The Gentlemen

WEED IM TWEED

8/10

 

thegentlemen© 2020 Universum Film

 

LAND: USA 2020

REGIE: GUY RITCHIE

CAST: MATTHEW MCCONAUGHEY, CHARLIE HUNNAM, HUGH GRANT, COLIN FARRELL, JEREMY STRONG, MICHELLE DOCKERY, HENRY GOLDING, EDDIE MARSAN U. A.

 

Einfach tun, was man am Liebsten macht. Und damit noch Geld verdienen. Muss gar nicht viel sein, der wahre Lohn ist, etwas aus dem zu machen, was am besten geht. Guy Ritchie hat das wiedermal so gehandhabt. Das Studio Miramax hat ihm da wohl alle möglichen Freiheiten eingeräumt. Inhaltlich wie stilistisch oder was auch immer. Es sollte nur ein klassischer Guy Ritchie werden, wie ihn die Leute bereits von Bube Dame König Gras oder Snatch kennen. Bitte kein Guy Ritchie wie in Aladdin. Aber das war ja auch nur eine Auftragsarbeit für Disney. Der Mauskonzern will sich mit Vertretern des Autorenkinos gerne ein paar kreative Aspekte mehr sichern. Das ist ja eine nette Geste – Aladdin ist ja meines Erachtens auch gut geworden, aber war sicher nicht das, womit sich Guy Ritchie wohl identifizieren würde. Nein, seine Welt ist die weite Prärie der angeheizten Gräser, die Savanne des Untergrunds sozusagen – und die damit verbundenen, durchaus illegalen Institutionen, von so manchen Geschäftstüchtigen im Schweiße ihres Angesichts errichtet und verfechtet und irgendwann an den Meist- und Bestbietenden vermacht. Ritchies Welt ist auch die der schrägen Individuen, am Liebsten von Kopf bis Fuß in Tweed (vielleicht, weil das Wort Weed darin enthalten ist?), mit einer Eloquenz auf den Lippen, das es süffisanter nicht geht, aber das Herz dann doch irgendwo am rechten Fleck. Denn seine Typen, das sind dennoch Underdogs, eigentlich nicht unsympathische Außenseiter, die aber außer sich selbst nicht viel brauchen. Naja, vielleicht eine bessere Hälfte, aber sonst wollen sie alle reich und in Frieden leben.

In den vorzeitigen Ruhestand will auch Matthew McConaughey alias Mickey Pierson, der Pate unter den Marihuana-Produzenten. Eigentlich ein Monopolist mit 12 getarnten Fabriken, High Tech-Ausstattung und jeder Menge Personal, vom Schlägertyp bis zum Mädchen für alles (Charlie Hunnam mit mediävalem Rauschebärtchen und einer Vorliebe für Steaks). Dass er sein Königreich vermachen will, das sind Good News, die sämtliche Interessenten anlocken, die aber leider denken, sie sind etwas Besseres als Pierson. Außerdem gibt’s da noch einen Reporter, der seinen ganz eigenen Stück vom Kuchen will, das wandelnde Klischee eines wohlhabenden Juden, Chinesen und aufgeschreckte Querschläger, die sich auf den Schlips getreten fühlen oder beim Paten in der Schuld stehen.

Abwarten und Tee trinken. Klingt langweilig? Ist es aber ganz und gar nicht. Guy Ritchie zelebriert englische Gepflogenheiten, ganz gentlemenlike. Alles sieht aus wie bei Miss Marple oder Sherlock Holmes. Gediegene Räumlichkeiten, Tässchen werden mit abgespreiztem kleinen Finger zum Mund geführt, unterwegs ist man mit Käppchen und in besagtem Tweed, bei Colin Farrell von Kopf bis Fuß, das ist fast schon eine liebevolle Parodie auf den Lebensstil der Brexit-Inselbewohner, natürlich noch mit Turnschuh, um agiler zu bleiben. Ritchie kreuzt das Ganze mit dem Lebensgefühl der Rapperszene und weniger Begüterten, die sich im aktuellen Medienzeitalter das große Glück erhoffen. Großartig, was Madonnas Ex hier für eine verschmitzte, kluge Gangsterpistole konstruiert hat. Allein schon die Idee, die ganze Situation mit einem genial windigen Hugh Grant als Storyteller sukzessive aufzudröseln, zeugt von narrativem Talent und der Fähigkeit, klassische Unterweltkrimis von der Maschekseite anzugehen. Guy Ritchie liebt sein Land, liebt den Joint, Schweine und gerechte Konsequenzen für böse Buben. Klar, sein Film ist eine Komödie, aber eine mit Stil, mit Understatement und skurrilen Situationen, die einfach so passieren können. Für mich ist The Gentlemen Guy Ritchies bester Film, eine sagenhaft coole Socke von einem Mantel- und Hanf-Thriller, zwischen lakonisch lässig und wütend theatralisch. Doch immer mit Etikette.

Noch etwas Tee?

The Gentlemen

Light of my Life

DIE PANIK DES ERLKÖNIGS

6/10

 

lightofmylife© 2019 Universum Film

 

LAND: USA 2019

DREHBUCH UND REGIE: CASEY AFFLECK

CAST: CASEY AFFLECK, ANNA PNIOWSKY, ELISABETH MOSS, TOM BOWER U. A.

 

Ich schätze, wir alle kennen diese Song von James Brown: It´s a Man’s Man’s Man’s World. Aber das ist noch längst nicht alles. It´s a Man’s Man’s Man’s World, schon klar. But It wouldn’t be nothing, nothing without a woman or a Girl. James Browns erschreckende Was wäre wenn-Vision gibt´s im Grunde jetzt auch als Film. Oscar-Preisträger Casey Affleck (tieftraurig in Manchester by the Sea) erzählt in seiner selbst verfassten Dystopie von einer alternativen Gegenwart, in der ein Virus fast die gesamte weibliche Bevölkerung dahingerafft hat. Viel zeit bleibt Homo sapiens jetzt nicht mehr, um auszusterben. Angesichts der aktuellen Corona-Pandemie wirkt Light of my Life umso unbequemer. Bei so einem Worst Case-Szenario scheint Corona das weitaus kleinere Übel zu sein, selbst wenn man die Gefahr potenziert. Eine Spezies, die sich nicht mehr fortpflanzen kann, ist eine gescheiterte Spezies. In Children of Men sterben die Frauen zwar nicht weg, dennoch: Fruchtbarkeit ist gut, aber aus. Ein ähnliches Damoklesschwert lässt Affleck in seinem Film allerdings mehr hinter wolkenverhangenem, grellem Softbox-Himmel kreisen, so richtig wahrhaben will es in seinem Film eigentlich niemand. Dabei unterwegs durch ein tristes, herbstlich kaltes und nasses Szenario aus moosbewachsenen, düsteren Wäldern und leerstehenden Gemäuern: ein Vater mit seinem Kind. Zwei wie aus der Ballade des Erlkönigs, nur nicht zu Pferde, und wohl im Arm hält er nicht den Knaben, sondern ein Mädchen, allerdings schon älter. Eine der letzten ihrer Art – und in höchster Gefahr. Denn die Man´s World, die will um alles in der Welt nicht von der Bildfläche unseres Planeten verschwinden, und sammelt sie ein, die menschlichen Wesen mit den Doppel-X-Chromosomen, in schierer Panik, und mit entmenschlichter Bosheit. Das weiß Papa Casey Affleck, und so tarnt er seine Tochter als Jungen, was meistens auch funktioniert. Manchmal aber auch nicht, denn Tochter Rag ist auffällig jung – zu jung, um nach der Pandemie noch auf die Welt gekommen zu sein.

Der Erlkönig ist also hinter beiden her, durch dichtes Grün und bis hinauf in die verschneite Wildnis. So weit weg von der Zivilisation kann man gar nicht sein, um sich in Sicherheit zu wiegen. Der Mensch ist wieder mal des Menschen Wolf. Affleck allerdings hält sich in seiner Vision nicht mit schockierenden Szenen auf, er lässt bis auf ein paar Ausnahmen die Bedrohung wie Hintergrundszenen aus einem Home-Invasion-Thriller über die beiden Flüchtenden hereinbrechen, die aber Dank des vorausschauenden Dads stets einen Plan B in petto haben. Dieser Dad, der kann auch jede Menge Geschichten erzählen. Was vielleicht manchmal etwas ermüdet. So startet seine Regiearbeit mit einer rund zehnminütigen Gutenachtgeschichte, und einer recht statischen Kamera, die dem Erzählten zuhört. Ein bisschen zu lange, für meinen Geschmack, Und ja, es geht um die Arche Noah, und ja, er interpretiert den Mythos anders, sodass er sich irgendwie mit den tatsächlichen Geschehnissen vereinbaren lässt. Immer wieder hängt Light of my Life etwas durch. Die Balance zwischen Bedrohung, Spannung, Survivaldrama und stillen Szenen scheint manchmal zu kippen. Casey Affleck spielt sehr souverän, auch Töchterchen Anna Pniowsky weiß ihrer Rolle das richtige Quantum an kindlicher Neugier und Sinn für Selbstverantwortung abzugewinnen. Affleck aber sieht sich sehr gerne in der Rolle des philosophierenden und desillusionierenden Endzeit-Poeten, was vielleicht in manchen Szenen über die Stränge schlägt und eine gewisse Langatmigkeit und Redundanz erzeugt. Das Ende wiederum gelingt ihm furios, da geht es wirklich um alles, und dann lohnt es sich auch, die beiden ziellos Umherwandernden auf einem Stückchen ihrer Mission zu begleiten, die da heißt: Überleben, in einer gleichzeitig frauenfeindlichen und nach Frauen gierenden Welt, wo das männliche Geschlecht großteils aus einem zomboiden und charakterlosen Proletariat besteht, das sich ohne Nachwuchs letzten Endes selbst tilgt. Ohne Frauen und Mädchen sind wir nichts, so die Prämisse. Genau das sagt James Brown. Und auch dieser Film.

Light of my Life

Angel has fallen

SCHMERZ IST WAS FÜR WEICHEIER

6/10

 

angelhasfallen© 2019 Universum Film

 

LAND: USA 2019

REGIE: RIC ROMAN WAUGH

CAST: GERARD BUTLER, MORGAN FREEMAN, NICK NOLTE, DANNY HUSTON, JADA PINKETT SMITH, TIM BLAKE NELSON, PIPER PERABO U. A.

 

Der Actionfilm steckt ein bisschen in der Sinnkrise. Entweder behelfen sich die Macher aktuell mit den guten alten Skills der Achtziger und lassen auch entsprechend grobkantige Stereotypen wieder auferstehen – oder sie mixen plakative Kalauer mit überzeichnetem Bombast, der das klamaukige Abenteuer vertritt, am Liebsten mit Dwayne „The Rock“ Johnson, der ja an sich sehr sympathisch ist, nicht umsonst hat er die meisten Follower auf Instagram. Was das Actionkino wiederum in Fernost bietet, ist ein ganz anderes Kaliber, da wird mit härteren Bandagen gekämpft, da ist das Publikum ganz andere Prioritäten gewohnt. Wo Martial Arts zuhause ist, wird bei Sichtung von Filmen wie The Raid sonnenklar. Stirb langsam war für Übersee-Begriffe wohl die unerreichte Benchmark – und bleibt es bis heute. Daran hätte bislang nur Gerard Butler als Mike Banning im Erstling Olympus has fallen zumindest ansatzweise etwas ändern können. Antoine Fuquas Belagerung des Weißen Hauses war in seiner Konsequenz und mit all seinen Opferzahlen die Tabula Rasa-Version für den Actionfilm der 2010er Jahre. Die Nachfolger des Mike Banning-Franchise allerdings weniger. London has fallen war wieder genauso austauschbar und nichtssagend wie gefühlt mehr als die Hälfte aller Actionfilme, die momentan so produziert werden. Größte Schwachstelle: der Antagonist. Unglaubwürdige Sinneswandlungen, sarkastisches Dauergerede und undifferenzierte Boshaftigkeit, vor allem aber irgendwelche abstrusen Ideale ziehen ansatzweise gute Plots in einen Mahlstrom cineastischer Reißbrett-Verhaltensmuster. Kawumm alleine reicht schon längst nicht mehr. Im Actionkino, das für Schauwerte auf das unserer Realität inhärente Spektrum an Möglichkeiten zurückgreifen muss und sich nicht auf Phantastisches verlassen kann, muss, und das scheint wichtiger als jeder Stunt, ein plausibler Plot für Spannung sorgen können. Irgendwie geht das nicht mehr, denn alles, was das Genre in seinem Bauchladen haben kann, war schon mal da.

Überrascht hat zuletzt Luc Besson mit seinem Actionfilm Anna. Das gleiche Thema wie eh und je, aber er hat es geschafft, sein Muster zu variieren, Wieso gelingt das im gängigen Elite-Actionkino nicht? Fragen wir den Stuntman und Filmemacher Ric Roman Waugh, ob er eine Antwort weiß. Denn der hat nämlich heuer das zweite Sequel der Banning-Eskapaden verfilmt. Und ehrlich gesagt: so richtig rund fällt seine Antwort auch nicht aus. Angel has fallen ist zwar deutlich stärker als der Vorgänger, doch letzten Endes verfällt Waugh genau den gleichen Schnittmustern, denen andere Actionfilme ebenso verfallen. Doch ich muss fair bleiben – Angel has fallen macht als Bodyguard-Version von Auf der Flucht längst nicht alles falsch. Schon gar nicht in Sachen Schauspiel. Gerard Butler gibt den Actionhelden, der eigentlich keiner mehr sein will, noch kaputter und psychisch geräderter als es Bruce Willis je war. Sein Mike Banning leidet an Schlafkosigkeit, Angstzuständen, Kopf- und Rückenschmerzen – der jüngste ist er auch nicht mehr. Diese Attitüde des Desolaten macht den Film an sich kerniger, erdiger, nicht so überzeichnet heroisch. Ihm zur Seite: ein rauschebärtiger, völlig nonkonformistischer Nick Nolte – das verschrobene Highlight schlechthin. Die beiden passen gut zueinander, ihre gemeinsamen Szenen sind das Beste, was der Film hergibt, die sehe ich lieber als das ganze Projektilgewitter, dass auf den Zuseher natürlich noch hereinbrechen wird. Und Morgan Freeman? Der ist freilich auch schon älteren Semesters und wirkt wie die afroamerikanische Ausgabe des Österreichischen Bundespräsidenten Alexander van der Bellen. Dabei wäre es witzig, sich den Ex-Grünenpolitiker mit Hang zu Nikotin (raucht er noch?), Hunden und politischer Zuversicht in einem Actionfilm wie diesen vorzustellen. Nun – es geht! Erstaunlich gut sogar 😉

Angel has fallen

Hustlers

ALL DIE REICHEN WEISSEN MÄNNER

5/10

 

hustlers© 2019 Universum

 

LAND: USA 2019

REGIE: LORENE SCAFARIA

CAST: CONSTANCE WU, JENNIFER LOPEZ, JULIA STILES, LILI REINHARDT, KEKE PALMER, LIZZO, CARDI B U. A.

 

Jennifer…wer? Na Jenny from the Block. Auch schon wieder eine Weile her. So wirklich präsent war die mittlerweile 50jährige Schauspielerin und Sängerin mit puerto-ricanischen Wurzeln in der letzten Zeit eher weniger. Dafür ist ihre Rolle in Hustlers so etwas wie ein Comeback. Und sie macht in diesem True-Story-Streifen tatsächlich eine wahnsinnig gute Figur. Niemals hätte ich gedacht, dass J.Lo schon ein halbes Jahrhundert zählt, es sieht nämlich überhaupt nicht danach aus. Keine Ahnung was die Dame alles an Fitnessstunden absolviert hat, keine Ahnung welchen gesundheitsbezogenen Lebenswandel sie hat, ich lese ja kaum Boulevardblätter welcher Sorte auch immer. Aber irgend etwas muss sie schon getan haben, um mit so einer überraschenden Eleganz an der Stange zu tanzen. Hustlers ist also ihr Film, ganz und gar ihre Kragenweite, wenngleich sie sich neben dem übrigen Cast gar nicht so sehr in den Vordergrund drängt. Ihrem Co-Ensemble begegnet sie auf Augenhöhe. Das hätte ich bei ihrem ersten Auftritt – rauchend, im schicken Pelz auf dem Dach eines Hochhauses in New York, quasi Glamour pur, gar nicht vermutet. In Wahrheit aber spielt J.Lo eine alleinerziehende Mutter, die relativ viel Erfahrung gesammelt hat in der Rotlicht-Polebar-Branche und dabei eine junge Einsteigerin unter ihre Fittiche nimmt, die noch viel lernen muss: Wie Frau sich bewegt, die Do´s und Don´ts und dergleichen mehr. Die beiden – Constanze Wu und J.Lo – freunden sich als ihre Film-Alter Egos schnell an und mischen die zerstreuungswütige, notgeile und reiche weiße Männerwelt auf, solange es eben geht, und solange sie nicht ihr hübsches Gesicht verlieren. Bis die Finanzkrise kommt.

Wir schreiben das Jahr 2008, und ja, die Geschichte dieses Films hat sich ungefähr so, und ich vermute mal natürlich weniger dramatisiert, aufgemotzt und eloquent, aber immerhin ungefähr so zugetragen. Nach besagter Krise sind die reichen, notgeilen Mannsbilder den farbenfrohen Etablissements ferngeblieben. Keiner, der mit Dollars um sich wirft. Und alleinerziehende Mütter wie Lopez und Co müssen sehen, wo sie bleiben. Wechseln den Job und arbeiten im Einzelhandel oder tun, was sie tun müssen, um sich über Wasser zu halten. Der Film wäre ein bitteres Sozialdrama geworden, würden J.Lo und Freundinnen da nicht perfide Pläne schmieden, um nicht doch an das Geld der Kunden ranzukommen. Und diese Methode ist natürlich wenig legal. Zur Kassa wird gebeten, wer große Kassa macht – und sich obendrein vom femininen Reizen einlullen lässt. Nachgeholfen wird mit Drogen. Tags darauf sorgt ein Hangover dafür, dass sich keiner der ausgenommenen Weihnachtsgänse mehr an das feuchtfröhliche Feiern erinnern kann.

Regisseurin Lorene Scafaria macht einen auf Frauenpower. Ihre Damen dürfen alles, der reiche weiße Mann ist die Kuh, die man moralisch vertretbar melken kann. Denn alle, die reich sind, haben es verdient. Die haben ja auch alle die Finanzkrise verursacht. Wie sich die 4 Engel gegen Charlie ihre kriminellen Methoden schönreden, lässt sich auf einen überemotionalisierten Trotz zurückführen. Dieser Trotz brachte dann auch eine wenig differenzierte Offensive mit auf den Weg, für welchen sich meinerseits wenig Verständnis aufbringen lässt. Die Finanzkrise traf doch nicht nur die Nachtclub-Branche, die traf im Grunde alle, die irgendwo in den USA Hypotheken hatten. Die traf durchaus auch manche derreichen, notgeilen Männer. Hustlers zeichnet zwischen rotviolett getönten Lichtern, Poledance und regnenden Geldscheinen mit seiner Chronik der Ereignisse ein wenig nuanciertes und dadurch umso euphemistisch gefärbtes Bild eines Haudrauf-Feminismus, der nicht die Antwort auf sexistische Weltbilder sein kann. Auch wenn Scafaria das vorgehabt hätte. Oder hatte sie gar vor, die Handlungsweise ihrer bühnenpräsenten Heldinnen kritisch zu hinterfragen? Das lässt sich vermuten, aber mehr auch nicht, denn so wirklich verurteilt wird die Robin-Hoodiade in die eigene Tasche nicht. Da liebäugelt man schon sehr mit diesem Trotz, mit dieser plakativen Kraft einer Weiblichkeit, die sich ihres Impacts mehr als bewusst ist. Durch dieses Moraldilemma entgleitet Scafaria vor allem in der zweiten Hälfte der dramaturgische Aufbau und hat so seine Probleme, mit erzählerischer Relevanz umzugehen. Was aber in Erinnerung bleibt, zwischen all der notgedrungenen Geldgier, das ist J.Lo und die Ergebnisse für ihr straffes Training in einem Film, der ganz gut zeigt, wie Stangentanz für Hollywoodstars eigentlich aussehen soll.

Hustlers

Knives Out

DEM ERBE AN DIE GURGEL

7/10

 

knivesout© 2019 Universum

 

LAND: USA 2019

REGIE: RIAN JOHNSON

CAST: DANIEL CRAIG, ANA DES ARMAS, MICHAEL SHANNON, CHRISTOPHER PLUMMER, DON JOHNSON, CHRIS EVANS, TONI COLETTE, JAMIE LEE CURTIS U. A. 

 

Wenn die Messer gewetzt werden, beginnt das neue Kinojahr mit einem guten Einstand. Und bevor der letzte Vorhang für Daniel Craigs James Bond fallen wird, hat sich der blauäugige Brite dank eines gewieften Agenten bereits mit einer ganz andere Rolle angefreundet, nämlich mit einer, die gut und gerne aus Agatha Christies Feder erstanden wäre, hätte sie nicht schon Hercule Poirot zum Leben erweckt. Natürlich, Daniel Craig hat als gewissenhaft nachbohrender Detektiv längst nicht die Extravaganz des bartbewussten Belgiers, aber möglich wäre es durchaus, dass Knives Out mit Benoit Blanc (der frankophone Name alleine ist schon eine kleine Hommage an den distinguierten Meister der Kombinationsgabe) ein neues Franchise begründet. Neben dieser Neuorientierung hat sich mittlerweile auch Rian Johnson vom erdrückenden und maßlos übertriebenen Dauerfeuer erboster Star Wars-Fans erholt. Gut schlafen hat ihn das sicher nicht lassen, obwohl meiner Meinung nach das von ihm verfasste Drehbuch zur Episode VIII eines der besten der ganzen Filmserie war. Ich mochte Star Wars – The Last Jedi, sogar sehr. Und ich mag auch das Drehbuch zu Knives Out, das ebenfalls auf Johnsons Kappe geht. Und da sieht man wieder, das dieser kreative Kopf Szenarien ersinnen kann, die nicht unbedingt die Masse zufriedenstellen, dafür aber zwischendurch das Unerwartete heraufbeschwören und mitunter auch vor den Kopf stoßen.

In Knives Out passiert das auch. Zutiefst begeistert von den Werken der 1976 verstorbenen Krimigöttin Christie, hat sich Johnson vor allem ihr Werk Das krumme Haus zur Brust genommen. Darin verstirbt der vermögende Patriarch einer weitläufigen Familie, und womöglich nicht an Altersschwäche. Ein Detektiv kommt ins Spiel, um zu ermitteln. Manche sagen, dieses Werk sei Christies bestes Buch. Die Verfilmung aus dem Vorjahr kann sich entsprechend sehen lassen. Gillian Anderson, Glenn Close und Terence Stamp machten hier gute Miene zu verdächtigem Spiel. Ein Genuss für Krimifreunde. Wer da noch nicht genug hat, und eben eine Schwäche für Wachsblumensträuße oder dem Bösen unter der Sonne, der bekommt mit Knives Out zwar eine Art Dacapo an samstäglichem Suspense präsentiert, aber längst nicht mit gewohntem Plot. Denn Johnson variiert das wohlbekannte Setting und verschiebt dramaturgische Prioritäten so, wie er will. Und das Beste: man ahnt lange nicht, was als nächstes kommt. Dieses Unberechenbare ist Johnsons Stilelement. Dieses Vorziehen später zu erwartender Höhepunkte, die sich plötzlich Bahn brechen, können gerne auch irritieren. Weil manches gelüftet wird, was man vielleicht noch gar nicht wissen will. Doch hinter diesem Eigen-Spoiler stecken noch weitere Geheimnisse, um die es letzten Endes gehen soll. Und nichts ist, wie es bekanntlich scheint.

Für dieses Kammerspiel haben die Set-Designer und Ausstatter alle Stückchen spielen lassen. Das Herrenhaus ist so krumm wie noch nie. Holzgetäfelte Düsternis, eine üppige Schwäche für Antiquitäten, knarzende Treppen und versteckte Türen. Gut und gerne ließe sich das Haus vor dem Ausschlachten der Requisiten zu einem Fun-Park hinüberretten, so sehr ist hier der unbequeme Verdacht zuhause. Doch keine Sorge, von beklemmendem Grusel sind diese vier Wände weit entfernt – dafür aber umso näher an sarkastischer Süffisanz, die das Ensemble mit heller Spielfreude an den stimmungsvoll vernebelten  Tag legt. Die Runde kann sich sehen lassen – fast so schillernd wie in Kenneth Branaghs Mord im Orient-Express. Don Johnson lässt sich sehen, aber auch Toni Colette, Blade Runner 2049-Beauty Ana des Armas, ein herrlich pseudodevoter Michael Shannon und ein völlig gegen den Captain America-Gutmensch gebürsteter Chris Evans, der dank eines gewieften Agenten ebenfalls versucht, bitte zukünftig nicht mehr mit Marvel in Verbindung gebracht zu werden. Sie alle haben ihre Momente, und sie schleichen, wie Erben eben schleichen, um einen Tatort herum, der mehrere plausible Szenarien erzählt, die Craig mit nüchternem Columbo-Charme gegeneinander abwägt. Dabei fehlt ihm der letzte Schliff, etwas mehr unverwechselbar Persönliches. Doch das, was Knives Out ganz alleine gehört, das ist die lückenlose Brillanz eines zerschnipselten Drehbuchs, das als gute alte Whodunit-Hommage genauso gut funktioniert wie als quergebürstete Erbschleicherkomödie, gänzlich ohne Pflichtanteil.

Knives Out

47 Meters Down

FISCHE VON UNTEN

7/10

 

47metersdown© 2017 Universum Film

 

LAND: GROSSBRITANNIEN, USA, DOMINIKANISCHE REPUBLIK 2017

REGIE: JOHANNES ROBERTS

CAST: CLAIRE HOLT, MANDY MOORE, MATTHEW MODINE, YANI GELLMAN, CHRIS J. JOHNSON U. A.

 

Im Urlaub, da sind die Pflichten des Alltags kein Thema mehr, da ist Frau und Mann schon ein bisschen wer anderer. Außerdem wagemutiger als sonst, Möchtegern-Abenteurer schlechthin, die auch gerne mal über den Durst trinken, dabei leicht zu überreden sind und Dinge wagen, die sie sonst nicht mal im Traum tun würden. Zum Beispiel Käfigtauchen mit Weißen Haien. Ich kenne jemanden, der hat das getan – seiner Meinung nach ein tolles Erlebnis, mit Sicherheit – wenn alles klappt. Dabei werden die zahlenden Gäste ohnehin nur ein paar Meter tief ins Wasser gelassen. Haben die Knorpler dann das Interesse verloren oder neigt sich die Atemluft dem Ende zu, geht’s wieder hoch. Bestanden ist das Abenteuer. Im Rahmen lukrativer Urlaubsflirts will Mann Frau aber unbedingt beeindrucken, also chartert Mann fernab des Mainstream-Tourismus einen unterdurchschnittlich frequentierten Kahn mit zwei Mann Besatzung, davon einer ein zauseliger Ex-Vietnamveteran Marke Matthew Modine (schon lange nicht mehr irgendwo in einem Film gesehen), der mal so zwischen Reling und Steg die salopp formulierte Frage stellt, ob sowieso alle Beteiligten den tauchsport beherrschen. Das wird natürlich bejaht, denn die Damen und Herren Mittzwanziger sind schon voller Tatendrang, obwohl sich dennoch manchmal ein gewisses ungutes Gefühl einschleicht, zumindest bei einer der Ladys. Der Film würde nicht 47 Meters Down heißen, würde sich dieses ungute Gefühl später nicht auch bewahrheiten. Denn der Kahn, mit dem an den Tauchplatz geschippert wird, hat auch schon mal bessere Tage gesehen. Und es ist diesmal nicht die Tücke eines sinisteren Psychopathen, der den Naivlingen ans Leder will, sondern die des Objekts. Und wenn das Käfigseil reißt, geht’s non-stop Richtung Meeresgrund.

Dieses Worst-Case-Szenario passiert dann auch, und erstaunlich ist dabei, welch belastbares Trommelfell die beiden Mädels haben, die ohne Druckausgleich Dutzende Meter tief in die Finsternis stürzen. Allerdings ist dieser Umstand interessanterweise der einzige, der nicht ganz den körperphysikalischen Gesetzen entspricht. Johannes Roberts hat ansonsten nämlich einen Survivalthriller unter Wasser gesetzt, der überraschenderweise ordentlich für Spannung sorgt und Szenen findet, die, vor allem wenn man selbst Taucher ist und Momente wie diese ungefähr nachvollziehen kann, panikmachende Beklemmung erzeugt. Der wirkliche Witz an der Sache ist – der Haikäfig lässt sich öffnen, gefangen sind die beiden Taucherinnen, wie man vermuten würde, also nicht. Der räumliche Hemmschuh liegt in der Unmöglichkeit, jenseits eines Nullzeittauchgangs (also 20 Meter) schnurstracks aufzutauchen, ohne sich die Taucherkrankheit einzutreten. Mit anderen Worten: ein Zwischenstopp wäre nötig, von mehreren Minuten sogar. Wie denn aber, angesichts der gefräßigen Tiere, denen das Blut, welches den beiden Verunglückten aus allen möglichen Wunden sickert, ordentlich in der Nase juckt? Fast schon ein brillanter Umstand, den 47 Meters Down sich da geschaffen hat. Und der Film spielt nicht nur mit Wasserdruck, Luftressourcen und der Trägheit schwerer Dinge, sondern auch mit der Wahrnehmung. Das ist fast schon perfid, mit der zielsicheren Suspense eines Psychothrillers und um Haifischlängen aufregender als Blake Lively in The Shallows oder unlängst Crawl, der leider seiner Vorhersehbarkeit zum Opfer fiel. 47 Meters Down lässt sich viel weniger einschätzen, Erwartungen werden durchaus unterwandert, und wer in Bälde mal vorhat, Sharkwatching zu betreiben, der sollte diesen Film tunlichst, oder zumindest nur fürs erste, lieber meiden. Es sei denn, sie oder er liebt den Nervenkitzel. So wie die beiden Mädels in einem Reißer, der dem Genre des Wildlife-Thrillers frischen Sauerstoff in die Venen pumpt.

47 Meters Down

Collide

FÜR HERZ UND NIERE

6/10

 

TT_Autobahn_SD32_42319.CR2© 2016 Universum Film

 

LAND: USA 2016

REGIE: ERAN CREEVY

CAST: NICHOLAS HOULT, FELICITY JONES, ANTHONY HOPKINS, BEN KINGSLEY, JOACHIM KROL U. A. 

 

Sieh mal einer an, wer tummelt sich denn da? Erstmal der großartige Anthony Hopkins, gefolgt vom legendären Ben Kingsley (der sich aber mittlerweile des Öfteren in unsäglichem Trash verirrt, und sei es auch nur für einen fünfminütigen Auftritt, um einen Billigfilm zu pushen). Des weiteren X-Men-Beast Nicholas Hoult und niemand Geringerer als Rogue-One-Star Felicity Jones, die für Die Entdeckung der Unendlichkeit mit einer Oscar-Nominierung geadelt wurde. Und wer ganz genau hinsieht, kann sich an Nebenrollen-Quereinsteiger Joachim Król erfreuen. Er darf sogar die Wumme auf „Hannibal Lecter“ richten, was will man als deutscher Filmroutinier im Rahmen einer internationalen Produktion denn mehr? Stellt sich die Frage: Was machen all diese Stars denn hier? Nun, ihr gemeinsamer Nenner ist, sagen wir´s mal so, ein relativ simpler Actionfilm. Nun, simpel heißt jetzt nicht zwingend misslungen. Simpel kann auch erstaunlich sehenswert sein. Collide von Eran Creevy ist irgendwo in der Mitte. Jetzt nicht ganz so erstaunlich sehenswert, aber auch längst nicht misslungen. Das liegt vor allem daran, wie die Rollen eben besetzt sind.

Ganz im Vordergrund steht Nicholas Hoult. Einer, der wahnsinnig gut Auto fährt und Boliden aus Fremdeigentum auch gerne kurzschließt. Zumindest hat er das mal gemacht. Die kriminelle Laufbahn will der us-amerikanische Endzwanziger zugunsten seiner großen Liebe Felicity Jones natürlich an den Nagel hängen – hätte das ganze nicht einen unübersehbaren Haken: die große Liebe erkrankt – und braucht dringend eine neue Niere. So Spenderorgane sind nicht billig, und das nötige Kleingeld hat man auch nicht in der Portokassa. Also noch mal einen Coup landen, im Auftrag von Drogenboss Geran – gespielt von Ben Kingsley –, um dem zwielichtigen Geschäftsmann Hagen Kahl – diesmal Hopkins – eins auszuwischen. Es heißt ja meist: wenn sich zwei streiten, freut sich der Dritte. In Collide hat der Dritte allerdings wenig zu lachen, und ist wenig später andauernd auf der Flucht.

Collide ist sauber inszeniertes Handwerk ohne viele Schnörkel. Ein Actionfilm unter vielen? Nicht ganz, obwohl in seinen Ansprüchen genügsam, und die beiden Grand Seigneurs – vor allem Kingsley – überzeichnen sich bis zur Selbstparodie. Der Gummi, der glüht. Und zwar nicht nur auf der Autostrada, da wird auch Filmkulisse Köln zum heißen Pflaster. Die Action kann sich sehen lassen, die können getrost mit dem Karosserie-Geplänkel aus anderen Filmen mithalten. Und umso weniger zu verstehen bleibt da die Tatsache, dass Collide hierzulande nicht mal im Kino lief. Gut, es werden Unmengen an durchschnittlicher Actionware produziert, mit durchwegs ansehnlichem Cast – die alle ins Kino zu bringen geht natürlich nicht. Vieles ist auch wirklich zu banal. Doch Collide hat was. Da ist womöglich mehr dran als an Filmen wie Anna, Luc Bessons was weiß ich wievielter Interpretation einer Femme fatale. Collide ist augenzwinkernd genug, um zwischen verschwörerischer Lovestory und Seitenstechen fördernder Action in leicht wegzusteckender Schwebe zu bleiben, der Film hat ordentlich Drive und mit Felicity Jones ein Mädel, um welches sich nachvollziehbar bangen lässt. Durch den Druck, der hinter der Action steht, bleibt der Film auf Zug und Nicholas Hoult wünscht man dabei gutes Gelingen.

Collide

Die Erfindung der Wahrheit

LOBBYISMUS AUF SPEED

7,5/10

 

erfindungderwahrheit© 2016 Universum Film

 

ORIGINALTITEL: MISS SLOANE

LAND: USA 2016

REGIE: JOHN MADDEN

CAST: JESSICA CHASTAIN, MARK STRONG, GUGU MBATHA-RAW, SAM WATERSTON, ALISON PILL, JOHN LITHGOW, MICHAEL STUHLBARG U. A.

 

Wie bitte? Könnten Sie das nochmal wiederholen, einfach zum Mitschreiben? Wenn der Film beginnt, und Miss Sloane – so der Originaltitel desselbigen – im Stechschritt die Büroräume stürmt, fährt das noch frühstücksmüde Tagesgeschäft von Null auf Hundert, brechen Worte sintflutartig über modernes Büromöbel-Interieur und all die Glasfassaden sämtlicher Meetingrooms rutschen aus dem Fensterkitt. Mittendrin Jessica Chastain, tough wie Wonder Woman, hartgesotten wie jemand der nichts mehr zu verlieren hat, wenn man so will der Chuck Norris unter den Lobbyisten. Was hier in den ersten Minuten an Dialog fällt, fällt in manchen Filmen die ganze Laufzeit nicht – das erinnert an die Filme David Mamets. Da wie dort reicht es nicht, nur zuzuhören, da muss das Hirn auch gleich mit, und es kann leicht sein, dass man hinterherhinkt, Gesagtes erst sickern muss, während Miss Sloane schon ganz woanders ist und über Taktiken philosophiert, die unsereins erst in den Kontext bringen muss.

Fasziniert von diesem Charisma und dieser überheblichen Klugheit, stellt sich nach dem Downflow der Emotionen die Frage: Wer ist diese rothaarige Lady, die im perfekt sitzenden Damenanzug niemandem auf Augenhöhe begegnet? Die über allen Dingen steht, alles im Griff hat und ihr Fußvolk herumdirigiert wie ein Wahlkampfmanager, dessen Partei viel zu verlieren hat. Ist sie so jemand wie Miranda Priestly aus Der Teufel trägt Prada, die Meryl Streep so menschenverachtend gut interpretiert hat? Nein, dafür ist sie viel zu hemdsärmelig. Miss Sloane packt an wo andere loslassen. Delegiert eigentlich nicht, sondern, wenn man so will, reitet an vorderster Front dem Feind entgegen. Und gewinnt Kriege, die unmöglich scheinen.

Eine Art Krieg ist der Lobbyismus allerdings schon, ein Krieg um Stimmen und Meinungen, bei denen, die etwas zu sagen haben im Land. Ein Anbiedern, Überreden und Manipulieren, und das in großem Stil. Und dabei kann es im Eifer des Gefechts vorkommen, dass manche mit unlauteren Mitteln arbeiten. Denn worum geht es also? Um die Etablierung von Macht, um das Exekutieren von Interessen. Unterm Strich: Illusionskunst auf politischer Bühne. Miss Sloane eignet sich für so etwas am Besten, und am Besten für Miss Sloane eignet sich Jessica Chastain. Die Schauspielerin hatte schon Osama bin Laden im Sucher (Zero Dark Thirty), und als Glücksspiel-Queen sämtliche Millionen im Sack (Molly´s Game). Chastain ist niemand zum Kuscheln, sie ist die eiserne Lady Hollywoods. Apart in jeder Hinsicht, auf keinen Fall sympathisch, aber in ihrem resoluten Auftreten auf sinnliche Weise faszinierend. Anlegen würde ich mich nicht mit ihr, ihr Intellekt zwingt jeden Widersacher in die Knie. Und ich wäre hier nicht mal ansatzweise ein solcher.

John Madden, seinerzeit hoch gelobt für die barocke Romanze Shakespeare in Love (meines Erachtens völlig überbewertet), lässt seine forsche heilige Johanna in zermürbender Eloquenz das Banner hissen. Das so ein Alltag auf Speed dauerhaft der Gesundheit schadet, weiß die Rhetorik-Queen zumindest rein theoretisch, doch für Theorie ist kein Platz in diesem Leben, das so einsam ist wie eine Marsmission, das statt einer Biographie nur beruflichen Lebenslauf kennt und schon gar kein soziales Umfeld. Die großen Momente dieses faszinierenden Politdramas finden sich daher weniger in den taktischen Methoden, mit denen sich Lobbyisten an den Kragen gehen, sondern im Porträt einer Besessenen, die die Sucht nach Erfolg und Effizienz an moralische Grenzen bringt. Das ist eine famose One-Woman-Show, ein Schachspiel, bei dem eine Menge Bauern das Feld räumen müssen, und die Königin in einem Zug ans andere Ende prescht. Miss Sloane ist so akkurat und berechnend wie die stärkste Figur in so einem Spiel, und läuft stets Gefahr, besiegt zu werden, solange sie nicht die Züge des Gegners voraussieht. Das fordert, und wenn zwischen all der ZackZackZack-Methodik Chastains Blick vor Erschöpfung ins Leere geht, in sich gekehrt und verharrend, und das nur für einen verschwindenden Moment, den sonst niemand merkt, dann hat dieser Charakter etwas bemitleidenswert Menschliches, aber auch Bewundernswertes angesichts dieser durchgetakteten, zielorientierten Lebenskunst.

Die Erfindung der Wahrheit

Der Moment der Wahrheit

EIN KNÜLLER UM JEDEN PREIS

7,5/10

 

momentderwahrheit© 2015 SquareOne/Universum Film

 

LAND: USA, AUSTRALIEN 2015

REGIE: JAMES VANDERBILT

CAST: CATE BLANCHETT, ROBERT REDFORD, STACY KEACH, DENNIS QUAID, TOPHER GRACE, BRUCE GREENWOOD U. A.

 

Was ist Wahrheit? Das hat schon vor mehr als 2000 Jahren ein römischer Statthalter gefragt. Und das fragen sich Journalisten seit Anbeginn ihrer Zunft: Wem oder was genau jage ich nach? Die Wahrheit – das ist etwas, das ans Licht kommen muss, wie auch immer. Der Nazarener ist die Antwort auf die Frage schuldig geblieben. Jene, die gegenwärtig für Aufklärung unter uns Otto Normalverbrauchern sorgen, bemühen sich aber, sie zu beantworten. Und beschaffen sich diese mit teils unlauteren Mitteln, verheimlichen Quellen, um diese zu schützen. Kommen dann mit der Wahrheit ans Licht, wenn die Umstände es verlangen. Jüngstes Beispiel: Ibiza. Die Art und Weise, wie Gesagtes in kürzester Zeit zum meinungspolitischen Zitatenschatz wurde, ist selbstredend eine zweifelhafte. Wenn aber das prognostizierte öffentliche Interesse größer ist als das Vergehen bei der Wahl der Mittel, tritt letzteres in den Hintergrund. Vorausgesetzt, das, was diese Mittel ans Tageslicht befördern, ist authentisch genug, um keine Zweifel an der Wahrheit zu schüren. Das scheint den Pseudo-Oligarchen wohl gelungen zu sein, denn jene Medien, die Mitte Mai die Bombe haben platzen lassen, konnten sich, nach sorgfältiger Prüfung, auch beruhigt zurücklehnen, um die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen. Anderen wiederum war das heiße Eisen wohl zu heiß. Nicht dass sie es nicht angepackt hätten. Doch heißes Eisen kühlt rasch aus, brennt in der Hand, hinterlässt Wunden. Zu früh fallengelassen ist jedenfalls nicht probiert. Allerdings aber auch nicht zu Ende gedacht.

Diese anderen, das waren die Journalistinnen und Journalisten einer renommierten Nachrichtensendung bei CBS. Für die investigative Reporterin Mary Mapes, die mit ihrem Bericht über die Foltermethoden im irakischen Gefängnis Abu Grab 2004 für Aufsehen sorgte, nahmen mutmaßliche Hinweise schön langsam Gestalt an. Und: sie könnten Einfluss haben auf die bevorstehende Wiederwahl von Präsident Goerge W. Bush. Diese Hinweise deuten an, dass der politisch stets mit der Tür ins Haus fallende Texaner Anfang der 70er Jahre gezielt vom Militäreinsatz in Vietnam abgezogen wurde. Besser noch – Bush wurde der Nationalgarde unterstellt, unter Protektion wohlgemerkt. Konsequentes Nichtwahrnehmen seiner Pflicht wurde unter den Teppich gekehrt. einer wie Bush, der musste, wie es aussieht, schon damals so gut wie gar nichts. Die Frage: stimmt das? Ist das die Wahrheit? Zwei Memos belegen das – sofern sie echt sind. Eigentlich egal, raus damit, wenn die Quellen sich schon sicher sind, was braucht es da noch für Überprüfungen. Ein fahrlässiger Fehler, wie sich bald herausstellen wird. Und ein Skandal, der plötzlich weite Kreise zieht, sogar alteingesessene Hasen wie Dan Rather (eine Art US-Armin Wolf) mit sich reißt und die berufliche Existenz so mancher gutmeinender Journalisten zerstört.

Der Moment der Wahrheit ist mit Robert Redford, Cate Blanchett und „Mike Hammer“ Stacy Keach schon mal prominent besetzt. James Vanderbilt hat ein Journalismus- und Mediendrama inszeniert, dass die Qualitäten eines Adam McKay erreicht. Wohl überlegt, nicht überhastet und geduldig rollt der Film eine Chronik der Tatsachen auf, die zwar jedweden Sarkasmus vermissen lassen, aber mit den Fakten alleine schon, und wenn sie auch noch so detailliert in die dramatisierte Version eines Skandals gestreut sind, zu fesseln weiß. Mag es nur ein hochgestelltes th sein, über das sich kritische Stimmen äußern. Mag es nur die Möglichkeit sein, die im Raum steht, dass besagte Beweislast politisch schöngefärbt ist – in diesem klugen Drama bekommt der Ehrenkodex des Journalismus fundamentzerstörerische Risse. Was darf man, was soll man, und wofür – stellt sich die Frage. Schlampigkeit ist fehl am Platz, Meinungsmache auch – und politische Mission sowieso. Aber wo ist die Grenze gezogen? Was ist richtig und was falsch? Zurückkommend auf Ibiza: in einem Moment der polemischen Euphorie bezeichnet unser Ex-Vizekanzler „Journalisten als die größten Huren unseres Planeten“. Mary Mapes und ihr Team wurden ähnlich beschimpft. In Der Moment der Wahrheit ist die Suche nah selbiger das Ziehen der Arschkarte, ist der Übereifer, dem Rest der Welt keine Tatsachen schuldig zu bleiben, das anscheinend Niederträchtigste, was es gibt. Allerdings – der Wille zum nächsten Knüller trägt die rosarote Brille des medialen Jagdinstinkts. Vanderbilt erzählt anhand dieses Beispiels von schwerwiegenden Fehlern, Gesichtsverlust und dem Ringen um Anstand. Blanchett gibt die verzweifelte, leidenschaftliche und unter Hochspannung stehende Reporterin gewohnt glaubwürdig, Redford an ihrer Seite gibt den letzten Schliff. In brisanten Zeiten wie diesen, wo Beeinflussung, (Neu)wahlkampf und politische Grabenkämpfe alles sind, ist die moralische Frage des journalistischen Auftrags dringender denn je. Dieser Film stellt sie, ohne Antworten finden zu wollen. Ohne ein Resümee zu ziehen. Dieses bleibt nämlich uns Sehern – und Wählern überlassen.

Der Moment der Wahrheit

Hellboy – Call of Darkness

KANALRÄUMEN IM MÄRCHENWALD

5,5/10

 

HB_D44-7761.ARW© 2019 Universum Film

 

LAND: USA 2019

REGIE: NEIL MARSHALL

CAST: DAVID HARBOUR, MILLA JOVOVICH, IAN MCSHANE, DANIEL DAE KIM, SOPHIE OKONEDO, SASHA LANE U. A.

 

Das Zeitalter der Smartphones ist nichts für Dämonen wie Anung Un Rama, besser bekannt als Hellboy und investigativer Ermittler in Sachen paranormaler Umtriebe. Da braucht es schon Fingerspitzengefühl, und das hat der rote Kerl zumindest rechtshändig nicht wirklich. Da kann schon das eine oder andere teure Teil aufgrund überstrapazierter Wischfunktion zum sprichwörtlichen Teufel gehen. Wenn schon die Usability mangelnde Feinmotorik um Social Media bemühte Dämonen mit technischer Verachtung straft, muss wenigstens das Kino offen sein für ein Reboot, welches der zynischen Rothaut aus der Hölle grobmotorisches Hämmern und Dreschen gewähren lässt und von mir aus jede Menge kaputter Elektronik in Kauf nimmt, nur um einen gestandenen Kerl aus einem katzenverliebten und fernsehsüchtigen Sonderling zu machen, den wir unter Guillermo del Toros Regie lieben gelernt haben. Mitsamt seinem Compagnon, Fischling Abe Sapien und der Feuerlady Liz. Was war das für ein Trio, beeindruckend und schön anzusehen, souverän gegen die sinisteren Machenschaften anderer Kreaturen, die in ihrer Ästhetik kaum zu übertreffen waren. Guillermo del Toro hat dann doch lieber die Splish Splash-Poesie The Shape of Water gedreht und Oscars dafür kassiert. Seinen Hellboy, den hat er schmählich im Stich gelassen, wo er doch vermutlich selbst gewusst haben muss, dass niemand sonst die mythische Dark Fantasy jemals wieder so meisterlich aus den Grunge-Niederungen emporheben wird können. Hellboy-Schöpfer Mike Mignola wusste das auch. Oder gerade, weil er es wusste, sollte der Ansatz für weitere metaphysische Abenteuer ein anderer sein. Vielleicht näher an der gezeichneten Vorlage. Und weniger verspielt, dafür viel blutiger, dreckiger, derber. Könnte funktionieren, auch um nicht dauernd den comicfilmgeschichtlich relevanten Zweiteiler Del Toros im Hinterkopf zu haben. Allein – die Rechnung geht nur bedingt auf. Und der Vergleich mit Ron Perlman lässt sich leider – oder trotzdem – nicht unterdrücken.

Mike Mignola hatte, soweit ich in Erfahrung bringen konnte, das alles wirklich so gewollt. Auf sein Bestreben hin wurden Neil Marshall und David Harbour dann wirklich die zweite Wahl für eine krude Schlachtplatte, die wenig zimperlich legendäre Mythen aus Sagen- und Märchenwelt auf einen Nenner herunterbricht, der sich letzten Endes nicht ganz entscheiden kann, ob er absichtlich trashige Low Fantasy sein will oder doch noch mit der schillernden, kreativen Epik aus dem Hexenkessel des Spaniers kokettieren soll. Im Mittelpunkt: die Figur des Hellboy selbst, penibel maskiert und aufgepumpt zu einem martialischen Schrank von einem Mann mit abgesägten Hörnern und versifftem Columbo-Gedächtnismantel, natürlich mit Luke für seinen peitschenartigen Rattenschwanz. Harbour ist als Neuansatz der Figur gar nicht mal so anders als Ron Perlman. Vielleicht etwas versoffener, weniger herzlich und deutlich lebensunlustiger. Ein Anti-Held wie aus einem Film Noir, der fast schon darunter leidet, unkaputtbar zu sein und nur mit Projektilen, zusammengemixt aus heiligen Reliquien, verwundbar scheint. Ein bisschen erinnert das an den Charakter von Tom Ellis als Lucifer aus gleichnamiger Serie. Nur Lucifer selbst ist der Leibhaftige, während Hellboy ein Mischwesen ist, im Grunde aber dessen Sohn, und darüber hinaus Erbe von etwas ganz anderem, das in Hellboy – Call of Darkness zum Thema wird.

Vieles dreht sich um die spätrömische Mittelalter-Ikone in Gestalt von König Artus, welcher Blood Queen Nimue (wer sonst außer Milla Jovovich sollte sie verkörpern?) am Pendle Hill nach ausgiebiger Blutspende zerstückelt und in alle vier Winde verstreut hat. Rund die halbe Weltgeschichte später versucht das boshafte Frauenzimmer erneut, mithilfe eines aufrecht gehenden Warzenschweins, das irgendwie aus dem Kreaturenfundus der Ninja Turtles entkommen zu sein scheint, unseren Planeten für all den monströsen Abschaum aus der Unterwelt wohnlich einzurichten. Welche Rolle Hellboy dabei spielt, bleibt an dieser Stelle natürlich ein Geheimnis, doch es braucht eine Weile, bis der von inneren Krisen gebeutelte Freak seinen Vater-Sohn-Konflikt hintenanstellt, um die Sache in die steinerne Hand zu nehmen. Und die ist, wie wir wissen, für Feinheiten nicht zu haben. Neil Marshalls Film auch nicht.

Der Film fühlt sich an wie Bloody Mary ohne Kater, schmeißt von Riesen über kinderfressende Hexen bis zu Heeren an spitzohrigen Kobolden viel Potenzial respektlos in einen Topf und kocht ein Süppchen, das wild fabulierend und gestikulierend einiges an dramaturgisch stimmigem Taktgefühl niederrennt und mit wild schwingenden rostigen Klingen Extremitäten über die Leinwand schleudert, als wären wir Gast im Titty Twister. Da fällt mir wieder Robert Rodriguez ein, der sich durchaus auch mit Hellboy vertragen hätte. Das von ihm und Tarantino so verehrte Grindhouse zwischen Machete und Planet Terror hätte nun mit Hellboy – Call of Darkness nämlich einen weiteren Knüller im Spätabendprogramm einiger Bahnhofkinos. Für übernachtige Nerds, die klassische Mythen gerne mit creepigem Grusel und schlampigen CGI-Effekten im Handgemenge eines Monster-Wrestling-Parcours verkeilt sehen, ein gefundenes Fressen mit fettigen Fingern. Der Weg dorthin führt mitunter durch die stehenden Blutlachen eines Warhammer-Schlachtfelds. Del Toro´s Kreationsstil bleibt aber dennoch zumindest ansatzweise gewahrt, ganz besondes in der atmsophärisch wohl gelungensten Szene des Filmes im Hexenhaus der Hexe Baba Jaga oder in den alptraumhaften Giganten, die gelegentlich aus den Erdspalten steigen. Ein kleines bisschen Rest an künstlerischer Raffinesse, wie Balsam auf rissiger Haut.

Dieses Wirrwarr allerdings entbehrt nicht ein gewisses Vergnügen an der reinen Lust durcheinanderplappernder hässlicher Schauermärchen, die wahnsinnig weit entfernt sind vom Marvel- oder DC-Kosmos und durch ihre räudige Rauflust einen ganz eigenen Stil entworfen haben, der ab heute ganz allein Hellboy gehört. Wegnehmen wird es ihm niemand.

Hellboy – Call of Darkness