Personal Shopper (2016)

BRUDER IM GEISTE

7,5/10


personal-shopper© 2017 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: FRANKREICH, DEUTSCHLAND, TSCHECHIEN, BELGIEN 2016

REGIE / DREHBUCH: OLIVIER ASSAYAS

CAST: KRISTEN STEWART, LARS EIDINGER, NORA WALDSTÄTTEN, ANDERS DANIELSEN LIE, SIGRID BOUAZIZ, TY OLWIN, HAMMOU GRAÏA, BENJAMIN BIOLAY U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Dass sie auf ewig, wie manche ihrer Schauspielkolleginnen und -kollegen, auf ihre Glamourrolle der Bella Swann aus den Twilight-Verfilmungen reduziert wird – darüber braucht sich Kristen Stewart keine Sorgen mehr machen. Dank eines wohl vorausschauenden Managements rund um ihre Person und der Bereitschaft, vor allem auch in kleineren, aber äußerst festivaltauglichen Produktionen eine Position einzunehmen, die aufgrund einer intrinsischen Motivation geschieht und nicht, um der erfolgsgefährdenden Imagefalle zu entgehen, ist Stewart längst jemand, der nicht belächelt, sondern künstlerisch ernstgenommen wird. Ihr Höhepunkt – Spencer – hat ihr gar eine Oscarnominierung eingebracht. Und ja – Pablo Larrains freie Interpretation der Gefühlswelt von Lady Di hat nicht zuletzt wegen Stewarts intuitiver und verletzlicher Performance so bahnbrechend gut funktioniert. Der französische Autorenfilmer Olivier Assayas hat längst erkannt, dass Stewart auf eine ganz eigene Art seine Filme veredelt. In Die Wolken von Sils Maria stand sie an der Seite von Grand Dame Juliette Binoche. In Personal Shopper ist sie eine, die für andere shoppen geht, vorzugsweise sündteure Klamotten, und in diesem Fall für die Mode-Ikone Kyra, dargestellt von Nora Waldstätten, die in ihrer eigenen Krimireihe Die Toten vom Bodensee dem Jenseits rund um die Dreiländerlacke auf den Zahn fühlt.

Diese sündteuren Klamotten will Kristen Stewart als Maureen am liebsten für sich selbst einkaufen, das Verlangen, die Identität ihrer allseits bekannten Auftraggeberin zu übernehmen, wird nur noch überlagert von dem Willen, Kontakt mit ihrem verstorbenen Zwillingsbruder aufzunehmen. Doch statt inszenierten Séancen braucht Maureen eigentlich nichts sonst außer die Muße und das richtige schaurige Gemäuer, um mit denen aus dem Jenseits auf Tuchfühlung zu gehen. Maureen ist ein Medium, das weiß auch ihr Bekanntenkreis, und so findet sie sich nächteweise im längst verlassenen Anwesen ihres Bruders wieder, um ihre Fähigkeiten einzusetzen und den Geistern nachzuspüren, die nicht erlöst werden können, da irgendetwas sie im Diesseits behält. Ein quälender Umstand, der Geistern, wie wir wissen, erlaubt, sichtbar zu werden oder deren Präsenz man spürt, obwohl sich anfangs nichts dergleichen, was Angst einjagt, in Assayas Film manifestiert.

Aus der Verlockung, mit dem Unbekannten zu kommunizieren, erwächst bald eine indirekte Bedrohung. Maureen fühlt sich bald verfolgt, sie stellt auch fest, dass nicht ihr Bruder, sondern andere Geister Geschichten zu erzählen haben. Irgendetwas ist hinter ihr her, während sie hinter der völlig abgehobenen Kaya nachräumt und dabei auf deren eifersüchtigen Liebhaber (Lars Eidinger) trifft, der mit Abweisungen gar nicht umgehen kann. Wohin das führt, welche Rolle Maureen in diesem Perpetuum Mobile an Existenzen und Nicht-Existenzen zu spielen hat – um diese Fragen zu beantworten, begibt sich Assayas auf eine Projektionsfläche des existenzialistischen Erzählkinos, das stellenweise gar den Betrachtungsweisen eines Jean-Paul Sartre bedient, der sich in seinen Bühnendramen an der Ausweglosigkeit menschlichen Daseins abgearbeitet hat. Personal Shopper lässt sich inhaltlich schwer festmachen, die Figuren des Films tragen eine unheilvolle Bestimmung, und Kristen Stewart war, abgesehen von Spencer, selten besser.

Dass Geisterfilme oder Werke, die sich mit dem Paranormalen beschäftigen, nicht immer das Horror-Genre bedienen müssen, um das Adrenalin beim Publikum auszuschütten, haben Künstler wie der Thailänder Apichatpong Weerasethakul oder David Lowery mit A Ghost Story, seiner Elegie an den Tod, meisterlich bewiesen. Assayas nimmt der Parapsychologie ebenfalls den Schrecken, nicht aber das Unheimliche. Das Gespenstische wird zur unterschwelligen Manifestation unerfüllbarer Sehnsüchte, in diesem Kontext gefällt das Spiel mit den Identitäten und dem Verlangen umso besser. Stringent ist aber gar nichts an diesem Film, die Lust an der kontemplativen Psychostudie müsste man teilen wollen, sonst könnte Personal Shopper manchesmal etwas substanzlos erscheinen. Doch genauso wenig, wie Assayas Wolken von Sils Maria Dinge erklären und Umstände direkt ansprechen will, genauso wenig ist dieser dem Phantastischen zuordenbare Film einer, der vorhat, Fragen zu beantworten. Im Gegenteil, das 2016 mit dem Regiepreis in Cannes ausgezeichnete Stück Kunstkino setzt am Ende gar noch eine Metaebene drauf. Das ist Mystery vom Feinsten.

Personal Shopper (2016)

Freaks Out (2021)

MANEGE FREI FÜR DIE VERFOLGTEN

7/10


freaksout© 2022 Metropolitan Film Export


LAND / JAHR: ITALIEN, BELGIEN 2021

REGIE: GABRIELE MAINETTI

DREHBUCH; NICOLA CUAGLIANONE, GABRIELE MAINETTI

CAST: AURORA GIOVINAZZO, FRANZ ROGOWSKI, CLAUDIO SANTAMARIA, PIETRO CASTELLITTO, GIANCARLO MARTINI, GIORGIO TIRABASSI, MAX MAZZOTTA, SEBASTIAN HÜLK, ANNA TENTA U. A.

LÄNGE: 2 STD 21 MIN


Wer weiß, was die vermaledeiten Nazis noch so alles getrieben haben, von dem wir nichts wissen. Was, wenn sie tatsächlich versucht haben, mithilfe paranormaler Phänomene, die dann folglich nicht mehr als solche deklariert, sondern wissenschaftlich eingestuft und nutzbar gemacht wurden, das Schicksal der Welt zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Nicht auszudenken, wenn es ihnen gelungen wäre. Für dieses Szenario hat das Kino schon so einiges über die Leinwand flimmern lassen. Bekanntestes Beispiel: Die Bundeslade aus Jäger des verlorenen Schatzes. In Mike Mignolas Hellboy haben im Okkulten versierte Nazi-Größen das Tor zu einer Dimension geöffnet, aus welcher ein kauziger, roter Teufel entschlüpfte. Und was ist mit der Geheimorganisation Hydra aus dem Marvel-Universum? Red Skull und seine Armee aus Supersoldaten, die alle so zugeschlagen hätten wie Captain America?

Es gibt so einiges an showtauglichen Albträumen, mit welchen nicht nur das Kino, sondern auch das Fernsehen die Niederträchtigkeit der Faschisten noch zusätzlich angereichert hat. Mit Freaks Out setzt der Italiener Gabriele Mainetti zwar nicht noch eins drauf, fügt aber den Psychopathen des dritten Reiches noch einen abgründig-charismatischen Wirrkopf hinzu: Man möchte es nicht glauben, es ist Franz Rogowski. Liebkind des deutschen Independent-Kinos und, wie man sieht, offen für jedes Genre. Warum nicht auch für einen phantastischen Streifen wie diesen, der 2021 bei den Filmfestspielen von Venedig seine Premiere feierte.

Rogowski gibt einen völlig verpeilten Sonderling, der aufgrund seiner zwölf statt zehn Finger aus der Armee ausgeschlossen wurde. Nicht so sein Bruder, der dort ein hohes Tier wurde. Was macht ein „Freak“ wie dieser nun in einer Diktatur, die das Andersartige für vogelfrei erklärt, wegsperrt oder vergast? Durch den gegebenen familiären Einfluss darf Franz als zylindertragender Direktor seine Lust an der Exzentrik zumindest im Rahmen eines von ihm ins Leben gerufenen Zirkusses ausleben, der in Rom Halt macht und der jedoch im eigentlichen Sinne als Kulisse für ein sehr ehrgeiziges Projekt herhalten muss, in welchem der wie Hanussen mit dem Übersinnlichen begabte Wirrkopf die Lösung für all die Probleme sieht, die das Deutsche Reich im letzten Kriegsjahr so umtreibt. Franz will eine Gruppe aus Superhelden zusammenstellen. Und ja, es gibt sie. Sie erscheinen gar in seinen zukunftsweisenden Visionen, die sogar vom Selbstmord Hitlers berichten und noch viel weiter gehen. Diese mit außergewöhnlichen Fähigkeiten begabten Leute sind allerdings eine Theatertruppe für sich, die eigentlich nur die Flucht aus Europa im Sinn haben. Es ist dies ein Wolfsmensch, eine Art Magneto, ein Insektenbeschwörer, ein schrulliger Gandalf und eine Feuerteufelin, die ihre Gabe eigentlich nur als Bürde sieht.

Mutanten mit derartigen Fähigkeiten sind nicht neu. Bei den X-Men gibt es sie alle. Auch bei Hellboy zählen einige Außenseiter, die ihre Andersartigkeit mit nichts verbergen können, zu den Experten des B.U.A.P. Mainettis märchenhafter Kriegs- und Zirkusfilm allerdings lässt die Idee eines alle unter einen Hut bringenden Vereins außen vor. In diesem von Gott verlassenen Italien während des Krieges tummeln sich verlorene Seelen auf den Straßen herum, die wie aus einer tragikomischen Filmballade Federico Fellinis über die Hügel Italiens vagabundieren, auf der Suche nach dem großen Glück. Tatsächlich erinnert so manche Szene an bittersüße Filmmomente des großen Cinecittà-Visionärs – insbesondere das deutlich expositionierte Einzelschicksal des Flammenmädchens Matilde hat erzählerische Kraft und Ausdauer. Ihr Weg zur Selbstbestimmung ist der eine rote Faden des Films, der andere ist Franz Rogowskis leidenschaftlich verkörperte Figur des Antagonisten. Zwei Ausgestoßene, die unterschiedlicher nicht sein können. Die versuchen, sich den Respekt des Normalen zu verdienen, um Teil des großen Ganzen, und vor allem: nicht allein zu sein.

Mit viel Aufwand, enormer Ausstattung und im letzten Drittel ordentlichen Gefechten zwischen Nazis und den italienischen Partisanen gelingt hier ein opulentes Spektakel zwischen bizarrer Sensationsshow wie in Guillermo del Toros Nightmare Alley, dem Dreckigen Dutzend und einem regimekritischen Ur-Pinocchio. Dieser ganze Mix passt so gut zusammen wie die Zutaten für ein wissenschaftliches Experiment, dessen Resultat sein Publikum zum Staunen bringen soll. Für die große Leinwand wäre das fantasievolle und dramatische Abenteuer viel eher geeignet gewesen als so manches, das den Zuschlag fürs Kino letztendlich erhält. Freaks Out ist nur im weitesten Sinne als Superheldenkino zu verstehen und entfernt es sich vom oft geprobten Idealismus begabter Gutmenschen. Letzten Endes will sich hier niemand irgendeinem Credo verschreiben müssen oder von anderen instrumentalisiert werden – diese Bescheidenheit, diese Lust an der Selbstbestimmung, gibt dem blutig-melancholischen Abenteuer seinen Esprit.

Freaks Out (2021)

Bird Box – Schließe deine Augen (2018)

UND ALLE SPIELEN BLINDE KUH

6,5/10


birdbox© 2018 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA 2018

REGIE: SUSANNE BIER

DREHBUCH: ERIC HEISSERER

CAST: SANDRA BULLOCK, JOHN MALKOVICH, SARAH PAULSON, TREVANTE RHODES, JACKI WEAVER, MACHINE GUN KELLY, ROSA SALAZAR, DANIELLE MCDONALD, TOM HOLLANDER, VIVIAN LYRA BLAIR, JULIAN EDWARDS U. A.

LÄNGE: 2 STD 4 MIN


Macht man nur das leiseste Geräusch, sind sie da: Die Aliens aus A Quiet Place. Die können zwar nichts sehen, dafür funktioniert ihre Echoortung womöglich perfekt. Der Beweis macht uns sicher: Selten war Homo sapiens in der Bewältigung einer Apokalypse so sehr eingeschränkt wie hier. Schwierig wird’s auch, wenn man erstens kein Geräusch machen sollte, und zweitens nicht hinsehen darf. Am besten Augen zu, oder diese mit Stoffbändern ihrer Zweckmäßigkeit berauben. Es wären auch jene Brillen geeignet, die Thomas Gottschalk in Wetten, dass?… immer so gern verteilt hat, wenn es darum ging, Buntsftiftminen nach ihrer Farbe zu erschmecken. In Bird Box – Schließe deine Augen wäre man froh, wenn man solche Brillen besäße. Oder eben eine Handvoll Sittiche, die es schließlich in ihren Flügelspitzen fühlen, wenn die garstigen Entitäten heranrücken. Es lohnt sich, das Federvieh überallhin mitzunehmen. Kaum fangen diese wild zu flattern an, sollte man räumlichen Schutz suchen.

Eine perfide Filmidee, das muss man schon sagen. Was aber kommt als nächstes? Du darfst nicht riechen? Du darfst nicht schmecken oder hören? Kann sein, den Ideen sind da keine Grenzen gesetzt, wenn sie plausibel genug aufbereitet werden. Drehbuchautor Eric Heisserer kennt sich mit extraterrestrischen oder gar paranormalen Eindringlingen ganz gut aus. Das phänomenal gut durchdachte Skript zu Arrival stammt aus seiner Feder. Des weiteren das Prequel zu The Thing oder der Horrorschicker Lights Out. Das mit dem Schwarzsehen liegt also in seinem Blut, und somit gelingt auch in Bird Box das hysterische Panorama einer beklemmenden Katastrophe, welche die gesamte Menschheit in einen Massensuizid stürzt, weil jene, die nicht rechtzeitig ihre Augen verschließen konnten, Dinge zu Gesicht bekommen, die eine Todessehnsucht auslösen, dass nicht mal die stärksten Antidepressiva etwas dagegen ausrichten könnten. In welcher schleichenden Eskalation sich dieses Szenario Bahn bricht, ist sogar stärker als das in A Quiet Place. Weil niemand sieht, nicht mal der Zuseher, was passiert. Weil niemand greifen, erfassen oder verorten kann, wo die Ursache steckt und was sie ist.

Es könnte passieren, dass fehlende Antworten auf all die Fragen letztlich dazu führen, in resignatives Desinteresse beim Zuseher umzuschlagen. Andererseits: In Hitchcocks Die Vögel ist auch niemals klar, warum Krähen und Spatzen so viel Stunk machen. Doch zumindest konnte man sie sehen. In Bird Box – Schließe deine Augen lässt man das Publikum dumm sterben – aber lieber dumm, als in grenzenloser Traurigkeit. Schließlich lässt sich nicht zeigen, was den Tod bringt. Oder hat irgendjemand schon mal in die lethalen Augen von Nikolai Gogols Erdgeist Wij geblickt und kann darüber berichten? Eben. Und dennoch bleibt die Tatsache eine unbefriedigende.

In diesem Extremszenario gibt Sandra Bullock die Mutter ihres eigenen und eines fremden Kindes, deren leibliche Eltern leider hinsehen mussten. Alle drei sind unterwegs zu einer Zuflucht inmitten der Wildnis, in der es sich, fern jeglicher Aggressoren, leben ließe. Auf einem Boot schippern sie flussabwärts – dazwischen wagt sich Bullock zu erinnern: Was eben war, wie sie mit einer Handvoll fremder Leute in einem Haus Zuflucht gesucht hat, wie sie dort womöglich Jahre ihres Überlebens verbracht hat, und was dazu geführt hat, dass einer nach dem anderen wegsterben musste. Soziale Diskrepanzen, Psychospielchen und seltsame Anomalien bei psychisch gestörten Menschen, die hinsehen können, ohne Schaden zu erleiden, unterbinden jegliche Langeweile.

Und dennoch gerät die Gefahr in Bird Box zu einer ziemlich austauschbaren. Im Grunde ist es ganz egal, was hier die Apokalypse losgetreten hat. Die meiste Zeit des von Susanne Bier (u. a. Zweite Chance) inszenierten Streifens handelt vom Leben im Hausarrest, etwas Lockdown-Feeling kommt auf und kurios dabei ist, dass trotz des Zusammenbruchs jeglicher Infrastruktur der elektrische Strom immer noch funktioniert und das Wasser fließt. Die unter falschen Voraussetzungen geschilderten Notsituationen erschöpfen sich nach einiger Zeit, und andauernd drängt die Frage, ob man den perfiden Entitäten irgendwie auf den Zahn fühlen könnte. Da hier nichts passiert, bleibt ein generischer Endzeithorror über, der mit dem Unerklärlichen so wenig wie möglich interagieren will.

Bird Box – Schließe deine Augen (2018)

Ghostbusters: Legacy

FERIALPRAKTIKUM IM GEISTERFANGEN

6,5/10


ghostbusters_legacy© 2021 Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH


LAND / JAHR: USA 2020

REGIE: JASON REITMAN

CAST: MCKENNA GRACE, FINN WOLFHARD, LOGAN KIM, PAUL RUDD, CARRIE COON, BOKEEM WOODBINE, CELESTE O’CONNOR, DAN AYKROYD, BILL MURRAY, ERNIE HUDSON, TRACY LETTS, ANNIE POTTS U. A. 

LÄNGE: 2 STD 5 MINUTEN


Einfach nur Fan-Service oder wirtschaftliches Kalkül? Was treibt die Studios wohl schon eine ganze Dekade lang dazu an, bewährte Kult-Franchises aus den Achtzigern immer wieder aufzuwärmen und wiederzubeleben, manchmal schlechter, manchmal besser? Nur Spaß an der Freude kann es nicht sein – es ist das Arbeiten mit Formeln und erfolgsversprechenden Parametern, die auf alle Fälle jene Generation an Kinogehern abholen sollen, die mit Stars Wars, Terminator, Ghostbusters und Co aufgewachsen sind. Es ist, als würde man auf einer niemals enden wollenden Comic-Convention all jenen Figuren aus den geliebten fiktiven Realitäten begegnen, an die wir uns gerne erinnern. Manchmal ist die Aufmachung lächerlich, manchmal aber atemberaubend gut ausgearbeitet.

Die vier Kerle, die im Manhattan des Jahres 1984 eine sumerische Gottheit mit dem überdimensionalen Marshmallowman in ihre Schranken verwiesen, haben mit nur zwei Filmen und einer Animationsserie ein unverwechselbares, für sich allein stehendes Universum erzeugt, dass Geister nicht als das hässliche Böse wie in Conjuring oder Insidious darstellt, sondern als familientaugliches, buntes Geisterbahn-Bestiarium zwischen pummeligen Allesfressern und finster dreinblickenden Machthungrigen, die ihren eigenen Tempel oder ihr eigenes Gemälde mitbringen. Das ist mehr Fantasy als Grusel, und genau diese recht unbekümmerte, in ihren Dosen nicht zu verändernde Verbindung macht es aus, das Ghostbusters quer durch alle Altersschichten und Geschmacksrichtungen funktioniert. Stranger Things hat das Ganze dann noch mit der Spielberg´schen Mystery kombiniert, die natürlich viel ernster daherkommt – hier weicht der Spaß am Bannen knautschiger Monster einer beklemmenden Paranoia.

Zum Glück macht Jason Reitman kein Zugeständnis in irgendeine andere Richtung, und auch nicht in Richtung Klamauk, wie die Damenrunde aus dem Jahr 2016. Anscheinend geht das nur, wenn man wirklich und ohne Umschweife Bezug nimmt auf das Original. Um sich dann vielleicht loszulösen. In Ghostbusters: Legacy (hätte eigentlich letztes Jahr ins Kino kommen sollen) erbt die Tochter des Geisterjägers Egon Spengler (Harold Ramis, 2014 leider tatsächlich verstorben) dessen Grund und Boden irgendwo im Nirgendwo nahe einer Kleinstadt. Das Gemäuer erinnert an das Haus der Addams, und mehrere Holzverschläge bergen wohl erinnerungswürdige Artefakte und Gegenstände, die wir alle kennen sollten. Die Enkelin Phoebe ist so klug wie ihr Opa und kommt in den Sommerferien dem wahren Geheimnis ihres Verwandten auf die Spur, das mit der Einsicht endet: Geister gibt es wirklich. Und was für welche. Längst verbannt geglaubte Gottheiten quälen sich an die Oberfläche, und Phoebe, ihr Bruder Trevor (Stranger Things-Star Finn Wolfhard) und der schräge Nerd Podcast treten in die Fußstapfen jener, die zuletzt vor mehr als dreißig Jahren den Schleim von ihren Schultern wischten.

So baut man ein Erbe auf. Jason Reitman macht anfangs alles richtig, setzt auf Stimmung, gute Bilder und einem phänomenalen Cast, der mit Mckenna Grace (auch bekannt aus der Serie Young Sheldon) wirklich ins Schwarze getroffen hat. Die drei Freunde sind längst keine austauschbaren, gestelzt vor sich hin agierenden Jugendlichen mehr, wie zum Beispiel in Filmen wie Das schaurige Haus. Das sind Charakterköpfe, die noch mehrere Fortsetzungen tragen könnten, sollte es welche geben. Da ist Teamgeist, Individualismus und Herzlichkeit drinnen, wie bei den Vieren von damals. Bis es so weit kommt, und die Truppe ihren Einstand feiert, nimmt sich Reitman viel Zeit, um all das Drumherum und auch die Bedürfnisse der Fans und Popkultur-Nostalgiker mit Liebe und Geduld zu stillen. Dabei entgleitet ihm die Zeit, das Timing kippt. Viel bleibt nicht mehr, um die Geschichte auszuerzählen. Viel zu spät lenkt der Höhepunkt den Film in die Zielgerade. Was folgt, ist ein gehetzter Showdown, der im Vergleich zu allen anderen Filmen enttäuschend wenig spukende Artenvielfalt in petto hat. Das ist dann doch ein bisschen mager. Etwas einfallslos auch das Rezitieren des Originals in zwar anderem Umfeld (von der Stadt aufs Land), aber in genau derselben Abfolge wie damals. Überraschungen gibt es keine, man hält sich an das Spiel der Jungdarsteller, während das Meet & Greet mit bekannten Gästen wie ein halbherziger, pflichtbewusster Bühnen-Gig wirkt.

Einerseits schade, hier nicht gleich mit dem Ecto 1 die erste Kurve genommen zu haben. Andererseits aber macht Kennern die alte neue Hommage an ein Genre-Phänomen großen Spaß, und ja, es ist wie auf einer Comic Con – das Fanherz schlägt höher, ganz von allein. Allerspätestens bei Ray Parkers One-Hit-Wonder.

Ghostbusters: Legacy

Das schaurige Haus

WENN’S DIE JUNGEN GRUSELN SOLL

5/10


schaurigehaus© 2020 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND 2020

REGIE: DANIEL PROHASKA

CAST: LEÓN ORLANDIANYI, BENNO ROSSKOPF, JULIA KOSCHITZ, MARII WEICHSLER, LARS BITTERLICH, INGE MAUX U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


In Horror- und Gruselfilmen werden Kinder stets als die Neugierigen voraus ins Feld geschickt – und kommen folglich schön brav zum Handkuss. Sie werden dabei zum Medium oder ganz einfach hinter die Mattscheibe eines Röhrenfernsehers gezogen, wie es anno dazumal der gute alte Poltergeist getan hat. Meist sitzen die Kids dann in rotierenden Betten oder sind die ersten, die aufgrund ihrer kindlichen Unbedarftheit und Unreife am leichtesten Zugang haben in die Welt des Paranormalen. Kinder sind dabei aber nie die Zielgruppe, die ihren Altersgenossen dabei zusehen dürfen, wie sehr sie mit dem Spuk auf Tuchfühlung gehen. Das ist fast schon unfair. Und das meine nicht nur ich, sondern auch Buchautorin Martina Wildner, die mit ihrem Provinzgrusler Das schaurige Haus den Leseplan an den gymnasialen Unterstufen beeinflusst. Anders als bei den 3 Fragezeichen sind diese Satzzeichen immerhin zu viert und noch dazu tatsächlich mit etwas Übernatürlichem konfrontiert, was bei Justus, Peter und Bob letzten Endes leider niemals der Fall war. Nobel, den Nachwuchs dazu zu bringen, sich auf die Wirklichkeit zu verlassen – doch ein bisschen Faktor X schadet nie. So auch hier nicht. Und es hat auch nicht lange gedauert, bis Das schaurige Haus auf die Leinwand kam. Dank Corona war eine Kino-Auswertung fast nicht möglich – folglich hat sich Netflix (wer sonst?) die Vertriebsrechte geholt, mit dem Wermutstropfen, dass diese für Minderjährige adäquate Dosis des Schaurigen im dunklen Kino wohl weitaus besser zur Geltung gekommen wäre als daheim in vertrauter Umgebung des Wohnzimmers. Doch vielleicht ist das besser so. Dann muss die Elternschaft des Nächtens nicht mit dem Nachwuchs aufs Klo.

Dabei fühlt sich anfangs wirklich alles an wie ein klassisches Jugendabenteuer zwischen Enid Blyton und den Goonies. Schauplatz ist – anders als im Roman – das österreichische Bundesland Kärnten, und im beschaulichen Dorf Bad Eisenkappel bezieht der Halbwaise Hendrik mit Mutter und Bruder ein wenig einladendes Gemäuer – als Zwischenlösung wohlgemerkt. In diesem Gemäuer ist, wie der Titel schon sagt, gar nichts auch nur irgendwie koscher – und folglich legt der kleine Bruder schon bald seltsame Anwandlungen an den Tag. Es dauert nicht lange, da sind die neugierigen Nasen einem düsteren Geheimnis auf der Spur, der die verblichenen Vermieter des Hauses einfach nicht ruhen lässt.

Regisseur Daniel Prohaska, bislang vorwiegend im TV vertreten, und da wiederum vorrangig als Filmeditor, hat für diesen durchaus zum Gruselthriller ausbaubaren Stoff einen entsprechenden Kompromiss geschlossen. Auch hier heisst es: gebt den Horror mit Kindern den Kindern selbst. Klarerweise sind da nicht die Jüngsten gemeint, sondern angehende Teenies, die nicht unbedingt die große Herausforderung suchen, die vielleicht Stephen Kings Es bieten würde. Prohaska streut bewusst nur wenige zarte Schocks (eigentlich gar keine) und setzt vermehrt auf Schauermomente, die anstatt Jumspscares einfach eine stimmige Atmosphäre erzeugen. Das gelingt durchwegs – weniger prickelnd und viel mehr in sperriger Phlegmatik versunken sind die Jungdarsteller. Selbst Julia Koschitz bleibt enttäuschend blass, so, als wären Geister das Alltäglichste auf der Welt. Skurriles Sahnehäubchen des Films ist Lars Bitterlich mit Brille und Howard Wolowitz-Gedächtnisfrisur, der stellvertretend für alle den Spirit einer motivierten Clique atmet, die das Abenteuer ihres Lebens besteht. Vielleicht hat sich Prohaska zu sehr darauf konzentriert, eben diese gefundene Balance tunlichst zu halten, damit der Grusel nicht zu sehr in Richtung Horror kippt. Nebelschwaden, schwarze Augen und obskures Gekrakel an den Wänden sind da die Hauptattraktionen des paranormalen Jugendkrimis, das Übrige gerät zum Üblichen aus dem serienstilistischen Fernsehfundus für das routinierte Nachmittagsprogramm.

Das schaurige Haus

Things Heard & Seen

GEISTER, DIE ZUR HAND GEHEN

4/10


thingsheardandseen© 2021 Netflix

LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: SHARI SPRINGER BERMAN & ROBERT PULCINI, NACH DEM ROMAN VON ELIZABETH BRUNDAGE

CAST: AMANDA SEYFRIED, JAMES NORTON, NATALIA DYER, F. MURRAY ABRAHAM, RHEA SEEHORN, KAREN ALLEN, MICHAEL O’KEEFE, ALEX NEUSTAEDTER U. A. 

LÄNGE: 1 STD 59 MIN


Ich bin zwar keiner, der das Horrorgenre zu seinem liebsten zählt, aber zumindest jemand, der Filme wie Das Waisenhaus oder The Others sehr zu schätzen weiß. Weil sie das Parapsychologische ernst nehmen, und nicht nur auf Angst setzen, wie es gefühlt 99 Prozent all dieser anderen Filme tun. Das wäre für mich zu platt – viel interessanter ist stattdessen der relativ wertfreie Zugang in ein längst nicht wissenschaftlich untermauertes Mysterium an interdimensionalen Interaktionen, deren Ursachen und vielleicht auch deren Heilung. Die eingangs erwähnten beiden Filme sind aus meiner Sicht schwer zu erreichende Meisterwerke, in sich stimmig und wunderbar auserzählt. Das kribbelnde Unwohlsein, dass in diesen Werken entsteht, ist auf den Zustand des Nichtwissens zurückzuführen, die damit einhergehende sprichwörtliche Gänsehaut geradezu etwas Schönes, Bereicherndes, weil sie so eng mit kindlicher Neugierde verbunden ist. Ich will vor diesem Mysterium nicht davonlaufen müssen, sondern die Möglichkeit haben, den Mut dafür aufzubringen, diesem zwischenweltlichen Intermezzo entgegengehen zu dürfen.

Diesen Mut muss man allerdings bei Things Heard & Seen nicht aufbringen. Dies wäre vielleicht zu vermuten, doch am Ende der Nacht mit all seinen Spukgestalten ernüchtert die Erkenntnis, dass dieser Film ganze Dimensionen weit davon entfernt ist, die Klasse von Das Waisenhaus oder The Others zu erreichen – obwohl das Potenzial zumindest anfangs gegeben wäre. Denn wir haben, was das Setting betrifft, den für einen Gruselfilm wohl besten Ort gefunden: ein altes Gebäude, am besten im Nirgendwo und abseits von urbanem Geschehen. In so ein Gemäuer zieht Künstlerin Catherine (mit staunenden Augen, aber sehr souverän: Amanda Seyfried) gemeinsam mit ihrer Familie, weil Gatte George in der naheliegenden Uni eine vielversprechende Professur als Kunsthistoriker ergattert hat. Es scheint alles eitel Wonne zu sein, das Haus wird renoviert und geputzt – allerdings nicht gründlich genug, denn einige Zeit später findet Catherine das völlig staubfreie (wie das?) Exemplar einer alten Bibel, in denen die Namen der verstorbenen Bewohner aufgelistet sind. Einige davon sind durchgestrichen, mit dem Vermerk: Verdammt! Jetzt wird’s paranormal. Denn Catherine beginnt, die titelgebenden Dinge zu sehen, zu riechen und zu hören. Gediegene Geistererlebnisse mit allen Sinnen. Wie gesagt: vielversprechend, wenn es nun tatsächlich darum geht, steinalte Flüche zu bannen oder Seancen abzuhalten. Gothic-Grusel für retroaffine Neuzeitler.   

Doch sobald sich das Gefühl Bahn bricht, es nicht mit rechten Dingen zu tun zu haben, ist das Feeling auch schon wieder verschwunden. Was ist passiert? Ehrlich gestanden: je länger der Film dauert, umso weniger hat man eine Ahnung, wohin das ganze Szenario hinstrebt. Dem nicht zwingend böswilligen Vier-Wände-Horror schenkt das Regieduo Shari Springer Berman und Robert Pulcini viel zu wenig Beachtung, dafür aber schlagen sie sehr bald die Richtung hin zu einem an den Nackenhaaren herbeikonstruierten, relativ altbackenen Home-Terror-Thrillers ein, in dessen Mittelpunkt James Norton als Vater, Ehemann und ehrgeiziger Kunstkenner eine punktgenau unsympathische Filmfigur abgibt. Das große Problem an Things Heard & Seen ist aber nicht er, sondern die Plausibilität menschlichen Verhaltens. Die ist nicht gegeben. Es entsteht zwar während der Sichtung eine gewisse Kurzweil, und ja: man wartet von Minute zu Minute immer dringender auf die Auflösung des ganzen. Die hintereinander einfallenden, platten (und szenenweise ernüchternd vorhersehbaren) Wendungen jedoch verwirren das Gruselstelldichein, das eigentlich gar keines sein will, zusehends. Das Flüstern des Geistes, dessen Inhalt zur Klärung des Sachverhaltes vielleicht beitragen würde, ist so gut wie nicht zu verstehen, das nebulöse Durcheinander an Normalem und Paranormalem und Abnormalem verknotet sich zu einem hilflosen Ringen um Stil und Atmosphäre. Die metaphysische Allegorie als Schlusspunkt frohlockt dann nur noch mit hausierender Geheimniskulisse. Einzig Amanda Seyfried kämpft sich aus der verschwurbelten Tragödie und bleibt in guter Erinnerung, während der ganze unbefriedigende Rest am Ende dieser Nacht nur noch auf den Geist geht.

Things Heard & Seen

Fast Color

NUR DIE SUMME SEINER TEILE

4/10


fast-color© 2021 Lighthouse Home Entertainment


LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: JULIA HART

CAST: GUGU MBATHA-RAW, LORRAINE TOUSSAINT, SANIYYA SIDNEY, DAVID STRATHAIRN, CHRISTOPHER DENHAM U. A. 

LÄNGE: 1 STD 41 MIN


Erst kürzlich feierte auf amazon prime der Retro-Krimi I’m Your Woman seine „Premiere“. Regie führte in diesem recht ansehnlichen Emanzipationstrip einer Gangsterbraut eine Dame namens Julia Hart. Ich habe dann natürlich nachgegoogelt und bin auf das eben frisch veröffentlichte Mysterydrama Fast Color gestoßen, mit der aparten Gugu Mbatha-Raw in der Hauptrolle (sehr sehenswert übrigens in Die Misswahl – Der Beginn einer Revolution und nicht nur wegen ihres Aussehens). Der Trailer sah ja recht vielversprechend aus. Doch wie das bei Trailern manchmal so ist – können sie ihre Versprechen letzten Endes nicht halten. Julia Harts bereits 2018 abgedrehter Film ist einer jener Produktionen, bei denen man bereits in der ersten Minute weiß, wie es enden wird. Nimmt das dem Film die entsprechende Spannung? Oh ja, das tut es. Leider Gottes.

Gott hat in diesem Drama allerdings wenig mitzureden. Denn die übersinnlich begabte Mutantin hat’s ganz alleine drauf. Ruth, wie sich Mbatha-Raw nennt, bekommt ab und an Anfälle, bei denen sie zu zittern und zu scheppern beginnt wie ein Kluppensack, muss sich dann aber selbst am Bettgestell (falls eines vorhanden) festbinden, um nicht Schaden zu nehmen, und vergisst auch nicht, allen anderen in Hörweite zurufen: verkriecht euch unter den Tisch oder klemmt euch in den Türstock. Ruth bringt nämlich die Plattentektonik ins Wanken. Das ist mal eine Leistung, die gab’s bei den X-Men noch nicht (Magneto hätte das vielleicht geschafft, mit all dem Eisen im Boden). Dabei ist das nicht Ruths einziges Problem. Julia Hart stößt uns Zuseher nämlich direkt mitten ins Geschehen hinein, wir hängen uns also an den Kühler von Mbatha-Raws Fluchtauto, denn Polizei und Wissenschaft ist hinter ihr her. Wo sie selbst hinwill, wird bald klar: zurück zu ihrer Mum, denn dort lebt auch ihre Tochter. Und ja, bevor ich’s vergesse: Fast Color ist nicht nur ein „Superhelden“-Streifen, wenn man so will (wobei Superhelden stets das Image des anzuhimmelnden Weltenretters mit sich herumtragen), sondern auch eine düstere Zukunftsvision, in der das Grundwasser auf unserem Planeten so gut wie versiegt ist und Wasser so viel kostet wie ein Manhattan-Cocktail.

Na, kommt schon der erste Verdacht auf, wie das Ganze vielleicht enden könnte? Mit Fast Color hat Julia Hart nicht nur aufgrund ihres sehr locker gestrickten Scripts allzu stark durchscheinen lassen, was ihre Ambitionen sind. Auch sonst wirkt das Drama streckenweise sehr behäbig und hat zwischen dieser Behäbigkeit noch allerlei Längen drin, die ein namhafter Nebendarsteller wie David Strathairn (u. a. The Expanse) nur noch verschlimmert, weil dieser sich mehr als Statist genügt. Schön sind vielleicht die eingestreuten CGI-Effekte von Gegenständen, die sich in ihre Einzelteile auflösen, als hätte man sie durch die Kaffeemühle gedreht – das sind by the way die Skills der übrigen Family, denn Mutationen sind schließlich vererbbar.

Fast Color

Das Waisenhaus

SIE WOLLTEN DOCH NUR SPIELEN

8,5/10


orphanage© 2008 Senator Filmverleih


LAND: SPANIEN 2007

REGIE: JUAN ANTONIO BAYONA

CAST: BELÉN RUEDA, FERNANDO CAYO, ROGER PRINCEP, MABEL RIVERA, GERALDINE CHAPLIN U. A.

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Guillermo del Toro ist, meiner filmischen Erfahrung nach, wohl jemand, der im Übernatürlichen dieser Welt nicht zwingend etwas sieht, das den Menschen nur Böses will. Meist stehen hinter seinen Erscheinungen und Begebenheiten sehr irdische, menschliche, diesseitige Bedürfnisse wie die Sehnsucht nach Nähe, Liebe und die Angst vor Verlust. Auch Reue, die Suche nach etwas, all das, was Geister vielleicht so herumtreibt, sollte es sie geben, wofür leider noch kein einziger Beweis existiert. Interessant wäre es, mehr über das zu erfahren, was unser Verstand nicht erklären kann oder wir nicht sehen können. Das französische Drama Eine größere Welt erzählt die wahre Geschichte über die ersten wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema Schamanismus. Etwas, das del Toro und Regisseur Juan Antonio Bayona (Sieben Minuten nach Mitternacht, Jurassic World: Das gefallene Königreich) durchaus fasziniert. Wobei das keinen Gesetzen oder noch besser: eigenen Gesetzen folgende Andersartige, manchmal auch Monströse, das mit so einer größeren Welt in Verbindung steht, genau das ist, was die beiden dazu bewogen hat, ihr Gruseldrama Das Waisenhaus in die Kinos zu bringen.

Das Unerklärliche erschreckt uns, oder wir verdrängen es. Zu wissen, dass etwas nicht unserem Erlernten unterliegt, irritiert und verstört: das ist der Motor einer Geistergeschichte. Genau so etwas ist Das Waisenhaus, jedoch von einer Art, die sich jenseits von Insidious, The Conjuring oder Annabelle nicht mit fiesen Dämonen herumschlägt, sondern das Paranormale ernst nimmt, von plakativem Horror absieht und dem Grusel, der diesem Paranormalen vorausgeht, auf den Grund gehen will. Was zum Vorschein kommt, ist meist nichts Glückliches, denn die Glücklichen sind anderswo und schleichen nicht durch irdische Gemäuer, weil sie irgendetwas nicht zu Ende bringen konnten, als Rest einer Energie, die hinter den Tapeten, knarzenden Dielen und verschlossenen Tapetentüren steckt.

Dass in diesem alten Waisenhaus, das die ehemalige Insassin Laura gemeinsam mit ihrer Familie beziehen und neu eröffnen will, irgendwas nicht mit rechten Dingen zugeht, wird ihr erst bewusst, als ihr an HIV erkrankter Adoptivsohn Simon plötzlich verschwindet. Haben dessen imaginäre Freunde etwas damit zu tun? Auf Zeichnungen hat Simon die sechs Kinder verewigt – eines davon hat einen Sack über dem Kopf. Was hat es mit diesen Visionen auf sich? Ist Lauras Sohn verrückt geworden? Ist es diese Einsamkeit hier draußen? Versteckt er sich? Rätselhaftes nimmt überhand, eine alte Frau taucht auf, geistert des Nächtens auf dem Grundstück herum. Und plötzlich steht der maskierte Junge da – ist es Simon? Laura beginnt zu recherchieren. Lässt ein Medium durch die Zeiten wandern. Und deckt eine Tragödie auf, dessen Folgen bis in die Gegenwart reichen.

Juan Antonio Bayonas Gruselfilm ist neben Alejandro Amenábars ähnlichem, genialem Spukwerk The Others das für mich bislang beeindruckendste Werk über paranormale Begebenheiten. Das Waisenhaus ist atmosphärisch, dramatisch, wie ein klassisches Schauerdrama, aber keineswegs altmodisch. Viel mehr erinnert es an Guillermo del Toros eigener, subtiler Geisterbegegnung The Devil’s Backbone. Bayona erzählt in düsteren, satten, gleichsam opulenten Bildern. Er erzeugt Gänsehaut, macht neugierig und Mut für das Andere, Unerklärliche. Die Angst vor dem Gespenstischen ist überwindbar, und es macht sich bezahlt, einen Schritt über vermeintlich unheilvolle Schatten zu springen, die offene Wunden offenbaren, die die Lebenden imstande sind zu heilen. Diese Prämisse macht diesen Film unendlich traurig, berührend. Und zu einem komplex erzählten Erlebnis im Kino des Übernatürlichen.

Das Waisenhaus

A Ghost Story

PSYCHOGRAMM EINER SEELE

9/10

 

aghoststory© 2017 Universal Pictures GmbH

 

LAND: USA 2017

REGIE: DAVID LOWERY

CAST: CASEY AFFLECK, ROONEY MARA, MCCOLM CEPHAS JR., KENNEISHA THOMPSON U. A. 

 

Ehrlich gestanden habe ich die Sichtung von David Lowerys Streifen A Ghost Story lange Zeit hinausgezögert. Was ich erwartet hatte, wäre ein in Gedankenwelten zurückgezogenes Trauerdrama gewesen, auf eine Art, mit welcher sich Terrence Malick gerne identifiziert: bis zum Bersten voll mit inneren Monologen, bedeutungsschwer, so philosophisch wie esoterisch. Irgendwann hat Malick da nicht mehr die Kurve gekriegt, seine Filme wurden zu gedehnten, handlungsarmen Exkursen, prätentiös bis dorthinaus. A Ghost Story, so dachte ich mir, teilt ein ähnliches Schicksal. Doch wie sehr kann man sich täuschen. Spätestens zu Allerheiligen war dann doch Zeit (Ich passe meine Filmauswahl durchaus gerne an gesellschaftliche Ereignisse an), A Ghost Story von der Watchlist zu streichen. Und es war eine gute Entscheidung: Lowerys Film ist ein Erlebnis, oder sagen wir gar: eine Begegnung der dritten, der anderen Art. Ein Film über Geister, wie ihn so womöglich noch keiner gesehen hat. Denn das Paranormale ist hier weit davon entfernt, den Lebenden an den Kragen zu wollen wie in knapp 90% aller Geistergeschichten im Kino. Wer sich an Furcht und Schrecken laben, wer den Adrenalinpegel erhöhen will, der muss sich andere Filme ansehen – nur nicht A Ghost Story. Und das ist gut, sehr gut sogar. Wie erlösend, sich dem Wesen eines Geistes zu nähern, ohne dass das Blut in den Adern gefriert, wenngleich das zaghaft Unheimliche neugierig darauf macht, sich mit den Dingen jenseits von Himmel und Erde näher zu befassen: Was ist ein Geist, was bleibt von der Person, die er im Laufe seines Lebens war, und welche Rolle spielt die Zeit?

Vergessen wir einfach Ghost – Nachricht von Sam. Der von Jerry Zucker inszenierte Blockbuster aus den frühen Neunzigern hat Patrick Swayze erfahren lassen, was es heißt, zwar tot zu sein, aber noch nicht ins ewige Licht gehen zu können. In A Ghost Story ist es Casey Affleck, der bei einem Autounfall ums Leben kommt, nicht als Toter, sondern als Seele erwacht und in ein Leichentuch gehüllt durch das immer fremder werdende Diesseits wandelt, mit dem Ziel, zurückzukehren ins Zuhause, wo Rooney Mara über ihn trauert. Da steht er nun, verharrt zwischen seinen vier Wänden, blickt durch zwei schwarze Augenlöcher durch die Gegend und auf den Menschen, der ihm wichtig war. Er ist ein Gespenst, die Essenz eines Individuums, die Idee eines Ichs. Wie viel davon bleibt? Weiß der Geist, wer er ist? Weiß er, was er hier tut? Und wie nimmt er den Lauf der Dinge wahr, der zwangsläufig erfolgen muss, in dieser entropischen Dimension. Der Geist selbst ist diesem Verfall erhaben. Wir sehen ihm zu, wie er anderen zusieht, die kommen und gehen. A Ghost Story ist keine Trauermär, kein Bewältigungsprozess – viel mehr ein Überwältigungsprozess, der zum Ziel hat, alles Irdische abzustreifen. Lowerys Symbolsprache, seine Wahl auf die simpelste Ikonographie, die ein Gespenst haben kann, nämlich ein weißes Bettlaken und zwei Augen, die setzt auch den Begriff Geist auf seine Starteinstellungen zurück. Dabei gewandet er dieses Psychogramm in eine stille Ode an die Vergänglichkeit, an die Erinnerung und das Vergessen. Tatsächlich weilt dieses lakonische Meisterwerk meist jenseits irgendeiner Sprache. Der Geist schaut stumm, und so schaut auch seine Umgebung größenteils stumm auf ihn zurück. Mitunter schafft er es, sich bemerkbar zu machen – dieser Schritt ins Übersinnliche, näher zu unserem eigenen verschwindenden Glauben an das Spitituelle, kommt uns seltsam bekannt vor. Es sind Geräusche, mehr nicht. Sie scheinen wichtiger als das gesprochene Wort, und wenn Lowerys namenlose Personen sprechen, dann tun sie das gebündelt, dann philosophieren sie über den temporären Wert unseren sinnhaften Tuns.

A Ghost Story ist eine cineastische Erfahrung, eine wunderschöne Meditation zwischen Leben und Tod, und seltsamerweise eine Liebeserklärung an das Endenwollende. Im Bildformat 4:3, mit abgerundeten Kanten und der Optik eines am Dachboden wiederentdeckten Super 8-Films wirkt das Drama noch mehr wie das Tor in eine andere Welt, die wiederum durch den Geist in unsere eigene blickt und in welcher Zeit nur Mittel zum Zweck ist, dem Drängen nach etwas Unerledigtem nachzugehen. Alles ist subjektiv, auch die Wahrnehmung des Endes. Das und eigentlich noch viel mehr weiß die einsame Seele, und lässt uns zumindest einen Blick auf eine völlig unerwartete Wahrheit erhaschen.

A Ghost Story