Conjuring 4: Das letzte Kapitel (2025)

THE REAL GHOSTBUSTERS

7/10


© 2024 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved


ORIGINALTITEL: THE CONJURING: LAST RITES

LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: MICHAEL CHAVES

DREHBUCH: DAVID LESLIE JOHNSON-MCGOLDRICK, IAN GOLDBERG, RICHARD NAING

KAMERA: ELI BORN

CAST: PATRICK WILSON, VERA FARMIGA, MIA TOMLINSON, BEN HARDY, REBECCA CALDER, ELLIOT COWAN, KÍLA LORD CASSIDY, BEAU GADSDON, PETER WIGHT, STEVE COULTER, SHANNON KOOK U. A.

LÄNGE: 2 STD 15 MIN


Who You Gonna Call? Natürlich die… na?… Ghostbusters! Wen denn sonst? Nur: Wer sind sie, diese Geisterjäger? In der Pop-Kultur fest verankert stehen Venkman, Stanz, Spengler und Zeddemore vor Dämonen und Gruselgeschöpfen aller Art, bewaffnet mit Energiekanonen, die den bösen Metawesen gefälligst das Ektoplasma aus den Windungen saugen sollen. So richtig cool ist in den Achtzigerjahren, genau genommen zwei Jahre später, nachdem Ivan Reitman seinen Blockbuster auf die Welt losließ, das Ehepaar Warren leider nicht. Selbst im Film kommen sie nicht umhin, sich diesem Vergleich stellen zu müssen. Dabei sind sie die echten, die wahren, die wirklichen Ghostbusters. Lorraine, ausgestattet mit dem sechsten Sinn, spürt schon seit den Sechzigerjahren das Paranormale in so manchen alten Mauern auf, erkennt das manifestierte Böse in Artefakten aller Art, wären es nun Puppen, Ethnografika oder Möbel. An ihrer Seite der gute alte Ed, investigativ ein As, allerdings, im Laufe der Jahrzehnte, immer mal wieder mit Herzproblemen kämpfend. Die beiden müssen sich wohl oder übel damit abfinden, dass vier knackige Kerle die Oberhand gewonnen haben, auch wenn das alles nur Geschichten sind. Im echten Leben muss die linke Hand aber nicht unbedingt wissen, was die rechte tut, also seis drum. Die beiden tun das für den guten Zweck, doch irgendwann ist überall die Luft draußen, und die geisterfreie Pension winkt bereits mit weißen Laken.

Es bleibt in der Familie

Man kann schon erahnen, dass die Mission der Familie Warren, eine Ordnung in das Dies- und Jenseits zu bringen, mit diesen beiden nicht enden wird. Tochter Judy ist erwachsen, ist verlobt und scheint mit beiden Beinen im Leben zu stehen. Auch sie hat den Code geknackt, wie man den sechsten Sinn nutzt, und seit jeher quälen Erinnerungen an Annabelle die junge Frau mit Visionen, die schlecht schlafen lassen. Ein letztes Mal noch werden die betagten Eltern zu Hilfe gerufen, nachdem ihr guter Freund, Pater Gordon, bei der Lösung eines kniffligen Falles – auch der beruht angeblich auf Tatsachen – das Zeitliche segnet. Wegschauen geht da nicht mehr, während das Hinsehen verstört. Denn auch diesmal wieder schenkt Michael Chaves seinen Fans durchaus gruselige Individuen, die jede Geisterbahn behübschen und mit begleitendem Sounddesign sein Publikum aus den Sitzen heben.

Horror auf der großen Leinwand

Interessant dabei war, zu beobachten, wie der Horror im Kino anders wirkt als daheim auf dem Flatscreen – die vorangegangenen Conjuring-Teile genoss ich in den vertrauten vier Wänden, immer auf Abstand, die Hand an der Remote Control. Im Kino ist man mehr oder weniger ausgeliefert, und muss nehmen, was kommt, in gleichbleibender Intensität und überdimensioniert. Natürlich wird der Effekt zum großen Meister, der Schrecken zum Erlebnis, und so manches Popcorn fällt aus der Tüte. Dabei ist Conjuring 4: Das letzte Kapitel zum Glück für mich, der das Genre des Horrorfilms erst vor Kurzem erst entdeckt hat, nicht die härteste Kost. Am Ende der Reise, die Vera Farmiga und Patrick Wilson in ausgesuchtem Engagement und Liebe zu ihren Rollen bezwungen haben, setzt Chaves auf viel familiäre Identität; er setzt auf Abschied, Neuanfang und dem Umgang mit der Angst, die schließlich zum Leben gehört. Conjuring 4: Das letzte Kapitel wird durchaus zum großen Drama, wird am Ende geradezu spektakulär auf eine Weise, wie man es aus dem Conjuring-Universum gewohnt ist. Der menschliche Faktor, die integren Helden in einer Welt, die gerne True Storys erzählt, mit denen man sich wohlig gegruselt schlafen legt, bieten genug Identifikationsfläche, um sich fallen zu lassen in diesen dämonischen Strudel, denn man kann gewiss sein, dass das Gute obsiegen wird. Da bleiben grinsende alte Omas und axtschwingende Massenmörder die schaurigen Gestalten einer Bühne, während die Warrens zwar immer an ihre Grenzen gehen, jedoch so viel Ideal besitzen, um scheinbar auf ewig weiterkämpfen zu können.

Mit diesen Parametern lässt sich der melodramatische Horror in jedem Fall genießen, und in den letzten Minuten beschleicht einen gar ein bisschen Wehmut, wenn der Vorhang fällt und das letzte Rumoren und Flüstern im Gebälk verstummt. Vielleicht macht es sich ja auch nur bereit, um die nächste Generation zur Séance zu bitten.

Conjuring 4: Das letzte Kapitel (2025)

Beetlejuice Beetlejuice (2024)

QUÄLGEISTER AUF ZURUF

5/10


beetlejuicebeetlejuice© 2023 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: TIM BURTON

DREHBUCH: ALFRED GOUGH, MILES MILLAR

CAST: MICHAEL KEATON, WINONA RYDER, CATHERINE O’HARA, JENNA ORTEGA, JUSTIN THEROUX, MONICA BELLUCCI, ARTHUR CONTI, WILLEM DAFOE, BURN GORMAN, AMY NUTTALL, SANTIAGO CABRERA, DANNY DE VITO U. A.

LÄNGE: 1 STD 45 MIN


Es ist wohl naheliegend, dass das Studio an Tim Burton herangetreten war, um ihn davon zu überzeugen, nochmal einen seiner Klassiker aufzuwärmen, war der doch damals an den Kinokassen ein erfolgreiches Vehikel. Das Publikum von damals ist nicht mehr das von heute, soviel scheint den Geschäftsfrauen- und männern wohl klar. Andererseits liegt Beetlejuice noch nicht so lange zurück, um die Kinder der Achtziger wie die Nadeln im Heuhaufen suchen zu müssen. Derer gibt es noch viele, und die Achtziger, die waren nicht nur irgendeine Dekade, sondern das Kinojahrzehnt schlechthin – so viele Klassiker, Blockbuster und Zufallserfolge gab es vorher und nachher wohl nie wieder. In diesem fulminanten, kataklystischen Output lässt sich eben auch Tim Burtons Geisterkomödie wiederfinden – ein kauziges, kleines Komödchen mit sehr viel Stop-Motion und blassgesichtigen Morbiditäten, mehr Grotten- statt Geisterbahnfahrt, denn zum Gruseln war das alles nicht. Das Horrorhafte ist Tim Burton auch nie gelegen, selbst sein Sleepy Hollow ist gediegener Gothic mit schrägen, aber nicht schrecklichen Einfällen. Wenn dann einer wie Bio-Exorzist Betelgeuse – lautmalerisch eben Beetlejuice – kugelbauchig, zerfleddert und mit satten dunklen Ringen um die Augen seinen Einstand probt, etabliert sich das Subgenre der Gruselkomödie wie ein Lehrstück für spätere Projekte. Und als wäre die ganze Mär rund um Geister, die nicht gehen wollen und solchen, die durch die Verheiratung mit den lebenden dem Jenseits zu entfliehen gedenken, nicht sowieso schon 1988 auserzählt, erhoffen sich die Studio-Kapitalisten mit einem Sequel, das so anmutet wie ein Reboot, nochmal den großen Reibach.

Entstanden ist dabei – zum Teil mit Originalbesetzung – weder Fisch noch Fleisch, Hommage und Upgrade gleichermaßen. Ein Chaos an pittoresken Expressionismus-Reminiszenzen a la Caligari, ein wohl wirklich herzhafter Cameo mit dem untoten Danny DeVito, vielen Schrumpfköpfen und einer Corpse Bride, für welche Tim Burtons neue Frau Monica Bellucci im Narbenlook stilechte Vergeltung verspricht. Das ist aber längst nicht alles, da kullert noch viel mehr durchs Dies- und Jenseits. Doch scheinbar hängt sich der Plot dann doch daran auf, Schauspieler Jeffrey Jones (im Original Winona Ryders Filmvater Mr. Deetz) nicht mehr zur Verfügung zu haben. Das liegt wohl daran, dass der Star vor vielen Jahren wegen Kinderpornografie belangt wurde. Das ist natürlich Kassengift, und auch sonst will niemand jemanden sehen, der Verbrechen wie diese zu verantworten hat. Also muss Jeffrey Jones verschwinden und fällt zu Beginn des Films als Überlebender eines Flugzeug-Crashs einer Hai-Attacke zum Opfer. Die übrige Familie versammelt sich trauernd im uns wohlbekannten Gemäuer, Tochter Ryder ist erwachsen, deren Tochter Jenna Ortega (Burtons neue Wednesday) die Skepsis in Person, was Paranormales anbelangt. Und Mutter Delia (Catherine O’Hara), Kunstikone, ist ebenfalls mit von der Partie. Währenddessen sinnt Bellucci im Jenseits danach, sich an titelgebendem Beetlejuice für was auch immer zu rächen. Und ein anderer Geist hat es in der Hand, die ungläubige junge Ortega davon zu überzeugen, dass der Tod nicht das Ende aller Dinge ist.

Tim Burton hat also viele Fäden in der Hand, für sich sind das alles kleine, platte Geschichten, aufgepeppt mit Make Up, Budenzauber und analogen Trickkisten. Für keine dieser Erzählebenen nimmt sich der legendäre Maestro mehr Zeit als nötig, all diese Fäden mögen zwar miteinander verflochten sein, doch nur widerwillig und wenig synergetisierend. Es ist vieles von allem und vieles von Altem, als Anhäufung fan-servicierender Anekdoten lässt sich Beetlejuice Beetlejuice bezeichnen, für Kinder aus den Achtzigern und jener, die dafür sorgen, dass Beetlejuice im Retail-Sektor wieder ordentlich Kohle macht. Kennt man das Original nicht, fällt das Sequel seltsam willkürlich aus. Da fehlt etwas, würde man bemerken, Doch das lässt sich auch feststellen, wenn man weiß, wie Michael Keaton schon damals das okkulte Geisterkarussel in Gang gebracht hat. Anstatt ein bisschen die Füße stillzuhalten, gerät Burtons Regie unter Zuckerschock und entwickelt eine aufgekratzte Fahrigkeit, wie es manchmal Kinder erleben, die am Ende eines Tages im Familypark gerne schon entspannen würden, es aufgrund der vielen Eindrücke und des ganzen ungesunden Naschkrams nicht mehr hinbekommen. So quirlt auch diese, das Original wenig bereichernde Komödie um sich selbst herum, ohne sich auf irgendetwas länger konzentrieren zu können, als würde man völlig überreizt durch die Geisterbahn tingeln.

Beetlejuice Beetlejuice (2024)

The Deliverance (2024)

DER DÄMON, DER ZU KREUZE KRIECHT

3/10


The Deliverance© 2024 Netflix Inc.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: LEE DANIELS

DREHBUCH: DAVID COGGESHALL, ELIJAH BYNUM

CAST: ANDRA DAY, GLENN CLOSE, CALEB MCLAUGHLIN, DEMI SINGLETON, AUNJANUE ELLIS-TAYLOR, MO’NIQUE, OMAR EPPS, MISS LAWRENCE U. A.

LÄNGE: 1 STD 52 MIN


Der Horrormonat Schocktober kann gar nicht früh genug beginnen – Netflix schickt pünktlich zum Ende der Sommerferien, allerdings später als all die Lebkuchen in den Supermärkten, seinen ersten Haunted House-Horror auf sein illustres Portal. Dabei ist das nicht irgendein billiger Firlefanz, sondern die angeblich schmucke Regiearbeit eines Lee Daniels, der schon 2009 mit dem intensiven Sozialdrama Precious – Das Leben ist kostbar für Aufsehen sorgte und im Jahr darauf zwei Oscars dafür bekam. Einige ansehnliche Filme später (u. a. The Butler) gipfelt seine Werkschau nun in einem okkulten Besessenheitshorror mit illustrer Besetzung. Andra Day (The United States vs. Billie Holiday) und die großartige Glenn Close versprechen niveauvolles Gruseltheater mit sozialkritischen Untertönen. Fast könnte man sich dazu hinreissen lassen, The Deliverance als das „Conjuring“ der Black Community zu bezeichnen – allerdings noch ehe man den Film gesehen hat. Flimmert er aber über den Screen, erreicht er überraschend bald sein eigenes Trägheitsmoment, den er nicht und nicht überwinden will. Vielleicht gelingt dies ja, wenn Lee Daniels während der Laufzeit sein uninspiriertes Sozialdrama durchgekaut hat, um dann das Genre zu wechseln. Denn so, wie dieser sein Betroffenheitskino mit spukhaftem Horror verknüpfen will, geht die Rechnung nicht auf. Es ist, als hätten zwei gleichgepolte Handlungsstränge ineinanderzugreifen – doch weder die eine noch die andere Komponente wollen synergieren. Sowohl Drama als auch Horror bleiben schal, und nicht mal der Allmächtige kann das Dilemma richten, ganz im Gegenteil. Er macht es noch schlimmer.

Wenn Andra Day mit der an Krebs erkrankten Filmmutter, dargestellt von Glenn Close mit Mut zur souveränen Hässlichkeit, ihre Konflikte austrägt, riecht das nach großem Schauspielkino. Doch auch dieser brennende Zunder weicht abnehmender Glut. Days Figur ist eine alleinerziehende Mutter, deren Aufmüpfigkeit nur durch ihre dick aufgetragene Verschwendung des Wortes Bitch getoppt wird. Bitch hier, Bitch da, auch Glenn Close fällt in diesen Schimpfreigen ein. Doch Andra Day kolportiert nur ihre von Traumata und Bürden des Lebens zerfressene Rolle, fühlen tut sie diese nicht. Diese fünfköpfige Familie ohne Mann zieht nun in ein neues Haus, welches – wie kann es anders sein – von einer dunklen Entität beherrscht ist. Das Übel hat seinen Ursprung klarerweise im Keller, ganz so wie der Höllenschlund im Buffyverse. Nach und nach bemächtigt sich dieser Dämon des jüngsten Sprosses, durch ihn kann er auch die beiden anderen Geschwister gängeln. Sobald selbst der aufgedonnerten Sozialhilfe klar wird, dass die familiären Krisen übernatürlichen Ursprungs sind, tritt die Geistlichkeit auf den Plan. Die Dreifaltigkeit soll schließlich alles richten.

Was diesem elendslangweiligen Familienhorror, der sich eigentlich darauf verlassen wollte, dass vorallem die Jungdarsteller ihren Part zur Wirksamkeit dessen beitragen, im letzten Drittel zustößt, lässt einen genauso mit den Händen ringen wie Andra Day es am Ende tut. Militanter Katholizismus bricht wie ein Kettenfahrzeug durchs Anwesen, fahnenschwingend ganz vorne: Jesus Christus, der wie Georg mit dem Drachen ringt. Dieser frömmelnde Biblebelt-Exorzismus, weit weg vom verzweifelten Versuch einen Max von Sydow, das Böse aus Linda Blair auszutreiben, gibt sein filmisches Konzept einer gewissen Lächerlichkeit preis. Agnostiker und weniger eifrige Christen werden die verdrehte Verherrlichung auf den Herrn fast schon verstörend finden, während das dämonische Antlitz von Glenn Close als eines von wenigen Elementen in diesem siamesischen Zwilling von Film in Erinnerung bleibt.

The Deliverance (2024)

Exhuma (2024)

HEITE GROB MA TOTE AUS

5,5/10


Exhuma© 2024 Splendid Film


LAND / JAHR: SÜDKOREA 2024

REGIE / DREHBUCH: JANG JAE-HYUN

CAST: KIM GO-EUN, CHOI MIN-SIK, LEE DO-HYUN, YOO HAE-JIN, JEON JIN-KI U. A.

LÄNGE: 2 STD 14 MIN


Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass kein einziger koreanischer Film jemals kürzer sein darf als zwei abendfüllende Stunden. Am liebsten sind Filme wie diese noch länger, am liebsten hängen sie noch eine halbe Stunde dran. Das bedeutet Sitzfleisch – und einen wachen Geist. Denn die Koreaner, die geben sich nicht damit ab, nur einen singulären Erzählstrang abzuarbeiten – mit anderen Worten: banales, simples Kino, das von Alpha bis Omega schön stringent seine Geschichte erzählt. Geradlinig darf sie sein, jedoch niemals nur eine Dimension besitzen. Da gibt es Meta-Ebenen und Stile, die sich gegenseitig übertrumpfen. Da gibt es Wendungen, Twists und kuriose Begebenheiten, kurzum: womöglich bleibt alles da, wo es drehbuchtechnisch sein soll. Andernorts hätte man schon das Publikum unterfordert und den Rotstift angesetzt, Passagen gestrichen und all die knackige Originalität eingekürzt. Eine Methode, wie es in der US-Filmbranche, zum Leidwesen eines unterschätzten und gähnend gelangweilten Publikums, immer wieder geschieht. Das stets geforderte koreanische Publikum indes ist schon von Kindesbeinen an mit Filmen großgeworden, die stets für Überraschung sorgen und keinen Publikumsparametern folgen wollen. Koreanisches Kino bleibt stets erfrischend. Bleibt immer anders. Und kann sich eben auch Filme wie Exhuma erlauben, die viel zu lange geraten, weil sie viel zu viel erzählen wollen.

Wenn man glaubt, bereits am Ende angelangt zu sein, ist schließlich erst eine Stunde verstrichen, was bedeutet, dass der vollgestopfte Schamanen-Thriller nicht mal noch Halbzeit erreicht hat. Dabei ist die Story schon erzählt, der Geist entfesselt, der Fluch getilgt. Nichts da – Regisseur Jang Jae-hyun weckt die Totenruhe nicht nur einmal, stört die metaphysische Ordnung im magischen Wäldchen auf ein neues. Bringt Unfrieden und will vom Bösen durchsetzte Grabstätten umbetten. Exhuma erzählt eine Menge, lässt beschwören, bekämpfen und besessen sein. Die zweieinhalb Stunden hängen sich rein.

Dabei ist es faszinierend, dabei zuzusehen, wie so ein schamanistisches Ritual abläuft, wenn tote Schweine aufgebahrt und eine bunt gewandete Spiritistin die Messer schwingt. Schließlich geht es darum, böse Mächte abzulenken, damit der schmuck verzierte Sarg des Ur-Patriarchen einer wohlhabenden koreanischen Familie, die längst in die Vereinigten Staaten ausgewandert ist, ausgehoben werden kann. Denn deren Opa, der spukt schließlich herum und belegt den jüngsten Spross seiner Dynastie mit Flüchen, quält die Lebendigen mit Alpträumen und stänkert so richtig auf paranormaler Existenzebene durch die Gegend. Feng-Shui-Meister Kim ist bei dieser Aktion alles andere als wohl bei der Sache, die beiden Schamanen Lee und Oh können den alten, erfahrenen Experten aber davon überzeugen, diesen Auftrag durchzuführen. Dass dabei noch ganz andere Mächte zurück ins Diesseits beordert werden, damit hätte wohl niemand gerechnet. Die Welt der Götter wird gestört, noch viel Älteres betritt die Bühne der Gegenwart, dessen Existenz bis in die Zeit der japanisch-koreanischen Kriege zurückreicht.

Das Ensemble der Spezialisten steht bald mit dem Rücken zur Wand, es geistert und spukt, das Phantastische ist Jang Jae-Hyun aber näher als der schreckgespenstische Horror. Hätte Neil Gaiman ein Austauschjahr in Südkorea verbracht und dort so manche seiner magischen Anderswelt-Geschichten geschrieben, er hätte Exhuma entwickeln können. Und obwohl hier kaum Leerlauf herrscht in diesem Abenteuer, es immer was zu tun gibt und niemand wirklich zum Durchatmen kommt – Exhuma ist ein anstrengendes, wie bereits erwähnt überlanges und unruhiges Werk, welches knapp vor Filmmitte seinen bisher so geschmeidigen Erzählfluss verliert. Was dann folgt, ist eine fast schon neu erzählte, ganz andere Geschichte, die mit der vorangegangenen nur noch wenig zu tun hat. Zwei Schamanen-Stories im Doppelpack? Nach einer Laufzeit von einer Stunde und fünf Minuten lässt sich der Rest des Films gut vertagen.

Exhuma (2024)

Personal Shopper (2016)

BRUDER IM GEISTE

7,5/10


personal-shopper© 2017 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: FRANKREICH, DEUTSCHLAND, TSCHECHIEN, BELGIEN 2016

REGIE / DREHBUCH: OLIVIER ASSAYAS

CAST: KRISTEN STEWART, LARS EIDINGER, NORA WALDSTÄTTEN, ANDERS DANIELSEN LIE, SIGRID BOUAZIZ, TY OLWIN, HAMMOU GRAÏA, BENJAMIN BIOLAY U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Dass sie auf ewig, wie manche ihrer Schauspielkolleginnen und -kollegen, auf ihre Glamourrolle der Bella Swann aus den Twilight-Verfilmungen reduziert wird – darüber braucht sich Kristen Stewart keine Sorgen mehr machen. Dank eines wohl vorausschauenden Managements rund um ihre Person und der Bereitschaft, vor allem auch in kleineren, aber äußerst festivaltauglichen Produktionen eine Position einzunehmen, die aufgrund einer intrinsischen Motivation geschieht und nicht, um der erfolgsgefährdenden Imagefalle zu entgehen, ist Stewart längst jemand, der nicht belächelt, sondern künstlerisch ernstgenommen wird. Ihr Höhepunkt – Spencer – hat ihr gar eine Oscarnominierung eingebracht. Und ja – Pablo Larrains freie Interpretation der Gefühlswelt von Lady Di hat nicht zuletzt wegen Stewarts intuitiver und verletzlicher Performance so bahnbrechend gut funktioniert. Der französische Autorenfilmer Olivier Assayas hat längst erkannt, dass Stewart auf eine ganz eigene Art seine Filme veredelt. In Die Wolken von Sils Maria stand sie an der Seite von Grand Dame Juliette Binoche. In Personal Shopper ist sie eine, die für andere shoppen geht, vorzugsweise sündteure Klamotten, und in diesem Fall für die Mode-Ikone Kyra, dargestellt von Nora Waldstätten, die in ihrer eigenen Krimireihe Die Toten vom Bodensee dem Jenseits rund um die Dreiländerlacke auf den Zahn fühlt.

Diese sündteuren Klamotten will Kristen Stewart als Maureen am liebsten für sich selbst einkaufen, das Verlangen, die Identität ihrer allseits bekannten Auftraggeberin zu übernehmen, wird nur noch überlagert von dem Willen, Kontakt mit ihrem verstorbenen Zwillingsbruder aufzunehmen. Doch statt inszenierten Séancen braucht Maureen eigentlich nichts sonst außer die Muße und das richtige schaurige Gemäuer, um mit denen aus dem Jenseits auf Tuchfühlung zu gehen. Maureen ist ein Medium, das weiß auch ihr Bekanntenkreis, und so findet sie sich nächteweise im längst verlassenen Anwesen ihres Bruders wieder, um ihre Fähigkeiten einzusetzen und den Geistern nachzuspüren, die nicht erlöst werden können, da irgendetwas sie im Diesseits behält. Ein quälender Umstand, der Geistern, wie wir wissen, erlaubt, sichtbar zu werden oder deren Präsenz man spürt, obwohl sich anfangs nichts dergleichen, was Angst einjagt, in Assayas Film manifestiert.

Aus der Verlockung, mit dem Unbekannten zu kommunizieren, erwächst bald eine indirekte Bedrohung. Maureen fühlt sich bald verfolgt, sie stellt auch fest, dass nicht ihr Bruder, sondern andere Geister Geschichten zu erzählen haben. Irgendetwas ist hinter ihr her, während sie hinter der völlig abgehobenen Kaya nachräumt und dabei auf deren eifersüchtigen Liebhaber (Lars Eidinger) trifft, der mit Abweisungen gar nicht umgehen kann. Wohin das führt, welche Rolle Maureen in diesem Perpetuum Mobile an Existenzen und Nicht-Existenzen zu spielen hat – um diese Fragen zu beantworten, begibt sich Assayas auf eine Projektionsfläche des existenzialistischen Erzählkinos, das stellenweise gar den Betrachtungsweisen eines Jean-Paul Sartre bedient, der sich in seinen Bühnendramen an der Ausweglosigkeit menschlichen Daseins abgearbeitet hat. Personal Shopper lässt sich inhaltlich schwer festmachen, die Figuren des Films tragen eine unheilvolle Bestimmung, und Kristen Stewart war, abgesehen von Spencer, selten besser.

Dass Geisterfilme oder Werke, die sich mit dem Paranormalen beschäftigen, nicht immer das Horror-Genre bedienen müssen, um das Adrenalin beim Publikum auszuschütten, haben Künstler wie der Thailänder Apichatpong Weerasethakul oder David Lowery mit A Ghost Story, seiner Elegie an den Tod, meisterlich bewiesen. Assayas nimmt der Parapsychologie ebenfalls den Schrecken, nicht aber das Unheimliche. Das Gespenstische wird zur unterschwelligen Manifestation unerfüllbarer Sehnsüchte, in diesem Kontext gefällt das Spiel mit den Identitäten und dem Verlangen umso besser. Stringent ist aber gar nichts an diesem Film, die Lust an der kontemplativen Psychostudie müsste man teilen wollen, sonst könnte Personal Shopper manchesmal etwas substanzlos erscheinen. Doch genauso wenig, wie Assayas Wolken von Sils Maria Dinge erklären und Umstände direkt ansprechen will, genauso wenig ist dieser dem Phantastischen zuordenbare Film einer, der vorhat, Fragen zu beantworten. Im Gegenteil, das 2016 mit dem Regiepreis in Cannes ausgezeichnete Stück Kunstkino setzt am Ende gar noch eine Metaebene drauf. Das ist Mystery vom Feinsten.

Personal Shopper (2016)

Ghostbusters: Frozen Empire (2024)

ZEIT-GEISTER, DIE MAN NICHT LOSWIRD

4,5/10


ghostbustersfrozenempire© 2024 Sony Pictures 


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: GIL KENAN

DREHBUCH: GIL KENAN, JASON REITMAN

CAST: PAUL RUDD, CARRIE COON, MCKENNA GRACE, FINN WOLFHARD, KUMAIL NANJIANI, DAN AYKROYD, ERNIE HUDSON, BILL MURRAY, PATTON OSWALT, CELESTE O’CONNOR, ANNIE POTTS, LOGAN KIM, WILLIAM ATHERTON U. A.

LÄNGE: 1 STD 55 MIN 


Könnte es sein, dass das Ghostbusters-Franchise aus was für Gründen auch immer einfach nicht mehr in die Zeit passt? Dass Ghostbusters als Kind der Achtziger-Jahre einen Triumph feiern konnte, lag vor allem auch daran, mit seinen Special Effects am Zenit des Machbaren gestanden zu haben; es lag auch daran, dass Komiker der alten Schule, Blues Brother Dan Aykroyd und Bill Murray als einer, der sich sowieso nie an irgendetwas gehalten hat und mit seinen Improvisationen den Filmen auch seinen Stempel aufdrückte, in der Blüte ihres Erfolges standen. Es lag auch daran, dass Komödienspezialist Ivan Reitman einfach ein Gespür dafür hatte, wie ein Franchise wie dieses entstehen hätte können und was es in den Filmen gebraucht hat, um eine Balance zwischen bunten Budenzauber, Gänsehaut-Mystery und herzlichem Teamwork zu finden. Mehrere Jahrzehnte später sind Reitmans Sohn Jason und Co-Autor sowie Regisseur Gil Kenan an einem Punkt angelangt, an dem es so wirkt, als sei das Geisterjäger-Universum auf unheilsame Weise vom Fanservice besessen. Ghostbusters: Frozen Empire ist, und da muss man dem Spuk ins Auge sehen, wohl der schwächste Teil der Reihe. Er ist sogar noch schwächer als die Mädels-Crew von Paul Feig, die zumindest versucht hatten, die Bekämpfung des Paranormalen mit Frauenpower neu aufzuziehen.

Doch der Versuch, Ghostbusters in einem anderen Kontext zu betrachten, hat nichts bewirkt. Der Film wurde ein Flop, also alles nochmal von vorne, und zwar mit der Aufgabe, das Narrativ der Achtziger keinesfalls zu verändern. Mit Ghostbusters: Legacy hat das ganz gut funktioniert. Hier gab’s so gut wie alles, was wir auch im Original zu sehen bekamen. Die Next Generation durfte den Ungeheuern des Gottes Gozer nochmal ihre Protonen-Blitze entgegenschleudern, am Ende kamen gar – wir waren den Tränen nahe – die alte Riege in einem fast schon verschenkten Cameo zum Einsatz, ohne viel zum Plot beizutragen. Das hatte gereicht, um Jason Reitmans Neustart eine Chance zu geben. Nur: hat er diese genutzt? Hat er frischen Wind ins New York der 2020er-Jahre wehen lassen – in einer Stadt, die bereits vom Marshmallow Man und dann von einer wandelnden Freiheitsstatue heimgesucht wurde? Leider nein. Was hier weht, ist die abgestandene Luft einer ausgedienten Filmhistorie, die nach bewährtem Muster Bewährtes auf eine generische Zivilbevölkerung loslässt, die alles schon gesehen und erlebt zu haben scheint, die mit Geistern als Alltagsbürde ihren Frieden geschlossen hat, da machen selbst zu Eis erstarrte Straßenzüge keinen Eindruck.

Wir haben nun im fünften Film ein diverses, viel zu großes Team an Geisterjägern und Möchtegern-Nerds fürs Paranormale. Alte, neue und welche dazwischen. Es gibt einen Dämon, der zugegeben sehr geschmackvoll aussieht und entsprechend glücklich animiert ist. Es gibt die Finsternis über dem Big Apple und statt eines Schlüsselmeister einen Feuerwächter, dargestellt vom Comedian Kumal Nanjiani, der den gelangweilten Bill Murray an die Wand spielt und fast schon im Alleingang versucht, eine gewisse kindliche Neugier ins Spiel zu bringen. Gesellschaft leistet ihm Dan Aykroyd, dem die leidenschaftliche Begeisterung für sein ersonnenes Franchise in jeder Szene, in der er auftritt, ins Gesicht geschrieben steht. Die beiden rocken den Laden, und alle anderen – derer sind es zu viele – bleiben auf ihren Plätzen, zitieren sich selbst oder ergehen sich in einer unausgegorenen Patchwork-Familienproblematik, die man eben aussitzt, in Erwartung einer komplexen Apokalypse, die durch verrückte Improvisationen gerade nochmal vereitelt werden wird.

Gerade jenen Aspekt, der die Ghostbusters eigentlich ausmacht, lassen Reitman und Kenan außen vor: den kreativen Gig, Himmelfahrtskommando brüllende Bad Batch-Wagnisse, um das Übernatürliche auszuforschen und abzuwehren. Was bleibt, ist Altbewährtes, verdrängt durch Zwischenmenschliches, das nichts mit Geistern zu tun hat, und die Belastung durch horrende Logiklöcher, die als Wendepunkte im Drehbuch fungieren müssen, um die Story überhaupt voranzubringen. Wenn sich an ihnen alles andere aufhängt, gerät Ghostbusters: Frozen Empire in eine von allen guten Geistern verlassene Schräglage, die überdeutlich macht, wie sehr sich Reitman und Kenan von den Vorbildern knebeln haben lassen, und welche Agenden sie unbedingt durchbringen mussten, um den Studios den dank vieler Analysen prognostizierten Erfolg zu bescheren.

Die Geister sind müde geworden, die alten Geisterjäger (bis auf Aykroyd) ebenso, die Jungen haben nicht mehr den Pioniergeist wie die alten und schlagen sich mit Generation Z-Problemen herum, die den Kult-Spuk verwässern. Doch spätestens am Ende, wenn Ray Parker Jr. wieder ertönt und Ecto-1 wieder um die Ecke kurvt, während die jaulende Sirene ertönt, wird das Fanservice dann doch nochmal dankend angenommen, ganz so wie der zugesteckte Zwanziger von Oma, wenn man zu Besuch war. Im Grunde aber reicht Parkers One-Hit-Wonder auf Youtube, um genauso erfüllt zu sein wie nach zwei Stunden Dacapo-Budenzauber im Kino.

Ghostbusters: Frozen Empire (2024)

All of Us Strangers (2023)

JEDER LEBT FÜR SICH ALLEIN

8/10


allofusstrangers© 2023 20th Century Studios All Rights Reserved.


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH, USA 2023

REGIE / DREHBUCH: ANDREW HAIGH

CAST: ANDREW SCOTT, PAUL MESCAL, JAMIE BELL, CLAIRE FOY, CARTER JOHN GROUT U. A.

LÄNGE: 1 STD 45 MIN


Wie einsam und allein ist der Mensch denn tatsächlich, Zeit seines Lebens und im manchmal schnell, manchmal langsam dahinfließenden Strom der Jahrzehnte? Was davon ist nur Fassade, was Imagination, und wie sehr braucht es andere, um sich geborgen zu fühlen? Diese Fragen zu beantworten, scheinen oft unbequem. Weil sie Tatsachen als Licht befördern, die keiner erkennen will. Diesen Fragen stellen sich unter anderem auch Filmemacher und erörtern auf höchst unterschiedliche Weise, wie Alleinsein sich anfühlen kann. Der Mensch kommt allein auf die Welt, interagiert während seines Lebens mit anderen, verlässt sich, wenn es gut geht, auf Mutter und Vater, später auf den Lebensmenschen, wenn sich einer finden lässt, um dann, allein, wieder diese Welt zu verlassen. Begegnungen und die Zugehörigkeit zu anderen schafft den nötigen Antrieb, um immer weiterzumachen. Fehlt diese Komponente, bleibt zumindest die Hoffnung, es könnte einmal so werden. In Uberto Pasolinis Mr. May oder das Flüstern der Ewigkeit wird die Einsamkeit des Menschen inmitten von Menschen als tieftrauriges, fast schon defätistisches Requiem inszeniert, das einem die Kehle zuschnürt. David Lowery schürt mit seiner metaphysischen Meditation A Ghost Story den Schmerz des Erinnerns und das Verlieren in den Erinnerungen eines vergangenen Lebens, sowohl der Lebenden als auch der Toten. Der Mensch wird in diesen Filmen dazu aufgefordert, sein Dasein – und auch den Tod – ertragen zu müssen, in dem Bewusstsein, mit seiner Tatsache der Existenz stets allein zu bleiben, weil man die eigene Existenz nicht teilen kann. Weil sie das ist, was man hat.

Diesen Existenzialismus im Film lässt Andrew Haigh einen Großstadttraum träumen, in der sich die Grenzen zwischen Realität und Imagination von Anbeginn an auflösen. Im Zentrum des Psychogramms steht, umgeben von sozialem Vakuum, ein Mann namens Adam, wohnhaft in einem über der Skyline von London schwebenden Appartmenthaus, das so gut wie leer steht. Adam ist somit ein einsamer Kosmonaut, der auf das Millionentreiben einer Großstadt hinunterblickt, ohne dazuzugehören. Er ist allein und einsam, antriebslos, gedankenverloren, zehrt an der Energie des Sonnenaufgangs, der, so kommt es vor, für ihn allein seine Show abzieht. Abgegrenzt und abgekoppelt von einem Leben im Miteinander ist auch Nachbar Harry (Paul Mescal), der eines Abends an seiner Tür läutet. Anfangs will Adam lieber keinen Kontakt, doch kurze Zeit später, nachdem klar ist, dass beide queer sind und füreinander Zuneigung empfinden, entsteht eine zaghafte Beziehung, die stets unterbrochen wird von einer wundersamen Tatsache, die Zeit und Raum neu konjugiert. Denn Adam, der in seinem zwölften Lebensjahr beide Elternteile bei einem Autounfall verloren hat, bekommt die Gelegenheit, Mutter und Vater wiederzusehen. Er muss dazu nur das Haus seiner Kindheit aufsuchen, und alles ist plötzlich wieder so wie früher, als wäre Adam wieder zwölf. Doch das ist er nicht, und das wissen auch seine Eltern, denen bewusst ist, längst gestorben zu sein.

Was würde man nicht dafür geben, geliebten, von uns gegangenen Menschen nochmal sagen zu können, was man immer schon sagen, nochmal fragen zu können, was man immer schon fragen wollte. Und einfach nicht mehr die Gelegenheit dazu hatte. Diese Möglichkeit wird Adam offenbart, und er nutzt sie. Er verabschiedet sich neu, kann seine Eltern nochmal umarmen, die Dinge ins Reine bringen und ihnen erzählen, wie es ihm seit damals ergangen war. Andrew Scott gibt dem einsamen Menschen, der den Verlustschmerz nicht überwinden kann und Angst davor hat, neuen zu erleiden, mit einer verletzlichen Intensität, dass man den Eindruck hat, man würde ihn schon lange kennen. Es wird fühlbar, was er empfindet, denn es sind Emotionen, die uns allen vertraut sind. All of Us Strangers wird zur immersiven Seelenreise an eine in farbiges Licht getauchte Urangst, geschützt vom Mantel der Verdrängung. Haigh reißt diesen herunter. Ecce homo, vermeint man ihn sagen zu hören. Und da ist er, dieser Adam, ein einsames menschliches Wesen, hin und hergerissen zwischen Sehnsucht, Abschied und von einer Reiselust ins Innere seines Selbst übermannt.

Vielleicht, so könnten manche vielleicht kritisieren, gibt sich All of Us Strangers einer überzeichneten Traurigkeit hin. Ich finde: Emotionen wie diese sind zu wahrhaftig, um als Kitsch bezeichnet zu werden. Leicht waren die Dreharbeiten womöglich nicht, Scott scheint sich dabei selbst an so manch schmerzliche Erfahrungen in seinem Lebens erinnert zu haben. Haighs Film ist an Intimität und Nähe kaum zu überbieten, ist surreal, voller Traumsequenzen und Erinnerungen, getaucht in Farbspektren und unterlegt mit hypnotisierendem Score, der Platz lässt für Klassiker wie The Power of Love von Frankie goes to Hollywood und diesen endlich von der Weihnachts-Playlist streicht. All of Us Strangers ist eine Naherfahrung und ein Psychotrip, vielleicht gar eine Geistergeschichte, aber ganz sicher keine leichte Kost und ein schweres, ich will nicht sagen sentimentales, aber wehmütiges Gefühl hinterlassend; einen Kloß im Hals, einen Druck auf der Brust. Befreiend ist Haighs Film nicht, dafür aber in seinem epischen Erspüren am Dasein, das aus Verlust und Suche besteht, berauschend und wunderschön. Hoffnung hat der Film keine, doch jede Menge Erkenntnis. Vor allem diese, dass Sehnsucht auch Geborgenheit bedeuten kann.

All of Us Strangers (2023)

A Haunting in Venice (2023)

ALLES MIT RECHTEN DINGEN

5,5/10


A HAUNTING IN VENICE© 2023 20th Century Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: KENNETH BRANAGH

DREHBUCH: MICHAEL GREEN, NACH DEM ROMAN VON AGATHA CHRISTIE

CAST: KENNETH BRANAGH, TINA FEY, MICHELLE YEOH, JAMIE DORNAN, KELLY REILLY, CAMILLE COTTIN, RICCARDO SCAMARCIO, JUDE HILL, KYLE ALLEN, ALI KHAN, EMMA LAIRD U. A.

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Zum Dritten Mal schon wagt sich Kenneth Branagh als Hercule Poirot ans Unmögliche. Ob im Zug – Mord im Orient-Express – oder während einer Flussschiffahrt mit der Hautevolee, so gesehen im Tod auf dem Nil: Immer sind es Fälle, bei denen man sich fragt: Wie kommt der Belgier denn überhaupt auf all diese, aus wildwachsenden Indizien zusammengeschusterten Theorien, die obendrein noch stimmen, denn eins und eins lässt sich ja bekanntlich zusammenzählen. Detektivischen Scharfsinn muss man schon besitzen, denn andernfalls gelingt es kaum, auch nur irgendwann im Laufe der Ermittlungen diesem Kauz einen Schritt voraus zu sein. Noch undurchsichtiger und noch schwerer nachvollziehbar gestaltet sich die Ergründung eines Todesfalls inmitten der Nacht zu Allerheiligen in den Gemächern eines scheinbar verfluchten und daher wahnsinnig interessanten Palazzos irgendwo an einem Kanal in der Altstadt Venedigs. Klarerweise zieht ein Sturm auf, es donnert, blitzt und prasselt in den letzten Stunden des Oktobers, bevor es richtig düster wird und der November kommt. Zeitlich sind wir um einiges früher dran als Donald Sutherland, der in den Siebzigern seiner verstorbenen Tochter im roten Regenmantel folgen wird, denn dann tragen die Gondeln Trauer und so mancher verliert den Verstand.

Hercule Poirot allerdings ebenso, das möchte man nicht glauben. Einem kühlen Kopf wie diesen lässt sich nichts vorgaukeln – oder doch? Wir befinden uns im Jahre 1947 und der obsessive Schnauzbartträger hat sich längst im höchsten und stattlichsten Gebäude von Venedig, wie es scheint, samt Leibwächter zur isolierten Ruhe gesetzt. Da passiert es, und eine alte Bekannte, die Schriftstellerin Ariadne Oliver (Tina Fey, bereits durch Only Murder in the Building mit Krimi-Erfahrung gesegnet) lädt den Eigenbrötler zu einer Halloweenparty mit anschließender Séance ein, denn das muss der alte Mann mal mit eigenen Augen sehen – und folglich zugestehen, dass das Übernatürliche durchaus existiert. Das Medium Mrs. Reynolds (Michelle Yeoh) sei da wirklich ein Phänomen. Und ehe sich Poirot versieht, darf er auch schon dem Unerklärlichen folgen, wenn der Geist der hierorts gewaltsam ums Leben gekommenen Tochter von Gastgeberin Rowena (Kelly Reilly) plötzlich zu sprechen beginnt, und mit ihr der Kakadu, der seit ihrem Ableben kein Wort mehr gekrächzt hat. Die Sache fliegt als Humbug auf, zumindest teilweise. Der Krimi wäre zu Ende und die gruseligste Nacht des Jahres ein ernüchterndes Varieté, käme da nicht ganz plötzlich jemand zu Tode. Die grauen Gehirnzellen des altehrwürdigen Schnüfflers werden reaktiviert, wenn auch nur sporadisch. Denn irgendetwas geht ganz und gar nicht mit rechten Dingen zu. Schatten, Erscheinungen und Gänsehaut-fördernde Stimmen, die nicht ertönen dürften, machen Poirot zu schaffen.

Dem Publikum hingegen weniger. Frei nach Agatha Christies Krimi Die Halloweenparty setzt Branagh seinen Whodunit-Zyklus fort und mixt ihn anscheinend mit den Zutaten diverser kauziger Gruselkrimis, die aus der Feder von Edgar Wallace stammen und in den Sechzigern haufenweise Schwarzweiß-Verfilmungen mit Stamm-Ensemble nach sich zogen. Edgar Wallace, das war schon was. Kuriose Titel machten neugierig auf kuriose Mystery, die wie bei den drei Fragezeichen anfangs um jeden Preis paranormal sein mussten, um sich letztlich den Gesetzen der uns bekannten Physik zu unterwerfen. Wie wird das bei A Haunting in Venice sein?

Branagh tut sich schwer mit dem Unheimlichen. Shakespeare mag zwar sein Steckenpferd sein, der Horror ist es nicht. Gediegen darf’s ein, nicht im Gewand eines kerzenhellen Gothic-Verwirrspiels, das zwar in ausladender Weitwinkeloptik üppige Gemächer ausleuchtet, den Geist im Spiegel aber dort einsetzt, wo ihn alle erwarten. Das Problem bei dieser Krimi-Ausgabe ist nicht das Ensemble, sondern vielmehr die Vernachlässigung von allerhand Details, die im Grunde ordentlich ins Gewicht fallen müssten, es aber nicht tun. Es ist der um alles in der Welt Agatha Christies durchzubringende Charakter des Poirot, der zwar seinen Augen und Ohren nicht mehr traut, der aber als oberste Instanz der Vernunft die Fahne hochhalten muss. Das nimmt dem Werk das Mysteriöse, und wenn auch dunkle Flure, feuchte Keller und verschlossene Türen alles mitbringen, um sich wohlig erschaudert zu fühlen: zu fahrig und unentschlossen prallen die Versatzstücke des Gruselkinos auf jene des Edelkrimis. Den Fluch rund um den Palazzo noch in Erwägung zu ziehen – davon lässt man bald ab. Ebenso vom Willen, Poirots Überlegungen zu folgen, denn das gelingt beim besten Willen nicht. Viel zu sehr wünscht man sich, dass das Paranormale dem distinguierten Herrn die Leviten liest.

Auf welche Art und Weise hätte sich Peter Ustinov wohl durch die knarzenden Räumlichkeiten geschoben? Es wäre zu einem Crossover mit Blacky Fuchsberger und Eddie Arendt, vielleicht auch Klaus Kinski gekommen. Frei nach dem Motto: Hier spricht… Agatha Christie!

A Haunting in Venice (2023)

Falcon Lake (2022)

DIE SCHRECKEN EINES SOMMERS

8/10


falconlake© 2023 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: FRANKREICH, KANADA 2022

REGIE: CHARLOTTE LE BON

DREHBUCH: CHARLOTTE LE BON, FRANÇOIS CHOQUET, NACH DER GRAPHIC NOVEL VON BASTIEN VIVÈS

CAST: JOSEPH ENGEL, SARA MONTPETIT, MONIA CHOKRI, ARTHUR IGUAL, KARINE GONTHIER-HYNDMAN, THOMAS LAPERRIERE, ANTHONY THERRIEN U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Es ist ein Sommer wie damals. Zumindest fühlt es sich so an, auch wenn Smartphones oder andere mobile Endgeräte der Zerstreuung dienen. Es fällt nicht schwer, diese Dinge zu übersehen. Man will sie in dieser anregenden Zeitkapsel gar nicht als inhärent wissen – man will nur den beiden jungen Menschen zusehen, die sich anscheinend gefunden haben und sich gegenseitig faszinierend finden. Da gibt es Bastien, gerade mal Teenager, der bald seinen 14. Geburtstag feiert und mit Eltern und jüngerem Bruder irgendwo in Kanada an einem See Urlaub macht. Da gibt es Chloe, ein 16jähriges Mädchen mit langem dunklem Haar und gern auf Partys. Die Eltern der beiden sind befreundet, beide Familien teilen sich eine Hütte, und bald teilen die beiden Teenies auch die meiste Zeit des Tages miteinander, indem sie um den See strawanzen, sich Geschichten erzählen und Fotos machen, die den Geist eines ertrunkenen Jungen abbilden, der an den Ufern und verhüllt in weißes Laken immer wieder erscheint, da er selbst noch nichts davon weiß, eigentlich gestorben zu sein. Diese Idee beruht auf keinen wahren Begebenheiten, Chloe hat sich das einfach ausgedacht. Und dennoch verlässt einen nicht das Gefühl, dass der Ort ein Geheimnis birgt, welches, von der Zeit losgelöst, irgendwann in Erscheinung treten könnte. Wie das nun mal so ist bei jungen Menschen, erlebt der junge Bastien seine erste Romanze, seine ersten sexuellen Erfahrungen und erste Eifersucht. Probiert Verbotenes, fühlt noch nie Dagewesenes. Lässt die Nähe zu einem Menschen zu, der sie sucht.

Charlotte Le Bon, die man bislang nur als Schauspielerin zu schätzen gelernt hat, wagt sich mit dieser bittersüßen Ballade über die Gefühle junger Menschen an die Verfilmung einer Graphic Novel von Bastien Vivès heran. Dabei gelingt ihr das Kunststück einer stimmungsvollen Romanze, die sich niemals mit oberflächlichen Klischees abgeben will, sondern durch die greifbaren Bedürfnisse der Protagonisten hindurch bis auf ihre verborgenen Ängste stößt. Da ist viel Sorge, alleingelassen zu werden oder nirgendwo dazuzugehören. Da ist viel Angst vor Peinlichkeiten oder dem Umstand, dem anderen nicht zu genügen. Wie Joseph Engel als Bastien es meistert, so unverkrampft und wahrhaftig diesen Sommer so zu erfahren, als wäre er tatsächlich Teil seiner Biografie, bildet das Herzstück des Films, gemeinsam mit der inspirierenden Chemie zwischen ihm und Sara Montpetit, die an Ali McGraw erinnert und einen ungestümen Lebens- und Leidensdrang mit sich bringt.

Es passiert nicht viel am Falcon Lake. Es passieren Dinge, die wir alle auf eine ähnliche Weise selbst schon erlebt haben, die auch einfach so passieren, weil es eben Sommer ist, und der Tag lang genug für Müßiggang, Philosophieren und kindlichen Wagemut. Und dennoch ist der letztes Jahr in Cannes erstmals gezeigte Geheimtipp mehr als nur Stimmungsbild und Beobachtung. Hier liegt etwas Metaphysisches zugrunde – eine Dimension, die keiner so recht greifen kann, die Bastien und Chloe aber umgeben, als wären sie Teil einer höheren Bestimmung. Diese geheimnisvolle, impressionistische Welt lässt den See als Tor in eine andere Welt erscheinen, den Wald drumherum als Ereignishorizont. Hier ist vieles im Gange, dass zwischen den gesprochenen Zeilen liegt und sich meist nur in der Haltung der Figuren oder im malerischen Naturalismus eines Ortes so richtig andeutet. In seiner von Licht und Wärme, Regen und Gewitter durchdrungenen Weise erinnert Falcon Lake dabei an das intensive Erwachen Timothée Chalamets aus Call Me By Your Name.

Die Schrecken eines Sommers sind alles andere als banaler Horror – sie sind die unerwarteten Gefühle, die man zulassen muss, sich ihnen aber nicht gänzlich hingeben darf. Sie sind der Glaube an Dinge, die man nicht sehen kann. Wie die eigene Zukunft.

Falcon Lake (2022)

Under the Shadow (2016)

DER ERRUNGENE MUT ZUM AUFBRUCH

7,5/10


undertheshadow© 2016 Netflix Österreich 


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN, JORDANIEN, KATAR 2016

BUCH / REGIE: BABAK ANVARI

CAST: NARGES RASHIDI, AVIN MANSHADI, BOBBY NADERI, ARASH MARANDI, RAY HARATIAN, ARAM GHASEMY, HAMID DJAVADAN, SOUSSAN FARROKHNIA, KARAM RASHAYDA U. A.

LÄNGE: 1 STD 24 MIN


Wir alle kennen diese Träume, oder besser gesagt: Albträume, in denen wir weit von zuhause weg sind, womöglich auf Reisen, und dann haben wir das Wichtigste vergessen, was immer das auch sein mag, aber es ist etwas Unverzichtbares. Es gibt auch Träume, in denen wir versuchen, von irgendwo wegzukommen, meist aus dunklen Räumen, und jeder Schritt fühlt sich so an, als hätte man kiloweise Blei um die Knöchel. So schleppt man sich zum Licht, kommt aber niemals wirklich voran. Etwas hält uns zurück, in der Finsternis. Ein Trauma, eine Gestalt, eine Geschichte. Etwas Erlebtes. Und dann ist da Babak Anvaris Film. Eine Allegorie auf die Angst, Wichtiges zurücklassen zu müssen. Die Heimat zurücklassen zu müssen, das Zuhause oder das, was mehr ideellen als materiellen Wert hat, denn wir leben nun mal in einer Welt voller Dinge, mit denen wir manchmal unsere Seele teilen.

Für die Flucht weg aus dem eigenen Ursprung braucht es Kraft, Mut und Zähigkeit. Die Flucht ist meist die Reaktion auf den Totalzerfall des Systems – sprich: Krieg. In Under The Shadow lebt Shideh (Narges Rashidi) mit ihrer kleinen Tochter und ihrem Mann zur Zeit des Iran-Irak-Konflikts in Teheran. Die Lage spitzt sich täglich zu, im Nachbarland Irak werden die Raketen Richtung iranischer Hauptstadt in Stellung gebracht. Immer wieder jault die Sirene, um die Bewohner in die Luftschutzkeller zu befehlen. Shidehs Ehemann, ein Arzt, wird eines Tages einberufen – er muss an die Front. Zurück bleiben Mutter und Kind, und doch steht ihnen die Möglichkeit offen, du den Großeltern zu flüchten, außerhalb der Stadt, wo die beiden sicherer wären als hier in diesem kleinen Wohnhaus, wo all die anderen Parteien bereits darüber nachdenken, alles stehen und liegen zu lassen – oder zumindest das meiste. Shideh zögert, doch als eine Rakete das Haus trifft, scheint die Gefahr akuter denn je. So weit, so sehr Kriegsdrama aus der Sicht der Zivilbevölkerung. Wo ist nun der Horror?

Tochter Dorsa ist fest davon überzeugt, dass mit dem ersten Luftangriff und mit den Stürmen, die plötzlich toben, ein Djinn sich ihrer angenommen hat. Und zwar keiner, der, blauhäutig und dauergrinsend, drei Wünsche erfüllt. Sondern etwas Böses, Hinterlistiges. Etwas, das Mutter und Tochter daran hindert, fortzugehen. Das fängt damit an, dass der Djinn die heißgeliebte Puppe von Dorsa versteckt. Ohne dieses Spielzeug ist an Aufbruch nicht zu denken. Und sehr bald schon bleibt es nicht nur bei diesem Schabernack – der Dämon treibt sein Verwirrspiel bis zum Äußersten.

Auf Babak Anvari wurde ich erstmals aufmerksam, als sein perfider und daher auch unberechenbarer Psychothriller I Came By letztes Jahr auf Netflix erschien. George McCay wird da zum Opfer eines sinistren Hugh Bonneville. Einige Jahre zuvor gelingt ihm auch mit diesem subtilen und gewieften Escape Home-Thriller ein regelrechter Geheimtipp, der mit Leichtigkeit Elemente des Horrors mit jenen des Psychodramas aus dem Antikriegs-Genre verschachtelt. Die Metaebene offenbart sich wie der schwarzweiß gemusterte Dschilbab des paranormalen Eindringlings, das erzwungene Verharren am Ort der Gefahr wird zum Sinnbild für Verlust, Abschied und der Furcht davor, selbst zurückgelassen zu werden. So wie der Djinn die Möglichkeiten der Mutter aussetzt, ihren fürsorglichen Pflichten nachzukommen, so wird die Suche nach der Puppe zum innerfamiliären Nervenkrieg. Anfangs offenbart sich Under the Shadow in so pragmatischem Stil, wie ihn Asghar Farhadi gerne anwendet, um dann das Metaphysische im wahrsten Sinne des Wortes durchbrechen zu lassen und einige Jumpscares aufzufahren, die unerwartet passieren und nie zum Selbstzweck verkommen. Sie sind Teil dieses Halbwach-Zustandes, in welchem sich der ganze Film befindet – weil man eben nicht glauben und nur schwer annehmen kann, dass das Leben, wenn Krieg herrscht, in den eigenen vier Wänden nicht mehr sicher ist. All die Ängste, die dazugehören, mutieren dabei zum mythischen Quälgeist.

Under the Shadow (2016)