Die My Love (2025)

JENNIFER LAWRENCE STECKT FEST

5/10


© 2025 MUBI / Polyfilm


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH, USA 2025

REGIE: LYNNE RAMSAY

DREHBUCH: LYNNE RAMSAY, ALICE BIRCH, ENDA WALSH, NACH EINEM ROMAN VON ARIANA HARWICZ

KAMERA: SEAMUS MCGARVEY

CAST: JENNIFER LAWRENCE, ROBERT PATTINSON, LAKEITH STANFIELD, SISSY SPACEK, NICK NOLTE, SARAH LIND, GABRIELLE ROSE, VICTOR ZINCK JR., DEBS HOWARD U. A.

LÄNGE: 1 STD 58 MIN


Laut dem Portal gesundheit.gv.at äußern sich die Anzeichen für eine postnatale Depression wie folgt so: Andauernde getrübte Stimmung, Ängste, Schlafstörungen, Störungen der Konzentration, Grübeln, Zweifel am Selbstwert und Verlust von Interessen. Letzteres Symptom ist bei Jennifer Lawrence ganz stark ausgeprägt: Die junge Mutter, die mit dem neugeborenen Sohn und ihrem Ehemann ins leerstehende Haus von dessen Onkel zieht, der sich, wie sich später herausstellt, mit der Schrotflinte umgebracht haben soll, findet sich in Lynne Ramsays neuestem Film in einem festgefahrenen Zustand wieder, der mit der Überdrüssigkeit gleichgesetzt werden kann, nicht schon wieder all die Stereotypen einer kinderpflegenden Hausfrau zu übernehmen, die nur darauf wartet, dass der geldverdienende männliche Part endlich heimkommt, um dann in die bereits bereitgestellten Hauspantoffeln zu schlüpfen, die ihn geradewegs an den Mittagstisch bringen, wo das mit Liebe zubereitete Essen auf die Minute genau vor sich hindampft.

Wenn Rollenbilder langweilen

Grace, diese zutiefst gelangweilte Mutter, will das nicht. Es kotzt sie an, es quält sie Tag für Tag, es unterfordert sie, ihren geliebten Sohn, dem sie für all das nicht die Schuld gibt, im natürlichen Rhythmus der Monotonie beim Heranwachsen Gesellschaft zu leisten. So was machen Mütter eben? Mittlerweile längst nicht mehr. Doch Robert Pattinson kommt nicht auf die Idee, diese Rollenbilder neu abzuwägen, obwohl er ganz genau weiß, dass Grace sehr wohl Ambitionen hat, als Schriftstellerin Karriere zu machen. In diesem ländlichen Amerika bringt die Verweigerung eines solchen Umdenkens vielleicht eine Art Rosenkrieg. Letztes Jahr auf der Viennale lief ein ähnlicher Film, weitaus komödiantischer, der sich mit den verteilten Rollen innerhalb eines familiären Mikrokosmos auf phantastische Weise auseinandersetzt: Nightbitch. Während Amy Adams den Determinismus der Mutterfigur auf archaische Weise hinterfragt, will Jennifer Lawrence einfach nur dieser Stasis entkommen.

Auf der Stelle rotieren

Doch Jennifer Lawrence steckt fest. Weil Lynne Ramsay feststeckt. Die My Love, basierend auf dem schwarzhumorigen Roman Mátate, amor der Argentinierin Ariana Harwicz, will Lawrence spielfilmlang die Möglichkeit geben, in mannigfaltiger Ausdrucksweise Symptome der Langeweile und der Antriebslosigkeit darzustellen. Da fällt ihr vieles ein – was man eben so tut, wenn man sich zu nichts überwinden kann, wir kennen so einen Zustand zumindest temporär und ohne klinischer Diagnose mehr als gut. Da gibt es Tage, da hat man zu gar nichts Lust. Jennifer Lawrence hat das zwei Stunden lang. Vorzugsweise kriecht sie dabei wie ein Tier auf allen Vieren durchs kniehose Gras vor dem Haus. Depressiv wirkt sie dabei nicht, eher auf pauschalisierte Weise durchgeknallt, was nun weniger ein Krankheitsbild darstellt als die Möglichkeit, ungehemmt zu schauspielern. Wonach genau sie sich dabei orientiert? Ihre Rolle gibt keine Richtung vor, nur den Unwillen für alles, den Willen des Ausbruchs überspielend. Robert Pattinson ist die ganze Zeit zwar auch zugegen und gleichzeitig aber auffallend abwesend, als hätte er gegen das exaltierte Spiel seiner Schauspielkollegin sowieso keine Chance.

Rockstar der Psychose

Das sieht auch Ramsey so und interessiert sich kaum für alles Periphere in diesem Psychogramm des Stillstands, das lediglich eine Ausgangssituation für etwas beschreibt, was die ganze Zeit nicht kommt. Immer und immer wieder das gleiche, immer und immer wieder die indisponierte Jennifer Lawrence zwischen kindlicher Überdrehtheit und an den Wänden hochgehender Fadesse, stets auf eine Weise angekündigt, die den großen, abgründigen, gespenstischen Psychothriller verspricht, und dann aber nur Zaungast der ersten Reihe die rockstarähnliche Aufbäumung einer Psyche anhimmelt, die in einer saftigen Krise steckt. Mehr wird das Ganze nicht, und irgendwann ist nicht nur Jennifer Lawrence langweilig, sondern auch mir, dem Zuseher, der hinter all der Verhaltensauffälligkeit einen hohlen Kern vermutet.

Filmische Psychogramme, die Krankheitsbilder geschickt in einen Thriller verpacken, mögen mitunter gelingen, so wie Roman Polanskis nihilistisches Paranoia-Drama Ekel mit Catherine Deneuve, die auf eine Weise dem Wahnsinn verfällt, da läuft es einem kalt den Rücken runter. Suspense trifft auf Psychose – den Suspense lässt Die My Love nicht durch die Tür.

Die My Love (2025)

The Woman in the Yard (2025)

DIE PSYCHE IM SONNENLICHT

4/10


© 2025 Blumhouse


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: JAUME COLLET-SERRA

DREHBUCH: SAM STEFANAK

KAMERA: PAWEL POGORZELSKI

CAST: DANIELLE DEADWYLER, OKWUI OKPOKWASILI, PEYTON JACKSON, ESTELLA KAHIHA, RUSSELL HORNSBY U. A.

LÄNGE: 1 STD 28 MIN


Normalerweise beschäftigt sich Regisseur Jaume Collet-Serra eindeutig mehr mit hemdsärmeligen Actionthrillern, kunterbunten  Gehversuchen im DC-Universum oder halblustigen Dschungelfahrten. Auch der eine oder andere B-Movie-Horror geht auf seine Kappe – doch so etwas wie The Woman in the Yard ist im Grunde völlig fremdes Terrain. Was hat Collet-Serra also dort verloren, in diesem metaphysischen, spielfilmlangen Arthouse-Konstrukt, in dieser Homestory einer mysteriösen Heimsuchung, die sich trotz ihrer fantastischen Elemente ernüchternd profan gibt. Ein Psychothriller aus dem populärwissenschaftlichen Nachschlagewerk über psychologische Krankheitsbilder, gerne wohl einsortiert im wohnzimmerlichen Einbauschrank, falls mal irgendetwas mit Vater, Mutter oder Kind nicht stimmen sollte. Und ja, in diesen vier Wänden läuft vieles nicht mehr, wie es sollte, nachdem der gute Ehemann und Vater bei einem Autounfall ums Leben kam. Ramona (Danielle Deadwyler, u. a. Till – Kampf um die Wahrheit) stemmt mehr schlecht als recht den Haushalt und betreut ihre nun halbwaisen Kinder, Mädel und Bub, wobei letzterer seiner jüngeren Schwester immer wieder Angst einjagt.

Das aber wäre das geringste Problem, da die am Unfall beteiligte Mutter, selbst noch in der Rehabilitationsphase, den Alltag nur schwer auf die Reihe bekommt. Unbezahlte Rechnungen, ein desolates Auto und ein leerer Kühlschrank mobilisieren den Ausnahmezustand, Strom gibt’s auch keinen mehr und gerade in diesem Moment, wo man wirklich keine anderen Probleme mehr benötigt, bekommen die drei Besuch von einer Unbekannten. Unweit des Hauses, vor dem Zufahrtsweg, sitzt eine komplett in Trauerflor gehüllte Dame in einem eigens mitgebrachten Stuhl. Sie sitzt hier bei strahlendem Sonnenschein und wartet. Was das zu bedeuten hat, lässt sich nicht so recht in Erfahrung bringen. Ramona will die Verhüllte zur Rede stellen, doch diese spricht nur davon, dass dies nun endlich der Tag sei. Welcher Tag? Was wird passieren? Wie eine Prophetin aus einer anderen Dimension markiert sie als eine Botin des Schicksals den Wendepunkt einer Existenz voller Selbstvorwürfe, Schuldgefühle und ohnmachtsanfälliger Depressionsschübe.

Diese einer Ahnfrau nachempfundene Schreckensgestalt hat ein großes Problem: Sie ist nicht konsistent. Die Figur in ihrer Erscheinung passt nicht zu ihrem Handeln. Natürlich schaffen Drehbuchautor Sam Stefanak und Collet-Sera einen hohen Faktor des Unberechenbaren, doch genau darin wirkt The Woman in the Yard wenig durchdacht. Mal wirkt das Horrordrama wie moderner Gothic-Grusel, dann aber bemüht man psychologischen Surrealismus, der die bislang subtile Erzählweise in plakativer Bedeutungsschwermut übermalt und übertüncht. Als sinnbildliches Psychodrama will The Woman in the Yard zu viel abbilden und überlässt so gut wie nichts der eigenen Vorstellungskraft. Die generischen Charakterbilder einer vom Schicksal gebeutelten Familie genießen hier keinerlei Fine-Tuning, und so wird klar, dass Collet-Sera im Eigentlichen auf einer ganz anderen Klaviatur spielt, auf einer eher soliden, physisch und nicht psychisch starken. Die Schwäche in der Handhabung eines so schwerwiegenden Stoffs, für die es behutsame Dramaturgie braucht, verursacht ein vertracktes Durcheinander voller Budenzauber und langen Schatten – das ist weder neoromantisch noch empathisch, sondern vor allem verwirrend und allzu grob durch diverse Realitäten jagend.

The Woman in the Yard (2025)

Feinfühlige Vampirin sucht lebensmüdes Opfer (2023)

BLUTJUNG DURCH DIE NACHT

8/10


Humanist Vampire Seeking© 2023 H264

ORIGINALTITEL: HUMANIST VAMPIRE SEEKING CONSENTING SUICIDAL PERSON

LAND / JAHR: KANADA 2023

REGIE: ARIANE LOUIS-SEIZE

DREHBUCH: ARIANE LOUIS-SEIZE, CHRISTINE DOYON

CAST: SARA MONTPETIT, FÉLIX-ANTOINE BÉNARD, STEVE LAPLANTE, SOPHIE CADIEUX, NOÉMIE O’FARRELL, MARIE BRASSARD, ARNAUD VACHON, PATRICK HIVON U. A.

LÄNGE: 1 STD 31 MIN


Von wegen seelenlose Böslinge: Vampire sind von dämonischen Mächten verfluchte Gestalten, die sehr wohl zu allerlei Empfindungen fähig sind. Das einzige Problem: Sie können eben nicht anders, und müssen, um selbst zu überleben, anderen wehtun. Wie Raubtiere, nur menschlich. Doch wie menschlich können Bram Stokers Blutsauger denn überhaupt noch sein? Wie sehr erinnern sie sich noch an ihren Urzustand als sterbliches Individuum, sofern sie nicht ohnehin schon als Vampir auf die Welt gekommen sind? Lässt sich ein Gewissen ausprägen wie jenes, welches die kleine Sasha verspürt? Gerade mal zu ihrem 68. Geburtstag gibt’s ein ganz besonderes Geschenk: einen menschlichen Partyclown, den die ganze Sippschaft als Highlight des Tages gemeinsam ausschlürfen darf. Auch Sasha soll langsam von Blutkonserven auf Selbstfang umerzogen und vorbereitet werden – doch das untote Mädchen weigert sich. Die feinfühlige Vampirin, von welcher schon im Titel die Rede ist, bringt es nicht übers Herz, unschuldige Sterbliche zu ermorden, auch wenn es dabei ums eigene Überleben geht. Mit dem Latein am Ende, wird Sasha an ihre ältere Cousine übergeben, die ihr zeigen soll, wo und wie geerntet wird. Als alles danach aussieht, als würde das Mädchen sich lieber selbst als andere tilgen, macht sie die Bekanntschaft mit dem depressiven Paul, der nichts lieber tun würde als seinem eigenen Leben ein Ende zu bereiten. Noch dazu, wenn es anderen zum Vorteil gereicht.

Man kann sich vorstellen, welchen Pakt die beiden jungen Gestalten eingehen werden. Wenn einer gibt, kann der andere nehmen. Doch so einfach scheint nicht mal das zu sein. Denn zwischen Sasha und Paul entwickelt sich sowas wie Zuneigung und Respekt vor den Prinzipien des jeweils anderen. Und nicht nur das: Es könnte sogar sein, als entspänne sich obendrein eine kleine Romanze, wenn die Vampirin ihr Opfer zu sich nachhause einlädt, um der Lieblingsschallplatte zu lauschen. Eine Szene, die zu den unvergesslichsten des Films zählt – lakonisch und liebevoll.

Wer sich noch an Jim Jarmuschs Only Lovers Left Alive mit Tilda Swinton und Tom Hiddleston erinnern kann, sieht in Feinfühlige Vampirin sucht lebensmüdes Opfer eine gewisse Verwandtschaft. Das liegt vorallem an Sara Montpetit, die als so blasses wie zartes Geschöpf der Nacht, die den Look von Wednesday Addams und Sheila Vand als Vampirin aus A Girl Walks Home Alone at Night trägt und mit minimaler Mimik eine ganze Bandbreite an Emotionen präsentiert. Mit ihr hat Ariane Louis-Seize in ihrem Langfilmdebüt dem Genre des Vampirfilms erfrischend unkitschige Vibes hinzugefügt. La Boum für Nachtgestalten, mit Anlehnung an den Kosmos von Anne Rice, die mit der Thematik humanistischer Zähnefletscher Louis-Seize vielleicht sogar inspiriert hat. Und auch wenn die Idee nicht unbedingt neu ist – die Balance zwischen Komödie und atmosphärischem Vampirfilm zu finden, ohne seine Figuren jemals auch nur ansatzweise der Lächerlichkeit preiszugeben, zeugt von einem empathischen Inszenierungsstil und viel Liebe für all die schrägen und todessehnsüchtigen Charaktere. Félix-Antoine Bénad als Möchtegern-Selbstmörder Paul ist ebenfalls eine Entdeckung, er wäre in Harold and Maude wohl eine treffsichere Wahl für ersteren gewesen. Doch statt der alten Dame ist es diesmal ein mysteriöses Mädchen – beide zusammen sind wohl eines der erquicklichsten Paare des Filmjahres. Und wenn beide dann versuchen, das Beste aus ihrer misslichen Lage zu machen, ohne ihre Ideale zu verraten, strotzt der Film nur so vor Cleverness.

Das ganze Twilight-Franchise ist im Gegensatz zu dieser samtschwarzen, urbanen Mär einer Zuneigung lediglich die Behauptung einer empfundenen Romanze. Diese zarten Bande, die hier geschlossen werden, sind dem feingeistigen Understatement eines Vampir-Daseins würdig. Inklusive nadelspitzer Eckzähne. Denn ohne die geht es nicht. Oder doch?

Feinfühlige Vampirin sucht lebensmüdes Opfer (2023)

The Son (2022)

LIEBE ALLEIN REICHT NICHT

7,5/10


theson© 2022 Leonine


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN, FRANKREICH 2022

REGIE: FLORIAN ZELLER

BUCH: FLORIAN ZELLER, CHRISTOPHER HAMPTON, NACH FLORIAN ZELLERS THEATERSTÜCK

CAST: HUGH JACKMAN, ZEN MCGRATH, LAURA DERN, VANESSA KIRBY, ANTHONY HOPKINS, HUGH QUARSHIE U. A.

LÄNGE: 2 STD 3 MIN


Vor zwei Jahren beeindruckte Sir Anthony Hopkins ungefähr so wie Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva In Michael Hanekes Liebe: als alter Mann, der zusehends unter Demenz leidet und dessen Leben immer mehr und mehr an Bodenhaftung verliert. Unbekannte Leute gehen in seiner Wohnung ein und aus, und plötzlich ist die eigene Tochter eine völlig fremde Person. Das gemütliche Wohnzimmer wird plötzlich zur Einrichtung in einem Pflegeheim, und der Vater muss sich am Ende fragen: Wer bin ich eigentlich? So erschütternd wie Felix Mitterers Sibirien, und so sehr jenseits gängiger Sehgewohnheiten konzipiert, dass man meinen könnte, einem Psychothriller beizuwohnen, so spannend gelingen hier einzelne Szenen, die nachhaltig im Gedächtnis bleiben. Ein Drama aus der Sicht eines Demenzkranken inszenieren – das ist großes, bewegendes und auch verstörendes Kino. Dieses Jahr legt Florian Zeller ein weiteres seiner Theaterstücke nach, um es auf die Leinwand zu bringen: Vom Father geht es nun zum Sohn – wobei beide Geschichten nichts miteinander zu tun haben, obwohl Anthony Hopkins auch hier einen Patriarchen gibt, der aber völlig anders veranlagt ist als jene Figur aus 2021.

In The Son steht nicht nur Newcomer Zen McGrath im Mittelpunkt, als eben jener Filius, den Timothée Chalamet auch hätte spielen können, dessen Gesicht aber mittlerweile schon viel zu bekannt geworden ist, um einen so erfrischend unbeeinflussten Charakter zu interpretieren, wie McGrath es eben tut. Neben seiner Performance agiert Hugh Jackman als dessen Vater und erfolgreicher Anwalt, der schon bald die Karriereleiter noch höher hinaufsteigen könnte, wenn er nur wollen würde. Peter Miller, so nennt er sich, hat sich von seiner alten Familie getrennt und ein neues Leben angefangen. Mit neuer junger Frau (Vanessa Kirby grandios zurückhaltend) und frischem Nachwuchs im Windelalter. Alles wäre so perfekt, wie ein Leben nur sein kann – gäbe es da nicht auch noch den mittlerweile siebzehn Jahre alten Sohn aus erster Ehe, Nicholas. Natürlich, um diesen jungen Mann muss sich Papa natürlich auch kümmern, und so sucht Ex-Frau Kate (Laura Dern) Hilfe beim Vater ihres Sohnes, denn dieser scheint bereits über Monate hinweg die Schule zu schwänzen. Irgendetwas liegt da im Argen, und Peter soll sich der Sache annehmen. Das tut er auch, denn dieser will schließlich nicht so kaltherzig seine Karriere über alles andere stellen wie seinerzeit sein eigener Vater (Anthony Hopkins als egozentrischer Machtmensch). Kann sein, dass so eine dichte Agenda aus Arbeit und Privatem einen weltgewandten Menschen wie Peter nicht so schnell aus der Bahn werfen kann, doch dann will Nicholas bei Papa einziehen, um seinen Weltschmerz in den Griff zu bekommen. Was ist das für eine abstrakte Umschreibung, was treibt den jungen Mann bloß zu so düsteren Gedanken, die kurz davor sind, in suizidale Impulse überzugehen? Ganz klar: Nicholas leidet unter akuter Depression – einer Krankheit, die so abstrakt ist und sich so schwer fassen lässt, dass niemand sie so recht verstehen kann, wo keiner weiterweiß und wo die eigenen Eltern fest davon überzeugt sind, allein mit ihrer Liebe dem psychischen Schreckgespenst Herr werden zu können.

Wie bereits beschrieben, findet Florian Zeller jede Menge bekannte Gesichter für sein wahrlich intensives Drama, das sich nicht nur mit den psychologischen Folgen beschäftigt, wie sich der Zusammenbruch einer Familie vor allem auf junge Menschen ausprägt. Zeller geht einen Schritt weiter und betritt die unberechenbaren Symptompfade einer juvenilen Depression, mit der niemand, der nicht vom Fach ist, wirklich Herr werden kann. Jackman als aufrechter Vater, der tatsächlich alles richtig machen will, sieht sich selbst beim Scheitern zu – genauso wie Mutter Laura Dern, die das Befinden ihres Sohnes maßlos unterschätzt. Liebe allein reicht nicht – das sagt auch Nicholas‘ betreuender Arzt. Doch welche Eltern können da schon rational bleiben, wenn der Sohn so sehr um die intakte Dreisamkeit seiner Familie fleht.

The Son ist da natürlich viel weniger experimentell als The Father. Hier erzählt Zeller, unter Mitarbeit von Christopher Hampton, sehr stringent und nur mit wenigen Rückblenden aus Nicholas‘ jüngeren Jahren, von der Chronik eines Entgleitens und dem Ende elterlicher Kompetenzen. Eine weniger klassische Erzählweise würde vielleicht die schauspielerische Stärke des Ensembles ausbremsen, so aber baut die psychologische Entwicklung aller Beteiligten auf einer sich steigernden Storyline auf, die immer schwerer, verzweifelter und verheerender wird, bis der unvermeidliche Schlag in die Magengrube folgt. Wohin sich The Son zuspitzt, ist nichts für schwache elterliche Nerven, und ja, die unweigerliche und auch befürchtete Katastrophe lähmt sein Publikum. Die Schockstarre hält nach, und immer wieder hat man vor Augen, wie leicht alles hätte anders kommen können. Die Parameter für die Katastrophe legt Zeller aber viel zu offen aus, und es kann auch sein, dass alles viel zu unweigerlich in den Abgrund führt, weil Eltern vielleicht nur mit dem Herzen denken, und nicht mit dem Verstand. Selbst würde man natürlich alles anders machen. Und auch die nötigen Vorkehrungen treffen. Dieses Bewusstsein enthält Zeller seinen Film-Eltern leider vor, und daher mag es am Ende an plausiblem Verhalten doch etwas hapern. Der Wucht des Dramas nimmt dies aber nicht die bleierne Schwere, und die Faust des Schicksals haut dennoch zu. Als würde es einen selbst treffen.

The Son (2022)

Lucy in the Sky

DIE WELT IST NICHT GENUG

5/10

 

lucyinthesky© 2019 Walt Disney Company

 

LAND: USA 2019

REGIE: NOAH HAWLEY

CAST: NATALIE PORTMAN, JON HAMM, ZAZIE BEETZ, ELLEN BURSTYN, DAN STEVENS U. A. 

 

Ehrgeiz und Obsession dürften Natalie Portman nicht fremd sein. Den Oscar für Black Swan hat sie ja nicht einfach nur so gewonnen, sondern weil sie genau das – Obsession, Leistungsdrang und Wahnsinn – sehr nachvollziehbar darstellen konnte. Im Astronautendrama Lucy in the Sky kann sie die Karten für ihre Figur einer gnadenlosen Ich-AG neu mischen und mit neuen Aspekten versehen – zum Beispiel mit dem Aspekt der begrenzten Kapazität des menschlichen Geistes, der es nicht auf die Reihe bringt, die furchteinflößende und gleichzeitig faszinierende Größe des Alls zu begreifen. Lucy Cola zählt zu jenen Kandidaten, die zwar rein physisch und kognitiv gesehen die Erfordernisse eines Astronautenjobs bis zur Perfektion hin erfüllen, die aber mit dem, was sie gesehen haben, nicht mehr klarkommen. Was wird eine solche neue Wahrnehmung wohl bewirken? Nun, die Kleinheit und Nichtigkeit des Menschseins wird deutlicher, das große Ganze greifbarer, unsere scheinbare Verlorenheit in dem ewigen Schwarz führt zu Beklemmung. Es ist ein Wegsehen von einer Wahrheit, die das Denken sprengt. Da braucht es einen in sich ruhenden, rationalen Geist. Kein Sinnieren und Philosophieren. Bereits an der orbitalen Schwelle Richtung Unendlichkeit stehend, gibt es für eine labile Seele keinen Platz mehr.

Lucy hat das selbst nicht kommen sehen, so scheint es zumindest. Wieder zurück vom Einsatz auf der Raumstation, erscheint alles andere nicht mehr wichtig, es ist wie eine Sucht nach einer starken Droge, fast schon der Blick in eine alternative Realität, die um so vieles schöner ist als das Dasein in den eigenen vier Wänden. So werden diese auch zum Gestaltungsapparat für Regisseur Noah Howley und Kamerafrau Polly Morgan. Ihr Film, einer der laut IndieWire wohl am meisten erwarteten Produktionen 2019, variiert stetig das Bildformat – von 16:9 auf 4:3, dann wieder haben wir ein Superpanorama, das sich wie ein horizontales Band vom linken zum rechten Bildschirmrand zieht. Ganz klar, was damit bezweckt werden will. Jenseits des Weltalls, zurück auf den Boden des Alltags, gilt nur noch das althergebrachte Fernsehformat von früher, es unterstützt Natalie Portmans Wahrnehmung von der quälenden Enge ihres Daseins. Portman macht das ganz gut, sie findet keine Ruhe mehr, das Zuhause ist ein Platz der Abwesenheit, ihr Ehemann fast nur noch Staffage, dafür aber die Chance auf einen Seitensprung mit einem als Frauenheld verschrienen Nasa-Kollegen (Jon Hamm) zumindest so etwas wie ein Kick in eine andere Richtung, denn so, wie sie bislang zu leben gewohnt war, kann es nicht bleiben. Am Liebsten wieder zurück ins All, zur nächsten Mission. Dumm nur, dass ihr Liebhaber bereits auf eine ganz andere Kollegin schielt.

Inspirieren ließ sich der Film von wahren Begebenheiten. Interessant, was man davon alles ableiten kann. Zum Beispiel die Überlegung, ob der Mensch mal überhaupt und prinzipiell dafür geschaffen ist, als solcher Terra den Rücken zu kehren. Ähnliche Ansätze hatte auch Claire Denis odysseeisches Drama High Life. Andererseits handelt Lucy in the Sky auch von Ablehnung und Kränkung, vom Gefühl, nicht verstanden zu werden, ähnlich wie Michael Douglas als D-Fense in Falling Down. Von beiden Filmen finden sich für mich in Howleys Werk Assoziationen, der Fall Lucy Cole ist also komplexer, als vermutet. Weniger komplex ist das dramaturgische Konzept. Meines Erachtens nach ist Lucy in the Sky längst nicht so lahm und schon gar nicht so unnahbar geworden wie manche Kritiker meinen. Dafür aber relativ zäh und vor allem in der ersten Halbzeit mit erzählerischem Vakuum angereichert. Das hätte straffer gehen können, da hat das Ganze schwermütige Längen, die sich alles andere als schwerelos anfühlen und etwas den Kopf brummen lassen: Vielleicht auch wegen des ständigen Formatwechsels, der zwar gut gemeint ist, der aber nur schwer eine einheitliche Bildsprache oder gar einen einheitlichen Stil zulässt. Experimentell ist das schon, doch ein bisschen zu knieweich und von einer inneren Unruhe erfüllt. Womöglich geht es Heimkehrern aus dem Orbit ähnlich. Allerdings: angesichts dieser filmischen Spirale abwärts ist der Weltraum nichts, wohin der Mensch streben sollte.

Lucy in the Sky

Coconut Hero

DAS LEBEN ÜBERLEBEN

6,5/10


coconuthero© 2015 Majestic Filmverleih


LAND: DEUTSCHLAND, KANADA 2015

REGIE: FLORIAN COSSEN

CAST: ALEX OZEROV, BEA SANTOS, KRISTA BRIDGES, SEBASTIAN SCHIPPER, JIM ANNAN, UDO KIER U. A.

LÄNGE: 1 STD 41 MIN


Zum Glück gab´s in Hal Ashbys Harold & Maude-Verfilmung die gute alte Maude, um Harold von seinen Selbstmordfantasien abzubringen. In Coconut Hero kann Mike Tyson – ja, der junge Mann ist Namensvetter des berüchtigten Boxers und wird an seiner Schule auch entsprechend damit gehänselt – auf so einen Support erstmal nicht zurückgreifen. Mike will  sein noch so junges, gerade mal 16ähriges Leben beenden. Er tut dies auf unterschiedlichste Weise. Alle Versuche gehen schief. Zuletzt will er sich eine Kugel in den Kopf jagen – auch nur Platzpatronen. Später wird festgestellt, dass Mike an einem Gehirntumor erkrankt ist. Der könnte problemlos operativ entfernt werden – doch Tyson wird sich hüten, diese Nachricht an seine Mama weiterzugeben. Die ideale Methode, das Zeitliche zu segnen, wenn man den Tumor sich selbst überlässt. Blöd nur, dass Mike vom Staat ein Rehabilitationsprogramm aufgedrückt bekommt, um ihm die Suizidflausen auszutreiben. Und da lernt er die junge Miranda kennen, die überhaupt nicht in sein Konzept passt. Genauso wenig wie der plötzlich auftauchende Vater, der die Todesanzeige seines Sohnes in der Zeitung gelesen hat.

Coconut Hero geht als Coming of Age-Dramödie den Weg des geringsten Widerstandes. Independentkino, wie Independentkino sein muss. Ein Ensemble, das keiner kennt, was aber wiederum den Bonus des Authentischen mit sich bringt, da sich all diese Gesichter (bis auf Udo Kier in einer Minirolle) auf kaum einen anderen Film übertragen lassen. Der russisch-kanadische Schauspieler Alex Ozerov ist in seiner traurigen Gestalt eines todessehnsüchtigen Mieselsüchtlers treffend besetzt, Bud Cort aus Hal Ashbys kultiger Tragikomödie steht ihm da um nichts nach, nicht mal in Sachen Frisur. Die Mundwinkeln wandern selten nach oben, wie ein Buster Keaton eben, der den Jugendfilm entdeckt. Auch all die übrigen Co-Akteure sind von ausgesuchter Qualität, da lässt sich schon ein Film wie dieser zu einer Selbstfindung mausern, die mit einem stimmigen Soundtrack hinterlegt ist, wobei einige Songs davon wirklich eingängige New Country Balladen sind. Das passt sehr gut zu diesem Setting, zu dieser Geschichte aus elterlicher Spurensuche, Lebenssinn und dem Begriff der Sterblichkeit, der erst dann neu definiert wird, wenn genau diese Endlichkeit jemand ganz anderen trifft – nur nicht einen selbst.

Coconut Hero ist ein Stoff mit Give Away-Faktor, was so viel heißt wie: Erkenntnisse daraus könnten auch zum Gewinn werden fürs eigene Dasein. Natürlich, Deutschland 86-Filmer Florian Cossens Film ist in manchen dramaturgischen Wendungen von zu bequemer Naivität, und nicht unbedingt lässt sich die relativ vage beschriebene Beziehung zwischen Mike und Matilda angesichts ihrer späteren Gewichtigkeit wirklich nachvollziehen, aber dennoch: in seiner selbstvergessenen und wieder in Erinnerung gerufenen Selbstwahrnehmung ist das Teenie- und Familiendrama samt seiner leisen Ironie ein bisschen Balsam auf der Seele eines latent depressiven, nicht zwingend jungen Publikums.

Coconut Hero

Die Einsiedler

MACH MIR DEN HOF

7/10

 

einsiedler© 2016 filmdelights Film

 

LAND: ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND, ITALIEN 2016

BUCH & EGIE: RONNY TROCKER

CAST: ANDREAS LUST, INGRID BURKHARD, ORSI TÓTH, HANNES PERKMANN, PETER MITTERRUTZNER U. A.

 

Ein Urlaub in den Bergen ist etwas ganz anderes als in den Bergen zu leben. Oder anders gesagt: Urlaub am Bauernhof ist nicht das, was Bauernhof aus einem macht. Einen Blick in die nähere Frühzeit der Lebensweise bäuerlicher Selbstversorger, den hat uns schon Franz Innerhofer in seinen Schönen Tagen gewährt. Oder aber auch die Bayerin Anna Wimschneider in ihren Memoiren Herbstmilch, die später dann Ende der 80er von Joseph Vilsmaier verfilmt wurden. Dort, wo noch ein bisschen rustikaler Charme oder die Nostalgie des Vergangenen Einzug gehalten hat – das könnte man jetzt in Ronnie Trockers Scheunen-Abgesang Die Einsiedler schmerzlich vermissen. Seine Bestandsaufnahme aus den Südtiroler Bergen lädt erstens einmal überhaupt nicht zum entspannten Verweilen zwischen Kuhmist und Apfelbäumen ein, und zweitens drückt die Ödnis dieser Einschicht durchaus aufs Gemüt. Doch wenn einer Einsamkeit sucht, dann ist er dort allerdings richtig aufgehoben. Zu tun gibt’s halt einiges, auf die faule Haut legen ist nicht. Vom Melken, Ausmisten bis zum andauernden Warten der feuchtwandigen Gemäuer hier oben in dieser Nebelsuppe fällt man, wenn’s finster wird, ins Bett, um sich beim ersten Hahnenschrei wieder aufzurappeln.

In Zeiten wie diesen, wo Dörfer regelrecht aussterben und die Jungen abwandern in urbane Gefilde, da mutiert auch ein Südtiroler Bauernhof wie jener von Burgschauspielerin Ingrid Burkhard zur feuchtkalten Gruft. Sohnemann Albert versucht sein Glück im Tale als Arbeiter in einem Marmorsteinbruch. Die Eltern altern vor sich hin und tun was sie tun müssen. Wer erbt den Hof? Es wäre kein Abgesang auf das Bauernleben, käme nicht ein Schicksalsschlag aus fast heiterem Himmel – und Bäuerin Marianne steht alleine da, in der unverputzten Finsternis der alten, verfluchten vier Wände. Was tun in dieser Einsiedelei? Und hat Sohnemann Albert Ambitionen, das Erbe der Eltern weiterzuführen?

Ronny Trockers „Die Einsiedler“ wurde laut Standard-Edition mit einem „Michael Haneke in den Bergen“ verglichen. Nun, die karge, schweigsame Rationalität menschlichen Verhaltes in einem archaischen Mikrokosmos, die sich mit steinzeitlichem Affekt aus dem zivilisierten Korsett des 21. Jahrhunderts katapultiert, hat tatsächlich etwas von Haneke. Ist aber längst nicht so beseelt von klirrender Grausamkeit, sondern viel eher durchdrungen von einer bitteren Erkenntnis. Ingrid Burkhard lebt diese ernüchternde Resignation mit jeder Falte ihres zerfurchten, traurigen Antlitzes. Von Mundls volkstümlich-guter Seele Toni Sackbauer ist nichts mehr übrig, Burkhards fulminante Altersrolle ist gleichzusetzen mit Fritz Muliars grotesker Monologfigur aus Felix Mitterers Sibirien. Beide Gestalten stehen am Ende ihres Lebens, und sie können den Verfall nicht aufhalten. Und das Schlimmste ist: Sie können ihr Vermächtnis niemandem weitergeben. Denn die Zeit, die sie verkörpern, erfährt mit ihrem Tod einen Bruch, der einen ganz anderen Neuanfang einplant. Mitterer hätte auch für diesen Film ein Drehbuch verfassen können, nur die Satire einer Piefke-Saga bleibt hier so fern wie das Meer. Und irgendwann schweigt auch das Blöken der Ziegen und das Muhen der Wiederkäuer. Irgendwann werden die Alten mitsamt den Grundmauern ihrer Existenz begraben, weil die Zeit einfach irgendwann vorbei ist. Heast as net, wia die Zeit vergeht, singt Hubert von Goisern. In Die Einsiedler hört man es, sieht man es. Und muss ihr nicht zwingend nachweinen.

Die Einsiedler

Leid und Herrlichkeit

EIN MANN SIEHT ROT

8/10

 

LEID UND HERRLICHKEIT© 2019 Constantin Film

 

LAND: SPANIEN 2019

REGIE: PEDRO ALMODOVAR

CAST: ANTONIO BANDERAS, PENELOPE CRUZ, NORA NAVAS, LEONARDO SBARAGLIA, ASIER ETXEANDIA U. A. 

 

Mein letzter Film des Spaniers Pedro Almodovar ist doch schon ein Weilchen her. Das war Hable con ella – Sprich mit ihr. Ein ungewöhnliches, bemerkenswertes, allerdings auch recht bizarres Drama, zweifelsohne aber ein großartiger Film. Später hatte ich den Exzentriker nicht mehr so am Radar, fragt mich nicht wieso. Alles über meine Mutter war ja nicht weniger ein Meisterwerk, und wurde völlig zu Recht oscarprämiert. Almodovar schafft es, als Autorenfilmer sehr dichte, vor allem sehr familiäre Beziehungskisten zu zimmern, die bei anderen, weniger ehrgeizigen Filmemachern wohl an ihrer eigenen Seife ausgerutscht wären. Der Spanier allerdings setzt auf Kontraste, dramaturgische Kontraste. Und er versetzt seine Werke mit kontinuierlichem, autobiographischem Statement. Wie es Woody Allen zum Beispiel auch macht. Nur Almodovar geht es im Gegensatz zu Allen viel mehr um die Ursache seines Egos als um neurotische Symptomatik. Krankheitsbilder haben seine Figuren aber genauso. Wo die Therapie aber nicht weiterhilft, bleibt nur noch die Analyse. Und die weckt Erinnerungen und Assoziationen, die aus Leid und Herrlichkeit in abwechselndem Rhythmus die Leinwand bestimmen.

Zu Beginn ist noch alles im Argen. Antonio Banderas, der, sagen wir´s mal so, zu seinem Meister zurückgefunden hat, durch welchen er eigentlich berühmt wurde, lässt sich in seiner Rolle des durch und durch und vor allem körperlich leidenden Regisseurs Salvador Mallo so richtig fallen. Banderas kann und konnte, rückblickend auf sein filmisches Schaffen, eigentlich alles spielen – vom Assassinen an der Seite Sylvester Stallones bis zum eigenbrötlerischen Schmerzensmann, der höchst depressiv ist und demzufolge in einer Schaffenskrise steckt, der er sich nur entwinden kann, wenn er zurück zu seinen Wurzeln geht. Es ist wie eine Rückführung unter Hypnose, der sich Mallo stellen muss, dieser sensible, leidende Apoll, der die paralysierende Wirkung von Heroin entdeckt und im Zuge dessen die filmpoetische Version einer versonnenen Reise durch die eigene Zeit unternimmt. Leid und Herrlichkeit hat zwar von Anfang an mein Interesse geweckt, die Faszination dafür aber kam etwas versetzt, als hätte der Film eine Inkubationszeit, allerdings im positiven Sinn. So, wie Almodovars Werk wirkt, das lässt sich nicht in vielen Filmen finden. Der von ihm mit vielen Details und emotionaler Distanz geschaffene Zustand mag zwar adhoc seltsam wenig tangieren, doch diese unerwartet entspannte, für einen Almodovar relativ unschrille und entschleunigte Stimmung geht in zarter Indiskretion auf den Zuseher über. Er hat was enorm beruhigendes, dieser Film, und gleichzeitig etwas sehr stark versöhnliches, mit der eigenen Biografie zu spielen, mit den Erinnerungen, die nicht von Wehmut durchdrungen sind, sondern von Inspiration für das, was kommen mag.

Dafür taucht Leid und Herrlichkeit mit dem Tupfer tief in den Farbtopf und entwirft geradezu streng gesetzte Formeln aus Rot und Grün, wobei Rot das expressive Um und Auf des Films ist. Kein Take, keine Sequenz, kein Schauplatz, der nicht irgendwo ein Element in dieser reinen, strahlenden Spektralfarbe birgt, irgendwo im Hintergrund, manchmal aber ist es auch das Gewand einer der Schauspieler. Rot durchdringt auch Alles über meine Mutter. Rot ist die Farbe Almodovars. Und er komponiert und inszeniert sie mit verschwenderischer Freude am Setzen von Akzenten. Die Herrlichkeit, die findet sich in dieser Ästhetik und lässt sich nicht lange bitten, um gefunden zu werden. Sie kommt auf leisen Sohlen, und weckt eine befriedigende, stille Freude, wenn ein kunstbeseelter, vermeintlich gefallener Virtuose eine Muse entdeckt, die in ihm selbst steckt. Denn die eigene Geschichte lässt sich ein ganzes Leben lang erzählen. Das ist egozentrisch zwar, gar ein wenig eitel, aber letzten Endes macht ein Künstler Kunst für sich selbst. Für wen denn auch sonst?

Leid und Herrlichkeit

Ein Becken voller Männer

NACH DEM SCHEITERN IST VOR DEM ERFOLG

6,5/10

 

EIN BECKEN VOLLER MƒNNER© 2019 Constantin Film

 

ORIGINAL: LE GRAND BAIN

LAND: FRANKREICH 2019

REGIE: GILLES LELLOUCHE

CAST: MATTHIEU AMALRIC, BENOIT POELVORDE, GUILLAUME CANET, JEAN-HUGHES ANGLADE, VIRGINIE EFIRA U. A.

 

Sport ist die beste Medizin! Vor allem gegen psychische Erkrankungen wie Panikattacken oder Depression. Schwimmen eignet sich dafür am besten, also meiner Meinung nach. Beim Schwimmen taucht man in ein ganz anderes Medium ein, das hilft sehr gut, den Alltag zu relativieren, in dem man manchmal so richtig feststeckt. So geht’s zumindest dem unter schweren Depressionen leidenden Familienvater Bertrand, seit zwei Jahren schon arbeitsunfähig, zum Leidwesen von Frau und Kind. Beim Nachwuchs-Schwimmkurs wird die arme Seele allerdings auf eine Anzeige am schwarzen Brett aufmerksam – eine etwas ungewöhnliche sozusagen, nämlich eine für männliches Synchronschwimmen. Warum nicht, denkt sich Bertrand, und wird kurze Zeit später Teil eines wild zusammengewürfelten Teams aus Männern, die mehr oder weniger ihr Lebensziel verpeilt oder von höheren Mächten in die Schranken gewiesen wurden. Mit anderen Worten: Verlierer, die es verhältnismäßig schwer haben. Die sich im Wasser aber ungleich leichter fühlen. Ihre Trainerin: eine Frau, die selbst so ihre Probleme hat, und nicht anders dran ist als die Handvoll Typen, die mit Badehaube und Waschbärbauch im Laufe ihres Trainings so ziemlich alles umdenken, woran sie bisher gescheitert sind.

Das Scheitern wird in Gille Lellouches liebevoller Tragikomödie zur riesengroßen Chance, einen Neuanfang zu wagen oder sich umzuorientieren. Träume aufzugeben und Alternativen zu suchen. Nicht alle Schwimmer in Ein Becken voller Männer sind Verlierer, natürlich nicht. Einige von ihnen bekommen allerdings keinen biographischen Steckbrief verpasst, im Mittelpunkt stehen eher die Stars des französischen Kinos wie Benoit Poelvoorde, Guillaume Canet oder Mathieu Amalric. Jeder von ihnen scheitert anders, aus Selbstversschulden, Kränkung oder Krankheit. Das, was sie probiert haben, gelingt nicht. Wobei sich die Frage stellt: sollte man weiter an seinen Träumen festhalten oder andere suchen? Beharrlich bleiben oder aufgeben? Ein Becken voller Männer zelebriert den „Plan B“ als eine Erkenntnis, sich fürs eigene Versagen nicht schämen zu müssen. Der Plot des Films erinnert unweigerlich an Peter Cattaneos Striptease-Sozialkomödie Ganz der gar nicht aus dem Jahr 1997, wobei hier Arbeitslosigkeit und finanzielle Bedürftigkeit mehr im Vordergrund steht als die Unfähigkeit, etwas Nachhaltiges zu vollbringen. Da wie dort ist die (vorläufige) Lösung der vordergründigen Probleme etwas, das auf homöopathischem Wege anfangs alles nur noch schlimmer macht, bevor irgendetwas besser wird. Ob Männer-Strip oder maskulines Synchronschwimmen – beides erzeugt gesellschaftliche Irritation, und beschwört ein dem Happy End-Kino inhärentes gruppendynamisches Einsehen herauf. Schön wär’s, wenn es tatsächlich so wäre. Und in Lellouches Realkomödie ist die Welt trotz aller Unzulänglichkeiten und zähneknirschenden Entbehrungen eine letzten Endes heile, die zum Schluss kommt, dass nur präsentierte Leistung etwas ist, worauf man stolz sein kann. Und nicht einfach nur das eigene schräge Ich, das am Mainstream scheitert.

Lellouche bekommt allerdings noch die Kurve – er verbucht die Erfolgsgenese seiner kleinen Helden nur für sie selbst. für niemanden sonst. Und das macht den Film dann doch sehenswert, auf befreiende Art idealistisch und mit sich selbst im Reinen.

Ein Becken voller Männer