How to Make a Killing (2024)

FARGO IM WEIHNACHTSPULLI

6/10


© 2025 Gaumont


LAND / JAHR: FRANKREICH 2024

REGIE: FRANCK DUBOSC

DREHBUCH: FRANCK DUBOSC, SARAH KAMINSKY

KAMERA: LUDOVIC COLBEAU-JUSTIN, DOMINIQUE FAUSSET

CAST: FRANCK DUBOSC, LAURE CALAMY, BENOÎT POELVOORDE, JOSÉPHINE DE MEAUX, MEHDI MESKAR, KIM HIGELIN, TIMÉO MAHAUT, EMMANUELLE DEVOS, ANNE LE NY, LOUKA MELIAVA U. A.

LÄNGE: 1 STD 53 MIN



Ruhe, bitte!

Wieder einmal kam ich in den zweifelhaften Genuss einer Kinovorstellung, die durch einen weiteren Gast so konsequent gestört wurde, dass es letztlich unmöglich war, in How to Make a Killing auch emotional einzutauchen. Wie man also jemanden umbringt, war mir letzten Endes klar – mitgerissen hat mich die schwarze Thrillerkomödie aber leider kein bisschen. Das wäre anders gewesen, wäre die schwer alkoholisierte oder aber auch mit andren Substanzen zugedröhnte Dame hinter mir, die irgendwann dann doch noch den Saal verließ auf Bitten ihrer Begleitung, nicht wiedergekommen. In solchen Momenten wünscht man sich vom Kinosaal ins Heimkino – oder aber sein Geld zurück.

Ein Bärendienst fürs Weihnachtsgeld

Wie dem auch sei – und ja, ich habe versucht, den permanenten Off-Kommentar aus dem Publikum auszublenden: Mit diesem französischen Knaller könnte man sogar von einem Weihnachtsfilm der anderen Art sprechen, abseits von RomCom, Kitsch und Weihnachtsmann. Wenige Tage vor dem Heiligen Abend wird die die tief verschneite Landstraße zum Laufsteg für einen Braunbären, den es, wie mehrmals betont wird, in diesen Breiten ja eigentlich gar nicht geben soll. Doch Meister Petz, der vorher noch eine Truppe Drogenkuriere im unwegsamen Tann verschreckt hat, stellt sich nun dem Auto von Christbaumverkäufer Michel in den Weg. Der weicht aus – und rammt am Straßenrand ein parkendes Auto, was zur Folge hat, dass die Dame im Wagen ungefähr ähnlich lädiert ist wie die Karosserie und sich davon auch nicht mehr erholen wird. Der andere, ihr Partner, fällt vor Schreck ins Gehölz und segnet ebenfalls das Zeitliche. Im Kofferraum der Schrottkarre finden Michel und seine Frau jede Menge Kohle, die sie natürlich einheimsen, braucht das Xmas-Unternehmen doch ohnehin längst eine Finanzspritze. Somit hat die kauzige, liebevolle Kleinfamilie einerseits ein leises schlechtes Gewissen, andererseits ein nettes Weihnachtsgeld und es ist ja nicht so, dass die beiden Leichen so ganz plötzlich verschwinden müssen. Sie werden verlagert, an einen ganz anderen Ort – womit die Karten neu gemischt werden.

Groteske ohne viel Charakter

Franck Dubosc (Die Rumba-Therapie, Liebe bringt alles ins Rollen) hat sich von der französischen Romantikkomödie zwischenzeitlich verabschiedet und, wie es scheint, dem großen Vorbild der Coen-Brüder, nämlich Fargo, nachgeeifert. So staubtrocken und subversiv ist How To Make a Killing allerdings nicht geworden, denn schließlich lässt es sich drehen und wenden wie man will, den französischen Stil zwischen Chanson-Charme und kecker Louis de Funes-Komödie wird man in diesen Breiten einfach nicht los. Passt das denn überhaupt so zusammen, wenn der Tod auf skurrile Weise seinen Tribut fordert und das organisierte Verbrechen auch noch im wahrsten Sinne des Wortes hereinschneit, um Chaos zu stiften? Vielleicht mag das die Krux gewesen sein, die dazu geführt hat, dass das Duo Franck Dubosc und Laure Calamy (Julie – Eine Frau gibt nicht auf) als pseudokriminelle Improvisateure nicht so recht überzeugen. Einzig Benoît Poelvoorde, der schon in Quentin Dupieux surrealer Krimisatire Die Wache als Polizeiermittler glänzen konnte, trifft mit seinem Gespür für Situationskomik so ziemlich ins Schwarze. Und zugegeben: die verbalen Verwechslungen und schrägen Interpretationen zünden tatsächlich. Gerade der Wortwitz hat so seine Momente, wohingegen der wohldosiert blutige Kriminalreigen zu gefällig und boulevardesk wirkt, um anders oder gar besser zu sein als andere Komödien dieser Art. Franzosen können vieles: Tragikomödien, Krimikomödien, Krimis ohne Komödie und selten auch Horror. Den lakonischen Dorfthriller im bizarren Weihnachtspulli-Look, das bekommen sie dann doch nicht so hin. Was hauptsächlich an den austauschbaren Charakteren liegt, die viel lieber Beziehungen erörtern als die Frage, wohin mit dem nächsten Toten.

Fürs Ende macht die Dame hinter mir endlich wieder den Abgang, in den letzten Minuten finde ich mich also wieder rein in dieses französische Winterwonderland mit Blut an der Baggerschaufel und denke darüber nach, das Ganze vielleicht nochmal im Heimkino nachzuholen. Während einer stillen Nacht.

How to Make a Killing (2024)

Sisu: Road to Revenge (2025)

ICH UND MEIN HOLZ

5,5/10


© 2025 CTMG, Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: FINNLAND 2025

REGIE / DREHBUCH: JALMARI HELANDER

KAMERA: MIKA ORASMAA

CAST: JORMA TOMMILA, STEPHEN LANG, RICHARD BRAKE, EINAR HARALDSSON, JAAKKO HUTCHINGS, SANDY E. SCOTT, ERGO KÜPPAS U. A.

LÄNGE: 1 STD 28 MIN



Das Bahnhofskino hat wieder eröffnet! Im Mitternachtsprogramm nach Machete, Planet Terror und Death Proof lässt sich Jalmari Helanders wie ein Italowestern der Bauernschneuzer-Sorte aufgezogener Taiga-Reisser dank stilsicherer Tonalität bequem unterbringen. Im Mittelpunkt steht dabei ein Mann und sein Holz, der als kriegsgebeutelter Selfman sein Leben im wahrsten Sinne des Wortes neu aufbauen will. Dafür muss der schweigsame Aatami Korpi, bekannt aus Sisu, in ehemals finnisches und nunmehr russisches Gebiet vordringen. Was dort zu holen ist? Nichts sonst außer die Heimstatt seiner Familie, die von Kriegsverbrecher Igor Draganov hingemetzelt wurde. Dieses Blockhaus will Korpi abbauen, auf seinen Truck laden und in Finnland neu errichten, stets in Gedenken an seine Lieben, die er, soweit er es mimisch darstellen kann, schmerzlich vermisst. Doch dieser Draganov, verkörpert von Permanent-Bösewicht und Vorzeige-Antagonist Stephen Lang, der auch in Avatar die Nemesis gibt, bekommt den Auftrag, auch den letzten der Korpi-Familie auszulöschen, hat der doch hunderte russische Gefolgsleute auf dem Gewissen.

Alles was Flügel hat fliegt

Den Rest kann man sich denken. Viel mehr Stoff gibt es nicht. Fast so viel und vielleicht einen Deut mehr als in George Millers Mad Max: Fury Road. Bei diesem Roadmovie fängt Jalmari Helander ganz schön viel atemberaubende Landschaft ein. Jorma Tommila, der einmal mehr kein Drehbuch auswendig zu lernen braucht, weil kein Wort über seine blutenden Lippen kommt, fährt mit sehr viel Holz, das ihm immer wieder abhanden kommt und wie durch Geisterhand wieder eingesammelt wird, von A nach B, stets Stephen Lang im Nacken, der einmal wilde Biker, dann Militärflugzeuge hinterherhetzt. Alles kein Problem für diesen hartgesottenen Burschen, der zäher ist als Leder und ungefähr so viel aushält wie John Wick. Ein finnischer Stehaufmann, der sogar Panzern beibringt, wie man fliegt. All diese Action ist natürlich völliger Nonsens. Purer, gewalttätiger Eskapismus, der diesmal aber nicht nur so elementare Emotionen wie Rache bedient, sondern vorrangig mal Flucht und Widerstand. Die Road to Revenge wird erst sehr viel später zu selbiger, nämlich erst dann, wenn bei unserem Protagonisten die Hutschnur platzt.

Ventil für den Erstling

Bis dahin geht dem Sequel trotz vieler gemachter Kilometer und zerstörter fliegender wie fahrbarer Untersätze die Puste aus. Es ist, als wäre vom Original noch so viel aufgestaute Energie vorhanden gewesen, dass es ein Ventil gebraucht hat, um diese noch irgendwohin absorbieren zu lassen. So wird Teil Zwei zum Löschpapier von Teil Eins, überraschend spannungsarm und unspektakulär in seinem berechneten Spektakel. Sisu selbst war 2022 noch ein staubtrockener, finnischer Anti-Nazi-Western, da kannte man Aatami Korpi natürlich noch nicht, und wusste beileibe auch nicht, wie dieser tickt und ob er den Aggressoren in seinem Land überhaupt Herr werden kann. Am Ende des wahnwitzigen, explizit brutalen Streifens wusste man es dann: dieser Finne packt alles. Natürlich auch Teil Zwei. Und da setzt das große Gähnen an.

Artisten, Panzer, Attraktionen

Es ist witzig, den Salto eines Panzers zu bewundern. Die blutige Rache hat dann auch seine Genugtuung gegenüber eines störrischen Antagonisten, der schon längst hätte ins Gras beissen können, den Lang aber mit verkniffenen Gesichtsausdruck aus dem FF beherrscht. Doch dahinter lässt sich nichts entdecken, alles was Sisu: Road to Revenge bietet, ist Show, eine Revue voller öl-, schlamm- und blutgetränkter Attraktionen und niemals realer möglicher Gegebenheiten. Ein surreales, absurdes Stück Actionkino, doch alles in allem nicht mehr als für Zwischendurch, wie der Happen an einer Tankstelle, wenn man gerade unterwegs ist. Mit oder ohne Holz.

Sisu: Road to Revenge (2025)

Momo (2025)

WER HAT AN DER UHR GEDREHT?

6/10


© 2025 Constantin Film


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2025

REGIE: CHRISTIAN DITTER

DREHBUCH: CHRISTIAN DITTER, NACH DEM ROMAN VON MICHAEL ENDE

KAMERA: CHRISTIAN REIN

CAST: ALEXA GOODALL, ARALOYIN OSHUNREMI, KIM BODNIA, CLAES BANG, LAURA HADDOCK, MARTIN FREEMAN, DAVID SCHÜTTER, JENNIFER AMAKA PETERSON, LINA MARUYAMA, RITAKAHN CHEN U. A.

LÄNGE: 1 STD 32 MIN



Den Cast hätte Michael Ende wohl abgenickt. Vor allem mit dem bezaubernd sympathischen Martin Freeman – einem Mann, dem man einfach nicht böse sein kann. Der ehemalige Hobbit und die rechte Hand eines modernen Sherlock Holmes versprüht als Meister Hora den magischen Esprit eines Charakters, den Ende so geschrieben haben muss. Freeman changiert zwischen jovialer Weisheit und kindlicher Verschmitztheit wie einst der gute Heinz Rühmann, der den Meister der Stunden wohl ähnlich dargeboten hätte. Die rotgelockte britische Schauspielerin Alexa Goodall ist ebenfalls ein Glücksgriff – wie einst Radost Bockel steht ihr die verpeilte Lummerland-Attitüde, vermengt mit dem sie umgebenden Mysterium ihrer Herkunft (wie so oft bei Michael Ende) ausnehmend gut. Die Szenen, in denen sie sich direkt konfrontiert sieht mit dem obersten Zeitdieb Claes Bang sind die besten, vor allem auch, weil auch jener, der ein bisschen so aussieht wie Christopher Lee in jungen Jahren, den grauen Anzugträger diabolisches Charisma verleiht, scheinbar unantastbar, allem erhaben, und so falsch wie der Teufel selbst.

Ein Upgrade für den Klassiker

Mit diesem Trio hat die Neuverfilmung von Momo schon eine Menge in trockenen Tüchern. Stellt sich natürlich die Frage: Wie diese parabelhafte Betrachtung der modernen Welt, geschrieben in den Siebzigern, für die heutige Zeit adaptieren, die schon so viel weiter ist als jene aus den Achtzigern, in denen sich Johannes Schaaf an die erste Verfilmung herangewagt hat?

Statt an Zigarren zu ziehen geben sich die Zeitdiebe diesmal den entspannenden temporären Sprühnebel mit dem Inhalator. Ein High-Tech-Armband gibt den Leuten diesmal vor, wann sie wo wieviel Zeit sparen können, es wäre wegen der Prozessoptimierung – mittlerweile ein geflügeltes und durchs Dorf getriebene Fachwort zur Effiziensteigerung. Und schon sind wir angekommen in der schönen neuen Arbeits- und Lebenswelt, die sich, wie kann es anders sein, genauso grau, gehetzt und verkniffen anfühlt wie unsere tatsächliche urbane Welt. Statt Armband haben wir die Apple Watch oder das Smartphone, viele Unterschiede gibt’s da nicht. Hätten wir Momo, würde sie erkennen: Es sind wir selbst, die auf die große Erfüllung hinsteuern, die niemals kommen wird, weil sich auch dort, wo der vermeintliche Silberstreifen am Horizont auftaucht, nur unsere gehetzte Gegenwart spiegelt. Was wollen wir denn damit erreichen, mit all dieser Effizienz? Mehr Profit. Wofür eigentlich?

Weder Hommage noch originär

Michael Endes Allegorie ist so zeitlos und treffend, dass sie sich wie eine perfekte Blaupause für spätere Generationen eignet; ein narratives Template, um die veränderbaren Variablen des Fortschritts ganz einfach zu ersetzen. So variabel wie diese Vorlage erscheint allerdings auch die Umsetzung von Momo für das Zeitalter der Sozialen Medien – vielleicht, weil uns ohnehin jede Menge substanzloser, generischer Content umgibt, der durch den KI-Slop, der im Film ja noch nicht mal berücksichtigt wird, Lebens- und Arbeitsqualität zusehends entwertet. Regisseur Christian Ditter (Vorstadtkrokodile, Biohackers) kann sich kaum für eine visuelle Tonalität entscheiden, mal gerät sein Film als dystopische Achtziger-Science-Fiction, mal als Hommage an Schaafs altem, weitaus stilsicheren Film mit mechatronischer Schildkröte und deutlichen Kulissen, mal als CGI-optimierter Kitsch, wie ihn Peter Jackson in The Lovely Bones gerne hatte. Die Momo-Version 2025 kann sich schwer entscheiden, welchen Weg sie gehen soll, um ihre Geschichte zu erzählen – das bremst den Erzählfluss, passt sich zwischendurch dem Schritttempo der Schildkröte an. Vielleicht sollte man diesen entschleunigten Rhythmus ja gerade deswegen aussitzen, weil die Prämisse ja schließlich jene ist, in Eile langsam zu gehen, wie schon Konfuzius gesagt haben soll.

Das wäre ja schön und gut, aber vielleicht liegt es auch daran, dass der Plot mittlerweile längst allzu bekannt ist und man hauptsächlich bei den Bildern hängenbleibt, die zusammengenommen eine generische Mixtur ergeben.

Momo (2025)

Das Verschwinden des Josef Mengele (2025)

WIE DAS BÖSE DIE WELT SIEHT

8/10


© 2025 Panda Lichtspiele


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, FRANKREICH 2025

REGIE: KIRILL SREBRENNIKOW

DREHBUCH: KIRILL SEREBRENNIKOW, NACH DEM ROMAN VON OLIVIER GUEZ

KAMERA: VLADISLAV OPELYANTS

CAST: AUGUST DIEHL, MAX BRETSCHNEIDER, DANA HERFURTH, FRIEDERIKE BECHT, MIRCO KREIBICH, DAVID RULAND, ANNAMÁRIA LÁNG, TILO WERNER, BURGHART KLAUSSNER U. A.

LÄNGE: 2 STD 15 MIN



Muss man, will man, kann man denn überhaupt einen Film über einen bösen Menschen ansehen? An dieser Stelle wäre es angebracht, über die Begrifflichkeit des Schlechten nachzudenken. Das Böse, so möchte man meinen, existiert, ohne dass es in dem Moment, indem es sich offenbart, weiß, dass es das tut. Reue nennt sich der Effekt, wenn sich das Böse selbst erkennt. Umso erschreckender, wenn es das nicht tut – wenn diese Finsternis auf ewig glaubt, sie wäre strahlend hell wie die Sonne. Das ist dann das inhärente Destruktive einer globalen Gesellschaft, das unter unsagbarer Anstrengung Tag für Tag klein gehalten werden muss, wenn es schon nicht zur Gänze getilgt werden kann. Ist das nicht dieser ewige Kampf des Guten gegen das Böse, dieses oft zitierte Yin und Yang? Ist diese Balance nicht essenziell für die Existenz an sich? Dieser Überlegung widmet sich auch der Japaner Hamaguchi Ryusuke in seinem Gleichnis Evil Does Not Exist.

Der Trotz des Falschen

Die Banalität des Bösen hatte schon Jonathan Glazer in seinem ernüchternd schrecklichen „Familienfilm“ The Zone of Interest dokumentiert – und dabei versucht, die Welt so darzustellen, wie sie aus Sicht des Bösen wohl aussehen möge. Der Holocaust wird dabei zur Nebensache, die so weltbewegend erscheint wie die tägliche Müllabfuhr. Niemand aus dieser Familie Höß hat jemals begriffen, dass sie Falsches tat – bis auf die Schwiegermutter, deren Erkenntnis ob der Gräuel in einer nokturnen Schlüsselszene diese zur panischen Abreise bewegt. In Schindlers Liste ist die Welt des Amon Göth eine, in welcher Macht und Mord einander bedingen müssen, während Psychopathen wie dieser darin ihren Nährboden finden. Und jetzt auch er: Josef Mengele, eine Schreckensgestalt und Verbrecher gegen die Menschlichkeit und die Menschheit an sich, der Todesengel von Auschwitz, dessen Taten schwer zu dokumentieren sind, so vielfältig verheerend lassen sie sich darlegen. Während The Zone of Interest das unmöglich Auszudenkende hinter den Backsteinmauern als dunklen Rauch aufsteigen lässt und den Nazi-Alltag semidokumentarisch betrachtet, geht Kyrill Serebrennikow einen Schritt weiter und gibt diesem Mengele die Möglichkeit, seine Taten und Motive zu reflektieren.

Was gast du nur getan?

Eines vorweg: Es wird ihm nicht gelingen. Es wird auch nicht seinem Sohn Rolf gelingen, der seinen Vater Ende der Siebzigerjahre, zwei Jahre vor seinem Tod beim Schwimmen an der südamerikanischen Atlantikküste, dazu bewegen möchte, seine Taten als falsch einzugestehen. Nichts davon passiert, denn das Böse sieht sich im Recht, es sieht sich als das einzig Logische. Gerechtigkeit wird aus Sicht Mengeles zur scheinbar grundlosen Jagd auf einen im Selbstmitleid ertrinkenden Choleriker, den Klaus Kinski hätte darstellen können. August Diehl ist aber nicht weniger gut dafür geeignet. Der Herausforderung für einen Schauspieler besteht darin, völlig vorbehaltlos in die Rolle eines monströsen Menschen zu schlüpfen, der bis zum Ende glauben wird, dass das Unrecht auf der anderen Seite liegt. Sie anzunehmen, wird seine Spuren hinterlassen, denn egal kann einem wie Diehl so ein Mindset sicher nicht sein. Und dennoch hängt sich der Deutsche hinein in dieses Psychogramm, und meistert dabei mehrere Jahrzehnte der Paranoia, der Verzweiflung, der trotzigen Beharrlichkeit einer kranken Weltsicht, der puren Essenz radikalen, nationalsozialistischen Gedankenguts.

Wenn der Mörder lächelt

Das Verschwinden des Josef Mengele, in expressionistischem Schwarzweiß gedreht und in den verstörenden und an die Nieren gehenden Szenen sogar in Farbe, um die niemals verjährende Aktualität von Verbrechen viel eher in die Gegenwart zu bringen, ist schauspielerischer Brutalismus, das Lamento eines in die Enge getriebenen Unbelehrbaren; eines rechthaberischen, arroganten, zutiefst abstoßenden Patriarchen, dem nicht mal beim Töten Unschuldiger das Grinsen vergeht. Jetzt aber, in den Jahrzehnten nach dem Krieg, ist dieses quälende Versteckspiel eines Flüchtigen nur gut und recht, wenn dieser in seinem Leid genauso feststeckt wie in seiner Weltsicht. Bei jedem Zeter und Mordio ob der Ungerechtigkeit, die Mengele seiner Meinung nach widerfährt, stellt sich jedoch längst nicht diese Genugtuung ein, die man erfährt, wenn ein Antagonist seine Strafe erhält. Ganz klar liegt es an dieser Uneinsicht eines Widerlings.

Warum also so einen Film ansehen? Ist so ein Mensch die Mühe wert, Millionen an Gelder dafür zu verwenden, ihn ins Rampen- und Leinwandlicht zu rücken? Ja, das ist sie. Weil man benennen sollte, wovor man sich wappnen muss. Wie bei The Zone of Interest ist es der Versuch, sich auf die andere Seite zu stellen, nicht direkt in die Dunkelheit, sondern daneben, um zu sehen, was das Böse sieht. Um ein bisschen mehr zu verstehen, wie die Welt tickt. Und es ist die Faszination für Monster wie dieses, die klarmachen, wo ich, wo wir, niemals hinwollen. Dass es das gibt, ist erschreckend und belehrend, zugleich aber auch ernüchternd hoffnungslos, weil es so scheint, als hätten Geister wie Mengele in dieser Welt immer ihren Platz.

Das Verschwinden des Josef Mengele (2025)

Eddington (2025)

AMERIKA SCHAFFT SICH AB

5/10


© 2025 Leonine Studios / Constantin Film


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE / DREHBUCH: ARI ASTER

KAMERA: DARIUS KHONDJI

CAST: JOAQUIN PHOENIX, PEDRO PASCAL, EMMA STONE, AUSTIN BUTLER, DEIRDRE O’CONNELL, LUKE GRIMES, CLIFTON COLLINS JR., AMÉLIE HOEFERLE, MICHAEL WARD U. A.

LÄNGE: 2 STD 25 MIN



Am Ende ist Amerika, sind die Vereinigten Staaten am Beispiel der fiktiven Kleinstadt Eddington zwar ein Pflegefall, aber ein regierungsfähiger. Was sagt uns das? Dass dieses Konglomerat an teilautonomen Territorien von Leuten angeführt wird, die man nicht alleine lassen kann. Einen wie Trump, einer wie Musk, sie alle zelebrieren und exekutieren den Wahnsinn, den man längst geglaubt hat hinter sich gelassen zu haben. Nationalismus, Faschismus, brutale Globalisierung – denkt man länger darüber nach, muss man mit Erschrecken feststellen, dass das Pflegepersonal für Egomanen längst Reißaus genommen hat. Was bleibt, ist die Hoffnung auf bessere Zeiten – die laut Ari Aster niemals kommen werden. Denn der hat seine ganz eigene, persönliche Abrechnung mit den USA auf Papier gebracht – als ausladendes, selten gekürztes und impulsives Drehbuch, das gleich noch eine ganz andere Schwierigkeit mit auf die Spielfläche nimmt, nämlich die Corona-Pandemie.

Wie Covid die Gesellschaft spaltet

Drehen wir also ein paar Jahre zurück in die Anfänge der Zwanzigerjahre des neuen Jahrtausends und tauchen ein in den Gesellschaftsspiegel einer Kleinstadt namens Eddington, angeführt von einem korrekten, integren Bürgermeister, gespielt von Pedro Pascal, der ohne zu hinterfragen die Verordnungen der Behörden umsetzen will und daher auch stets die obligate FFP2-Maske trägt, dieses Stück Filterstoff vor dem Riech- und Sprechorgan, von welchem wir noch wissen, wie sehr uns das Tragen selbiger gespalten hat. Die Nerven lagen blank, es gab selbsterklärte Experten, Besserwisser mit Hausverstand und Schwarzseher, Realisten und Schönredner. Alles war da, und so konnten Querdenker noch gleich die ganze Welt als Endprodukt diverser Verschwörungen erklären. Diesen ganzen Wulst an halbgaren Fakten und verbogenen Wahrnehmungen spült Aster in ein schrecklich nebensächliches Wüstenkaff, um auf der vordersten Welle Joaquin Phoenix und dessen neben der Spur befindliche Ehefrau Emma Stone reiten zu lassen. Phoenix gibt als Sheriff die Opposition, da Covid in Eddington gar nicht mal umgeht. Beide, Pascal und Phoenix, gehen sich an die Gurgel, wettern und stänkern und streiten, bis der eine, eben der Sheriff, plötzlich die smarte Hirnidee aufreißt, sich selbst für die bevorstehende Bürgermeisterwahl aufstellen zu lassen.

Viel Aufstand im Nirgendwo

Das wunderbare Land der unbegrenzten Möglichkeiten hat auch unbegrenzt Probleme, die Aster nicht unter den Tisch kehren will. Da wäre noch die Sache mit der rassistischen Polizeigewalt gegen Schwarze, hier der reale Konnex zu Opfer George Floyd, dessen Tod zu heftigen Unruhen führte. Die schwappen auch nach Eddington, und wenn man da auch noch Covid mitnehmen kann und den ganzen Ekel gegenüber der staatlichen Ordnung, warum nicht? Also wissen Phoenix und Pascal bald gar nicht mehr, wo sie ansetzen müssen, um alles in den Griff zu bekommen. Nichts geht mehr in Eddington, Aster lässt sein Amerika den Bach runtergehen und wendet sich im Laufe des stark ausufernden Szenarios einer Polit-Kasperliade hin, die mitunter manchmal so verschroben wirkt wie ein Film der Coen-Brüder. Tatsächlich ist der schwarze Humor manchmal richtig treffsicher, und würde auch länger nachwirken, würde Aster seine Schwarzseherei nicht so sehr auf die Leinwand erbrechen.

Ein Film mit Schneeball-Effekt

Leicht von der Hand geht ihm der Film nicht. Hält man sich seinen Vorgänger Beau is Afraid vor Augen, ist vor zwei Jahren ähnliches passiert. Der surreale, teils komödiantische, perfide Psychohorror gebärdet sich wie eine schwere Mahlzeit vor dem Schlafengehen. Ähnlich schwerverdaulich ist Eddington, aber nicht, weil das Drama einen mitnimmt. Sondern weil Wut-Regisseur Aster alle dazu bewegt, auf die Straße zu gehen, um den Unmut in eine Welt zu schreien, die jenseits dieser Kleinstadt ohnehin nicht gehört wird. Bis alle ihren Auftritt hatten, erlangt Eddington auch die obligate Überlänge und wird wie ein rollender Schneeball immer erdrückender und voluminöser. Vieles darin wären gelungene Pointen, doch Aster lässt die Köpfe schwirren, indem er den Zusehern nichts vorenthält. Ja, in Amerika, da ist einiges im Argen. Lösen lässt sich das in Eddington nur mit durcheinanderschreiender Polemik.

Eddington (2025)

Black Phone 2 (2025)

KEIN ANSCHISS UNTER DIESER NUMMER

5/10


© 2025 Universal Pictures


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: SCOTT DERRICKSON

DREHBUCH: SCOTT DERRICKSON, C. ROBERT CARGILL, NACH DER KURZGESCHICHTE VON JOE HILL

KAMERA: PÄR M. EKBERG

CAST: MADELEINE MCGRAW, MASON THAMES, ETHAN HAWKE, JEREMY DAVIES, MIGUEL CAZAREZ MORA, DEMIÁN BICHIR, ARIANNA RIVAS, MAEV BEATY, ANNA LORE U. A.

LÄNGE: 1 STD 54 MIN



Was war Scott Derricksons paranormaler Serienkillerthriller nicht für ein akkurater Filmleckerbissen, dahingleitend auf der Mystery-Schiene des Horror-Genres: Ein schwarzes Telefon im Keller eines Psychopathen, das, längst nicht mehr ans Netz angeschlossen, schauderhaft oft die Nerven des entführten Mason Thames kitzelt. Speziell in einem Punkt macht The Black Phone die erfrischende Wende: Nicht die Geister sind es diesmal, die die Lebenden quälen. Sie unterstützen diese, um der Bestie Mensch das Handwerk zu legen. Der von Thames verkörperte Finn ist der letzte einer ganzen Reihe ermordeter Kinder, die noch gar nicht wissen, dass sie überhaupt gestorben sind. Als spukhafte Vision manifestieren sie sich vor den Augen des Entführten und in den Visionen von dessen Schwester, die, daheim um ihren Bruder bangend, als Medium Hinweise genug erhält, um den Ort des Verbrechens letztlich ausfindig zu machen. Derricksons geradliniger Nägelbeisser besitzt ganz schön viel Atmosphäre, hat eine originelle Optik und das Herz am rechten Fleck. Zwar gerät die Sache ganz schon düster, doch letztlich ist The Black Phone zwar kein Feel Good-Horror, aber immerhin ein Feel-Better, je mehr sich die Dinge zuspitzen. Der verzweifelte Kampf Kind gegen Killer, der noch dazu eine so schaurige Maske trägt, weil sich die Mimik darauf auf geheimnisvolle Weise ändert, lässt sich wohl kaum eins zu eins auf ein Sequel übertragen, ohne dass sich dieses den Vorwurf gefallen lassen muss, einfach nur das Erfolgsrezept des Erstlings zu kopieren.

Ist so kalt der Winter

Eben da muss etwas Neues her. Oder eben etwas Altes, neu aufgegossen. Wie zum Beispiel die Idee von einem Psychopathen, der es geschafft hat, den Tod zu überwinden, um in den Träumen anderer aufzutauchen. Natürlich drängt sich da Nightmare – Mörderische Träume mit Antagonist Freddy Krüger auf, der sich mit gesottenem Gesicht, rotgrün gestreiftem Pulli und Klingenfingern durch die Träume argloser Teenies metzelt. Gut kopiert wird fast schon zum Original? In Black Phone 2 kehrt Ethan Hawke wieder zurück, doch anders als Freddy hat der Greifer nur dann freie Fahrt, wenn das Opfer den sechsten Sinn hat. In diesem Fall steht die Schwester des aus Teil eins entführten Finn im Mittelpunkt. Visionen von übel zugerichteten Kindern, die  Jungschauspielerin Madeleine McGraw in ein tief verschneites Wintercamp nach Colorado locken, machen bald deutlich, dass der totgeglaubte „Greifer“ noch lange keine Ruhe findet. Und seit Shining wissen wir: Die Isolation eines Ortes durch Schnee und Eis, diese für einen Thriller dramaturgisch eingegrenzte Spielfläche, auf der nur wenige Parameter über Sieg und Niederlage entscheiden, funktioniert als wohlige Zutat fast schon unter Garantie. Umso bedauerlicher, wenn die Story, die sich in dieses Setting zwängen will, plötzlich deutlich zu viel will.

Albträume in Super 8

Was an Black Phone 2 in Erinnerung bleibt, ist der Sound. Wenn Madeleine McGraw träumt, kippt die Geräuschkulisse in ein unheimliches Rauschen, Knistern und Knacken, der Bildstil gefällt sich als einer, den man von den Super 8-Filmen aus der Frühzeit des Home-Videos kennt. Schaurig ist das ausiovisuelle Experimentieren allemal, wenngleich Verpackung nicht alles ist. Um anders zu sein als das Original, erfinden Derrickson und  C. Robert Cargill ein bemühtes, komplexes Szenario und ziehen dabei die ganze Familie der Protagonisten mit hinein – inklusive Vergangenheitsbewältigung und jeder Menge Cold Case-Fälle, die der Reihe nach auftauen. Der gemeinsame Nenner von allem ist besagter Greifer, der plötzlich mehr ist, als er jemals war. Eine Figur wie diese braucht aber keine Biografie, sie nimmt ihr so manches Mysterium. Das Grauen, das in The Black Phone noch nach dem Zufallsprinzip zuschlägt, erhält in seiner Fortsetzung zu viel an Vorbestimmung und kollektiver Bewältigungspflicht, zu viel des Phantastischen und eine aufgesetzte Mystery, die nicht nur unter der Anstrengung leidet, den direkten Erzählfluss des Vorgängers beizubehalten, sondern sich selbst im Streben nach Originalität deutlich verkopft und verkonstruiert. Da helfen auch immer wieder die gleichen Visionen aus Blut und entstellten Gesichtern nichts, auch nicht Hawkes üppige Zombie-Visage. All das ist nur noch Brimborium mit zu vielen Charakteren, die alle wichtig sein und dem genre-eigenen Credo „Keep it simple“ nicht zuhören wollen. Was bleibt, ist der kämpferische Drang des Guten, dem Bösen die Leviten zu lesen. Die gesunde Wut auf den „Greifer“ ist nach wie vor befreiend – der Rest engt sich zu sehr selbst ein.

Black Phone 2 (2025)

Zoomania 2 (2025)

JEDEM TIERCHEN SEIN PLÄSIERCHEN

7/10


© 2025 Disney Enterprises, Inc. All Rights Reserved.


ORIGINALTITEL: ZOOTOPIA 2

LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: JARED BUSH, BYRON HOWARD

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): GINNIFER GOODWIN, JASON BATEMAN, KE HUY QUAN, FORTUNE FEIMSTER, ANDY SAMBERG, DAVID STRATHAIRN, IDRIS ELBA, PATRICK WARBURTON, SHAKIRA U. A.

MIT DEN STIMMEN VON (SYNCHRO): JOSEFINE PREUSS, FLORIAN HALM, RICK KAVANIAN, KATHRIN GLAUBE, DENNIS HERRMANN, LUTZ RIEDEL U. A.

LÄNGE: 1 STD 47 MIN



Disney hatte das schon immer: Ein Herz für Tiere. Denn Tiere, die mögen fast alle. Bis auf das ganze Krabbelige. Bis auf Affen, denn die haben in Zoomania anscheinend keinen Platz, weil sie zu sehr… menschlich sind? Und bis auf Reptilien und Amphibien. Über Kaltblüter dieser Art macht sich Disney diesmal aber doch Gedanken. Denn, um ehrlich zu sein, ist die in mehrere Klimazonen unterteilte Metropole Zootopia ein Schmelztiegel an Säugetieren aller Art, die nach wie vor als Elite gelten. Nicht mal Vögel gibt es hier, es fehlt also der Großteil der auf unserem Planeten lebenden Biomasse, und dennoch tun alle so, als würde Zoomania (warum nicht den Originaltitel Zootopia beibehalten?) das ganze Tierreich abklappern, was so natürlich nicht stimmt. Auch drängt sich in mir abermals die Frage auf, wovon sich Tiger, Löwe und Co in dieser Weltgegend denn ernähren. Ich komme zum Schluss: Das, was wir hier sehen, ist eine surreale Utopie, die sämtliche Widersprüche in Kauf nimmt und gar nicht mal innerhalb ihrer eigenen Realität plausibel sein will.

Den Stolperfallen einer Fabel zum Trotz

Doch nach wenigen Minuten ist das sowieso egal. Hinter den Schleier der Harmonie zu blicken, die das Miteinander wie eine Siegesfahne hochhält, ist bei Zoomania nicht erforderlich. Und gar nicht mal erwünscht. Disney tischt uns eine Fabel auf, die sich an klassichen menschlichen Tiergeschichten orientiert und die ganze mühsame, ehrgeizige und schweißtreibende Arbeit in vorallem eines legt: In den konsistenten, einzigartigen Charakter. Denn den haben sie alle, angefangen von Publikumsliebling, dem Faultier Flash, bis zum raunzenden Mafia-Opossum mit den Augenbrauen von Martin Scorsese. Sie alle sind Individuen, Personen bar excellence, und es soll niemand mehr behaupten, dass Tiere nicht genau das sind: Personen, die ihr Verhalten, ihren Charakter, ihren Lebenslauf haben. Die, obwohl sie sich nicht fragen können, warum, doch ein gewisses Selbst entwickeln, dessen sie sich zwar nicht bewusst sind, es aber mittragen. Nun kommt der Figur der Erkenntnis dazu, das Tier wird Mensch, das parodierbare Klischee einer jeden einzelnen Art darf sich entweder konterkarieren, bestätigt sehen oder gar nicht vorhanden sein.

Die Schlange kämpft um ihr Image

Der Spaß am Entdecken all der Charaktere ist das Herzstück dieser Fortsetzung, die den Buddy-Faktor zwischen Fuchs und Kaninchen nach wie vor bedient, diesmal aber die Freundschaft um einiges mehr als im Original auf die Probe stellt. Zoomania 2 ist diesmal voll von abenteuerlicher Mystery, in der sich einer wie Sherlock Holmes wohl selbst gerne wiedergefunden hätte. Der Spaßkrimi beginnt mit einer Jubiläumsfeier, die von einer Grubenotter gecrasht wird, die ein wertvolles Schriftstück entwendet. Reptilien hier in der Stadt der Säuger? Das geht natürlich gar nicht, ist diese Tiergattung doch über den Kamm geschoren eine unerwünschte und daher Verbannte. Doch irgendwie, das wissen Hopps und Nick, kann das nicht der Wahrheit letzter Schluss sein. Und so machen sie sich, obwohl suspendiert, auf die Spur des diebischen Reptils, was beide durch Klimazonen und an wunderliche Kreaturen vorbei in unbekannte Territorien führt, deren Geheimnisse die ganze Ordnung auf den Kopf stellen.

Ein Mehrwertspaß für alle

Mit dabei sind diesmal eine ganze Handvoll Luchse, eine an Shakira erinnernde singende Antilope, knuddelige Walrösser und eine emsige Biberdame. Die aber sind nur ein kleiner Teil aus einer ganzen Riege an Auftritten, die das wohltuende Gefühl eines multikulturellen und diversen Miteinanders zelebriert und, da es sich dabei um Tiere handelt, auf völlig unterschwellige Weise auch in den Gesellschaften von Ländern punkten kann, die mit Vielfalt und Akzeptanz nichts am Hut haben. Allein für diese Arbeit ist Zoomania 2 zu loben, darüber hinaus spickt Regisseur und Autor Jared Bush, der schon für den ersten Teil verantwortlich war, seine Geschichte mit Eastereggs, die nur Erwachsene kennen können, sowie mit einer komplexen, richtig kribbelig-spannenden Verschwörungsgeschichte, die sich eindeutig auch nur an die etwas älteren unter den Kindern richtet. Klar ist, dass Zoomania den Anspruch verfolgt, ein Animationsfilm für alle zu sein, und selbst die ganz Kleinen haben damit schon reichlich genug zu tun, all die Fauna zu entdecken und deren Charaktereigenschaften zu erkennen.

Disneys Steckenpferd war es schon immer, seinen Figuren Seele zu geben. Da kann den Machern in dieser Schmeide wohl niemand das Wasser reichen. Hier, in Zoomania 2, gelingt in dieser Sache wieder Großes.

Zoomania 2 (2025)

Frankenstein (2025)

DER WERT GANZ GLEICH WELCHEN LEBENS

8/10


© 2025 Netflix Inc.


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: GUILLERMO DEL TORO

DREHBUCH: GUILLERMO DEL TORO, NACH DEM ROMAN VON MARY SHELLEY

KAMERA: DAN LAUSTSEN

CAST: OSCAR ISAAC, JACOB ELORDI, MIA GOTH, CHRISTOPH WALTZ, FELIX KAMMERER, LARS MIKKELSEN, DAVID BRADLEY, CHRISTIAN CONVERY, CHARLES DANCE, NIKOLAJ LIE KAAS, LAUREN COLLINS, RALPH INESON, BURN GORMAN U. A.

LÄNGE: 2 STD 30 MIN



Dass Netflix Guillermo del Toros überbordendes Frankenstein-Drama in Österreich nicht auf die Leinwand brachte, grenzt ja fast schon an Banausentum. Was in Deutschland und anderswo zumindest eine kurze Zeit lang gewährt wurde, hat man hierzulande nicht umgesetzt. Und das, obwohl Frankenstein hinter dem bald erscheinenden dritten Avatar wohl der visuell stärkste Film des Jahres ist. Doch wie die Release-Politik funktioniert, bleibt im Dunst der Unverständlichkeit verborgen. Wirtschaftliche Interessen hin oder her: der Kunst seinen Raum zu geben wäre nur natürlich.

Das Monster als visuelle Variable

So bleibt uns nur der Platz vor dem Fernseher, der zum Glück groß genug ist, um ein bisschen etwas von der Wirkung abzubekommen, die der Film noch hätte entfalten können. Die ist selbst im Kleinformat stark genug, um einen Wow-Effekt zu erzeugen. Denn einer, der Filme wie Hellboy, Pans Labyrinth oder The Shape of Water zustande brachte und der selbst mit der Mystery-Noir-Nummer Nightmare Alley visuell alle Stückchen gespielt hat, darf nun bei Mary Shelleys Schauerroman auffahren, was geht.

Die Latte liegt bei diesem Stoff natürlich hoch – einer wie Boris Karloff in Gestalt von Frankensteins Monster ist so sehr Teil der Filmgeschichte und der Popkultur, das es unmöglich scheint, eine denkwürdige Interpretation entgegenzusetzen, die den Quadratkopf Karloffs auch nur irgendwie verdrängt. Das hat schon Kenneth Branagh probiert. Seine Frankenstein-Verfilmung ist zweifelsohne ein gelungenes Stück Theaterkino, und Robert De Niro als das Monster keine schlechte Wahl, nur blieb der Oscarpreisträger abgesehen von seinem Erscheinungsbild auch als die künstliche Person, die erschaffen wurde, hinter dem möglichen Spektrum an Empfindungen zurück. Bei Dracula selbst liegen die Dinge schon etwas anders, Dracula hat die Variabilität für sich gepachtet, Frankensteins Monster nicht. Doch nun, so viele Jahre später, schlüpft Jacob Elordi in die Kreatur – und schenkt ihm ungeahntes, schmerzliches, mitleiderregendes Leben, wie man es bei Karloff, De Niro und sonstigen Darstellern, die diese Rolle innehatten, vergeblich sucht. Dabei entfernt sich del Toro radikal vom gedrungenen, schweren, unbeholfenen Körper eines denkenden Zombies. Dieser hier ist ein wie aus Lehm geformtes Patchwork-Wesen aus einer anderen Dimension – ein Mann, der vom Himmel fiel. Ein Körper mit dem Geist eines Kindes, das vor den Entdeckungen seines Lebens steht. Die Beschaffenheit der Figur, ihr zusammengeflickter Leib, strotzt vor Anmut, physischer Stärke und verbotener Schrecklichkeit. Kein Wunder, dass Mia Goth als des Wissenschaftlers Schwägerin fasziniert ist von dieser Erschaffung. Denn wir, oder zumindest ich selbst, bin es ebenso.

Über Leichen gehender Ehrgeiz

Ihm gegenüber der Zynismus in Reinkultur – ein vom Ehrgeiz getriebener Möchtegerngott namens Viktor Frankenstein. Überheblich, getrieben, rastlos. Ein Visionär als Metapher für eine vor nichts haltmachenden Wissenschaft, die keine Moral, keine Ethik und kein Mitgefühl kennt, sondern nur sich selbst, den eigenen Ruhm und nicht mal das Wohl aller, welches durch eine Erkenntnis wie diese erlangt werden könnte. So wohlbekannt die Geschichte, so ausstattungsintensiv die Bilder dazu, und zwar von einer farblichen, strahlenden Intensität, dass man es schmecken, riechen und greifen kann. Frankenstein ist ein waschechter del Toro, getunkt in seine Farbpalette aus schwerem Rot, Aquamarin und giftigen Grüntönen. In diesem Bildersturm gelingt aber vor allem genau das, was Filme, die auf Schauwerte setzen, gerne hinter sich lassen: Die Tiefe der Figuren, die Metaebenen der Geschichte. Oscar Isaac kehrt Victor Frankensteins Innerstes nach außen, Jacob Elordi lässt das scheinbar gottlose Wesen als Konsequenz von Diskriminierung und Ablehnung in Rage geraten – als hätte es die Macht, sein eigener Gott zu sein. Frankenstein beginnt und endet im ewigen Eis, in einem Niemandsland ohne Zivilisation. Der richtige Ort, um über das Menschsein zu sinnieren. Dann passiert es, und im Licht der Polarsonne wird das Phantastische zum Welttheater.

Frankenstein (2025)

Predator: Badlands (2025)

AM LAGERFEUER MIT DEM KOPFJÄGER

6/10


© 2025 20th Century Fox / Disney


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: DAN TRACHTENBERG

DREHBUCH: PATRICK AISON

KAMERA: JEFF CUTTER

CAST: DIMITRIUS SCHUSTER-KOLOAMATANGI, ELLE FANNING, REUBEN DE JONG, MIKE HOMIK, ROHINAL NARAYAN, CAMERON BROWN, ALISON WRIGHT, THE DUFFER BROTHERS U. A.

LÄNGE: 1 STD 47 MIN


Disney spürt man überall. Am stärksten bei Themen, die nicht dafür gemacht sind, den Kindern vor dem Schlafengehen als Betthupferl zu dienen. Disney will aber, das sich im Grunde alles, worüber es das Sagen hat, ein bisschen nach Betthupferl anfühlt. Predator: Badlands, jüngste Erweiterung des Franchise, das diesmal auch hochoffiziell mit dem Alien-Universum kokettiert, ist so, als würde man den beinhart agierenden Arnold Schwarzenegger in seiner Rolle als T1000 aus James Camerons Klassiker nunmehr als Kindergarten Cop einsetzen. Zumindest als unfreiwillige, pädagogisch dann doch wertvolle Aufsicht über jenen Dreikäsehoch, der als Sprössling von Sarah Connor im Endeffekt zu Nannys Nemesis werden könnte.

Der moralische Kompass eines Aliens

Tut mir leid, Predator. Wenigstens darfst du aber diesmal zum Lokalaugenschein einladen, zum Wohngespräch mit deinem Publikum, denn zum allerersten Mal seit 1987 gewährt das wirklich nicht schönste Alien des Universums einen Einblick ins Privatleben einer Yautja-Familie, die auf Yautja Prime ihre wenig zimperlichen Rituale zugunsten der Tradition genüsslich praktizieren, ohne sie zu hinterfragen. Was wir wissen: Der Yautja ist, wie der Titel schon sagt, ein Jäger, ein Trophäensammler, ein gnadenloser Bursche (es gibt, so wie ich das sehe, nur männliche Exemplare – oder gar kein Geschlecht?) mit einem moralischen Kompass ohne Pole, der wirr um sich schlägt und für Erdlinge wohl kaum verstanden werden kann. Schließlich spielten bislang Faktoren wie Achtsamkeit, Respekt vor allem Lebenden und sowas wie Humanismus überhaupt keine Rolle. Disney will aber das Gute, das wissen wir. Das moralisch Integre, Aufgeräumte, Ehrbare. Auch der Predator soll und muss ehrbar werden. Am leichtesten lässt sich das bewerkstelligen, wenn dieses Exemplar in Predator: Badlands zum Opfer seiner eigenen Familienphilosophie wird.

Ökotrip für Hartgesottene

Als schwächstes Glied der Kette wird Dek zwar von seinem älteren Bruder beschützt, doch der mächtige Patriarch hat dann doch noch das letzte Wort. Und während sich in geradezu unvorstellbarer Selbstlosigkeit der Bruder unters Messer des Vaters wirft, gelingt dem jüngeren Taugenichts die Flucht per Raumschiff auf einen lebensfeindlichen Nachbarplaneten, dessen toxische und gefährliche Fauna und Flora jedes noch so erdenkliche Habitat auf unserem Planeten zum unkrautfreien Schrebergarten erklärt. Genna heisst jener Ort, an welchem nur nachhaltige Ökotouristen mit Hang zum Suizid ihre Reise buchen. Eines der mächtigsten und unmöglich zu tötenden Kreaturen sollen hier lauern, der sogenannte Kalisk, ein Muskelpaket von Monster, stark wie King Kong, unverwüstlich wie eine Kakerlake, weil gesegnet mit einem genetischen Reperaturmechanismus, der Wunden in Windeseile wieder schließt. Dek will es aber dennoch wissen – und schaffen, was niemand zuvor geschafft hat. Bevor es aber überhaupt so weit kommt, gibt sich der Rest des Planeten ausgeschlafen genug, um sich dieser landfremden Kreatur mit ganzer Bandbreite in den Weg zu stellen.

Als gäbe es ihn wirklich

Alle, die ans Creature Design ihr Herz verloren haben, dürfen sich Predator: Badlands nicht entgehen lassen. Ich sage es an dieser Stelle ganz offen: Mein Traumjob wäre es nach wie vor, in die Fußstapfen eines Phil Tippet, Dennis Muren oder Stan Winston zu treten, doch hierzulande in Österreich kann man mit dem Erschaffen von Kreaturen aller Art herzlich wenig erreichen. Es muss dann wohl genügen, einfach zuzusehen, was andere entworfen haben – und zugegeben, man kann sich selbst hier, in Trachtenbergs Bestiarium ferner Planeten, kaum an all dieser kuriosen Biomasse sattsehen, obwohl die Viecher minütlich über die Leinwand regnen. Dabei steht der Yautja in all seiner monströsen Beschaffenheit im Zentrum der Aufmerksamkeit, und tatsächlich: Es ist, als gäbe es dieses Wesen wirklich, so realitätsnah simulieren die Könner ihres Fachs eine extraterrestrische Physiognomie, die nicht mal vor Nahaufnahmen Halt macht. Allein dafür ist Predator: Badlands ein Genuss – und kommt man damit klar, dass es nur das ist, was wirklich staunen lässt, hat man schon gewonnen.

Schließlich ist der erzählerische Rest des Ganzen einfach nur Disney. Weiß man von der Tonalität der jüngsten Serie Alien: Earth, wird selbst der von Elle Fanning dargebotene Android zu einer Quasselstrippe, die sich nach König der Löwen anfühlt. Später noch gesellt sich ein glupschäugiges Wesen hinzu, das von vorne bis hinten einfach nicht zum Stil des Predators passt, auch nicht in diese Welt und überhaupt schon gar nicht in dieses düstere Trope. Von düster will man aber nur noch wenig wissen, all das Herzige ist so geschmeidig wie eine Wimper im Auge, das stößt und sperrt sich und fühlt sich nicht richtig an. Letztendlich aber behalte zumindest ich den waldschratigen hässlichen Haudegen im Kopf, wie er seine Moral vor sich herträgt und die Gelegenheit aufgreift, sein schlechtes Image durch einen neuen Blickwinkel auf sich selbst schönzuargumentieren.

P.S. – diesmal in eigener Sache: Interessieren und gefallen dir Artikel wie diese? Dann abonniere doch einfach völlig kostenfrei diesen Blog und bekomme mehrmals die Woche die neuesten Reviews in dein E-Mail-Postfach.

Predator: Badlands (2025)

Stiller (2025)

WIE MAN JEMAND NICHT IST

4/10


© 2025 Constantin Film


LAND / JAHR: SCHWEIZ, DEUTSCHLAND 2025

REGIE: STEFAN HAUPT

DREHBUCH: STEFAN HAUPT, ALEXANDER BURESCH, NACH DEM ROMAN VON MAX FRISCH

KAMERA: MICHAEL HAMMON

CAST: ALBRECHT SCHUCH, PAULA BEER, MARIE LEUENBERGER, SVEN SCHELKER, MAX SIMONISCHEK, STEFAN KURT, SABATA SAFET, MARTIN VISCHER, GABRIEL RAAB, MARIUS AHRENDT, INGO OSPELT U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN



„Ich bin nicht Stiller!“, versucht sich mehr schlecht als recht der diesem Stiller so frappant ähnlich sehende mittelalte Mann aus der Affäre zu ziehen. Das Problem dabei: Man glaubt ihm nicht. Wie, so Albrecht Schuch in zwar nicht verzweifeltem Tonfall, aber schulbühnenartiger Inbrunst, könne man denn beweisen, dass man jemand nicht ist? Heutzutage alles kein Problem, liegen die notwendigen Papiere griffbereit. Im Zeitalter des Internets und einer sozialen Lebensweise, wo dich zumindest immer eine Handvoll Leute kennt, sind Identitäten meistens bewiesen. Auch der hauseigene Zahnarzt kann da weiterhelfen, liegt man mal irgendwann als verkohlter Überrest unter den abgebrannten Trümmern einer Wohnung. Bei diesem hier aber, bei Max Frischs völlig unidentifizierbarer Figur, scheinen die Parameter eines gesellschaftlichen Wesens, wie der Mensch nun mal eines ist, nicht zu ziehen.

Identifikation ist nicht alles

Jene, die Stiller vor zehn Jahren das letzte Mal gesehen haben, denen könnte der Lauf der Zeit durchaus auch einen Streich spielen, das Erinnerungsvermögen ein bisschen hinterherhinken. Wie sehr kann sich eine Person in so vielen Jahren schon verändern, es sei denn, er hat sich unters Messer legen lassen? Der Unbekannte und doch Bekannte hat das scheinbar nicht – in den 50er Jahren, in denen Stiller spielt, sind Methoden wie diese zur Unkenntlichmachung des eigenen Ichs wohl noch nicht so in Mode. Also macht der gute Mann wohl keinen auf Udo Proksch, sondern lässt sich während einer Zugfahrt durch die Schweiz erwischen. Man fragt sich, weswegen? Womöglich war Stiller in einem politischen Attentat verwickelt, das nur nebenbei angerissen wird, und da ihn ein mitfahrender Gast als jenen Mann, der er angeblich nicht ist, identifiziert hat, wird dieser in polizeiliches Gewahrsam genommen. Zur Identifizierung muss Tänzerin Julika aus Paris antanzen, sie muss es ja schließlich wissen, war sie doch mit Anatol Stiller verheiratet. Natürlich weigert sich dieser, seine Ehefrau zu erkennen, und während das Gänseblümchen gerupft wird – ist er es, ist er es nicht – erfahren wir, wie es denn überhaupt dazu kommen hatte können, dass man James Larkin White  verhaftet hat.

Ein Buch sperrt sich der Verfilmung

Max Frisch ist stets eine gute Bank für vielschichtige Dramen, moralische Metaphern und gesellschaftskritische Gedankenspiele. Die Sache mit der Notlage eines jeden, unentwegt Rollen spielen zu müssen, die man von anderen zugeteilt bekommt, ohne sich selbst oder jemand anderes sein zu können, kumuliert in Frischs Roman Stiller zu einer Identitätskrise bar excellence, zu einem sachlich-klaren, reduktionistischem Psychospiel über den Versuch eines Neuanfangs, der letztlich scheitert, weil die Fesseln der Vergangenheit nicht abgeschüttelt werden können. Als prachtvoller Plot in literarischer Form mag Stiller den Status als moderner Klassiker verdienen, als filmische Interpretation wird wohl nichts davon in die Filmgeschichte eingehen. Der Schweizer Stefan Haupt, der unter anderem dem Reformator Zwingli eine Biografie geschenkt hat, verlässt sich zu sehr auf die Wirkung eines Titels, der jeder auch nur halbwegs versierten Leseratte geläufig sein muss. Dahinter erkämpft sich ein relativ starrer Albrecht Schuch sein Recht auf freie Identitätswahl, während eine noch eindimensionalere Paula Beer, die nicht nur in Filmen von Christian Petzold mitspielt, ihrem Charakter keinerlei Profil verleiht. Stiller hin, Stiller her – im Schatten einer möglichen Verleugnung ist auch die Hintergrundgeschichte selbst, Stillers künstlerisches Schaffen und seine Beziehungen, mitunter auch eine Liaison mit Marie Leuenberger (Mother’s Baby), die wenig empfundene fiktive Biografie eines verschlossenen Mannes, den man nicht unbedingt kennen muss und dessen Versäumnis, ihn kennenzulernen, auch nicht bedauert.

Der Mann mit den zwei Gesichtern

Dem Psychodrama fehlt es an Psychologie, dem Justizdrama an packenden Indizien, die Literaturverfilmung hingegen leidet dabei an zu viel Routine. Einzig wirklich interessant, irgendwie verblüffend und auch richtig geglückt ist die subversive Idee, Stillers Figur zu Beginn des Rückblicks mit zwei Schauspielern zu besetzen. Will heißen: Nicht nur Schuch spielt Stiller, sondern auch der ihm ähnlich sehende Sven Schelker, und so weiß man nie genau, ob man sich nur einbildet, Stiller mit anderem Gesicht zu sehen oder auch nicht. Irgendwann, in einem unmerklichen Moment, wo man längst auf anderes konzentriert ist, übernimmt Schuch dann vollends. Dieses Spiel mit der Wahrnehmung ist Haupts bester Moment, während die übrige Umsetzung in seinem Pragmatismus reichlich schal wirkt.

Stiller (2025)