mal die schauspielerische Leistung in diesem Film primär verantwortlich dafür, dass Killers of the Flower Moon einen derartigen Eindruck hinterlässt. Fast ließe sich Leonardo DiCaprios Overacting, welches sich vor allem in seinen übertrieben der Schwerkraft unterlegenen Mundwinkeln manifestiert, wenn dessen Lage als Filmcharakter Ernest immer wieder mal prekär wird, als Manko betrachten. Doch nur auf den ersten Blick. Klar ist: die feine Klinge des Schauspiels beherrscht das ewige Babyface nicht wirklich. Und dennoch schafft Scorsese für diesen Ernest Burkhart eine hinter den plakativen Regungen befindliche Gefühlswelt zu errichten, die das schlichte Gemüt des zwischen Verantwortung, Reue, Gier und Furcht changierenden, willensschwachen Diener des Bösen erschreckend gut einfängt. Neben ihm gibt Lily Gladstone als immer mehr dahinsiechende Molly dem finsteren Drama eine fast schon biblische Leidensfigur, die in Hitchcock-Manier so manchen Verdacht hegt.

Wie Scorsese das bis in die kleinsten Nebenrollen erlesen besetzte Opus Magnum in Zaum hält, ohne ins Theatralische oder Pathetische abzurücken, ist genau seine Spezialität. Gerade diese konzentrierte Art und Weise, diese durchgetaktete Chronik der Ereignisse, die niemals nur Fakten liefert, sondern mit emotionaler Wucht dem schwelenden Grauen aus dem Hinterhalt begegnet, lässt diese uramerikanische Parabel auf kaltschnäuzigen Rassenhass so gut funktionieren.  Unterlegt mit einem hypnotischen Score des im August letzten Jahres verstorbenen Robbie Robertson, der Folklore-Klänge mit Blues-Rhythmen verbindet, lässt Killers of the Flower Moon niemanden kalt. Scorseses Film ist eine elektrisierende Tragödie – zynisch, bitter und die Boshaftigkeit unserer Gattung bis auf die Knochen sezierend.

Killers of the Flower Moon (2023)

Get Out

DER NEID DER WEISSEN RASSE

6/10


GetOut© 2017 Universal Pictures International Germany GmbH


LAND / JAHR: USA 2017

BUCH / REGIE: JORDAN PEELE

CAST: DANIEL KALUUYA, ALLISON WILLIAMS, CATHERINE KEENER, BRADLEY WHITFORD, CALEB LANDRY JONES, LAKEITH STANFIELD, STEPHEN ROOT, LIL REL HOWERY, RICHARD HERD U. A.

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Fehlt nur noch, das die illustre Gesellschaft an diesem Gartenfest irgendwo am nordamerikanischen Stadtrand zum Song von Michael Jackson die Hüften schwingt: It doesn‘t matter if’ you‘re black or white. Da hört sich der Spaß am Liberal Washing dann doch auf. Das wäre vielleicht eine Spur zu viel der Anbiederung an tolerante Ideale aufrichtiger Weltbürger, die das Miteinander tatsächlich leben wollen – und nicht nur so tun. Die frei sind von Vorurteilen und sich davor hüten, irgendwelche Unterschiede zu machen zwischen Hautfarben und sexueller Orientierung, die sowieso niemanden was angeht – auch nicht das Showbiz oder die Filmbranche. Aber das ist eine andere Geschichte. Diese illustre weiße Gesellschaft in Jordan Peeles Get Out bekennt sich immerhin zum neuen Trend, das Schwarz doch das neue Weiß sei. Und ältere Damen zeigen sich mit agilen jungen Hüpfern ebenfalls farbiger Natur, die sich in ihrer Eloquenz seltsam eingeschränkt geben. Da ist was faul im Reich der jovialen Weißen, denkt sich Daniel Kaluuya aka Chris Washington, der an einem Wochenende bei den Eltern seiner weißen Freundin reinschneit. Nein, das sind diesmal nicht Kathrin Hepburn und Spencer Tracy, und es scheint Catherine Keener und Bradley Whitford nicht im geringsten irgendetwas auszumachen, wenn sie raten müssten, wer zum Essen kommt. Ein schwarzer in der Runde – das entspricht dem Zeitgeist. Da muss man sich schließlich mit Schwarzen zeigen, denn sie sind neuerdings die Attraktion zum besseren Weltverständnis. Chris will das aber garantiert nicht sein – lieber links liegen gelassen als ob seiner physischen Beschaffenheit hofiert zu werden.

So viel Toleranzkitsch stößt sauer auf, und auch die beiden schwarzen Angestellten, die wie ferngesteuert durch die Gegend grinsen, illustrieren ein vor Polemik triefendes Bilderbuch über glückliche Minderheiten, die im Schutz der Weißen sie selbst sein können. Das wiederum ist die große Frage: sind diese Leute wirklich sie selbst – oder treibt Freundins Familie finstere Dinge im versiegelten Keller, der vom schwarzen Schimmel befallen sein soll.

2017 war Jordan Peeles sarkastischer Thriller wohl die Überraschung bei den Oscarnominierungen zum besten Film. Ein Horrorfilm in dieser Sparte? Gabs schon mit Der Exorzist. Nur: während Friedkins Teufelsaustreibung wirklich und wahrhaftig den Schrecken in die Gesichter ihres Publikum schrieb, setzt Get Out vor allem anfangs auf grimmigen Suspense, der mehr an Roman Polanski (u. a. Rosemaries Baby) erinnert als an irgendeinen Schocker. Get Out nimmt in seinem Film die ein paar Jahre später in aller Munde befindliche Woke-Kultur vorweg, die sich in ihrem Anstand ereifert und dabei durch die Hintertür einen neuen, noch perfideren Rassismus erstarken lässt. Hinter all dieser Bigotterie schwelt das System Sklaverei 2.0, zumindest in Peeles Alptraum-Universum, in welchem sich toughe Kerle wie Daniel Kaluuya zum Glück behaupten können. Er allein macht den Streifen dann auch wirklich sehenswert – die zurückhaltende Art, des „Behaviour“ des anständigen Gastes, der versucht, niemanden auf den Schlips treten zu wollen. Ihm gegenüber eine wirklich diabolische Catherine Keener, die in ihrem überheblichen Intellekt nur den Teelöffel schwingen muss. Man sieht: gewitzte Ideen vereinigen sich zu einem Escape Room-Szenario mit allerhand Kritik an eine Neidgesellschaft in all ihrer sozialen Heuchelei.

Im Ganzen aber stumpft sich die scharfe Klinge aus Wortwitz und beobachtbaren Irritationen recht schnell ab. Was bleibt, ist ein grober Rundumschlag mit handfestem Gerangel und klassischem Showdown. Von der Entlarvung eines heuchelnden Bürgertums bleibt wenig übrig, ein Exempel wird nicht statuiert. Die Lust am Thriller wird womöglich auch das potenzielle Publikum verspüren, könnte sich Peele gedacht haben. Stimmt, er hätte recht gehabt. Kaluuya als Nemesis macht Spaß. Hätte es anders kommen sollen, hätte das Drehbuch schon viel früher eine andere Richtung nehmen müssen. So bleiben dem Film nur Stereotypen und angerissene Twists, die sich nicht vollends einmal um die eigene Achse drehen.

Übrigens: Wer irgendwann während des Films glaubt, Karl Malden zu entdecken – das ist er nicht. Richard Herd sieht ihm aber zum Verwechseln ähnlich.

Get Out

X

DIE ALTEN ALS FEINDBILD

6/10


x© 2022 capelight pictures


LAND / JAHR: USA 2022

BUCH / REGIE: TI WEST

CAST: MIA GOTH, JENNA ORTEGA, BRITTANY SNOW, KID CUDI, MARTIN HENDERSON, STEPHEN URE, OWEN CAMPBELL U. A.

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Gegen diesen alten Griesgram ist Hogwarts Hausmeister Filch aus dem Harry Potter-Universum geradezu die Freundlichkeit in Person: Wie der knorrige Greis mit der Flinte auf den jungen Herren da zielt, die Mundwinkel gleich einer bissigen Karikatur böse heruntergezogen, und bei den wenigen Worten, die der Alte da von sich gibt, blitzt ein einzelner Zahn in einem Gebiss, das dringend Dritte benötigt – spätestens nach dieser Begegnung wird klar: Hier lässt sich wohl kaum etwas von der älteren Generation lernen, denn diese sinistre Gestalt führt sicher nichts Gutes im Schilde.

Wie jetzt? Vor den Alten braucht sich von den Jungen doch niemand zu fürchten, oder? Einfach den Sitzplatz in den Öffis überlassen, über die Straße geleiten oder die schweren Einkaufstaschen abnehmen – das ist schon die halbe Miete, um die Brücke zu schlagen zwischen Gestern und Heute. Falsch gedacht. Die Älteren werden oft unterschätzt, da sitzt der Griesgram, der Neid und die entbehrlichen Erfahrungen aus Kriegen und Notzeiten manchmal ganz tief. Die eigene Erziehung, die durchaus mit Gewalt und militanter Prüderie einhergegangen sein mag, prägt das Handeln. Und dann das: ein junges Filmteam macht sich auf dem Anwesen des zahnlosen Alten mitsamt seiner gespenstisch erscheinenden Gattin breit. Es will einen Film drehen, und zwar nicht irgendeinen, sondern den womöglich besten Pornofilm aller Zeiten. Zumindest ist die Begeisterung groß bei den jeweils drei Männern und Frauen, die sich auch nicht wirklich die Mühe geben, die Bauersleut‘ über die pikanten Umstände aufzuklären.

Da gehört schon ein ordentliches Quantum an Respektlosigkeit dazu, allerdings auch ein gesundes Revolutionsbewusstsein, das in heller Koitusfreude die katholizistische Prüderie der amerikanischen Predigergesellschaft aufzubrechen gedenkt. Nicht mit den Alten, lautet in Ti Wests blutigem Psychothriller die Devise. Denn die sind immer noch da und gefälligst ernst zu nehmen. Auch wenn sie den Eindruck vermitteln, längst im Morast der Demenz zu versinken.

Selten hat man die Generation der 80 plus so sehr der Hilfsbedürftigkeit entledigt gesehen wie in X, abgeleitet vom X-Faktor, dem gewissen Etwas. Altwerden geht hier einher mit Missgunst, Frust und Manie. Anders Houchang Allahyaris generationenübergreifender Liebesfilm Der letzte Tanz. Hier haben wir Erni Mangold als innerlich junggebliebene Tänzerin, die im Altersheim eine Beziehung mit einem Pfleger eingeht, der ihr Enkel hätte sein können. Auch so lassen sich die Bedürfnisse des Alters darstellen. In Don’t Breathe ist der mit Vorurteilen getarnte Mythos der Senilität das letzte Überbleibsel einer wehrhaften Elite, die der Ignoranz der heutigen Jugend effektiv die Stirn bietet. Anders bei Ti West: Dort ist das Alter das marode Ergebnis einer Gleichung aus Moraldiktatur und vorenthaltener Freiheiten. Da es sich bei X natürlich um Entertainment-Horror handelt, werden auch entsprechend und auf vielfältige Art und Weise brutal die Leviten gelesen. Dabei greift West in den stilistischen Zitatenschatz der italienischen Giallo aus den Siebzigern, verbunden mit Elementen des Haunted House-Horrors und amerikanischer Grindhouse-Slasher. Mittendrin Mia Goth als zukünftiges Porno-Starlet, die wohl mit Simon Rex aus Red Rocket eine Freude gehabt hätte, gefolgt von einer bestens auf Siebziger getrimmten Gefolgschaft, die nach und nach dezimiert wird.

Das beinhaltet nun nicht die große Palette an Überraschungen, die auf einen zukommt. Überraschend sind wohl eher einige Ungereimtheiten im Skript, die verhindern, dass der Film seine logischen Parameter hat. Oder wie lässt sich sonst erklären, dass ein seniles Ehepaar wie dieses einen ganzen Bauernhof führt? Plausibilitätsferne Symbolik ist in X vermehrt zu finden, darunter auch der ganz besonders inszenierte Ekel vor dem Altwerden, das mit dem Rühren an Tabuthemen auch sein Publikum verschrecken will. Ob das gelingt? Kommt ganz auf die Toleranz der Zuseher an.

X

Gold (2022)

ANOTHER ONE BITES THE DUST

7/10


gold© 2022 Leonine Distribution


LAND / JAHR: AUSTRALIEN 2022

BUCH / REGIE: ANTHONY HAYES

CAST: ZAC EFRON, ANTHONY HAYES, SUSIE PORTER U. A. 

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


Die Cree haben es schon immer gewusst: Letztendlich kann sich keiner von Geld ernähren. Und genauso wenig von Gold. Da liegt er da, der Reichtum, gefühlt Milliarden Euro schwer, inmitten einer Ödnis, die kaum postapokalyptischer sein kann. Für Zac Efron als namenlosen Reisenden, den es in dieses Niemandsland verschlägt, ist das Glück womöglich ein Vogerl, dass sich auf seine Schulter gesetzt hat. Dass es dort auch noch hinkackt, davon merkt Zac Efron nichts. Und sein Chauffeur genauso wenig. Beide tanzen um das Goldene Kalb – einem Nugget so groß wie selbiges, halb eingegraben im staubtrockenen Boden und unmöglich, da rausgehoben zu werden. Es braucht einen Bagger – der Kerl mit dem Auto macht sich auf in die nächste Stadt, um alles Notwendige zu organisieren. Der andere, Efron eben, erklärt sich bereit, in der Wüste zu bleiben, um den Schatz zu bewachen. Vor wem, fragt sich? Wer wird hier wohl vorbeikommen, es sei denn, er hat eine Panne, wie eben genau diese beiden, um die es hier geht, eine gehabt haben. Aber seis drum, theoretisch könnten beide losziehen und den Bagger holen, aber so viel Gold überlässt man nicht einfach Skorpionen und Schlangen. Während der Glücksvogel auf der einen Schulter sitzt, meldet sich das kleine rote Teufelchen auf der anderen: Man weiß ja nie, sagt es. Die Gier wird zum streunenden Hund, den man mit Feuer fernhalten kann, während man allein hier unter sengender Sonne, trockenem Wind und ganz viel Staub die Zeit totschlägt. Schließlich sind’s doch nur ein paar Tage. Aus diesen paar Tagen wird schnell mehr, und der Namenlose bereut nun, hier geblieben zu sein.

Man nehme die Endzeitstimmung eines Mad Max-Abenteuers und verbinde diese mit einer Folge dieser Schatzsucher-Soaps, die gut und gerne auf DMAXX laufen. Fertig ist eine kleine, hundsgemeine Parabel auf die dunkle Seite des Reichtums, die mitunter sogar Anlehnung findet an die Legende von König Midas, der alles, was er berührt hat, zu Gold werden ließ und fast dabei verhungert wäre. Zac Efron ergeht es ähnlich, und diesmal hat der Schönling aus Baywatch und Bad Neighbours keinerlei Scheu davor, sich so richtig schmutzig zu machen. Der australische Schauspieler Anthony Hayes (u. a. The Rover, Cargo) bringt den glück- und auswegsuchenden Menschen von zivilisierten Gesellschaftsnormen ab, die moralische Verwahrlosung zeigt sich dabei in den Gesichtern, denen man nicht trauen kann. Selbst Efrons Figur birgt ein Geheimnis, das auf Gewalt zurückzuführen ist, aber so wirklich wird man’s nie wissen. Hayes selbst spielt den anderen Part, auch er schweißgebadet und staubverschmiert. Bald sieht man – vielleicht gar etwas überzeichnet, aber es passt zur expressiven, in der strahlenden Hitze ausgebleichten Optik des Filmes – was es anrichten kann, hat man keine Sonnencreme mit dabei. Der Durst ist da fast das geringste Problem, die abstrakte Panik vor dem Verlust des Reichtums, der da zu Füßen liegt, das allergrößte.

Efron verschwindet hinter einer Schicht aus Blut und Staub, wirkt bald wie Martin Sheen am Ende von Apocalypse Now, nur taucht Efron nicht aus dem Wasser, sondern aus dem Sand, und der verbläst sich in jede Ritze des streamingtauglichen Mediums bis hinaus ins Wohnzimmer oder wo man gerade sitzt, um einen symptomstarken Goldrausch zu umtosen, der seinen moralischen Kompass mit dem der Cree-Indigenen gleichgeschaltet hat. Ein feines, wind und wettergegerbtes Stück australisches Outdoorkino, bei dem man nicht schlecht staunt, was für trostlose Gegenden es in Down Under überhaupt geben kann.

Gold (2022)

A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani

DER FLUCH DES ANSTANDS

7/10


ahero© 2022 Filmladen


LAND / JAHR: IRAN, FRANKREICH 2021

BUCH / REGIE: ASGHAR FARHADI

CAST: AMIR JADIDI, MOHSEN TANABANDEH, SAHAR GOLDUST, FERESHTEH SADRE ORAFAIY, MARYAM SHAHDAEI, ALIREZA JAHANDIDEH U. A.

LÄNGE: 2 STD 7 MIN


Viel zu oft kommt alles zusammen. Das neue Startup, der Verrat am Geschäftspartner und die Trennung von der Mutter des gemeinsamen Kindes. Und als ob das nicht schon genug Zores im Leben des Iraners Rahim wäre – es kommt noch dicker. Und zwar in Form von Schulden. Der Geldgeber ist unglücklicherweise mit dessen Ex familiär verbunden und auf den Verschuldeten nicht wirklich gut zu sprechen. Also wandert dieser ins Gefängnis – bis irgendwann Licht am Ende des Tunnels aufflackert und das Geld zurückgezahlt werden kann. Normalerweise wüsste man nicht wie, doch in Asghar Farhadis Filmen ist niemals alles normal – der Skandal und die Versuchung hängen kitschigen Sonnenuntergängen gleich am Horizont und keiner kann wegsehen. Auch hier ist die Gelegenheit eine, die Diebe macht, und Rahim Soltanis neue und vor allem inoffizielle Geliebte (eine wilde Ehe ist nichts, was man vom Minarett posaunt) findet per Zufall eine herrenlose Damenhandtasche, die Güldenes in sich birgt. Mit diesem kleinen Schatz lässt sich ihr Geliebter aus dem Knast holen – doch der zögert. Warum nur? Währt nicht ehrlich am längsten? Und wäre es überhaupt moralisch vertretbar, das verlorene Geld anderer Leute für den eigenen Vorteil zu missbrauchen? Nein, sagt sich Rahim – lieber Anstand dort, wo Anstand möglich ist. Schließlich möchte sich der junge Mann auch später noch in den Spiegel schauen können. Viel mehr noch – er tut alles, um die Besitzerin der Tasche aufzuspüren. Das gelingt auch, das Gold kehrt dorthin zurück, wo es herkam – und Rahim ist in den Medien ganz plötzlich der honore Held kommender Tage.

Wäre ja alles gar nicht so schlecht. Lieber ehrlich, integer und aufrecht, als ein falscher Hund, der es sich auf Kosten anderer richtet. Da kann man sich selbst nichts vorwerfen. A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani wäre bis zu diesem Punkt sogar ein Feel-Good-Movie über den Wert der guten Tat, gleich einem idealistisch angehauchten Selbsthilfefilm, den sich hoffnungslose Misanthropen zu Herzen nehmen könnten. Nicht so bei Asghar Farhadi. Da hängt bereits von Anfang an ein Mief aus Missgunst und Selbstgerechtigkeit in der Luft. In einer Welt wie dieser ist der Pranger nicht weit entfernt von jener Stelle, an welcher Gutmenschen von ihren Taten berichten. Doch heißt es nicht in der Bibel: lass die eine Hand nicht wissen, was die andere tut? Das wäre ja prinzipiell so gekommen, doch wo Rauch ist, lodert bald ein Feuer und die Chronologie des Zufalls wird von jenen erzählt, die am wenigsten darüber wissen.

A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani ist die händeringende, betont nüchterne Passionsgeschichte eines Pechvogels, an welchem wohl kaum einer seine Schadenfreude hat. Gut gemeint ist hier teuer bezahlt und Ehrlichkeit der Traum, in welchem man plötzlich nackt mit der U-Bahn fährt. So steht er da, Rahim, eine moralisch-liberale Instanz, ein umgekehrter Hauff ’scher Peter Munk, im übertragenen Sinn gänzlich textilfrei und ohne jegliche Mittel, um sich selbst zu verteidigen. Die Ehrlichkeit, so seziert Farhadi, ist die harmlose Sackgasse, in die derjenige läuft, der sie verbreitet, verfolgt von einem schwurbelnden Mob, der den Hang zur Lüge als den stärksten Trieb verdächtigt – und sich selbst dort aufhält, wo sie am meisten verbreitet wird: In den Sozialen Medien. Die sind das wahre Damoklesschwert für Herrn Soltani, der vor lauter Stolpern über fallende Dominosteine mehr und mehr den Überblick und darüber hinaus den Halt verliert. Doch Farhadi lässt seinen Hiob nicht ganz so abstürzen wie es vielleicht Andrei Swiaginzew (Leviathan) getan hätte. Farhadi glaubt genauso wie Rahim an den Anstand, und hält es bis zuletzt für sinnvoll, diesen zu verteidigen.

A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani

The Power of the Dog

DIE EINSAMKEIT DES STARKEN COWBOYS

8/10


thepowerofthedog© 2021 Cr. KIRSTY GRIFFIN/NETFLIX


LAND / JAHR: NEUSEELAND, AUSTRALIEN 2021

BUCH / REGIE: JANE CAMPION, NACH DEM ROMAN VON THOMAS SAVAGE

CAST: BENEDICT CUMBERBATCH, JESSE PLEMONS, KIRSTEN DUNST, KODI SMIT-MCPHEE, THOMASIN MCKENZIE, KEITH CARRADINE, FRANCES CONROY U. A. 

LÄNGE: 2 STD 8 MIN


Wir kennen das vermutlich alle. Die bedrohliche Aura eines unangenehmen Menschen, dessen Präsenz so dominant ist, dass man sich selbst ganz klein vorkommt. Das ist ein Gefühl, als hätte alles, was man selbst zu Wege bringt, den falschen Ansatz. Als wäre man diesem einen Menschen, der dieses beklemmende Vakuum erzeugt, permanent Rechenschaft schuldig. Solche Leute gibt es, und bei diesen Leuten steckt oft etwas ganz anderes dahinter. Womöglich nämlich die Erinnerung an genauso ein Empfinden, das wir selbst in diesem Moment verspüren. So eine unangenehme Persönlichkeit ist der Cowboy Phil, interpretiert von Benedict Cumberbatch, der sich diesmal einen Film ausgesucht hat, der nicht vorrangig nur deswegen produziert wurde, um seinen Hauptdarsteller nach einem Oscar betteln zu lassen. Nein, diesmal ist Cumberbatch Teil eines Räderwerks mysteriöser, aber essenzieller Funktionen.

Phil also, ein unrasierter, ungewaschener, erdiger Typ mit Cowboyhut und ledernen Chaps, dazu Stiefel und stets eine Selbstgedrehte im Mund. Der Mythos schlechthin aus Lucky Luke und John Wayne. Die Arroganz von einem Mann, der alles weiß und alles andere verurteilt. Der kommt eines Tages, gemeinsam mit seinem ganz anders gesinnten, distinguierten Bruder George und einer ganzen Schar anderer Cowboys im Zuge eines Viehtreks an der Gaststätte Red Mill vorbei, in welcher die Witwe Rose gemeinsam mit ihrem Sohn Peter fürs leibliche Wohl der Reisenden sorgt. Schon da versprüht Phil enorme Dosen an Erniedrigungen und Verhöhnungen, vor allem was den schlaksigen Halbwüchsigen Peter betrifft, der in seiner Freizeit lieber Papierblumen bastelt als das Lasso schwingt. Anders George: der verliebt sich in Rose, und ehe man es selbst richtig merkt, sind die beiden verheiratet. Rose zieht in die Ranch, zum Leidwesen von Phil, der ebenfalls dort wohnt und keine Zeit verstreichen lässt, um dieser labilen Frau die Stimmung zu verderben. Da sind wir wieder, bei diesem eingangs erwähnten, beklemmenden Gefühl, dass das Zeug hat, sensible Personen in eine Depression zu stürzen. Doch Phil hat seine Rechnung ohne Peter gemacht, der als Studiosus in den Sommerferien zu Besuch kommt.

Und zwar in eine Gegend, die faszinierender und seltsamer nicht sein kann. Weite Ebenen, grasbewachsene Hügel, im Sonnenlicht gelbbraun und voller Schatten. Auf so einer Ebene ein einsames Bildnis von einer Ranch, wie ein monolithisches Denkmal ragt es aus dem Nichts. Dieser Western, mit dem sich Jane Campion nach langer Schaffenspause wieder zurückmeldet, scheint nicht von dieser Welt. Das sieht man allein an diesen Bildern und an den Einzug einer aufkommenden Industrialisierung in eine mythenbasierte Nostalgie, wie sie Chloé Zhao in The Rider ähnlich beschrieben hat. Nur: The Power of the Dog ist artifizieller, konzentrierter, symbolhafter. Campion erreicht beinahe die Intensität ihres oscarprämierten Klassikers Das Piano. Wobei hier nicht nur die ikonenhafte Darstellung des aus der Zeit gefallenen Cowboys so sehr fasziniert, sondern die mustergültige Fähigkeit und das unfehlbare Gespür für Andeutungen, die mit feiner Klinge formuliert sind und kaum mit Worten so gut wie alles erzählen. In diesem Erahnen der Umstände geben sich Cumberbatch, Kirsten Dunst und Kodi Smit-McPhee (bekannt aus Alpha und X-Men) gegenseitig genug Raum zur Zeichnung ihrer Figuren. Und keine nimmt so sehr Form an wie die des Cowboys Phil. Der Brite schafft das nachvollziehbare Bild eines einsamen, seines Glückes beraubten Mannes, und das mit allen Zwischentönen und Widersprüchlichkeiten.

Widersprüchlich, und daher menschlich und greifbar, sind auch alle anderen Gestalten, die in diesem hermetischen Mikrokosmos eines entfremdeten Montanas (gedreht wurde in Neuseeland) gefangen sind. Stereotypen haben bei Jane Campion nichts verloren, bewährte Formeln ebenso wenig. The Power of the Dog schafft es, ein differenziertes, indirektes, aber freies Spiel unterschiedlicher Kräfte zu erzeugen, die mal wie ein Thriller, ein episches Drama oder queeres Psychogramm funktionieren. Bei letzterem gelingt Campion der Ansatz am besten, und was Ang Lee in Brokeback Mountain spielfilmlang recht ungelenk transportiert hat, weiß dieser Film nur in wenigen Minuten ungleich intensiver und ernsthafter darzustellen.

Obwohl es The Power of the Dog anfänglich nicht leicht macht, in die Geschichte hineinzufinden – letzten Endes ist das Unausgesprochene und zwischen den Zeilen Befindliche verantwortlich dafür, dass mich diese Regiearbeit vom Feinsten in ihren Bann gezogen hat.

The Power of the Dog

Under the Tree

IM ZWEIFEL FÜR DIE NACHBARSCHAFT

6,5/10

 

underthetree© 2018 Bac Films

 

LAND: ISLAND 2017

REGIE: HAFSTEINN GUNNAR SIGURÐSSON

CAST: EDDA BJÖRGVINSDÓTTIR, STEINÞÓR HRÓAR STEINDÓRSSON, ÞORSTEINN BACHMANN, SIGURÐUR SIGURJÓNSSON U. A.

 

Mit den lieben Nachbarn, da suchen wir alle ein gutes Auskommen. Beim Urlaub des jeweils anderen Blumen gießen oder Katzen füttern, schnell einmal die Post ausheben oder im Falle eines Gartens auch hie und da mal den Rasen mähen. Ein freundlicher Gruß, eine winkende Hand. Früher gabs die Bassena, um ein paar Worte zu wechseln. Die Hecke ist nicht erst seit Hör mal, wer da hämmert ein idealer Ort, um eine Art bürgerlichen Gossip zu zelebrieren. Viel mehr muss es auch nicht sein. Der Rest ist privat, in Ausnahmefällen so richtig freundschaftlich. Es gibt aber auch die andere Extreme: den Hass auf die Sippschaft jenseits der vier Wände, aus welchen kreinkarierten Gründen auch immer. Das kann dann schon in ein blutiges Gefecht ausarten, weil der urbane Otto Normalverbraucher einfach sehr schwer einen Schritt zurück machen kann. Der Klügere gibt nach? Ist nicht. Zumindest nicht in vorliegendem Zankapfel von Film, in klirrend gefühlskalter Frische aus dem hohen Norden, aus Island in diesem Fall, und Filmfreunden ist sofort klar, dass isländisches Kino immer sehr gern mit seinem Hang zum Bizarren in den Kloaken lakonischer Dickköpfigkeit plantscht, um gesellschaftliche Defizite relativ deutlich zu entrümpeln.

Diese Dickköpfigkeit, die sieht man auch glasklar vor sich, wie einen Gartenzwerg mit herabgelassener Hose auf den Eckpylonen des Gartentürchens. Das könnte ja ganz komisch sein, nur bei Hafsteinn Gunnar Sigurðssons galligem Parteienkampf gibts prinzipiell mal überhaupt nichts zu lachen. Weder bei den einen noch bei den anderen ist es mit der leichten Schulter nicht weit her, das ist Spießbürgertum allererster Güte. Dabei ist der Fehdehandschuh der ganzen Tragödie im Grunde ein Baum, der eigentlich nur gestutzt zu werden braucht, weil zu einer bestimmten Tageszeit die nachmittägliche oder vormittägliche Sonne nicht auf das nackte Bäuchlein der neuen Freundin des Nachbarn scheint, wenn sie sich sonnen möchte. „Ja ja“, heisst es dann immer von jenseits der Hecke, „machen wir schon“. Getan wird aber nichts, was natürlich die Geduld strapaziert. Und irgendwann reichlich Unmut freien Lauf lässt, zumindest jenen der psychisch angeknacksten Inga, die ihren verschollenen Erstgeborenen einfach nicht für tot erklären will und allen möglichen Leuten, denen es im Leben besser geht, mit Missgunst begegnet. Aus Missgunst wird unverhohlener Neid. Aus Neid Rachsucht. Aus Rachsucht offener Kampf. Die Spirale der Gewalt, die wird in Under the Tree je nach Eskalationstsufe neu angestoßen, und Einsicht gibt es keine.

Sigurðssons kühle, in entsättigter Optik und fahlem Licht erstellte Beobachtung hat nicht im Sinn, seine charaktersschwachen Querulanten in Schutz zu nehmen oder sich über sie lustig zu machen. Es ist fast schon wie bei Michael Haneke. Die Bösartigkeit des Kleinbürgers sind die Früchte einer Kränkung, eines lange unterdrückten Vetos für Gerechtigkeit. Was bleibt, ist eine nihilistische Tragödie, die in konsequenter Weise und aufgrund dummer Zufälle zu einem Ende hinsteuert, das wir nicht mal unserem schlimmsten Nachbarn wünschen würden. Wer Zeuge des Dramas sein und daraus vielleicht ein bisschen lernen möchte, nämlich im Umgang mit anderen, der kann Under the Tree gerne als Beispiel hernehmen, wie das Miteinander ganz sicher nicht funktionieren kann.

Under the Tree