Alpha

ES WAR EINMAL… DER HUND

6/10

 

alpha© 2018 Sony Pictures Entertainment

 

LAND: USA 2018

REGIE: ALBERT HUGHES

CAST: KODI SMIT-MCPHEE, LÉONOR VARELA, NATASSIA MALTHE U. A.

 

Besucht man in Wien das Naturhistorische Museum am Maria Theresien-Platz, empfiehlt es sich, die erste Etage hochzugehen und die Besichtigung der prähistorischen Abteilung mal von links zu beginnen. Kurz vor dem Eingang in den Saal mit den Dinosaurier-Skeletten und dem beweglichem Allosaurus gibt es links in einem Seitengang das Modell einer steinzeitlichen Behausung im Originalformat. Blickt man dort hinein, so sieht man einen Screen, auf dem ein Nonstop-Filmchen über die Kreaturen des Pleistozäns im Endlos-Loop zu sehen ist. Genauso gut könnte dort der Abenteuerfilm Alpha laufen, nur wäre der Bildschirm im muffigen Inneren des mit Fellen und Schädelknochen ausgebauten Unterschlupfs für all die Bildgewalt, die Alpha bietet, entschieden zu klein. Da hätte ich lieber einen eigenen Kinosaal innerhalb des klassizistischen Gebäudes, für genau solche Filme, wie Albert Hughes jugendkonforme Antwort auf The Revenant einer ist.

Ein ähnlich intensives Erlebnis wie Jean Jacques Annaud´s Am Anfang war das Feuer zu erwarten, würde mit einer gewissen Enttäuschung einhergehen. Ebenso würde ich ohne Zweifel den österreichischen Ötzi-Thriller Der Mann aus dem Eis als um Mammutlängen authentischer einstufen, da dieser sogar versucht hat, den ohnehin wortkargen Film in einer möglichen Ur-Sprache erklingen zu lassen. Ohne Untertitel wohlgemerkt, um noch das letzte bisschen Bequemlichkeit zu nehmen, und außerdem erschließt sich die übersichtliche Handlung alleine schon durch das Agieren der archaisch bekleideten Opfer und Täter irgendwo in Südtirol ohnehin. Alpha hat weder Annaud´s erdig-urtümliche Atmosphäre, noch den Anspruch auf Authentizität wie Felix Randau´s unwirtliche Zeitreise. Aber: Alpha besticht durch landschaftliche Tableaus im Morgen- und Abendlicht, nach dem Regen und vor dem Sturm. Das Licht legt sich wie flüssiges Gold über das Grasland, rotviolettes Zwielicht taucht die Szenerie in ein mitunter leicht kitschiges, aber sattes und opulentes Damals eines Europas vor rund 20.000 Jahren, das sich geografisch nicht so genau festlegen will und daher alle möglichen Ökosysteme des alten Kontinents miteinander vereint – von scharfkantigen Schluchten bis hin zu ausladenden Gletschern und schroffen Gebirgen. Alpha ist wie ein Diorama, und auch solche Arrangements finden sich in den Naturkundemuseen dieser Welt. Es ist, als steige man in Albert Hughe´s Steinzeitabenteuer direkt in ein interaktives Museum. All das, was sich in den Sammlungen zur Frühgeschichte des Menschen so finden mag, haben wir hier fein säuberlich vereint. Die Sippschaften von damals sind adrett gekleidet, mit Knochen-, Federn- und sonstigem Behang. Minuten später ziehen Mammutherden im Abendlicht übers Feld. Prähistorische Schweine dürfen ebenfalls gejagt werden wie Herden des Ur-Rinds – hier wieder werden Erinnerungen an die Büffel-Szene von Der mit dem Wolf tanzt wach, in Alpha ist die Konfrontation der Speerjäger mit der ungebändigten Naturgewalt auf vier Hufen ein bereits schon sehr früh verbrauchtes Highlight. Aber das macht nichts, irgendwann kommt der Häuptlingssohn namens Keda auf den Hund. Um genauer zu sein kann von Hund Anfangs keine Rede sein. Womit er sich anlegt, das sind ein Rudel Wölfe, und das, nachdem der schlaksige Frischling vom eigenen Papa für tot erklärt wird. Wider Erwarten – also zumindest für den nichtsahnenden Papa – rafft sich Keda auf und macht sich auf den Heimweg, der sich natürlich endlos in die Länge zieht, da der Junge weder einen Plan noch sonst irgendwelche ausgereiften Kenntnisse besitzt, mit denen sich gezielt orientieren lässt. Soviel zu The Revenant, und ja, manchmal leidet, ächzt und stöhnt der australische Schauspieler Kodi Smit-McPhee genauso intensiv vor sich hin wie Leonardo DiCaprio. Nur Leo hatte sich keinen Wolf erjammert – Smit-McPhee schon. Und als beide dann irgendwo im Nirgendwo in einer Höhle kauern, der Mensch das verletzte Tier verarztend und gleichzeitig unterwerfend, sehen wir alle die Genesis des besten Freundes des Menschen aus einem vorsintflutlichen Licht, wie es um die Stunde Null für den Hund wohl gewesen sein mag, wie durch Zufall das Tier an seinem Herren den Eigennutzen erkennt und umgekehrt. Eine artenübergreifende Symbiose ist das, eine Kosten/Nutzenrechnung, die aufgeht – und eine bis heute andauernde Geschichte der unterschiedlichsten Rassen nach sich gezogen hat, vom Rehrattler bis zur Deutschen Dogge. Über so viel Science-Fiction würde die Wölfin Alpha nur ein ungläubig bellendes Lachen von sich geben.

Als Landschafts- und Naturfilm gewährt Alpha einen so tröstenden wie idealisierten Blick auf eine Erde, auf welcher der Mensch noch Teil der Nahrungskette war. Insofern verspricht Alpha Schauwerte im anspruchsvollen Kalenderstil aus dem Museumsshop, darüber eine recht berechenbare, simple Geschichte, die es allerdings gut meint und auch versucht, den Wolf so wenig zu animieren wie möglich, wobei ich mir hier manchmal nicht ganz sicher bin, wann Meister Isegrim aus Nullen und Einsen besteht und wann nicht. Alpha ist schönes Volkskino aus und über die Urzeit, so schön wie eine wohlgefällige Terra Mater-Doku und entsprechend überschaubar packend.

Alpha

Drei Zinnen

MIT PAPA ÜBER´M BERG

7/10

 

dreizinnen© 2017 Rohfilm Productions

 

LAND: DEUTSCHLAND, ITALIEN 2017

REGIE: JAN ZABEIL

MIT ALEXANDER FEHLING, BÉRÉNICE BEJO, ARIAN MONTGOMERY

 

Das muss schon ein gewaltiger Anblick sein, diese Felsformation, wenn man direkt davor steht, den Kopf in den Nacken legt und zu den Spitzen in den manchmal wolkenverhangenen Himmel späht. Diese Drei Zinnen, die sind sowohl Südtirol´s Aushängeschild in Sachen Bergwelten. Eine einmalige Kulisse, selbst für ein Kammerspiel wie dieses, eine deutsch-italienische Ko-Produktion, die sehr viel frische Luft zum Atmen hat, in Sachen Gegend und Ausblick aus dem Vollen schöpft, sich aber dennoch ziemlich einkapselt und isoliert. Da kann der Zerstreuung und Natur tankende Mensch noch so ins Weite blicken. Entfernter noch als das nächste Dorf ist die zweckoptimierte emotionale Bindung zwischen Stiefvater und Sohn unter der teils tadelnden, teils gewährenden Obacht der Mutter, dargestelt von Bérénice Bejo, die Filmkenner bereits aus dem oscarprämierten Retro-Drama The Artist kennen. Der bemüht entspannt wirkende Hipster-Reservepapa: Alexander Fehling, irgendwie relativ wortkarg und farblos, hinter teils unbewusst heuchelndem Verständnis ein aufgestautes Ego, das sich arrangieren muss. Vor allem mit einem omnipräsenten Buben im Grundschulalter, der höchst merkwürdige Verhaltensweisen an den Tag legt. Dieses Gebärden kommt natürlich nicht von Irgendwo, sondern sind Symptome der inneren Zerrissenheit eines Heranwachsenden, der plötzlich zwei Väter hat, beide völlig grundverschieden. Der von mama neu zugelegte bärtige Riese im Holzfäller-Look kann natürlich der leiblichen Leitfigur nicht das Wasser reichen – oder doch? Darf er das, soll er das, und kann der eine den anderen ersetzen? Auch das ein Ding der Unmöglichkeit. Mutters neuer Lover ist ein Fremdkörper, der aber fasziniert. Dessen Nähe gewollt ist, im Gedankenkosmos des Kindes aber ein verbotenes Unterfangen nahe am Verrat darstellt.

Drei Zinnen ist eine Dreieiecksgeschichte ohne Liebelei, dafür entknotet Regisseur Jan Zabeil (Der Fluss war einst ein Mensch, ebenfalls mit Alexander Fehling) das Gewirr familiärer Moral in Sonderfällen wie diesen, bei Weitem kein Einzelfall und oft bis zur Verdrängung kleingeredet, wenn es um Sicherheit, Stabilität und Vertrauen geht, um Liebe und Verlass. Wuchtige Meilensteine im Erwachsenwerden, die durch Trennung, Verlust und Sehnsucht instabil werden. Gar nicht gut, im Mikrokosmos einer Berghütte am Fuße der drei Zinnen natürlich verstärkt als Bühne für ein Gleichnis wie dieses. Die schroffen Felsnadeln als gigantisches Symbol der Dreifaltigkeit einer intakten Familie – Vater, Mutter, Kind. Zabeil´s Film ist ein Bühnenstück in kurzen, teils lakonischen Szenen voller paraverbaler Kommunikation und allerlei Empfindungen, die ihre lebensbedrohliche Konsequenz in einem metaphorischen Survivaldrama findet, welches  weniger die Extremsituation in den nebelverhangenen Bergen an sich schildern will als vielmehr den emotionalen Konflikt zwischen Ersatzvater und fremdem Sohn bildhaft nach außen kehrt.

Wo allzu viele Wortgefechte oftmals zu kopflastig und konstruiert wirken, lässt Drei Zinnen die Situationen jenseits gefälliger Worthülsen für sich sprechen, von Zuständen der Geborgenheit bis hin zum packenden Balanceakt zwischen Tragödie und dem Aufklaren des Nebels. Ein kompakter, so intensiver wie expressiver Berg- und Heimatfilm, dessen genrebedingte nostalgische Verklärung eines Zuhauses das unzerstörbare Gefüge einer Familie ist. Wie auch immer diese sich zusammensetzt und wie sehr sie auch von traditioneller Statik abweichen mag.

Drei Zinnen

Train to Busan

WEGEN ERKRANKUNG EINES FAHRGASTES …

7,5/10

 

train_to_busan© 2016 Splendid

 

LAND: SÜDKOREA 2016

REGIE: YEON SANG-HO 

MIT GONG YOO, KIM SOO-AN, YUMI JUNG U. A.

 

Wenn Chris Lohner, die Stimme der Österreichischen Bundesbahnen, nur mehr schwer zu verstehen ist, die Schnellbahn an geplanten Stationen nicht mehr hält und Fahrgäste wie vom wilden Affen gebissen gezielt in eine Richtung strömen, dann hat das weniger etwas mit defekten Türen zu tun, sondern vielmehr mit einer Zombie-Epidemie. Meist erklingt dann noch die Meldung, dass den unregelmäßigen Zugsfolgen die Erkrankung eines Fahrgastes zugrunde liegt. Das ist natürlich ein ausschweifender Euphemismus. Was heißt ein Fahrgast – viele! Außerdem: Seuchen wie diese hier im koreanischen Katastrophenhorror breiten sich rasend schnell aus. Da braucht ein Besessener nur mit dem langen Fingernagel zu kratzen – schon verfällt der nächste Mensch dem Wahnsinn. Wobei so ein Szenario im Kino ausgetretenen Pfaden folgt. Zombie-Filme wiederholen sich. Längst sind es keine Friedhofsflüchtlinge mehr, sondern anlässlich biochemischer Experimentierfreudigkeit in den hochfinanzierten Laboren dieser Welt darf der tumbe Untote nun als Opfer nachhaltiger Fehlzündungen fungieren. Die Symptome sind meist dieselben – milchige Augen, dunkle Adern, unstillbare Gier nicht mal nach Blut, sondern viel mehr danach, den Nächstbesten zu beißen. Das zeugt von einem intelligenten, aggressiven Biostoff, der den Menschen als Wirt benutzt, um sich auszubreiten.

Auch nichts Neues, das habe ich unlängst ebenso in dem Netflix-Zombiedrama Cargo gesehen. Da streunt Martin Freeman mit Tochter im Schlepptau durch den Busch. Der Südkoreaner Yeon Sang-ho setzt seine Protagonisten ebenfalls in Bewegung, allerdings setzt er sie in einen Zug von Seoul nach Busan. Kurz vor der Abfahrt aus der Hauptstadt torkelt ein infiziertes Mädchen in eine der Waggons – und das Unglück nimmt seinen Lauf.

Ein Zombie-Szenario in die Enge eines Zuges zu verfrachten – das hat was. Und Sang-ho nimmt sich der Neuordnung des Szenarios in blutdrucksteigerndem Timing dankbar an. Dabei erinnert Train to Busan an Marc Forster´s Film-Pandemie World War Z und könnte sogar zur selben Zeit im selben Universum spielen. Da ich die Vorlage zum Film mit Brad Pitt nicht kenne, kann ich getrost sagen, dass mir die verfilmte Chronik der Apokalypse ziemlich gut gefallen hat. Vor allem deswegen, weil World War Z genauso wie Train to Busan sich nur mehr bedingt auf den plakativen Effekt blutverschmierten Zähnefletschens verlässt. Vielmehr ist der koreanische Film großes, emotionales Kino, gleichzeitig natürlich auch ein Nägelbeißer von einem Thriller, weil sich Papa Seok-woo und Tochter Su-an immer wieder in scheinbar ausweglosen Situationen wiederfinden, gemeinsam mit anderen überlebenswilligen Individuen, die sich notgedrungen zusammenraufen müssen und von einer Sekunde auf die andere neu improvisieren müssen.

Das liebe ich am Kino Südkoreas – das es andere Sichtweisen auf altbekannte Genres zulässt, dass es Stile mixt und sich keinen vorgefertigten Dogmen unterwirft. Train to Busan ist sowohl fesselnd als auch unglaublich traurig. Die Melancholie des Abschieds, die Erkenntnis, gebissen und verdammt worden zu sein, die instinktgesteuerte Leere der verlorenen Kreaturen – all diese Wehmut vor dem Untergang entfesselt ein berührendes, spannendes Drama weit jenseits des nackten Horrors. Als würde der Zug, dem man verzweifelt hinterherläuft, auf ewig der letzte sein.

Train to Busan

Die Farbe des Horizonts

SEGELN UM KOPF UND KRAGEN

7/10

 

Sam Claflin and Shailene Woodley star in ADRIFT 
Courtesy of STXfilms© 2018 Weltkino

 

ORIGINAL: ADRIFT

LAND: USA 2018

REGIE: BALTASAR KORMÁKUR

MIT SHAILENE WOODLEY, SAM CLAFLIN, GRACE PALMER U. A.

 

Neidisch könnte ich werden. Junge Menschen an den Stränden Tahitis, ungebunden und nur für sich selbst verantwortlich. Einfach zu jung, um sich Sorgen zu machen. Manche haben sogar ihr eigenes Boot, wenn geht selbst gebaut, mit dem sie die Meere durchkreuzen, immer auf der Suche nach neuen Abenteuern, neuen Eindrücken, oder gleich nach der Frau fürs Leben. Die findet der junge Richard, als er in der Südsee einen Zwischenstopp macht. Die Kalifornierin Tami ist auch so eine losgelöste Seele, mal da mal dort ein bisschen Geld verdienen, um nur das zu machen, was wirklich auf der Willhaben-Liste steht. Gefunden haben sich die beiden schnell, ihre Liebe zueinander ist bald gestanden. Auf geht’s übers Meer.

Bis dahin klingt die auf wahren Ereignissen beruhende Geschichte ein bisschen – was heißt ein bisschen – nach Nicholas Sparks oder Rosamunde Pilcher, vielleicht sogar ein bisschen nach einem Ferienfilm von Richard Linklater, in dem ganz viel gequatscht wird, während den jungen Dauerurlaubern die Sonne auf den Bauch scheint. Doch ein Werk von Studenten-Philosoph Linklater ist dieser Film keiner. Obwohl von Schauspielerin Shailene Woolley höchstselbst produziert, trägt das romantische Abenteuerdrama Die Farbe des Horizonts die Handschrift eines Genre-Experten, der mit unglaublichen Outdoor- und Survival-Geschichten bereits seinen Beitrag zur Filmgeschichte geleistet hat: Balthasar Kormákur. Der Isländer hat mit seinem True Story-Debüt The Deep schon so ziemlich überzeugt. Sein letzter „Land der Berge“-Horror Everest war intensiv und fesselnd. Die Dimensionen der Kälte im Rücken, hat Kormakur nun seinen menschlichen Kreuzweg in den warmen Pazifik verfrachtet, genau dorthin, wo nämlich nichts ist, außer Himmel und Meer, quälende Sonne und verlockende Resignation. Dass dieses ach so verliebte, turtelnde Paar dann, statt bis nach Japan, quer über den Pazifik segelt, um das Boot eines Bekannten in den sicheren Hafen von San Diego zu bringen, ist der Wink eines Schicksals, welches später gnadenlos zuschlagen wird. In der schwer zu fassenden Gestalt eines Hurrikans, mitten auf hoher See. Das möchte ich nicht mal im Traum erleben, mir selbst reicht schon ein böiger Wind, der das Boot einer Attraktion im Vergnügungspark gleich hin und her schaukeln lässt, weit entfernt von lebensbedrohlichen Szenarien. Doch die Ratio kommt im Kopf nicht an, vor manchen Dingen hat man einfach mehr Angst als vor anderen. Dennoch lockt es mich immer wieder in solche Filme, vielleicht, weil ich in diese Richtung bereits Erlebtes gut verarbeiten kann, oder weil es mich einfach fasziniert, wie Menschen über sich herauswachsen, um Unmögliches durchzustehen.

Shailene Woodley´s Jung-Amerikanerin Tami gelingt genau das – sie steht das Fernweh, das diesmal so richtig wehtut, bis zur Selbstaufgabe durch. Ihr sonnengebleichtes Haar, ihr tropengebräunter Teint macht sie zu einer Ali McGraw des authentischen Abenteuerfilms, mit Mut zur leidensfähigen Expressivität, die wir normalerweise von Jennifer Lawrence gewohnt sind. Woodley holt das Publikum aber sogar noch besser ab, vertraut ihrer Rolle und ihrem Zugang dazu. Lässt teilhaben an dieser Entbehrung in einer lebensfeindlichen Unendlichkeit, wie damals Robert Redford in All is Lost, allerdings mit dem Faktor einer Liebenden, die mehr zu verlieren hat als „nur“ die eigene Existenz.

Die Farben des Horizonts, die leicht als kitschig fehlinterpretiert werden und die als Titel eines Filmes die falschen Hoffnungen für einen Schmachtfetzen hegen, ist ein unchronologisch erzähltes Südseedrama mit dem Geschmack von Meersalz, das mit dem Höhepunkt beginnt und das Gestern und Morgen behutsam zusammenführt. Das mag erstmal etwas verwirrend und vielleicht auch zu willkürlich und unmotiviert anmuten, erhält aber gegen Ende seine Berechtigung und bleibt als packender Überlebenskampf gegen Wellen, Meer und Himmelsrichtung auf schmerzvolle wie trotzige Weise in guter Erinnerung.

Die Farbe des Horizonts

Cargo

DA IST WAS IM BUSCH

6/10

 

cargo© 2018 Netflix

 

LAND: AUSTRALIEN 2018

REGIE: BEN HOWLING, YOLANDA RAMKE

MIT MARTIN FREEMAN, ANTHONY HAYES, CARMEN PISTORIUS U. A. 

 

Auch wenn Zombies im Grunde ihres Un-wesens wandelnde Tote sind – für Verblichene haben sie in der Welt von Film und Fernsehen wirklich einen langen Atem. Dabei ist nicht der Zombie an sich das Faszinierende für den Mainstream, sondern das Aushebeln gesellschaftlicher Ordnung – sprich das gesetz- und anstandslose Vakuum, das den Menschen umgibt, der doch so sehr so viele Regeln braucht, um überhaupt geradeaus existieren zu können. Survival of the Fittest ist dann meistens nur mehr eine Frage der Zeit, denn fit sind die wenigsten. Und die Unfittesten schlagen sich als geifernde Kannibalen durch den Großstadtdschungel. Allerdings muss es nicht immer der Großstadtdschungel sein, auch wenn die Gier nach Blut und Menschenfleisch das Non Plus Ultra einer pervertierten Weltordnung darstellt. Ohne Kannibalismus geht es gar nicht – ohne urbane Orientierungspunkte schon. Das beweist die neueste Produktion, die derzeit in den (noch) nicht vorhandenen Lichtspielhäusern von Netflix vom LED-Bildschirm flimmert.

Cargo nennt sich das apokalyptische Szenario aus Australien, und ja, auch hier trinken Zombies Blut. Wer glaubt, dass Cargo die Tendenz zur kolonialkritischen Abhandlung aufweist, der irrt: Dieses Virus trifft sowohl Aborigines als auch die weiße Herrenrasse. Woher diese Krankheit kommt, wird nicht näher erläutert. Wohin sie geht und ob man ihr Herr werden kann, ebenso wenig. Cargo ist eine Episode aus der Endzeit, die vielleicht nur Australien betrifft – wie es in Übersee aussieht, bleibt ein Geheimnis. In dieser Episode rennt der grundsympathische Familienvater Martin Freeman ums Überleben, in der Buckelkarre seine Tochter. So hetzt er durch den Busch. Immer wieder mal tauchen die Untoten auf, aus ihren Augen quillt Sekret, dass an Marmelade erinnert. Und wo Marmelade klebt, da können die torkelnden Kranken nicht weit sein. Selten ist es einem Zombie-Film so sehr gelungen, die instinktgesteuerten Mutanten als einen Haufen bemitleidenswerter Opfer darzustellen. Wenn die grobmotorischen Marmeladinger ihren Kopf in den Sand stecken, oder im Tunnel rastend an der Wand lehnen, wirken sie in ihrer symptomatischen Berechenbarkeit fast ein bisschen harmlos – und sehr, sehr armselig. Der Mensch ist in Cargo so wirklich ziemlich am Sand. Da würde sich empfehlen, auf dem Wasser zu bleiben. Und keinesfalls in vermeintlich verlassenen Booten herumzustöbern. Natürlich ist die Nahrung knapp. Aber die Neugier ist ein Hund, und die ist letzten Endes bissig. Also ist Freeman irgendwann ein lettes Überbleibsel – und wer weiß, vielleicht sogar selbst bald einer dieser traurigen Gestalten.

Das Zombie-Genre hat zwar, wie eingangs erwähnt, einen langen Atem, tendiert aber gleichermaßen dazu, langatmig zu werden. Angesichts des Bulks an thematisch ähnlich gelagerten Endzeit-Visionen laufen Film-Frischlinge dieser Art sehr leicht Gefahr, auszuleiern und kaum mehr Neues zu erzählen. Der Plot zu Cargo verheddert sich gelegentlich im dornigen Gestrüpp des Outbacks. Vieles, was der Film erzählt, ist vorhersehbar und allerlei Vorahnungen finden sich bestätigt. Dennoch liegt über dem Buschland, in dem einst Crocodile Dundee seine Abenteuer erlebt haben möchte, eine schicksalsversöhnte Melancholie, als wäre das Ende der Zivilisation nur willkommen. Und als würde die Zukunft des Menschen im Reboot seiner gesellschaftlichen Entwicklung liegen. Trotz der Anspannung herrscht resignativer Friede, ein Aftermath im Gelände, ein Ausatmen abgestandener Atemluft. In dieses schaumgebremste Aufbegehren der biedermännische Hobbit von früher  – voll väterlicher Verantwortung und panischer Suche nach einer Normalität, die niemals wiederkehren wird. Insofern ist das langsam erzählte Footmovie durchaus stimmig, wenn auch viel zu schnell mit sich selbst zufrieden.

Cargo

Jungle

MUTTER NATUR IM NACKEN

6,5/10

 

Photo Editor© 2017 Splendid Film GmbH

 

LAND: USA 2017

REGIE: GREG MCLEAN

MIT DANIEL RADCLIFFE, THOMAS KRETSCHMANN, ALEX RUSSEL, YASMIN KASSIM U. A.

 

Welcome to the Jungle ist als Abenteuer-Euphemismus mal prinzipiell völlig falsch. Willkommenskultur kennt der Dschungel nämlich keine. Wer sich da hineinwagt, ist selber schuld. Als Dschungel wird mal über den Kamm geschoren alles bezeichnet, was einem tropischen Regenwald gleichkommt. Unwegsames Gelände, frei von Forstwirtschaft. Wo alles kreuz und quer wächst, was halt eben so wächst. Und wo sich Fuchs und Hase keine Gute Nacht wünschen, sondern auffressen. Klar gibt’s da auch diverse Levels im Ökosystem. Vom Convenience-Tropenwald für Öko-Ausflügler bis zu El Dorado als Stecknadel in einem Heuhaufen, der lebensfeindlicher nicht geht, der aber als Hot Spot der Arten im Grunde alle Stücke spielt – Der Amazonas. Der ist ja an sich „nur“ der Fluss, als Amazonas wird aber mittlerweile die gesamte grüne Lunge Südamerikas bezeichnet. Und die ist seit Menschengedenken ein metaphysisches Mysterium voller Legenden, Gefahren und One-Way-Tickets. Letztes Jahr war ich selbst am Rio Negro. Und ja – der kleine Teaser eines möglichen großen Abenteuers war berauschend genug.

Yossi Ghinsbergh war anfangs einer, der mit beiden Tickets in den Dschungel ging. Als Weltenbummler Anfang der Achtziger hat der Israeli schon so einiges von der Welt gesehen. Aber noch niemals so wirklich einen Dschungel. Welch ein Glück, dass ihm ein gewisser Karl begegnet – ein windiger Typ, ein Lonesome Cowboy, ein Aussteiger par excellence, so geheimnisvoll wie unberechenbar. Gemeinsam mit zwei anderen Reisegefährten macht sich Yossi auf ins neue Abenteuer – auf der Suche nach einem verborgenen indigenen Stamm mitten im Nirgendwo. Klar kommen die drei Reisenden in Anbetracht der fehlenden Erfahrung im Dschungel aller Dschungel wie die Jungfrau zum Kind. Wer die grüne Hölle nicht irgendwie einzuschätzen weiß, ist gefundenes Fressen. Also müssen die Burschen in jeder Hinsicht an ihre Grenzen gehen, bis sie sich trennen und der dubiose Karl mit einem der drei den Rückweg antritt – während Yossi und sein Compagnon auf einem Floß flussabwärts weiter ihr Glück probieren. Natürlich geht auch das schief. Der Worst Case tritt ein und die beiden verlieren und verirren sich. Wobei die True Story aus Sicht des Israelis erzählt wird. Und der ist fortan auf sich allein gestellt, irgendwo im Grünen, verloren und verdammt, im Kreis zu gehen, zu hungern und zu dürsten, sich von Ameisen beißen zu lassen oder als Wirt für Parasiten herzuhalten. Vom Jaguar verfolgt oder vom Regen durchnässt zu werden. Jungle ist ein Abenteuerdrama, das zeigt, wie sehr man die Natur nicht unterschätzen darf.

Für diesen Brutal-Exkurs nach Tatsachen, die auch in dem von National Geographic verlegten Bericht Dem Dschungel entkommen nachzulesen sind, hat sich niemand anderer als der erwachsen gewordene Harry Potter verpflichtet. Daniel Radcliffe, der immer noch verzweifelt versucht, das Brandmal des Zauberkünstlers von seiner Stirn zu wischen, glänzt in herausfordernden Rollen, die nicht jeder bereit wäre zu spielen. Wie Robert Pattinson dürfte Radcliffe seine kommende Schauspielkarriere im gehobeneren Independent-Sektor gut aufgehoben wissen. Schauspielern kann er ja, und ich persönlich folge Radcliffe – ob als furzenden Halbzombie oder ausgemergelten Überlebenskünstler – bei seinen filmischen Challenges wirklich gerne. Für Jungle hat sich Radcliffe Christian Bale´s Entbehrungsbereitschaft bei Werner Herzog´s Rescue Dawn abgeguckt – am Ende des Survivalthrillers ist der junge Brite kaum mehr zu erkennen, so lehmverkrustet und abgemagert stolpert er durch die prachtvolle Naturkulisse – die nur zum Schein das Paradies bereithält.

Der australische Filmemacher Greg McLean (Das Belko Experiment, Wolf Creek) bringt mit seiner zumindest teilweise als One Man Tor-Tour zu verstehende Blätterodyssee entwurzelten Alpha-Städtern, die die Welt, auf der wir leben, fahrlässig vergraulen, ordentlich Respekt bei. Wie klein Homo sapiens wird, wenn er auf einem Planeten ums Überleben kämpft, den er gewissermaßen als unterworfen sieht, lässt sich in Jungle treffsicher beobachten. Was ich für meinen Teil tun werde, ist, Yossi Ghinsbergh´s Bericht auf alle Fälle nachzulesen. Alle Details werden filmisch sicher nicht verarbeitet worden sein – und für all jene, die das Verhältnis Mensch-Natur genauso fasziniert wie mich, sei dieser spannende Bericht einer Entführung durch Mutter Natur entweder als Buch oder als Film gleichermaßen empfohlen.

Jungle

The Florida Project

MARY POPPINS GIBT ES GAR NICHT

6/10

 

floridaproject© 2017 Thimfilm

 

LAND: USA 2017

REGIE: SEAN BAKER

MIT WILLEM DAFOE, BROOKLYNN PRINCE, BRIA VINAITE, CHRISTOPHER RIVERA U. A.

 

Die tropische Halbinsel im Süden der Vereinigten Staaten ist das Paradies wohlhabender Pensionisten, Abenteurer und Panzerechsen-Dompteure, Individualurlauber und Vergnügungssüchtige. Florida hat was. Zumindest habe ich selbst, als ich dort war, ein bisschen den Eindruck gewonnen, was dieser Bundesstaat für Vibes verteilt. Wie sehr massentaugliche Attraktionen reizverwöhntes Publikum um den Finger zu wickeln weiß. Befindet man sich vor den Toren Disneyworlds, kleben wie zuckersüße Geschwüre diverse Motels und Absteigen mit vielversprechenden Namen aus der Märchenwelt an der isolierenden Barrikade, die Mickey Mouse und Co im Schulterschluss rund um Disneys Märchenschloss bilden. Wenn noch nicht mittendrin, dann zumindest nur dabei. Und dann aber quietschbunt, exorbitant penetrant und das gefakte Schlaraffenland der unbegrenzten Möglichkeiten allen und jeden verkaufend, die hier durchziehen, Halt machen oder auch mal vorgekaute Träume schnuppern möchten. Dieses Disneyworld kann man lieben oder hassen. Dazwischen gibt’s womöglich kaum eine Grauzone. Mir reicht schon der Wiener Prater, da ist ein Wochenende zwischen Pappburgen, Junkfood und Erlebniswelten sicher die Gehirnwäsche pur.

Andere können sich davon nicht mal den Dreck unter Mickeys Fingernägel leisten. Sieht man etwas genauer hinter die schweinchenrosa Kulissen, findet man die am Rande der Existenz Gestrandeten in direkter Nachbarschaft zum Konsum- und Erlebnisrausch. Regisseur Sean Baker, der mit Tangerine L.A. 2015 erstmals einen Kinofilm ausschließlich mit dem Smartphone gedreht hat, erzählt die Geschichte eines sozialen Scheiterns aus der Sicht des Mädchens Moonie in Form eines scheinbar lose skizzierten Filmtagebuchs. Da fehlt nicht viel zur Reality-Doku, so unmittelbar und berührungsfreudig nähert sich Baker seinen dahinexistierenden Personen, die noch dazu allesamt von Laiendarstellern verkörpert werden. Mit Ausnahme von Hausverwalter Willem Dafoe, der als guter Geist mit sozialer Ader wie ein Erzähler aus dem Off versucht, Harmonie zu bewahren und es allen recht zu machen. Sternstunde des Schauspiels ist das keine, aber mit Engagement bei der Sache. Das sind auch die vielen Kinderdarsteller, die wiedermal ob ihres Könnens so ziemlich verblüffen. Dass die Emotionen der vagabundierenden Tafelklassler-Gang allesamt echt sind, vor allem die Tränen der kleinen Moonie, erfährt man spätestens gegen Ende des Filmes. Kinder können vor der Kamera echte Naturtalente sein. Diese Tatsache konnte ich schon bei Jeremy Miliker in Die beste aller Welten beobachten. Der Grundschüler hat in dem bemerkenswerten österreichischen Film alle Gefühlsregister seines Könnens gezogen. Das Salzburger Sozial- und Drogendrama hat überdies mit The Florida Project tatsächlich einiges gemeinsam. Und in einem Aspekt unterscheiden sie sich grundlegend: Beide Stichproben finden eine alleinerziehende Mutter mit ihrem Kind, hadernd mit dem Schicksal und sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlagend. Nur – bei Die beste aller Welten hat Verena Altenberger den Willen, etwas Besseres aus ihrem und dem Leben ihres Kindes zu machen. In The Florida Project hat Mutter Haley die Nase voll von diktierten staatlichen Pflichten und denkt nicht mal daran, weder sich selbst noch das Kind aus dem Schlamassel zu ziehen. Mit illegalen Geschäften und Prostitution kratzt Haley die Miete für das Motel zusammen – für mehr reicht es kaum. Und ist es mal mehr, winkt der Kaufrausch. Dazwischen Lausbubenstreiche des unbeschäftigten Nachwuchses, der sich vergeblich nach Input sehnt und um welchen sich im Grunde keiner schert. Straßenkinder des Westens – ein trauriges Bild. Und das aufgrund der Ziellosigkeit, nicht aufgrund der Freiheit, alles sein und tun zu können. Die Grenzen sind die von Disneyworld, nicht die der Erziehung.

Sean Baker meint es unerhört gut. In seiner nüchternen Betrachtung des Alltags und der ungeschminkten Beobachtung erinnert The Florida Project an die Werke Ulrich Seidls. Grimmig ist das Ganze, und zum Verzweifeln nicht nur für Willem Dafoe. Doch irgendwann erreicht Baker einen Punkt, an dem seine Szenencollage redundant wird. Irgendwann ist alles auserzählt, irgendwann wiederholen sich die Tageszeiten, und mir wird klar, dass das tägliche Überleben natürlich längst weder spannend noch auf seine Weise beeindruckend geschweige denn erstrebenswert ist. Ich beginne die Tage zu zählen, an denen wirklich kaum etwas passiert. Die tägliche „Bon jour Tristesse“ wird maximal durch Brandstiftung aus der Monotonie gehoben. Und irgendwann kommt, was kommen muss.

The Florida Project hat im Grunde kaum eine Handlung, was meines Erachtens zu wenig für einen Spielfilm ist. Als experimentelles Projekt durchaus interessant, aber Baker will die Gesichter seiner Jungdarsteller so oft wie möglich zeigen, immer und immer wieder. Und bevor sein Film nicht mehr herzugeben scheint als ein Nachmittag im Hinterhof der Integrationssiedlung Schöpfwerk, setzt es in den letzten Minuten noch gehörig Dramatik, und so etwas Ähnliches wie eine Story kristallisiert sich rückwirkend aus der Improvisationsagenda der Aussichtslosigkeit. Was dann passiert, ist von schonungsloser, zynischer Bitterkeit – und schenkt The Florida Project doch noch das gewisse Etwas, das in Erinnerung bleibt.

The Florida Project

Zwischen zwei Leben

LIEBE VERSETZT BERGE

4/10

 

zwischenzweileben© 2017 Twentieth Century Fox

 

LAND: USA 2017

REGIE: HANY ABU-ASSAD

MIT KATE WINSLET, IDRIS ELBA, BEAU BRIDGES, DERMOT MULRONEY U. A.

 

Bist du in Eile, mache einen Umweg! – Dieser japanischen Weisheit kann man in Zeiten wie diesen nur bedingt bis gar nicht nachkommen. Aber besser wäre es – in manchen Fällen. So zum Beispiel im Falle von Kate Winslet und Idris Elba, die als Journalistin und Arzt ihrem Terminplan so ziemlich hinterherhinken und noch dazu in all dem Alltagsstress vor geschlossenen Flugzeugtüren stehen. Was tun in der Not? Am besten, gemeinsame Sache machen und eine Propellermaschine chartern. Für solche Extrawürste sind die beiden weltgewandten Professionisten immer noch flüssig genug, also nichts wie rein in die fliegende Zigarrenbox und ab zum nächsten Termin. Doch manchmal hat man ein Pech, und das Schicksal kommt von ganz oben, sprich es zahlt nicht mal die Versicherung, wenn das Ableben des Piloten während des Fluges ins Spiel kommt. Jeff Bridges´ Bruder Beau hat im cineastischen Zwangswandertag Zwischen zwei Leben einen fast schon auffällig kurzen Auftritt, dafür darf sein Filmhund länger mitspielen. Die zweimotorige Maschine pachtet also das Glück im Unglück und kommt auf relativ ebener Erde zu stehen – allerdings irgendwo im Nirgendwo, weit oben im Juchhe. Und von da an sind unsere ehemalige Titanic-Queen und der Revolvermann auf sich alleine gestellt.

Doch wie bringt man die beiden grundverschiedenen Typen überhaupt zusammen? Die Not schafft Freundschaft – bei Idris Elba und Kate Winslet hat die dargestellte Freundschaft ihre liebe Not, denn den sprichwörtlichen Draht zueinander lassen die beiden vermissen. Ob das so beabsichtigt war, kann ich nicht sagen. Jedenfalls raufen Sie sich nach der niederschmetternden Erkenntnis, nicht abgeholt zu werden, mehr schlecht als recht zusammen und zeigen Initiative, was ihr Überleben angeht. Mitsamt dem Köter, der trotz Nahrungsmangel nicht als Abendessen herhalten muss. Einen Hund zu killen kommt in Mainstreamfilmen ja nur schwer infrage – da hat der Film Überleben von Frank Marshall, der Tatsachenbericht eines Flugzeugabsturzes in den Anden, ganz andere Saiten aufgezogen. Statt Hund gab’s dort Mensch – was man zum Überleben alles tut, hat dieser Survival-Klassiker aus den frühen 90ern in einprägsamen Bildern und unter größtmöglichem Bemühen um Authentizität gezeigt. Letzteres lässt Zwischen zwei Leben schon von vornherein vermissen. Macht aber nichts, das paarweise ins Kino strömende Publikum konzentriert sich ohnehin lieber auf das Zwischenmenschliche.

Und da das Survivaldrama abgesehen von den genreüblichen Begebenheiten nicht sonderlich fesselt, könnte das ja das Knistern zwischen Winslet und Elba. Und spätestens dann, wenn das Feuer im Ofen brennt, rutscht das seifige Berg- und Bergungsdrama lawinengleich in die Trivialität ab. Wer die Liebesgeschichte zwischen den beiden nachzufühlen vermag, kann sich glücklich schätzen. Ich konnte das nicht. Da hätte ich mir viel lieber wieder Leo DiCaprio herbei gewünscht, der hätte Kate Winslet von früher gekannt. Aber DiCaprio hat seit The Revenant sicherlich genug von Schnee, Eis und Sturm. Wobei Revenant wieder einer jener Film gewesen ist, der das Überleben in einer Intensität geschidlert hat, als wäre man selbst dabei gewesen. Bei Zwischen zwei Leben kann man nur froh sein, wenn die Zivilisation die Turteltauben wiederhat, einfach nur, weil der ganze Climbing-Down-Zinnober endlich vorbei ist. Richtig versemmelt hat Regisseur Hany Abu-Assad sein Werk erst mit der unsagbar bemühten Allerweltsschnulze als vermeintliches Bonuszuckerl für Frisch- oder Wiederverliebte. Womit selbst so zwei Klasseschauspieler wie Winslet und Elba nichts mehr anzufangen wussten. Oder wissen wollten. Und dementsprechend halbherzig ist auch ihre Sehnsucht füreinander.

Zwischen zwei Leben ist für beide Darsteller die bislang wohl unglücklichste Rollenwahl geworden. Könnte sein, das die goldene Himbeere winkt. Aber wir wissen ja, dass die beiden das besser können. Vor allem Kate Winslet. Um ihr mache ich mir keine Sorgen. Hat man einmal den Untergang der Titanic überlebt, kann einen kein Absturz mehr wirklich niederschmettern.

Zwischen zwei Leben

Swiss Army Man

ZOMBIE FÜR ALLES

6,5/10

 

swissarmy

LAND: USA 2016
REGIE: DANIEL KWAN, DANIEL SCHEINERT
MIT PAUL DANO, DANIEL RADCLIFFE

 

Ein Furz geht um die Welt. Na gut, nicht um die Welt, dafür aber legt er eine ganz schöne Strecke zurück. Und dazu noch übers Meer. Welch ein Glück, dass der auf einer einsamen Insel gestrandete Schiffbrüchige namens Hank noch Zeichen und Wunder erlebt. Dieses Wunder erscheint in Gestalt einer Leiche, die über unerhört und unüberhörbar kraftvolle Flatulenzen verfügt. Wer nicht schon jetzt den Kinosaal verlassen oder den Film im Heimkino abgebrochen hat, wird vermutlich wissen wollen, was es mit diesem Phänomen auf sich hat. Eines kann ich gleich vorwegnehmen: Schlau wird keiner daraus. Dabei ist dieser bizarre Auftakt eines der wohl bizarrsten Filme der letzten Zeit erst der Anfang von noch mehr surrealen Begebenheiten, die zwischen Vorstellung und Realität, sofern es denn eine gibt, lange keine Grenze ziehen.

Für all jene, die irgendwann mal gerne ins Theater gegangen sind oder immer noch gehen, und Freunde des absurden Theaters sind, werden mit Sicherheit an Swiss Army Man Gefallen finden. Oder sich zumindest interessiert zeigen. Absurdes Theater – das ist so was wie Warten auf Godot oder Endspiel von Samuel Beckett. Zwei-Personen-Stücke, die eine seltsame Welt jenseits nachvollziehbarer Ordnung zeigen. Meist warten diese Personen – gescheiterte, gestrandete, devote Seelen – auf den Moment der Erlösung. Auf den Tod, auf das Paradies, auf jemanden, der da kommen mag. Und während sie warten, entspinnen sich Rollenspiele, wechselt Erniedrigung und Hass mit Hoffnung und Zuversicht. Schlussendlich bleibt aber der Stillstand. In der absurden Groteske von Daniel Kwan und Daniel Scheinert, die sich als Duo einfach nur Daniels nennen, sind es nicht Hamm & Clov oder Vladimir & Estragon, sondern Hank und Manny. Wobei Manny, gespielt vom äußerst talentierten Daniel Radcliffe, so was wie ein Zombie zu sein scheint. Immerhin ein Zombie, der keinen Hunger leidet und so funktioniert wie ein Schweizer Taschenmesser – daher auch der Titel des Films. Die Leiche, die der Überlebende Hank fortan mit sich durch die Wildnis schleppt, entwickelt im Laufe des Films immer mehr Extras. Waren es zu Beginn nur Darmwinde, taugt der blasse Kompagnon als Axt, Wasserspender, Kompass und Gesprächspartner. Denn ja – sprechen kann er dann auch noch.

Zuerst ergibt Swiss Army Man überhaupt keinen Sinn. Schwierig, in die Gedankenwelt der lebenden und der halbtoten Person einzudringen. Schwierig auch, sich den Eskapaden der beiden zu entziehen. Und das, obwohl verdammt viel philosophiert wird. Natürlich über Leben, natürlich über den Tod, und vor allem über die Hoffnung auf Zweisamkeit. Wie bei Beckett verbirgt sich hinter dem phantastischen Zynismus der Mensch in seiner verletzlichen Nacktheit und seiner einzigen und immerwährenden Suche nach Nähe und Erfüllung des Daseins. Nach Anerkennung und Geborgenheit. Mit Manny, dem Zombie für alles, schafft er sich zumindest inmitten von Zivilisationsmüll eine Illusion der erfüllten Sehnsüchte. Aber ist Manny nicht im Endeffekt der Glücklichere? Ist nicht der Tod das bessere Leben?

Swiss Army Man ist eine beherzte, zum Fremdschämen überzeichnete Allegorie über Sein und Nicht-Sein und ein kruder Diskurs über den Willen zu einem erfüllten Leben, am Besten ganz allein. Das klingt jetzt feingeistig, stellt sich aber in den Bildern, die uns die beiden Daniels bescheren, bei Weitem nicht so da. Da ist der Existenzialismus auf der Bühne schon eleganter definiert – im Kino, und vor allem hier, zwischen Nirgendwo und Irgendwo, erfüllt die plumpe, oft derbe Clownerie nur bedingt seine Aufgaben. Dennoch – Paul Dano und Daniel Radcliffe dürfte es egal sein, ob im Theater oder auf der Leinwand – ihre Welt ist sowohl da als auch dort eine andere.

Swiss Army Man