Nomadland

HEIMKEHREN NACH IRGENDWO

7,5/10


nomadland© 2020 20th Century Fox Studios


LAND / JAHR: USA 2020

BUCH / REGIE: CHLOÉ ZHAO

CAST: FRANCES MCDORMAND, DAVID STRATHAIRN, LINDA MAY, CHARLENE SWANKEY, BOB WELLS U. A. 

LÄNGE: 1 STD 48 MIN


Nomadland ist ein Western. Vielleicht ein Neo-Western, oder ein Spätwestern oder überhaupt ein Post-Millennial-Western. Aber ein Western. Dieses Bild des einsamen Cowboys oder Pistoleros oder Pioniers, der gegen den Sonnenuntergang reitet, immer weiter Richtung Pazifik. Der das ganze Land, all diese Wildnis dort in Nordamerika, sein Zuhause nennt. Umgeben von den Geräuschen der Natur und seinen Launen. Was für ein Mythos. Was für eine Romantik. Chloé Zhao gefällt das. Aber nicht dieses offensichtliche Bild, das ich hier  beschrieben habe. Sondern das Bewusstsein einer Nation dahinter, diese seit den alten Zeiten recht erfolgreich archivierte Gesinnung, die so oft mit Freiheit und allen möglichen Möglichkeiten verbunden wird. Dieses damit einhergehende, stereotype Bild der Männer und Frauen. Doch Chloé Zhao liebt ihr Land, in das sie emigriert ist; will das Nest, in dem sie selbst lebt, nicht beschmutzen; will auch niemanden, der scheinbar falsche Richtungen anpeilt, an den Haaren zurückhalten. Chloé Zhao will etwas nachspüren. Sie ist neugierig, wissbegierig. Will herausfinden, was diese Menschen antreibt, was sie straucheln lässt, wovon sie träumen, wohl wissend, diesen Traum niemals realisieren zu können.

Es ist zwar nichts faul, in diesem Staatenbund, zumindest aus Zhaos Sicht – aber nicht alles läuft nach Plan. Als Hemmschuh gilt der Mythos. Das war schon in ihrem beachtlichen, semidokumentarischen Spielfilm The Rider so. Das Draufgängertum des Rodeos; das toughe, unkaputtbare Männerbild des Westens. Nicht Indianer kennen keinen Schmerz, sondern der junge weiße Mann mit Hut und Halstuch. Ihr Blick darauf ist keiner des Mitleids, sondern des Mitgefühls. Zhao hält sich zurück, will beobachten, besetzt ihre Filme gerne mit Laiendarstellern oder mit genau den Darstellern, die diese ihre Geschichten tatsächlich erlebt haben. Viel Regie bedarf es dabei nicht – diese Menschen müssen nur sein, wie sie sind. Und Zhao bettet all das in eine Geschichte – die allerdings keinen Anfang und kein Ende hat, sondern Momentaufnahmen sind, mit ungewisser Zukunft.

In Nomadland hat Fern alias Francis McDormand (ausgezeichnet mit dem Oscar) ebenfalls einen Traum zu Grabe getragen, im Zuge ihrer existenziellen Not aber einen neuen ausgemacht – einen, der sich möglich und nicht verkehrt anfühlt, weil er dem Nationalbewusstsein entspricht. Sich dem Stolz der Pioniere bedient. So hat Fern also ihren Van, den sie sich recht kommod eingerichtet hat und mit welchem sie von einem saisonalen Job zum nächsten tingelt, quer durchs Land, durch die Prärie und durch die atemberaubend pittoreske Landschaft eines so reichen Kontinents. Sie trifft auf die Kommune der Nichtsesshaften, freundet sich mit urigen Originalen an, findet sogar etwas fürs Herz. Wir sehen den Alltag eines Lebensstils, der schon vor tausenden von Jahren als abgelegt gilt, den die Tuaregs noch praktizieren oder die Hirten der mongolischen Steppe. Nomadland ist ein in sich ruhender, unaufgeregter, sehr präziser Film, der völlig wertfrei einen Zustand widerspiegelt, der weder als trostloses Sozialdrama steht noch als idealisierte Aussteigerromantik. Von beidem hat McDormand etwas, unter beidem leidet und frohlockt sie gleichermaßen. Ihr Spiel ist ungekünstelt und zurücknehmend, direkt beiläufig – und ohne Scham vor kompromittierenden Alltagsszenen. Vielleicht hat ihr eben diese ungeschminkte, lockere Natürlichkeit den dritten Goldjungen eingebracht. Herausragend ist ihre Darstellung nicht, ungewöhnlich auch nicht. Dafür aber so angenehm normal. Diese Normalität sucht man im Kino fast schon vergeblich. Sowas kann McDormand. Und es könnte auch sein, dass sie und Zhao zu einem neuen Dreamteam werden, obwohl ich die Filmemacherin eher als jemanden einschätze, der viel lieber zu neuen Ufern aufbrechen möchte. Wie eben für den neuen Marvel-Film Eternals, der zu Weihnachten in die Kinos kommen soll. Auf ihren Filmstil, verbunden mit dem Disney-Franchise, kann man gespannt sein.

Nomadland ist vor allem auch in seiner Machart bemerkenswert. Zhao begleitet ihre Reisende rund ein Jahr lang, von Winter bis Winter. Und zeigt dabei sehr viel in sehr kurzen Szenen und Sequenzen, die aber, trotz des akkuraten Schnittstils, in ihrer Gesamtheit eine elegische, dahingleitende Ruhe ausstrahlen. Trotz der Umtriebigkeit, trotz der Rastlosigkeit ihrer Protagonistin. Mit Michael Glawogger hat Zhao einiges gemeinsam – vor allem wenn ich mir seinen letzten Film, Untitled, ins Gedächtnis rufe. Beide haben diese Kunstfertigkeit, über das Reale zu erzählen und sich dabei eines prosaischen Alphabets zu bedienen. Das gereicht zu einem geduldigen, wohlwollenden Beitrag für ein neues, altes Hollywood.

Nomadland

Der schwarze Diamant

STEIN DES ANSTOSSES

7/10

 

uncut-gems© 2019 Netflix

 

ORIGINALTITEL: UNCUT GEMS

LAND: USA 2019

REGIE: BENNY UND JOSH SAFDIE

CAST: ADAM SANDLER, JULIA FOX, ERIC BOGOSIAN, IDINA MENZEL, THE WEEKND, KEVIN GARNETT, JUDD HIRSCH U. A.

 

Die kleinen Smaragde, die ich das Glück hatte, letzten Sommer im österreichischen Habachtal zu finden, diese kleinen Uncut Gems, die haben schon eine Wirkung, das brauche ich gar nicht kleinzureden, sowas zu finden hat schon so ein bisschen die Attitüde eines kleinen Schatzes, den man zwar nicht den Fängen eines Drachen entrissen, aber zumindest der Erdgeschichte entnommen hat. Im neuen Film der Gebrüder Safdie geht es um einen weitaus größeren Brocken, um einen so genannten schwarzen Opal, oder genauer gesagt um ein Konglomerat aus mehreren Opalen, halb verborgen im Muttergestein. Der Brocken ist ungefähr so groß wie eine Süßkartoffel – und steingewordener Glücks- und Geldbringer eines jüdischen Juweliers und Wettsüchtlers, der sich damit für den Rest seines Lebens gesund stoßen will. Das Glück ist, wo sie sind, sagt man – oder dort, wo der Stein des Anstoßes gerade herumgereicht wird. Polykrates hätte seine Freude damit, aber womöglich würde er den Stein gar nicht benötigen, war er doch ohnehin zum Glück verdammt. Mit Polykrates musste sich schon unlängst Philipp Hochmair in der österreichischen Psycho-Krimikomödie Glück gehabt herumschlagen. Zu viel dieses diffusen Zustandes der Wohlgesinnung ist bekanntlich ungesund. Obacht, wer es sich zur Obessison gemacht hat, es unentwegt herauszufordern.

In Der schwarze Diamant macht das niemand anderer als der womöglich wirklich zu Unrecht als nerviges Klamaukfilm-Faktotum abgestempelte Adam Sandler. Die Überraschung, ihn in einem Film dieser Art wiederzufinden, ist jedoch nicht über die Maßen groß. Es gibt Sandler bereits in anderen, weniger klamaukigen Produktionen, wie unter anderem in Noah Baumbachs Meyerowitz Stories oder überhaupt schon in dem viel früheren, 2004 entstandenen Werk Punch Drunk Love von Paul Thomas Anderson. Es ist also nicht so, als wüsste man nicht, dass Sandler genauso gut weniger blödeln kann. Mit Der schwarze Diamant aber hat er bislang seinen engagiertesten Auftritt absolviert. Und das war sicher einer, der einiges an Substanz gekostet hat. Nicht aufgrund seiner Art, wie er spielt, sondern vielmehr wen oder was er spielt – und mit welchem irrwitzigen, in seiner Hektik und Ruhelosigkeit kaum zu überbietendem Drehbuch er sich zurechtfinden musste. Seine Figur des Howard Ratner ist die eines idealistischen, obsessiven Hektikers, eines scheinbar ewigen Jägers nach dem großen Jackpot, ein Kaufmann von Venedig, wenn man so will. Einer, der Hasard spielt, unentwegt und so dermaßen auf Speed, dass es schwer fällt, während des Film herauszufinden, wohin Sandler jetzt wieder eilt, mit wem er jetzt wieder telefoniert oder welches Ding er jetzt am Laufen hält. Diese Konfusion alleine reicht aber noch nicht – im Nacken sitzt ein Haufen Gläubiger, die mit der Eintreibung von Schulden wenig zimperlich vorgehen. Und das alles reicht immer noch nicht – dieser wertvolle Stein, der wird zum Infinity-Pusher für einen Basketballer, der sich diesen zwar ausborgt, aber ungern wieder hergeben will.

Wer sich an den urbanen Nachtthriller Good Time erinnern kann – jenen Film mit Robert Pattinson, in dem es ebenfalls um ganz viel Geld geht, das man nicht hat wenn man’s braucht – weiß, welchen ungewöhnlichen Stempel die Gebrüder Safdie ihren Werken aufdrücken: es sind Filme, genauso wie Der Schwarze Diamant, die eine unergründliche Liebe zur Hässlichkeit haben. Das heißt nicht, dass ihre Filme schockieren. Dieses Hässliche, Verbrauchte, Abgemühte, das spiegelt sich in den Visagen plötzlich auftauchender Figuren wieder, die von Gier, Geld und Rache gezeichnet sind. Die ebenfalls alle auf ihren eigenen Sieg setzen, wie Juwelier Ratner, der es allen und am Besten gleichzeitig recht machen will. Unschön ist das, und auch Sandlers gezeichnetes Antlitz ist ein ungeschminktes, unreines Konterfei. Safdies Film ist unerhört ruhelos, hechelnd und hektisch, manchmal hat man das Gefühl, dass mehrere Filme, mehrere Handlungen übereinander liegen, dass die kataklysmische Eigendynamik der von Sandler verursachten Handlungen alle gleichzeitig hereinbrechen. Darin steckt die Anstrengung, welcher er pausenlos schimpfend, zeternd und andere einkochend ein Fünkchen Erfolg abluchsen will. Dabei ist das irre, fiebernde Szenario unterlegt mit einem noch irritierenderen Synthie-Sound, der an die tiefsten Achtziger erinnert, und das ganze Desaster wohl kaum moderater werden lässt. Der schwarze Diamant ist mit all seinen gierenden Geschöpfen (außer Eiskönigin Idina Menzel als Sandlers Ehefrau und einziger Ruhepol) faszinierend unsympathisch, unbequem und pöbelhaft bedrängend. Dennoch erzeugt das finstere Thrillerdrama einen Sog, aus dem wie beim Roulette das oft zitierte rie ne va plus ertönt und das Glück zu einer Belohnung des Karmas wird, mit dem Sandler sichtlich und mit Bravour überfordert ist.

Der schwarze Diamant

KIN

EINEN AN DER WAFFE

7/10

 

KIN© 2918 Concorde Filmverleih GmbH

 

LAND: USA 2018

REGIE: JONATHAN & JOSH BAKER

CAST: MYLES TRUITT, JACK REYNOR, JAMES FRANCO, DENNIS QUAID, ZOË KRAVITZ, MICHAEL B. JORDAN U. A.

 

In den Foyers meiner Lieblingskinos waren sie noch hinter schwer übersehbare Leuchtrahmen gespannt: die Filmposter zum Science-Fiction-Thriller KIN, ansprechend beworben und vielleicht auch gar nicht uninteressant. Ein bisschen verwandt mit Ready Player One vielleicht, aber das hätte auch nur eine Täuschung sein können. Dass der Streifen dann letztendlich doch gar nicht bei uns in den Kinos lief, das wusste ich bis heute nicht. Zur Entschuldigung: andere Filme hatten höhere Priorität, und KIN verabschiedete sich in die hintere Peripherie meiner kinematographischen To-Do-Liste. Aber dann war KIN wieder da, zeitgerecht zum eigenen Retail-Start, und die Neugier daran, wie gut ein Film über eine High-Tech-Wumme eigentlich sein kann, wieder geweckt. Allerdings könnte das Herunterbrechen des filmischen Plots auf extraterrestrische Waffengeilheit am eigentlichen Sinn des Filmes vorbeigehen. Rezensierende Onliner aus diversen Filmredaktionen könnten hier falsche Hoffnungen wecken, oder vorprogrammierte Enttäuschungen. Propaganda für die Rüstungsindustrie könnte im Endeffekt auch ganz anders aussehen. Und tut es auch.

KIN gleicht auf den ersten Blick generischer High Quality einheitsbreiiger Netflix-Dystopien. Die technische Rafinesse erfüllt da immer weit mehr als seine Pflicht, hat stets Hand und Fuß. Ausgebremst werden diese Filme dann eher auf der drehbuchtechnischen Seite. Oder dort, wo sich erstarkendes vielversprechendes Schauspiel einem straffen Dreh-Zeitplan geschlagen geben muss. Zum Glück aber ist das nur der erste Blick. Bei längerer Betrachtung könnte die Langfassung des Kurzfilms The Bag Man, geschrieben und inszeniert von den Neulingen Jonathan und Josh Baker, aus dem Teststudio Oats von Neil Blomkamp stammen. Blomkamp, das wissen wir, ist Spezialist für technologische Science-Fiction, für das Mergen organischer mit extraterrestrischen oder künstlichen Organismen, für das Ausloten technisierter Gesellschaftsformen, die herrschen oder beherrscht werden. Dazwischen herrscht das Gesetzlose. In KIN ist die wie ein überdimensionales Zippo-Feuerzeug aussehende Gerätschaft rätselhaftes Objekt allerdings nicht der Begierde, sondern einer Gelegenheit, die Diebe macht. Gestohlen hat die dubiose X-Box mit Leuchtemblem ein Adoptivjunge namens Eli, der in verlassenen Fabrikgebäuden herumstreunt und nach Rohmaterialien sucht, um diese am Schrottplatz zu verscherbeln.

Dieses formschöne Teil mit Joka-Bett-Aufklappmechanismus entpuppt sich relativ schnell als Kriegsspielzeug, als Waffe gegen wen auch immer, allerdings scheint sie nicht von dieser Welt, und all die gesichtslosen Toten, die da an einem Tag noch zwischen versprengten Trümmern herumkugeln und nächsten Tag verschwunden sind, schüren natürlich den Glauben ans Paranormale. Und hätte der Junge nicht andere Probleme, nämlich jene mit seinem älteren Bruder, hätte er sich auch vermutlich länger darüber den Kopf zerbrochen. Dieser Bruder Jimmy, der ist ein Ex-Knacki, und schuldet einem tätowierten, finster dreinblickenden und diabolisch grinsenden James Franco jede Menge Schutzgeld noch aus Zeiten im Knast. Woher nehmen, wenn nicht auch stehlen, und zwar aus der Portokassa von Papa Dennis Quaids Baufirma. Das Hazardspiel endet natürlich mit dem Sensenmann, und Eli ist bald samt Knarre gemeinsam mit dem windigen Bruder unterwegs auf der Flucht. Dass die Waffe im Laufe des spannenden Katz- und Mausspiels ab und an im Spiel der freien Mächte den Ton angeben wird, war zu erwarten. Wobei die Not am Mann erst zu selbiger greifen lässt. Waffennarren sind hier alle keine am Zug, zum gefälligen Amoklauf im Geiste wird diese Vision auch nicht verleiten, zu nüchtern und reuig gibt sich Newcomer Myles Truitt, der als stoischer Teenie-Freak aus seinen Fehlern lernen möchte. So eine Waffe ist da nicht sehr hilfreich, allerdings ist sie wie ein Spielzeug, dass seine Letalität durch das bunte Verpuffen von Materie, ganz so wie beim Niesen eines Regenbogennashorns, gefährlich verharmlost.

Weniger verharmlost sind die stereotypen Finsterlinge, die sich der üblichen Muster bedienen. Wäre die metaphysische Komponente nicht, die wie ein Cyberpunk-Damoklesschwert über dem routinierten, allerdings straffen Thriller hängt, hätte KIN auch keinerlei Besonderheiten zu bieten. Die rätselhaften Daft Punk-Ritter, die auf spielberg´sche Suspense-Art dem Jungen auf der Spur sind, durchbrechen dann aber doch noch die Dimension des prominent besetzten Eindimensionalen und steuern den Streifen auf ein finster-verspieltes High-Tech- & Crime-Drama zu, voller Action und elegant platzierter Effekte zwischen Tron und einem alternativen Prolog für Enders Game.

KIN

Godzilla II: King of the Monsters

KÖNIGRUFEN MIT GEBRÜLL

3,5/10

 

godzilla2© 2019 Warner Bros. Germany

 

LAND: USA 2019

REGIE: MICHAEL DOUGHERTY

CAST: VERA FARMIGA, KYLE CHANDLER, BRADLEY WHITFORD, MILLIE BOBBY BROWN, CHARLES DANCE U. A.

 

Es heißt ja immer: Gottes Wege sind unergründlich. Das gilt für die Spezies Mensch aber auch, und das schon während ihres ganzen Bestehens, und nicht nur einmal waren die fragwürdigen Entscheidungen weniger der Richtwert vieler, die dann zu beängstigenden Prämissen geführt haben. Gott ist dabei anscheinend fein raus, seine Handlungsweisen haben mittlerweile mehr Sinn. Gott ist auch im Sequel zu Gareth Edwards Godzilla-Entwurf von 2014 nur eine artig verhaltene Fußnote, während der Mensch in Sachen kruder Affekthandlung die Welt wieder mal an den Rand des Abgrunds und darüber hinausführt. Was bin ich froh, dass Klimaschutz-Ikone Greta Thunberg an den Verstand und das Gewissen der drahtziehenden Herrenmenschen appelliert, und nicht irgendwelche Titanen aus dem Koma erweckt. Das scheitert schon allein daran, dass es diese Ungeheuer, soweit wir wissen, gar nicht gibt. Gäbe es sie – würde Greta darauf zurückgreifen, um den Planeten zu retten? Fragen wir sie doch. Vielleicht würde sie meinen, mit Arnie an ihrer Seite hätten wir Begleitschutz, aber nach Sichtung von Godzilla II: King of the Monsters wäre das auch schon in die Jahre gekommene As im Ärmel maximal so hilfreich wie ein Zehenspreitzer am Halux-Stampfer unserer Superechse.

Jedenfalls befinden wir uns in Godzilla II in der Jetztzeit – und überall auf dem Planeten wurden nach Abtauchen der Riesenechse mit dem unstillbaren Hunger nach Atomenergie ganz andere Kreaturen entdeckt, die irgendwie vor sich hinschlummern. Lauter gigantische Dornröschens, die da vor sich hinsägen. Und lauter gigantisch dumme Menschen, die in ihrem Öko-Aktivismus den Abfluss-Häcksler aktivieren, um den Unrat der eigenen Spezies zu dezimieren und so das Gleichgewicht meinen wiederherstellen zu können. Das hatten wir schon in Twelve Monkeys, als Brad Pitt den Zootieren freies Geleit gewährte. Und wir wissen, wie es um den schieläugigen Schönling bestellt war. Aktivismus läuft in unserer Dimension eher auf Greenpeace-Manier ab – mit Schlauchbooten gegen Walfänger und dem Anketten an Atommeilern. Günther Nenning hat damals die Donauauen besetzt, ein Aufstand Marke Gandhi. Doch wahllos die ganze Menschheit zum Handkuss kommen zu lassen, hätte auch er nicht mal im Traum ersonnen. Charles Dance, der Ober-Lennister aus Game of Thrones, der will das schon. Nur glaube ich ihm kein Wort. Genauso wenig wie Vera Farmiga oder Kyle Chandler. Was genau diese Charaktere alle im Schilde führen, ist so seltsam versponnen, krude und konfus wie die politische Correctness populistischer Parteien. Diese Figuren sind alle austauschbar, flach und sind nicht mehr als Beiwerk. Besonders tragisch: die großartige Sally Hawkins als Lückenfüller, die womöglich vertraglich dazu verpflichtet war, hier nochmal die Dramatik Personae aufzuputzen.

Gebracht hat es relativ wenig. Michael Doughertys (z.B. Krampus) Sequel hat die künstlerische Taktik seines Vorgängers Gareth Edwards kaum bis gar nicht verstanden. Oder er hat sie verstanden, wollte nur nicht so geheimnisumwittert penibel seine Monster teasern, vielleicht das Ganze auch einfach so machen, wie sein Geschmack es verlangt hat. Und das ist, gleich rund um den Erdball zu klotzen, als gäbe es kein Morgen. Damit ist der Sprung zum Desastergewitter eines Roland Emmerich wirklich nicht mehr weit, einmal umfallen, und schon sind wir dort. Es stimmt schon, manchmal muss weniger nicht immer mehr sein, oder umgekehrt. Manchmal ist mehr wirklich mehr, aber diese Menge an ikonographischem Flügelschwingen und denkmalverwandten Posen diverser mythologischer Riesen gerät zum inflationären Bauchladenverkauf. Ein Hausieren mit puppenhaften Tieren, die zu groß für Terra sind und zwischen seltsam durchleuchteten Wolkenballungen und Gewitterstürmen so viel Energie freisetzen, dass wir über Jahrmillionen hinweg kostenfrei fernsehen könnten. Was ja auch nicht zwingend unbequem wäre, was uns aber noch mehr den Durchblick nehmen würde, um die kausalen Zusammenhänge unserer Welt zu verstehen. In Anbetracht von Godzilla II – King of the Monsters aber könnten wir uns kosten- sowie bierfrei zudröhnen lassen, bis die Riesenechse nochmal kommt. Hopfen und Malz wäre da nämlich schon längst verloren.

Godzilla II: King of the Monsters

Das etruskische Lächeln

MIT OPA AUF AUGENHÖHE

5,5/10

 

etruskischeslaecheln© 2018 Constantin Film

 

LAND: USA 2017

REGIE: MIHAL BREZIS, ODED BINNUN

CAST: BRIAN COX, ROSANNA ARQUETTE, JJ FEILD, THORA BIRCH U. A.

 

Das österreichische Gesangstrio STS hat ihn bereits besungen, und Heidi wüsste nicht, wo sie ohne ihren knorrigen Almöhi abgeblieben wäre: Es ist die Rede vom Großvater, gemeinsam mit Oma eine familiäre Institution, und die Bindung zwischen Enkel und selbigem kann manchmal sogar noch jene mit dem eigenen Erzeuger in den Schatten stellen. Zu Großvätern geht man, wenn die Paradigmen der Erziehung andere sein sollen, wenn sich die Betrachtung der Welt mal auch aus anderem Blickwinkel aufdrängen will. Gelobt sei da der frische Wind, der festgefahrenen Alltagsmanierismen die Scheuklappen abnimmt. Ungefähr so wie in dem Generationendrama Das etruskische Lächeln, einem Roman des Spaniers Jose Luis Sampedro. Verfilmt wurde die Geschichte von den beiden israelischen Filmemachern Oded Binnun und Mihal Brezis, deren Kurzfilm Aya 2012 für den Oscar nominiert war. In der Hauptrolle: Charakterdarsteller Brian Cox mit blanker Sohle und Dreitagebart, und wenn das Bad im kühlen Atlantik genommen werden soll dann sogar komplett textilfrei. Dieser knurrige alte Eremit, der da an der Küste auf einer Insel der Äußeren Hebriden seinen Lebensabend verbringt, kommt bald unfreiwillig in den Genuss der eigenen Familie, von der er sich doch eigentlich losgesagt zu haben scheint. Gesundheitliche Probleme allerdings zwingen ihn dazu, wieder Kontakt zum Sohnemann aufzunehmen, der noch dazu als frischgebackener Papa des kratzbürstigen Neo-Opas sensible Seiten wachkitzelt. Und nicht nur das – das urbane New York birgt sogar noch einen späten Frühling fürs Herz.

Erstaunlich an diesem Film ist, dass er sich geografisch sehr schwer einordnen lässt. Durch den wuchtigen und erzschottischen Brian Cox mit gälischem Wortschatz bin ich zweifelsfrei der Meinung, hier einen ebensolchen Film vor mir zu haben. In Wahrheit aber ist Das etruskische Lächeln ein amerikanischer Film, inszeniert von israelischen Künstlern, basierend auf einer spanischen Vorlage. Das Lächeln selbst, von welchem hier die Rede ist, finden wir auf den Sarkophagen der alten Etrusker – wer die menschlichen Darstellungen der frühen Italiener vom vielleicht letzten Museumsbesuch noch in Erinnerung hat, weiß, dass diese schlicht modellierten Gesichter zufrieden lächeln, als wären sie von einer inneren Ausgeglichenheit, die jeder Herausforderung spielerisch trotzt. Selbst im Tod ist dieses Lächeln präsent – als wäre das Ableben der Anfang von etwas ganz Großem. Vor so einem dieser Skulpturen steht also dieser Rory MacNail, in einem New Yorker Kunstmuseum, und lernt noch dazu die attraktive Claudia kennen (lange nicht auf der Leinwand: Rosanna Arquette). Vieles scheint sich im fortgeschrittenen Leben des Schotten doch noch zum Guten zu wenden, bevor die Diagnose Krebs ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen bald schon unmöglich macht. Oder doch nicht?

Das etruskische Lächeln kommt über den Reiz eines konventionellen Melodrams, das stellenweise so glatt wirkt wie ein Fernsehfilm, nicht hinaus. Da ändert auch der Schauplatzwechsel und die durchwegs solide Besetzung nichts. Obwohl Vater und Sohn genug Reibungsfläche aufbieten, fehlt hier die Reibung. Es fehlt der richtige Konflikt, oder das ganz große Drama, stattdessen mangelt es, wie bei TV-Produktionen meist das Problem, an dramaturgischer Griffigkeit. Die Momente zwischen Großvater und dem kleinen Enkel sind zwar liebevoll in Szene gesetzt, berühren aber nur bedingt – vielleicht, weil Urgestein Cox nicht nur die Familienbande neu knüpfen muss, sondern auch die der Liebe, für die es natürlich nie zu spät sein kann. Und Heimweh an die wilde Küste kommt auch dazu – zuviel für den alten Mann, und zu viel Unruhe, um einen ruhenden Erzählfokus zu erzeugen. Das lässt das Ganze oberflächlich wirken, was es aber eigentlich nicht ist. Jedenfalls ist das Miteinander der Generationen von Enkel, Sohn und Vater das Herzstück dieser Verfilmung, und der Sprung ins kalte Wasser direkt spürbar – wie sinnbildlich man das auch verstehen mag.

Das etruskische Lächeln

The Ballad of Lefty Brown

NUR EIN MANN UND KEIN BEFEHL

6/10

 

x-default© 2018 EuroVideo

 

LAND: USA 2018

REGIE: JARED MOSHÉ

CAST: BILL PULLMAN, KATHY BAKER, JIM CAVIEZEL, PETER FONDA, TOMMY FLANAGAN, DIEGO JOSEF U. A.

 

Er zieht bei Weitem nicht schneller als sein Schatten, seine Stiefel sind bar jeglicher Blutspuren und wenn man so will, so hat der Teufel mit diesem Mann zwei linke Hände: der ewige Zweite, der Sancho Pansa des Wilden Westens, der devote Diener seines Herrn, das ist Lefty Brown. Allein auf weiter Flur ein Taugenichts, der immerhin nicht vom Pferd fällt uns ganz gut schießen kann. Lefty Brown ist eine treue Seele, die zwar daran scheitert, Verantwortung zu übernehmen, die aber zu Stelle ist, wenn Not am Mann ist, wenn Lynchjustiz mal wieder spruchreif wird oder ruchlose Mörder gefasst werden müssen. Der Gang zum Gericht ist dann eher etwas für Zimperliche – an der Seite von Altstar Peter Fonda (wann habe ich ihn zuletzt wohl in einem Film gesehen?) wird das Strafmaß an Ort und Stelle verhängt und exekutiert. Dieser Peter Fonda, ein Querkopf mit latent aggressiver Moral, darf dann auch nur nicht mehr als einen Gastauftritt absolvieren, denn so jemand, der Tacheles redet, irgendwo im Outback, der bleibt nicht lange gesund. Lefty Brown sitzt plötzlich alleine im Sattel und weiß vor lauter Eigenverantwortung nicht mehr, wo beim Pferd vorne und hinten ist.

Es darf geahnt werden, dass die Erfolgstangente von Zero to Hero relativ planmäßig gezogen wird, nicht umsonst nennt sich vorliegender Western The Ballad of Lefty Brown, denn eine Ballade, die rezitieren kommende Generationen auch nur dann, wenn Ruhm und Ehre auf den Schultern des Besungenen liegen. Der stets verschlafen wirkende Gammler mit dem ungepflegten Franz-Josef-Gedächtnisbart hat also freie Bühne, um zu beweisen, dass auch er trotz fälligen Ruhestands noch dazulernen und so manches, was bislang in so einem patscherten Leben alles schiefgelaufen war, wieder geradebiegen kann. Diese Rolle des gutherzigen, verschrobenen und anfangs relativ unselbständigen Verlierers, die hat der ewig als Nebendarsteller gebrandmarkte Bill Pullman übernommen. Gut, es gibt manches Filmwerk, da hat Pullman durchaus mehr zu sagen, zum Beispiel Lost Highway. Sogar als Präsident im alieninvasorischen Independence Day konnte er lautstark das Volk gegen den Aggressor mobilisieren. Als Lefty Brown zieht der Charaktermime aber alle Register seines Könnens und darf zumindest im Heimkino wohl die beste Performance seiner Karriere vorlegen.

Es ist vor allem Pullman´s Mimik, die unruhigen Blicke, das fahrige Gebärden. Sein Lefty Brown ist ein konfuser Chaot, der angesichts des Schicksals mit rudernden Armen versucht, die innere Mitte zu finden. Klarheit über das eigene, verpfuschte Leben, das plötzlich Sinn macht. Darstellerisch ist das großes, psychologisches Kino, und das in einem eher biederen Rachewestern, der naturgemäß und auf konventionelle Parameter bedacht Schwarz und Weiß malt, und nur scheinbar zufällig Grautöne mit hineinmischt. Klar, dass der gestelzte Manschettenträger Jim Caviezel, den man auch erst auf dem zweiten Blick erkennt, gehörig Dreck am Stecken hat. Auch wenn so manch Gutmensch der Prärie mit seinen inneren Dämonen zu kämpfen hat – unter ihrem plakativen Pathos lassen sie sich alle relativ leicht zuordnen. Independentfilmer Jared Moshé findet für seinen selbst geschriebenen Selbstjustizwestern Bildnisse ockerfarbener Wildnis bis hin zu ausgewaschenem Gelb. Dazwischen eine Farm im Nirgendwo, und das obligate Kaff, in dem sich Recht und Unrecht die Flinte zuwirft. Lefty Brown, obwohl er mit sich selbst genug zu hadern hat, scheint es plötzlich mit der ganzen Welt aufzunehmen, wie ein plötzlich erleuchteter Don Quixote im Unterkleid und mit nichts als der idealen Vorstellung von Gerechtigkeit im zauseligen Hinterkopf.

The Ballad of Lefty Brown bequemt sich als Western alter Tradition, ist ein Abgesang auf den Sturm und Drang draufgängerischer Junghelden und ein Loblied auf das alte Eisen, das dem Pferd immer noch die Sporen gibt, wenn es denn sein muss. Über allem die einnehmende Solo-Performance Bill Pullman´s, die den Film überhaupt erst richtig sehenswert macht.

The Ballad of Lefty Brown

BlacKkKlansman

DER KUCKUCK IM KU-KLUX-KLAN

5/10

 

BlacKkKlansman© 2018 Universal Pictures International Germany GmbH

 

LAND: USA 2018

REGIE: SPIKE LEE

CAST: JOHN DAVID WASHINGTON, ADAM DRIVER, LAURA HARRIER, TOPHER GRACE, JASPER PÄÄKKÖNEN, ALEC BALDWIN U. A.

 

Als Ron Stallworth im Polizeikommissariat Colorado Springs, Abteilung Undercover-Ermittlungen, nach einem Blick in die Tageszeitung zum Hörer greift und auf eine plötzliche Eingebung hin die Nummer des Ku-Klux-Klans wählt, unterliegen nicht nur die Kinnladen der Filmkollegen der Schwerkraft. Dieser Ron Stallworth, der ist nämlich ein Afroamerikaner. Einer der wenigen, die zu dieser Zeit überhaupt in staatliche Dienste gestellt werden, noch dazu sichtbar für das latent rassistisch geprägte amerikanische Volk der Weißen, die damit wenig anfangen können und wo verdeckte Ermittlungen grandios funktionieren, weil einfach niemand damit rechnet, das Schwarze im Umfeld potenzieller Gefahrenquellen herumschnüffeln könnten. Diese einmalige Gelegenheit, die lässt Ron Stallworth nicht verstreichen. Und landet schon alleine mit seinem unverschämten Anruf beim lokalen Gruppenleiter der Kapuzen-Rassisten eine schallende Ohrfeige auf den Wangen Reinheitsgebot predigender Herrenkrieger.

Mit diesem Stoff hat sich Kultregisseur Spike Lee etwas ganz Brisantes ausgesucht. Diese True Story, die sich in den 70ern ereignet hat und auf den Erinnerungen des echten Stallworth beruht, ist kaum zu glauben und schreit danach, vor allem in Zeiten wie diesen verfilmt zu werden: Ein Schwarzer infiltriert und unterwandert das superrechte Lager und gibt ale eine Art „Till Eulenspiegel“ mit Afro den kleinkarierten Unfug der Möchtegern-Arier der Lächerlichkeit preis. Dieses Kunststück der Entlarvung wäre wohl nicht gelungen, hätte Ron Stallworth nicht Kollegen an seiner Seite gehabt, die bei diesem präventiven Schildbürgerstreich mitgespielt hätten. Dank des Juden Flip Zimmerman erschaffen die Undercover-Experten eine fiktive Figur echten Namens, die sowohl vor als auch hinter dem Telefon funktioniert und selbst den nationalistischen Abgeordneten und Oberguru David Duke aufs schneeweiße Glatteis führt.

Wie sehr doch Spike Lee die Möglichkeiten dazu gehabt hätte, den rechtsradikalen Ku-Klux-Klan mithilfe des aufblätternden Witz eines Charlie Chaplin als haltloses Ad-Absurdum-Vehikel darzustellen. Doch die Wut und die Furcht des Filmemachers konnten einfach nicht dulden, der erlebenswerten Realsatire ganz allein das Feld zu überlassen. Spike Lee wollte ein politisches Statement verkünden, dass er aber als Understatement ohnehin schon gehabt hätte. Lee macht es letzten Endes wie Michael Moore – er wird populistisch, und stiehlt durch seinen Populismus seiner intelligenten Chronik der Ereignisse voller Länge die Show. Hätte es die Realszenen am Ende des Filmes zu den Ereignissen des August 2017 wirklich gebraucht? Oder Harry Belafonte´s (welche Überraschung, ihn nochmals auf der Leinwand zu sehen) Chronik der Hinrichtung eines geistig behinderten Schwarzen? Meiner Meinung nach nicht. Meiner Meinung nach fühlt es sich so an, als hätte Spike Lee auf den Zündstoff seiner subversiven Beinstellerei letzten Endes nicht mehr vertraut. Und so soll im Nachhinein die Angst vor Trump und den gewalttätigen Rechten jene Wirkung erzielen, die eigentlich Stallworth als Wolf im Schafspelz hätte erzielen sollen. Dieser Semidokumentarismus, der wäre in Filmen wie Detroit von Kathryn Bigelow besser positioniert gewesen. Aber nicht in einem Film wie BlackkKlansman, der ohnehin ein gebildetes, linksorientiertes Publikum zu erwarten hat, das längst weiß, wie sehr das rechte Nationalbewusstsein derzeit neu erstarkt. BlackkKlansman hätte mit all seiner souveränen Hinterfotzigkeit das Problem von einer ganz anderen, überraschenden Seite anpacken können – nämlich aus der Mitte heraus, wie ins Auge des Sturms teleportiert, und nicht frontal und für alle sichtbar von außen.

BlacKkKlansman ereignet sich vor dem Hintergrund der Black Power-Bewegung. Doch von Power ist der Film weiter entfernt als gedacht. Lee erzählt die irren Ereignisse in einem scheinbar contraindizierten Chill-Modus. Das entschleunigte Tempo bewahrt zwar einen lässigen Überblick, findet aber im Gegensatz zu den anklingenden Soulklassikern kaum einen eigenen Rhythmus. Dieser folglich unentschlossenen Ambition für den Film und des streckenweise verhobenen Timings fallen auch Hauptdarsteller John David Washington und Adam Driver zum Opfer, die natürlich als Undercover-Profis alles andere als wütend, dafür aber von einer gewissen entrückten Gelassenheit beseelt sind, die dem Film noch dazu einiges von seiner eigentlich elektrisierenden Wirkung nimmt. Im Gegensatz dazu gebärden sich die radikalen Sektierer des Ku-Klux-Klans in beängstigendem Fanatismus, allen voran Vikings-Darsteller Jasper Pääkkönen. Vielleicht sollen sogar die unterschiedlichen Verhaltensmuster die Kluft zwischen Absurdität und Verstand stark konstrastieren – die motivierende Energie der Aufklärer fällt allerdings seltsam schal aus.

So muss ich trotz der vielen hochlobenden Kritiken, die zu BlacKkKlansman zu lesen waren, eher enttäuscht feststellen, dass Spike Lee seiner sarkastischen Demaskierung eines so kruden wie zerstörerischen Weltbilds selbst nicht ganz vertraut und dort politische Tagungsreden schwingt, wo cleveres Understatement mit ordentlichem Nachhall für sich allein Bände gesprochen hätte.

BlacKkKlansman

The Florida Project

MARY POPPINS GIBT ES GAR NICHT

6/10

 

floridaproject© 2017 Thimfilm

 

LAND: USA 2017

REGIE: SEAN BAKER

MIT WILLEM DAFOE, BROOKLYNN PRINCE, BRIA VINAITE, CHRISTOPHER RIVERA U. A.

 

Die tropische Halbinsel im Süden der Vereinigten Staaten ist das Paradies wohlhabender Pensionisten, Abenteurer und Panzerechsen-Dompteure, Individualurlauber und Vergnügungssüchtige. Florida hat was. Zumindest habe ich selbst, als ich dort war, ein bisschen den Eindruck gewonnen, was dieser Bundesstaat für Vibes verteilt. Wie sehr massentaugliche Attraktionen reizverwöhntes Publikum um den Finger zu wickeln weiß. Befindet man sich vor den Toren Disneyworlds, kleben wie zuckersüße Geschwüre diverse Motels und Absteigen mit vielversprechenden Namen aus der Märchenwelt an der isolierenden Barrikade, die Mickey Mouse und Co im Schulterschluss rund um Disneys Märchenschloss bilden. Wenn noch nicht mittendrin, dann zumindest nur dabei. Und dann aber quietschbunt, exorbitant penetrant und das gefakte Schlaraffenland der unbegrenzten Möglichkeiten allen und jeden verkaufend, die hier durchziehen, Halt machen oder auch mal vorgekaute Träume schnuppern möchten. Dieses Disneyworld kann man lieben oder hassen. Dazwischen gibt’s womöglich kaum eine Grauzone. Mir reicht schon der Wiener Prater, da ist ein Wochenende zwischen Pappburgen, Junkfood und Erlebniswelten sicher die Gehirnwäsche pur.

Andere können sich davon nicht mal den Dreck unter Mickeys Fingernägel leisten. Sieht man etwas genauer hinter die schweinchenrosa Kulissen, findet man die am Rande der Existenz Gestrandeten in direkter Nachbarschaft zum Konsum- und Erlebnisrausch. Regisseur Sean Baker, der mit Tangerine L.A. 2015 erstmals einen Kinofilm ausschließlich mit dem Smartphone gedreht hat, erzählt die Geschichte eines sozialen Scheiterns aus der Sicht des Mädchens Moonie in Form eines scheinbar lose skizzierten Filmtagebuchs. Da fehlt nicht viel zur Reality-Doku, so unmittelbar und berührungsfreudig nähert sich Baker seinen dahinexistierenden Personen, die noch dazu allesamt von Laiendarstellern verkörpert werden. Mit Ausnahme von Hausverwalter Willem Dafoe, der als guter Geist mit sozialer Ader wie ein Erzähler aus dem Off versucht, Harmonie zu bewahren und es allen recht zu machen. Sternstunde des Schauspiels ist das keine, aber mit Engagement bei der Sache. Das sind auch die vielen Kinderdarsteller, die wiedermal ob ihres Könnens so ziemlich verblüffen. Dass die Emotionen der vagabundierenden Tafelklassler-Gang allesamt echt sind, vor allem die Tränen der kleinen Moonie, erfährt man spätestens gegen Ende des Filmes. Kinder können vor der Kamera echte Naturtalente sein. Diese Tatsache konnte ich schon bei Jeremy Miliker in Die beste aller Welten beobachten. Der Grundschüler hat in dem bemerkenswerten österreichischen Film alle Gefühlsregister seines Könnens gezogen. Das Salzburger Sozial- und Drogendrama hat überdies mit The Florida Project tatsächlich einiges gemeinsam. Und in einem Aspekt unterscheiden sie sich grundlegend: Beide Stichproben finden eine alleinerziehende Mutter mit ihrem Kind, hadernd mit dem Schicksal und sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlagend. Nur – bei Die beste aller Welten hat Verena Altenberger den Willen, etwas Besseres aus ihrem und dem Leben ihres Kindes zu machen. In The Florida Project hat Mutter Haley die Nase voll von diktierten staatlichen Pflichten und denkt nicht mal daran, weder sich selbst noch das Kind aus dem Schlamassel zu ziehen. Mit illegalen Geschäften und Prostitution kratzt Haley die Miete für das Motel zusammen – für mehr reicht es kaum. Und ist es mal mehr, winkt der Kaufrausch. Dazwischen Lausbubenstreiche des unbeschäftigten Nachwuchses, der sich vergeblich nach Input sehnt und um welchen sich im Grunde keiner schert. Straßenkinder des Westens – ein trauriges Bild. Und das aufgrund der Ziellosigkeit, nicht aufgrund der Freiheit, alles sein und tun zu können. Die Grenzen sind die von Disneyworld, nicht die der Erziehung.

Sean Baker meint es unerhört gut. In seiner nüchternen Betrachtung des Alltags und der ungeschminkten Beobachtung erinnert The Florida Project an die Werke Ulrich Seidls. Grimmig ist das Ganze, und zum Verzweifeln nicht nur für Willem Dafoe. Doch irgendwann erreicht Baker einen Punkt, an dem seine Szenencollage redundant wird. Irgendwann ist alles auserzählt, irgendwann wiederholen sich die Tageszeiten, und mir wird klar, dass das tägliche Überleben natürlich längst weder spannend noch auf seine Weise beeindruckend geschweige denn erstrebenswert ist. Ich beginne die Tage zu zählen, an denen wirklich kaum etwas passiert. Die tägliche „Bon jour Tristesse“ wird maximal durch Brandstiftung aus der Monotonie gehoben. Und irgendwann kommt, was kommen muss.

The Florida Project hat im Grunde kaum eine Handlung, was meines Erachtens zu wenig für einen Spielfilm ist. Als experimentelles Projekt durchaus interessant, aber Baker will die Gesichter seiner Jungdarsteller so oft wie möglich zeigen, immer und immer wieder. Und bevor sein Film nicht mehr herzugeben scheint als ein Nachmittag im Hinterhof der Integrationssiedlung Schöpfwerk, setzt es in den letzten Minuten noch gehörig Dramatik, und so etwas Ähnliches wie eine Story kristallisiert sich rückwirkend aus der Improvisationsagenda der Aussichtslosigkeit. Was dann passiert, ist von schonungsloser, zynischer Bitterkeit – und schenkt The Florida Project doch noch das gewisse Etwas, das in Erinnerung bleibt.

The Florida Project

Florence Foster Jenkins

MUSIK IST, WENN MAN TROTZDEM SINGT

6,5/10

 

fosterjenkins© 2016 Constantin Film / Quelle: hollywoodreporter.com

 

LAND: USA 2016

REGIE: STEPHEN FREARS

MIT MERYL STREEP, HUGH GRANT, SIMON HELBERG U. A.

 

Meryl Streep hat es nach Mamma Mia wieder getan. Sie hat sich abermals dem Gesang hingegeben. Doch diesmal nicht in blauer Latzhose und Lockenmähne, sondern in aufgerüschten Blusen und jeder Menge Schmuckbehang. Denn Meryl Streep – nach wie vor womöglich einer der besten amerikanischen Schauspielerinnen und in keinster Weise überbewertet – ist Madame Florence Foster Jenkins. Ihres Zeichens die wohl beliebteste schlechteste Sängerin, die jemals von sich Reden gemacht hat. Und tatsächlich gibt es eine einzige Schallplatte, die ihr „alternatives“ Gesangstalent für die Ewigkeit konserviert hat. Denn hat man es nicht gehört, kann man es kaum glauben.

Die leidenschaftliche, gutherzige und an Syphilis erkrankte Dame lebte und starb für die Musik. Nicht unbedingt zwingend für ihre, aber generell für den gespielten und gesungenen Ton, bevorzugt aus der Klassik. Was in Anbetracht ihres gesellschaftlichen Stands nicht außer Acht gelassen werden sollte, ist, dass Florence steinreich war. Ihr Musikverein zog Tonkünstler aller Klassen an. Alle wollten sie Geld. Unterstützung für ihr Projekt. Für das Ideal, die Idee, der großen Kunst. Da kann jemand wie die sozial engagierte, ältere Dame kaum widerstehen. Als Dankeschön, und um den musischen Goldesel bei Laune zu halten, winkt die Anerkennung für ihren Gesang, obwohl eben dieser grottenschlecht ist. Eine traurige, bittere Konstellation. Die heile Welt von Florence Foster Jenkins – zum Großteil eine Lüge. Diese Lüge und den Vertrauensmissbrauch eines zwar naiven, aber unendlich großherzigen Menschen hat schon Catherine Frot alias Madame Marguerite um ihre schiefen Töne gebracht. Die 2015 entstandene französische Produktion hat die Lebens- und Leidensgeschichte der Florence Foster Jenkins als lose Vorlage für ein ähnlich gestaltetes Drama hergenommen. Dieses ist mit Abstand zynischer, schwermütiger und beklemmender geworden. Ein sehenswerter Film, keine Frage.

Die ziemlich nah an Foster Jenkins´ Biografie angelehnte Verfilmung von Stephen Frears ist betulicher, liebevoller und versöhnlicher. Allerdings auch langatmiger. Frears hat das Jahrzehnt des großen Schaffens irgendwie hinter sich gelassen. Von der Intensität seiner Gefährlichen Liebschaften oder Hero ist kaum mehr etwas über. Seit The Queen mit Helen Mirren, der meines Erachtens völlig überbewertet wurde (nicht aber Helen Mirren´s schauspielerische Leistung), ist der irische Regisseur ein Garant für in sich stimmige, aber zähe Unterhaltung, die sich in stets flüchtigem Plauderton in die Länge zieht. Das ist teilweise auch bei Florence Foster Jenkins der Fall, obwohl es auch hier darstellerisch überhaupt nichts zu meckern gibt. Die Streep ist wie immer souverän und auf fast schon routinierte Weise grandios. Selbst Hugh Grant blüht in diesem kostüm- und requisitenorientierten Requiem auf eine Muse ohne Talent zur Höchstform auf und präsentiert den zweigleisig fahrenden Ehemann an Florences Seite als aufrichtige Altersrolle. Nicht zuletzt begeistert Big Bang-Ingenieur Simon Helberg als verschrobener, aber herzenstreuer Pianist an der Seite der Grand Dame mit skurril-sympathischen Momenten.

Florence Foster Jenkins ist Schauspielerkino mit leicht enervierenden Klangerlebnissen und einem Faible für Schmuck, Mode und Bühnenpräsenz. Ähnlich einer mittelmäßigen Oper, deren Arien in Erinnerung bleiben, die ausgesessenen Intermezzi aber, bis auf die Kulissen, klanglos verhallen.

Florence Foster Jenkins

Manchester by the Sea

LEBEN, ERBARME DICH MEINER

* * * * * * * * * *

manchester

Wieviel seelischen Schmerz verträgt der Mensch? Oder gibt es einen Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt und die Psyche entweder dem Wahnsinn verfällt, Suizid als einziger Ausweg erscheint oder die gequälte Person als ausgebrannter, lebender Leichnam durch den Rest seines Lebens wandelt. In alle drei Fällen hat man im Grunde schon kapituliert, aufgegeben, resigniert. Keine erbaulichen einleitenden Worte, um einen Film zu beschreiben. Aber ich mache euch auch nichts vor.

Das, was in Manchester by the Sea dem jungen Familienvater Lee Chandler wiederfahren ist, lässt sich nie mehr, zumindest nicht in diesem Leben, überwinden. Eine Tragödie, die nicht nur ihn, sondern auch seine Ehefrau (unfassbar zerbrechlich: Michelle Williams) an den Rand des Erträglichen und darüber hinaus geführt hat. Solche Menschen wie diese beiden finden entweder einen Neuanfang oder lassen sich im übertragenen Sinne begraben, ohne Chance, sich selbst zu verzeihen oder ein neues Leben zu beginnen.

Kenneth Lonergan´s selbst verfasstes und inszeniertes Drama ist wie ein Bühnenstück Ödön von Horvaths, in welchem sich die Poesie Nick Caves hineinstiehlt. Ein erschütterndes, tieftrauriges Requiem auf das Familien- und das Lebensglück. Eine in graublauen, winterkalten Bildern komponierte Ballade auf Vergebung, Erlösung und Trauer. Inmitten des elegischen, düsteren, aber niemals depressiven Reigens an Gefühlen und Begegnungen verweilt Ben´s Bruder Casey Affleck in einer Stasis der emotionalen Ausgebranntheit. Den Schmerz verschüttet, das Leben an den Rand der Wahrnehmbarkeit gedrängt und auf das Notwendigste heruntergefahren. Affleck gibt den gebrochenen, vom Schicksal verratenen Versehrten als auf seine Grundfunktionen reduzierten Schatten seiner selbst. Ausdruckslos, impulsiv aggressiv und verbittert. Zumindest muss das Leben weitergehen, der Tod wäre keine Lösung. Und auch kein befriedigender Ansatz. So hat sich Casey Affleck alias Lee Chandler dazu entschieden, sich selbst lebenslang in ein Freiluftgefägnis zu begeben, das ihm jegliche Erlösung verwehrt. Erst als sein herzkranker Bruder das Zeitliche segnet und dessen Sohn, großartig gespielt von Newcomer Lucas Hedges, laut testamentarischem Wunsch unter die Obhut seines Onkels soll, erwacht der zurückgezogen lebende, resignative Hausmeister aus Boston ein bisschen mehr zum Leben. Zaghaft, leise, fast unmerklich. doch irgendwie entdeckt Chandler in sich selbst sowas wie Verantwortung. Eine neue Sinnhaftigkeit. Etwas, wofür es sich zum Weiterleben lohnt, obwohl vieles nie mehr verheilen wird und die Welt zu einer guten wird.

Kenneth Lonergan fängt gar nicht erst an, seinem Film auch nur irgendwie jenes Pathos oder jene Gefühlsduselei zu verleihen, die wir aus vielen amerikanischen Melodramen gewohnt sind. Lonergan beobachtet seine Protagonisten mit den Augen eines Realisten. Mitunter auch mit den Augen eines zuhörenden Therapeuten, ohne sich auch nur in bemühten Erklärungen zu verlieren. Die Schauspieler sprechen für sich. Die Szenen erklären sich aus ihrer behutsamen Inszenierung heraus besser, als es jeder Effekt des Tränendrüsendrückens hinbekommen hätte. Und dabei ist die Traurigkeit des Filmes eine ganz andere. Eine kühle, nüchterne, in der Ganzheit eines menschlichen Lebens betrachtete Traurigkeit. Und ihr sitzt man bei Betrachtung des Filmes hilflos gegenüber wie Affleck vor den Trümmern seiner Existenz. Dazu noch fast schon beschämt. Denn wie es nun mit dem Umgang bei einem trauernden, verzweifelten Menschen so ist, gewinnt die Ratlosigkeit die Oberhand. Das Gefühl, helfen zu müssen, wäre fast schon anmaßend, wenn man das Ausmaß des Unglücks betrachtet. Jeder stirbt für sich allein, und jeder trauert für sich allein. Eine ernüchternde Erkenntnis, der sich auch Casey Affleck stellen muss. Und der Zuschauer ebenso, obwohl es äußerst unbefriedigend ist. Er-Lösungen lassen sich eben nicht so schnell finden. In Manchester by the sea bricht die persönliche Apokalypse nicht wie eine alles erzitternde Naturkatastrophe herein. Sie erscheint urplötzlich wie ein erbarmungslos konsequentes Naturgesetz. Und schafft einen neuen Status Quo des Lebens, ohne ihn zu bewerten. Der Mensch bewertet ihn selbst. Und lebt damit. Ganz Ödön von Horvath. Unweigerlich denke ich an sein Drama Der jüngste Tag – in ähnlichem Ausmaß, und in ähnlicher Intensität, schildert der österreichische Dramatiker die Geschichte eines fatalen Fehlers und dessen Auswirkung in Seele und Gesellschaft. Lonergan orientiert sich auch am skandinavischen Erzählkino und schafft es, Emotionen zuzulassen, deren Skalen nach oben offen sind, sich authentisch anfühlen und niemals falsche Hoffnungen wecken.

Das stille, sehr schwere, aber niemals schwermütige Drama ist kein Film, der Spaß macht. Kein Film, der erquickt, ausgleicht oder für gute Stimmung sorgt. Aber von Hoffnungslosigkeit und Resignation ist Manchester immer noch weit entfernt. Zugegeben, das Schauspielkino hat sogar einen gewissen leisen Witz. Und einen zaghaften Silberstreifen am Horizont. Den man aber allerdings nur vermutet. Doch auf den Mut, auf den kommt es an.

 

 

 

Manchester by the Sea