Osama

DIE HOFFNUNG STIRBT ZULETZT

7,5/10


osama© 2003 Polyfilm 

LAND / JAHR: AFGHANISTAN, JAPAN, IRLAND 2003

BUCH / REGIE: SIDDIQ BARMAK

CAST: MARINA GOLBAHARI, ARIF HERATI, ZUBAIDA SAHAR U. A. 

LÄNGE: 1 STD 23 MIN


Es ist, was viele nicht für möglich hielten, tatsächlich nochmal passiert: Afghanistan ist seit dem 15. August des Jahres wieder in den Händen der Taliban, die, im Eiltempo und einem Virus gleich, das ganze Landüberzogen hat. So leicht lässt sich diese Krankheit wohl nicht mehr abschütteln, denn was nun fehlt, ist das US-Militär. Die ganze Welt harrt an den Grenzen und sieht zu. Fürchtet, auch bald wieder erfahren zu müssen, wie Frauen und ihre Rechte mit Füßen getreten werden. Dieses mal allerdings wollen die Taliban laut Medienberichten moderater auftreten. Angst braucht niemand mehr zu haben. Alles nur ein Lippenbekenntnis? Nach dem von den USA gewaltsam herbeigeführten Ende des Taliban-Regimes anno 2001 hat sich der afghanische Autorenfilmer Siddiq Barmak dieser für Frauen so entsetzlichen, aber überwunden geglaubten Zeit angenommen – und ein so nüchternes wie ernüchterndes Zeitdokument geschaffen. Nach 12 Years a Slave kann ich dieses Werk wohl zu den hoffnungslosesten und deprimierendsten Filmen zählen, die ich jemals gesehen habe.

Wie denn auch etwas anderes erzählen? Alles andere wäre eine Verharmlosung der Tatsachen. Im Film allerdings lassen sich zuversichtliche Alternativen gegen tatsächliche Geschichtsschreibung austauschen. Tarantino hat zum Beispiel Hitlers Schicksal umgeschrieben – oder die Ermordung von Sharon Tate. Warum nicht auch dem Schicksal afghanischer Frauen einen helleren Anstrich verleihen? Warum nicht dort Hoffnung setzen, wo keine ist? Womöglich, weil es Siddiq Barmak viel zu schwer fallen würde, den Ernst des Erlittenen zu übergehen. So lässt der Filmemacher seine 13jährige Hauptdarstellerin Marina Golbahari (ein bemerkenswertes Naturtalent) sprichwörtlich durch einen Dornwald gehen, der nie endet. Ein Leidensweg steht dem Mädchen bevor, das jeden Tag aufs Neue zusehen muss, wie es für sich und ihre Familie an Nahrung kommt. Da der Vater verstorben ist und sich auch sonst niemand findet, um Mutter und Tochter durch Kabul zu geleiten, muss sich letztere kurzerhand als Junge ausgeben. Der Plan geht nach hinten los, als Osama ganz plötzlich zwangsrekrutiert und in die Koranschule gesteckt wird.

Das ist erst der Anfang – vom Ende eines Lebens, das gerade erst begonnen hat. Die Hoffnung, heißt es, stirbt zuletzt. Und zwar tatsächlich, denn Barmak lässt sie sterben, ohne Wenn und Aber, im Gegensatz zum weitaus zuversichtlicheren Animationsdrama Der Brotverdiener, der ebenfalls, und natürlich in erster Linie, von der Verleugnung der Weiblichkeit handelt. Dabei gibt sich der Stil von Osama jedoch keinem nackten Realismus hin, sondern wendet sehr wohl klassische und gut erlernte Methoden einer Bildsprache an, die vieles versinnbildlicht und die weit davon entfernt ist, aus der physischen wie psychischen Gewalt einen marktschreierischen Nutzen zu ziehen. Das tut aber der Intensität dieses fatalen Schicksals keinen Abbruch, ganz im Gegenteil. Die Resignation der einzelnen Menschen ist erschütternder als jeder Aufschrei.

Osama ist ein Film, der zu gegebenem Anlass kaum besser passen würde. Der zeigt, wie sehr das Gewaltregime der Taliban humanistische Fortschritte um Jahrhunderte zurückgeworfen hat. Mal sehen, ob die neue Macht im Land gemäßigter vorgeht. Zu hoffen wäre es. Doch wenn diese Hoffnung stirbt, wissen wir’s.

Osama

Cemetery of Splendour

GESPRÄCHE MIT TRÄUMENDEN

5/10


cemeteryofsplendour© 2015 Rapid Eye Movies


LAND / JAHR: THAILAND, GROSSBRITANNIEN, FRANKREICH, DEUTSCHLAND, MYANMAR 2015

BUCH / REGIE: APICHATPONG WEERASETHAKUL

CAST: JENJIRA PONGPAS, BANLOP LOMNOI, JARINPATTRA RUEANGRAM U. A.

LÄNGE: 2 STD 1 MIN


Wer meint, das asiatische Kino wäre mit Südkorea, China oder Japan so gut wie abgedeckt, hat die Rechnung ohne Indonesien oder gar Thailand gemacht. Aus diesem beliebten tropischen Urlaubsland kommt nämlich ein ganz spezieller Filmemacher her: Apichatpong Weerasethakul. So richtig zum Begriff wurde dieser bemerkenswerte Sonderling 2010 mit seinem metaphysischen Drama Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben. Damit gewann er doch glatt die Goldene Palme von Cannes. Meines Erachtens auch zurecht – denn auch wenn man in der Welt des Kinos schon vieles gewohnt sein mag: diese Art, Geschichten zu erzählen, verlässt viele bislang vertraute Wege, und scheut auch sehr diszipliniert davor zurück, alle Stückchen spielen zu wollen, die filmtechnisch möglich sind. Gerade im Fantasygenre drängt sich die Möglichkeit, irreale Bilderwelten zu erzeugen, förmlich auf. Ich für meinen Teil schätze all diese erdachte Opulenz. Das es aber auch anders geht, wird in Weerasethakuls Entwürfen deutlich. Der Mann mit dem Namen, den ich bis dato nicht aus dem Gedächtnis buchstabengetreu wiedergeben kann, kreiert Werke, die sich genauso wenig einfach nacherzählen lassen. Uncle Boonmee zum Beispiel ist phantastisches Kino – doch von pittoreskem Dekor entschmückt und auf einen Alltag minimalisiert, zu dessen Tagesordnung so Dinge zählen wie Seelenwanderungen oder paranormale Erscheinungen, die jedoch keinerlei Furcht oder Skepsis auslösen. Die unserem Dasein, so, wie wir es kennen und so, wie wir es leben, ganz einfach inhärent sind. In fast schon semidokumentarischen Bildern widmet sich Weerasethakul auch in seiner Arbeit aus dem Jahr 2015 dem wissenschaftlich nicht Belegbaren. Mit in der Esoterik verorteten praxisnahen Selbshilfephänomenen hat das ganze aber nichts zu tun.

Schauplatz ist der Nordosten Thailands an der Grenze zu Laos. In einer ehemaligen Schule liegen mehrere Soldaten in ihren Betten, Ventilatoren spenden den in den Tropen essenziell notwendigen Luftzug. Diese Soldaten sind jedoch nicht Kriegsversehrte, sondern schlafen tief und fest. Sie leiden an einer der Narkolepsie verwandten seltsamen Krankheit. Betreut werden diese von einigen freiwilligen Helferinnen, darunter auch von Jen, einer körperlich etwas beeinträchtigten älteren Dame, die für einen der Patienten geradezu mütterliche Gefühle hegt. Unter den Besuchern gibt es ein junges Medium namens Keng. Sie kann durch Handauflegen Verbindungen zu den Schlafenden aufnehmen und als Sprachrohr dienen. Jen wiederum bekommt Besuch von zwei längst verstorbenen, antiken Prinzessinnen, die ganz plötzlich erscheinen, und die so einige Geheimnisse offenbaren, was den historisch interessanten Ort betrifft, auf welchem die Schule errichtet wurde. Ein Ort, der früher mal der Friedhof der Könige genannt wurde.

Diese radikale Nüchternheit von Cemetery of Splendour ist irritierend. Und auf eine ganz eigene, schwer zu fassende Weise erst im Nachhinein faszinierend. Lange, unbewegte Bildeinstellungen wechseln mit langen, völlig unaufgeregten Dialogen. Dann herrscht wieder Stille, nur das Zirpen der Zikaden ist zu hören. Die seltsamen L-förmigen Leuchtkörper, die im Krankenzimmer mithilfe des ganzen Farbspektrums die bösen Träume der Schlafenden vertreiben sollen, setzen die wenigen visuellen Reizpunkte. Es ist, als wäre dieser ganze Kosmos hier ein transzendenter Reigen aus Schlafen und Erwachen. Vom Tod handelt der Film nicht. Es gibt noch ganz andere Sphären, die betreten werden können. Weerasethakul beobachtet wie selbstverständlich einen die Grenzen unseres Verstehens überschreitenden Zustandswechsel. Das ist langsam, sehr langsam, von der schwülen Tropenhitze ziemlich ermattet, mitunter finden sich sehr rätselhafte Szenen in diesem Film – zum Beispiel einen Mann, der im Busch seine Notdurft verrichtet, oder ein seltsames amöbenförmiges Wesen tanzt über den Himmel. Die Unaufgeregtheit führt im Gegensatz zu Uncle Boonmee jedoch zu einer sachlichen Lethargie, die das Besondere auf Small Talk reduziert.

Aber mal sehen, wie Weerasethakuls nächster Film wird – den gibt´s heuer in Cannes. Ich bleib‘ dran.

Cemetery of Splendour

Sympathy for Mr. Vengeance

DAS ENDE DER RACHE

7/10


SympathyForMrVengeance© 2021 capelight pictures


LAND / JAHR: SÜDKOREA 2002

BUCH / REGIE: PARK CHAN-WOOK

CAST: SONG KANG-HO, SHIN HA-KYUN, BAE DU-NA, LIM JI-EUN U. A. 

LÄNGE: 2 STD


Ein Blick in den Nahen Osten reicht, um zu sehen, wie es ist, wenn auf Rache Rache folgt. Israel und Palästina kommen aus diesem Drehkreuz der gegenseitigen Vergeltung nicht mehr heraus. Das kaum unterdrückbare Verlangen, in einer aus mehreren Standpunkten gerechten Sache das letzte Wort haben zu wollen, bringt den Gewaltkreislauf womöglich erst dann zum Stillstand, wenn eine der beiden Parteien keinen Mucks mehr macht. Wie verlässlich dieses Grundprinzip funktioniert, und welche bizarren Wege Rache nehmen kann, hat der Südkoreaner Park Chan-Wook in seiner Rachetrilogie veranschaulicht, seinem großen Opus Magnum, das ihm sozusagen Tür und Tor in der Filmbranche geöffnet hat. Aus dieser Trilogie ist Oldboy natürlich das schillernde Mittelstück – mittlerweile längst ein Klassiker. Flankiert wird dieser irre Knüller von Mr. und Lady Vengeance. Zwei völlig andere Ansätze zu selbem Thema, und es ist auch ganz egal, in welcher Reihenfolge man sich diese Werke zu Gemüte führt, eines ist bei Park Chan-Wook aber gewiss: In Sachen Gemüt muss man hierbei schon einiges vertragen können, vor allem die drastische Darstellung von Gewalt.

Den Anfang dieses Triptychons macht ein blauhaariger, gehörloser junger Mann, dessen schwerkranke Schwester ganz dringend eine neue Niere braucht. Die eigene kommt aufgrund falscher Blutgruppe nicht infrage, und die Warteliste für Organe wie diese ist lang. Also geht Ryu andere Wege und lässt sich mit einer illegalen Organhändlerin ein, die das geforderte Geld und Ryus eigene Niere kassiert, mit dem in spe erstandenen Körperteil aber nicht rausrückt. Plan C ist es also, die Tochter eines Geschäftsmannes (Song-Kang-Ho, zuletzt in Parasite zu sehen) zu kidnappen und Lösegeld zu erpressen. Es wäre nicht Park Chan- Wook, würde dieser Plan nicht ebenfalls schrecklich schieflaufen. Wichtige Figuren in diesem Spiel des Schicksals verlassen vorzeitig ihr irdisches Dasein – und das ist Grund genug für die Rache am Rächer, der sich am Rächenden rächt.

Von allen drei Werken ist Sympathy for Mr. Vengeance (vom Original übersetzt: Mein ist die Rache) der wohl nihilistischste. Allerdings auch der introvertierteste, bedächtigste, der anfangs lange Luft holt und sich einfach die Zeit nimmt, die er ungeachtet eines nervösen Publikums braucht, um seine Charaktere und ihr gesellschaftliches Umfeld näher zu betrachten. Park Chan-Wook verschwendet dabei aber keine Spielzeit – sein fast über die ganze erste Hälfte des Film dauerndes Vorspiel macht die zweite Hälfte dann umso intensiver. Und dort bleibt kein Stein auf dem anderen, denn es ist, wie eingangs erwähnt, diese niemals anhaltende Drehtür aus Vergeltung und Gegenvergeltung, die wie ein Körper, der ins Wasser fällt, seine Kreise zieht. Die Eigendynamik der Rache spielt sich dann auch längst nicht mehr linear ab, sondern verzweigt sich und findet auf mehreren Ebenen und an mehreren Orten gleichzeitig statt. Sympathy for Mr. Vengeance nimmt dem Thema Rache seine Banalität, die nur zu gut und gern im Actiongenre stereotype Verwendung findet. Park Chan-Wook macht aus dieser scheinbar simplen Emotion ein kunstvolles Spektakel, das allerdings nichts mehr hat, woran man sich noch festhalten könnte. Hier stürzt alles ins Chaos, lässt andererseits aber seine strauchelnden und hasserfüllten Figuren übertrieben rasch zu sehr hässlichen Mitteln greifen, die man in ihnen keinesfalls vermutet hätte. Das macht den Streifen weniger plausibel. Und da auch des Weiteren all der Jammer wie Abwaschwasser in eine Richtung abläuft, bleibt aufgrund seiner makellos glatten Konsequenz überraschend wenig narrative Haptik.  

Allerdings: Sympathy for Mr. Vengeance mag zwar der schwächste Film der Trilogie sein – Park Chan Wooks Sinn für penibel arrangierte Tableaus, unorthodoxe Blickwinkel und schräge Details findet auch in diesem tiefschwarzen und bizarr bebilderten Klagelied seine praktische Entfaltung.

Sympathy for Mr. Vengeance

Die wandernde Erde

PING PONG IM WELTRAUM

5/10


wanderndeerde© 2019 Netflix


LAND / JAHR: CHINA 2019

REGIE: FRANT GWO

CAST: JING WU, QU JINGJING, GUANGJIE LI, CHUXIAO QU U. A. 

LÄNGE: 2 STD 5 MIN 


Euch ist doch sicher schon mal beim Schmökern in diversen Buchhandlungen der populärwissenschaftliche Bestseller What if… von Randall Munroe untergekommen. Ein kurioses Buch. Da drin beantwortet der Autor sämtliche physikalische Was wäre wenn-Fragen mit charmantem Humor und akkurater Sachlichkeit. Eine dieser Fragen könnte unter Umständen lauten: Was wäre, wenn wir versuchen würden, auf einer Seite der Erde gigantische Schubdüsen zu installieren, um so unseren Planeten, vorausgesetzt, die Eigenrotation würde abgebremst werden, aus dem Sonnensystem zu manövrieren? Munroe würde sich laut auflachend an den Kopf greifen bei so viel Phantasterei. Oder ist das doch nicht so absurd? Zumindest würde das Autor und Hugo-Preisträger Liu Cixin nicht so empfinden, geht doch das erdachte Szenario eigentlich auf seine Feder. Cixin wird Buchshoppern womöglich ebenso geläufig sein wie Munroe – bekannt ist dieser ja vor allem für seinen Drei-Sonnen-Romanzyklus. Die wandernde Erde ist da nur eine seiner Kurzgeschichten. Stoff genug jedenfalls, um ein Desastermovie im Stile eines Roland Emmerich hinzulegen, findet China.

Ich selbst greife mich aber ebenfalls an den Kopf bei so viel hanebüchener Science-Fiction. Man muss sich das natürlich auf der Zunge zergehen lassen: Unsere Sonne steht kurz davor, sich ums x-fache aufzublasen. Tatsächlich steht uns das allerdings erst in mehreren Milliarden Jahren bevor, hier jedoch ist der Worst Case gerade sehr spruchreif geworden. Also gibt es die Idee, die Erde aus ihrer Umlaufbahn zu bugsieren und nach Alpha Centauri zu schicken, um dort wieder in einem habitablen Orbit anzudocken. Die Erde als Tischtennisball, der im Top Spin über die Spielfläche fegt? Klar doch, und das Service obliegt den Chinesen. Gigantische Brenner werden errichtet – bei so viel Ressourcenverbrauch scheint der Welterschöpfungstag bereits sich selbst zu überholen. Aber gut – nebst diesen Düsen gibt es auch noch Zehntausende unterirdische Städte, und die Rotation muss man auch noch bremsen. Mehr als die Hälfte der Erdbevölkerung stirbt eines schrecklichen Todes, nämlich den des Ertrinkens aufgrund unzähliger Tsunamis. Ein paar Milliarden sind auserwählt – Kollateralschaden ist die neue Menschlichkeit. Die Erde eiert also Richtung interstellaren Raum, und dabei muss diese den Jupiter passieren. Nun nähern wir uns der eigentlichen Story. Klar kommt diese dem Gasriesen zu nahe, und der schlimme Jupiter, der ist schon im Vergleich zu Terra ein gewaltiger Brocken und hat nicht wenig Lust, sich den Mini-Trabanten unter den Nagel zu reißen. Was tun, um dieser fiesen Gravitation zu entkommen? Da rauchen die Hirne, da quälen sich die Helden.

Filmland China hat für diesen kosmischen Irrsinn tief in die Börse gegriffen. Optisch betrachtet haben wir hier den Day After the Day After Tomorrow – das tiefgekühlte Shanghai und die schneestaubigen Fast & Furious-Fahrten mit Hammer-ähnlichen Tranportpanzern sind genauso geschmackvoll in Szene gesetzt wie die Darstellung des gravitativen Einflusses Jupiters auf die Erde. Doch Regisseur Frant Gwo ist nicht Roland Emmerich. Um mit so einem Spektakel auch auf menschlicher Ebene zu überzeugen, dafür braucht es das richtige Timing, um auch das Tempo in den richtigen Momenten herunterzufahren. Die Wandernde Erde hat natürlich auch ihre unfreiwilligen Helden. Doch die spüren sich scheinbar selber nicht. Dasselbe Problem hatte auch der jüngst auf Netflix erschienene Streifen Space Sweepers.

Visuell top, dramaturgisch Flop: chinesische Blockbuster wie dieser wirken manchmal zu fahrig und übertönt, trotzdem aber erreichen diese Filme Längen bis über zwei Stunden. Das erzeugt eine anstrengende Aufgekratztheit auch bei den Zusehern. Hinzu kommt die Erschwernis aufgrund der rasant wechselnden Untertitel. Nichts gegen OmU, ich begrüße das meistens wirklich, besonders bei nicht englischsprachigen Produktionen. Chinesische Science-Fiction aber ist oft schnell wie hitziges Ping Pong, oftmals konfus erzählt und austauschbar besetzt. Emmerich ist Europäer, er kennt das europäische Erzählkino, er weiß, wie viel dramaturgische Unterfütterung so ein Film benötigt. China weiß das nicht oder will es gar nicht wissen. Westliche Blockbuster werden mit Vorsicht genossen. Wer sich daran orientiert, erntet tadelnde Blicke. Kunstkino aus dem Reich der Mitte, finanziell nicht ganz so abhängig, tickt da ganz anders. Doch wo mehr Budget im Spiel ist, dort sollen die Schauwerte alles geben. Ein Kompromiss, mit dem ich kaum warm werden kann – und das liegt nicht an der abnormalen Kälte, die da am Globus herrscht.

Die wandernde Erde

Schwarze Milch

SO WEIT UNSERE FREIHEIT REICHT

8/10

 

schwarzemilch© 2020 Alpenrepublik

 

LAND: MONGOLEI, DEUTSCHLAND 2020

REGIE: UISENMA BORCHU

CAST: UISENMA BORCHU, GUNSMAA TSOGZOL, TERBISH TEMBEREL, BORCHU BAWAA, FRANZ ROGOWSKI U. A.

 

Man muss genau hinsehen, um in Zeiten wie diesen den richtigen Film im richtigen Kino zu finden. Derzeit haben die großen Ketten alle geschlossen – sie warten auf grünes Licht aus den USA. Wenige kleinere Kinos haben geöffnet – und die können jetzt den größten Nutzen daraus ziehen. Indem sie Filme zeigen, die sonst vielleicht nur Nischen bedienen und untergehen würden angesichts großer Konkurrenz. Es ist gut, genau hinzusehen, denn dann fallen Filme ins Auge so wie dieser hier – Schwarze Milch. Ein mongolisch-deutscher Streifen, diesjährig bei der Berlinale erstmals aufgeführt. Und ein Werk, das man eigentlich nicht verpassen sollte.

Dabei ist die Geschichte von Wessi, die nach langjährigem Aufenthalt in Deutschland zu ihrer Schwester in die Wüste Gobi zurückkehrt, recht überschaubar, in ihren Grundzügen geradezu simpel. Was Uisenma Borchu, die sich die Rolle der einen Schwester selbst an den Leib geschrieben hat, aus dieser Erzählung einer familiären Begegnung gemacht hat, wird zu einem intensiven, in seiner archaischen Kraft sich stetig steigernden Wunder eines Lebenswandels. Dabei findet Borchu eine unmittelbare, distanzlose Bildsprache. Die Kamera nähert sich den beiden Frauen auf neugierige, vertrauliche, manchmal gar indiskrete Art. Sie offenbaren ihre Sehnsüchte, ihre Ängste, ihre Diskrepanzen zueinander. Dann wieder die unendlich scheinende Weite der Sanddünen, den Reiter in der Ferne. Das Fehlen von Schutz und Nähe, die Scham kulturell bedingter Blöße. Hier, in den Weiten der Mongolei, scheint alles beim Alten geblieben zu sein. Jurten stehen im Nirgendwo, die Bewohner der Steppe sind immer noch Nomaden, durchaus reich an allem was sie benötigen. Im Tross der Umherziehenden jede Menge Ziegen, Pferde. Gastfreundschaft für jeden und zahlreiche gute Omen. Ganz wichtig: das Patriarchat. Modern ist vielleicht das Motorrad zwischen den Teppichwänden der Zelte, das Klingeln des Mobiltelefons. Sonst aber pfeift der Wind, wird gemolken was die Zitze von Pferd und Ziege hergibt, wird geschlachtet, wenn Nahrung knapp wird. Wessi kann sich an all diese Riten des Tages kaum mehr erinnern. Zu fern ist ihr das alles. Fern ist ihr allerdings auch ihr Leben in Deutschland, nicht weniger dominiert von einem Machtmenschen, der vorgibt, was zu tun ist. Wessi sucht Selbstbestimmung, Hofft, diese in ihren Wurzeln zu finden. Eine neue oder wiedergefundene Identität. Mithilfe ihrer Schwester sollte das machbar sein. Doch die Welt der mongolischen Nomaden ist erstarrt im Willen der Männer. Egal ob diesen der träge Ehemann, der gewaltbereite Eindringling oder der zeremonienbewusste Stiefvater artikulieren. Als Frau ist man alleine zu schwach. Gemeinsam vielleicht aber stark genug.

Schwarze Milch – nach Paul Celans Gedicht Todesfuge bringt sie den Tod. Allerdings ist die Bezeichnung natürlich auch ein Oxymoron, ein sich widersprüchlicher Begriff. Klar zuzuordnen lässt sich die Bedeutung nicht gerade, eventuell hat sie eine eigene lokal verortete Symbolik, die sich mir nicht erschließt. Doch das macht nichts, klar ist, das Schwarze Milch nichts sonderlich Gutes bedeutet. Dass es vielleicht einer Verweigerung als Mutterfigur, einer Auflehnung gleichkommt. Und irgendwann später passiert es tatsächlich, in diesem uralten Kosmos aus Gebräuchen und Aberglauben. Die beiden Frauen werden zu zweifelnden Ikonen, umstürzlerisch und leidensfähig, weil sie brechen, was nicht gebogen werden kann. Borchus Film ist so authentisch wie möglich, in ihm ruht eine originäre Kraft, die gleichsam wunderschön, gleichsam lehrreich, aber auch unerbittlich sein kann. Die in OmU übersetzte Sprache der Mongolen ist eine ganz eigene, fremdklingende Metaebene in Hörbildern. Dem Schlachten der Ziegen lässt sich kaum zusehen, es sind dokumentarische Szenen eines Alltags, die Borchu für ihren Film verwendet und die ihm dieses echte, spürbare Etwas geben. Anfangs mag man nicht so recht wissen, wohin Wessi sich treiben lässt. Was sie möchte, weshalb sie zurückkehrt. Fast lässt sich vermuten, die Filmemachern selbst hat sich in ihrer Arbeit ähnlich treiben lassen, hinein in ein wiederentdecktes Land. Was sich dabei herauskristallisiert, sind überraschend ähnliche Sehnsüchte, sowohl im Westen also auch im Osten. Allen voran die Sehnsucht nach Selbstbestimmung und Freiheit.

Schwarze Milch

Die Taschendiebin

WER DREIMAL LÜGT…

7/10

 

dietaschendiebin© 2016 Koch Films

 

LAND: SÜDKOREA 2016

REGIE: PARK CHAN-WOOK

CAST: MIN-HEE KIM, KIM TAE-RI, HA JUNG-WOO, CHO JIN-WOONG U. A. 

 

Egal, was für eine elendslange Laufzeit seine Filme auch haben mögen – bei Park Chan Wook wird einem einfach nicht langweilig. In Anbetracht eines zweieinhalbstündigen Historienfilms namens Die Taschendiebin könnte man ja ansatzweise vermuten, dass sich der Plot in die Länge zieht – aber eben nicht bei Park Chan Wook, und das weiß ich jetzt, obwohl ich es bereits bei Oldboy hätte wissen müssen, seinem meisterwerklichen Aushängeschild aus der vielgepriesenen Rachetrilogie, dessen vorderes und hinteres Ende, nämlich Lady Vengeance und Sympathiy for Mr. Vengeance, ich noch tunlichst von meiner Watchlist streichen muss. Aber eines nach dem anderen, diesmal war Die Taschendiebin dran – und ja: Park Chan-Wook ist ein einerseits strenger, andererseits aber auch zumindest inhaltlich sehr wild fabulierender Komponist. Ein dogmatischer Ästhet, der seinen Prinzipien folgt, der sicherlich kein einfacher Künstler ist, und der für alles, was er abbildet, eine chemische Formel hat. Das war schon bei Oldboy so, ein Arthouse-Zwölfgängemenü, ein Geschmackserlebnis, das nicht zwingend wohlgefällig sein muss. Nein, das ist Die Taschendiebin auch nicht immer. Manchmal würgt man den Bissen auch hinunter. Obwohl alles seine Ästhetik hat.

In dieser von Sarah Waters Roman Solange du lügst inspirierten Dreiecksgeschichte haben betuchte Chauvinisten keine Ahnung von der Cleverness des weiblichen Geschlechts. Diese Herren im Anzug, die finden sich nämlich im japanisch besetzten Korea der Dreißigerjahre beim literaturaffinen Grafen von Kouzouki ein, der mit seiner Nichte Heidiko in einem britisch-japanischen Architekturhybrid von Villa residiert und ein Faible für pornographische Literatur hegt, die er auch seinen Schützling rezitieren lässt. Die Heirat der eigenen Verwandtschaft soll noch folgen – wie ekelhaft. In dieses Konstrukt sadomasochistischer Abhängigkeit aus tintigen Zungen, wunden Pobacken und erotischen Lesungen gerät ein Dienstmädchen, das allerdings von einem Betrüger namens Fujiwara engagiert wird, damit diese ihm hilft, ans Erbe der wohlhabenden Heidiko zu kommen, die in kindlicher Naivität nichts davon zu ahnen scheint, welches grausame Spiel mit ihr getrieben wird.

So pausenlos gab sich Niedertracht und Eigennutz zuletzt nur in Jorgos Lanthimos The Favourite die Klinke in die Hand. Auch die strenge Bildsprache beider Filme ist ähnlich, obwohl ich mir auch nicht verkneifen kann festzustellen, dass mit diesem erotischen Stoff aus Thriller und Liebesreigen wohl auch Peter Greenaway (u. a. Die Bettlektüre) seine Freude gehabt hätte. Beiden scheint die bizarre Verknüpfung aus akribisch arrangierten Bildern, geschmackvoller Ausstattung und abgründigem menschlichen Verhalten wirklich zu liegen. Park Chan-Wook gliedert seinen stellenweise wahrhaft freizügigen Streifen in drei Akten. Die ersten zwei werden jeweils aus der Sicht der Taschendiebin und der psychisch labilen Erbnichte erzählt, der dritte sammelt all die losen Enden schließlich zusammen. Diese entspringen manchmal etwas überkonstruierten Wendungen, die so vielleicht gar nicht zwingend nötig wären. Um diesen Parcour aus Bluffs und guter Miene zu bösem Spiel aber auszureizen – vielleicht doch. Die Taschendiebin ist ein Kopf an Kopf-Rennen für all jene, die glauben, klüger zu sein als der andere. Hinter der Fassade des eitlen Scheins hat der Mann in all seiner Eitelkeit das Nachsehen, während Frau nicht nur Erkenntnisse in Sachen Lust gewinnt. Ein Lustgewinn ist Chan-Wooks Film aber auf jeden Fall, und der lässt seine grotesken Spitzen in der gesittet scheinenden Opulenz eines obsoleten Establishments aus dem Hinterhalt hervorschnellen. Die Taschendiebin ist dem japanischen Kino verwandter als jenem Südkoreas, näher an Oshimas Reich der Sinne zum Beispiel, vielleicht auch ein bisschen dessen Hommage, obwohl die Sexualität hier statt Tod in Ekstase unangepasste Freiheit verspricht.

Die Taschendiebin

Gundala

MISTER BLITZABLEITER

5,5/10

 

gundala© 2019 Koch Media

 

LAND: INDONESIEN 2019

REGIE: JOKO ANWAR

CAST: ABIMANA ARYASTYA. TARA BASRO, ARIO BAYU, BRONT PALARAE, LUKMAN SARDI U. A.

 

Was das Entertainment im Westen so hervorbringt, scheint Indonesien zu gefallen. Am liebsten Marke Event – bunt und laut und wohlgefällig. Was eignet sich da nicht besser als Hollywoods Comic-Universen? Superhelden gehen immer. Aber müssen es wirklich immer nur die Avengers oder die Justice League sein? Gibt’s da nicht auch noch andere Helden? Nicht zwingend aus der zweiten Reihe, aber aus einer ganz anderen Hemisphäre. Siehe da, Indonesien hat sowas auch (wer hat die eigentlich nicht – ich warte eigentlich schon auf Österreichs Verfilmung von ASH). Erschaffen wurde einer dieser Charaktere vor wirklich schon langer Zeit, und zwar Ende der 60er Jahre, von einem Autor namens Harya „Hasmi“ Suraminata: Gundala. So heißt der gute Mann, und der hat fast schon eine ähnliche schicksalhafte Kindheit wie unser wohlbekannter Batman. Gundala also muss zusehen, wie sein Papa stirbt und wird dann auch noch von Mama alleingelassen. Den Reichtum eines Bruce Wayne hat der Knabe freilich nicht, also läuft er weg, irgendwo hin, und sieht dabei zu, dass er nicht in ein Gewitter kommt, was in der Regenzeit in Jakarta des Öfteren mal passiert. Die Blitze nämlich, die scheinen es auf den Kleinen abgesehen zu haben.

Dieses Jakarta, das ist wie Gotham City. Es herrscht Unfrieden zwischen dem Proletariat und den Arbeitgebern, Menschen- und Arbeitsrechte sind Mangelware, das Volk protestiert, wo’s nur geht. Irgendwo in diesem Moloch treibt so mancher zu Unrecht entstellter Antagonist sein Unwesen, mit sämtlichen anderen Finsterlingen im Schlepptau. Es folgt – wie kann es anders sein – für Gundala die große Stunde der Erkenntnis, für etwas ganz anderes bestimmt worden zu sein als nur für ein normales Leben, das geprägt ist von Wunschträumen nach der Heimkehr seiner Mutter.

Natürlich hat Gundala später auch sein eigenes Outfit, das ein bisschen aussieht wie das von Wolverine aus den Comics und Deadpool zusammen. Ein Superheld braucht sowas, und er braucht auch übermenschliche Kräfte, um den Bösen ordentlich den Hintern zu versohlen. Joko Anwar beginnt sein Origin-Movie nebst ordentlich Dramatik mit beeindruckenden Bildern, die manchmal an David Finchers grünstichig-verregnete Optik erinnern. Technisch gesehen gibts da wirklich nichts auszusetzen, Effekte und alles andere sind State of the Art, da müsste Hollywood anerkennend nicken. Aber wie das bei Origin-Stories eben mal so ist, kann auch Indonesien nicht anders, als im Grunde die immer gleiche Geschichte zu erzählen. Vom gekränkten Finsterling und vom selbstlosen Volksvertreter. Vor allem im Mittelteil hat Gundala schön fotografierte, aber satte Längen, die dem Genre der Comicverfilmung nicht viel Neues abgewinnen.

Die südostasiatische Antwort auf Marvel und Co ist nicht volltönend, aber grundsolide, durchaus sympathisch und für ein bereits verwöhntes Publikum gefällig genug, um seine Fans zu finden. Selbst den Teaser für eine mögliche Fortsetzung kann sich das Heldenkino Indonesiens nicht verkneifen. Die Comics um Gundala und Co wird man hierzulande aber vergeblich suchen – es sei denn, dieses DVD-Release entwickelt sich zu einem erfolgreichen Selbstläufer, was ich dann aufgrund des bereits gesättigten Marktes aber kaum glauben kann.

Gundala

Tyler Rake: Extraction

ICH HAU´ DICH DA RAUS

6,5/10

 

extraction© 2020 Netflix

 

LAND: USA 2020

REGIE: SAM HARGRAVE

DREHBUCH: JOE RUSSO

CAST: CHRIS HEMSWORTH, RUDHRAKSH JAISWAL, RANDEEP HOODA, GOLSHIFTEH FARAHANI, DAVID HARBOUR U. A. 

 

Über Chris Hemsworth kann man sich durchaus amüsieren, wenn er sich als schmerbäuchige Dude-Version des Donnergottes aufrappelt, um mit den übrigen Avengers die Welt zu retten. Klar, seine Einlagen waren das Highlight von Marvels Grande Finale schlechthin. Aber: Chris Hemsworth gibt es auch auf ernst. Auf etwas zu ernst zwar, aber auf rambomäßig ernst, traumatisiert und todesmutig, wie seinerzeit der zur Ikone gewordene Vietnamveteran, dessen Heimkehr ins Amiland auf Widerstand stieß. Hemsworth gibt in Tyler Rake: Extraction einen Helden, der genauso wenig zu verlieren hat.

Das sind die besten. Damit lässt sich auch relativ plausibel etwas ins Drehbuch klopfen, das als recht ordentlich verschweißtes Grundgerüst für einen Actionfilm herhalten muss, der bis auf einen keine Gefangenen machen soll, und Stückchen zu spielen bereit ist, die Fans der kinematographischen Gewaltbühne in die erste Reihe drängen lassen. Die Gebrüder Russo, die ihr Talent für detailreiche Götterdämmerungen unter Beweis gestellt hatten, warten nun mit einem deutlich schlichteren, wenn nicht gar eindimensionalen Drehbuch auf, dass aber seine Plot-Points nach bestehendem Know-How erwähnter Schreiberlinge richtig gesetzt hat. Eine schwere Aufgabe? Womöglich nicht. Viel schwieriger könnte es gewesen sein, für die relativ abgedroschene Problematik rund um einen entführten Gangstersohn und dessen darauffolgende Befreiung, die natürlich nicht glatt verläuft, sonst hätten wir einen Kurzfilm, neues oder bewährtes, aber anspruchsvoll aufbereitetes Bildmaterial zu finden. Mit Newton Thomas Sigel als Kameramann (siehe Bohemian Raphsody, einige X-Men-Filme) dürfte das gelungen sein. Tyler Rake: Extraction (oder im Original nur Extraction, weil Tyler Rake hilft mir im Titel auch nicht viel weiter, es sei denn, daraus soll eine Filmreihe wie bei Jack Reacher werden) ist ein klassischer Actionreißer vor exotischer Kulisse, der vor allem durch die klare, energetische Aufdröselung martialischen Kräftemessens und Entledigens böser Buben besticht. Das macht der Film immerhin ausgezeichnet.

Dhaka, die Hauptstadt Bangladeschs, die schwülheißen Tropen und ein verschimmelt-schmutziger Moloch als Kulisse für eine Befreiungsaktion zu wählen, ist für die Sache schon mal gewinnbringend. Worin Chris Hemsworth eintaucht, das ist ein Ballungszentrum an Armut, Improvisation und hepatitischer Sonne, die da stechend vom Himmel scheint und meist aber am Horizont verweilt, da das fiebrige Licht die Action besser ausleuchten kann und der ganzen Szenerie ganz einfach einen theatralischen Touch verleiht. Alte Schule, wohl klar. Aber immer noch wirksam. Tyler Rake also taucht ein in diesen Sumpf und muss diesen Jungen befreien, hat ihn natürlich bald unter seinen Fittichen, muss sich aber durchkämpfen wie seinerzeit Kurt Russel als Klapperschlange durch ein zum Gefängnis umfunktioniertes L.A., um den Präsidenten rauszuboxen. In manchen, vor allem in den nächtlichen Szenen, kokettiert der Film mit John Carpenter, in anderen Szenen dann wieder wie Rambo – und wenn es so wirklich heiß hergeht, könnte Black Hawk Down von Ridley Scott nicht weit sein.

Diese Ein-Mann-Armee Hemsworth, die bietet gehörig Paroli, dabei entfesselt selbige Haudrauf- und Balleraction wie aus einem Kriegsfilm. Nebenbei leidet der Mann bis knapp vor dem Selbstmitleid. Und dann wird’s auch schon bravourös pathetisch, wenn der Klimax des Kawumm-Abenteuers in heroischer Selbstlosigkeit, Zeitlupe und Tränen gipfelt. Das klingt nach Peter Berg, es fehlt aber Mark Wahlberg. Den gibt’s auch im Netflix-Bauchladen, als Spenser Confidential. Aber konzentrieren wir uns lieber auf Tyler Rake, der nichts, oder doch plötzlich wieder was zu verlieren hat, und einen gesichtslosen Leichenberg hinter sich herzieht, der Moral mit Genugtuung wieder zum Verwechseln ähnlich sehen lässt. Klar ist es Action, die nicht differenziert, den Helden Blut schwitzen lässt. Das ist ein bewährtes Konzept, allerdings klasse choreographiert, photographiert und bis zuletzt ohne Seitenstechen.

Tyler Rake: Extraction

Burning

BLASSE SCHIMMER EINES VERDACHTS

7,5/10

 

burning© 2019 Capelight Pictures

 

LAND: SÜDKOREA 2018

REGIE: LEE CHANG-DONG

CAST: YOO AH-IN, STEVEN YEUN, JEON JONG-SEO U. A. 

 

Das Filmland Südkorea ist wie eine große Kiste voller Objekte unterschiedlichster Art, in die man blind hineingreift und gar nicht weiß, was man hervorholt. Das Filmland Südkorea ist Kino als Überraschung, ist niemals etwas, das zu erwarten war. Der Cineast Lee Chang-Dong hat mit Burning endlich wieder mal ein Werk geschaffen, das als ungelöstes Rätsel im Gedächtnis bleibt, sich lediglich auf Andeutungen verlässt und dem überhaupt nicht danach ist, auch nur irgendwelche Fragen, die während des Films aufgeworfen werden, zu beantworten. Wie befreiend ist das denn? Und was für ein lobenswerter Versuch, einen Gegentrend gegen das teils zu Tode erklärte westliche Kino zu setzen, das oft nicht den Mut hat, sein Publikum ratlos zurückzulassen. David Lynch hat diese Wagnis niemals bereut. Seine fragmentarisch anmutende Fabulationsfreude quer durch alle Albträume gibt Raum für eigene Deutungen. Chang-Dong gelingt Ähnliches. Sein Film ist inspirierend unkonventionell, und gleichzeitig aber spielt er mit den Elementen klassischer Krimiliteratur, die stark auf Suspense abzielt und die Sicht auf all die Umstände – trotzdem eine zentrale Person das Geschehen wahrnimmt  – auf mehrere mögliche Ebenen zu zerstreuen weiß.

Woran Burning am Meisten erinnert? Seltsamerweise an Patricia Highsmith und ihrem talentierten Mister Ripley. Allerdings auch an Hitchcock, an einen panikmachenden Sog aus Verdacht und erflehter Gewissheit. Dabei lässt sich die Vorlage zum Film auf die Feder Haruki Murakamis zurückführen. Seine Kurzgeschichte Scheunenbrennen stand Pate, wie genau sich Chang-Dong daran gehalten hat, kann ich nicht sagen. Doch er hat bestimmt etwas ganz Eigenes geschaffen, auf eine bedächtig erzählte, zweieinhalbstündige Geschichte ausgedehnt, in welcher der intellektuelle, etwas verschlafen wirkende Möchtegern-Romancier Jongsu, gerade mal mit dem Studium fertig, auf Haemi, eine Bekannte aus Kindertagen trifft, die ihn bittet, während ihres Urlaubs auf ihre Katze aufzupassen. Es dauert nicht lang, da verliebt sich Jongsu in die hübsche junge Dame, hat gar Sex mit ihr – und trifft sie auch später wieder, allerdings kaum mehr alleine: Das Mädchen hat einen Begleiter mitgebracht, einen undurchschaubaren Lebemann, der anscheinend stinkreich ist und sich alles im Leben leisten und machen kann, was immer er auch will. Eifersucht macht sich breit. Irgendwie nervt dieser Typ, obwohl er freundlich ist. Aber da er alles hat, und alles haben kann, und sogar seltsame dunkle Seiten einfach zulässt, weil er sie seiner Philosophie nach einfach zulassen muss, ist er gleichermaßen faszinierend wie abstoßend. Klar zu erkennen ist ein entrücktes Trio infernal, das plötzlich alles gemeinsam macht. Bis Haemi plötzlich verschwindet.

Jongsu rätselt nicht nur über den Verbleib des Mädchens. Er rätselt noch über ganz andere Dinge in seinem Dunstkreis. Haemis Katze taucht ebenfalls nie auf, wenn er sie füttern muss. Sie ist gleichzeitig anwesend, und gleichzeitig auch verschwunden. Klingt frappant nach Schrödinger. So wie der Drang des rätselhaften Dritten, erlassene Gewächshäuser abzufackeln. Meint er das ernst? Oder will ihn der Rivale nur aufziehen? Vieles ist also eine Variable in Chang-Dongs Film, die große Unbekannte. Selbst die Vergangenheit ist nicht das, was sie scheint. Die große Variable ist das Vertrauen, das sich nicht fassen lässt, das so flüchtig ist wie der Rausch von Marihuana, die Dämmerung oder das Subjekt der Begierde. Ein Mysterium, dieser Film, auch wenn vieles so klar und der Plot alles ist, nur kein konfuses Konstrukt, das mutwillig prätentiös erscheinen will. In Wahrheit ist Burning ein kleiner, bescheidener Film, der aber durch seine Undurchschaubarkeit größer scheint und stets an der Schwelle zum Psychothriller herumscharwenzelt, ohne sie übertreten zu wollen. Mit Betonung auf Wollen, denn können würde er es spielend. Doch gerade diese geschaffene Distanz zu gängigen Genremustern macht aus Burning ein besonderes spekulatives Erlebnis, das sich erst ganz am Ende erlaubt, seine aufgestaute Furcht, dumm zu sterben, rauszulassen.

Burning

Everest – Ein Yeti will hoch hinaus

TERRAFORMING IM SUMMTON

7/10

 

everest© 2019 Universal Pictures Germany

 

LAND: USA 2019

REGIE: JILL CULTON, TODD WILDERMANN

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): CHLOE BENNET, SARAH PAULSON, ALBERT TASI, TENZING NORGAY TRAINOR, TSAI CHIN U. A.

 

Wen der Sinn nach etwas Weichem, Großem, Flauschigem steht, und der kleine Eisbär aus dem Zoo gerade mal unter Ausschluss der Öffentlichkeit sein junges Leben genießt, der kann dieses weiße Flauschige aber auch gern im Heimkino betrachten – und zwar im Animationsabenteuer aus der Dreamworks-Schmiede mit dem Titel Everest – Ein Yeti will hoch hinaus. Da sieht man außerdem wieder, wie unterschiedlich Filmtitel sein können. Die eingedeutschte Version ist wiedermal komplett etwas anderes als das Original genannt werden will – nämlich Abominable, was soviel heißt wie hässlich, grässlich und so weiter. Natürlich verkauft sich ein Film mit dem Titel Grässlich wohl weniger gut. Da ist Everest schon besser, und Yetis sind auch meist gern gesehene, unbeholfene Riesen, im Grunde gutmütig und vielleicht wirklich ein kryptozoologisches Geheimnis, auch wenn Reinhold Messner seine Sichtung wieder revidiert hat.

Yetis gab’s schon in der Monster-AG, vorwiegend bayrisch redend. Auch in Smallfoot oder kürzlich gar in Missing Link als eisige Version des Bigfoot, der sich in dem wunderbaren und leider bei den Oscars sträflich übergangenen Laika-Abenteuer auf die Suche nach seinen Artverwandten macht. Everest setzt ebenfalls auf bereits publikumserprobte Elemente, Charaktere und Plot. Nur nichts riskieren, alles hübsch ausgewogen zwischen kindgerechter Dramatik und jeder Menge Humor, die das magische Fellknäuel für sich verbuchen kann. Aber auch wenn wir hier in keinster Weise etwas Neues entdecken, ist Everest vor allem und in jedem Fall aufgrund seiner liebevollen Ausarbeitung und seiner visuellen Details ein berauschender Hingucker. Alles beginnt in einer nicht näher erwähnten chinesischen Großstadt, Heldin des Films ist eine nonkonforme Halbwaise, die ihrer übrigen Familie aus dem Weg geht und auf dem Dach ihres Hauses zufällig auf einen ganz anderen Außenseiter stößt, dessen Andersartigkeit aber Häscher auf den Plan gerufen hat, die dem Nichtmensch ans Fell wollen. Aus wissenschaftlichen oder was für Gründen auch immer. Klar, dass dann die beiden inklusive weiterer Freunde auf der Flucht Richtung Himalaya sind. Während dieser Tour wird erst so richtig klar, welche Skills der drollige Riese eigentlich auf Lager hat – welche von der magischen Sorte, die in einem gewissen Sinne die Natur verstärken, vergrößern und verformen können. Dazu gehören sogar auch Klänge, die das Mädchen Yi mit der Geige ihres verstorbenen Vaters erzeugen kann.

Die Komponente mit der Violine, die erinnert stark an Laikas Fantasymärchen Kubo – Der tapfere Samurai, in welchem sich gleichnamiger Sohn eines verstorbenen Kriegers mit seiner magischen Laute dem bösen Mondkönig entgegenstellen muss. Das Mädchen Yi muss zwar nicht so finsteren Mächten Paroli bieten, darf aber mit Yetis Hilfe so manche Naturgesetze aus den Angeln heben, was zauberhaft anzusehen ist und Charakterdesignerin und Jagdfieber-Regisseurin Jill Cultons Ökomärchen weg von gefälliger Reißbrettkomik hin zu elegisch-spektakulärem Bewältigungskino bringt,  ziemlich nah am Disney-Stil, nur wird in Everest kaum gesungen, das höchste der musikalischen Gefühle ist das stimmige Spiel mit der Violine. Die Ziele der Reise? Klar, eine Handvoll Coming of Age und der obligate Wert von Familie, den Hollywood nicht genug zelebrieren kann und der nicht nur den Menschen wichtiger ist als alles andere. In Zeiten wie diesen wichtiger denn je.

Everest – Ein Yeti will hoch hinaus