Momo (2025)

WER HAT AN DER UHR GEDREHT?

6/10


© 2025 Constantin Film


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2025

REGIE: CHRISTIAN DITTER

DREHBUCH: CHRISTIAN DITTER, NACH DEM ROMAN VON MICHAEL ENDE

KAMERA: CHRISTIAN REIN

CAST: ALEXA GOODALL, ARALOYIN OSHUNREMI, KIM BODNIA, CLAES BANG, LAURA HADDOCK, MARTIN FREEMAN, DAVID SCHÜTTER, JENNIFER AMAKA PETERSON, LINA MARUYAMA, RITAKAHN CHEN U. A.

LÄNGE: 1 STD 32 MIN



Den Cast hätte Michael Ende wohl abgenickt. Vor allem mit dem bezaubernd sympathischen Martin Freeman – einem Mann, dem man einfach nicht böse sein kann. Der ehemalige Hobbit und die rechte Hand eines modernen Sherlock Holmes versprüht als Meister Hora den magischen Esprit eines Charakters, den Ende so geschrieben haben muss. Freeman changiert zwischen jovialer Weisheit und kindlicher Verschmitztheit wie einst der gute Heinz Rühmann, der den Meister der Stunden wohl ähnlich dargeboten hätte. Die rotgelockte britische Schauspielerin Alexa Goodall ist ebenfalls ein Glücksgriff – wie einst Radost Bockel steht ihr die verpeilte Lummerland-Attitüde, vermengt mit dem sie umgebenden Mysterium ihrer Herkunft (wie so oft bei Michael Ende) ausnehmend gut. Die Szenen, in denen sie sich direkt konfrontiert sieht mit dem obersten Zeitdieb Claes Bang sind die besten, vor allem auch, weil auch jener, der ein bisschen so aussieht wie Christopher Lee in jungen Jahren, den grauen Anzugträger diabolisches Charisma verleiht, scheinbar unantastbar, allem erhaben, und so falsch wie der Teufel selbst.

Ein Upgrade für den Klassiker

Mit diesem Trio hat die Neuverfilmung von Momo schon eine Menge in trockenen Tüchern. Stellt sich natürlich die Frage: Wie diese parabelhafte Betrachtung der modernen Welt, geschrieben in den Siebzigern, für die heutige Zeit adaptieren, die schon so viel weiter ist als jene aus den Achtzigern, in denen sich Johannes Schaaf an die erste Verfilmung herangewagt hat?

Statt an Zigarren zu ziehen geben sich die Zeitdiebe diesmal den entspannenden temporären Sprühnebel mit dem Inhalator. Ein High-Tech-Armband gibt den Leuten diesmal vor, wann sie wo wieviel Zeit sparen können, es wäre wegen der Prozessoptimierung – mittlerweile ein geflügeltes und durchs Dorf getriebene Fachwort zur Effiziensteigerung. Und schon sind wir angekommen in der schönen neuen Arbeits- und Lebenswelt, die sich, wie kann es anders sein, genauso grau, gehetzt und verkniffen anfühlt wie unsere tatsächliche urbane Welt. Statt Armband haben wir die Apple Watch oder das Smartphone, viele Unterschiede gibt’s da nicht. Hätten wir Momo, würde sie erkennen: Es sind wir selbst, die auf die große Erfüllung hinsteuern, die niemals kommen wird, weil sich auch dort, wo der vermeintliche Silberstreifen am Horizont auftaucht, nur unsere gehetzte Gegenwart spiegelt. Was wollen wir denn damit erreichen, mit all dieser Effizienz? Mehr Profit. Wofür eigentlich?

Weder Hommage noch originär

Michael Endes Allegorie ist so zeitlos und treffend, dass sie sich wie eine perfekte Blaupause für spätere Generationen eignet; ein narratives Template, um die veränderbaren Variablen des Fortschritts ganz einfach zu ersetzen. So variabel wie diese Vorlage erscheint allerdings auch die Umsetzung von Momo für das Zeitalter der Sozialen Medien – vielleicht, weil uns ohnehin jede Menge substanzloser, generischer Content umgibt, der durch den KI-Slop, der im Film ja noch nicht mal berücksichtigt wird, Lebens- und Arbeitsqualität zusehends entwertet. Regisseur Christian Ditter (Vorstadtkrokodile, Biohackers) kann sich kaum für eine visuelle Tonalität entscheiden, mal gerät sein Film als dystopische Achtziger-Science-Fiction, mal als Hommage an Schaafs altem, weitaus stilsicheren Film mit mechatronischer Schildkröte und deutlichen Kulissen, mal als CGI-optimierter Kitsch, wie ihn Peter Jackson in The Lovely Bones gerne hatte. Die Momo-Version 2025 kann sich schwer entscheiden, welchen Weg sie gehen soll, um ihre Geschichte zu erzählen – das bremst den Erzählfluss, passt sich zwischendurch dem Schritttempo der Schildkröte an. Vielleicht sollte man diesen entschleunigten Rhythmus ja gerade deswegen aussitzen, weil die Prämisse ja schließlich jene ist, in Eile langsam zu gehen, wie schon Konfuzius gesagt haben soll.

Das wäre ja schön und gut, aber vielleicht liegt es auch daran, dass der Plot mittlerweile längst allzu bekannt ist und man hauptsächlich bei den Bildern hängenbleibt, die zusammengenommen eine generische Mixtur ergeben.

Momo (2025)

Predator: Badlands (2025)

AM LAGERFEUER MIT DEM KOPFJÄGER

6/10


© 2025 20th Century Fox / Disney


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: DAN TRACHTENBERG

DREHBUCH: PATRICK AISON

KAMERA: JEFF CUTTER

CAST: DIMITRIUS SCHUSTER-KOLOAMATANGI, ELLE FANNING, REUBEN DE JONG, MIKE HOMIK, ROHINAL NARAYAN, CAMERON BROWN, ALISON WRIGHT, THE DUFFER BROTHERS U. A.

LÄNGE: 1 STD 47 MIN


Disney spürt man überall. Am stärksten bei Themen, die nicht dafür gemacht sind, den Kindern vor dem Schlafengehen als Betthupferl zu dienen. Disney will aber, das sich im Grunde alles, worüber es das Sagen hat, ein bisschen nach Betthupferl anfühlt. Predator: Badlands, jüngste Erweiterung des Franchise, das diesmal auch hochoffiziell mit dem Alien-Universum kokettiert, ist so, als würde man den beinhart agierenden Arnold Schwarzenegger in seiner Rolle als T1000 aus James Camerons Klassiker nunmehr als Kindergarten Cop einsetzen. Zumindest als unfreiwillige, pädagogisch dann doch wertvolle Aufsicht über jenen Dreikäsehoch, der als Sprössling von Sarah Connor im Endeffekt zu Nannys Nemesis werden könnte.

Der moralische Kompass eines Aliens

Tut mir leid, Predator. Wenigstens darfst du aber diesmal zum Lokalaugenschein einladen, zum Wohngespräch mit deinem Publikum, denn zum allerersten Mal seit 1987 gewährt das wirklich nicht schönste Alien des Universums einen Einblick ins Privatleben einer Yautja-Familie, die auf Yautja Prime ihre wenig zimperlichen Rituale zugunsten der Tradition genüsslich praktizieren, ohne sie zu hinterfragen. Was wir wissen: Der Yautja ist, wie der Titel schon sagt, ein Jäger, ein Trophäensammler, ein gnadenloser Bursche (es gibt, so wie ich das sehe, nur männliche Exemplare – oder gar kein Geschlecht?) mit einem moralischen Kompass ohne Pole, der wirr um sich schlägt und für Erdlinge wohl kaum verstanden werden kann. Schließlich spielten bislang Faktoren wie Achtsamkeit, Respekt vor allem Lebenden und sowas wie Humanismus überhaupt keine Rolle. Disney will aber das Gute, das wissen wir. Das moralisch Integre, Aufgeräumte, Ehrbare. Auch der Predator soll und muss ehrbar werden. Am leichtesten lässt sich das bewerkstelligen, wenn dieses Exemplar in Predator: Badlands zum Opfer seiner eigenen Familienphilosophie wird.

Ökotrip für Hartgesottene

Als schwächstes Glied der Kette wird Dek zwar von seinem älteren Bruder beschützt, doch der mächtige Patriarch hat dann doch noch das letzte Wort. Und während sich in geradezu unvorstellbarer Selbstlosigkeit der Bruder unters Messer des Vaters wirft, gelingt dem jüngeren Taugenichts die Flucht per Raumschiff auf einen lebensfeindlichen Nachbarplaneten, dessen toxische und gefährliche Fauna und Flora jedes noch so erdenkliche Habitat auf unserem Planeten zum unkrautfreien Schrebergarten erklärt. Genna heisst jener Ort, an welchem nur nachhaltige Ökotouristen mit Hang zum Suizid ihre Reise buchen. Eines der mächtigsten und unmöglich zu tötenden Kreaturen sollen hier lauern, der sogenannte Kalisk, ein Muskelpaket von Monster, stark wie King Kong, unverwüstlich wie eine Kakerlake, weil gesegnet mit einem genetischen Reperaturmechanismus, der Wunden in Windeseile wieder schließt. Dek will es aber dennoch wissen – und schaffen, was niemand zuvor geschafft hat. Bevor es aber überhaupt so weit kommt, gibt sich der Rest des Planeten ausgeschlafen genug, um sich dieser landfremden Kreatur mit ganzer Bandbreite in den Weg zu stellen.

Als gäbe es ihn wirklich

Alle, die ans Creature Design ihr Herz verloren haben, dürfen sich Predator: Badlands nicht entgehen lassen. Ich sage es an dieser Stelle ganz offen: Mein Traumjob wäre es nach wie vor, in die Fußstapfen eines Phil Tippet, Dennis Muren oder Stan Winston zu treten, doch hierzulande in Österreich kann man mit dem Erschaffen von Kreaturen aller Art herzlich wenig erreichen. Es muss dann wohl genügen, einfach zuzusehen, was andere entworfen haben – und zugegeben, man kann sich selbst hier, in Trachtenbergs Bestiarium ferner Planeten, kaum an all dieser kuriosen Biomasse sattsehen, obwohl die Viecher minütlich über die Leinwand regnen. Dabei steht der Yautja in all seiner monströsen Beschaffenheit im Zentrum der Aufmerksamkeit, und tatsächlich: Es ist, als gäbe es dieses Wesen wirklich, so realitätsnah simulieren die Könner ihres Fachs eine extraterrestrische Physiognomie, die nicht mal vor Nahaufnahmen Halt macht. Allein dafür ist Predator: Badlands ein Genuss – und kommt man damit klar, dass es nur das ist, was wirklich staunen lässt, hat man schon gewonnen.

Schließlich ist der erzählerische Rest des Ganzen einfach nur Disney. Weiß man von der Tonalität der jüngsten Serie Alien: Earth, wird selbst der von Elle Fanning dargebotene Android zu einer Quasselstrippe, die sich nach König der Löwen anfühlt. Später noch gesellt sich ein glupschäugiges Wesen hinzu, das von vorne bis hinten einfach nicht zum Stil des Predators passt, auch nicht in diese Welt und überhaupt schon gar nicht in dieses düstere Trope. Von düster will man aber nur noch wenig wissen, all das Herzige ist so geschmeidig wie eine Wimper im Auge, das stößt und sperrt sich und fühlt sich nicht richtig an. Letztendlich aber behalte zumindest ich den waldschratigen hässlichen Haudegen im Kopf, wie er seine Moral vor sich herträgt und die Gelegenheit aufgreift, sein schlechtes Image durch einen neuen Blickwinkel auf sich selbst schönzuargumentieren.

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Predator: Badlands (2025)

Dracula – Die Auferstehung (2025)

DER LÄNGSTE LIEBESKUMMER ALLER ZEITEN

7/10


© 2025 Shanna Besson / LBP – EUROPACORP – TF1 FILMS PRODUCTION – SND/ LEONINE Studios


ORIGINALTITEL: DRACULA: A LOVE TALE

LAND / JAHR: FRANKREICH, FINNLAND, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2025

REGIE: LUC BESSON

DREHBUCH: LUC BESSON, NACH DEM ROMAN VON BRAM STOKER

KAMERA: COLIN WANDERSMAN

CAST: CALEB LANDRY JONES, ZOË BLEU SIDEL, CHRISTOPH WALTZ, MATILDA DE ANGELIS, EWENS ABID, DAVID SHIELDS, GUILLAUME DE TONQUÉDEC, HAYMON MARIA BUTTINGER U. A.

LÄNGE: 2 STD 9 MIN


An Caleb Landry Jones hat das französische Film-Urgestein Luc Besson einen Narren gefressen. Der Schauspieler mit den markanten Gesichtszügen brillierte zuletzt als ein Mensch unter vielen Hunden im Thrillerdrama DogMan – und hat vermutlich genug Synergien zwischen sich und dem Regisseur entfacht, um im nächsten Projekt wieder mit dabei zu sein. Diesmal, da ist er nicht einer, der so manchen Vierbeiner durch urbane Gefilde schickt, um unbequemen Gesellen die Gurgel durchzubeissen – diesmal setzt er selbst dort an, als wohl berühmtester Untoter der Literatur- und Filmgeschichte: Als Graf Dracula, vormals Vlad Tepes, der Pfähler – von Bram Stoker mit den Schandtaten einer Gräfin Báthory vermischt und zum charmantesten Blutsauger aller Zeiten auf ewig zum Nonplusultra einer unstillbaren Sehnsucht beschworen. Vergleiche mit Francis Ford Coppolas üppigem Budenzauber Bram Stokers Dracula aus den 90ern sind durchaus erwünscht, gibt es doch tatsächlich in Machart und Optik so einige Parallelen. Dabei mag Luc Besson überhaupt keinen Horror. Wir wissen, dass ein Thriller mit aparten Killerqueens, die die Unterwelt nicht selten mit dem Laufsteg verwechseln, wohl in erster Linie das ist, womit der Mann sein Geld verdient. Was bisher niemals war, wird diesmal zur sogenannten Blutsprobe: Dracula – Die Auferstehung nennt sich der nicht wenig üppige Schinken, und da Besson keinen Horror mag, ist sein Film wohl eher auch im Segment der schwülstigen Fantasy zu verorten, mit einigen wenigen blutigen Szenen, die schließlich sein müssen, sonst müsste man erst gar nicht von Vampiren erzählen.

Der Liebe auf ewig nachjammernd

Auferstehung ist als übersetzter Titel-Appendix deutlich schwächelnd. Im Original deklariert sich der Film deutlich als Liebesgeschichte, womit zumindest im deutschsprachigen Raum das potenzielle Publikum wohl eher gewusst hätte, ob es sich Caleb Landry Jones als Eckzahn-Graf antun sollte oder nicht – gerade dann, wenn man selbst schon nicht so sehr auf Horror steht. Meine Meinung ist: ja, für Hasenfüße, die das eine oder andere Mal in Kauf nehmen können, die Hand vor Augen zu halten, wenn einer untoten Dame der Kopf abgerissen wird, ist Bessons besonderer Blickwinkel ein empfehlenswerter. Denn anders als erwartet weiß Besson die richtigen Schrauben anzuziehen und ein aufgeräumtes Tempo vorzugeben, das den Staub altbekannten Schmuses, der unter dem Teppich gekehrt bleibt, nicht aufwirbelt.

Womit der Kultregisseur wohl den richtigen Riecher gehabt hat, ist sein Hauptdarsteller. Als Vlad Tepes in der Drachenrüstung, der im 15. Jahrhundert eigentlich nur existiert, um sich seiner großen Liebe Elisabeta gewiss zu sein, kämpft er am Schlachtfeld gegen die Osmanen. Als er dann die Hiobsbotschaft erhält, seine Geliebte würde nicht mehr unter den Lebenden weilen, wird aus dem leidenschaftlichen Recken eine zwischen untröstlichem Selbstmitleid und unstillbarem Liebeskummer gebeutelte Ikone des Jammertals und der Wehmut. Durch die Abkehr vom christlichen Glauben findet der zähnefletschende Dämon seinen Weg in die Welt, diesmal auch bei Tageslicht. Gnade wird ihm nach dem Aufspießen der bischöflichen Eminenz nämlich keine gewährt, also muss er ewig leben – schmachtend, hungernd, wartend darauf, dass Elisabeta wiedergeboren wird. Tatsächlich findet er sie – irgendwann im 19. Jahrhundert, und zwar nicht, wie in Bram Stokers Roman, in Yorkshire, sondern in Paris, im Schatten des Eiffelturms, der viel größer erscheint, als er eigentlich ist.

Zwischen Grunge und Märchenbühne

Mit von der Partie ist diesmal auch Christoph Waltz als emotional unterentwickelter Priester, der sich auf das Jagen von Vampiren versteht und diesem Grafen schon seit längerem auf der Spur war. Was Waltz aber an langweiligem Spiel aus der Soutane zaubert, macht Landry Jones wieder wett. Sein Schmachten und Gieren nach Erfüllung und Liebe ist geradezu hinreißend, wenn auch dick aufgetragen. Die feine Klinge mag man bei Dracula – die Auferstehung vermissen, doch das wiederum wäre ohnehin nur Perlen vor die Säue. Dieser Film ist so gleichsam nachtschwarz wie zuckerlrosa, als würde man eine Cremetorte verkosten, die ein bisschen nach Eisen schmeckt. Landry Jones ist auch nicht Gary Oldman aus Coppolas Streifen, sondern die strähnige Grunge-Version auf einer überlebensgroßen Märchenbühne für romantische Erwachsene, die Dracula mal als das sehen wollen, was er vielleicht wirklich immer schon war: Ein verzweifelter Verliebter, als Topf ohne Deckel, als einer, für den die Liebe kein chemischer Prozess ist, sondern eine Philosophie der Unendlichkeit. Was sie letztlich bedeutet, und welche Konsequenzen das hat, mag in diesem Film zu einem überraschenden Outcome führen, sodass der emotional mit sicherer Hand geführte Trip dann doch noch die zarten Töne einer untröstlichen Tragik anklingen lässt.

Dracula – Die Auferstehung (2025)

Alpha (2025)

IM FEGEFEUER DER PHYSIS

3/10


© 2025 Plaion Pictures


LAND / JAHR: FRANKREICH, BELGIEN 2025

REGIE / DREHBUCH: JULIA DUCOURNAU

KAMERA: RUBEN IMPENS

CAST: MÉLISSA BOROS, GOLSHIFTEH FARAHANI, TAHAR RAHIM, FINNEGAN OLDFIELD, EMMA MACKEY, CHRISTOPHE PEREZ, JEAN-CHARLES CLICHET, LOUAI EL AMROUSY U. A.

LÄNGE: 2 STD 8 MIN


Mit einer jovialen Leichtigkeit winkt sie ihrem Publikum zu, dass es eine Freude ist: Julia Ducournau beehrte in diesem Jahr die Viennale mit einem Live-Auftritt, und ja, die Dame ist wahnsinnig sympathisch. Gar nicht verkopft, unverkrampft, redselig – als derzeit wohl innovativste Filmemacherin Europas, die mit Themen daherkommt, die vielen anderen wohl zu bizarr und gewagt wären, um sie umzusetzen. Stets beschreibt ihre derweil noch überschaubare Anzahl von Filmen metaphorische Entwicklungsprozesse junger Frauen und Mädchen, stets verbunden mit der eigenen körperlichen Wahrnehmung, dem Begriff von Schönheit und Ästhetik. Der Ausbruch aus dem Gewohnten findet seine Entsprechung im ungefälligen Bodyhorror weit jenseits der Schmerzgrenze, Leben und Tod dabei zynisch betrachtend und den natürlichen Einklang über Bord werfend. Einmal ist Kannibalismus ein stilistisches Bildventil, ein anderes Mal die Unmöglichkeit der Vereinigung von Organischem und toter Materie. Titane gewann vor zwei Jahren die Goldene Palme in Cannes. Kein Wunder: Dieses Werk wirkt in seiner brachialen Intensität und seiner aus der Norm gefallenen Prämisse lange nach.

Im Wirrspiel der Viren

Endlich ist es wieder soweit. Im Vorfeld kann man bereits erahnen, dass Ducournau ihren Vorlieben treu bleiben und mit Alpha wohl wieder im abgründigen Meta-Bewusstsein von Körper und Geist herumanalysieren wird. Diesmal widmet sie sich der mikrobiologischen Geißel der Menschheit, der Seuche, die sich selbstredend pandemisch verhält. Dabei hat sie allerdings nicht Covid, sondern die vor einigen Dekaden omnipräsenten vier Buchstaben im Sinn: AIDS. Wie auch immer – ihr Film weist nicht explizit darauf hin, dass es sich um dieses Virus handelt, genausogut könnte es alle anderen Erreger auch betreffen, schließlich sind die Symptome in Alpha gänzlich andere, wohlgemerkt metaphorische, so wie alles in diesem Film. Der Body Horror tritt hier deutlich kürzer, offenbart sich aber diesmal in geschmackvoller Marmorierung – will heißen: die Infizierten werden zu Stein, genauer gesagt zu Marmor, was womöglich die besten Body Painter der Welt auf den Plan gerufen hat, um authentisch wirkende Körperbepinselungen vorzunehmen, die teilweise wirklich richtig glücken, manchmal aber auch tatsächlich so aussehen, als wäre der Life Ball die nächste Instanz. Etwas dekorativ gerät ihr hier das Unterfangen, die Physis des menschlichen Körpers abermals mit Anorganischem zu kombinieren. Doch das ist nur das geringste Problem, mit dem Alpha notgedrungen zu kämpfen hat. Da sind noch ganz andere Brocken am Start, die, als wäre Ducournaus Filmset ein Steinbruch, von den offen daliegenden klippen abgebrochen werden müssen.

Die grobe Skulptur eines Films

Mit Meißel und Hammer scheint die Visionärin hier zu hantieren. Staublungen haben dabei nicht nur die Darsteller, sondern gleich auch der ganze Film. Aus dem diffusen Dunst umherschwirrender Gesteinspartikel schält sich das titelgebende Mädchen Alpha, das im hysterischen Umfeld besagter Pandemie dennoch gerne auf Partys geht und sich dabei unwissentlich ein Tattoo einfängt – ein kalligraphisches A prangt nun wie ein Brandmal auf des Mädchens Oberarm, sehr zum Leidwesen von Mama, die noch dazu als Ärztin die Pandemie in den Griff bekommen muss und fürchtet, dass ihre Tochter vielleicht auch bald Gesteinsstaub hustet. Bei all der Burnout-nahen Hektik kreuzt auch noch Alphas Onkel auf, gespielt vom radikal abgemagerten Tahar Rahim, der außer Drogen sonst nicht viel im Sinn hat und in der Wohnung seiner Schwester, unter Entzugserscheinungen leidend, Unterschlupf findet – gerade im Kinderzimmer der Tochter, die mit dem Gedanken spielt, mit ihrem Freund zum ersten Mal Sex zu haben.

Ein völlig verhobener Kraftakt

So schafft sich in diesem teilweise apokalyptischen Paranoia-, Drogen- und Breakout-Drama wohl jeder seinen eigenen Kreuzweg – mittendrin eine Vision, von der die ganze Geschichte mitsamt ihrer Figuren gar nichts mehr wissen will. Einiges ist an dieser Arbeit schief gegangen, vieles wirkt gewuchtet, herbeigezogen, heruntergestürzt. Wohin Alpha eigentlich will, erschließt sich nicht mehr. Geht es um die Familie, die Menschheit, um Golshifteh Farahanis Charakter, die Beziehung zu ihrem Bruder, um die neue Stufe einer Existenz, die Endzeit? Vielleicht auch einfach nur ums Erwachsenwerden? Es geht um alles. Alles buttert Ducournau in ihren Film und stülpt eines über das andere, in zeitlichem Durcheinander und so, als müsste sie die krasse Exzentrik von Titane unbedingt noch einmal toppen; als stünde sie unter vehementem Druck, auf einem atemberaubenden Niveau zu bleiben, ganz in ihrer rauen, lauten, brutalen Manier. Durch die Dichte des Films geht dabei auch jegliche Feinheit verloren. Weder entwickelt sich die junge Mélissa Boros so recht in ihrer Rolle noch Farahani. Tahar Rahim hingegen lebt den ausgemergelten Expressionismus wie schon Joaquin Phoenix in Joker – das übersteigert sich noch und wirkt letzten Endes nur noch verkrampft. Womit wir beim eigentlichen Schlagwort wären, der die geröllige Physiognomie des Films als gemeinsamen Nenner unter enormem Kraftaufwand gerade noch trägt: Diesem Krampf erliegt dieses zerfahrene Erlebnis letztlich vollends.

Bei Titane hat sich Ducournau auf ihre Intuition verlassen, Raw war dagegen so angenehm unbekümmert in ihrer Methodik und voller Neugier auf sich selbst. Alpha ist pure Anstrengung aus dem Kopf heraus und vergisst dabei völlig, sich von Intuition und Gefühl leiten zu lassen.

Alpha (2025)

Bring Her Back (2025)

STÖRE MEINE KREISE NICHT

7/10


© 2025 Sony Pictures / A24


LAND / JAHR: AUSTRALIEN, USA 2025

REGIE: DANNY & MICHAEL PHILIPPOU

DREHBUCH: DANNY PHILIPPOU, BILL HINZMAN

KAMERA: ARON MCLISKY

CAST: SALLY HAWKINS, BILLY BARRATT, SORA WONG, JONAH WREN PHILLIPS, SALLY-ANNE UPTON, MISCHA HEYWOOD, STEPHEN PHILLIPS U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Danny und Michael Philippou, bekanntgeworden auf Youtube unter dem Label RackaRacka, können es abermals nicht lassen, die menschliche Seele nach dem Tod ins Diesseits zu bemühen. Sowas hat man früher gern gemacht, mit Séancen, hierzulande als „Tischerlrücken“ bekannt. Die beiden sind nicht etwa interessiert, zu wissen, was nach dem Ableben noch auf uns zukommt; wie das Sterben selbst sich anfühlt. Das ist eine Dimension, diese zu erforschen überlassen sie gerne anderen Leuten. Was die Philippous wollen, ist, die gestorbene Identität, sofern es denn noch eine gäbe, wieder in die uns eigene Realität zurückzuholen. Die Neugier, ob dies gelänge, siegt über die Achtung der Totenruhe, heiligt aber dennoch die Mittel zum Zweck, um ganz deutlich zu signalisieren, dass man an diesen Tabus nicht rütteln soll.

Dem Tod ins Handwerk pfuschen

In Talk to Me, ihrem Regiedebüt, das erfrischend kreativ und demnach auch mit entsprechender Härte an den Horror herangeht, dient ein okkultes Artefakt, in diesem Fall eine mumifizierte Hand, als Sprachrohr für tote Seelen. Dafür schlüpfen sie in den Körper eines lebenden Individuums, um sich zu artikulieren. Solche Spielereien haben natürlich einen Pferdefuß, das ganze geht schief, der Schrecken bricht sich Bahn. Interessant dabei: Hier haben wir es nicht mit bösen Dämonen, dem Teufel oder anderen finsteren Gesellen aus der Hölle zu tun, die uns wie in Conjuring einfach nur quälen wollen. Bei den Philippous sind die Toten die Toten, und sie benehmen sich auch wie solche – abgekoppelt und dahintreibend in eine andere Welt, von der sie nicht wissen, was sie verspricht, weil das Licht sie angeblich noch nicht erreicht hat, und die daher eine brennende Sehnsucht danach verspüren, wieder in ihr altes Leben zurückzugelangen. Ganz normale Behaviours für Verstorbene, in Versuchung geführt von jenen, die sie eigentlich nichts mehr angehen. Auch in Bring Her Back sind okkulte Praktiken relativ funktionabel – in der paranormalen Welt der Philippous ist das Know-How zur Überbrückung der Dimensionen längst praxiserprobt.

Das Thema der Selbstverletzung

Was es dazu noch braucht, ist Trauer. Bittere, unheilbare, irreversible Trauer, die keinen Trost findet, es sei denn, wie der Titel schon sagt: die Verstorbene kehrt zurück. Bis zum Hals in diesem Nährboden der Erschütterung steckt Sally Hawkins als überbordend liebevolle Pflegemutter, welche die beiden elternlosen Geschwister Piper und Andy bei sich aufnimmt. Überrumpelt von all der Gastfreundschaft, wundern sich beide vorerst nur wenig ob des seltsamen Verhaltens ihres Patchwork-Bruders Ollie, der sichtlich Schwierigkeiten hat, zu kommunizieren und generell recht apathisch wirkt. Der Zuseher weiß aber längst, dass der Grund dafür in der Pervertierung von Naturgesetzen liegt, die selbst dem Paranormalen inhärent sind. Diese zu verbiegen oder gar zu brechen, davor mahnt Bring Her Back mit expliziten Bildern, die weniger versierten und geübten Horrorkinogängern durchaus aufs Gemüt schlagen könnten, ist der Bodyhorror hier doch absolut State of the Art und das Realistischste, was man seit Langem zu sehen bekam. Auffallend ist dabei, dass die Philippous schon bei ihrem Vorgänger ihren Horror in der manischen Selbstverletzung orten, ein Thema, das andere Horror-Franchises lediglich als Selbstzweck auf die Spitze treiben. Apropos: Wären diese Gewaltspitzen nicht, wäre die enorm düstere Tragödie in seiner Tonalität mühelos gleichzusetzen mit Nicholas Roegs Wenn die Gondeln Trauer tragen. Nur der Spuk hält sich in Grenzen, der lässt sich, anders als in Talk to Me, diesmal nur erahnen. Viel eher brilliert die sowieso immer famose Sally Hawkins, diesmal völlig gegen ihr Image gebürstet, in einem Psychothriller, der die Klaviatur des Suspense mit variierender Wucht nachzuspielen weiß.

Regenschwerer Psychothriller

Viel schlimmer als das Okkulte wiegt dann doch die Dreistigkeit der Manipulation und der Intrige, in der die Figur des fast achtzehnjährigen Bruders Andy (Billy Barratt) immer mehr versinkt. Vermengt mit der wahrlich erschreckenden Performance des jungen Jonah Wren Phillips ergibt das einen zwar weitaus geradlinigeren und weniger komplexeren Film als Talk to Me, dafür aber lücken- wie atemloses Schauspielkino unter nicht nur emotionalem Dauerregen. Der ideale Film also für den Übergang von Halloween zu Allerheiligen – keine leichte Kost, gnadenlos morbid, andererseits aber unerwartet emotional, melancholisch und am Ende ungemein poetisch, als hätte Del Toro (The Shape of Water mit Sally Hawkins) letztlich noch seine Finger mit im Spiel.

Bring Her Back (2025)

Das tiefste Blau (2025)

AUGENTROPFEN FÜR ALTERSWEITSICHT

5/10


© 2025 Alamode Film


ORIGINALTITEL: O ÚLTIMO AZUL

LAND / JAHR: BRASILIEN, MEXIKO, CHILE, NIEDERLANDE 2025

REGIE: GABRIEL MASCARO

DREHBUCH: TIBÉRIO AZUL, GABRIEL MASCARO

KAMERA: GUILLERMO GARZA

CAST: DENISE WEINBERG, RODRIGO SANTORO, MIRIAM SOCARRÁS, ADANILO U. A.

LÄNGE: 1 STD 26 MIN


Jair Bolsonaro sitzt in dieser nahen Zukunft Gott sei es gedankt nicht mehr am Ruder. Der rassistische Umweltsünder hätte, wäre der Film die Realität, entweder eine nahe Zukunft wie diese verantwortet oder er säße, wenn nicht im Gefängnis, dann längst in einer dieser als euphemistisch bezeichneten Kolonien der über 75jährigen, die von der jüngeren Gesellschaft einfach nicht mehr er- und mitgetragen werden sollen. Es hemmt die Wirtschaft, heisst es in diesem Brasilien, denn die muss florieren. Da hat wohl niemand etwas davon, wenn die Alten von den Jungen ausgehalten und gepflegt werden müssen und dadurch das Bruttosozialprodukt nicht gesteigert werden kann. Natürlich fällt mir dabei Geier Sturzflug ein mit ihrem Klassiker der Neuen Deutschen Welle. „Wenn Opa sich am Sontag aufs Fahrrad schwingt und heimlich in die Fabrik eindringt“ – schon damals wusste man, das die ältere Generation irgendwann um ihre Pension kämpfen muss, würde diese es nicht möglich machen, bis zum Abnippeln an der Kurbel von wasweißich auch immer zu drehen, nur um, gezwängt zwischen Zahnrädern wie einst Charlie Chaplin, den prosperierenden Staat am Laufen zu halten.

Für die Alten das Abstellgleis

Was im Ganzen so aussieht, als wäre das eine menschenverachtende, ungerechtfertigte Erniedrigung jener, die Zeit ihres Lebens ihr Soll erfüllt haben, ist im Detail noch viel erniedrigender und bitterer. In den Städten des Amazonas kurven Pickups mit Käfigen hinten drauf durch die Straßen, um abgängige Alte, die nicht ins Lager geschickt werden wollen, einzusammeln. Tereza meint, auf die Archivierung ihrer selbst noch fünf Jahre warten zu dürfen, ist sie doch erst 75. Doch die Regeln haben sich geändert – die rüstige und keinesfalls inaktive Dame wird demnächst abgeholt, eine Woche Zeit bleibt ihr noch – um ihr selbst noch einen einzigen Wunsch zu erfüllen, bevor gar nichts mehr geht, nämlich zu fliegen, womit auch immer. Dafür begibt sie sich gegen den Willen ihres töchterlichen Vormunds an den Amazonas, fliegen und Bahnfahren darf die Entmündigte schließlich nicht ohne Genehmigung. Auf ihrer kleinen Odyssee trifft sie auf einen entrückten Bootsmann, völlig verpeilten Flugpiloten, rangelnden Süßwasserfischen (wie seltsam!) und einer längst pensionsfähigen, aber autarken Bibelverkäuferin, mit der sie Freundschaft schließt – und die es irgendwie geschafft hat, ihrem aufgehalsten Schicksal zu entkommen.

Die Tropen machen müde

Eine bittere, seltsam entschleunigte Zukunft ist das hier am südamerikanischen Megastrom, der mitunter eine Schnecke zu seiner Fauna zählt, die ein blaues Sekret absondert, welches das Bewusstsein erweitert und die Zukunft erahnen lässt – daher auch der Titel des Films. Als hätte Werner Herzog in der schwülen Tropenluft Brasiliens zwischen mehreren Nickerchen im Zustand des trägen Erwachens einen Film gedreht, tuckert Das tiefste Blau in entspannter Unentspanntheit und leicht erratisch durch einen Lokalaugenschein gar nicht vorhandenen Wirtschaftsenthusiasmus. Ist es nicht das Glücksspiel, bleiben die Jüngeren letztlich untätiger als die Alten. Eine gewisse Apathie macht sich hier breit, in der die ungestüme Tereza Spielraum genug findet, um sich aus dem Kreislauf einer deterministischen Zukunft durch einen ideenreichen Abschneider in die Wagemut herauszukatapultieren.

Mag sein, dass Das tiefste Blau die Welt nach der Arbeit zu einem einzigen Altersheim werden lässt und damit warnende Signale setzen will, nicht so unachtsam mit denen umzugehen, die uns zu dem gemacht haben, was wir sind. Und dennoch engagiert sich Gabriel Mascaro in seiner Coming of Overage-Fantasterei zu wenig, sondern lässt seine auseinanderklaffenden Szenen, die viel Nichterzähltes voraussetzen, wie Wachepisoden einer viel dichteren Geschichte erscheinen. Das macht das Ganze bruchstückhaft, den Blick in eine Richtung setzend, die das Publikum nicht trifft.

Das tiefste Blau (2025)

Honey Bunch (2025)

GASLIGHT STATT CANDLELIGHT

7,5/10


© XYZ Films


LAND / JAHR: KANADA 2025

REGIE / DREHBUCH: MADELEINE SIMS-FEWER, DUSTY MANCINELLI

KAMERA: ADAM CROSBY

CAST: GRACE GLOWICKI, BEN PETRIE, KATE DICKIE, JIMI SHLAG, JASON ISAACS, INDIA BROWN U. A.

LÄNGE: 1 STD 53 MIN


Der Autounfall muss so schwer gewesen sein, dass Diana jede Erinnerung daran verloren hat. Und nicht nur das: Auch all die Erinnerungen an eine Zeit der romantischen Zweisamkeit mit Ehegatten Homer, der aus tiefster Verzweiflung seine ziemlich lädierte bessere Hälfte in eine Spezialklinik verfrachtet, deren Ärzte Koryphäen auf dem Gebiet sind, Unfall-Amnesien wie diese wieder zu kurieren. Dass die Physis nebenbei bemerkt dabei auch noch ihre Rehabilitation vollständig erlangt, eine gern gegebene Garantie. Was Kennern der Geschichten von Edgar Allan Poe, Lovecraft oder Dennis Lehane wohl sofort in den Sinn kommen würde bei Erstbetrachtung der Einrichtung: Hier geht ganz sicher nichts mit rechten Dingen zu. Kann gar nicht sein, darf gar nicht sein. Die süßelnde Oberschwester (Kate Dickie) oder was immer die Dame auch verkörpern soll, die Diana und Homer freundlich empfängt, wiegt die beiden In Sicherheit und Zuversicht, auch wenn die Methoden zur Heilung so aussehen, als wären sie noch in der Testphase. Erklärend müsste ich vielleicht noch erwähnen, dass diese ganzen Geschehnisse zu einer Zeit spielen, in der man von smarter Elektronik noch nicht mal geträumt hat.

Alles in Ordnung, Honey

Es sind die Siebziger, und jedes Bild und jede Szene fängt den Stil von damals ein, inklusive des visualisierten Muffs, den Retro-Nostalgie nun mal von sich gibt. Roman Polanski hätte dieses Drehbuch mit Freude wohl verfilmen mögen, doch der gab sich damals wohl lieber, erfahrbar in Der Mieter oder Ekel, den Psychosen hin. Das Regieduo Madeleine Sims-Fewer und Dusty Mancinelli – für mich eine gänzlich neue Bekanntschaft  – drückt das Gemüt aber längst nicht so weit in den destruktiven Schlamm wie der polnische Starregisseur. Das alleine sagt schon der Titel Honey Bunch, denn das liebliche Honigtöpfchen muss, wie es scheint, für den scheinbar fürsorglichen Homer das Zentrum seiner Welt sein. Natürlich fragt man sich: Ist dem wirklich so? Zweifel kommen auf, als Diana albtraumhafte Visionen hat, die sie an etwas erinnern, was scheinbar nie stattgefunden hat. Und warum, so fragt sie sich, geistert immer wieder die längst verstorbene Gründerin der Klinik durch den Garten, als wäre das Paranormale in diesen alten Gemäuern längst nicht nur die Folge von Dianas geistigem Zustand.

Albtraum mit Situationskomik

Vieles ist in Honey Bunch nicht so, wie es scheint. Dieser gespenstische Umstand erinnert an Scorseses Shutter Island, nur längst nicht in dieser verwinkelten, regennassen Ernsthaftigkeit. Romantik bleibt in diesem Spiel aus Rätseln, Vermutungen und Heimsuchungen stets großgeschrieben, Grace Glowicki und Ben Petrie haben einen Zustand zueinander, der ist schon mal die halbe Miete für eine Geschichte, die mit viel Herz, Verstand und vorallem naiver Neugier umgesetzt wurde. Gerade dieses Naive, dieses verschmitzte Lust am resolut eingeforderten Abenteuer, die Diana bald überwältigt, führt schließlich zu einem ersten großen Twist, den man ohnehin schon einige Zeit vorher erahnen kannt. Als es dann soweit ist, und die Karten neu gemischt werden, die Wahrnehmung am Kopf steht, und zwar so, ohne dass einem dabei schwindelig wird, weicht der Suspense einem turbulenten, durchaus auch freakigen Thriller, der wissenschaftliche Dystopien in eine durchwegs schrullige Komödie packt, die, anstatt Kraft und Energie zu verspielen, in der narrativen Zielgeraden so viel Spaß am Tun entwickelt, dass er wohl sich selbst genügen würde, ganz ohne  Publikum. Ein Faktor ist das, der Filme so richtig selbstbewusst macht. Und das gelingt auch Sims-Fewer und Mancinelli.

Schön aber, dass man trotzdem dabei sein kann. Und schön, zu sehen, wie beide das höchste Gut einer harmonischen Zweisamkeit mit süffisanter Ironie unterspicken und daraus eine Vision zaubern, die sich herrlich verpeilt und verschroben gibt, wie eine Independent-Perle eben sein muss, deren Glanz bis zur letzten Szene eine ganze Palette von Gefühlen widerspiegelt, mit zwischendurch Chancen auf ein Happy End. In der Liebe ist schließlich alles möglich. Vorallem im Film.

Honey Bunch (2025)

The Holy Boy (2025)

DEN SCHMERZ UMARMEN

9/10


© 2025 Vision Distribution

ORIGINALTITEL: LA VALLE DEI SORRISI

LAND / JAHR: ITALIEN, SLOWENIEN 2025

REGIE: PAOLO STRIPPOLI

DREHBUCH: JACOPO DEL GIUDICE, PAOLO STRIPPOLI, MILO TISSONE

KAMERA: CRISTIANO DI NICOLA

CAST: MICHELE RIONDINO, GIULIO FELTRI, PAOLO PIEROBON, ROMANA MAGGIORA VERGANO, SERGIO ROMANO, ANNA BELLATO, SANDRA TOFFOLATTI, GABRIELE BENEDETTI, ROBERT CITRAN, DIEGO NARDINI U. A.

LÄNGE: 2 STD 2 MIN 


Man kann nur hoffen. Hoffen und beten, dass The Holy Boy demnächst die Chance bekommt, das Licht der großen Leinwand zu erblicken. Ein Jammer, wenn dem nicht so wäre, schließlich sollte ein Wunderwerk nicht nur das Nischenpublikum des Slash-Filmfestivals in seinen Bann gezogen haben, sondern auch alle darüber hinaus, die sich mit den großen Fragen des Menschseins beschäftigen. Was The Holy Boy (Original: Im Tal des Lächelns) erörtert, ist nichts, was sich zwischen Tür und Angel in einem Smalltalk erledigen lässt. Hier dringen die bohrenden Fragen nach dem Sinn und Zweck von allem tief in die Dunkelheit vor, um am Ende einen leuchtenden Funken Erkenntnis zu erblicken, den damals schon der Mann aus Nazareth entzündet hat. In diesem Funken steckt das essenzielle Credo einer weltumspannenden Glaubensgemeinschaft, es ist die Rede vom Leiden in dieser Welt, das es zu ertragen gilt.

Fühlt sich gut an 

Nun gut, ich ahne schon, spätestens jetzt dürfte ich wohl alle meine Leserinnen und Leser verloren haben, die mit den Themen Kirche und Religion so gut wie gar nichts anfangen können. Das würde dann , so hoffe ich, nicht jene betreffen, die eine agnostische Herangehensweise an diese Krux zu ihrem Modus Operandi erklären, sprich: die gerne die Kirche ums Kreuz treiben und, wenn es schon der Pabst nicht versucht, die Gegenwart mit den leider gar nicht zeitlosen Dogmen in Einklang bringen wollen. Der beste Stoff, den es da zu inhalieren gibt, dürfte eben jener Film sein, der durch die Hintertüre die Bühne streithafter Exegesen entert. Bibelfest muss man dabei aber wahrlich nicht sein, viel eher reicht das Bewusstsein, dass Glaubensgruppierungen in jedweder Form dazu missbraucht werden können, zum Opium für das Volk zu werden, zur Droge, die Tür und Tor öffnet für Manipulation und Gehirnwäsche. Irgendwann erkennt man sich dabei selbst nicht mehr, so, als wäre man gesteuert durch ein machtvolles System, das beim Triggern die ganze Klaviatur der Perfidität beherrscht. Doch was soll man tun, wenn der inszenierte Glaube die ersehnte Entlastung bringt, den Kummer wegbläst und den Geist ganz still werden lässt.

Big Hugs als Schmerzmittel

Ein Wunder ist also nicht nur der Film, sondern auch die seltsame Begebenheit in dieser punktgenauen Betrachtung einer Gesellschaft, die, stellvertretend für die gesamte Menschheit, die Schwermut des Lebens gegen eine Umarmung tauscht. Dabei reicht nur eine einzige, um zumindest eine Zeit lang sorgenfrei und unbekümmert und mit einem Lächeln auf den Lippen Gott einen guten Mann sein zu lassen. Diesen „Big Hug“ holen sich die Bewohner einer norditalienischen Kleinstadt bei einem blutjungen Jesus-Ableger, der gerade mal 15 Lenze zählt und unter elterlicher Strenge tagtäglich seine Wundertaten vollbringen muss. Einmal berührt, schon erstrahlt das Rundherum heller. Diese seltsame Erfahrung macht auch Sportlehrer Sergio (Michele Riondino), der nur vorübergehend einen Job in der örtlichen Schule annimmt, allerdings schwer an ganz eigenen privaten Problemen zu kauen hat. Sobald er aber bei Matteo in den Armen liegt, scheint die Bibel doch recht gehabt zu haben. Oder doch nicht? Gilt es nun doch nicht, den Schmerz zu umarmen, sondern sich dessen zu entledigen, ohne jemals damit durch zu sein und neu daraus zu erwachsen? Wo bleibt die Katharsis?

Seelenheil um jeden Preis

Was dann folgt, ist ein Twist, der das Sinnbild des barmherzigen Samariters so sehr demontiert wie Martin Luther den Ablasshandel, bevor die Reformationskriege begannen. Was die Ignoranz nicht nur der biblischen Weisheit gegenüber, gepaart mit Bigotterie, Selbstsucht und Missbrauch, gemixt als toxisches Potpourri, zuwege bringt, eröffnet eine Apokalypse im Kleinen, ein grimmiges Gleichnis in pompösen, geradezu mächtigen Bildern – sakral, expressiv wie ein Tanztheater, abgründig wie eine Alien-Invasion, die man nicht kommen sieht und erst dann begreift, wenn alles zu spät ist. Dabei fischt Regisseur Paolo Strippoli nicht nur im Genre des Horrors, sondern vorwiegend im Tragödienhaften epischer Stoffe. Durch die dramatische Dichte an Wendungen bäumt sich The Holy Boy zu einem gespenstischen, hochintelligenten Lehrstück auf, das die Leidensfähigkeit des Menschen gleichsam hinterfragt und verfechtet. Ein radikales Wunder von Film ist hier gelungen, unerbittlich, hochemotional und durchdacht bis zum Ende.

The Holy Boy (2025)

Rabbit Trap (2025)

HÖR MAL, WAS DA SPRICHT

6,5/10


© 2025 Bankside Films


LAND / JAHR: USA, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2025

REGIE / DREHBUCH: BRYN CHAINEY

KAMERA: ANDREAS JOHANNESSEN

CAST: DEV PATEL, ROSY MCEWEN, JADE CROOT U. A.

LÄNGE: 1 STD 37 MIN


Wir lieben die Natur, wir schätzen die Natur und wir missachten sie gleichermaßen, weil wir davon ausgehen, dass wir längst verstehen, wie sie tickt. Doch das tun wir nicht. Wir haben keine Ahnung, was Natur eigentlich ist, wie alles zusammenpasst und ineinandergreift, was sie uns sagt und von uns verlangt. Und vor allem: was warum auf welche Weise seinen Nutzen hat. Wir lauschen also da hinein, ins Rauschen der Wälder, ins Zirpen der Vögel und ins Knarren und Knacken der Bäume. Dazwischen gibt es aber auch noch etwas. Eine Melodie, ein Raunen und Singen, eine ganze verborgene, metaphysische Landschaft aus einer Art dunkler Materie, die alles zusammenhält, in der Zwischenwelten und Zwischenwesen existieren. Diese Entität weckt Aberglauben und Ängste und erzählt von Gestalten, die es angeblich gar nicht gibt. In Skandinavien ist der Glaube an verborgene Völker wie Trolle, Feen oder Zwerge fest im kulturellen Erbe verankert, anderswo führen Forststraßen durch erschlossene Nationalparks und aufgekaufte Hektar, der Urwald ist mittlerweile etwas Besonderes, weil so seltenes.

Dem Rauschen lauschen

Am Rande eines solchen jedoch, fernab von jeglichem urbanen Treiben, isoliert im Nirgendwo wie auf einer Insel, dorthin hat sich das durchaus exzentrische Paar der Davenports zurückgezogen – Daphne und Darcy machen Musik, keine klassische, sondern experimentelle wohlgemerkt, die sich aus Klängen, Geräuschen und Wortfetzen zusammensetzt, dazwischen wummernde Synthies, lautstark aus diversen Boxen dröhnend, die an diversen Verstärkern hängen und so das rustikale Cottage und die ganze Umgebung ihren Rhythmen unterwiren. Während Daphne den Sound mixt, macht sich Darcy auf die Suche nach lohnenswerten Vibes und stößt dabei, wie kann es anders sein, auf ein höchst seltsames Geräusch, das so klingt, als wäre es durch Menschen verursacht – ein Flüstern, Kreischen und Wimmern. Die Stimme des Waldes, der Natur? Ganz benommen von dieser Entdeckung, dröhnt der neue Soundmix in satter Tonlage durch die Räume, durch die Wände, in die Welt zurück – um eine Gestalt anzulocken, eine junge Person, eigentlich noch ein Teenager, vielleicht gar minderjährig, niemand weiß das so genau. Sie steht da plötzlich vor dem Haus, wird hereingebeten, man freundet sich an, übernimmt völlig ungeachtet eines Vorsatzes so was wie Verantwortung – bis die Balance ganz deutlich kippt und klar wird, dass dieser fremde Mensch, der nicht mal einen Namen besitzt, etwas ganz anderes sein muss, nur nicht menschlich.

Verständnis für das Unverstandene

Es kann sein, dass Rabbit Trap von Debütant Bryn Chaney mit der Fülle seiner Ideen zu sehr auf die Dynamik dieses höchst mysteriösen und nicht immer ganz verständlichen Mysteriums drückt, obwohl es, wie man bald bemerkt, genau darum geht: um Verständnis für etwas, das der Mensch nicht versteht. Chaneys Film handelt von Gnade, Respekt und Verantwortung, von nicht erfüllbaren Zugeständnissen und dem namenlosen Dazwischen als Essenz für eine Dimension, die der unseren, begreifbaren und analysierten, inhärent zu sein scheint. Schauspielerin Jade Croot gibt dabei der phantastischen Figur des Findelkinds eine bemerkenswert unheilvolle Aura, pendelt zwischen erregtem Mitleid, Freundlichkeit und erschreckend raumfüllender Dominanz hin und her – dabei hält sich „Slumdog Millionaire“ Dev Patel ohnehin nur in einem Zustand der völligen Verwirrung auf, bleibt neben der Spur, verliert die Orientierung genauso wie Co-Star Rosy McEwen (Harvest). Faszinierend, was Chaney aus seiner Grundsatzannahme, die Natur ist mehr als die Summe ihrer Teile, alles hervorwuchern lässt. Als wäre es nur eine durch natürliche Drogen verursachte Wahrnehmung, verfängt sich das Schauspiel-Duo in einem Regelwerk unsichtbarer Mächte. Das darauffolgende dekorative Brimborium, den opulenten Overkill aus Sinnbildern und illustrierter Metaphysik, hätte es vielleicht gar nicht gebraucht. Tatsächlich ist das schon zu viel des Guten, wenngleich das Visuelle von Rabbit Trap durchaus besticht und das Staunen sich in die eigene Mimik schleicht.

Sieht man genauer hin und sucht vielleicht nach Vergleichen in der Filmgeschichte, die die Inkarnation von etwas Abstraktem zum Thema haben, stößt man vielleicht auf Michael Endes Unendlicher Geschichte und seine kindlichen Kaiserin, die flehentlich darum bittet, verstanden und benannt zu werden. Bei Rabbit Trap ist es die Natur, die keiner will, aber dringend braucht, um überhaupt weiterzumachen.

Rabbit Trap (2025)

Touch Me (2025)

EIN HIP-HOP-JESUS GEGEN DEN KLIMAWANDEL

7/10


© 2025 WTFilms


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE / DREHBUCH: ADDISON HEIMANN

KAMERA: DUSTIN SUPENCHECK

CAST: OLIVIA TAYLOR DUDLEY, LOU TAYLOR PUCCI, JORDAN GAVARIS, MARLENE FORTE U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


War Jesus vielleicht ein Außerirdischer? So krude Gedanken wie diese gibt es womöglich tatsächlich, und in Anbetracht der Leichtgläubigkeit der menschlichen Spezies bei gar nicht so wenigen Individuen. Wie sonst könnte man sich diese wundersamen Heilsmethoden erklären, die der Sohn eines Zimmermanns alleine schon durchs Handauflegen erfolgreich praktizieren konnte. Und manchmal, war da nicht mal das vonnöten? Gehe hin in Frieden, erwache von den Toten, bewege deine Beine – du bist nicht mehr gelähmt. Eine Macht hatte der, das lässt mitunter manch kritische Stimme nicht verstummen, die den Bergprediger als ein Wesen verdächtigt, das nicht von dieser Welt sein muss. Im Grunde steht auch genau das als direkte Rede im Testament. Also warum nicht?

Das Heil in den Tentakeln

Und warum nicht eine Geschichte entwerfen, in der die fleischgewordene christlichsoziale Heilsverkündung wie Jared Leto aussieht, der wiederum manchmal so aussieht wie eines der kitschigen Heiligenbilder, die in bäuerlichen Schlafzimmern hängen, direkt über dem Kopfende, und wo das flammende Herz expositioniert vor sich hin wabert. Dieser Mann, nicht Jared Leto, ist kein menschliches Wesen, sondern ein Außerirdischer, der in Wahrheit ganz anders aussieht. Ein bisschen was lässt sich anfangs schon vermuten, wenn dieses Individuum seine Tentakel ausfährt, um irdischen Glückbedürftigen einen Gemütszustand zu bescheren, den man normalerweise erst dann erlangt, wenn man wie Siddhartha jahrelang meditiert hat. Den mentalen Genuss einer sorgenfreien Weltsicht, ohne der Schwere vergangener Traumata, die man wie einen nicht abnehmbaren Fallschirm nach der Landung auf hartem Grund hinter sich herzieht, wollen schließlich alle – und da kommen Joey und Craig ins Spiel – zwei Freunde, die bisher nicht ganz so sehr auf die Sonnenseite des Lebens gefallen sind. Mit dem feschen Brian haben beide wohl das große Los gezogen, so scheint es. Denn Sex mit einem Alien, was Besseres gibt es nicht. Da mögen dessen Ambitionen, rotlaubige Bäume gegen den Klimawandel zu pflanzen, bereitwillig akzeptiert werden, wobei diesen Umstand zu hinterfragen wohl dringender nötig gewesen wäre als auf den nächsten Austausch von Körperflüssigkeiten zu warten.

Wie viel Good Will steckt in einem Alien?

Filme, in denen Aliens über uns Menschen das uneigennützige Heil bringen, und zwar vorwiegend bei älteren Semestern, das gabs in den Achtzigern mit dem erquickend sentimentalen Klassiker Cocoon. Das Bad im Pool wurde, angereichert durch die Energien eines extraterrestrischen Eis, für vulnerable Pensionisten zum Jungbrunnen. Doch anders als Ron Howards humanistischer Diskurs übers Altwerden klingt das Wunschkonzert aus dem All in Touch Me nach schiefen Tönen – die sich der Mensch gerne schönhört, weil er will, dass alles gut wird.

Wenn Brian – dieser Jared Leto-Jesus-Verschnitt – mit textilfreiem Oberkörper seinen gymnastischen Morgentanz hinlegt, lukriert das eine Menge Lacher aus dem Publikum. Denn diese Performance wirkt dann so, als wäre man in einem Aerobic-Video der Achtziger gelandet, unfreiwillig komisch und ohne jemals die Chance, ernstgenommen zu werden. Das wiederum passt perfekt zu einem der ungewöhnlichsten und auch wagemutigsten Features im Rahmen des Slash Filmfestivals – denn Touch Me ist eine clevere Satire auf so manches, was den nach Glückseligkeit und Eintracht strebenden Menschen nicht nur auszeichnet. Addison Heimann, der seinen Film selbst präsentierte und auch für Q&As wortreich zur Verfügung stand, spiegelt die Umtriebigkeit und Craziness seiner Arbeit wider – für alle, die seinen Film nicht mögen würden, sendet er vorab schon mal ein sympathisches „Fuck you“. So überdreht und ausgetickt Heimann wirkt, so überdreht und ausgetickt ist Touch Me, der durchwegs auch in die düsteren Tiefen eines gespenstischen Thrillers mündet, um dort wieder emporzusteigen als handgeschnitzter Bodyhorror voll praktischer Geht ja-Effekte und jeder Menge Schleim. Das wiederum hätte ich im Laufe des Films auch nicht erwartet, doch was davon lässt sich hier auch wirklich absehen?

Aus den besten Freunden werden Feinde, Missgunst, Abhängigkeit und verschenktes Vertrauen an das Gute sind nur einige menschliche Eigenschaften, die Heimann in seinem Fast-Schon-Kammerspiel seziert – gespickt mit Wortwitz und einem vom Regisseur höchstpersönlich projizierten Elan, der irritiert, manchmal zu Brei schlägt, was hätte erhalten werden können, aber im Ganzen dazu beiträgt, dass die abgefahrene Science-Fiction-Mär ihre Gleichung ganz gut löst. Und Heimanns „Fuck You“ muss ich letztlich dann doch nicht auf mich beziehen.

Touch Me (2025)