The Purge – Die Säuberung (2013)

EINMAL MÖCHTE ICH EIN BÖSER SEIN

8/10


© 2013 Universal / Blumhouse Productions


LAND / JAHR: USA 2013

REGIE / DREHBUCH: JAMES DEMONACO

CAST: ETHAN HAWKE, LENA HEADEY, MAX BURKHOLDER, ADELAIDE KANE, EDWIN HODGE, TONY OLLER, RHYS WAKEFIELD, ARIJA BAREIKIS, TOM YI, CHRIS MULKEY, TISHA FRENCH U. A. 

LÄNGE: 1 STD 25 MIN


Wieder einmal leben wir in einer Dekade, in der so manch kühne Dystopie und gellend in den Himmel schreiende Politsatire von der Realität eingeholt wird. Ganz besonders blendet das schwindende Licht einer regressiven Gesellschaft aus dem Westen, dort, wo der Absolutismus langsam zurückkehrt, und niemand auch nur ansatzweise ernstzunehmenden Widerstand bietet gegen jemanden, der den sozialen Fortschritt des Menschen mit Füßen tritt. Wir wissen längst: Macht korrumpiert den Mensch, eine missglückte Kindheit rächt sich ein Leben lang. Und überhaupt ist Homo sapiens am Ende der Nahrungskette ein Wesen, dass nichts auf der Welt lieber hat als in Ruhe in der eigenen Wohlstandsblase dahinzugammeln auf Kosten der Nachbarn und vor allem auf Kosten jener, die er oder sie sowieso niemals zu Gesicht bekommen, außer vielleicht in den Nachrichten, und die muss man ja nicht zwingend einschalten. Um das zu erreichen, dafür muss man Opfer bringen. Aber nicht die eigenen. All diese Faktoren zusammengenommen ergeben das Bild einer gewissenlosen, egoistischen, reuelosen Spezies, die zu allem bereit scheint, wenn es sich davon einen Vorteil verspricht. Dazu muss diese Spezies gar nicht mal im Kollektiv gehirngewaschen werden wie während der Nazi-Herrschaft oder dem Genozid in Ruanda. Querdenkende Geistesriesen haben im dystopischen Thriller The Purge – Die Säuberung die „Neuen Gründerväter“ eine Gesellschaft etabliert, die sich selbst bis auf einen einzigen Tag kaum mehr gegenseitig etwas antut. Friede, Freue, Eierkuchen 364 Tage lang. Am Tag X, dem Tag der Säuberung, der fast schon so gefeiert wird wie Thanksgiving, ist hingegen jede Gräueltat erlaubt. Und jeder, der mordet, foltert oder missbraucht, bleibt straffrei. Aktuell wäre die Umsetzung einer solch kruden Idee angesichts all der anderen Geistesblitze in Übersee durchaus denkbar.

James DeMonaco wird wohl damals, 2013, nicht unbedingt daran gedacht haben, wie sehr sein Land nach rechts driften wird. Damals dürfte er seine brillante Vision einer Nacht aus Mord und Totschlag vielleicht nur als perfiden Horrortrip betrachtet haben, vielleicht aber auch als beängstigendes Zerrbild einer Gesellschaft, die niemals sich selbst überlassen und nur unter Gesetzen, Regeln und Strafen erzogen werden kann. Der Mensch als unberechenbare Bestie – und scheinbar jede und jeder trägt so viel Aggression in sich, um diese ausleben zu müssen. Ob das Bild, das Monaco zeichnet, einen gewissen Realismus birgt? Die Anarchie, die The Purge lostritt, kurbelt den eigenen Denkapparat an. Wäre man selbst in so einer Lage, wäre man froh, ein Haus wie Ethan Hawke zu besitzen, der zum Gongschlag der Hardcore-Halloween-Nacht das traute Heim hermetisch abriegelt. Sollen die da draußen doch morden, die Familie hats gemütlich. Nun aber kommt die Gretchenfrage ins Spiel: Was, wenn jemand um Hilfe ruft und nirgendwo hin kann? Genauso eine Situation bringt diese Nacht, die Hawkes Familie schon so oft erlebt hat, diesmal gehörig aus dem Gleichgewicht.

Das Gewissen wird zur unsanften Herausforderung, der psychopathische Wahnsinn klopft an die Tür, die Home Invasion kann beginnen. Im strengen Thriller-Modus macht sich The Purge ans Eingemachte, ohne jemals auf sozialkritische Polemik zugunsten satter Gewalt zu verzichten. DeMonacos moderner Klassiker des Near-Future-Kinos hat mittlerweile einen ganzen Rattenschwanz an Fortsetzungen nach sich gezogen, die aber allesamt nur dem Symptom frönen, während das Original eigentlich längst alles gesagt und gezeigt hat, was man sagen und zeigen sollte. Um den Mensch endlich als das zu begreifen, was er ist: Verloren im freien Spiel der Kräfte.

The Purge – Die Säuberung (2013)

Jodorowsky’s Dune (2013)

ENTWURF DES UNMÖGLICHEN

7/10


jodorowskys-dune© 2013 Sony Pictures Classic


LAND / JAHR: FRANKREICH, USA 2013

REGIE: FRANK PAVICH

DREHBUCH: FRANK PAVICH, STEPHEN SCARLATA & TRAVIS STEPHENS

MIT BEITRÄGEN VON: ALEJANDRO JODOROWSKY, MICHEL SEYDOUX, H. R. GIGER, BRONTIS JODOROWSKY, RICHARD STANLEY, NICOLAS WINDING REFN, GARY KURTZ, CHRIS FOSS, DAN O’BANNON, AMANDA LEAR U. A.

LÄNGE: 1 STD 30 MIN


Was haben Mick Jagger, Salvador Dali und Orson Welles gemeinsam? Abgesehen davon, dass alle drei dem männlichen Geschlecht angehören, nichts, was einem so ins Bewusstsein springt. Der eine ist US-amerikanischer Rockstar voll Glamour, der andere ein Grand Signeur des großen, epischen Kinos des 20. Jahrhunderts, der dritte überhaupt ein Gesamtkunstwerk des exaltierten Surrealismus. All diese Streiflichter typischer Eigenschaften lassen sich bündeln, und zwar im größten Film aller Zeiten, kurz GröFaZ (und nicht SchleFaZ), der jemals das Licht der Leinwand erblicken hätte sollen. Als Vorlage dafür kam nur ein literarisches Werk in Frage – ein Schmöker, der im Grunde die moderne Science-Fiction begründete und viele Nachahmer fand. Und ja, ich muss an dieser Stelle ehrlich zugeben: So sehr ich Star Wars abgöttisch liebe: Geklaut hat George Lucas‘ Sternenepos aus den Siebzigern so einiges aus Frank Herberts Kult-Roman Dune – Der Wüstenplanet. In den Sechzigern verfasst, hat Herbert verstanden, wie er episches Königsdrama mit messianischer Botschaft und diese wiederum mit der Geisteshaltung der 60er verbindet. Das alles findet als Bühne nicht mehr und nicht weniger als einen Wüstenplaneten, in dessen Sand das wertvolle Spice steckt (ja, auch in Star Wars wird damit gehandelt), das erstens das Bewusstsein verändert und zweitens die interstellare Raumfahrt ermöglicht. Ein wichtiger Rohstoff, und um diesen Rohstoff entbrennen Schlachten und Revolten, werden Anführer getötet und andere hieven sich auf den Thron. Ein Game of Thrones, nur Dune war zuerst da, vor allen anderen.

So begeistert von diesem Werk war auch Alejandro Jodorowsky, ein mexikanischer Filmemacher der Avantgarde, der mit psychedelischen und äußerst exzentrischen Werken wie The Holy Mountain zumindest jene Sorte Publikum abholen konnte, die während den Vorstellungen schon einiges eingeworfen hatten. Es sind Filme, die so rätselhaft und exaltiert erscheinen, dass sie als Zeitdokument vermutlich dienlich sind, darüber hinaus aber gerne unfreiwillig komisch wirken. Wie Barbarella, nur noch bizarrer. Jetzt sollte Dune eine Verfilmung bekommen, die alles bisher Dagewesene sprengen mag. Mit einer Bildsprache, die das Bewusstsein verändert, mit einem Starensemble, dass eben Mick Jagger, Orson Welles und Salvador Dali vor die Kamera hätte holen können. Und das Beste: Alle drei haben zugesagt. Warum dieses Jahrhundertwerk dann doch nicht seinen Weg in die Produktion fand? Nun, genau das erörtert der von Frank Pavich 2013 aufgearbeitete Dokumentarfilm Jodorowsky’s Dune, der den Künstler selbst sehr oft und ausgiebig zu Wort kommen lässt.

Der Zeichner Chris Foss hätte knallbunte Raumschiffe ersonnen, Pink Floyd die Musik dazu komponiert – die Credits im Abspann, hätte es diesen gegeben, wären ein Who is Who der Kunstszene gewesen – doch was nicht ist, muss auch später nicht zwingend etwas werden. Dabei ist Jodorowsky’s Dune kein Abgesang auf künstlerische Ambitionen, kein anti-visionäres Requiem. Erquickend an diesem Film ist die diebische Freude und die Leidenschaft, mit der Jodorowsky über die Entstehung seines Nicht-Films berichtet. Pavich betrachtet dieses Scheitern längst nicht, und auch niemals im Film, als ein desillusioniertes Scheitern. Von einer Niederlage ganz zu schweigen. Sein Film feiert die Idee und die Vision, die Freude am Fabulieren weit über die Grenzen des Machbaren hinaus. Er beflügelt die Fantasy und zementiert ihren Status als etwas ein, dass so frei sein kann wie ein ungebändigter Sandwurm, der sich durch eine imaginäre Landschaft fräst. So frei und freudvoll ist auch das Schildern des ganzen Making Of-Fragments.

Die wahren Abenteuer sind im Kopf, das singt schon André Heller. Die wahren Abenteuer sind auch im Kopf eines Don Quixote, der gegen Windmühlen kämpft. Jodorowsky ist auch so einer. Ein Don Quixote des Films, der mit seinen Bestrebungen und seinem Eifer völlig nebenbei und eigentlich unbeabsichtigt Grundsteine gelegt hat für Filme wie Alien, Star Wars oder letztendlich auch für die Vision von Denis Villeneuve, der es am Ende des langen Tages des Schaffens wohl hinbekommen hat, die wichtigste Science-Fiction-Trilogie des bisherigen neuen Jahrtausends in den Sand zu zeichnen statt in den Sand zu setzen. Schaut man vor allem bei Dune: Part Two genauer hin, sieht man Reminiszenzen an Jodorowskys Herangehensweise, erkennt man die Optik des Schweizer Künstlers Giger, der für den Mexikaner auch allerlei Bauten entworfen hätte. Kleines Bonmot am Rande: Jodorowsky selbst hat sich, anders als David Lynch, der seine Dune-Version als einen traurigen Tiefpunkt seiner Karriere betrachtet und nichts mehr damit zu tun haben will, ins Kino bequemt, um sein Herzensprojekt, das nun jemand anderer gedreht hat, über sich ergehen zu lassen. Spätestens da, und niemals zuvor, kommt ein durch und durch natürliches Quantum an Neid und ein kleines bisschen Wehmut ans Tageslicht, dass sich insofern ausdrückt, dass Jodorowsky Villeneuves Dune einfach nicht mochte. Natürlich nicht. Es hätte sein Film sein sollen. Und irgendwie existiert er ja auch – als erstes Filmparadoxon, als ein sich selbst verschlingendes schwarzes Loch, als erster Nicht-Film, der sich in einem Wunsch ans Universum manifestiert. Jodorowsky’s Dune ist Quantenphysik für Cineasten über einen Film, der gleichzeitig tot und lebendig sein kann.

Jodorowsky’s Dune (2013)

Under the Skin (2013)

DIE FRAU, DIE VOM HIMMEL FIEL

8,5/10


under-the-skin© 2013 Senator Home Entertainment


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN 2013

REGIE: JONATHAN GLAZER

DREHBUCH: JONATHAN GLAZER, WALTER CAMPBELL, NACH DEM ROMAN „DIE WELTENWANDERIN“ VON MICHEL FABER

CAST: SCARLETT JOHANSSON, JOE SZULA, KRYŠTOF HÁDEK, ADAM PEARSON, PAUL BRANNIGAN, MICHAEL MORELAND, GERRY GOODFELLOW, DAVE ACTON U. A.

LÄNGE: 1 STD 47 MIN


Der neue Film des Briten stürmt gerade eben die Nominierungslisten der Oscar-Academy: The Zone of Interest. Mit diesem verstörenden Perspektivwechsel auf den vergnüglichen Alltag einer nationalsozialistischen Vorzeigefamilie, die am Rande des Konzentrationslagers Auschwitz ihre Zelte aufgeschlagen hat, mag Jonathan Glazer in seinem erst vierten Spielfilm dem Subgenre des Holocaust-Films neue Aspekte hinzufügen. Nicht all die Opfer würden diesmal für Betroffenheit sorgen, sondern die mit dem Blut an den Händen. Dabei mag am meisten verstören, dass die Identifikationsfiguren diesmal gänzlich fehlen, die glückliche Familie in Braun aber wie der teufel in der Wüste sämtliche Schienen legen möge, um hineinzufinden in einen Alltag, der uns auf unheimliche Weise vertraut vorkommen mag.

Diesem Sichtwechsel, dieses Umstülpen einer narrativen Ordnung, lässt Glazer auch in seinem zehn Jahre zurückliegenden letzten Film alle möglichen Freiheiten, um sich auszutoben. Under the Skin ist Science-Fiction, wie man sie noch nicht gesehen hat. Wie man sie womöglich auch niemals wieder sehen wird. Und die eine diebische Freude daran hat, nichts erklären zu müssen. Im hoch budgetierten Studiofilm wäre so etwas undenkbar, viel zu unorthodox und um Gottes Willen kein bisschen massentauglich. Gut so, denn in dieser Unabhängigkeit eines Künstlers liegen jene Motoren, die die kreative Evolution im Film weitertreiben und nicht auf der Stelle treten lassen, wie es derzeit im Comicfilm zum Problem wurde. Under the Skin ignoriert Schablonen, Versatzstücke und gängiges Vokabular. Es scheint, als erfinde es eine neue, erzählerische Sprache, wie klingonisch oder elbisch – dafür aber in Bildern und einer gegen die Wuchsrichtung gebürsteten Anordnung. Mittendrin in dieser wortkargen Versuchsanordnung einer urbanen Alien-Ballade findet sich jemand, der längst im großen Studiofilm Furore gemacht hat: Scarlett Johansson. Ein Skript wie dieses ausschlagen? Gerade in solchen mutigen Werken liegt die eigentliche Freude am Schauspielern, wenn einem erlaubt scheint, den ganzen Star-Glimmer abzulegen, um die Mutprobe eines ungefälligen Kunststückes zu wagen, das Under the Skin klarerweise darstellt.

Wie schon David Bowie als vom Himmel gefallener humanoider Alien, der dem Mammon und sonstigen menschlichen Versuchungen erliegt, ist Scarlett Johansson ein ähnlich extraterrestrischer Besucher (oder Besucherin, ganz genau weiß man das nicht), der in Gestalt einer attraktiven Frau allerlei Männer anbaggert, diese nachhause abschleppt, seinem Willen unterwirft und in eine schwarze, ölige Flüssigkeit taucht. Dieses Innere der Wohnung ist ein Ort der undurchdringlichen Schwärze, während der Boden zwar nicht für das Alien, für den Menschen aber zu Treibsand wird. In diesem surrealen Nirgendwo möchte man selbst tunlichst nicht vorbeisehen müssen, es ist wie das Tor in eine andere Welt, die gefühlskalt und erbarmungslos als eine übergeordnete Entität dem Dasein des Mannes den Albtraum seiner Vergänglichkeit bereitet. Irgendwann jedoch findet Johanssons aparte Figur Gefallen an dieser Welt, an den Wesen, vor allem an einem unter Neurofibromatose erkrankten jungen Mann (Adam Pearson, A Different Man), der so anders aussieht als alle anderen. Der so anders empfindet, sich anders verhält, der selbst wie ein Alien fremd und ausgestoßen bleibt. Diese Gemeinsamkeit bringt Johansson zum Umdenken. Und in höchste Gefahr.

Was Jonathan Glazer aus dieser allen Gewohnheiten entkoppelten Geschichte macht, grenzt an Horizonterweiterung. Die Kunst der Reduktion, des Nicht-Erklären-Wollens, des Assoziierens und Nachempfindens weniger karger, uns bekannter Verhaltensmuster macht Under the Skin zu einer geheimnisvollen Begegnung mit einer dritten Art, schafft aber gleichermaßen die Studie einer Menschwerdung, angereichert mit humanistischen Überlegungen und die Hinterfragung von Akzeptanz und Würde. Glazers Film ist einer, in dem man sich fallen lassen muss, bei dem es sich lohnt, nichts ergänzen oder analysieren zu wollen. Den man auditiv und visuell erfahren kann, so, als würde man seinen von der Sonne bestrahlten und erhitzten Kopf in kühles Wasser tauchen. Dieser Sinneseindruck, der dabei entsteht, lässt sich mit Under the Skin vergleichen. Was man dann sieht, ist nichts, womit man rechnen wird. Und dann ist da diese seltsame Verstörung zwischen den Bildern, die keine Metaebenen preisgeben, und diese Poesie des Schmerzes, den eine Lebensform empfindet, die sich dem Mysteriösen eines Abenteuers stellt und die Frage aufwirft: Was ist der Mensch, und was ist er nicht?

Under the Skin (2013)

Knights of Badassdom

EIN DÄMON FÜRS WOCHENENDE

6/10


knights-of-badassdom© 2013 Pandastorm Pictures


LAND / JAHR: USA 2013

REGIE: JOE LYNCH

CAST: RYAN KWANTEN, STEVE ZAHN, PETER DINKLAGE, SUMMER GLAU, DANNY PUDI, JIMMI SIMPSON U. A. 

LÄNGE: 1 STD 29 MIN


Jeder, der sich schon mal das bunte Treiben auf einer Comic-Con gegeben hat, wird wissen, was LARP bedeutet. Für jene, die das nicht wissen: LARP ist die Abkürzung für Live Action Role Playing – das Verb dazu lautet „larpen“. Was tut man da? Man wirft sich – vom Samtmieder bis zur chromschillernden Rüstung – in das vorzugsweise selbst genähte Outfit einer Epoche oder eines fiktiven Universums und schlüpft dabei physisch in die Rolle seines erwählten Charakters. Als Waffen gelten vorzugs- und rücksichtsvollerweise liebevoll ausgearbeitete Schmiedewaren aus Schaumstoff, mit welchen man den Gegner schadlos halten kann. Es gibt ein Thema, ein Come Together, mitunter epische Schlachten. Auch hierzulande in Österreich gibt’s LARP-Events, allerdings nicht so breit gefächert wie in Deutschland. Sowohl Historisches als auch High Fantasy wird hier nachgespielt, natürlich gibts auch komplette Eigenkreationen. Am Beeindruckendsten dabei sind allerdings nicht die aus dem Boden gestampften alternativen Welten, sondern die aufrichtige Leidenschaft, mit der die LARPer zur Sache gehen. Letzten Endes bleibt die Frage offen, wann denn endlich mal diese ganz besondere Art der Freizeitgestaltung auch filmtechnisch gewürdigt werden könnte. Das ist bereits geschehen – nämlich vor rund 8 Jahren. Mit dem so denkwürdig betitelten Streifen Knights of Badassdom.

Dieses Guilty Pleasure für selbstbewusste Nerds eignet sich auch bestens für solche, die sich nicht zwingend als Nerds oder Geeks deklarieren wollen, die sich allerdings in den Kreisen fachsimpelnder großer Kinder am wohlsten fühlen. Diesen Feel Good-Effekt nutzen Rollenspieler Hung und Eric ebenso, als sie den von Liebeskummer gepeinigten Joe für ein Wochenende und anfangs gegen seinen Willen in die idyllische Waldeinkehr für ein bevorstehendes LARP-Gefecht verschleppen. Eric, der Vorzeigemagier mit Level 15, kommt sich dabei ganz wichtig vor, hat er doch von irgendwoher einen uralten Schmöker mitgehen lassen, aus dem er eifrig magisch klingenden Kauderwelsch rezitiert. Was er dabei nicht weiß: ein waschechter Dämon hat sich durch diese Worte direkt angesprochen gefühlt – und wandelt alsbald mordend durch den Hain. Authentisch ist ja gut genug – übertreiben sollte man es trotzdem nicht, finden die Buddies und versuchen ihr Bestes, ihre heile Welt vor dem Übel der Bestie zu befreien, die obendrein noch wenig zimperlich vorgeht, wenn es heißt, sich am Blut unschuldiger Schildmaiden und ritterlicher Recken zu laben.

Da spritzt der grellrote Körpersaft und werden Torsi entherzt – natürlich auf einem handwerklich recht überschaubaren Level, sagen wir auf Augenhöhe mit günstig produzierten B-Movies, die das Gaudium eines Trashfilm-Publikums schüren. Für diesen derben Spaß hat sich neben Steve Zahn und Firefly-Ikone Summer Glau im nietenbesetzten Mini auch „Tyrion Lannister“ Peter Dinklage eingefunden, der in Kettenhemd und mit Gummischwertern allen die Show stiehlt und seine Rolle aus Game of Thrones persifliert. Wenn am Ende dann der ungelenke Bodysuit einer Höllenkreatur über die Ebene stapft und Gedärme verstreut, sind fast schon die Jack Arnold-Fifties zurückgekehrt.

Knights of Badassdom eignet sich perfekt dafür, einen Themenabend rund um realitätsferne und im Phantastischen verortete Leidenschaften feuchtfröhlich ausklingen zu lassen. Ein Spaß also, der Feinschmecker keinesfalls abholt, der verspielten Frohnaturen auch am Ende eines Tages voller kraftraubender Mittelalter-Celebrations noch Laune macht.

Knights of Badassdom

Kill Your Darlings – Junge Wilde

POETEN DER NATION

4/10


kill-your-darlings© 2013 Neue Visionen


LAND / JAHR: USA 2013

REGIE: JOHN KROKIDAS

CAST: DANIEL RADCLIFFE, DANE DEHAAN, BEN FOSTER, JACK HUSTON, MICHAEL C. HALL, JENNIFER JASON LEIGH, ELIZABETH OLSEN, BEN CROSS U. A. 

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


…oder, um es anders auszudrücken: Meet the Beat! Womit eine ganz gewisse Gruppe an literarischen Zeitgenossen gemeint ist, die während und nach des Zweiten Weltkriegs von sich reden machte. Nun, eigentlich eher erst danach, denn währenddessen waren sie allesamt Studenten auf der Columbia High. Was das für Leute waren? Allen Ginsberg, Jack Kerouac und William S. Borroughs. Diese Poeten sind natürlich auch hierzulande ein Begriff, wenn man sich für amerikanische Literatur des 20ten Jahrhunderts interessiert. Gäbe es aber weder David Cronenbergs Naked Lunch oder On the Road von Walter Salles, wären mir diese speziellen Werken dieser ganz speziellen Persönlichkeiten womöglich weniger geläufig. Naked Lunch stammt aus der Feder von William S. Borroughs, der hier, in diesem True Biopic, von Ben Foster verkörpert wird. Jack Kerouac, der On the Road verfasst hat, wird von Jack Houston dargestellt und Daniel Radcliffe nimmt sich den Dichter Allen Ginsberg vor, der ja seit dem kontroversen Gedicht Howl geradezu kultisch verehrt wird. Drei Künstler, in John Krokidas Kill Your Darlings – Junge Wilde völlig neben der Spur, neben dem Leben, und von vorne bis hinten auf Nonkonformismus gebürstet. Junge Wilde eben, so der Subtitel des Films. Auf diese Denk- und Lebensweise muss man sich tatsächlich mal einlassen. Es ist ja nicht so, dass die drei Exzentriker nicht schon sich selbst genügen würden. Da gibt es noch einen Studiosus namens Lucien Carr, der die ganze Gruppe irgendwie zusammenhält. Der allerdings ist außer aus der Rolle gefallen kein großer Könner. Ein Schönling vielleicht, charmant und mit Charisma. Heiß begehrt zumindest von Allen Ginsberg. Der hat aber das Nachsehen, weil Carr (Dane DeHaan) schon jemand anderem gehört. Dieser andere aber (Michael C. Hall) geizt nicht mit Eifersucht und leicht obsessiven Besitzansprüchen, was die Partnerwahl betrifft. Da kann es nicht lange dauern, und diese bizarre Konstellation an Dichtern, Studenten und klugen Oratoren gerät ins Wanken – bis es zur Tragödie kommt.

Schwer, diese historische Momentaufnahme einer Schaffenszündung mehrerer, später berühmter Studierender dramaturgisch auf einen Nenner zu bringen. Da sind so dermaßen viele Egozentriker im Spiel, dass jeder für sich gerne eine eigene Biographie gehabt hätte. Das merkt man auch. Und aus diesem Herumdrängen der biographischen Figuren entsteht für diesen Film das nächste Problem. Abgesehen davon, dass hier sehr viel über Gott und die Welt und über ganz viele nonkonforme Eitelkeiten geschwatzt und kokettiert wird, vorzugsweise in verrauchten Salons, in Wohnzimmern und Bibliotheken – abgesehen davon schwankt das Verhältnis der Wichtigkeit einzelner zentraler und dezentraler Figuren. Im Fokus steht Daniel Radcliffe: Allan Ginsbergs Anfänge, seine Familienverhältnisse, mehr als entbehrlich. Im Grunde aber scheint eher dieser Lucien Carr die zentrale Person zu sein, dessen verbittertem Schicksal der Film auch die meiste Aufmerksamkeit schenkt und alle anderen Protagonisten dabei mitnimmt. Wäre es nicht klüger gewesen, das Drama von vornherein aus der Sicht von eben diesem Lucien Carr zu erzählen? Dann wäre das Werk auf Spur. Koridas zäumt aber das Pferd von hinten auf und schiebt Ginsberg vor, der aber eigentlich am wenigsten zu sagen hat. Aus meiner Sicht stimmen hier die Wertigkeiten ganz und gar nicht. Das macht die Geschichte so nebulös, geschwätzig und bis obenhin angefüllt mit intellektuellem Smalltalk.

Kill Your Darlings (was sich anscheinend auf ein Gebot für einen guten Schriftsteller bezieht – Opfere, was du liebst, so in etwa) mag eine filmische, sehr amerikanische Zeitkapsel für Kenner sein – eine sehr gut durchgeschüttelte Zeitkapsel, dessen Innerstes nicht zur Ruhe kommt. Ein Ist-Zustand, den Ginsberg, Kerouac und Borroughs womöglich genauso empfunden haben, bevor sie sich etablierten.

Kill Your Darlings – Junge Wilde

Horns

DEN TEUFEL AN DEN MANN GEBRACHT

5,5/10


horns© 2015 Universal Pictures Germany


LAND: USA 2013

REGIE: ALEXANDRE AJA

CAST: DANIEL RADCLIFFE, MAX MINGHELLA, JUNO TEMPLE, KATHLEEN QUINLAN, HEATHER GRAHAM, DAVID MORSE U. A. 

LÄNGE: 2 STD


Harry Potter war gestern. Daniel Radcliffe muss mittlerweile eine Freude daran haben, einfach Rollen zu verkörpern, die quer durch alle möglichen Genres zumindest eines gemeinsam haben: dass sie nichts mit Rowlings Held verbindet. Auch sein in aller Hinsicht strauchelnder Antiheld im Fantasythriller Horns ist so eine losgelöste Figur, die allein auf weiter Flur sehen muss, wo sie bleibt. Denn nichts und niemand ist dem augenscheinlichen Loser gewogen. Wie denn auch – er wird des Mordes beschuldigt – des Mordes an seiner Geliebten. Anfangs erfährt der Zuseher so gut wie nichts darüber. Einzig wilde Horden an Reportern belagern das Anwesen des Mittdreißigers, der boulevardstudierte Pöbel wünscht den jungen Mann zur Hölle. Manch ein Schundblatt fragt sich gar, ob nicht der Teufel in Menschengestalt unter ihresgleichen weilt. Nichts, was sich gut anfühlt. Kann ja auch sein, dass, je mehr die breite Masse wettert, umso mehr der Beschuldigte zu dem wird, den diese an die Wand malt: eben zum Teufel.

So passiert es ganz plötzlich, und Daniel Radcliffe wachsen eines Morgens geschwungene Hörnchen aus der Stirn. Mit dieser seltsamen anatomischen Begebenheit ändert sich auch das Verhalten der Leute ihm gegenüber. Abgesehen davon, dass das Wunder des Hornwuchses niemanden sonderlich irritiert, scheint der gebrochene Einzelgänger die dunklen Gedanken eines jeden, der ihm begegnet, hervorzukehren. Nicht selten passiert es, und aus der Theorie wird Praxis.

Alexandre Aja, der letztjährig mit dem eher mittelmäßigen Alligatorenschocker Crawl im Kino für reptilophobe Anwandlungen gesorgt hat, nahm sich vor rund 7 Jahren Joe Hills gleichnamigen Roman zur Brust. Ein komplexes Stück Gesellschaftssatire muss das sein, ein ätzender Spiegel vor den Gesichtern bigotter Bürger. Aja fährt allerdings im Slalom, und so sehr sein Film auch szenenweise auf gerader Strecke auf Turbo stellt, bremst er sich selbst wieder ab, um auch jedem Detail der Vorlage gerecht zu werden. Was er besser nicht hätte tun sollen. Klüger wäre es gewesen, sich zumindest an Hills Vorlage zu orientieren, nicht aber den ganzen Stoff zu illustrieren, was vor allem im letzten Drittel etwas für prätentiöse Konfusion sorgt. Das beste Stück ist der Mittelteil des Films, wenn „Teufel“ Radcliffe das Volk gegeneinander aufhetzt und die Verkommenheit so manchen Individuums für alle sichtbar macht. Das ist zynisch und grotesk, das ist mitunter gar absurdes Theater, vor allem im Aspekt der jener Selbstverständlichkeit, in der Radcliffes Hornwuchs hingenommen wird. Der Mensch, der sich in seinem barschen Egoismus so sehr um sich selbst dreht, bekommt den Wandel gar nicht mit. Das erinnert auch wieder an die Serie Lucifer, in der Tom Ellis ebenfalls die Fähigkeit besitzt, die unzensierten Wünsche des Einzelnen herauszukitzeln.

Interessanterweise spielt der christliche Glauben trotz all der Satire eine konterkarierte fromme Rolle, und so sehr das auch gut gemeint ist, so sehr bringt es den erfrischend radikalen Drive aus dem Rhythmus. Am Ende bleibt von diesem auf- und überladenen Mix aus phantastischem Thriller und durchaus humorbefreiter Love-Story ein recht trivialer Showdown mit Blut und Budenzauber. Verschenkt hat Horns sein Potenzial aber auch nicht zur Gänze. Denn die Sache mit der selbsterfüllenden Prophezeiung durfte sich selten zumindest szenenweise zu ungehemmt austoben wie hier. Der gut gesampelte Soundtrack wirkt da löblich unterstützend.

Horns

Der stille Berg

ÜBER ALLEN GIPFELN IST KEINE RUH

3/10

 

derstilleberg© 2014 Constantin Film

 

LAND: ÖSTERREICH 2013

REGIE: ERNST GOSSNER

CAST: WILLIAM MOSELEY, EUGENIA CONSTANTINI, CLAUDIA CARDINALE, EMILY COX, FRITZ KARL, WERNER DAEHN U. A.

 

Es gibt Kriegsfilme, so wie Steiner – Das eiserne Kreuz, die wirklich keine Gefangenen machen und lieber in satter Kriegsaction mitsamt farbenfrohen Gore-Elementen im Getöse der Lafetten untergehen. Und es gibt Heimatfilme aus den 50er-Jahren, vielleicht sogar noch bis in die 60er hinein, die von wohlhabenden Wirtshausläuten erzählen, deren promiskuitiver Nachwuchs Beziehungskonstellationen wählt, die die Familienältesten nicht sehen wollen. Bei Volksfesten gibt es Schuhplattler und jeder hat über jeden die unterschiedlichsten Gerüchte, die dann zu Verwechslungen führen. Diesen Story-Twist gibt es hier zwar nicht, aber dennoch: Der stille Berg des Tiroler Filmemachers Ernst Gossner vermählt sowohl eingangs erwähnte Art des Kriegsfilmes mit erwähnter Art des familienzwistigen Heimatfilmes – und bekommt seine Komponenten einfach nicht zusammen.

Wobei diese eher unbekannte Episode aus dem Ersten Weltkrieg klarerweise vollste Aufmerksamkeit verdient hat, allerdings eine relativ späte wohlgemerkt, mehr als 100 Jahre nach den Ereignissen. Bekannt waren mir die so genannten Gebirgskriege nicht wirklich, die zwischen 1915 und 1918 die Alpen unsicher machten. Die vorliegende Koproduktion aus Österreich, Italien und den Vereinigten Staaten versucht, die erste Dolomitenoffensive zu rekonstruieren, und zwar mithilfe fiktiver Charaktere, die natürlich als Identifikationsfiguren herhalten müssen, da Regisseur Gossner garantiert keinen Dokumentarfilm drehen wollte, sondern einen klassischen Heimatfilm, eine Tragödie zwischen Gipfelkreuz und Guerilla-Taktik. Dabei konzentriert sich der Tiroler einerseits sehr stark auf authentische Details, andererseits aber gerät er mit William Moseley (Die Chroniken von Narnia) als Erstbesetzung wohl ins größte Schlamassel des Films. Keine Ahnung wieso, aber einen waschechten Tiroler mit einem Briten zu besetzen, war entweder ein Zugeständnis, um finanzielle Unterstützung für den Film zu erlangen, oder ein schwer nachvollziehbarer Freundschaftsdienst – oder überhaupt der Versuch, mit internationaler Besetzung auch international mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen als es sonst der Fall gewesen wäre. So authentisch Gossner in seinem Film auch sein will – mit Moseley gelingt ihm das nicht. Und auch sonst fehlt es dem Streifen an Identität, an empfundener Emotion und Lokalkolorit. Filme wie diese sehnen sich nach Leitfiguren. Das hat bei Der Soldat James Ryan oder erst kürzlich in Sam Mendes´ 1917 wunderbar funktioniert. Apocalypse Now sowieso – niemals war der innere Weg in die Verrohung so deutlich wie bei Martin Sheen. Oder The Deer Hunter. Klassiker der Charakterzeichnung, Sternstunden einer psychologischen Reise, wohin auch immer. Durch diesen verheerenden Mix dreier Nationen, die alle beim Stillen Berg mitmischen möchten, und trotz der verbissenen Ambition, sowohl Antikriegsfilm, Actionfilm und Heimatfilm sein zu wollen, lässt die Tragödie in den Bergen erschreckend kalt. Schreie, Verstümmelungen, Wundbrand und Wahnsinn alleine irritieren zwar wie üblich bei einem Film über den Weltkrieg, die Distanz zu den Leidenden ist allerdings zu groß, um selbst das Gefühl zu verspüren, mit genagelten Bergschuhen über gefährliches Geröll zu schlittern. Die mangelnde Psychologie des Films versucht man mit noch mehr Getöse wettzumachen, und irgendwann ist es nur noch ein schales Röhren zwischen den Bergspitzen, meist in Nacht und Nebel gehüllt, wo sowieso jede Übersicht der Dinge den Almabtrieb genutzt hat.

Der stille Berg ist also alles andere als still, er lässt sein enervierendes Kriegsgejammer einem vielstimmigen Kanon gleich, dass seine Einsätze verpasst, über eine herrliche Landschaft rollen, die als einziger mit dem Publikum kommuniziert, während das zerpflückte Ensemble vergeblich versucht, durchs Sprachengewirr hindurch einander anzuschreien. Das klappt leider nicht, und so relevant der Gebirgskrieg auch gewesen sein mag – das vielstimmige Stückwerk erstickt unter seinem eigenen Echo.

Der stille Berg

La Grande Belezza – Die große Schönheit

DIE ÄSTHETIK DES NICHTS

7,5/10

 

grandebelezza© Filmladen 2013

 

LAND: ITALIEN, FRANKREICH 2013

REGIE: PAOLO SORRENTINO

CAST: TONI SERVILLO, CARLO VERDONE, SABRINA FERILLI, CARLO BUCCIROSSO, IAIA FORTE U. A.

 

Es ist Sommer, wir haben wieder Saison, und zwar in Salzburg, bei den Festspielen, wo Tobias Moretti die Paraderolle aus Hugo von Hofmannsthals Das Spiel vom Sterben eines reichen Mannes verkörpert – des Jedermann. Eine metaphysische Geschichte rund um das Ringen mit dem Tod, ein Rückblick auf ein Leben voller Ausschweifungen, und ein Besinnen auf das Wesentliche, Gott sei Dank noch letzten Endes. Und der Teufel, der geht wieder mal leer aus. Klaus Maria Brandauer hat das Thema Hofmannsthals, das sich wiederum auf dem Konzept spätmittelalterlicher Mysterienspiele über Schuld, Unschuld und Vergebung orientiert, in dem von Fritz Lehner inszenierten Psychodrama Jedermanns Fest adaptiert und gibt sich dort als sterbenden Modezar, der noch mal die große Party seines Lebens schmeißen will. Der Italiener Paolo Sorrentino, der sich in seinen Werken sowieso grundsätzlich den Fragen über Moral, Sinnhaftigkeit und geborgter Existenz hingibt, hat mit dem oscarprämierten Epos La Grande Belezza etwas ähnliches entworfen, eine visuell überbordende Leinwandshow, die ganz klar ihre Motivation aus den Euvre eines Federico Fellini zieht, insbesondere aus dessen Werk Roma. Was aber nicht heißt, dass der Meister seiner Zunft seinem großen Vorbild im wahrsten Sinne des Wortes die Show stehlen will. Wie für Sorrentino üblich, lässt er seinen reichen Mann, der einen runden Geburtstag feiert und die dekadente Elite zu einem rauschenden Fest mit Blick auf Roms Kolosseum lädt, zwar nicht sterben – dafür aber knapp zweieinhalb Stunden lang durch die ewige Hauptstadt flanieren, immer wieder Feste feiern, eben wie sie fallen, und sein bisheriges Leben Revue passieren lassen, das ihm, wie er es des Öfteren erwähnt, hohl und leer vorkommt. Reichtum ist natürlich keine Schande, soll doch jeder seinem Leben den Sinn geben, den er für richtig hält, und sei es der Sinn des Sinnlosen. Das aber erscheint dem allseits bekannten Journalisten plötzlich zu wenig zu sein. Die Suche nach einer gewissen Ewigkeit beginnt, nach noch mehr Zeit, um sich neu zu orientieren. Dabei spielt der Glaube und die katholische Kirche eine ebenso wichtige Rolle wie die Geschichte der Ewigen Stadt, mit all ihrer atemberaubenden Kunst, Kultur und Geschichte.

Schon in seiner Fernsehserie The Young Pope hat Sorrentino die Institution der Kirche mit all ihrem Pomp von innen heraus skizziert, dabei über religiöse Eckpfeiler wie Wunder, Dogmen und Keuschheit philosophiert. Über päpstliche Moral und dem Konservativismus einer im Bibeltext verhafteten Gemeinschaft, die als obsolet verrufen ihre verlorenen Schäfchen sucht. Die Kirche ist auch in La Grande Belezza nicht wegzudenken. In Gestalt einer uralten, als heilig verehrten Klosterschwester, die von Afrika nach Rom pilgert, mündet die Frage nach dem Wert von Glauben und göttlicher Hingabe in die metaphorische Gestalt eines grotesken Wesens, das selbst in seiner Weisheit letzten Endes nur noch hohlen Riten folgt, deren Sinn jemand anderem gehören. Dieses Leben und Feiern für die anderen, diese selbstlose Selbstsucht nach Anerkennung und das Inszenieren der anderen, in der Erwartung, selbst inszeniert zu werden – diese Weise enttarnt Sorrentino in vielen episodenhaften, traumartigen Sequenzen, serviert auf bühnenhaften Tableaus, kunstvoll beleuchtet, wie sakrale Portale, die zu namenlosen Erkenntnissen führen sollen, die sich als sprachlos entpuppen, aber dennoch wunderschön sind.

Wunderschön ist La Grande Belezza tatsächlich, wenngleich sein Film viel Geduld erfordert. Das assoziative, irrlichternden Visionen erlegene Kaleidoskop in bunten Farben verpuffender Wohlstandswerte portraitiert eine Welt, die in ihrer verlogenen Affektiertheit für den Zuschauer unanknüpfbar scheint. Was hier abgeht, ist kommunikationsloses Theater, dessen Figuren uns Zusehern so gleichgültig gegenüberstehen, dass der Drang aufkommt, sich anderen Dingen zuzuwenden. Dazugehören will man ganz und gar nicht. Verlockend sind eher die installierten Bilder, die bis ins Detail durchkomponierten Arrangements aus Personen und Kulisse, unterlegt mit hypnotischen Klängen, dazwischen so weltfremd surreal wie antikes Maskentheater, das wir zum Beispiel auch in Fellinis Satyricon finden. Doch so ratlos die scheinbar in fremden Floskeln verlorene Seelenmesse auch anfangs macht, so sehr lässt sich die Wandlung des römischen Jedermann später verfolgen. Kann sein, dass Sorrentino zu sehr auf die Wirkung seiner visionären Bildideen setzt, und dabei in seiner Lust am Rätselhaften den Sinn seines Werkes aus den Augen verliert. Immerhin ergibt sich aber am Ende ein Gesamtbild, eine Umkehr zu neuen Werten, und die Möglichkeit eines neuen Aufbruchs. Rom jedenfalls, die ewige Stadt, die hat seit Fellini nicht mehr so intensiv ihren immer wiederkehrenden Frühling erlebt. Der Sinn dieser Metropole steckt nicht nur in, sondern auch zwischen den alten Mauern, nirgendwo lebt Geschichte so wuchtig wie hier, und das schon mehrere Jahrtausende lang. Sich hier mit seiner eigenen Geschichte nicht zurechtzufinden, ist nur verständlich. Und umso erstaunlicher, zuzusehen, wie sich die Art, im elitären Rausch zu leben, um die ewigen Zeiten hinweg gewandelt – oder gar nicht gewandelt hat. Die große Schönheit ist die, die sich eigentlich nicht darstellen lässt. Vielleicht ist es nur die Erinnerung an das Wichtige, wie bei Jedermann, der mit dem Gewissen ringt.

La Grande Belezza – Die große Schönheit

Dampfnudelblues / Winterkartoffelknödel

MORD NACH OMAS REZEPT

6/10


eberhofer

LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2013/14

REGIE: ED HERZOG

CAST: SEBASTIAN BEZZEL, SIMON SCHWARZ, ENZI FUCHS, ILSE NEUBAUER, EISI GULP, SIGI ZIMMERSCHMIED, STEPHAN ZINNER, DANIEL CHRISTENSEN, LISA MARIA POTTHOFF U. A. 

LÄNGE: 1 STD 31 – 36 MIN


Seit Dem Bullen von Tölz oder den Rosenheim Cops stehen zumindest auf den heimischen Bildschirmen bayrische Heimatkrimis hoch im Kurs. Um mitzuziehen, hat man in Österreich mit der TV-Filmreihe „Landkrimi“ jedem Bundesland ein mörderisches Denkmal gesetzt. Die gewiefte Wortkabarettistin und erfolgreiche Autorin Rita Falk hat mit viel Humor, Lokalkolorit und rabenschwarzen Todesfällen eine höchst unterhaltsame Krimireihe auf den Markt gebracht, die jetzt der Reihe nach verfilmt wird. Schade dabei, dass Josef Hader kein Bayer ist, doch sein Alter Ego ist bereits Wolf Haas´ Kommissar Brenner.

Der Polizist Eberhofer, von Sebastian Bezzel als finnisch anmutende Antwort auf Ottfried Fischer herrlich lakonisch wiedergegeben, steht dem verkorksten österreichischen Ex-Ermittler um nichts nach, nur die depressiv-nihilistische Weltsicht wird durch improvisierenden Pragmatismus ersetzt. Dabei sind die Kriminalfälle selbst, so schräg und skurill sie auch daherkommen mögen, geradezu zweitrangig. Viel sehenswerter ist das dörflich-ländliche Lokalkolorit, die verschrobenen Charaktere, seltsamen Begebenheiten und freiwillig oder unfreiwillig komischen Anekdoten über das Auf und Ab eines gesellschaftlichen Mikrokosmos aus der Provinz. Dieses Erzählkonzept eines Milieu- oder Lokalkrimis hat schon bei der mittlerweile zum Kult gewordenen Reihe von Kottan ermittelt funktioniert. Auch hier sind Figuren und das Rundherum, vorallem aber die absurd-schrägen Einfälle fernab der geradlinigen Krimihandlung das eigentlich Besondere.

Durch den Einsatz von optischen Raffinessen wie Fischauge und Weitwinkelobjektiv erhalten die Verfilmungen der literarischen Vorlage Rita Falks noch einen zusätzlichen Kick an Absurdität und fangen den Stil der Bücher ziemlich gut ein, obwohl, wie so oft, das geschriebene Wort einfach mehr Möglichkeiten hat, im eigenen Kopf die Geschichte wohl am Besten zu illustrieren. Was Eberhofer mit Brenner noch gemeinsam hat ist der Sidekick Simon Schwarz, der wiedermal alle Register seines komödiantischen Könnens zieht. Allerdings kann Enzi Fuchs Ilse Neubauer als ewig schwerhörige und durch die Gegend schreiende Oma des Polizisten Eberhofers, die sich wie ein roter Faden durch die Krimiabenteuer zieht, leider nicht das Wasser reichen. Im dritten Krimi – Schweinskopf al dente – dürfte sich Enzi Fuchs aber wohl eher durchsetzen.

Dampfnudelblues / Winterkartoffelknödel