Vivarium – Das Haus ihrer (Alp)Träume (2019)

ELTERNSCHAFT ALS ZWANGSARBEIT

7/10


© 2019 Leonine Pictures

LAND / JAHR: BELGIEN, IRLAND, DÄNEMARK, USA 2019

REGIE: LORCAN FINNEGAN

DREHBUCH: GARRET SHANLEY

CAST: IMOGEN POOTS, JESSE EISENBERG, JONATHAN ARIS, SENAN JENNINGS, EANNA HARDWICKE U. A. 

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Auf IMDB schrammt Lorcan Finnegans kosmischer Horror gerade mal an der 6 Punkte-Hürde vorbei. Ein passabler Schnitt bei 81.565 Bewertungen, allerdings nur eben das: passabel. Da wäre noch Luft nach oben, und diese Luft aber will keiner, der Vivarium gesehen hat, so richtig gerne verknappen, denn Filme, die das Bedürfnis des Publikums nach einer geordneten und rational zu begreifenden Welt nicht erfüllen, stoßen durchaus auf Ablehnung. Vivarium ist daher eines im Vorfeld ganz und gar nicht: Ein Wohlfühlfilm.

Es scheint, als hätten Edgar Allan Poe oder H. P. Lovecraft an dieser akkuraten Hölle ihre Ideen beigesteuert, oder besser gesagt: ihre Ängste, die sich in literarischen Visionen längst manifestiert haben. Vermengt mit den Elementen aus den Büchern und Filmen, die uns extraterrestrische Invasionen mit Schmackes veranschaulicht haben, greift das bizarre Szenario nur so um sich. Diesem ausweglosen Alptraum müssen sich, und so viel haben wir, woran wir uns festhalten können, zwei bekannte Gesichter unterordnen. Es sind dies Imogen Poots und Jesse Eisenberg, der zuletzt mit seiner Regiearbeit A Real Pain, ein tragikomischer Herzwärmer, reüssierte. Eisenberg aber ist hier – fast so wie in A Real Pain und auch in der Martial-Arts-Groteske The Art of Self-Defense oder aber in der Männlichkeits-Metapher Manodrome – ein anfangs stinknormaler und fast farbloser bis unsichtbarer Durchschnittsbürger, der im Grunde nichts anders mit sich anzufangen weiß als den Durchschnitt zu leben, den Normalo bar excellence, in dessen Innerem aber der eitle Wahnsinn brodelt. An seiner Seite Filmfreundin Imogen Poots (u. a. 28 Weeks Later), beide möchten als Gemma und Tom ein trautes Heim bald ihr eigen nennen. Immobilienmakler gibt es viele, doch leider müssen die beiden zu ihrem Unglück in jene Filiale reinschneien, die der seltsame Martin betreut. Ein gespenstischer Typ, der psychopathische Witz eines biederen Ladenhüters mit falschem Grinsen und womöglich feuchtem Händedruck. Ihm folgen sie per Automobil in eine abseits gelegene Reihenhaussiedlung, die den Begriff des Reihenhauses auch auf die Spitze treibt. Soweit das Auge reicht ein und dieselben vier Wände, nur ihre tragen die Nummer 9. Während Gemma und Tom sich umsehen, macht sich Martin aus dem Staub. Und wer nun glaubt, das Liebespaar findet den Weg ganz von allein retour, der irrt gewaltig. Sie müssen bleiben, und zwar eine ganze lange Zeit. Es gibt kein Entkommen, solange das seltsame Baby, das plötzlich in einem Pappkarton am Straßenrand liegt, nicht in deren Obhut aufwachsen kann.

What the Fuck? Sehnsüchtig wartet man auf eine Erklärung. Letztlich bleibt man so rat- und hilflos wie Gemma und Tom, die in absoluter Isolation und unter einem seltsam weltfremden Himmel, der aussieht, als wäre er von schlechter KI generiert, dahinfunktionieren. Finnegans Film hält sein Publikum insofern bei der Stange, da er Hoffnung sät. Jede weitere Szene könnte es soweit sein, und die beiden kommen dem Geheimnis auf die Spur.

Vielleicht gelingt es ihnen, vielleicht auch nicht: Verantwortlich für einen der bizarrsten Independentfilme der ausgehenden letzten Dekade zeichnet Garret Shanley – kennt man bereits sein Skript zum Rache-Horror Nocebo mit Eva Green, lässt sich erahnen, wie weit der Autor auch hier gehen wird können. Vivarium ist beklemmend und grotesk, strotzt vor verstörenden Ideen und genießt die Freiheit des fantastischen Kunstfilms, ohne auf das Einspiel Rücksicht nehmen zu müssen. Unter solchen Voraussetzungen erweitert das Kino seine kreative Palette und lukriert dabei ordentlich Courage, den Erwartungshaltungen des Mainstreams entgegenzutreten. Das gefällt nicht jedem, wenn die erzählerische Finsternis mit der Sehnsucht nach rationaler Ordnung Schlitten fährt.

Vivarium – Das Haus ihrer (Alp)Träume (2019)

Elevation (2024)

IN DIE BERG‘ BIN I GERN

6/10


© 2024 Vertical Entertainment


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: GEORGE NOLFI

DREHBUCH: KENNY RYAN, JACOB ROMAN

CAST: ANTHONY MACKIE, MORENA BACCARIN, MADDIE HASSON, SHAUNA EARP, DANNY BOYD JR., IAN HUMMEL U. A.

LÄNGE: 1 STD 32 MIN


Es lebe der technologische Fortschritt. Und es lebe auch jener der Wissenschaft, die mittlerweile wirklich für alles eine Erklärung hat. Außer vielleicht für die dunkle Materie. Oder Donald Trump. Oder für so manche UFO-Sichtung, die weiterhin als mysteriöse Anomalie betrachtet werden kann, ohne dass auch nur irgendjemand unruhig wird, weil es doch Mumpitz ist, was sonst?

Der Fortschritt schafft es allerdings in Filmen wie A Quiet Place oder eben Elevation nicht, einem gewissen Bio-Aggressor Herr zu werden, der selbst keinerlei technologische Raffinesse besitzt, sondern lediglich als radaumachendes Raubtier am Ende der Nahrungskette instinktgetrieben allem das Wilde runterräumt, was nur den kleinsten Mucks macht. Als intelligent ist so ein Lebewesen nicht zu bezeichnen – im Gegensatz zu Homo sapiens. Der könnte sich ja überlegen, was er gegen die Super-Lauscher nicht alles tun könnte. In Elevation sind es zwar keine Super-Lauscher, sondern büffel- bis nashornartige Dampfwalzen, die auf alles und jeden zubreschen, der nicht bei Drei auf den Bäumen ist. Oder in den Bergen. Diese Wesen, die kamen seinerzeit aus dem Boden, als wären sie gekeimte Avocadokerne, die nun die Welt unterjocht haben und nur eines im Sinn haben: Die Menschheit auszulöschen. Klingt impulsiv, angesichts dieser Instinktgetriebenheit auch hier mit Intellekt relativ leicht zu managen. Doch nein: In diesen Filmen sind wir Zweibeiner wieder ganz klein, so hilflos wie Neandertaler, die sich von der Sapiens-Zweigform haben verdrängen lassen. Zum Glück aber wollen diese Biester hier keinerlei Bergluft atmen, obwohl sie doch so gesund sein soll. Aber einer Höhe von 2500 Metern ist Schluss, denn da dürfte die Luft schlagartig so dünn werden, dass es keinen Spaß mehr macht, zu jagen.

Gut für den Menschen der dystopischen Zukunft, denn der wird zum Almöhi und verbringt seine Zeit mit Weitblick über die Welt. Einer davon ist der alleinerziehende Will (Anthony Mackie), der wiederum auf seinen Sohn aufpassen muss, der gerne das Abenteuer sucht. Dummerweise leidet dieser aber auch an einer Erkrankung der Atemwege – benötigt also entsprechende Medizin, die irgendwann zur Neige geht. Im Flachland, da hortet so manches leerstehendes Krankenhaus jede Menge davon. Also ab ins Tal, den Rucksack geschultert, Deadpool-Love Interest Morena Baccarin im Schlepptau, die hier als wissenschaftlich versierte Forscherin den Ungetümen ihre Achilles-Ferse entlocken will, sofern sie welche haben. Eine dritte Dame zählt auch noch zu dieser Selbstmord-Clique, die von nun an im Schlinger-Kurs dem Schnauben der hart gepanzerten Schreckensgestalten ausweichen muss.

What you see is what you get: Nach dieser Devise offenbart uns George Nolfi (Regie bei Der Plan mit Matt Damon und The Banker, ebenso mit Anthony Mackie) einen sehr geradlinigen, zutiefst erwartbaren mehrtägigen Wandertag, und wir sind froh, nicht unsere Lungen beanspruchen zu müssen, sondern nur die Gelenke, die nach stundenlangem Downhill-Walk irgendwann zu schlackern beginnen. Diese Ausdauer, die diese drei dem Schrecken ins Auge sehenden Abenteurer an den Tag legen, ohne dabei Seitenstechen zu bekommen, ist beneidenswert. Während man, ohne viel nachdenken zu müssen, angesichts dieses exotischen Wildtier-Managements Zerstreuung findet, strengt der malträtierte Beute-Mensch dann doch noch seine Gehirnzellen an, um Marke McGyver so manche nicht verpasste Physikstunde Revue passieren zu lassen. Mit dieser Schlauheit macht der Film dann auch noch einige Drehbuch-Defizite wett in diesem Spiel auf Zeit und um Höhenmeter. Eine nette Idee übrigens, diesen Viechern gewisse Grenzen aufzuzeigen und auch das Mysterium um den Invasor mag gar nicht so recht gelüftet werden, was nicht zum Schaden gereicht. Durch diese Geheimniskrämerei sieht es fast so aus, als spekulierten die Macher auf eine Fortsetzung, die dann andere Töne anschlagen wird. Ob die Höhe dann immer noch den Ausschlag gibt, mag dahingestellt sein.

Elevation (2024)

A Quiet Place: Tag eins (2024)

AUF LEISEN PFOTEN KOMMT DIE KATZE

6/10


aquietplacetageins© 2024 Constantin Film


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE / DREHBUCH: MICHAEL SARNOSKI

CAST: LUPITA NYONG’O, JOSEPH QUINN, ALEX WOLFF, DJIMON HOUNSOU, ALFIE TODD, ELIANE UMUHIRE, ALEXANDER JOHN U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Die Katze ist das Symbol des erfolgreichen Widerstands. Denn sie gibt keinen Mucks von sich. Sie weiß, dass sie nicht mal schnurren, geschweige denn miauen darf. Keine Schwierigkeit für so einen Stubentiger. Die leisen Pfoten sind dabei angeborene Gadgets, die wir Menschen uns angesichts einer Endzeit wie dieser gerne wünschen würden. Doch leider spielt es das nicht. Des Menschen Schwerfälligkeit und Ungelenkigkeit, die lärmfreudigen Sohlen festen Schuhwerks und das ständige Keuchen, Husten und panische Kreischen angesichts monströser Schreckgestalten macht uns zur leichten Beute, während Katzen bald die Welt regieren. Gemeint sind mit den Aggressoren extraterrestrische Kreaturen, die warum auch immer eines schönen Tages auf die Erde herabregnen und, sobald sie gelandet sind, aus den Kratern kriechen und Jagd auf alles machen, das Lärm verursacht.

Dass da Homo Sapiens in seiner Massenhysterie laut schreiend und völlig orientierungslos den staksigen Lauschern in die Klauen fällt – diese Verhaltensweise wird in John Krasinskis erdachtem Horrorszenario zur frappanten Reduzierung der menschlichen Bevölkerungszahl führen. Die wenigen, die es dennoch schaffen, trotz höllischer Angst ruhig zu bleiben, sind jene, die sich evolutionstechnisch gesehen als jene, die auf tonlose Weise umherschleichen, die Zukunft sichern. Wie das in urbanem Gelände funktioniert, wo ja alles irgendwie Geräusche macht, und sind es nun tapsende Schritte auf von Splittern übersätem Asphalt, zeigt A Quiet Place: Tag eins. In dieser uns mittlerweile vertrauten Apokalypse findet sich die todkranke Sam wieder, gespielt von Lupita Nyong’o, die mit gruseligen Endzeitszenarien längst schon Bekanntschaft gemacht hat – wären es nun Zombies in Little Monsters oder mörderische Klone in Jordan Peeles kreativem Verschwörungsthriller Wir. Nun sind es Wesen, deren Kopf im Grunde aus gewaltigen Hörorganen besteht, die ein bissfestes Kiefer umrahmen. Das scheint Sam, die ja sowieso nicht mehr viel zu verlieren hat, kaum davon abzubringen, ihre Tagesagenda unbeirrt weiterzuverfolgen. Sie will an den Ort Ihrer Kindheit zurück – und nochmal Petsy‘s Pizza probieren. Auf dem beschwerlichen Weg dorthin trifft sie auf Eric (Joseph Quinn), der nicht mehr von ihrer Seite weicht.

Viel mehr erzählt A Quiet Place: Tag eins tatsächlich nicht. Außer, dass wir endlich mal ein Bild davon bekommen, wie alles angefangen hat. Im Grunde hat man dies in Auszügen bereits in Krasinskis Original gesehen. Braucht es da wirklich noch die ausgewalzte Darbietung eines Schreckens, der nicht wie eine klassische, technologisch überlegene Invasion daherkommt, sondern wie das Hereinplatzen einer invasiven Art, die das autochthone Leben eines Ökosystems namens Erde auseinandernimmt? Nyong’o hat sehr viel Angst, Joseph Quinn ebenso. Die Katze nicht. Sie gibt, als symbolisches Best-Case-Testimonial vor, wie man sich zu verhalten hat. Sie zeigt auf erschreckende Weise, wie unzulänglich der Mensch einer natürlichen Katastrophe entgegentreten muss, während Katzen die Skills dafür bereits besitzen, sich aus dem Chaos heraus neu zu ordnen.

Nyong’o und Joseph Quinn entwickeln das leise Szenario einer Zweckgemeinschaft, Regisseur Michael Sarnoski, der zuletzt Nicolas Cage in Pig auf die Suche nach seinem Lieblingsschwein geschickt hat, setzt auch hier den Fokus viel stärker auf die Fähigkeit des Menschen, zu improvisieren. Eine Besonderheit, die aber nur in der Kooperation funktioniert. Dieses emotionale Zusammenspiel lässt den Grund der Katastrophe fast zur Nebensache werden – es ist wie im Genre des Zombiefilms. Auch hier sind die Untoten nur die Variable einer Ursache, eines von vielen Symptomen für den Ausnahmezustand. Ob nun Monster aus A Quiet Place oder die unabbildbare Entität im Bird Box-Franchise, die alle, die sie sehen, in den Selbstmord treibt: Der Kampf ums Überleben ist in A Quiet Place: Tag eins einer von vielen, fast austauschbar präsentiert sich dieses auf leisen Sohlen dahinwandelnde Abenteuer, das von A nach B oder B nach C  balanciert. Das Extra mit der Stille erhält dadurch aber keine neuen Aspekte – die kreativen Ansätze John Krasinskis in den beiden eigentlichen Filmen finden sich alle genau dort – und weniger in diesem Spin Off, das als Kurzfilm vielleicht weniger Längen gehabt hätte – denn sooft die beiden Survivalisten auch durchschnaufen müssen – jedes Mal scheint einmal zu viel.

A Quiet Place: Tag eins (2024)

10 Cloverfield Lane (2016)

MIT QUERDENKERN IM BUNKER

8/10


10-cloverfield-lane© 2016 Paramount Pictures


LAND / JAHR: USA 2016

REGIE: DAN TRACHTENBERG

DREHBUCH: JOSH CAMPBELL, MATTHEW STUECKEN & DAMIEN CHAZELLE

CAST: MARY ELIZABETH WINSTEAD, JOHN GOODMAN, JOHN GALLAGHER JR., SUZANNE CRYER, DOUGLAS M. GRIFFIN, BRADLEY COOPER U. A.

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Dass New York von einem Monster heimgesucht wurde, versetzte damals so einige, denen virale Kampagnen für Filmproduktionen nicht so bekannt waren, in Angst und Schrecken. So, wie Matt Reeves seinen Found Footage-Schocker Cloverfield promotet hat, wurde damals nur die vermeintlich reale Hexe aus Blair Witch. Fake also, noch weit vor KI – und umso effektiver. Dabei war nicht nur die PR bahnbrechend, sondern auch der Film selbst. Knackig, panisch, beklemmend und dicht. Die stete Abwesenheit des Aggressors schürte noch dazu die eigene Fantasie, wie damals, in Ridley Scotts Alien. Interessantes Detail am Rande: Der Film hört genau zur selben Uhrzeit auf, wie er begonnen hat.

Cloverfield wird als Code-Begriff des Militärs für paranormale Begebenheiten angewandt, zumindest in dieser von J. J. Abrams produzierten Trilogie, die eigentlich nur lose miteinander zusammenhängen, scheinbar wenig gemeinsam haben, und doch allesamt einer Ausnahmesituation gegenüberstehen, deren Umfang sich eigentlich nie begreifen lässt und deren Ursache und Wirkung niemand kennt. In der Verzweiflung des Menschen, keine Erklärung für das zu finden, was er sieht, und das, was er sieht, nicht willentlich ist, zu glauben – darin liegt die Intensität vor allem, von Cloverfield – und auch von 10 Cloverfield Lane.

Auch A Quiet Place lässt die wehrlose Menschheit dumm sterben, wenn sie denn zu viel Lärm macht. In Bird Box erfährt man noch weniger von den Dingen, die sich abspielen – völlig im Dunklen tappt hier die Welt. In 10 Cloverfield Lane von Dan Trachtenberg (Prey), das wie gesagt als Sequel zu Matt Reeves Katastrophenfilm funktionieren kann, aber nicht muss, haben weder das Publikum noch die drei Protagonisten im Film keinerlei Ahnung – und vor allem: keinerlei Gewissheit darüber, was da oben abgeht – sitzen doch alle drei in einem penibel eingerichteten Bunker, der alle Stückchen spielt und so eingerichtet ist wie ein Wochenendbungalow, mit jeder Menge an Vorräten, fließend Wasser und elektrischem Strom vom Generator.

Die Grundsituation des Films ist schnell erklärt: Mary Elizabeth Winstead gibt hier Michelle, die nach einem Autounfall in den heiligen Hallen von Querdenker Howard erwacht. Der verbietet ihr zu gehen, schwört er ihr doch hoch und heilig, sie vor dem Untergang gerettet zu haben; vor der Apokalypse aus Radioaktivität oder Giftgas oder was auch immer. Entweder waren es die Russen oder die Nordkoreaner oder etwas ganz anderes will sich den Planeten unter den Nagel reißen – würde man selbst dieser übereifrigen Autorität, die John Goodman fernab seines komödiantischen Potenzials mit einer gefährlichen Jovialität verkörpert, Glauben schenken. Wie quälend ist der Gedanke, nicht genau zu wissen, ob Goodman wohl recht hat oder nicht? Michelle ist hin und hergerissen, aber tendiert eher zur Flucht, die sich nicht so leicht umsetzen lässt. Darüber hinaus ist da noch Emmett, einer, der sich freiwillig in den Schutz von Howard begeben hat, denn er hat das rote Licht gesehen, das da plötzlich aufgegangen war.

Wie 10 Cloverfield Lane mit den Vermutungen spielt, ist Suspense-Kino, wie man es selten sieht. Einerseits könnte Howard ein aufrichtiger Gutmensch sein, der weiß, wovon er spricht. Allerdings könnte er auch ein Psychopath sein, der weiß, wovon er spricht. Oder doch ein heillos überforderter Querdenker, der es ehrlich meint, aber in Wahrheit keine Ahnung hat. Trachtenbergs Film, an welchem auch Damien Chazelle mitgeschrieben hat, füttert sein Bedrohungsszenario mit den Werten von Vertrauen und Verlässlichkeit, bis nichts mehr übrig scheint. Es nährt sich von der Kehle zuschnürenden Angst, im Informationszeitalter ohne Informationen auszukommen und sich nur auf Vermutungen verlassen zu müssen, die man um alles in der Welt selbst einer Überprüfung unterziehen will. Die Wahrheit wird zum höchsten Gut und ist mehr wert als die eigene Gesundheit. Diese Metaebene gibt 10 Cloverfield Lane eine ungeahnte Tiefe, streut noch dazu Story-Twists ein und setzt die Benchmark für ein straffes Kammerspiel ohne leere Worthülsen neu.

Zuviel auf den Film darf ich hier aber auch nicht eingehen. Der größte Spaß ist dabei, so ahnungslos wie möglich in den bunker zu wandern. Da ich aber ungefähr wusste, wie die ganze Sache ausgeht, haben mich all die Wendungen zumindest nicht eiskalt erwischt. Und dennoch: Auch wenn man schon so eine Ahnung hat, ist es immer noch ein großer Unterschied, den Film selbst zu sehen als gespoilert zu bekommen, mit all seinen auf Konfrontation angelegten Figuren, aus denen sich so viel mehr entwickelt, als man hätte ahnen können. Und ja: Ahnen heißt nichts wissen. Doch Wissen ist Macht.

10 Cloverfield Lane (2016)

No One Will Save You (2023)

IM STRENGEN LICHT DER INVASOREN

5,5/10


NO ONE WILL SAVE YOU© 2023 20th Century Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE / DREHBUCH: BRIAN DUFFIELD

CAST: KAITLYN DEVER, LAUREN MURRAY, GERALDINE SINGER, DANE RHODES, DARI LYNN GRIFFIN, DANIEL RIGAMER, ZACK DUHAME U. A.

LÄNGE: 1 STD 33 MIN


Wäre er nicht exklusiv auf Disney+ erschienen, hätte der experimentierfreudige Science-Fiction-Sonderling No One Will Save You wohl seinen fixen Platz im Programm diverser Fantasy-Filmfestivals. Soweit ich in Erfahrung bringen konnte, kam dem Streifen keine solche Ehre zuteil, maximal eine geringe, für drei Tage exklusive Auswertung in amerikanischen Kinos. Doch Disney will schließlich auch Exklusivität verkaufen – unter der Nebenschiene Star gerne auch Schauriges. Und ja: mitunter schaurig ist diese Home Invasion sehr wohl, und dabei sogar noch weniger in den Momenten, die sich im Haus der jungen Brynn (Kaitlyn Dever, Booksmart) abspielen, sondern da draußen, jenseits der vier Wände, wo vertrautes Umfeld einer gespenstischen Welt weicht, die dem Unerklärlichen ins Auge blicken muss.

Zugegeben, das klingt nun ein bisschen so, als wären wir in M. Night Shyamalans UFO-Grusler Signs gelandet: Kornkreise zeugen von Besuchern aus anderen Welten, die es nicht unbedingt gut mit Homo sapiens meinen – was genau sie wollen, weiß man logischerweise nicht. Zwei Welten – zwei Wahrnehmungen. Unter dieser kommunikativen Diskrepanz muss auch Brynn ihren nächtlichen Besucher zur Vernunft bringen, denn so unangemeldet mitten in der Nacht schneit man nicht, egal woher man kommt, in fremde Häuser. Dieser jemand – oder dieses Etwas – ist ein klassisches Weltraummännchen, entschlüpft aus frei zusammenfabulierten Bild- und Sun-Zeitungsberichten, aus Esoterikbüchern und obskuren UFO-Entführungsberichten: Schlaksiger Körperbau, kein Geschlecht, natürlich nackt und riesige Laktritze-Augen (oder ähnlichem) über einer kümmerlichen Mundpartie. Der Klassiker, wenn man so will. Und dieser Klassiker, der kramt in Brynns Küche herum, als diese aus dem Schlaf hochfährt und sich Minuten später im Katz und Maus-Spiel mit einer gutturale Laute ausstoßenden Kreatur wiederfindet, die irgendetwas will, vermutlich aber die Hausherrin entführen. Dinge, die Aliens eben mit uns tun wollen, dazu gehört auch das Schnallen auf Operationstische und das Einführen obskurer Sonden in den menschlichen Leib. Solchen Worst Case will die völlig isoliert lebende Junge Dame natürlich nicht über sich ergehen lassen, also gibt’s improvisierte Gegenwehr. Ein Szenario zwischen Steven Spielbergs Mystery-Lichterkonzert und eben Shyamalans Aluhut-Horror hebt an. Wo Fenster sind, fällt ungutes, gleißendes Licht in die Dunkelheit der Räume, ob rot, ob blau, ob gelb – egal, es ist kein gutes Leuchten.

Man könnte sich so bequem auf ein klassisches, gerne vorhersehbares UFO-Thriller-Szenario einlassen, ohne Out of the Box denken zu müssen. Wären da nicht einige Aspekte, die Regisseur und Drehbuchautor Brian Duffield (u. a. für Jane got a Gun, Underwater) unbedingt mit in sein exzentrisches Werk einbauen wollte. Es sind nicht nur periphere Versatzstücke, welche die Originalität eines prinzipiell mal wenig originellen Plots ankurbeln hätten sollen. Es sind grundlegende, neu gestreute Parameter. Wie zum Beispiel der Umstand, dass die wehrhafte Hauptdarstellerin Kaitlyn Dever (fast) kein einziges Wort spricht. Und nicht nur sie. Der ganze Cast bringt keinen Satz über die Lippen, somit ist No One Will Save You ein Stummfilm, der ausschließlich mit seinem Score und den exotischen, durchaus eindringlichen Geräuschen arbeitet, welche das invasive Volk und seine Technik so von sich gibt. Eine Zeit lang will man nicht wahrhaben, dass es wirklich so sein könnte, dass alle daran scheitern, sich zu artikulieren. Man wartet auf das erste Wort, doch es kommt nicht. Der Ausfall der verbalen Kommunikation lässt die Welt, in welcher Brynn als einsames Fifties-Girl ihr Dasein fristet, als eine gespenstische, unwirkliche Traumdimension erscheinen, die aber stets vermittelt, real zu sein.

Darüber hinaus gibt es noch eine andere Komponente: die von Brynns Schicksal. Der Tod ihrer besten Freundin, die Schmähung der trauernden Eltern, der Tod der eigenen Mutter, die Einsamkeit, vielleicht gar die nicht eingestandene Schuld? Es ist niemals so richtig klar, was unsere (Anti)heldin in diese Situation gebracht hat – man ist verwirrt, irritiert, überrascht. Duffields Film hat eine seltsame Aura, entwickelt einen einerseits kindlich naiven, dann wieder gespenstischen Sog, der an Nope erinnert. Dieses Experimentieren mit den Erwartungen und die Freude am Erproben genrefremder Versatzstücke wirken manchmal überfordernd, und öfters wie ein von Kindern intuitiv geformter Kuchen aus der Sandkiste. Ob Psychodrama, UFO-Thriller oder Kleinstadtsatire à la Don’t Worry Darling. Ob Selbstfindung, Home Invasion oder Lovecraft‘scher Monsterfilm: No One Will Save You will zu viel und gleichzeitig, drängt seine Ideen anderen, noch gar nicht entfalteten hinterher und kann sich schwer fokussieren. Vieles ist dabei, das sich lohnt, doch letzten Endes bleibt ein skeptischer Seitenblick auf ein sonderbar sperriges Kuriosum, schräg und gleichsam bieder.

No One Will Save You (2023)

Bird Box: Barcelona (2023)

DEN BLICK RISKIEREN

6,5/10


birdboxbarcelona© 2023 Netflix Inc.


LAND / JAHR: SPANIEN 2023

REGIE / DREHBUCH: ÁLEX & DAVID PASTOR

CAST: MARIO CASAS, GEORGINA CAMPBELL, ALEJANDRA HOWARD, NAILA SCHUBERTH, LEONARDO SBARAGLIA, LOLA DUEÑAS, DIEGO CALVA, GONZALO DE CASTRO, MICHELLE JENNER U. A.

LÄNGE: 1 STD 58 MIN


Da brauchen wir nicht lange überlegen: Gegner, die man nicht ansehen kann, haben zumindest mal die Pole Position. Solche Kreaturen gibt es seit der Antike, nehmen wir doch nur mal die Medusa. In den Altwiener Sagen trieb der potthässliche Basilisk in den Gewölben unter der Stadt sein Unwesen – der direkte Blick auf diese obskure Mischung aus Reptil und Gockelhahn ließ so manchen Möchtegernhelden zu Stein erstarren, es sei denn, die ganz cleveren unter den Mutigen hatten einen Spiegel dabei. In Nikolai Gogols Wij-Alptraum gibt es ein Monster mit todbringenden Augen, auch das von Plinius dem älteren erstmals erwähnte Wesen namens der Katoblepas hatte diesen in die Knie zwingenden Blick. Die Conclusio lautet: Ansehen ja, vorausgesetzt, es merkt sonst keiner.

Treibt man diese Sehgewohnheiten an die Spitze, landet man eventuell bei jenem verheerenden Endzeitszenario, das aus Susanne Biers Netflix-Horror Bird Box – Schließe deine Augen bekannt ist. Lethale Entitäten haben die Erde bevölkert – erblickt man diese, will man umgehend Selbstmord begehen, am besten mit den Mitteln, die gerade zur Hand sind. Effektive Gegenmaßnahmen gibt es keine, präventiv gesehen lässt sich aber auf einige Anomalien in der Umgebung achten. Wenn sich an kaum zugigen Tagen kleine Windhosen emporzwirblen, dann kann schon um die nächste Ecke das Verderben lauern, das noch dazu mit den Stimmen der Toten redet und die Gefühle so manch panisch agierender Menschleins derart manipuliert, dass diese schließlich die Augen öffnen. Bird Box nennt sich das ganze deshalb, weil Vögel eine ganz besondere Sensibilität für Aggressoren dieser Art entwickelt haben. Sie flattern wie verrückt, wenn das Böse naht. Doch ist es das wirklich, das Böse? Jene, die sehen können, meinen: Nein.

Doch warum können sie das? Und warum beseelt sie der Drang zur Missionierung so derart stark, dass sie die letzten Überlebenden aus ihren Häusern zerren, um sie unter Anwendung von Gewalt sehen zu lassen. Allein die Vorstellung, etwas erblicken zu müssen, was ich nicht will, scheint endlos grausam. Natürlich ist das Folter.

Und so lebt die Menschheit im Blindflug vor sich hin und ist nur in den eigenen vier Wänden sicher, doch selbst dort sind blickdichte Vorhänge ein guter Rat. Vor fünf Jahren konnten Invasionsfilm-Interessierte den verzweifelten Versuchen von Sandra Bullock beiwohnen, mit ihren beiden Kindern eine als Festung aufgezogene Insel der Seligen zu erreichen, dabei bestand Bird Box zum Großteil nur aus Rückblenden und hielt überdies keinerlei Erkenntnisse parat, was diese Wesen angeht. Schadensminimierung und Survival als Film, jedoch unbefriedigend resignativ. Das sollte mit dem europäischen Spin-off Bird Box: Barcelona nun anders werden.

Zeitgleich zum Original, aber sonst mit keinem Bezug zum Schicksal Bullocks und ihrer Schützlinge, bricht auch in Spanien die Hölle los – wie überall auf der Welt. Leute killen sich, wo es nur geht. Entweder werfen sie sich vors Auto, bauen Totalschäden oder massakrieren sich, wenn das nicht schon genug war, mit den scharfkantigen Resten ihrer Fahrzeugtrümmer. Einige Zeit später – der beklemmende Zustand gehört bereits zum Alltag – streunt Sebastián (Mario Casas) gemeinsam mit seiner Tochter durchs zusammengebrochene, verwüstete Barcelona fernab jeglicher Sehenswürdigkeiten. Wie sich bald herausstellen wird, bedient sich dieser perfiden Tricks, um Mitbürger aus ihren Verschlägen zu locken, denn Sebastián ist einer, der sehen kann. Er und viele andere seiner Sorte sind als sektenhafte Prediger unterwegs, die militant ihr Ziel verfolgen. Klar ist es schwierig, einen Film wie diesen um einen Protagonisten herum zu errichten, der eigentlich auf der anderen Seite stehen sollte, doch das ist genau der Clou an der Sache, die Bird Box: Barcelona zu einem im Vergleich zum Erstling inhaltlich weitaus ergiebigeren und ambivalenteren Science-Fiction-Trip konvertiert, der so einige allseits bekannte Tropen aus dem Genre invertiert.

Die Gebrüder Álex und David Pastor, die bereits 2009 mit ihrem Pandemie-Roadmovie Carriers Erfahrungen mit dystopischen Szenarien sammeln konnten, werfen so einiges in ihren Skript-Pool, dem sie habhaft werden können. Und dass ihrer Meinung nach so manche Erwartungen des Publikums unterwandern soll. Der Schrecken ist allerdings nach wie vor nicht sichtbar – diesen Freiraum zu sichern, um die eigene Fantasie anzustrengen, mag nun ein unverrückbares Merkmal dieses Franchise sein, sollte es noch einen dritten Teil geben, der sich letztendlich damit beschäftigen wird, wie man diesen Kreaturen beikommt. Diesmal aber ist es das Sehen und Nicht-Sehen, die Läuterung eines Auserwählten, gar schlimmen Fingers, der am Ende des Tages den moralischen zu Gesicht bekommen wird. Das mag zwar auch vorhersehbar sein – und ist es auch – doch packt Bird Box: Barcelona seinen Trip in ein kompaktes Handlungsnetz, aus dem kaum etwas dramaturgisch Essenzielles durch die Maschen schlüpft.

Bird Box: Barcelona (2023)

Slither – Voll auf den Schleim gegangen (2006)

DA IST DER WURM DRIN

7/10


slither© 2006 United International Pictures


LAND / JAHR: USA 2006

DREHBUCH / REGIE: JAMES GUNN

CAST: ELIZABETH BANKS, NATHAN FILLION, MICHAEL ROOKER, GREGG HENRY, TANIA SAULNIER, BRENDA JAMES, DON THOMPSON, JENNIFER COPPING, JENNA FISCHER U. A.

LÄNGE: 1 STD 35 MIN


Wie habe ich bedauert, dass Michael Rookers Figur des Ziehvaters Yondu im zweiten Teil der Guardians-Trilogie seinen letzten Auftritt absolviert hat. Ich muss gestehen, der blauhäutige Pirat mit seiner pfiffigen Pfeilwaffe war schon sowas wie mein Lieblingscharakter in diesem Universum. Doch auch wenn Rooker seine Rolle nicht mehr so wirklich ausleben kann – zu Gunns Haus- und Hofensemble zählt er trotzdem. Denn mit Slither – Voll auf den Schleim gegangen war er von Anfang an dabei. Übersehen wird man ihn nicht, denn seine Figur ist diesmal eine, die ihr Äußeres so lange verändert, bis kaum mehr menschliche Züge erkennbar sind. Fast so wie in David Cronenbergs Die Fliege? Wohl eher wie in John Carpenters The Thing. Letztendlich bleibt ein Organismus zurück, der die Weltherrschaft an sich reißen will. Um diesem Bio-Aggressor das Handwerk zu legen, bedarf es eines guten Magens. Und etwas Verständnis für Charles Darwins Leitsatz: Survival of the fittest. Nicht unterschätzen sollte man auch das eigene Verständnis dafür, dass wir alle doch nur aus einem Haufen Zellen bestehen, die so ihre Befehle haben und das tun, was sie tun müssen. Dass sich die biologische Beschaffenheit aufgrund dessen, das extraterrestrische Organismen dazwischenreden, ganz anders ausgestalten kann, sollte einer gewissen objektiven Betrachtung überlassen werden. Und dann – ja, dann hat man seinen Spaß. Mit Eiterbeulen, explodierenden Körpern und grotesken Mutationen, die dem Invasor aus der Hand fressen. Doch was wäre ein Splattervergnügen wie dieses, hätte James Gunn nicht auch gleich mehrere Handvoll Zombies im Repertoire. Die schieben sich ebenfalls durch die Gassen, gesteuert von sagen wir mal den spanischen Wegschnecken nicht ganz unähnlichen Parasiten, die durch die menschliche Futterluke ins Gehirn gelangen.

Die amerikanische Kleinstadt ist dabei immer und überall der ideale Schauplatz Nummer Eins (wenn man mal von arktischen Forschungsstationen absieht), wenn es darum geht, den Worst Case zu entfesseln. Der angrenzende Wald ist dabei die Quelle allen Übels. Und kaum streift Michael Rooker durch den Forst, hat’s ihn auch schon erwischt. Ehefrau Elizabeth Banks weiß noch nichts von ihrem Unglück, und Polizist Nathan Fillion (auch in Guardians of the Galaxy Vol. 3 zu sehen) kann im Rahmen der eskalierenden Ereignisse nur noch staunend kundgeben, wie sehr er nicht glauben kann, was er sieht.

Jene, die Slither auf den Schleim gehen wollen, bekommen ein deftiges Mahl serviert. Gunn erprobt seinen Stil in einem parodistischen Genre-Punsch aus Zombiefilm, Science-Fiction und Body-Horror, alles in der Isolation eines abgelegenen Kaffs irgendwo im Nirgendwo, dessen Abgeschiedenheit erst die Hölle auf Erden möglich macht. Trotz des hohen Ekel- und Blutfaktors, trotz dieser heillos überzeichneten Eskapaden, herumspritzend mit allen möglichen Körpersäften und bizarren koitalen Riten, die, wenn man im Zoologiehandbuch blättert, längst im irdischen Tierreich zum Usus gehören, bleibt Slither so richtig bodenständig. Trockener Humor, vorzugsweise als ironisches Statement, nimmt damals schon die freche Schnauze eines Rocket Raccoon vorweg. Dabei hätte dieser einen Tick sarkastischer sein können, etwas rotzfrecher und doch nicht so um die Kompensierung bizarrer Ereignisse bemüht. Die große Furcht dabei, die Kontrolle über sich selbst zu verlieren, und die Gunn auch in seinem Suicide Squad-Spinoff Peacemaker nochmal durchlebt, hängt hier als erschreckende Eventualität über allem. Ein frecher Spruch relativiert vieles – aber eben nicht alles. Und so bleibt Slither in erster Linie ein zwar launig erzählter und leichtgewichtiger, aber durchaus mysteriöser Creature-Thriller, der sich lieber vor den Meistern des Genres, die ihn wohl inspiriert haben, ehrfürchtig verbeugt, als diese lächerlich zu machen.

Slither – Voll auf den Schleim gegangen (2006)

Bird Box – Schließe deine Augen (2018)

UND ALLE SPIELEN BLINDE KUH

6,5/10


birdbox© 2018 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA 2018

REGIE: SUSANNE BIER

DREHBUCH: ERIC HEISSERER

CAST: SANDRA BULLOCK, JOHN MALKOVICH, SARAH PAULSON, TREVANTE RHODES, JACKI WEAVER, MACHINE GUN KELLY, ROSA SALAZAR, DANIELLE MCDONALD, TOM HOLLANDER, VIVIAN LYRA BLAIR, JULIAN EDWARDS U. A.

LÄNGE: 2 STD 4 MIN


Macht man nur das leiseste Geräusch, sind sie da: Die Aliens aus A Quiet Place. Die können zwar nichts sehen, dafür funktioniert ihre Echoortung womöglich perfekt. Der Beweis macht uns sicher: Selten war Homo sapiens in der Bewältigung einer Apokalypse so sehr eingeschränkt wie hier. Schwierig wird’s auch, wenn man erstens kein Geräusch machen sollte, und zweitens nicht hinsehen darf. Am besten Augen zu, oder diese mit Stoffbändern ihrer Zweckmäßigkeit berauben. Es wären auch jene Brillen geeignet, die Thomas Gottschalk in Wetten, dass?… immer so gern verteilt hat, wenn es darum ging, Buntsftiftminen nach ihrer Farbe zu erschmecken. In Bird Box – Schließe deine Augen wäre man froh, wenn man solche Brillen besäße. Oder eben eine Handvoll Sittiche, die es schließlich in ihren Flügelspitzen fühlen, wenn die garstigen Entitäten heranrücken. Es lohnt sich, das Federvieh überallhin mitzunehmen. Kaum fangen diese wild zu flattern an, sollte man räumlichen Schutz suchen.

Eine perfide Filmidee, das muss man schon sagen. Was aber kommt als nächstes? Du darfst nicht riechen? Du darfst nicht schmecken oder hören? Kann sein, den Ideen sind da keine Grenzen gesetzt, wenn sie plausibel genug aufbereitet werden. Drehbuchautor Eric Heisserer kennt sich mit extraterrestrischen oder gar paranormalen Eindringlingen ganz gut aus. Das phänomenal gut durchdachte Skript zu Arrival stammt aus seiner Feder. Des weiteren das Prequel zu The Thing oder der Horrorschicker Lights Out. Das mit dem Schwarzsehen liegt also in seinem Blut, und somit gelingt auch in Bird Box das hysterische Panorama einer beklemmenden Katastrophe, welche die gesamte Menschheit in einen Massensuizid stürzt, weil jene, die nicht rechtzeitig ihre Augen verschließen konnten, Dinge zu Gesicht bekommen, die eine Todessehnsucht auslösen, dass nicht mal die stärksten Antidepressiva etwas dagegen ausrichten könnten. In welcher schleichenden Eskalation sich dieses Szenario Bahn bricht, ist sogar stärker als das in A Quiet Place. Weil niemand sieht, nicht mal der Zuseher, was passiert. Weil niemand greifen, erfassen oder verorten kann, wo die Ursache steckt und was sie ist.

Es könnte passieren, dass fehlende Antworten auf all die Fragen letztlich dazu führen, in resignatives Desinteresse beim Zuseher umzuschlagen. Andererseits: In Hitchcocks Die Vögel ist auch niemals klar, warum Krähen und Spatzen so viel Stunk machen. Doch zumindest konnte man sie sehen. In Bird Box – Schließe deine Augen lässt man das Publikum dumm sterben – aber lieber dumm, als in grenzenloser Traurigkeit. Schließlich lässt sich nicht zeigen, was den Tod bringt. Oder hat irgendjemand schon mal in die lethalen Augen von Nikolai Gogols Erdgeist Wij geblickt und kann darüber berichten? Eben. Und dennoch bleibt die Tatsache eine unbefriedigende.

In diesem Extremszenario gibt Sandra Bullock die Mutter ihres eigenen und eines fremden Kindes, deren leibliche Eltern leider hinsehen mussten. Alle drei sind unterwegs zu einer Zuflucht inmitten der Wildnis, in der es sich, fern jeglicher Aggressoren, leben ließe. Auf einem Boot schippern sie flussabwärts – dazwischen wagt sich Bullock zu erinnern: Was eben war, wie sie mit einer Handvoll fremder Leute in einem Haus Zuflucht gesucht hat, wie sie dort womöglich Jahre ihres Überlebens verbracht hat, und was dazu geführt hat, dass einer nach dem anderen wegsterben musste. Soziale Diskrepanzen, Psychospielchen und seltsame Anomalien bei psychisch gestörten Menschen, die hinsehen können, ohne Schaden zu erleiden, unterbinden jegliche Langeweile.

Und dennoch gerät die Gefahr in Bird Box zu einer ziemlich austauschbaren. Im Grunde ist es ganz egal, was hier die Apokalypse losgetreten hat. Die meiste Zeit des von Susanne Bier (u. a. Zweite Chance) inszenierten Streifens handelt vom Leben im Hausarrest, etwas Lockdown-Feeling kommt auf und kurios dabei ist, dass trotz des Zusammenbruchs jeglicher Infrastruktur der elektrische Strom immer noch funktioniert und das Wasser fließt. Die unter falschen Voraussetzungen geschilderten Notsituationen erschöpfen sich nach einiger Zeit, und andauernd drängt die Frage, ob man den perfiden Entitäten irgendwie auf den Zahn fühlen könnte. Da hier nichts passiert, bleibt ein generischer Endzeithorror über, der mit dem Unerklärlichen so wenig wie möglich interagieren will.

Bird Box – Schließe deine Augen (2018)

Lightyear

DIE PHRASE MIT DER UNENDLICHKEIT

5/10


lightyear© 2022 Disney / Pixar Animation Studios


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: ANGUS MCLANE

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): CHRIS EVANS, KEKE PALMER, PETER SOHN, JAMES BROLIN, TAIKA WAITITI, DALE SOULES, UZO ADUBA, ISIAH WHITLOCK JR. U. A.

MIT DEN STIMMEN VON (DEUTSCHE SYNCHRO): TOM WLASCHIHA, GIOVANNA WINTERFELDT, JEREMIAS KOSCHORZ, JÜRGEN KLUCKERT, MARIUS CLARÉN U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Irgendwann wird auch Buzz Lightyear älter. Nur merkt das keiner mehr, denn alle anderen sind da längst schon Sternenstaub. Was der hartgesottene Space Ranger wohl davon hat, bis zur Unendlichkeit zu reisen, ist wohl eine Frage, die er selbst nicht wirklich beantworten kann. Vielleicht sucht er die Einsamkeit, vielleicht ist das einfach nur ein Ego-Ding, um sich selbst zu beweisen, nicht versagt zu haben. Denn anders lassen sich dessen starrsinnige Bemühungen, durch den Hyperraum zu springen, um die Kolonie Gestrandeter von einem fremden(feindlichen) Planeten fortzubringen, nicht erklären.

Es scheint, als hätte Pixar beim Ersinnen der Origin-Story für einen der Stars aus Toy Story ebenfalls den Anschluss verpasst. Oder zumindest nicht genug hinterfragt, ob es denn wirklich Sinn machen würde, ein charmantes Spielzeug wie den besten Freund von Cowboy Woody dem Kinderzimmerkosmos zu entreißen und ihn als Helden aus Fleisch und Blut auf eine fragwürdige Mission zu schicken, die sich irgendwo zwischen den Sternen und Planeten verpeilt, ohne voranzukommen. Dabei ist die nicht ganz schlüssige Mechanik hinter der Zeitreise noch gar nicht von mir aufs Tapet gebracht worden. Es reicht, sich bereits bei den vielen, vielen verlorenen Jahrzehnten, die Buzz Lightyear mit seinen Testflügen verschleudert, zu fragen, ob so jemand überhaupt noch auf Wunsch der Allgemeinheit handelt oder einfach verbissen einer Sache folgt, die keinerlei Wichtigkeit mehr hat.

Diesen Space Ranger tangiert nicht wirklich, ob all jene, die ihm vielleicht etwas bedeutet hätten, im Laufe einer subjektiv wahrgenommenen Zeiteinheit von gerade mal einer Woche dahinscheiden. Die Kolonie auf dem fremden Planeten hat sich im Laufe von drei Generationen längst mit den Gegebenheiten arrangiert, und Lightyear tritt alle Schaltjahre mal auf, wie eine seltsame Anomalie. Als er es dann tatsächlich schafft, in den Hyperraum zu springen und wieder zu landen, trifft er auf fremde Invasoren, die ihre Roboter ausschicken, um den Nachkommen der Kolonie den Garaus zu machen. Lightyear hat plötzlich ganz andere Probleme als nur Zeit und Raum und schließt sich mit einer kleinen Gruppe an Rebellen zusammen, deren Ideale größer sind als ihre Fähigkeiten. Doch wo ein Wille, da ein Weg. Und noch dazu ist eine der Krieger die Enkelin einer Lightyear bestens bekannten Space Ranger-Kommilitonin.

Wenn schon die Rechnung für die zugrundeliegende Ausgangssituation nicht aufgeht, scheint auch das darauffolgende, actionreiche Szenario zwar etwas nachvollziehbarer, aber deutlich an andere Vorbilder aus der Science-Fiction orientiert zu sein. Und zwar an dem interstellaren Abenteuer der Familie Robinson: Lost in Space. In den von Netflix neu aufgelegten Erlebnissen einiger Kolonisten, die auf fremden Planeten Bruchlandung erleiden und versuchen, den Anschluss Richtung Wahlheimat zu finden, spielen mechanische Aggressoren ebenfalls eine gewichtige Rolle. Lightyear kopiert diese Geschichte, allerdings recht geschickt und letzten Endes auch so, dass sie in eine andere Richtung geht. Dort aber wartet das nächste Problem: Die Sache mit der Zeitreise, oft Garant für Logiklöcher. So auch hier.

Lightyear ist trotz aller Detailverliebtheit und zweifellos ergiebigen Schauwerten das eintönige Spin Off eines großen Franchise-Erfolges, das sich bei seinen Figuren aus bewährten und oft genutzten Charakteristika bedient. Der gute Buzz mit seiner Unendlichkeitsphrase bleibt dabei am beliebigsten.

Lightyear

Rim of the World

INDEPENDENCE DAY FÜRS SOMMERCAMP

5,5/10


rimoftheworld© 2019 Netflix


LAND / JAHR: USA 2019

REGIE: MCG

CAST: JACK GORE, MIYA CECH, BENJAMIN FLORES JR., ALESSIO SCALZOTTO, ANDREW BACHELOR, ANNABETH GISH U. A.

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Die Achtziger ließen mit den Fünf Freunden, TKKG oder den 3 Fragezeichen eine Welle eingeschworener Cliquen aus Mut, akzeptiertem Anderssein und Zusammenhalt in die lernfreien Nachmittage von Volksschülern und Unterstuflern schwappen. Das Kino ist auf dieser Welle ebenfalls mitgeritten, zu sehen in Die Goonies oder Stand by Me. Das mit Hitchcock als Testimonial veredelte Detektivtrio hatte da am meisten den Drall zum Phantastischen, obwohl nach den immer gleichen, bewährten und zeitlosen Lösungsparadigmen für scheinbar paranormale Phänomene Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews am Ende des Tages stets feststellen mussten, dass alles in diesem Universum logisch erklärbar bleibt. Ein bisschen mehr über den Tellerrand des wissenschaftlich Erfassten zu blicken, hätte der Reihe nicht geschadet. Aber gut, dafür gibt’s eben Stranger Things – oder den auf Netflix erschienenen Independence Day für Halbwüchsige: Rim of the World.

Auch hier sind vorab drei, später dann vier Freunde fest davon überzeugt, die Welt retten zu können. Der Weg dorthin führt aber über eine sozialkompetente Ebene, die sich im Sommercamp des Stanislaus National Forest in Kalifornien nur schwer erarbeiten lässt. Keine bzw. keiner der späteren Junghelden ist schließlich wirklich freiwillig hier. Die einen zur Not, die anderen, weil es ihnen dann vielleicht besser geht, wenn sie unter Leute kommen. Da wähnt man sich als Zuseher noch in einer recht unmotivierten Teenieklamotte mit schräg aufgelegten Gruppenleitern, die sich bis zur Peinlichkeitsgrenze verstockten Präpubertären auf erniedrigende Weise anbiedern. Doch dieser Fremdschämfaktor vergeht recht rasch, denn es passiert, was bereits in Independence Day passiert ist: Die Welt sieht sich einer Alien-Invasion gegenüber, und ja, natürlich bevorzugen diese den nordamerikanischen Kontinent. Sie kommen mit Raumschiffen und ballern unsere Zivilisation in Grund und Boden – zum Glück können die nunmehr vier grundverschiedenen Charaktere, die sich logischerweise zusammenraufen müssen, untertauchen, aber nicht, ohne vorher eine Raumkapsel vor den Latz geknallt zu bekommen, die nicht nur eine Astronautin, sondern auch ein recht lästiges Alien mit sich führt. Erstere wird nicht überleben, übergibt den Kids aber einen Schlüssel, den sie unbedingt von A nach B bringen müssen. Wohl klar, was die Next Generation tun wird, auch wenn es immer wieder danach aussieht, als wäre das eine Mission Impossible.

Mit dieser Franchise hat Regisseur McG allerdings nichts zu tun, wohl eher mit den Charlies Angels, dem Team aus Lucy Liu, Drew Barrymore und Cameron Diaz. Filme, die genauso wenig prägnant in Erinnerung bleiben wie seine spätere Komödie Das gibt Ärger oder 3 Days to Kill. McG inszeniert Filme, die wie Fastfood schmecken – weder Fisch noch Fleisch, aber ganz ok. Nährwert gibt’s darin keinen. Den finden wir bei Rim of the World auch nicht. Wenn man aber will, dann immerhin den Willen zur Reminiszenz eines eingangs erwähnten Hypes, der schon Jahrzehnte zurückliegt und wieder in Mode kommt. Dabei bekommen die vier Kids natürlich ihr Portiönchen an biographischer Wegzehrung mit auf den Weg, aber gerade nur so viel, damit nicht der Eindruck entsteht, sich ernsthaft damit beschäftigen zu wollen. McGs Invasions-Abenteuer braucht zur Gestaltung seiner Filmfassade nur ein bisschen davon – bei der Ausgestaltung des Monsters hätte es jedoch ein bisschen mehr sein können. Darüber mal hinweggesehen: Rim of the World ist solide Teenie-Fantasy mit dem Know-how, den kindlichen Trotz aufmüpfiger Pennäler für sich zu nutzen. Damit, so scheint es, lässt sich jedes Alpha-Alien einschüchtern.

Rim of the World