Farang – Schatten der Unterwelt (2023)

DIE RÜCKKEHR DER KNOCHENBRECHER

7/10


FARANG© 2023 Studiocanal


LAND / JAHR: FRANKREICH, THAILAND 2023

REGIE: XAVIER GENS

DREHBUCH: XAVIER GENS, GUILLAUME LEMANS, MAGALI ROSSITTO

CAST: NASSIM LYES, OLIVIER GOURMET, VITHAYA PANSRINGARM, LORYN NOUNAY, CHANANTICHA TANG-KWA, SAHAJAK BOONTHANAKIT U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Was Gareth Evans mit seinen Raid-Filmen an expliziter Gewalt an den Tag gelegt hat, das, so könnte Xavier Gens gedacht haben, kann ich auch auf die Leinwand bringen. Mit dem thailändischen Rache-Actioner Farang (was so viel bedeutet wie westlicher Ausländer, nur diskriminierend gemeint) definiert der Franzose zwar nicht das Actiongenre neu, doch macht er keine halben Sachen dabei, wenn es heisst, nach bewährter Manier und der Held längst totgeglaubt, bei den Bösen ordentlich aufzuräumen, und zwar so sehr, dass das Hinsehen mitunter ordentlich wehtut. Die Genugtuung stellt sich aber trotzdem ein, Gewalt gefällt in Fällen wie diesen. In ähnliches Fahrwasser gerät Dev Patel mit seiner indischen John Wick-Interpretation Monkey Man – auch dort ist der Plot ordentlich aufgeladen mit Pathos, mit subkontinentaler Folklore und ergänzenden Weisheiten aus dem Ramayana. Der Farang, um den es hier geht, hat aber relativ wenig mit religiös motivierten Dogmen am Hut, obwohl auch er einen weisen Guru an der Hinterhand weiß, der ihn als Mentor auf Spur bringt, nachdem alles verloren scheint. So viel darf man durchaus verraten, denn Farang – Schatten der Unterwelt ist kein Film, der mit den Erwartungen spielt oder gar Haken schlägt.

Die südostasiatische Komponente verleiht Farang das gewisse Mehr an Exotik, hinzu kommt Hauptdarsteller und Mixed Martial Arts-Experte Nassim Lyes, der eben erst im Netflix-Megahit Im Wasser der Seine besser noch als Jason Statham gegen mörderische Haie ankämpfen muss und aus den Augenwinkeln fast schon Fußballgott Ronaldo gleicht. In Xavier Gens‘ Gewaltoper spielt er einen Knacki, der wegen Drogendelikten einsitzt, bereits aber so weit rehabilitiert ist, dass man ihn auf Freigänge schickt. Wie in so vielen anderen Fällen des Action- und Thrillerkinos wissen wir, dass die Vergangenheit einen oft nicht in Ruhe lässt. Folglich passieren unschöne Dinge, wenn man sich als einer, der neu anfangen will, dagegen zur Wehr setzt. Und schon ist Sam, wie er sich nennt, auf der Flucht. Er landet schließlich in Thailand – wie auch immer – und gründet dort eine Familie. Um einen Aussteigertraum in die Tat umzusetzen, will er am Strand eine Bar eröffnen – doch Finsterling Narong, ebenfalls ein Farang aus Belgien, schnappt ihm diese Chance mutwillig weg und lockt, weil Sam so dringend an sein Ziel will, diesen in eine blutige Falle. Er selbst wird nicht sterben, fast nicht – jedoch stirbt seine bessere Hälfte und das Kind wird entführt. Man kann sich also vorstellen, wie sehr Sam auf Rache aus sein muss. In die Hände spielen ihm dabei seine Kampfkünste, die er beherrscht wie Statham, Seagal und Chuck Norris zusammen. Xavier Gens will dabei nicht wegschauen, sondern schreit nach Blut in seinem haarscharf getimten Actioner, der es schafft, die tropische Schwüle eines vermeintlichen Paradieses, in welchem es oft und gerne regnet, mit pathetischen Moralvorstellungen und tröstender Genugtuung zu kombinieren. Das Pathos sitzt dabei an rechtem Fleck, nichts anderes will man letztlich empfinden müssen außer die satte Emotion eines väterlichen Berserkers, der deutlich mehr an Schmerzen aushalten muss als Keeanu Reeves‘ John Wick-Ikone. Aufrecht stehen sollten beide nicht mehr – was das Hardboiled-Genre aber aber verlangt, das verlangt es. Originell sind dabei die Darstellungen von Gewalt, insbesondere eine Szene in einem Fahrstuhl bleibt nachhaltig in Erinnerung, bei welcher offene Knöchenbrüche plötzlich einen gewissen Mehrwert besitzen. Solche Spitzen sind es auch, an denen sich Filme wie diese, die alle das Gleiche erzählen, fortan unterscheiden werden.

Wer mit solchen Szenen klarkommt, ist mit Farang – Schatten der Unterwelt bestens bedient. Der Death Wish, den man für das Böse empfindet, geht in Erfüllung. Die emotionale Intensität, die der Film dann aufbringt, fegt über die einfache Geschichte hinweg wie ein Tropensturm, der schlechte Erinnerungen vom Vortag blutig durchnässt zurücklässt.

Farang – Schatten der Unterwelt (2023)

Tiger Stripes (2023)

AUS DEM DSCHUNGELBUCH DER ADOLESZENZ

7/10


tigerstripes© 2023 Jour2Fête


LAND / JAHR: MALAYSIA, TAIWAN, SINGAPUR, FRANKREICH, DEUTSCHLAND, NIEDERLANDE, INDONESIEN, QATAR 2023

REGIE / DREHBUCH: AMANDA NELL EU

CAST: ZAFREEN ZAIRIZAL, DEENA EZRAL, PIQA, SAHEIZY SAM, JUNE LOJONG, KHAIRUNAZWAN RODZ, FATIMAH ABU BAKAR U. A.

LÄNGE: 1 STD 35 MIN


Filme aus Malaysia sind selten. Und wenn man sie zu Gesicht bekommt, meist Koproduktionen mit Ländern, die sonst auch so einiges im internationalen Kinogeschehen mitzureden haben. Das ist gut für Amanda Nell Eu, die mit ihrem Langfilmdebüt Tiger Stripes auf den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes den Hauptpreis der Kritikerwoche abräumen konnte. Gratulation, ein gewinnbringender Einstand, der hoffentlich so einige weitere Koproduktionen nach sich ziehen wird. Mit Tiger Stripes begibt sich die junge Filmemacherin in die malaysische Provinz irgendwo am Rande des Dschungels – was überall sein kann in diesem Land, denn es wuchert und gedeiht hier, wohin man auch nur blickt. Leicht kann es passieren, und nicht nur Nutztiere queren die Straßen, sondern auch mal ein Tiger, was wiederum den Verkehr zum Erlahmen bringt und das Volk aus den fahrbaren Untersätzen holt, damit diese ihren Tiktok-Account mit knackigen Reels füllen dürfen, den später junge Mädchen, in den Schulpausen auf den Mädchentoiletten versammelnd, abrufen können. Social Media hat dort längst das Zepter in der Hand, ein Smartphone hat fast eine jede, die Trends sind gefundenes Fressen, die Selbstinszenierung alles, wofür man den Rest des Tages opfern will. Doch wie das bei jungen Frauen eben so ist, sind manche früher dran in ihrer Adoleszenz als all die anderen. Die, die früher dran sind, haben die Arschkarte gezogen – sie müssen allen anderen vorleben, was später passieren wird. Größere Brüste sind nur ein Merkmal, die Monatsblutung das andere.

Dass die Geschichte der Menstruation eine Geschichte voller Missverständnisse gewesen sein soll, erklärte uns bereits schon in den 90ern das instruierte o.b.-Testimonial durch den Bildschirm in unsere Wohnzimmer hinein. Huch, was war das damals für ein Tabuthema. Und ist es immer noch, ganz egal, ob im Westen oder Osten oder sonst wo. „Wir müssen dich saubermachen, du bist schmutzig“, sagt Zaffans Mama, als diese das erste Mal in der Nacht zu bluten beginnt und ihr Laken wechseln muss. Ab diesem Zeitpunkt wird das junge Mädchen, das eben zu jenen gehört, die sowohl körperlich als auch geistig um einiges weiterentwickelt sind als ihre Kolleginnen, dieses gesellschaftliche Stigma nicht mehr los. Monatsblutung ist igitt, das wird so gelehrt, das wird so vermittelt. Wenn Zaffan unter der Dusche steht, ist das Blut nicht rot, sondern schwarz wie Dreck. Das Natürliche wird zum Unnatürlichen. Das „Opfer“, das die biologische Uhr fordert, ist nicht nur die Abstoßung der Gebärmutterschleimhaut, sondern auch die soziale Ausgrenzung. So passiert es, und Zaffan wird nicht nur aufgrund ihres frei ausgelebten Frau-Seins skeptisch beäugt, sondern auch aufgrund ihres periodischen Umstands gehänselt, gemobbt und links liegengelassen. Vieles ändert sich, im und am Körper eines Mädchens. Tiger Stripes macht daraus einen subtilen, fast schon ans Naive grenzenden Body-Horror, der allerdings keinen ekligen, fast schon verstörenden Schrecken verursacht wie zum Beispiel Julia Ducournaus Raw, sondern vielmehr einer metaphorischen Legendenbildung beiwohnt, die eng mit den Mythen Malaysiens verbunden zu sein scheint und einen fauchende, zähnefletschenden Hauptcharakter ins Feld führt, dessen Augen rosafarben glühen und der sich entweder den archaisch anmutenden Parametern einer wilden Natur hingeben muss oder durch die Distanz zu eben selbiger zugrunde geht.

Die junge Zafreen Zairizal liebt es in diesem Film, die junge Wilde zu geben. Ihre Lust am Tierischen ist ansteckend; ihr Drang, die Hijab abzulegen, das schwarze Haar offen zu tragen und ins rohe Fleisch eines Waldtieres zu beißen, scheinbar getrieben von impulsiver Improvisation. Amanda Nell Eu gab ihr hier mit Sicherheit so einige Freiheiten. Tiger Stripes überhöht auf dem narrativen Niveau einer Graphic Novel den biologischen Coming of Age-Aspekt zu einer Chronologie der Mutation vom Menschen zum Tier. Das Zugeständnis zur Natur des Menschseins wird gleichermaßen eine Abkehr davon, es ist eine Zwickmühle, in der die jungen Mädchen stecken, denn es wird sie alle ereilen, diese Verlockung, dieses Bewusstsein, dieser Drang, sich von den lächerlichen Konventionen der Gesellschaft abzukoppeln, bevor sie diese sowieso wieder mittragen müssen. Ja, es ist auch Pubertät, die da mitspielt. Und nein, es ist nicht Stephen Klings Carrie – Zaffan hat keine telekinetischen Fähigkeiten, findet ihr Heil nicht in der Rache, sondern in der eigenen Selbstbestimmung.

Dass der Weg zum Tigermädchen das eine oder andere Mal unfreiwillig komisch wirkt, ist nicht Zufall, sondern Absicht. Die spielerische Leichtigkeit des metaphysischen Gleichnisses, die ironische Darstellung der Erwachsenenklischees (der träge Vater, der besserwisserische Guru) und überhaupt der ganzen Situation entspricht auch den gekritzelten Lettern im Vorspann. Tiger Stripes ist eine energetische Satire auf das altbekannte Dilemma des Erwachsenwerdens – es bringt zwar nichts Neues aufs Tapet, hat aber eine Freude daran, die Gesellschaftsfähigkeit der weiblichen Natur aus südostasiatischer Sicht als genauso obsolet zu deklarieren wie anderswo auf der Welt. Auch im Westen.

Tiger Stripes (2023)

The Lake (2022)

STILLE WASSER SIND FIES

4,5/10


thelake© 2023 Splendid Film


LAND / JAHR: THAILAND 2022

REGIE: LEE THONGKHAM, AQING XU

DREHBUCH: LEE THONGKHAM

CAST: THEERAPAT SAJAKUL, LAMYAI HAITHONGKHAM, VITHAYA PANSRINGARM, SUCHARAT MANAYING, THANACHAT TULLAYACHAT, SOMPHONG KUNAPRATOM U. A.

LÄNGE: 1 STD 45 MIN


Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber denke ich an die thailändische Kinolandschaft, fällt mir als erster der unaussprechliche Apichatpong Weerasethakul ein – Kunstfilmer und Festival-Liebling, Spezialist für alles Paranormale, jedoch auf eine Art und Weise, die den Animismus als inhärenten Teil unseres Alltags ansieht. Schön ist das, auch zutiefst magisch, aber nicht unbedingt leicht zugänglich. Des Weiteren gäbe es da noch den Martial Arts-Klassiker Ong Bak oder den knallbunten Western Tears of the Black Tiger. Auch mancher Horror (z.B. Shutter oder – ganz aktuell – The Medium) aus dem im Westen beliebten, für Massentourismus anfälligen, tropischen Urlaubsland erfreut sich an weltweiter Bekanntheit.

Mit dem Blick auf Kinotrends aus Hollywood, Japan oder Südkorea will Thailand in seinen Produktionen keinesfalls hinten nachstehen. Ist es mal keine True Story-Nachverfilmung jener Rettungsaktion der in einer Höhle im Nordwesten Thailands eingeschlossenen Fußballmannschaft, steigen gerne auch mal dem feuchten Habitat angepasste Wasserwesen aus den Seitenarmen des Mekong, um alles und jeden in Angst und Schrecken zu versetzen. Denn Thailand setzt immer noch auf den X-Faktor, was den Glauben an kryptozoologische Phänomene angeht. Was in den Untiefen des Landes vielleicht noch alles entdeckt werden kann – diese Spekulationen manifestieren sich in der regennassen Monsun-Mystery The Lake von Action- und Horrorprofi Lee Thongkham. So einiges Schleimiges möchte hier Land gewinnen und die arglose Bevölkerung, die sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlägt, in Panik versetzen. Dabei reagieren die Monstrositäten, die dem Schrecken des Amazonas durchaus das Wasser reichen können, ganz unterschiedlich auf das fliehende und kreischende thailändische Volk. Es gibt auch solche, die unfreiwillig eine mentale Symbiose mit diesen Kreaturen eingehen, was es folglich schwieriger macht, sie zu besiegen. Doch wo ein Wille, da ist in Werken wie diesen immer ein Weg.

Gerade im Hinblick auf dieses Genre will man Filme auf die Beine stellen, die alle Stückchen spielen. Klar, dass diese aber aufgrund budgetärer Engpässe nur teilweise erklingen. Was es dann braucht, sind Improvisationstalent und magiergleiche Eigenschaften, die das Wunder vollbringen, den Anschein einer künstlerischen Ambition genau dort zu hinterlassen, wo eigentlich nichts ist. The Lake schafft in so manchen Szenen und zusätzlich kaschiert durch das Regenwetter richtig gute Takes, die das oder die Monster formschön ins Szene setzen. In diesen Momenten haben wir es mit ordentlichem CGI zu tun, das sich sicher so einiges hat kosten lassen. Dann gibt es die anderen Passagen, in denen die Kreatur gerne Latex trägt, und das sieht man. Genauer gesagt: nicht nur wir, auch die Filmemacher selbst. Mit deplatzierten Unschärfen und Close Ups in Bewegung überschminkt The Lake seine Problemstellen. Auch das fällt auf. Aber nicht als Stilmittel, sondern als provisorische Ansatzlösung. Hinzu kommt ein Skript, das vor allem mit seinen Dialogen der melodramatischen, immerfeuchten Düsternis ein dramaturgisches Bein stellt. Banales Wortpingpong schmückt die sentimentale Selbstqual so mancher Protagonisten, dick aufgetragen wäre fast schon schöngeredet. In seiner Essenz birgt die Story, ähnlich wie in Bong Joon-hos Tentakeldrama The Host, einiges an kernigem Konfliktpotenzial, doch immer wieder lenken so manche Qualitätsschwankungen von einem grundsätzlich faszinierenden Monsterdrama ab, das in metaphysischer Melancholie abtaucht, während der brüllende Seeufer-Godzilla mal organisch greifbar, dann wieder nur Puppe, die Szene fletscht.

The Lake (2022)

Cemetery of Splendour

GESPRÄCHE MIT TRÄUMENDEN

5/10


cemeteryofsplendour© 2015 Rapid Eye Movies


LAND / JAHR: THAILAND, GROSSBRITANNIEN, FRANKREICH, DEUTSCHLAND, MYANMAR 2015

BUCH / REGIE: APICHATPONG WEERASETHAKUL

CAST: JENJIRA PONGPAS, BANLOP LOMNOI, JARINPATTRA RUEANGRAM U. A.

LÄNGE: 2 STD 1 MIN


Wer meint, das asiatische Kino wäre mit Südkorea, China oder Japan so gut wie abgedeckt, hat die Rechnung ohne Indonesien oder gar Thailand gemacht. Aus diesem beliebten tropischen Urlaubsland kommt nämlich ein ganz spezieller Filmemacher her: Apichatpong Weerasethakul. So richtig zum Begriff wurde dieser bemerkenswerte Sonderling 2010 mit seinem metaphysischen Drama Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben. Damit gewann er doch glatt die Goldene Palme von Cannes. Meines Erachtens auch zurecht – denn auch wenn man in der Welt des Kinos schon vieles gewohnt sein mag: diese Art, Geschichten zu erzählen, verlässt viele bislang vertraute Wege, und scheut auch sehr diszipliniert davor zurück, alle Stückchen spielen zu wollen, die filmtechnisch möglich sind. Gerade im Fantasygenre drängt sich die Möglichkeit, irreale Bilderwelten zu erzeugen, förmlich auf. Ich für meinen Teil schätze all diese erdachte Opulenz. Das es aber auch anders geht, wird in Weerasethakuls Entwürfen deutlich. Der Mann mit dem Namen, den ich bis dato nicht aus dem Gedächtnis buchstabengetreu wiedergeben kann, kreiert Werke, die sich genauso wenig einfach nacherzählen lassen. Uncle Boonmee zum Beispiel ist phantastisches Kino – doch von pittoreskem Dekor entschmückt und auf einen Alltag minimalisiert, zu dessen Tagesordnung so Dinge zählen wie Seelenwanderungen oder paranormale Erscheinungen, die jedoch keinerlei Furcht oder Skepsis auslösen. Die unserem Dasein, so, wie wir es kennen und so, wie wir es leben, ganz einfach inhärent sind. In fast schon semidokumentarischen Bildern widmet sich Weerasethakul auch in seiner Arbeit aus dem Jahr 2015 dem wissenschaftlich nicht Belegbaren. Mit in der Esoterik verorteten praxisnahen Selbshilfephänomenen hat das ganze aber nichts zu tun.

Schauplatz ist der Nordosten Thailands an der Grenze zu Laos. In einer ehemaligen Schule liegen mehrere Soldaten in ihren Betten, Ventilatoren spenden den in den Tropen essenziell notwendigen Luftzug. Diese Soldaten sind jedoch nicht Kriegsversehrte, sondern schlafen tief und fest. Sie leiden an einer der Narkolepsie verwandten seltsamen Krankheit. Betreut werden diese von einigen freiwilligen Helferinnen, darunter auch von Jen, einer körperlich etwas beeinträchtigten älteren Dame, die für einen der Patienten geradezu mütterliche Gefühle hegt. Unter den Besuchern gibt es ein junges Medium namens Keng. Sie kann durch Handauflegen Verbindungen zu den Schlafenden aufnehmen und als Sprachrohr dienen. Jen wiederum bekommt Besuch von zwei längst verstorbenen, antiken Prinzessinnen, die ganz plötzlich erscheinen, und die so einige Geheimnisse offenbaren, was den historisch interessanten Ort betrifft, auf welchem die Schule errichtet wurde. Ein Ort, der früher mal der Friedhof der Könige genannt wurde.

Diese radikale Nüchternheit von Cemetery of Splendour ist irritierend. Und auf eine ganz eigene, schwer zu fassende Weise erst im Nachhinein faszinierend. Lange, unbewegte Bildeinstellungen wechseln mit langen, völlig unaufgeregten Dialogen. Dann herrscht wieder Stille, nur das Zirpen der Zikaden ist zu hören. Die seltsamen L-förmigen Leuchtkörper, die im Krankenzimmer mithilfe des ganzen Farbspektrums die bösen Träume der Schlafenden vertreiben sollen, setzen die wenigen visuellen Reizpunkte. Es ist, als wäre dieser ganze Kosmos hier ein transzendenter Reigen aus Schlafen und Erwachen. Vom Tod handelt der Film nicht. Es gibt noch ganz andere Sphären, die betreten werden können. Weerasethakul beobachtet wie selbstverständlich einen die Grenzen unseres Verstehens überschreitenden Zustandswechsel. Das ist langsam, sehr langsam, von der schwülen Tropenhitze ziemlich ermattet, mitunter finden sich sehr rätselhafte Szenen in diesem Film – zum Beispiel einen Mann, der im Busch seine Notdurft verrichtet, oder ein seltsames amöbenförmiges Wesen tanzt über den Himmel. Die Unaufgeregtheit führt im Gegensatz zu Uncle Boonmee jedoch zu einer sachlichen Lethargie, die das Besondere auf Small Talk reduziert.

Aber mal sehen, wie Weerasethakuls nächster Film wird – den gibt´s heuer in Cannes. Ich bleib‘ dran.

Cemetery of Splendour

Sympathy for Mr. Vengeance

DAS ENDE DER RACHE

7/10


SympathyForMrVengeance© 2021 capelight pictures


LAND / JAHR: SÜDKOREA 2002

BUCH / REGIE: PARK CHAN-WOOK

CAST: SONG KANG-HO, SHIN HA-KYUN, BAE DU-NA, LIM JI-EUN U. A. 

LÄNGE: 2 STD


Ein Blick in den Nahen Osten reicht, um zu sehen, wie es ist, wenn auf Rache Rache folgt. Israel und Palästina kommen aus diesem Drehkreuz der gegenseitigen Vergeltung nicht mehr heraus. Das kaum unterdrückbare Verlangen, in einer aus mehreren Standpunkten gerechten Sache das letzte Wort haben zu wollen, bringt den Gewaltkreislauf womöglich erst dann zum Stillstand, wenn eine der beiden Parteien keinen Mucks mehr macht. Wie verlässlich dieses Grundprinzip funktioniert, und welche bizarren Wege Rache nehmen kann, hat der Südkoreaner Park Chan-Wook in seiner Rachetrilogie veranschaulicht, seinem großen Opus Magnum, das ihm sozusagen Tür und Tor in der Filmbranche geöffnet hat. Aus dieser Trilogie ist Oldboy natürlich das schillernde Mittelstück – mittlerweile längst ein Klassiker. Flankiert wird dieser irre Knüller von Mr. und Lady Vengeance. Zwei völlig andere Ansätze zu selbem Thema, und es ist auch ganz egal, in welcher Reihenfolge man sich diese Werke zu Gemüte führt, eines ist bei Park Chan-Wook aber gewiss: In Sachen Gemüt muss man hierbei schon einiges vertragen können, vor allem die drastische Darstellung von Gewalt.

Den Anfang dieses Triptychons macht ein blauhaariger, gehörloser junger Mann, dessen schwerkranke Schwester ganz dringend eine neue Niere braucht. Die eigene kommt aufgrund falscher Blutgruppe nicht infrage, und die Warteliste für Organe wie diese ist lang. Also geht Ryu andere Wege und lässt sich mit einer illegalen Organhändlerin ein, die das geforderte Geld und Ryus eigene Niere kassiert, mit dem in spe erstandenen Körperteil aber nicht rausrückt. Plan C ist es also, die Tochter eines Geschäftsmannes (Song-Kang-Ho, zuletzt in Parasite zu sehen) zu kidnappen und Lösegeld zu erpressen. Es wäre nicht Park Chan- Wook, würde dieser Plan nicht ebenfalls schrecklich schieflaufen. Wichtige Figuren in diesem Spiel des Schicksals verlassen vorzeitig ihr irdisches Dasein – und das ist Grund genug für die Rache am Rächer, der sich am Rächenden rächt.

Von allen drei Werken ist Sympathy for Mr. Vengeance (vom Original übersetzt: Mein ist die Rache) der wohl nihilistischste. Allerdings auch der introvertierteste, bedächtigste, der anfangs lange Luft holt und sich einfach die Zeit nimmt, die er ungeachtet eines nervösen Publikums braucht, um seine Charaktere und ihr gesellschaftliches Umfeld näher zu betrachten. Park Chan-Wook verschwendet dabei aber keine Spielzeit – sein fast über die ganze erste Hälfte des Film dauerndes Vorspiel macht die zweite Hälfte dann umso intensiver. Und dort bleibt kein Stein auf dem anderen, denn es ist, wie eingangs erwähnt, diese niemals anhaltende Drehtür aus Vergeltung und Gegenvergeltung, die wie ein Körper, der ins Wasser fällt, seine Kreise zieht. Die Eigendynamik der Rache spielt sich dann auch längst nicht mehr linear ab, sondern verzweigt sich und findet auf mehreren Ebenen und an mehreren Orten gleichzeitig statt. Sympathy for Mr. Vengeance nimmt dem Thema Rache seine Banalität, die nur zu gut und gern im Actiongenre stereotype Verwendung findet. Park Chan-Wook macht aus dieser scheinbar simplen Emotion ein kunstvolles Spektakel, das allerdings nichts mehr hat, woran man sich noch festhalten könnte. Hier stürzt alles ins Chaos, lässt andererseits aber seine strauchelnden und hasserfüllten Figuren übertrieben rasch zu sehr hässlichen Mitteln greifen, die man in ihnen keinesfalls vermutet hätte. Das macht den Streifen weniger plausibel. Und da auch des Weiteren all der Jammer wie Abwaschwasser in eine Richtung abläuft, bleibt aufgrund seiner makellos glatten Konsequenz überraschend wenig narrative Haptik.  

Allerdings: Sympathy for Mr. Vengeance mag zwar der schwächste Film der Trilogie sein – Park Chan Wooks Sinn für penibel arrangierte Tableaus, unorthodoxe Blickwinkel und schräge Details findet auch in diesem tiefschwarzen und bizarr bebilderten Klagelied seine praktische Entfaltung.

Sympathy for Mr. Vengeance

Raya und der letzte Drache

DRACHENSTEIGEN LEICHT GEMACHT

5,5/10


rayaletztedrache© 2021 The Walt Disney Company


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: DON HALL, CARLOS LOPEZ ESTRADA, PAUL BRIGGS, JOHN RIPA

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): KELLY MARIE TRAN, AWKWAFINA, GEMMA CHAN, DANIEL DAE KIM, SANDRA OH, BENEDICT WONG U. A. 

LÄNGE: 1 STD 47 MIN


Prinzessinnen, wie wir und die ganze Familie sie kennen, sind out. Disney bringt den Paradigmenwechsel, nachdem sich der Gigamegakonzern dazu entschlossen hat, politisch unkorrekte Inhalte wie Peter Pan oder Dumbo endgültig zu streichen. Dumbo lässt sich jetzt vermutlich nur noch in der Tim Burton-Live-Act-Version genießen, es sei denn, man hat eine DVD des alten Klassikers daheim. Disney will hier – und muss schlussendlich – neue Statements setzen. Am besten gleich auf seinem Streamingkanal Disney+. Das eisfarbene Outfit der Eiskönigin darf Elsa nämlich ganz allein in ihrem geschnitzten Schränkchen hängen lassen. Denn jetzt, jetzt kommt Raya, ein wehrhaftes Mädel im Grunge-Look, mit wildem Haar und drauf und dran, in die Fußstapfen ihres Vater-Vorbildes zu treten, der etwas ganz Bestimmtes beschützt: den Drachenstein. Wie es dazu kommt?

Nun, vor 500 Jahren war in diesem Land namens Kamandra, das ein Fluss durchzieht, der aussieht wie ein chinesischer Folkloredrache, eine dunkle Macht namens die Druum über alles und jeden hergefallen. Amorphe Sphären, die nur so vor sich hin wabern, um dem Bösen nicht die Chance zu geben, auch nur in irgendeiner Form personalisiert zu werden, und um der Gefahr zu entgehen, bei den jüngeren Zusehern nicht irgendwelche Sympathien zu wecken. Punkt eins der taktischen Correctness. Jedenfalls hinterlassen diese Sphären sogar bei den Drachen, die bis dato für das Gleichgewicht in dieser Welt unabdingbar waren, nichts als steinerne Statuen. Ihre Restenergie ruht in besagtem Drachenstein, den nun, da Kamandra in einzelne Königreiche aufgesplittert ist, jeder für sich beanspruchen will. Beim Handgemenge kommt es zum Unvermeidlichen: der Stein zerbricht, jedes Land hat seinen Splitter, und Raya? Die muss, nach der Rückkehr der Druum, den letzten noch lebenden Drachen suchen – und finden – und mit ihm überhaupt die Welt retten.

Disney überlässt nichts mehr dem Zufall und sieht sich auch ob seiner Bedeutung am Filmmarkt in der Verantwortung, zeitgemäße Wertbilder zu vermitteln. Diese Bemühung lässt sich bei Raya und der letzte Drache nur schwer bis gar nicht verbergen. Das Fantasyabenteuer, welches in einem fiktiven Südostasien spielt, bedient sich, so wie schon zuvor in Vaiana, der bereits erprobten Vater-Tochter-Konstellation. Die Vaterfigur ist der Erziehende, die Mutter ist irgendwo oder war für Raya nie relevant. Das Mädchen selbst entspricht nicht mehr den Stereotypen weiblicher Teenies oder Idealbildern einer jungen Frau. Raya ist kämpferisch und hat ganz einfach die Hosen an. Ihre Antagonistin schlägt sich ebenfalls auf die gesellschaftspolitisch korrekte neue Seite: burschikos und mit Undercut, die weibliche Physiognomie wird fast zur Gänze verborgen. Selbst der Drache ist weiblich – und in seiner Menschengestalt ganz deutlich der Schauspielerin Awkwafina nachempfunden, die diesen auch im Original synchronisiert. Männliche Figuren treten lediglich in einer Form auf, die in keinerlei Konkurrenz stehen. Als Kind, als simpel gestrickter Haudrauf mit weichem Kern. Kraft ist noch männlich, Geschick eindeutig weiblich. Doch in der Art, wie das Weibliche interpretiert wird, wird Raya und der letzte Drache längst nicht nur mehr Resonanz bei den Mädchen finden.

Dieses bis ins Kleinste berechnete und durchgestaltete Konzept – taktische Correctness die Zweite – verleiht dem Film eine ermüdende Berechenbarkeit. Disney bleibt, anders als Pixar (ist ja auch schon Disney, bleibt aber weitgehend autonom) seinen Versatzstücken treu, was das Ausarbeiten griffiger Plots anbelangt. Im Abspann wird klar, wie viele Köche hier versucht haben, den Brei trotz allem nicht zu verderben. Diese Geschichte ist gefühlt hunderte Male um- und aufgebessert worden, bis alles seine akkurate Unproblematik hat. Das ist leider sehr spürbar, auch die finale logische Konsequenz des Filmes entbehrt einer gewissen Nachvollziehbarkeit. Das joviale Gerede des Drachen mit seinem Kumpel-Slang ist ebenfalls wieder ein sogenanntes Musst-Have zum Amusement innerhalb einer Story über Einheit, Brüderlichkeit und Vertrauen.

Animationstechnisch allerdings ist Raya und der letzte Drache erste Sahne. Eine erstaunliche, wunderschöne Bildsprache in satten Farben und frappantem Fotorealismus. Da kann man sich wirklich nur sehr schwer sattsehen, obwohl die Gesichter manchmal ein bisschen wächsern wirken. Dennoch State of the Art, würde ich sagen. Zur Art, wie Disney seine Messages verklickert, wären ein bisschen mehr künstlerische Freiheiten und weniger Verbissenheit in Sachen Message Control durchaus empfehlenswert. Aber auch das sollte nicht wieder zur heiligen Pflicht werden.

Raya und der letzte Drache

Der Duft der grünen Papaya

GESCHICHTE EINER DIENERIN

8/10

 

duftgruenepapaya© 1993 Prokino

 

LAND: VIETNAM, FRANKREICH 1993

REGIE: TRAN ANH HUNG

CAST: MAN SAN LU, TRAN NU YÊN KHÊ, VUONG HOA HOI, TRUONG THI LOC U. A. 

 

Eine kleine Reise in die Filmwelt der Neunziger gefällig? Wir schreiben das Jahr 1993, da konnte Steven Spielberg mit Schindlers Liste und Jurassic Park gleich zwei Meisterwerke ins Kino bringen, die heutzutage nicht mehr wegzudenken sind. In Cannes zum Beispiel gewann im selben Jahr ein ganz anderer, viel kleinerer, enorm behutsamer Film aus dem fernen Osten die Goldene Kamera – und zwar Der Duft der grünen Papaya von Tranh Anh Hung. Der vietnamesische Regisseur ist mir seit Cyclo ein Begriff, eine Variation des neorealistischen italienischen De Sica-Filmes Fahrraddiebe. Der Duft der grünen Papaya ist nicht weniger kunstvoll und unendlich weit entfernt von westlichem Mainstreamkino. Dafür aber, und gerade deshalb, umso schöner.

Ich schätze diese Entschleunigung von Visionären wie Weerasethakul, Kim Ki-Duk oder Edwin. Tran Anh Hung gehört genauso dazu. Auf Der Duft der grünen Papaya muss man sich einlassen, da darf man nicht nervös sein, da sollte man so viel Ruhe mitbringen, um diesen künstlerischen Einklang auch als solchen genießen zu können. Schnell hat man den Rhythmus des Films drauf und taucht ein in dieses detaillierte Puppenheim, dass die Geschichte eines Mädchens namens Mùi erzählt, die, aus der Provinz kommend, bei einer reichen Familie in Saigon als Dienstmädchen angestellt wird. Dort trügt der Schein gewaltig, der materielle Wohlstand entspricht natürlich nicht dem Haussegen, der da schief hängt aufgrund sämtlicher Faktoren – einer davon die Promiskuität des Vaters, bei dem es nur eine Frage der Zeit ist, bevor er seine Familie wiedermal für andere Frauen verlässt. Inmitten dieses Alltags aus Ritualen, aus Frühaufstehen, Essenkochen, Bodenschrubben entdeckt die junge Mùi ihre eigene Welt, ihre eigenen Konstanten, die im miniatürlichen Zirkus des Lebens aus Ameisen, Fröschen und duftenden Früchten Trost spendet, während die Familie sich immer mehr aufzulösen scheint, der kleinen, fast unsichtbare Welt wenig Respekt zollt und im Vergangenen verweilt. Die Zeit aber macht vor niemandem Halt, und irgendwann sind zehn Jahre vergangen.

Viel mehr geschieht nicht in dieser zärtlichen Meditation, die stets von vietnamesisch-traditioneller Musik in ihrer möglichsten Reduktion begleitet wird. Die Kamera folgt Mùi quer durch das Anwesen, das wie eine Bühne wirkt, mit bloßen Füßen, inmitten tropischer Schwüle. Das Tropfen milchigen Pflanzensaftes kann zum Erlebnis werden, das Abmühen der Ameisen mit Reiskörnern eine Tour de Force und der Geruch der grünen Papayas, wenn die Frucht aufgeschnitten wird und die strahlend weißen Samenkörner offen darliegen, zur sinnlichen Erfahrung. Mùi ist ein ebensolcher Sinnesmensch, eine Art Hausgeist, ein devoter Engel, wie Haushälterin Cleo in Alfonso Cuarons Roma. Beide Filme haben einen ähnlich langen Atem, konzentrieren sich auf Details, während bei Tran Anh Hung das Dienstmädchen nicht nur beobachtendes Auge ist, sondern auch die eigentliche Heldin dieser Entwicklungsgeschichte, die bald zu einer unglaublich diskreten Lovestory avanciert. Die Vietnamesin Tran Nu Yên Khê verkörpert die ältere Mùi, die zwischen kindlicher Neugier und Emanzipation eine selten gesehene Anmut an den Tag legt, fast so wie Maggie Cheung in In the Mood for Love. Der Duft der grünen Papaya ist reinste Filmpoesie, entrückt, bezaubernd, streckenweise gänzlich ohne Worte. Ein Coming of Age-Film, könnte man salopp sagen, doch das wäre fast zu profan für dieses Werk, dass in seinem veträumt-naiven Konservativismus richtig viel Mut beweist.

Der Duft der grünen Papaya

Gundala

MISTER BLITZABLEITER

5,5/10

 

gundala© 2019 Koch Media

 

LAND: INDONESIEN 2019

REGIE: JOKO ANWAR

CAST: ABIMANA ARYASTYA. TARA BASRO, ARIO BAYU, BRONT PALARAE, LUKMAN SARDI U. A.

 

Was das Entertainment im Westen so hervorbringt, scheint Indonesien zu gefallen. Am liebsten Marke Event – bunt und laut und wohlgefällig. Was eignet sich da nicht besser als Hollywoods Comic-Universen? Superhelden gehen immer. Aber müssen es wirklich immer nur die Avengers oder die Justice League sein? Gibt’s da nicht auch noch andere Helden? Nicht zwingend aus der zweiten Reihe, aber aus einer ganz anderen Hemisphäre. Siehe da, Indonesien hat sowas auch (wer hat die eigentlich nicht – ich warte eigentlich schon auf Österreichs Verfilmung von ASH). Erschaffen wurde einer dieser Charaktere vor wirklich schon langer Zeit, und zwar Ende der 60er Jahre, von einem Autor namens Harya „Hasmi“ Suraminata: Gundala. So heißt der gute Mann, und der hat fast schon eine ähnliche schicksalhafte Kindheit wie unser wohlbekannter Batman. Gundala also muss zusehen, wie sein Papa stirbt und wird dann auch noch von Mama alleingelassen. Den Reichtum eines Bruce Wayne hat der Knabe freilich nicht, also läuft er weg, irgendwo hin, und sieht dabei zu, dass er nicht in ein Gewitter kommt, was in der Regenzeit in Jakarta des Öfteren mal passiert. Die Blitze nämlich, die scheinen es auf den Kleinen abgesehen zu haben.

Dieses Jakarta, das ist wie Gotham City. Es herrscht Unfrieden zwischen dem Proletariat und den Arbeitgebern, Menschen- und Arbeitsrechte sind Mangelware, das Volk protestiert, wo’s nur geht. Irgendwo in diesem Moloch treibt so mancher zu Unrecht entstellter Antagonist sein Unwesen, mit sämtlichen anderen Finsterlingen im Schlepptau. Es folgt – wie kann es anders sein – für Gundala die große Stunde der Erkenntnis, für etwas ganz anderes bestimmt worden zu sein als nur für ein normales Leben, das geprägt ist von Wunschträumen nach der Heimkehr seiner Mutter.

Natürlich hat Gundala später auch sein eigenes Outfit, das ein bisschen aussieht wie das von Wolverine aus den Comics und Deadpool zusammen. Ein Superheld braucht sowas, und er braucht auch übermenschliche Kräfte, um den Bösen ordentlich den Hintern zu versohlen. Joko Anwar beginnt sein Origin-Movie nebst ordentlich Dramatik mit beeindruckenden Bildern, die manchmal an David Finchers grünstichig-verregnete Optik erinnern. Technisch gesehen gibts da wirklich nichts auszusetzen, Effekte und alles andere sind State of the Art, da müsste Hollywood anerkennend nicken. Aber wie das bei Origin-Stories eben mal so ist, kann auch Indonesien nicht anders, als im Grunde die immer gleiche Geschichte zu erzählen. Vom gekränkten Finsterling und vom selbstlosen Volksvertreter. Vor allem im Mittelteil hat Gundala schön fotografierte, aber satte Längen, die dem Genre der Comicverfilmung nicht viel Neues abgewinnen.

Die südostasiatische Antwort auf Marvel und Co ist nicht volltönend, aber grundsolide, durchaus sympathisch und für ein bereits verwöhntes Publikum gefällig genug, um seine Fans zu finden. Selbst den Teaser für eine mögliche Fortsetzung kann sich das Heldenkino Indonesiens nicht verkneifen. Die Comics um Gundala und Co wird man hierzulande aber vergeblich suchen – es sei denn, dieses DVD-Release entwickelt sich zu einem erfolgreichen Selbstläufer, was ich dann aufgrund des bereits gesättigten Marktes aber kaum glauben kann.

Gundala

Monstrum

WHO LET THE DOG OUT?

5,5/10

 

monstrum© 2018 Koch Films

 

LAND: SÜDKOREA 2018

REGIE: HUH JONG-HO

CAST: PARK SUNG-WOONG, MYUNG-MIN KIM, KIM IN-KWON, WOO-SIK CHOI U. A. 

 

Bong Joon-Ho ist nicht der einzige Südkoreaner, der im Kino seine Monster versteckt. Mit The Host hatte er ein selbiges auf sein gleichsam verblüfftes wie begeistertes Publikum losgelassen, später wurden die Monster dann zu ganz normalen Menschen. Gegenwärtig scheinen Monster ins Reich der Legenden befohlen worden zu sein, wo sie in Monstrum auch hingehören. Kein wirklich ausgefallener Titel für einen Film, der von einem Monster erzählt, aber dafür macht er auch keine leeren Versprechungen. Dieser nationale Blockbuster, der einen Monat nach seiner Premiere im Kino bereits online zu streamen war, dreht die Uhr um einige Jahrhunderte zurück – wir befinden uns im Mittelalter nämlichen Landes, genauer gesagt im Jahr 1527 zur Zeit der Joseon-Dynastie. Und wie es zu diesen Zeiten oft der Fall war, wüten gerade irgendwelche Epidemien, schlimmstenfalls die Pest. Die suhlt sich also am Ende der Befehlskette, und könnte auch irgendetwas mit seltsamen Begebenheiten aus der montanen Wildnis zu tun haben. Ein Monster, so sagt man, geht um. Und der Kaiser befiehlt, einen Trupp loszuschicken, seine besten Krieger und auch noch solche, die früher mal gedient haben und in Ungnade gefallen sind. Persona non grata hin oder her, manche können einfach gut kämpfen, und wieso sollte man sie nicht wieder rekrutieren. Für ein blutrünstiges Ungeheuer reicht es allemal.

Interessanterweise wurde der Film durch einen Eintrag in den Annalen nämlicher Dynastie inspiriert – kann also sein, dass Sichtungen unbekannter Tierarten die Fantasie der Leute beflügelten. Von nichts kommt natürlich nichts, und wir haben es hier mit diesem Ungetüm auch mit einem – vorrangig bei Touristen oder Asia-Kennern – alten Bekannten zu tun. Doch nein, es ist nicht Godzilla, keines dieser Kaijus. Ihr kennt doch sicher alle diese drachenähnlichen Tempelhunde, die als steinerne, hölzerne oder aus Porzellan gefertigte Wächter sämtliche Portale asiatischer Heiligtümer flankieren. Richtig, das sind sogenannte Haitais, in China nennt man die Xiezhi. Endlich hat solch ein kultiger Geselle auch seinen eigenen Film bekommen, und er darf wüten und brüllen und Menschen zerreißen und was weiß der Teufel was sonst noch alles. Ein gepflegter, groschenromanartiger Fantasyfilm ist das geworden, jedenfalls feine Ausstattung, tolle Gewandungen und gut getrickst. Intrigen gibt’s auch, wie immer am Hof der Mächtigen. Ist nun mal so ein Monster da, kann es natürlich auch für sinistere Zwecke missbraucht werden, denn der Tempelhund per se ist ja prinzipiell nicht vorsätzlich bösartig. Vielleicht krank, vielleicht einsam… näheres wird man herausfinden.

Insgesamt aber bietet Monstrum kaum etwas Neues, außer Haitai eben. Weder ist das Abenteuer sonderlich spannend, noch hat es das gewisse Etwas. Pro- und Antagonisten sind austauschbare Stereotypen aus einem Genre vom Fließband. Aber immerhin: wer statt auf Mantel- und Degenfilme auf lederne Schuppenpanzer- und Schwerterfilme steht, kann darin sein Glück finden. Und bevor Monster-Nerds alle Monster ausgehen, wäre der Streifen auch für sie ein gefundenes Fressen.

Monstrum

Mother

EIN OPFER NATÜRLICHER PFLICHTEN

7/10

 

mutter© 2009 Diaphana Films

 

LAND: SÜDKOREA 2009

REGIE: BONG JOON-HO

CAST: KIM HYE-JA, WON BIN, KU-JIN, YOON JAE-MOON, MI SEON-JEON U. A. 

 

Dumm ist nur der, der Dummes tut. Das hat zumindest mal Forrest Gump gesagt und ist eine der Weisheiten, die aus Robert Zemeckis‘ Film mitsamt den obligaten Pralinen bis heute in Erinnerung geblieben sind. Dass das Leben eben aus so einer Schachtel bestehen und die Dummheiten auch der Gewiefteste anstellen kann, erfährt der geistig zurückgebliebene Don Yun am eigenen Leib, hängt er doch allenthalben mit einem Typen ab, der mehr Schlitzohr als Freund ist. Die Mama, die hat das Treiben ihres Filius so gut es geht im Blick, während sie in ihrem Krämerladen Kräuter schnippelt. Und irgendwann Zeugin davon wird, wie sich ihr geliebter Sohn in eine Sache verstrickt, für die er angeblich völlig unschuldig zum Handkuss kommt. Die Mutter gibt angesichts einer ermittelnden Exekutive, die gerne recht flott ihre Fälle ad acta legen will, garantiert nicht w.o. und beginnt selbst zu ermitteln, steht doch eine ganze Zukunft auf dem Spiel, da es um nichts Geringeres geht als um einen Mädchenmord.

Für viele Künstler wird 2020 bereits schon im vierten Monat als das Malus-Jahr schlechthin in die eigene Lebensgeschichte eingehen. Für den Südkoreaner Bong Joon-ho ist es erfolgsmäßig schon gelaufen. Er kann sich zurücklehnen und abwarten. Denn sein jüngster Film Parasite hat den Oscar-Vogel bereits im Februar abgeschossen. Bester Film, beste Regie, bestes fremdsprachiges Werk. Mehr geht nicht. Dabei ist Joon-ho schon längste Zeit ein As unter den Filmvirtuosen aus Fernost, und das spätestens seit seiner Monster-Satire The Host. Zeit, die Lücken in seinem Portfolio zu schließen. Und zwar mit dem ungewöhnlich subtilen Krimidrama Mother. Wer Joon-hos Stil kennt, wird überrascht sein, wie viel leiser der Mann inszenatorisch treten kann. Filme wie Snowpiercer, Okja oder eben The Host sind so ein Mittelding zwischen grotesker Komik und ernsten, dramatischen Untertönen. Das ist ein Mix, den kann so gut wie kein Filmemacher aus dem Westen wirklich adäquat nachkreieren. Stilelemente so zu verbinden ist für den Osten originär. Und hat auch in Parasite seinen Meister gefunden. In Mother blitzt diese Liebe zur bizarren Überzeichnung zwar manchmal auch noch auf, fokussiert sich aber meist stark auf seine Hauptperson, auf eine verzweifelte Mutterfigur, die für sich und ihren Schützling einen Ausweg ergrübelt, leere Kilometer durch den Regen trottet und das Stigma der Schuldigkeit ihres Sohnes um alles in der Welt fortwaschen will. Diese Verzweiflung, dieser wirkungslos scheinende Kampf, der spielt sich sehr stark innen drin ab, auf Enttäuschung folgt Rückzug, um noch mal aus dem Herbarium ihres Zuhauses hervorzukommen. Bong Joon-ho findet viel Verständnis für seine Don Quixotin, weil sie in seinen Augen ein Opfer ihrer Pflicht als Mutter ist, die sich vieles nicht verzeihen kann, ihrem Sohn aber alles verzeiht. Wenn nicht gar verzeihen muss.

Mother ist ein gediegenes, gut beobachtetes Stück Kriminalspiel, in dem die Metaphorik von Schuld, Wiedergutmachung und existenzieller Verantwortung über einen Mordfall weit hinausgeht. Es ist, als würde Joon-ho Friedrich Dürrenmatt zitieren, bereichert durch fernöstliches Lokalkolorit, Akupunktur und Reisschnaps. Die Schlagzeile in der Zeitung ist längst ein unausweichlicher, menschlicher Notstand geworden, der nach Verdrängung fleht und Schuld zu einer Sache der anderen macht. Und nicht zu der einer Mutter. Denn diese Institution scheint und will über jeden Verdacht erhaben sein.

Mother