The Amateur (2025)

CODEKNACKER IM SÜHNEFIEBER

5,5/10


© 2025 20th Century Fox


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: JAMES HAWES

DREHBUCH: KEN NOLAN, GARY SPINELLI

CAST: RAMI MALEK, LAURENCE FISHBURNE, RACHEL BROSNAHAN, JON BERNTHAL, CAITRÍONA BALFE, MICHAEL STUHLBARG, HOLT MCCALLANY, JULIANNE NICHOLSON, MARC RISSMANN, JOSEPH MILLSON, ADRIAN MARTINEZ U. A.

LÄNGE: 2 STD 3 MIN


Man kann nicht wirklich behaupten, dass Rachel Brosnahan, die zukünftige Lois Lane in James Gunns DC-Universum, im CIA-Thriller The Amateur einen spielfilmlangen Auftritt hinlegt. Viel eher bringt sie maximal den Stein ins Rollen, der die Handlung fortan für die nächsten zwei Stunden durch ein komprimiertes Spannungskino peitscht, welches viele Details außen vorlässt. Diese Feinheit im Erzählen hätte allerdings dazu geführt, aus einem routinierten Agentenfilm vielleicht gar etwas Besonders zu machen, einen Genrefilm mit anderem Blickwinkel, vorrangig einem psychologischen. Denn Brosnahans Göttergatte in dieser illustren Verfolgungsjagd quer über den europäischen Kontinent ist Rami Malek. Er ist der Star dieses Films, Oscarpreisträger für die Imitation von Freddy Mercury und überhaupt einer, der sich nicht dem Mainstream solider Schauspielkunst unterordnet. Malek legt seine Rollenwahl gerne auf Charaktere an, die stets eine verpeilte Weltsicht mit sich führen, die gerade erst durch ihr Verhalten oder so, wie sie die Welt sehen, zum geachteten und nicht verachteten Außenseiter werden. So einer ist Malek auch als Amateur – wobei sich die desillusionierte Bezeichnung für einen, der nicht weiß, wies geht, lediglich darauf beschränkt, in James Bond-Manier den Schurken das Handwerk zu legen. Diese Skills beherrscht Charlie Heller, so die Anti-Heldenfigur beim Namen genannt, nicht wirklich. Dafür aber hat er es als Codeknacker und Superbrain in Sachen Computertechnologie so einiges im Köpfchen. Das Ableben seiner besseren Hälfte erfolgt dann durch einen nicht näher erläuterten Terroranschlag, eine Gruppe martialischer Bösewichte lassen Brosnahan also zeitnah zum Anfang über die Klinge springen. Charlie Heller sieht das Ganze mit an, ist verstört, wütend und trauernd. Und schwört natürlich, wie kann es anders sein, auf die obligate Rache. Alle, die an dieser Schandtat beteiligt waren, und wovon wir nicht wissen, warum sie es getan haben, sollen sterben. Da Heller die Geschäftsführung der CIA angesichts eines leicht beweisbaren Vertuschungsskandals am Schlafittchen packt, willigt diese ein, den Schreibtischhengst einer Agentenschulung zu unterziehen, damit dieser seine Spur der Verwüstung durch die alte Welt ziehen kann. Haudegen Laurence Fishburne, der ihn unterweisen soll, erkennt aber bald, dass, auch wenn man es im Köpfchen hat, nicht automatisch in den Armen haben muss. Statt der Waffe im Anschlag darf nun der Laptop her. Online und mit schnell erlerntem Know-How fürs Bombenbasteln macht sich der schmächtige Exzentriker ans Werk.

Rami Malek sieht man gerne dabei zu, wie er sich an das Schurkenpack ranmacht, meist trickst es Regisseur James Hawes so, dass der Rächer nicht in erster Instanz für das Ableben so manches finsteren Kapazunders verantwortlich sein muss. Die Figur des Heller ist schließlich eine gute, eine Moralperson, doch gerade der Faktor der Ambivalenz wäre hochinteressant gewesen, hätte The Amateur doch eher den Weg einer Charakterstudie eingeschlagen. Stattdessen scheint der Plot des Thrillers wie die Idee eines Showrunners für eine weitere Staffel Jack Ryan zu sein, angereichert mit einem Dutzend Episoden und vorallem in den Details soweit auserzählt, dass man als Zuseherin oder Zuseher ganz gut nachvollziehen kann, wie Malek es überhaupt gelingt, den Bösen das Handwerk zu legen. Was Stoff genug gewesen wäre für eine ganze Staffel bester Genre-Unterhaltung, komprimiert The Amateur auf satte zwei Stunden herunter und verzichtet dabei auf die feine Klinge sowohl des Erzählens als auch der Charakterzeichnung. Malek kompensiert das Defizit immerhin mit gewohnter Professionalität. Mitunter blitzen Ansätze auf, die den Widerstreit in seiner Seele zeigen, jedoch ist das Meiste als simplifizierte Form eines winkelschlagenden Rachefeldzugs zu sehen, der am Ende des Tunnels die Moral verortet und es dem Superhirn so einfach wie möglich macht. Wie Mary Poppins in ihrer Ledertasche kramt, um alles herauszufriemeln, was man gerade benötigt, hat Maleks Figur alles zur Hand. Vom Improvisations-Tutorial eines McGyver ist nicht viel übrig, stattdessen scheint diesem hier der die Gunst der Götter so gut wie sicher. Flüge von A nach B gestalten sich wie lokale Straßenbahnfahrten, der Endgegner ist ein redseliger Philosoph, der die Weisheit der Welt gepachtet haben muss. Letzten Endes bleibt vieles so konstruiert, dass es in die abendfüllende Spielzeit passt. Zwar beherrscht James Hawes, der zuletzt Anthony Hopkins im Weltkriegsdrama One Life einen guten Menschen hat sein lassen, das Einmaleins des Agentenfilms, doch dieses Einmaleins wenden alle an, die im Genre unterwegs sind. The Amateur kann, trotz Unterhaltungswert, Krasinskis Jack Ryan nicht das Wasser reichen.

The Amateur (2025)

Azrael – Angel of Death (2024)

DER WALD ALS KREIS DER HÖLLE

7/10


Azrael© 2024 IFC Films

LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: E. L. KATZ

DREHBUCH: SIMON BARRETT

CAST: SAMARA WEAVING, VIC CARMEN SONNE, NATHAN STEWART-JARRETT, SEBASTIAN BULL SARNING, EERO MILNOFF, VINCENT WILLESTRAND, PHONG GIANG U. A.

LÄNGE: 1 STD 25 MIN


Was sich in den Wäldern alles abspielt, das will man gar nicht wissen. Ähnlich wie im Weltraum hört dich dort genauso wenig jemand schreien, der nicht gerade Holz fällt, Pilze sammelt, mit dem Bike durchs Gelände radelt oder forstliche Pflichten erfüllt. In den Tiefen der Wälder herrscht Anarchie, da gibt es kein Gesetz, nur jenes der Botanik, doch das tangiert den Menschen nicht, es sei denn, er verfängt sich im tropischen Dickicht, denn dort kann es deutlich gefährlicher werden als in den gemäßigten Breiten, wo sich vielleicht Bären und Wölfe an Menschen vergreifen, was wiederum seltener vorkommt als kolportiert. Es kann aber auch sein, dass, und da nehme ich mal an, deutlich häufiger, der Mensch des Menschen Wolf verkörpert – so gesehen im teuflischen Survivalschocker Azrael, der in einer unbestimmten, vielleicht postapokalyptischen Zukunft spielt, doch da legt sich der Film keinesfalls fest.

Wer Erklärungen und Ursachen für all das hier erwartet, was in knapp 80 Minuten erlebbar wird, muss sich darauf einstellen, den Symptomen eines Mysteriums zu folgen, in dessen Zentrum ein bekanntes Gesicht ums Überleben kämpft. Wir wissen, Samara Weaving hat längst Erfahrung darin, mordlüsternen Verfolgern zu entwischen. Sie hat sogar Erfahrung darin, wenn es sich dabei um die angeheiratete Familie handelt. Ready Or Not von Tyler Gillett und Matt Bettinelli-Olpin bläst zum Halali auf die Braut, und dabei geht es mit augenzwinkernd schwarzem Humor und einem Quäntchen charmantem Zynismus zur Sache. Dieser Humor, diese überzogene Leichtigkeit, lässt sich in Azrael nicht finden. Wie denn auch. Azrael selbst gilt zumindest im Islam als Engel des Todes, im Film ist es der Name einer wortlosen Protagonistin, die in einer wortlosen Welt kreuz und quer durch die Wildnis hirscht, auf der Flucht vor den Mitgliedern einer ebenfalls dem Schweigegelübde unterworfenen Gemeinschaft, die in der jungen Frau das ideale Opfer sieht für etwas ganz anderes, was den Wald beherrscht: Dunklen, ekelhaften, hässlichen Kreaturen, beurlaubt aus Dantes Hölle oder von Hieronymus Boschs gewalttätig-gotischen Bibelgemälden suspendiert. Sie sehen aus, als wären sie tatsächlich dem Feuer entstiegen, verbrannt, verkohlt und dürstend nach Menschenfleisch. Der Wald ist ihre Spielwiese, und wenn man sie nicht besänftigt, läutet die Mittagsglocke.

Wem der Plot nun zu dünn erscheint, mag mit seiner Kritik daran bald genauso verstummen wie (fast) alle, die in diesem Horror mitwirken. Auf dem Drehbuch von Simon Barrett (u. a. V/H/S) basierend, entwickelt Regisseur E. L. Katz einen zügellosen, ungemein archaischen Spießrutenlauf, der auf jegliche Dialoge verzichtet und die wilde Welt des Waldes als Vorhölle darstellt, in der die Bedrohlichkeit einer obskuren Esoterik-Sekte den gierigen Kohlemännchen, die da zwischen den Bäumen umherflitzen, um nichts nachsteht. Was die Anarchie noch verstärkt, ist die explizite Gewalt, literweise Blut und radikaler Naturalismus. Azrael ist eine Art Experiment, ein deftiges rohes Steak, ungewürzt und blutig, mit den Händen verschlungen und mit der Lust, noch mehr von dieser rohen Kraft zu vertilgen. 

Konsequent bis zum Ende, bietet Azrael allerdings nicht viel Abwechslung. Dafür aber auch keinerlei Langeweile oder Leerlauf. Das Phantastische ist stets das Böse, am Ende gibt’s den großen Twist wie bei M. Night Shyamalan. Die Welt erfährt dabei aber keinerlei Absolution. Vielleicht ist das ganze nur das Vorspiel für den Anfang vom Ende. Ein apokalyptischer Genuss, den man fast schon fühlt. Als würde man nackt durch dorniges Dickicht laufen.

Azrael – Angel of Death (2024)

Trap: No Way Out (2024)

EIN ESCAPE ROOM FÜR DEN KILLER

6,5/10


TRAP© 2024 Warner Bros. Entertainment


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE / DREHBUCH / PRODUKTION: M. NIGHT SHYAMALAN

CAST: JOSH HARTNETT, ARIEL DONOGHUE, SALEKA SHYAMALAN, ALISON PILL, HAYLEY MILLS, JONATHAN LANGDON, MARNIE MCPHAIL, KID CUDI, M. NIGHT SHYAMALAN U. A.

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Eine unerwartete Aktualität hat sich M. Night Shyamalans neuester Streich da eingetreten: Aufgrund geheimdienstlicher Warnungen konnte ein verheerender Terroranschlag im Rahmen bevorstehender Taylor Swift-Konzerte in Wien vereitelt werden. Dass dabei das Management der allseits beliebten Dame überhaupt gleich alle Events hat absagen müssen, bleibt als bitterer Nachgeschmack des Sommers hierzulande zurück. In Trap: No Way Out ist es zwar nicht Taylor Swift, sondern der fiktive weibliche Popstar Lady Raven, eine Mischung aus Lady Gaga und Gothic für Teenies, die ein Konzert zum Besten gibt, welchem die zwölfjährige Riley, Hardcore-Fan, unbedingt beiwohnen muss. Allerdings geht sowas nur im Beisein eines Erziehungsberechtigten, also ist Papa Cooper (Josh Hartnett) mit von der Partie. Was er nicht weiß: Das Konzert ist nichts anderes als eine Falle für den Serienkiller The Butcher, der sich zu dieser Zeit an diesem Ort aufhalten soll. Das Polizeiaufgebot ist enorm – nicht nur die urbane Exekutive, auch schwerbewaffnete Eliteeinheiten schützen und blockieren jeden Ein- und Ausgang. Was er weiß – und wir auch bald wissen: Der böse Bube ist Papa Cooper himself – eine Tatsache, die M. Night Shyamalan diesmal nicht als unerwarteten Twist verbrät, sondern als gegebene Prämisse. Statt das Konzert also abzusagen, wird es dafür genutzt, um jenen Psychopathen, der bereits zwölf Menschen auf dem Gewissen hat, endlich dingfest zu machen. Cooper muss nun überlegen, wie es gelingen könnte, diesen unerwarteten Escape Room zu knacken.

Die Grundidee für Trap ist originell genug, um mal etwas anderes erwarten zu können als nur eine Killerhatz mit desillusionierten und verhaltensgestörten Ermittlern, die mit dem Bösen so manche Gemeinsamkeit entdecken – siehe z.B. Catch the Killer. Diesmal sehen wir alles aus dem Blickwinkel eines Antagonisten, dem Josh Hartnett eine väterlich-freundliche Aura verleiht, hinter dieser aber ein sardonisches Grinsen verbirgt, das an die freundliche Mimik aus dem Horrorschocker Smile erinnert. Das Grinsen ist somit psychopathischer Natur, denn die Figur des Cooper schleppt, was sich in Andeutungen spiegelt, einige Traumata mit sich herum. Sympathie weckt das aber nur bedingt – was aber der Faszination für Hartnett keinen Abbruch tut. Ihn gegen sein Image zu besetzen mag wohl der klügste Schachzug des Mystery-Spezialisten sein. Und dann ist da noch dieser Eventcharakter eines ausführlich und zugegeben in langen Einstellungen gefilmten Konzerts von Shyamalans Tochter Saleka, die darin auch selbst singt und welches viele Minuten des Films okkupiert – einfach, um die Stimmung eines glückseligen Ausnahmezustandes zu lukrieren, welches Konzerte dieser Art nunmal entfachen. Auch das gelingt Trap vorzüglich. Des Weiteren stellt sich aber die Frage: Als wie gut kann ein Film letztlich eingestuft werden, wenn er sich doch zu gnadenlos tiefen Plot Holes hinreissen lässt, die so überdeutlich und realistisch betrachtet niemals so passieren könnten – die aber als Failure-Momente dennoch eine fesselnde Dynamik garantieren, mit der man letztlich mitziehen muss und dessen Rhythmus man sich unterwirft, obwohl sonnenklar ist, dass Shyamalan hier so einiges an Plausibilität verspielt.

Kann – oder darf man gar ungeniert solche Mängel übergehen, zugunsten einer Sogwirkung, der man sich genauso gerne hingibt wie dem Strömungsbecken in einer Thermenlandschaft? Darf man. Man muss es nicht kritisieren. Übersehen kann man diese Dinge aber trotzdem nicht, dafür aber – wie so vieles im Leben – kinderleicht verdrängen. Mit dieser Ambivalenz des Plots schafft Shyamalan das größte Mysterium in einem Film, der diesmal fast ganz ohne Mystery auskommt. Filme müssen also – in ihrer Schlüssigkeit – längst nicht perfekt sein. Da gibt es andere Werte, die trotz allem volle Unterhaltung garantieren. Den Spaß will man sich schließlich nicht verderben lassen, sofern man einen hat.

Trap: No Way Out (2024)

Guy Ritchie’s Der Pakt (2023)

EINE HAND WÄSCHT DIE ANDERE

7/10


thecovenant© 2023 Metro Goldwyn Meyer


LAND / JAHR: USA, SPANIEN, GROSSBRITANNIEN 2023

REGIE: GUY RITCHIE

DREHBUCH: GUY RITCHIE, IVAN ATKINSON, MARN DAVIES

CAST: JAKE GYLLENHAAL, DAR SALIM, ALEXANDER LUDWIG, ANTONY STARR, JASON WONG, JOHNNY LEE MILLER, BOBBY SCHOFIELD, EMILY BEECHAM, CYRUS KHODAVEISI U. A.

LÄNGE: 2 STD 3 MIN


Hollywood und die Kriege Amerikas mit dem Rest der Welt stehen seit jeher in enger Verbindung. Stoff für großes Drama und Spektakel liefert der Dienst an der Waffe schließlich ohne Ende. Da können Filme einerseits systemkritisch aufjaulen wie Oliver Stone mit Geboren am 4. Juli oder einfach nur das weltpolitische Ungleichgewicht nutzen, um Action abzuliefern wie in 13 Hours: The Secret Soldiers of Benghazi, wofür „Jack Ryan“ John Krasinski durch die libysche Wüste stolpern musste. Jeder Dekade ihren Krieg, könnte man meinen. Erst war es Europa in den Vierzigern, dann Vietnam, später Kuweit und nun immer noch der eine oder andere nachwirkende Schicksalshammer um die Leiden und Entbehrungen stationierter US-Amerikaner im von allen Göttern verlassenen Afghanistan. Dort proben nun seit dem Abzug der Weltmacht ein radikaler Haufen den Alltag als Staatsgebilde, was mehr schlecht als recht gelingt, betrachtet man die Praxis sämtlicher Menschenrechte, die schlichtweg nicht existieren. Mittlerweile schert sich darum keiner mehr – doch das war mal anders. Das US-Militär hatte seine Pflichten zu erfüllen und seiner Bestimmung zu folgen. Darunter eben auch, der als Terrorgruppe eingestuften Taliban-Horden das Handwerk zu legen.

Und hier kommt Guy Ritchies brandneuer und direkt auf amazon prime erschienenes Kriegsabenteuer ins Spiel, das zwar keine True Story erzählt, dafür aber ähnliche Ereignisse als Grundlage hernimmt, um einer bislang in Sachen Aufmerksamkeit durch den Rost gefallenen Minderheit Respekt zu zollen: Den lokalen Sprachkundlern, ohne die wohl kein US-Soldat jemals auch nur einen Schritt in seiner Mission weitergekommen wäre. Als fiktives Paradebeispiel steht nun das Zweiergespann Jake Gyllenhaal als Sergeant John Kinley und der leicht sturköpfige Übersetzer Ahmed (Dar Salim) im Mittelpunkt. Kinley hat den Auftrag, Sprengstofflager der Taliban zu finden und auszuräuchern, dazu braucht er eben einen Kapazunder wie Ahmed, der selbstständig mitdenkt, statt nur stur Befehle zu befolgen. Die beiden haben so ihre kleinen Krisen miteinander, doch als Kinley mit seiner Einheit einem nennenswerten Waffenlager auf die Spur kommt, gerät diese in einen Hinterhalt. Er und Ahmed können sich als einzige retten und schlagen sich durch den Hindukusch, während die Islamisten zur großen Treibjagd blasen. Bald zeigt sich, wie viel Don Quichote ohne seinen Sancho Pansa wohl wert gewesen wäre. Zu sehen bekommen wir dabei einen Survival-Thriller, der sich recht weit von Guy Ritchies sonstigen süffisanten Gaunerkomödien entfernt hat und kein Quäntchen dieses augenzwinkernden Stils durchsickern lässt. Was bleibt, ist vielleicht dessen Gespür für aus der Norm fallende Rollenbilder, nur diesmal ohne Tweed, sondern stattdessen mit Helm und Schutzweste, vorzugsweise Khaki.

Guy Ritchies’s Der Pakt, bezieht sich mit seinem Titel auf die (wohl kaum vertraglich) zugesicherte Gegenleistung der US-Regierung, in dessen Diensten stehende Dolmetscher mit einem Sondervisum ins eigene Land zu holen, um diese vor Racheakten der Taliban-Miliz zu schützen. Laut Ritchies Film dürften das alles nur Lippenbekenntnisse gewesen sein – viel mehr zählt dafür der persönliche Pakt zwischen zwei Menschen in der Not, die aufeinander angewiesen sind und ihre Schuld begleichen wollen, koste es, was es wolle. Das bietet einen fruchtbaren Boden für allerlei Pathos und Ehre, doch die Zeiten triefenden Militär-Kitschs sind gottseidank vorbei – das war in den 90ern schwer auszuhalten, auch wenn Michael Bay diesen emotionalen Stil noch länger beibehalten hat. Mit Charaktermime Gyllenhaal hält sich die sternenbannerumwehte Anstandsmoral dann doch in Grenzen, seine Figur bleibt glaubhaft und wird nicht zum Instrument irgendeiner Propaganda. Dabei stiehlt dem Schauspieler sein Partner Dar Salim ohnehin die Show. Als schwer zu durchschauender Mann der Tat strahlt der Däne ordentlich Charisma aus – sich mit ihm anlegen würde man nicht wollen.

Für einen kritischen Kriegsfilm mag Guy Ritchies’s Der Pakt manchmal zu dick aufgetragen sein – dennoch ist die Ode ans Pflichtgefühl – dem Call of Duty – die bessere Wahl, müsste man zwischen Tyler Rake: Extraction 2 und diesem Film hier eine Entscheidung fällen. Beide sind deshalb zu vergleichen, da die Extraktion gefährdeter Personen im Mittelpunkt steht – bei Sam Hargraves Netflix-Bombast zählt außer Action sonst nämlich gar nichts. Hier allerdings hat das ganze Szenario noch eine dramatische Meta-Ebene mit durchaus einiger Tiefe, die aber letzten Endes auch ungeniert und tief in die Waffenkiste greift, um nicht ohne vorher ordentlich Krach zu machen den Vorhang fallen lässt. Und dabei stellt ich ein seltsames Gefühl ein – eines, das man nicht haben sollte, doch es führt kein Weg daran vorbei, enorme Genugtuung dabei zu empfinden, wenn der islamistische Mob ins staubtrockene Gras beißt. Ritchie hat auch ordentlich Vorarbeit geleistet, genug Aversion gegen den Antagonisten zu triggern, um dann aus vollen Rohren Tabula Rasa zu machen.

Aus einem Kriegsdrama im Stile von Lone Survivor wird also ein Actionfilm, der die eigenen archaischen Emotionen bedient wie lange kein Film zuvor.

Guy Ritchie’s Der Pakt (2023)

Red Rocket

LIEBER DURCHSTARTEN ALS FRÜHSTARTEN

8/10


redrocket© 2021 Universal Pictures International Germany


LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: SEAN BAKER

CAST: SIMON REX, SUZANNA SON, BREE ELROD, ETHAN DARBONE, JUDY HILL U. A. 

LÄNGE: 2 STD 11 MIN


Eigentlich hätte ich mir denken können, dass es dergleichen geben muss: den „Oscar“ fürs Adult Entertainment. Diese Preisverleihung ist natürlich eine, die abseits des Mainstream maximal die Themen-Presse an den dortigen roten Teppich lotst. Doch wie gesagt: es gibt ihn – den AVN oder Adult Video News Award. So eine Live-Übertragung kann da eine Spur länger dauern als bei der Academy, waren da zuletzt sage und schreibe 99 Kategorien am Start. Aber bitte – das alles weiß ich auch erst seit gestern, seit Sean Bakers neuem Wurf, der einen geschassten Pornostar zurück an den Start schickt, um neu Anlauf zu nehmen. Und eben dieser berufliche Stecher kann sich rühmen, besagten AVN bereits mehrmals gewonnen zu haben. Auf Pornhub hat dieser sogar einen eigenen Kanal. Also was will Mann in diesem Business eigentlich mehr? Da wir seit Pleasure wissen, wie schnell Porno-Starlets wieder in der Versenkung verschwinden, wird mit Red Rocket wiederum klar, wie es maskulinen Helden der Horizontalen eben auch gehen kann. Baker erfindet dafür eine vergnüglich-ironische Bestandserhebung übrig gebliebener Ressourcen, um im Business nochmal durchzustarten.

Gespielt wird dieser dreiste Lebenskünstler, der sich und seine Zukunft neu erfinden will, von einem tatsächlichen ehemaligen Pornoschauspieler, nämlich Simon Rex. Er weiß also zumindest ein bisschen, wie dieses Gewerbe funktioniert, hat aber seitdem bereits auch in anderen, jugendfreieren Filmen mitmischen dürfen, mit denen man aber nicht unbedingt hausieren gehen will. Darunter findet sich die gefühlt hundertteilige Scary Movie-Reihe und sonstiger parodistischer Klamauk. Gut, für Komödien hat Rex also ein gewisses Faible. Und ja: dieses naiv-beschwingte Mähen alltagsproblematischer Wiesen beherrscht der stattliche Schönling durchaus gut. Das fängt schon damit an, wie dieser  als Mickey bei seiner im Stich gelassenen Noch-Ehefrau in Süd-Texas nahe Galveston einfällt – mit nichts außer ein paar Dollars in der Tasche und dem wehleidigen Blick eines von der Bordkante getretenen Streuners. Nur ein paar Nächte Unterschlupf, bettelt er – bis er was Neues gefunden hat, wieder ausholen und durchstarten kann. So ein Mann mit Hundeblick erzeugt natürlich Mitleid, also hat er bald ein geliehenes Dach über den Kopf – sonst aber nichts. Er verdingt sich als Hasch-Dealer und lernt alsbald in einem Donut-Laden (klingt wie ein Adult Movie: Donut Hole) die gerade noch minderjährige Strawberry kennen, ein kokettes Mädel mit Sommersprossen und roten Haaren, offen für Neues und vor allem für den großen Traum von Hollywood. Mit der eigentlichen Ehefrau Lexi läuft es allerdings ebenfalls besser, doch Mickey sieht im Gegensatz zu dieser nur in Strawberry den Schlüssel für sein perfekt arrangiertes Comeback. Klar, dass es dabei zu Missverständnissen kommen kann, vielleicht auch zu kleinen Lügen, doch wenn es sich einer wie Mickey richten will, sind kleine Opfer das Mindeste auf dem Weg zu neuerlichem Ruhm.

Wie dieser Simon Rex auf einem klapprigen Fahrrad die kleinstädtischen Alltagsparameter durcheinanderwirbelt, ist kurios und auf sympathische Weise unfreiwillig selbstironisch. Nichts liegt diesem Mickey wohl ferner, als nicht ernstgenommen zu werden. Doch gerade diese Eulenspiegel‘sche Art eines professionelles Sex-Gottes, der wie ein gestrandeter Superheld auf der Suche nach seinem flirrenden Stretch-Overall Gönner, Neider und Skeptiker kompromittiert oder für seine eigenen Zwecke einspannt, schenkt dieser kauzigen, koitusaffinen Sozialkomödie den richtigen Dreh. Mit Bakers The Florida Project konnte ich beileibe weniger anfangen als hiermit.

Was aber da wie dort den pastelligen Traum eines glücklichen Lebens als abkratzbare Fassade vorzüglich illustriert, sind die dem amerikanischen Realismus verwandten blassbunten Bilder, die mit Sunny Side Up am Frühstückstisch beginnen und in der zuckerlrosa Pin-Up-Version eines Eigenheims enden. Mit diesem stilistischen Wunderland gibt sich Sean Baker als zutiefst amerikanischer, dieses Land und dessen Improvisationstalent über alles liebender Künstler, der mit Edward Hopper genauso auf einen schäumenden Milkshake gehen würde wie mit Chloë Zhao, deren Nomadland grundsätzlich betrachtet eine ähnliche, aber viel ernstere Klaviatur spielt.

Red Rocket

Ambulance (2022)

MIT MILZRISS AUF DER ÜBERHOLSPUR

6,5/10


ambulance© 2022 Universal Pictures Germany


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: MICHAEL BAY

CAST: JAKE GYLLENHAAL, YAHYA ABDUL-MATEEN II, EIZA GONZÁLEZ, GARRET DILLAHUNT, KEIR O’DONNELL, JACKSON WHITE, A MARTINEZ U. A. 

LÄNGE: 2 STD 16 MIN


Eins muss man Michael Bay wirklich lassen. Er weiß, wie man Hochglanzbilder macht. Das fußt mit Sicherheit auf seiner frühen Profession als Werbefilmer für Automobilmarken, die ihre fahrbaren Untersätze gerne bei niedrigstehender Sonne über den glitzernden Asphalt geschickt haben mochten. Mit der Zeit sind diese Bilder geblieben – erleichternd hinzu kommt die Arbeit mit Drohne und Kamera. Was bei Ambulance – dem Remake eines recht erfolgreichen dänischen Reißers – vorrangig ins Auge fällt und dieses auch bei manchen Sequenzen nachkullern lässt, sind die dynamischen, geradezu ungebremsten Kamerafahrten, die einem Bumerang gleich mal in eine Richtung ausholen, um dann um 360 Grad schwenken, auf den Kopf stehen und wieder zurückschnellen. Ruhende Takes waren gestern. Bei Bay ist alles in Bewegung. Und glücklicherweise trommeln diesmal nicht turmhohe Robotergiganten auf die urbane Infrastruktur ein, sondern ist gerade mal ein Krankenwagen unterwegs, der nicht daran denkt, anzuhalten. Klingt ein bisschen nach Jan de Bonts überschätzten Kassenschlager Speed? Ein bisschen schon, nur der Unterschied liegt darin, dass in Speed ein Anhalten des Busses aus rein bombentechnischen Gründen nicht ratsam gewesen wäre, während in Ambulance den flüchtenden Sani-Tätern gerade mal die halbe Polizei von LA im Nacken sitzt. Das wäre alles eine recht schnell ausgestandene Sache, hätten die Brüder Jake Gyllenhaal und Yahya Abdul-Mateen II nicht auch noch eine bildschöne Rettungsfahrerin in Gestalt von Eiza Gonzáles an Bord, die sich um einen doppelt angeschossenen Polizisten kümmern muss. Es gilt also, einige Faktoren zu berücksichtigen, will man einen glimpflichen Ausgang erwarten.

Und Jake Gyllenhaal, der ist ja längt nicht mehr der Good Guy im Filmbiz. Bewiesen hat er das mit Nightcrawler oder auch zuletzt als Drohnen-Jongleur Mysterio im vorletzten Spiderman-Streifen. Diesmal greift er in hemdsärmeliger Arroganz zu Geldsack und Maschinenpistole – dank einer schwer einschätzbaren Mimik steht ihm der Fiesling sichtlich gut. Bay hat also das richtige Ensemble für seine über zwei Stunden lange Verfolgungsjagd gefunden, die kaum dramaturgischen Leerlauf hat. Und Bay hat – wie schon damals in The Rock – Fels der Entscheidung – zu seinen Tugenden zurückgefunden, bevor das große Hasbro-Franchise eingesetzt hat. Knapp und klassisch bringt der gehetzte Werbespot-Ästhet mit der lockeren Kamera seine Parteien ins Spiel. Dann folgt ein Straßenzug dem nächsten, und sie alle glühen unter heißem Gummi. Dank des Martinshorns verkommt die Ampelschaltung in der Stadt der Engel zur peripheren Lichtorgel.

Die Qualitäten dieses unterhaltsamen, wenn auch nicht durchgehend fesselnden, weil in seinem Plot recht erwartbaren Actionfilms liegen allerdings im Mikrokosmos des Krankenwagens: wenn Gonzales mithilfe ärztlicher Zuschaltung versucht, dem durchlöcherten Cop die Kugel zu entfernen, beisst man fast schon die Zähne zusammen. Und das Machtverhältnis in diesem Dreieck aus Opfer und Täter entbehrt nicht einer gewissen wechselnden Dynamik.

Mit Ambulance hat Michael Bay fast so etwas wie einen Mix aus Stirb langsam und Emergency Room vollbracht, und das, ohne sich anschließend verstecken zu müssen. Die unsäglichen Nummern 6 Underground oder Armageddon sind ist da fast schon vergessen, und der schräge Ulk so mancher Randfigur lockert das Stück Actionkino auch nur insofern auf, da es den gespielten Ernst der Lage nicht vollends zum Narren hält.

Ambulance (2022)

Prey (2021)

MÄNNER ALLEIN IM WALD

5/10


prey© 2021 Netflix


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2021

BUCH / REGIE: THOMAS SIEBEN

CAST: DAVID KROSS, HANNO KOFFLER, ROBERT FINSTER, KLAUS STEINBACHER, YUNG NGO, MARIA EHRICH, LIVIA MATTHES U. A. 

LÄNGE: 1 STD 27 MIN


Der Herbst ist die schönste Jahreszeit, um durch den Forst zu schlendern. Alles ist goldbraun, die Sonne goldgelb. Könnte schöner nicht sein, finden Roman, sein Bruder Albert und seine drei Kumpels, die sich tags darauf zum feuchtfröhlichen Junggesellenabschied eingefunden haben. Am nächsten Tag dann verkaterten Survival im Kajak und am Lagerfeuer, bevor es heimwärts geht. Doch soweit wird es nicht kommen, denn sonst wäre ein recht langweiliger Film zu Ende und wir hätten es auch nicht mit einem brandneuen, ins Netflix-Programm aufgenommenen Outdoor-Thriller zu tun, der sehr geheimnisvoll tut, dabei aber keinerlei Anstalten macht, den Fortgang der Ereignisse zu verheimlichen.

Die fünf Männer in den besten Jahren, die da so ganz allein auf weiter Flur plötzlich den Sucher eines hartnäckigen Snipers queren, nehmen für die folgenden eineinhalb Stunden ihre Beine in die Hand – stolpern, verletzen und streiten sich. Wissen nicht wie ihnen geschieht, rechnen aber damit, dass es sich nur um einen Irrtum handeln kann. Regisseur Thomas Sieben (Kidnapping Stella) erklärt nicht viel, probiert aber auch nichts Neues aus. Das Konzept erinnert an den propagierten Skandalfilm The Hunt mit einer famosen Betty Gilpin, die sich als Freiwild nicht lumpen lässt. Oder an den ebenfalls zuletzt auf Netflix gesichteten skandinavischen Survival-Reißer Red Dot. Klar kommt einem auch der wahrlich verstörende Ausflugsschocker Beim Sterben ist jeder der Erste in den Sinn – nihilistisches Kino der Extraklasse. The Hunt schlägt sie in Sachen Laune, Spannung und Qualität so ziemlich alle – und hinterlässt auch nicht so ein Unwohlsein in der Magengegend wie Boormans Klassiker aus den Siebzigern. Schlusslicht ist Prey, der sich an längst verbrauchten Mustern bedient und auch nicht wirklich die Muße hat, stereotype Charaktere in der Mottenkiste zu lassen, sondern adrett in die Landschaft zu setzen, mit Marken-Outdoorklamotten als Product-Placement und einer Portion Wehleidigkeit, über die man sich nicht selten wundert. Was Thomas Sieben in seinem Script aber ganz gut gelingt, ist die effiziente Einflechtung der Hintergründe für diesen Waidmanns-Terror – ohne viel Worte, dafür in knappen, erhellenden Szenen. Auch bietet die Landschaft des Nationalparks Sächsische Schweiz pittoreske Kalenderblätter.

Prey (nicht zu verwechseln mit dem Löwen-Slasher aus 2007) ist szenenweise tatsächlich nicht unspannend, bietet aber im Ganzen zu wenig eigene Ideen, um als selbstbewusster Beitrag zum deutschen Thrillergenre Spuren zu hinterlassen. Doch kann’s passieren, dass die Lust am Waldspaziergang dennoch etwas gedämpft wird.

Prey (2021)

Sweet Girl

BITTERE PILLEN FÜR AQUAMAN

5/10


sweetgirl© 2021 Clay Enos / Netflix

LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: BRIAN MENDOZA

CAST: JASON MOMOA, ISABELA MERCED, MANUEL GARCIA-RULFO, JUSTIN BARTHA, AMY BRENNEMAN, RAZA JAFFREY U. A. 

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


Müsse es nach diesem Film hier gehen, dürfte man allein aus Anstand und gesundem Moralempfinden nie wieder in eine Apotheke gehen. Was sich Pharmakonzerne oft leisten, und vor allem: wie sie es sich leisten – das lässt sich fast nur mit perfiden Methoden vergleichen. Einfach, um uns Normalsterbliche und Normalkranke, die immer wieder mal ein Schmerzmittel benötigen oder einen Spray für die verschnupfte Nase, allesamt in der Hand zu behalten.

Da mag schon das eine oder andere Mal was dran sein, schließlich geht es um unendlich viel Geld. Leider regiert das die Welt und somit auch die Gesundheit. Wen überrascht das noch? Selbst Altruismus bleibt nicht ohne Selbstzweck (siehe den Film Me, We). Wie weit Sweet Girl aber das Schreckgespenst finsterer Machenschaften aus der Kiste lässt, ist dann letzten Endes doch etwas lächerlich. Aber gut, schließlich will man Jason Momoa natürlich bis zur Weißglut treiben. Seinen Hass entfachen, seinen Sinn für hemdsärmelige Selbstjustiz. Grund genug hätte er dafür. Als Vater einer Tochter muss er mitansehen, wie seine bessere Hälfte dem Krebs erliegt. Und das nur deswegen, weil ein Pharmakonzern eingangs erwähnter Art lebenserhaltende Medikamente zurückhält, die längst getestet und verabreichbar wären. Nichts zu machen, die Zurückgebliebenen trauern, es vergehen einige Monate, plötzlich meldet sich ein investigativer Journalist, der das Zeug dazu hätte, besagtem Konzern das Handwerk zu legen. Ray Cooper (Momoa eben) soll dazu seine Aussage machen. Bevor es soweit kommt, wird der Journalist ermordet – und auch Cooper wäre dem Attentat beinah erlegen. Auch die Tochter überlebt – doch jetzt heißt es: Nicht mit uns. „Aquaman“ startet einen Rachefeldzug, um den Pharma-Fieslingen den Garaus zu machen. Tochter Rachel kommt natürlich mit.

Jason Momoa hat sich seit dem letzten Justice League kein bisschen verändert. Dieselbe Haarpracht, ähnlicher Bart. Nur diesmal in legeren Klamotten für Landratten, vorzugsweise mit Hoodie. Bevor dieser aber seinen Dreizack auspackt, greift er lieber zur Schusswaffe. Und hinterlässt alsbald ein Blutbad, stets im Beisein der Tochter. Ein schönes Vorbild. Auch in Sachen Vernunft und Moral. Zu glauben, auf diese Art die großen Geldmacher in die Knie zu zwingen, ist reichlich naiv. Doch die scheinen mit denselben Mitteln zu arbeiten, also ist es auch schon egal. Fernando Mereilles, der mit Der ewige Gärtner auf ganz anderen Wegen die Skrupellosigkeit der Konzern-Elite in den Fokus rücken konnte, oder eben Todd Haynes mit seinem unlängst höchst brisanten, authentischen Abwasser-Thriller Vergiftete Wahrheit – die hätten daraus einen relevanteren Film gemacht. Natürlich mit weniger Action, dennoch aber mit genug Toten.

Sweet Girl nutzt die fromme Ambition einer Wirtschaftskritik, um sich und seine kaltschnäuzig agierenden Protagonisten von der Leine zu lassen. Sie killen und ballern für eine gute Sache. Fragt sich nur, warum auf diese Art. Der Eindruck eines wenig durchdachten Drehbuchs macht sich breit. Eines Films, der will, dass Jason Momoa Radau macht. Jungstar Isabella Merced (u. a. Dora und die goldene Stadt) stiehlt dem hawaiianischen Hünen dabei aber vermehrt die Show. Sie scheint so unverwüstlich wie Alita und so wütend wie Retorten-Killerin Hanna – ein Highlight in einem sonst überschaubaren Low Budget-Film. Doch wer glaubt, dass das schon alles war, so kurz vor Ende, der darf dann noch mit einer Wendung rechnen, die wohl M. Night Shyamalan gerne gehabt hätte, braucht der doch immer seinen Plot-Twist. Allerdings: Dieser wirkt so, als hätte man ihn erst im Nachhinein eingefügt und lässt das bisher Erzählte mehr als bemüht erscheinen.

Sweet Girl

Beckett

GRIECHENLAND SEHEN… UND STERBEN

7/10


beckett© 2021 Netflix


LAND / JAHR: ITALIEN, BRASILIEN, GRIECHENLAND, USA 2021

BUCH / REGIE: FERDINANDO CITO FILOMARINO, NACH DEM ROMAN VON DENNIS ALLAN

CAST: JOHN DAVID WASHINGTON, ALICIA VIKANDER, BOYD HOLBROOK, VICKY KRIEPS U. A. 

LÄNGE: 1 STD 48 MIN


Becketts gibt es viele. Samuel Beckett, der Schriftsteller. Tobias Beckett aus dem Star Wars-Universum. Thomas Becket (nur mit einem t), der ehemalige Erzbischof von Canterbury, verewigt in Jean Anouilhs Klassiker Becket oder die Ehre Gottes. Von Gott scheint in dieser vorliegenden Netflix-Premiere ein ganz neuer, taufrischer Beckett allerdings so ziemlich verlassen zu sein. Denn der ist schlicht und ergreifend zur falschen Zeit am falschen Ort, wobei die Koordinaten gar nicht mal so schlecht gesetzt sind. Schauplatz ist nämlich Griechenland, nicht erst seit STS der Inbegriff von Urlaub und Ausstieg aus der Norm. Wo man gut und gerne mal irgendwann dortbleiben würde, um die Füße in den weißen Sand zu stecken, vorzugsweise mit einer Flasche Rotwein in der Hand (an meine Leser, die den Austropop-Klassiker nicht kennen – Sorry an dieser Stelle). Dieser Beckett, gespielt von John David Washington, ist jedoch weit davon entfernt, sich an den Strand zu setzen. Rund um Athen ist dieser nämlich mit seiner Flamme April (Alicia Vikander) per Auto unterwegs, um in der kühleren Nebensaison eben genau das zu machen, wofür die Griechen nebst Wiege der Antike bekannt sind: Urlaub. Der findet alsbald eine tragische Wendung, als Beckett beim Sekundenschlaf in eine Hauswand kracht. Die Freundin segnet das Zeitliche, Beckett schält sich aus den Trümmern, ruft um Hilfe, sieht Personen im Haus, die eigentlich gar nicht da sein dürften. Als er dies später zu Protokoll gibt, beginnt eigentlich erst der wirkliche Horror – obwohl man meinen könnte, ein Unfall mit Todesfolge bietet schon genug davon. Nein – Beckett soll nämlich, gejagt von Unbekannten, ebenfalls ins Gras beißen. Also ist er auf der Flucht – für den Rest des Films.

Klingt simpel – ist es prinzipiell auch. Ein Mann auf der Flucht ist ein wiederholtes Szenario, birgt aber scheinbar unerschöpfliches Potenzial und endlose Details, mit denen man den eigentlichem Plot ausschmücken kann. Dem Italiener Ferdinando Cito Filomarino waren die Möglichkeiten anscheinend bewusst. Entsprechend rastlos setzt er seinen Star aus Tenet und BlacKkKlansman in Szene, der schließlich auch weiß, dass er als Gehetzter alles geben muss: Blut, Schweiß und Tränen. Und die absolute Erschöpfung. Das macht er dann auch. Er blutet, schwitzt und weint, stets am Rande der Verzweiflung. So desperat haben wir den toughen Amerikaner noch nie gesehen. Und wieder bestätigt sich, was sich bereits bei Tenet offenbart hat: John David Washington wäre der ideale James Bond. Nicht nur, weil er im Anzug und Krawatte das Bild von einem kompetenten Professionisten abgibt, sondern weil er – ob als Flüchtender, Jagender oder Improvisator – einen langen Atem hat. Den braucht man im Geheimdienst ihrer Majestät. Und da sind allerhand Blessuren inbegriffen. Auch die bekommt Washington reichlich. Dennoch schiebt er sich mehr schlecht als recht durch den Karst und durch das Chaos einer von politischen Unruhen heimgesuchten, griechischen Hauptstadt.

Beckett ist ein energischer Europa-Thriller im Stile von Mörderischer Vorsprung mit Sidney Poitier oder den Bourne-Filmen von Paul Greengrass. Die von Mitteleuropäern heißgeliebte Schatzkiste an Inseln und Kultur zeigt uns allerdings bewusst die kalte Schulter. Im Land der Sommersonne ist es stets grau, kalt und voller Wolken. Athen ein Moloch baufälliger Häuser, als wäre man in der dritten Welt. Auch das ist Griechenland, ungefähr so ungeschönt wie in Alexis Sorbas. Da konnte Anthony Quinn zumindest die Stehaufmännchen-Mentalität kreativer heimischer Überlebenskünstler im weltvergessenen Sirtaki-Tanz honorieren. In Beckett tanzt kein Grieche, sondern wettert und protestiert. Der mit der Überlebenskunst ist diesmal ein Amerikaner, der irgendwann mal vom MI6 Post bekommen könnte.

Beckett

The Marksman – Der Scharfschütze

EIN MANN AN DER GRENZE

4/10


marksman© 2021 Leonine


LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: ROBERT LORENZ

CAST: LIAM NEESON, KATHERYN WINNICK, JACOB PEREZ, JUAN PABLO RABA, TERESA RUIZ U. A. 

LÄNGE: 1 STD 37 MIN


Langsam wird er zu alt für diesen Sch… oder doch nicht? Müsste vorliegender Actionkrimi die eingangs erwähnte Feststellung berichtigen, so hilft alles nichts: Liam Neeson geht die Luft aus. Kann aber auch sein, dass es ganz schlicht und einfach die Rolle erfordert, so dermaßen genug vom Leben zu haben. Oder vom Filmemachen. Die Zeiten von 96 Hours scheinen lange vorbei, auch sein letzter Film – Honest Thief – hat sich da schon etwas eingebremst. Ein Leisertreten also, vor all diesen bösen, nimmermüden Buben, die als stereotype Abziehbilder dem alten Haudegen in der Sonne stehen. Irgendwie hat´s da was. Dabei wäre die Rolle des Marksman – also des Scharfschützen – auch eine dank- und denkbare für den mittlerweile über neunzig Jahre alten Clint Eastwood gewesen. Fragt sich nur, ob er die paar Prügelszenen auch noch so hinbekommen hätte wie Neeson. Wenn’s nämlich drauf ankommt, kann er das noch. Doch danach, wenn der Gegner am Boden liegt, heißt es verschnaufen.

In diesem Verschnaufmodus plätschert auch Robert Lorenz‘ schlichter Flüchtlingskrimi dahin, der nicht rein zufällig so aussieht, als wäre er im Grunde für Clint Eastwood bestimmt. Lorenz ist in erster Linie Produzent, und zwar für niemand geringeren als für den zum Kult gewordenen Dollar-Cowboy, und das schon seit Mitte der Neunziger Jahre. Clint Eastwood hat diese Rolle vermutlich abgelehnt. Morgan Freeman wäre noch in Frage gekommen. Oder Tommy Lee Jones. Hätten diese alternden Charakterköpfe ebenfalls eine ähnlich schleichende Stimmung erzeugt wie Neeson? Dabei ist letzterer nach wie vor gern gesehen, seit Schindlers Liste bleibt der Ire stets der Gutmensch, so widerborstig und eigenbrötlerisch und vielleicht so brutal er auch sein mag.

Als Grenz-Western beschreibt The Marksman – Der Scharfschütze eine Geschichte, die auf ein Post-It passt. Neeson als pensionierter US-Marine Jim Hanson (wie sonst könnte er so kämpfen) beobachtet tagaus, tagein den Grenzzaun zwischen Arizona und Mexiko, bis ihm eines Tages eine Mutter mit ihrem Jungen in die Arme läuft. Hinter den beiden her: austauschbare Handlanger irgendeines x-beliebigen mexikanischen Drogenkartells. Die Mutter stirbt, vorher nimmt sie Jim noch das Versprechen ab, ihren Dreikäsehoch zu seinen Verwandten nach Chicago zu bringen. Das macht er doch glatt, er ist schließlich ein Gutmensch, obwohl er vorgibt, mit dieser Entscheidung zu hadern und lieber seine Ruhe haben möchte. Doch es wäre kein Roadmovie der konventionellen Art, wäre das nicht der Beginn einer väterlichen Freundschaft mit einem durchaus aufgeweckten und souverän aufspielenden Jungdarsteller mit dazwischen platzierten, bleihaltigen Intermezzi.

Man könnte in The Marksman ja zwischendurch mal einnicken, ohne viel zu versäumen, aber bitte nur dann, wenn Neeson ebenfalls die Müdigkeit übermannt. Schwer schleppt sich der kleine Film über die Straßen. Um das Ganze etwas zu verdichten, bemüht sich Vikings-Star Katheryn Winnick völlig leidenschaftslos und formelhaft in einer undankbar rausgekürzten Rolle als Jim Hansons Tochter.

Wenn schon ein später Neeson, dann zumindest lieber Honest Thief. Ich hoffe ja doch, dass im kommenden LKW-Abenteuer The Ice Road der Sympathieträger mit der markanten Nase wiedermal zur Hochform aufläuft. Sonst war´s das vielleicht mal bald.

The Marksman – Der Scharfschütze