Outlaw King

BLUT UND BODEN

7/10

 

OK_05200.CR2© 2018 Netflix

 

LAND: GROSSBRITANNIEN 2018

REGIE: DAVID MACKENZIE

CAST: CHRIS PINE, FLORENCE PUGH, AARON TAYLOR-JOHNSON, STEPHEN DILLANE U. A.

 

William Wallace hat gesiegt. Zumindest posthum, 690 Jahre nach seiner Hinrichtung. Und wiederauferstanden in der virtuellen Welt des Kinos, in der Gestalt eines jungen Mel Gibson, mit teils blau bemaltem Gesicht und zotteliger Mähne. Wütend, einnehmend und letzten Endes bestialisch ermordet. Aber dennoch: 5 Oscars für seine Geschichte, darunter Bester Film. Für die Schotten wäre die mediale Aufarbeitung seiner Taten sowieso nicht notwendig gewesen, sie verehren ihren Nationalhelden unaufgefordert bis heute. Was für uns vielleicht Prinz Eugen von Savoyen, ist für den hohen Inselnorden der Ritter aus Elderslie. Doch warum erzähle ich das? Ganz einfach – das Schicksal des William Wallace ist relativ eng verknüpft mit den Erlebnissen eines gewissen Robert Bruce oder the Bruce, Zeitgenosse der eingangs erwähnten historischen Gestalt und in den letzten zwei Dekaden seines Lebens König von Schottland. Natürlich nicht von heute auf morgen, da ist viel Blut sämtliche Flussläufe Kaledoniens hinabgeflossen, unzählige Gräueltaten vollbracht und Menschen verschleppt worden. Das Mittelalter, das brauche ich niemandem erzählen, war trotz aller wildromantischer Verklärungen in Sagen, Legenden und Fantasy eine fürchterlich brutale Epoche bar jeglicher Menschenrechte. Könige wie Eduard der I., der damals das britische Inselreich mit eherner Faust regierte und nach langem Kampf die Anführer des mühsam niedergerungenen Schottlands zu Kreuze kriechen ließ, waren Ungeheuer der Macht, die mit nichts ihre gottgleiche Gier gezügelt sehen wollten. Unter diesen gebeugten Häuptern war eben auch Robert Bruce, der nach der Einnahme Schottlands nun unter Englands Fuchtel genötigte Disziplin an den Tag legen musste. Ihm zur Zwangsheirat verpflichtet: Elizabeth de Burgh, die Tochter eines Vertrauten des englischen Königs. Schwer, jetzt nochmal aufzubegehren. Aber genauso schwer, das rücksichtslose Rekrutieren der Engländer auf Dauer zu dulden. Die Hinrichtung des Landsmannes Wallace – um hier nun die Brücke zu schlagen – auf dreierlei Grausamkeit, nämlich Hängen, Ausweiden und Vierteilen (die übliche Vorgangsweise bei Verrätern der Krone) und der anschließende Trophäenaushang direkt vor der Nase von Robert brachte das Fass dann allerdings zum Überlaufen.

Was folgt, ist eine entbehrungsreiche Hasenjagd quer übers Hochland und durch die spärlichen Wälder, die es damals noch gab. Ein Mobilisieren des Widerstands, ein Verraten, Verbrüdern und Opfern. Und mit jeder Menge Blut, das den Boden tränkt. David Mackenzie, der bereits schon für seinen Neo-Western Hell or High Water mit „Captain Kirk“ Chris Pine zusammengearbeitet hat, macht nun für das Patschenkinoportal Netflix seinen Star erneut zum Asozialen – diesmal aber mit Kettenhemd, Helm und Schwert, das in abendfüllender Vehemenz nicht zur Ruhe kommen wird. Wer mit dem Faustrecht des Stärkeren in Michael Hirst´s Vikings, bereits in der 5. Staffel angekommen, nach wie vor mitfiebert und auch während den grandios inszenierten Schlachten von Game of Thrones nicht die Hand vor Augen hält, wird in Outlaw King zielgruppengenau unterhalten werden. Mackenzie´s in schottischer Weite schwelgendes, prächtig ausgestattetes Epos aus dem frühen 14. Jahrhundert ist bei Weitem kein gefälliges mittelalterliches Treiben zwischen Minne und intriganten Machenschaften. Outlaw King ist ein Politthriller basierend auf historischen Fakten. Es geht um Rebellen, Unterdrückung und Selbstbestimmung. Das alles in geradezu nüchterner Betrachtung. Zurückhaltend, aber nicht emotionslos. Packend, aber weit entfernt von schwermütigem Kitsch. Pine ist als Robert Bruce ein stiller, fast schon stoischer Denker, ein Pragmatiker unter dem Herrn, der seine Wut zu zügeln weiß – und womöglich deshalb anführen kann. Gut möglich, dass dieser spätere Robert I. tatsächlich so war, ein Grund mehr, Outlaw King als gut recherchiert zu betrachten. So wie die explizite Gewalt, die teilweise über den Bildschirm wütet, sich bis auf einige drastischen Schockmomente aber der spannenden Geschichte zuliebe zügelt. Meist geht das Schlachten in seinen Details im Chaos waffenklirrender Handgemenge unter – ähnlich wie in Mel Gibson´s eingangs erwähntem Meisterwerk, und ähnlich brillant choreographiert.

Outlaw King ist martialisches Mittelalterkino, windumtost, schlammig und karg. Und eigentlich fast als Spinoff-Fortsetzung von Braveheart zu betrachten, da beide Filme chronologisch überlappen. In Anbetracht der Fülle historischer Aufarbeitung, was die Brexit-Insel betrifft, würde ich mir endlich mal ähnliches Eventkino aus dem Herzen Europas wünschen. Andreas Prohaska ist mit seinem Dreiteiler über Maximilian diesem meinem Verlangen schon einige geharnischte Schritte entgegengekommen – aber was ist mit König Ottokar? Oder Rudolf I.? Da gibt es noch jede Menge Stoff. Da muss man gar nicht auf fiktive Welten ausweichen. Für Liebhaber kinematographischer Zeitreisen, die gerne am Boden der Tatsachen bleiben und sich sowieso gerne jenseits von Kino und TV zwischen Burgmauern herumtreiben, führt eigentlich kein Weg an Mackenzie´s biographisch-politischer, aber keinesfalls verklärender Königsgenese vorbei.

Outlaw King

Mile 22

DER FEIND MEINES FEINDES

4/10

 

mile22© 2018 Universum

 

LAND: USA 2018

REGIE: PETER BERG

CAST: MARK WAHLBERG, IKO UWAIS, LAUREN COHAN, RONDA ROUSEY, JOHN MALKOVICH U. A.

 

Der Feind meines Feindes – der ist doch bekanntlich mein Freund, oder nicht? Muss nicht sein, schon gar nicht wenn keiner dem anderen trauen kann. Aber was tun, wenn dieser Freundesfeind alles hat was du brauchst. Nämlich den Zugangscode für eine Festplatte, die brisante Details über illegal gelagertes Cäsium bewahrt und diese Info so lange nicht rausrücken will, bis besagter Überläufer in wohligem Gewahrsam der USA weilt. Das Problem bei der Sache – wir befinden uns in Mile 22 in einem Konsulat inmitten einer fiktiven südostasiatischen Stadt namens Indocarr – bitte keine Vergleiche mit realen Ballungsräumen ziehen, wobei sich Jakarta oder Kuala Lumpur als Vorbilder geradezu aufdrängen. Dieses Indocarr ist politisch betrachtet ziemlich korrupt und hinterfotzig, und diese Hinterfotzigkeit ruft natürlich paramilitärische Gruppen auf den Plan, wie jene, die von Choleriker Mark Wahlberg angeführt wird. Der Lieblingsschauspieler von Peter Berg, welcher hier auch wieder Regie führt, kennt sich ja schon seit The Departed mit Ungustln aus, und auch die Rolle des soziophoben Querkopfs, der auf dem Papier zu den „Guten“ gehört, fällt ihm sichtlich leicht. Der, mit dem er es aber zu tun bekommt, entlockt zumindest bei hartgesottenen Fans des asiatischen Actionkinos ein Jauchzen des Wiedererkennens: Bereits schon legendär als Polizist Rama in den beiden blutigen Actionslashern The Raid und The Raid 2, darf Choreograph Iko Uwais zumindest mal anfangs so tun, als brauche er ganz dringend politisches Asyl. Auf ihn aber haben es alle Bluthunde der Welt scheinbar abgesehen, darunter auch die Russen. Außer Landes bekommt man den ausgebildeten Selbstverteidiger aber nur mit dem Flieger – und dieser liegt besagte 22 Meilen vom Konsulat entfernt.

Der Survival-Trip durch den Großstadtsdschungel ist also Kernstück dieses filmischen Kugelhagels, in dem Menschen sterben wie die Fliegen. Dabei scheint es aber aus meiner Sicht mit der Grundidee für Action wie diese gehörig zu hapern. Wir haben die Botschaft der Vereinigten Staaten auf der einen Seite, und den Flugplatz mit einem Flugzeug, das maximal zehn Minuten auf dem Boden bleiben kann, auf der anderen – das Zeitfenster ist also eng. Dass es wirklich keine andere Möglichkeit gibt als nur mit dem Auto von A nach B zu kommen, kann mir keiner weismachen. Dieses wie so oft betonte Sonderkommando, dessen Profis angeblich wie Geister fungieren, lässt das Parapsychologische aber ziemlich außen vor. Bei so viel Getöse, mit dem diese Superkämpfer, mehr Pfuscher als Professionisten, hier aufmarschieren, weiß die ganze Hemisphäre, dass hier heisse Fracht unterwegs ist. Ein Helikopter wäre ein Stichwort, dass man ins Brainstorming hätte werfen können. Innerhalb von wenigen Minuten wäre der Most Wanted Man in Sicherheit. Taktisch klug wäre auch die Alternative, falsche Fährten zu legen. Und warum wartet Oberboss Malkovich (ähnlich blass, nichtssagend und verheizt wie Gary Oldman in Hunter Killer) ewig auf die Freigabe für den Einsatz der Drohne, die das ganze Unterfangen wie Big Brother aus der Luft beobachtet und jederzeit eingreifen könnte? Der Plot stimmt also hinten und vorne nicht. Möglich aber, sich damit anzufreunden – aber auch dann bleibt ausser viel Getöse nicht viel übrig.

Gut vorstellbar, dass sich Peter Berg mit Raid-Macher Gareth Evans auf einen Kaffee getroffen hat. Der hat ihm dann Iko Uwais empfohlen, damit dieser einen Film produzieren kann, der ungefähr so aussieht wie seine eigene martialische Hochhaus-Invasion aus dem Jahr 2011. Und das tut Mile 22 dann auch. Nämlich ganz so danach auszusehen. Mit der Eleganz eines Ego-Shooters massakriert sich das kugelsichere Häufchen Elend durch eine niemals enden wollende Horde fieser Handlanger, die endlos Munition verballern. Mit dabei eine fahrige Kamera, die von der durchdachten Choreographie des Tötens nicht viel mehr übrig lässt als hektisches Bildwedeln. Dazwischen ein Mark Wahlberg im Verhör, der sich unendlich weise vorkommt, eigentlich aber nur Phasen drischt, die von arrogantem Alpha-Gehabe dominiert wird. Mile 22 ist mehr eine Trittbrett-Hommage an das moderne Asia-Action-Kino als eigenständiges Spannungsvehikel. Was Peter Berg mit Boston so souverän getimt hat, verliert sich hier in zeitvergeudender Hudelei. Selber schuld, wenn all die starken Krieger und Kriegerinnen letztendlich zu spät kommen.

Mile 22

A Girl Walks Home Alone at Night

BLUTDURST UNTERM TSCHADOR

5/10

 

girlwalkhome© 2014 capelight pictures

 

LAND: IRAN 2014

REGIE: ANA LILY AMIRPOUR

CAST: SHEILA VAND, ARASH MARANDI, MARSHALL MANESH, DOMINIC RAINS U. A.

 

Vampirismus unterm Tschador, das ist natürlich etwas, worauf jemand erstmal kommen muss. Die Mythologie der Blutsauger ist im Grunde ein ureuropäisches Schauerthema, dass maximal seinen Weg nach Nordamerika gefunden hat – natürlich mitsamt den Einwanderern, die Dracula und all seine Konsorten mit im Schlepptau hatten – ganz so wie seinerzeit Nosferatu aka Max Schreck im Holzpyjama den Weg übers Meer antreten durfte, zum Leidwesen der Lebenden. Diesmal aber schielt die frei fabulierbare Welt der Untoten, die ihren Ursprung einem Mix aus den biographischen Abscheulichkeiten von Vlad dem Pfähler und Gräfin Bathory zu verdanken hat, nach Osten, bis weit über das Heilige Land hinaus in den Iran.

Die in den USA aufgewachsene Regisseurin Ana Lily Aminpour hat nach etlichen Kurzfilmen 2014 ihr erstes Langfilmdebüt vorgelegt – nicht wirklich eine Verbeugung vor dem Land ihrer Ahnen, viel mehr der richtige Ort, um einer Traumfantasie Bodenhaftung zu verleihen, die so sehr künstlerische Vorbilder wild gestikulierend durchzitiert und trotz allem als geschmackskreativer Genremix einen völlig neuen Stil skizziert – ganz so wie Quentin Tarantino, der aus Elementen des Eastern und des Spaghettiwesterns leidenschaftliche Potpourris großer, bizarrer Dramen auf die Leinwand gewuchtet hat. Aminpour versucht im Grunde Ähnliches – in ihrem Vampirdrama finden sich Anleihen des Italowesterns, des Halbstarkenkinos der 50er Jahre und Murnaus expressionistischen Albträumen, im Grunde des deutschen Kinos aus den 20ern. Verwoben hat sie diese Stilelemente durchaus geschickt, wobei ihre Hauptdarstellerin Ina Vand als namenlose Blutsaugerin einer Ikone des verführerischen Grauens gleich urplötzlich in scheinbar wetterlosen, nächtlichen Landschaften gleich aus dem Boden zu wachsen scheint und das eigentliche, wenn auch einzige Highlight des experimentierfreudigen Kunstfilms darstellt. Denn am Drehbuch selbst, da hätte Aminpour noch ordentlich feilen können.

Bildsprachlich gelingt der Künstlerin in A Girl Walks Home Alone at Night virtuoses Kino in seltsam verfremdeten Schwarzweiß, als wäre die fiktive Stadt Bad City hauptsächlich im Studio entstanden – was fast wieder an Ed Wood´s Vampirgrotesken erinnert, die alle eine gewisse Künstlichkeit an den Tag legen, was bei Aminpour´s Film aber nicht so unbeholfen wirkt wie beim ungekrönten König des Trash. Das Unbeholfene ist der Plot – ziemlich verworren und statisch, wobei ihre erfundenen Figuren, allesamt mal prinzipiell interessant, seltsamen Hemmungen unterworfen sind, die aus der unentfesselten Geschichte herrühren. Es gibt in A Girl Walks Home Alone at Night  nicht wirklich ein Ende, auch nur einen vagen Anfang, es ist wie die Momentaufnahme einer metaphysischen Begebenheit, die für nichts Erklärungen hat und auch nicht ins Detail geht. Die von Drogensucht, Drogenhandel und Blutdurst erzählt. Von gehorsamen Kindern und der undefinierten Sehnsucht einer gezeichneten Untoten, die unfreiwillig übermenschliche Fähigkeiten besitzt und im Grunde nur Mensch sein will. Wobei der Tschador als Sinnbild für eine Geißel steht, die eng mit dem Stigma einer Verfluchten symbolisch verbunden ist. Niemand sonst in Aminpour´s Film trägt diese formschön stilsichere Verhüllung, also kann A Girl Walk Home Alone at Night als Statement für die Rechte der Frau im Iran – und überhaupt der arabischen Welt – zu sehen sein. Das wiederum hängt ganz davon ab, ob einem diese gefällige Auslegung gerade in den Kram passt.

Wie auch immer – alles Weitere verharrt im diffusen Zwielicht sternenloser persischer Nächte und fahl beleuchteter, einsamer Straßenzüge zwischen Industrie und Armenviertel, dazwischen lakonischer Zynismus, der dann doch im Nichts verläuft und das Wohin der flüchtenden Vampirin unbeantwortet lässt. Vielleicht, weil aus sich selbst heraus gar keine Flucht möglich ist.

A Girl Walks Home Alone at Night

On the Milky Road

WENN DER MILCHMANN ZWEIMAL KLINGELT

3/10

 

milkyroad© 2017 Weltkino

 

LAND: MONTENEGRO, SERBIEN 2017

REGIE: EMIR KUSTURICA

MIT EMIR KUSTURICA, MONICA BELUCCI, SLOBODA MICALOVIC U. A.

 

Als sich der bosnische Filmemacher Emir Kusturica 1995 die goldene Palme für seine Antikriegsparabel Underground ans Revers heften konnte, so war das eine gebührende Auszeichnung. Sein bildgewaltiges Panoptikum über und unter Tage ist fraglos ein Meisterwerk, nicht weniger sein auch als Oper vertontes Epos Zeit der Zigeuner. schlägt den schrillen Folklore-Reigen sogar noch um einige Längen. Spätestens Mitte der Neunziger wusste ich – Kusturica ist ein Visionär, seine Filme haben einen völlig eigenen Stil, die Musik ist genial, allerdings besser noch live zu genießen. Mit seinem neuesten Streifen On the Milky Road hat sich der Künstler aber ein relativ mattes Eigentor verpasst. Vor allem auch, weil er diesmal nicht nur hinter, sondern auch vor der Kamera agiert. Das haut, gelinde gesagt, eigentlich wirklich nicht hin.

Dabei ist On the Milky Road nicht der erste Film, die Kusturica im Cast ganz oben anführt. Nur die anderen Filme kenne ich zum Glück nicht – ehrlich gesagt habe ich mit vorliegendem Filmmärchen schon genug um die Ohren – und damit meine ich nicht nur die obligaten Akkordeonklänge und enervierenden Trompetenstöße, die zwar die Mentalität eines Volkes ganz gut intonieren, auf die Dauer aber ziemlich aufreiben. Das würde auch nicht wirklich stören, wenn Emir Kusturica nicht so ein stoischer Schauspieler wäre. Als Milchmann zwischen den Fronten macht der in die Tage gekommene Junggeselle nicht nur Uhrturm-Tochter Milena schöne Augen, sondern verliebt sich auch in die ebenfalls ein bisschen in die Jahre gekommene, aber immer noch extrem anmutige Monica Belucci, die hier im Nirgendwo vor ihrem mordenden Liebhaber Zuflucht sucht. Das dann noch Milena´s Bruder, der aus dem Krieg zurückkehrt, „Schneewittchen“ Belucci heiraten wird und Milchmann Kusturica zwingt, Milena zu heiraten, sind nur Komplikationen in einem Bauerntheater, das mit allerhand burlesken Clownerien aufwartet, den Funken jedoch nicht überspringen lässt. Als Zuschauer mache ich es Kusturica gleich und beobachte relativ leidenschaftslos ein zumindest als leidenschaftlich geplantes Liebesdrama mit komödiantischen Spitzen, das sich sagenhaft in die Länge zieht.

Dazwischen gibt’s Symbolik mit dem Milcheimer, vor allem was holprig animierte Schlangen angeht. Die kreuzen immer wieder auf, oder ist es immer nur dieselbe? Ich denke doch, denn so viele Schlangen, die Milch trinken, gibt es nicht. Da kann man natürlich raten, was die Inkarnation der Versuchung oder das Reptil der Erkenntnis wohl zu bedeuten hat. Meiner Begrifflichkeit nach in einem relativ ungleich austarierten Verhältnis zum Film, der sich in seinen surrealen Momenten immer wieder selbst wiederholt und auf Biegen und Brechen verzaubern will. Da wäre es aber besser gewesen, den Regisseur hinter der Kamera zu lassen, denn so viel, wie er selbst an seinem Film kaputt macht, geht auf keine Schlangenhaut. Das passiert dann, wenn Künstler sich selbst für zu wichtig nehmen. Dann wollen sie überall im Mittelpunkt stehen. Dieses Wollen kommt gegen das Können nicht an – was bleibt, ist ein substanzlos simples Provinzmärchen zwischen Krieg und Frieden, aufreibend hölzern und so stockend wie Milch nach einem Gewitter.

On the Milky Road

Das Gesetz der Familie

TUN, WAS PAPA SAGT

4/10

 

gesetzderfamilie© 2017 Koch Media

 

LAND: GROSSBRITANNIEN 2016

REGIE: ADAM SMITH

MIT MICHAEL FASSBENDER, BRENDAN GLEESON, RORY KINNEAR, KILLIAN SCOTT U. A.

 

Die Redewendung „Im Kreise der Familie“ bekommt im vorliegenden britischen Bandenthriller eine gänzlich unbequeme Bedeutung. Wenn Michael Fassbinder als Stammhalter morgens erwacht und ins Freie tritt, blickt er auf eine Ansammlung kreisförmig geparkter Wohnwägen, deren Insassen irgendwo in der Grafschaft Gloucestershire mehr illegal als legal und ziemlich versteckt kampieren, um den Steuern zu entgehen und Pläne für den nächsten Coup zu schmieden. Denn Michael Fassbender ist Verbrecher. Von Berufs wegen Einbrecher und Dieb, Fluchtwagenfahrer und gleichzeitig aber auch Vater von zwei Kindern. Dass er ihnen das antut, ist keine Frage des Wollens. Sondern eine Frage der Hörigkeit – dem alles überragenden Patriarchen gegenüber. Eine Pflichtschuldigkeit, die niemand in Frage stellt. Wie denn auch? Bei Infragestellen familiärer Pflichten ist Gewalt nicht selten die Antwort.

Das klingt ja nach einem wuchtigen Thrillerdrama – so dachte ich mir, nach Sichtung der Synopsis und der Gewissheit, dass ein Cast wie Fassbender und der großartige Brendan Gleeson eine Sternstunde des Retail-Kinos gewähren. Zugegeben, da habe ich so ziemlich aufs falsche Pferd gesetzt. Das Gesetz der Familie hat zwar Potenzial für etwas ganz Großes im Stile von Sydney Lumet´s Tödliche Entscheidung, nutzt es aber so gut wie gar nicht. Gleeson als glattrasierter Soziopath und Apostel einer radikalen, wissenschaftsfeindlichen Weltanschauung donnert durch sein heruntergekommenes Refugium, wohlwissend, welchen Einfluss er auf alles hat und wem er wann die Hölle heiß machen kann. Wie ein verblendeter Narr, der König sein will. Und zu wissen glaubt, dass die Erde eine Scheibe ist. Die Rolle des Iren wäre ja schon polternd genug, ausreichend Angriffsfläche für den unbeugsamen Sohn, der nicht mehr will und nicht mehr kann. Aber der schweigt, aus Angst vor einem eigentlich lächerlichen Über-Ich.

Der Befreiungsschlag in ein besseres Leben atmet nur mit halber Luft. Konfrontationen verlaufen im Sand des mobilen Dorfes der Unbeugsamen, es fehlt der Wille zur Zuspitzung, das Volumen für dramaturgische Dichte. Der Film wirkt vor allem mit Gleeson zwar gut besetzt, sonst aber drehbuchtechnisch hingehudelt, ohne in reifer Überlegung den Konflikt zu einem konsequenten Ende zu bringen. Das Ende, das kommt dann willkürlich, ist noch nicht fertig, wie der ganze Thriller. Wirkt schaumgebremst und schüchtern angesichts der Möglichkeiten, die da genutzt hätten werden können. Als A-Sozialportrait über einen ausgerufenen Mikro-Verbrecherstaat ist Das Gesetz der Familie zu wenig ausführlich, als Familiendrama zu kompromissbereit, um wirklich anzuecken oder zu faszinieren.

Das Gesetz der Familie

Underdog

APOKALYPSE WAU

7/10

 

weissergott2© 2014 Delphi Filmverleih

 

LAND: UNGARN 2014

REGIE: KORNÉL MANDRUCZÓ

MIT ZSÓFIA PSOTTA, ZSÁNDOR ZSÓTÉR, KORNÉL MANDRUCZÓ, LILI HORVÁTH, LILI MONORI U. A.

 

Eben erst haben die diversesten Hunderassen in Wes Anderson´s utopischem Puppen-Mandala Isle of Dogs – Ataris Reise den Aufstand geprobt. Dabei gab es vor einigen Jahren bereits einen anderen, thematisch ähnlichen Film, der das Wesen des Hundes und seine Beziehung zu den Menschen auf eine gesellschaftspolitische Ebene hob. 2014 entstand im filmisch eher kleinlaut tönenden Land Ungarn die allegorische Parabel Fehér Isten, was soviel heißt wie Weißer Gott und hierzulande, also im deutschsprachigen Raum, mit Underdog betitelt wurde. Sowohl die eine als auch die andere Bezeichnung des Filmes ist passend, Weißer Gott trifft es aber eher, und war auch die ursprüngliche Wahl von Regisseur Kornél Mandruczó, dessen neuester Streifen Jupiter´s Moon in den österreichischen Kinos auf ungerechtfertigt wenig Aufmerksamkeit stieß.

Weißer Gott beginnt mit einem postapokalyptischen Szenario – wir sehen ein menschenleeres Budapest, verlassene Autos, deren Blinker immer noch an sind. Plötzlich ein Mädchen auf dem Fahrrad. Wäre das verlassene Auto nicht, könnte die Radlerin auch an einem Sonntag sehr früh aufgestanden sein – doch Sekunden später wissen wir, dass dem nicht so ist. Das Mädchen wird verfolgt von einer nicht enden wollenden Meute wilder Hunde. Die Aggressoren haben aber auch wirklich jeden Grund dazu, wütend zu sein. Im Zentrum steht die Promenadenmischung Hagen, die vom Vater der pupertären Lili erstmal nur gebilligt, dann missbilligt und folglich am Rande von Budapest ausgesetzt wird. Auf der verzweifelten Suche nach Nahrung kommt der Shar Pei-Retriever-Mischling tatsächlich in Teufels Küche, wo er Hackebeilen ausweichen muss. Wie ein vierbeiniger Oliver Twist wird der Hund fortan von einem Peiniger zum Nächsten gereicht, vom Sklaventreiber zum Hundekampftrainer. Zwischendurch müssen er und seine Leidensgenossen vor den Hundefängern flüchten, die wenig zimperlich ihre Arbeit erledigen wollen. Der Mensch, so erfährt Hagen, ist ein sadistisches, knechtendes Scheusal. Machgierig, eigennützig, erbarmungslos. Viel braucht es nicht mehr, und die ausgestoßenen, weil gemischtrassigen Vierbeiner tun sich zusammen – um dem „Weißen Gott“ zu zeigen, dass der Spieß sehr schnell umgedreht werden kann.

Immer noch ist der Hund ein Raubtier. Ein domestiziertes zwar, aber im Grunde seines Wesens ein archaisches Kraftpaket, schnell und wendig und mit einem Gespür für jene Angst, die von ihren Herren ausgeht. Mundruczó distanziert sich bewusst von den anthropomorphisierten Darstellungen von Hunden, die vor allem in Hollywood und insbesondere bei Disney gang und gäbe sind. Seine tierischen Stars können weder sprechen noch tun sie Dinge, die Menschen ihnen gerne andichten. Das einzige was sie tun, ist, sich zusammenrotten und gezielten Terror verbreiten. Spätestens hier wird Weißer Gott zur mysteriösen Chronik eines Ausnahmezustandes, der so unmöglich tatsächlich passieren kann und der endzeitliche Tendenzen aufweist, diese aber nicht wirklich bis zu letzten Konsequenz auslebt. Die Eroberung Budapests bleibt aus, die Zuspitzung ins Bizarre wäre womöglich misslungen, als mögliches, weil vielleicht gar nicht gewolltes Pamphlet gegen die Ideale einer Victor Orban-Regierung funktioniert Weißer Gott aber auch so, wenn auch entschärft. Obwohl in Anbetracht der Wiederwahl eines Rechtspopulisten eine nachhaltig tierische Pedigree-Revolution wohl noch mehr befreiender Zündstoff gewesen wäre.

Weißer Gott ist eine stringente Parabel auf Rassismus, Unterdrückung und Ignoranz. Nimmt sich viel Zeit, um zu beobachten und lässt sich nicht drängen, die Initiative ergreifen zu lassen, trotz all der animalischen Wut, die den Zuschauer befällt. Dass angesichts all dieser teils heftigen Tierszenen wirklich keine Hunde zu Schaden gekommen sind, wie nach jedem Film pflichtgemäß im Abspann deklariert wird, ist kaum zu glauben. Gut, mit Hunden lässt sich so manches Kunststück bewerkstelligen. Hunde sind angefangen von Benji bis zu Lassie die wohl dankbarsten tierischen Darsteller – weil sie sich perfekt abrichten lassen, weil sie lernen und gehorsam sind. Doch Vorsicht an alle Hundeliebhaber und all jene, die gerne Hundefilme wie Beethoven, Marley & ich, Scott & Huutch oder Pets in ihrer DVDthek wissen – Weißer Gott ist was ganz anderes und wird so manches Frauchen oder Herrchen mit Sicherheit verstören. Ihrem „besten Freund des Menschen“ als indikativer Spiegel der Gesellschaft aber wären sie womöglich dankbarer als zuvor.

Underdog

Dunkirk

BESTELLT UND NICHT ABGEHOLT

9/10

 

dunkirk

REGIE: CHRISTOPHER NOLAN
MIT HARRY STYLES, TOM HARDY, CILLIAN MURPHY, MARK RYLANCE, KENNETH BRANAGH

 

Ein scheinbar endloser Sandstrand bei Ebbe, stahlgraues, wütendes Meer, im Hintergrund die Rauchsäulen brennender Schiffe vor schweren Wolken. Auf dem Sand schwarze Silhouetten, zu Gruppen sortiert. Junge Männer, die auf etwas warten. Das ist der Moment in Christopher Nolan´s Weltkriegsdrama, an dem es kein Zurück mehr gibt. Weder für die britischen Soldaten, noch für mich als Zuseher. Diese Momentaufnahme des zeitlosen Bangens raubt jeden Funken Hoffnung. Beklommenheit kriecht wie die zurückkehrende Flut über das Wattenmeer. Es ist der Moment, in welchem Dunkirk seine ganze Wirkungskraft von der Leine lässt. Und mich mit aufs Boot nimmt.

Es gibt Kriegsfilme, bei denen abzusehen ist, was kommen wird. Mel Gibsons´s Hacksaw Ridge zum Beispiel ist ein gelungener, wenn auch gänzlich anders inszenierter Kriegsfilm, der aber so und nicht anders zu erwarten war. Ähnlich bei Fury – Herz aus Stahl, auch kein schlechter Film. Aber Kriegsfilme eben, die das Grauen dokumentieren müssen, vor allem den physischen Schmerz. Und es gibt Dunkirk. Ich hätte mir alles dazu erwartet – nur nicht das, was aus dem Stoff schlussendlich geworden ist. Wobei ich anfangs enttäuscht war. Unzugänglich, manieriert, allzu abgehoben. Vor allem verworren. Was sollte das mit den Zeitebenen? Die Mole – eine Woche, die Luft – einen Tag und die See – eine Stunde? Die Diskontinuität von Tageslicht und Wolken hat mich von den eigentlichen Geschehnissen mehr abgelenkt als ich abgelenkt werden wollte. Nolan, so dachte ich mir, hat sich diesmal wohl gründlich verspekuliert. Und dann das Erwachen. Verloren am Strand, schwarze Schlangen zum Meer hin. So, als würden all diese verlorenen Seelen ins Wasser wollen. Irgendwie hat es dann Klick gemacht. Und aus dem konfusen Trauerspiel wird ein fesselndes Drama in drei Akten, die nicht chronologisch, sondern gleichzeitig erzählt werden. Ineinander geschichtet, wie ein Satz neu gemischter Spielkarten. Erst sehr viel später eröffnet sich die Macht des Filmes, und nimmt auch rückwirkend die Ouvertüre mit. Dunkirk ordnet sich neu. Da ist plötzlich Hoffnung, wo keine war. Da ist Bewegung, wo zeitloser Stillstand die Geduld strapaziert hat. Nolan schafft es tatsächlich, einen Kriegsfilm zu inszenieren, den man so in keinster Weise erwartet hätte. Die Genialität des Streifens liegt darin, jenseits allen CGI- und 3D-Firlefanz die Gefühle der Protagonisten aufs Publikum zu übertragen. Es ist eine neue Art des cineastischen Expressionismus, erinnernd an einen ganz speziellen russischen Stil, zu dem sich seinerzeit Tarkovskij besonnen hat. Eine, die neben Denis Villeneuve augenscheinlich nur Nolan beherrscht. Indem er weitestgehend auf Blut und plakatives Grauen verzichtet, setzt er auf kühl arrangierte, stahlgraue Installationen, die den Kulissen eines modernen Theaters ähnlich sind. Meist ist da nichts, nur irgendwo eine Schiffsschraube, ein Boot. Das endlose Meer, und in der Mitte eine Reihe olivgrüner Helme, die sich wie die Tatstatur einer Schreibmaschine vor unsichtbarer Gefahr duckt.

Den Feind – man sieht ihn nicht. Hört ihn nicht reden. Der Feind – er ist abstrakt, stellvertretend für das Böse, für eine nicht zu ortende Gefahr. Keine Nazi-Schergen, keine Deutschen, die sich der Gerechtigkeit wegen Gehör verschaffen müssen. In Dunkirk ist der Feind gesichtslos, abstrakt. Wie bei Franz Kafka der Herr des Schlosses. Ja, Dunkirk hat was von Kafka. Absurd und verstörend dort, wo das Grauen aus der Distanz betrachtet wird. Wo Worte nichts verloren haben, spricht auch niemand. Wo Bilder für sich sprechen, reduziert Nolan alles Beiwerk auf einen minimalen Nenner. Doch sein Arrangement der drei Zeitebenen ist nicht weniger meisterhaft. Sind zu Beginn alle drei Akte noch weit voneinander entfernt, treffen sie sich in der Mitte zu einem atemlosen Stakkato, wo Vieles gleichzeitig passiert, um gegen Ende hin wieder auseinander zu gehen und Luft zu holen. Dunkirk, ein filmischer Doppler-Effekt. Diese Idee ist nicht minder ungewöhnlich wie Tarantino´s Episodenkarussel Pulp Fiction. Nach Interstellar lässt Nolan ein neues Werk des Staunens von der Filmspule. Wenn, dann könnte man Dunkirk ansatzweise mit Der schmale Grat vergleichen. Doch dort, wo Terrence Malick poetische Abhandlungen des Seins als Stimme aus dem Off tönen lässt, beharrt die Chronik des Wunders von Dünkirchen in epischem Schweigen, unterstrichen von getragenen, sphärischen Klängen, die manchmal etwas zu laut und zu viel, aber meist den Moment in seiner dramatischen Intensität be- und ergreifen. Dazwischen das Ticken der Zeit.

Dunkirk ist unerwartet, aufwühlend, und unberechenbar, trotz bekannter Tatsachen, die Geschichte geschrieben haben. Ein irritierendes Kriegsdrama, das Sehgewohnheiten durchbricht und das Erzählen neu erfindet. Schon jetzt die wohl beste Regiearbeit dieses Jahres.

Dunkirk

Pathfinder – Fährte des Kriegers

KARL UND DIE STARKEN MÄNNER

* * * * * * * * * *

pathfinder

Einige hundert Jahre nach dem Zerfall und Untergang des Römischen Imperiums, und nachdem das Reich der Franken die Vorherrschaft über Westeuropa übernommen hat, erstarkte eine ganz andere drohende Gefahr aus dem kalten Europa – die Nordmänner. Oder Wikinger, je nachdem wie man sie nennen möchte (nur selbst haben sie sich nie so genannt). Und ja, sie waren böse, furchtlos, blutrünstig und überhaupt sowas von gar nicht menschlich. Diese Normannen haben schon die Küsten rund um das kleine, uns wohlbekannte gallische Dorf heimgesucht, um herauszufinden, was wirklich Angst bedeutet. Keiner hat das Klischee der marodierenden wilden Horde so herrlich durch den Kakao gezogen wie René Coscinny. Wobei das Klischee tatsächlich seinen wahren Kern hat – die Wikinger haben wirklich und wahrhaftig kaum einen Stein auf dem anderen gelassen. Und ja, sie drangen sogar bis an die Ostküste Nordamerikas vor.

Diese Tatsache hat Marcus Nispel, Regisseur der kolossal misslungenen Neuauflage von Conan, wohl sehr beschäftigt. Nur – seine eigenen Überlegungen dazu musste er hintenanstellen. Die freie Interpretation eines norwegischen Filmes gleichen Namens aus dem Jahr 1987 folgt ausgetretenen Pfaden. Die Normannen unter Nispel´s archaisch bebilderten Regie sind plakative, finstere Geschöpfe der Unterwelt. Finsterer und verzerrter lässt sich ein Volk wohl kaum darstellen. Da sind die Orks aus Tolkiens Mittelerde ja geradezu friedliebende Gesellen. Obwohl – wie Orks kommen die gehörnten Bartträger tatsächlich daher. Und zu Beginn des Filmes weiß man erst nicht, ob man es mit invasorischen menschlichen Seefahrern oder phantastischen Kreaturen zu tun hat. Phantastisch deswegen, weil das Kostümdesign von Pathfinder wohl das Beeindruckendste ist, was der Streifen zu bieten hat, vorausgesetzt, man erhascht einen Lichtblick in diesem finsteren, regen- und nebelverhangenen Gemetzel aus grobkörnigen, dunklen Bildern und wuchtigen, axt- und schwertschwingenden, mit Fellmäntel behangenen Riesenbabys. Die gehörnten Helme, schartigen Schutzvisiere und sonstigen Rüstungsteile könnten aus der Designwerkstatt Peter Jacksons entliehen worden sein. Inmitten dieser Muskel- und Schlachtenschau gibt „Pille“ Karl Urban einen leicht bekleideten Helden, der zugänglicher scheint als Arnold Schwarzenegger oder Jason Momoa als lakonischer Muskelprotz Conan. Wenn man Urban in den Filmen der Neuauflage von Star Trek zusieht, wie er Dr. McCoy Leben einhaucht, kann man sich kaum vorstellen, dass dieser pessimistische Neurotiker tatsächlich mal sowas wie einen martialischen Halbindianer gespielt haben soll. Nun – er hat, und das gar nicht mal so schlecht. Obwohl der Film auch nicht viel mehr als das inhaltliche Spektrum eines B-Movie zulässt. Da bleibt außer Rennen, Retten, Kämpfen und Flüchten in fahlem Zwielicht nicht viel über. Da kann auch Moon Bloodgood als Reserve-Pocahontas nichts daran ändern.

Pathfinder – die Fährte des Kriegers ist grob geschnitztes Kino für leicht angetrunkene, bierbäuchige Mittelalterfans, die ihre Erlebnisse vom letzten Ritterfest nochmal gehörig ausklingen lassen wollen.

Pathfinder – Fährte des Kriegers

Hell or High Water

DIE RÜCKKEHR DES NEW HOLLYWOOD

* * * * * * * * * *

hellorhighwater

Es war ungefähr gegen Ende der Sechziger – eine Gruppe junger, aufstrebender Filmkünstler erteilten dem starren Korsett vorangegangener Kinojahrzehnte eine Absage. Angeregt durch die in Frankreich um sich greifende Ära der Nouvelle Vague mit Vorreiter Francois Truffaut, der mit dem urbanen Thriller Außer Atem den Grundstein für einen Paradigmenwechsel gelegt hat, scharten sich die jungen Wilden, wie sie genannt wurden, um den Regiestuhl und gingen darauffolgend mit ihren Werken in die Filmgeschichte ein. Zu diesen jungen Wilden gehörten Steven Spielberg, George Lucas, Stanley Kubrick, Martin Scorsese, Francis Ford Coppola, Sidney Lumet, um nur eine Handvoll zu erwähnen. Natürlich, einige von Ihnen sind mittlerweile im Blockbusterkino gelandet. Andere widmen sich nur mehr sehr persönlichen Themen, die sie ungeachtet irgendeines zu erwartenden Einspielergebnisses selbst produzieren können. Doch damals war aller Anfang neu, ungestüm und unbequem. Und vor allem eines – er zeigte das Bild eines Amerika, wie es im Grunde niemand sehen wollte. Frei von Illusionen, fern vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Das soziale Ungleichgewicht, das Versinken der amerikanischen Mittelschicht in der Armut, die Verzweiflung und die Lust, auszusteigen und dem System den Rücken zu kehren. Es waren Bilder, die ein Land im Niedergang und gleichzeitig aber auch im Umbruch zeigten. Revolutionäre des Films widmeten sich der kleinen Revolution, der aufmüpfigen Anarchie, die imstande war, aufzuzeigen, das irgendetwas verdammt falsch läuft. 

Jetzt, nach der Amtszeit Barack Obamas, der Finanzkrise 2008 und dem schwindenden Licht der neuen Regierungszeit unter Donald Trump kommen wieder Themen auf den Spielplan, die so gar nicht optimistisch in die Zukunft blicken. Der britische Künstler David Mackenzie (Young Adam, Hallam Foe) lässt in seinem sozialkritischen Neo-Western einen alternden Jeff Bridges mit Hang zur Selbstparodie einem kriminellen Brüderpaar hinterherjagen. Mackenzie schafft es sogar, mit seinem Werk in den Olymp der Oscar-Nominierten für den besten Film des Jahres 2017 einzuziehen. Ein Geheimtipp, der das große Rennen womöglich nicht gewinnen wird, sich aber wie ein Zugeständnis für die Rückkehr des New Hollywood anfühlt. So ähnlich, und mit unverhohlener Liebe zum Genre des nihilistischen Spätwestern, dirigiert Mackenzie einen sehr stimmigen Abgesang auf die Ideale aus einer Zeit, in der Revolverhelden und Outlaws zu Antihelden verklärt wurden. Diese kämpfende Klasse aber, reduziert auf ihr kriminelles Tun, hat an Beliebtheit verloren. Obwohl Mackenzie vieles, aber nicht alles so pessimistisch sieht wie seinerzeit Dennis Hopper in Easy Rider.

Chris Pine und Ben Foster spielen zwei Verlierer, die, von Kindheit an traumatisiert, in ihrem Leben die Arschkarte gezogen haben. Der eine ein Vatermörder, der andere pleite und nicht fähig, seine Familie zu ernähren. Der eine hat nichts mehr zu verlieren, der andere versucht verbissen, dem trostlosen Ist-Zustand eine Wendung zu geben. Umgeben vom staubigen Nirgendwo des Bundesstaates Texas suchen beide nach Genugtuung für ihr verpfuschtes Leben, auf ihren Fersen der Texas Ranger. Das Outlawdrama erinnert stark an Clint Eastwoods Meisterwerk Perfect World, nur ohne Geisel und dem Zynismus des 1993 entstandenen Thrillers. Zynismus gibt es übrigens so gut wie gar nicht in Mackenzie´s atmosphärischem Film, außer einigen Spitzen gegen den sozialen Missstand der Vereinigten Staaten – vor allem wenn Pine und Foster in ihrem Fluchtauto über verlassene Straßen brettern, gesäumt von überdimensionalen Werbeschildern, die Spitzenkredite von den Banken versprechen. Spätestens da wird klar – der amerikanische Traum ist ein schlechter Scherz und wird zum Ding der Unmöglichkeit. Was aber statt Zynismus dominiert, ist die gnädige Melancholie des drohenden Untergangs.

Das karge Kino des ausweglosen Aufstands bekommt mit Hell or High Water ein neues Lebenszeichen – allerdings eines, das mehr zur Vernunft zurückfindet als die radikalen Werke der 70er. Und so manches offenlässt. Amerikanisches Anti-Kino oder halbwildes Roadmovie – je nachdem. Jedenfalls ein Film, der sich für das, was er vorgibt zu sein, versöhnlicher zeigt als erwartet. Ein entidealisierrter Western im Gewand der Gegenwart. Die „perfekte Welt“, sie lässt sich kitten. Zumindest ist es ein Versuch wert.

Hell or High Water